1880-Das Alte Rätien Und
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Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1880 Das alte Rätien und Rom Email: [email protected] . Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini . - 2 - 1880 Das alte Rätien und Rom Johann Heinrich Hotz Hotz Johann Heinrich: Das alte Rätien und Rom. In Sonntagblatt des Bund 1880 Nr. 17-20. Das alte Rätien und Rom Von Dr. J. H. Hotz-Osterwald in Zürich Die Geschichte von "alt fry Raetia" hat von je besondere Aufmerksamkeit erweckt und verdient sie auch. So ist es für die Ethnologie der Schweiz von Interesse, dass nicht wenige rätische Namen mit helvetischen übereinstimmen, wie Stans in Unterwalden und Stanz im Tyrol, Flüelen in Schwyz und der Flüela-Pass, Sins im Aargau und drei Sins in Bündten, der Fluss Sarine in Fryburg etc. (nebst diversen Saar, Suhr, Surb) und die Saar in Sargans, Brienz in Bern und Brienz-Albula, Lenz, Lenzerheide und Lenzburg, alt "Lencis" usw. Auch die beiderseitigen Volkssprachen zeigen manche Identität. Der bekannte deutschschweizerische Ausdruck "rübis und stübis", d.i. alles samt und sonders, entspricht dem rätoromanischen "rüblas und stüblas" und hat hier einen Sinn, da "rüblas" den noch intakten Hanf, "stüblas den Abgang davon, die "Ageln" bezeichnet. Das deutschschweizerische "pfletschnass", tropfnass findet seine Erklärung im rätoromanischen "pletsch", nass. Die Bildung pfletsch aus pletsch ist regelrecht und gleiche tautologische Uebersetzungen sind in solchen Fällen gewöhnlich. Churwälsch "stüva" ist identisch mit dem grundlos für ursprünglich deutsch geltenden "Stube", eigentlich: Dampfbad Schwitzlokal. Straglia, streglia (Kamm), das im deutschschweizerischen Sträl, Kamm wiederkehrt, ist im bündnerischen "Strela-Pass" figürlich angewendet auf die den "Zähnen" eines Kammes (vergleiche die häufigen "dents" der Westschweiz) vergleichbaren Bergspitzen. Aehnlich begegnen deutsch- schweizerische Lokalnamen, wie "Strälgasse" und dergleichen, wo die Verhältnisse jeden Gedanken an Kamm-Macher ausschliessen, dagegen auf "Hohlweg, Pass" hinweisen. Dass das bekannte Bueb, Sohn im churwälschen ursprünglich heimatberechtigt ist, beweist die Existenz des sonst nirgends mehr vorkommenden Femininums, il buob ist der Knabe, la buoba das Mädchen. - 3 - Uebrigens hat sich das interessante Wort, welches Wackernagel und Weigand mit Recht für nichtdeutsch erklären, aber mit Unrecht vom lateinischen pubes oder pupus ableiten wollen und das nächstverwandt ist mit "babe" (Kindchen), Puppe (vergleiche englisch beabe, baby, Säugling oder Puppe), 1 selbst in dem Patois mehrerer Departements von Frankreich durch die konkurrierenden romanischen "filius" und "infans" nicht verdrängen lassen. 2 I. Was die Beziehungen des alten Rätiens zu dem nachmals weltherrschenden Rom betrifft, so ist ein uralter und vorhistorischer, aber enger Zusammenhang beider dannzumal vorhanden, falls sich die bestimmte antike Ueberlieferung bestätigt, wonach die Etrusker oder Tusci - welche bekanntlich in vielen und wichtigen Dingen, wie in Religion und Divination, Musik, Architektur, Metallurgie, Keramik, der Kunst der Agrimensoren usw. dem römischen Wesen ihr Gepräge bleibend aufdrückten - und die Raeti eines Stammes sind. Unleugbar sprechen frappante Uebereinstimmungen, sowie Funde etruskischer Inschriften und Geräte auf rätischem Boden für die alte Tradition. Genaueres über das wirkliche gegenseitige Verhältnis kann aber unsere Erachtens nicht gesagt werden, so lange von dem uns erhaltenen Etruskischen trotz Corssen's ebenso wertlosem als kostspieligem Werk nicht ein einziges Wort mit festem Grund heimgewiesen wird und in England und Deutschland die seltsame Meinung obherrscht, die nächsten Verwandten des überaus hochstehenden Kulturvolkes, welches unter Anderem den Gewölbebau erfand und dessen Grösse bereits zur Zeit der Gründung Roms in voller Dekadenz begriffen erscheint, seien unter den heutigen Lappländern zu suchen. Für die Schweiz würde daraus das pikante, offenbar absurde Ergebnis folgen, dass der ehemals rätische Teil derselben die Lappländer als einstige Stammrasse zu betrachten hätte! Einstweilen bleiben demnach Nationalität und älteste Geschichte der Etrusker, sowie das etrusko-rätische Rätsel schwierige und ungelöste Fragen, deren Besprechung uns jetzt fern liegt. 1 "Bueb" ist auch in militärischer Beziehung bemerkenswert. Im Mittelalter, hiess während langer Zeit das Fussvolk technisch "bubi". Vergleiche Ducange. Auf der Uebersetzung desselben beruht die noch heute gangbare "Infanterie". Anderseits empfing "bubii" durch die stetigen Exzesse dieses inferioren Bestandteils der mittelalterlichen Heere schon früh einen äusserst üblen Nebenbegriff. Daher stammt die einzig schriftdeutsche Bedeutung von "Bube": niederträchtiger Mensch, Schuft. 2 "Bueb" ist auch in militärischer Beziehung bemerkenswert. Im Mittelalter, hiess während langer Zeit das Fussvolk technisch "bubi". Vergleiche Ducange. Auf der Uebersetzung desselben beruht die noch heute gangbare "Infanterie". Anderseits empfing "bubii" durch die ständigen Exzesse dieses inferioren Bestandteils der mittelalterlichen Heere schon früh einen äusserst üblen Nebenbegriff. Daher stammt die einzig schriftdeutsche Bedeutung von "Bube": niederträchtiger Mensch, Schuft. - 4 - Gegenwärtig handelt es sich nur darum, im Interesse besonnener Forschung einige im Lauf der Zeit eingebürgerte, zum Teil selbst bei den heutigen Gelehrten in voller Geltung stehende, in der Tat aber fiktive Identitätsbeweise ihres angeblichen Wertes zu entkleiden. Dass Realta, Rhäzüns, Reams, "Raetia alta", "ima" und "ampla" seien, sind Legenden, die keiner Widerlegung wert sind. Nur wenig besser steht es bezüglich der Vergleichungen von "Nüziders" mit dem unteritalisch-griechischen Nikotera, von "Zizers" mit einer angeblichen Göttin Cisa und von "Zuz" mit Tutium, das hispanisch wäre, ungerechnet, dass es eigentlich ein Flussname und zum Ueberfluss lediglich eine falsche Lesart anstatt "Turia" ist, wie der Fluss Guadalaviar in seinem obern Laufe heute noch heisst. Auch zwischen Raeti und "Rasennae", dem esoterischen Namen der Tusci vermögen wir anstatt angeblicher Gleichheit, die noch heute eine Rolle spielt, mit dem besten Willen nicht mehr als eine oberflächliche und bloss scheinbare Aehnlichkeit zu entdecken und nicht einmal dies zwischen "Dardin" und Tarquinii. Bei "Thusis", durch welches noch P.C. Planta, Das alte Raetien (1872) "lebhaft an Tusci erinnert wird" und das allenfalls mit dem doch wirklich existierenden Tuscia d.i. Etruria verglichen werden könnte, scheint das Richtige unschwer erkennbar. Die echte rätoromanische Form ist Tosana und dies wird auf dem nämlichen gallischen Stamm beruhen, wie der Fluss Tosa, Toisa, Töss etc. und demnach dem Lokal ganz entsprechend "Wildlauf" (wirklicher Name der Stromschnelle bei Laufenburg) oder "Laufen" bedeuten. Auf besserem Fundament scheint es zu stehen, wenn Röder und Tscharner, Canton Graubünden (1838) S. 14. die "merkwürdige Uebereinstimmung" von nicht weniger als sechs Orten auf einmal, nämlich Fettan, Zernez, Lavin, Nauders, Sins und Schuls konstatieren "durch die bekannte Stelle des Plinius III. 6", deren ausgeschriebener Text ihnen zufolge "Vettones, Cernetani, Lavinii, Oenotrii, Sentinates, Suillates" als umbrische, von den Etruskern überwundene Völkerschaften nennt. Indessen müssen die fabelhaften Oenotrii, die schülerhafte Form Lavinii, statt der (lateinischen) Lavinienses etc. bei Sachkundigen sofort Verdacht wecken. In der Tat ist das Ganze eine arge Mystifikation, deren Urheber in richtiger Würdigung des fortwährend herrschenden Autoritätsglaubens und der Macht des gedruckten Buchstabens berechnete, das Exzerpt werde tale quale als richtig hingenommen werden. - 5 - Der Erfolg hat ihm Recht gegeben, trotzdem bei Plinius an andern Orten etwas derartiges gar nicht steht und ausser den zwei letzten, an einer andern Stelle des dritten Buches vorkommenden Namen alle übrigen erfunden oder grob entstellt, u. A. die "Cernetani" - wegen Zernez - aus den iberischen Cerretani fälschlich gemacht sind. Ludwig Steub, der bekannte Forscher auf diesem Gebiet, hat selbst schon im Jahr 1854 und seither die Täuschung aufgedeckt. Dessen ungeachtet wird der angebliche Beweis fort und fort verwendet. Vergleiche z.B. Verhandlungen der schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft 1863 S. 7. Bei solchen populären Besprechungen ist das am Ende begreiflich. Bedenklich wird aber die Sache, wenn die Mystifikation auch in quellenmässig sein sollenden Schriften immer noch weiter verbreitet wird. Im Jahre 1869 erschien zu Bern das "Quellenbuch" zur Schweizergeschichte von W. Gisi, welches beansprucht, "Grundlage jeder neuen Bearbeitung zu sein", überaus grossen Wert auf Quellenmässigkeit und originalste Texte legt und sich in erster Linie zum Unterricht der Studierenden bestimmt. Neben dem schon an sich monströsen und unmöglichen, auf Korruption von Noviodunum beruhenden "Noidenolex", dessen gänzliche, durch die Fälschungen Montmolins im 17. Jahrhundert berüchtigt gewordene Fiktivität zu den ersten Elementen helvetischer Altertumsforschung gehört - Vergl. Mommsen helvetische Inschriften S. 113 -, das aber S. 43 positiv als ehemaliger helvetischer Ort, identisch mit Neuchatel aufgeführt wird und anderen erstaunlichen Dingen mehr, findet der Quellenforscher dort S. 29 - anstatt einer zu erwartenden Warnung vor diesem Humbug - auch die obige bekannte Stelle als bare