DIE NUMMERN 1 m 31. Januar 2016 steht And- reas Wolff an dem Punkt, auf A den er seit Jahren hingearbei- tet hat. Ihm hängt eine Goldmedaille um den Hals, die Reporter bilden einen Pulk um ihn, Mikrofone werden ihm ins Gesicht gehalten, jeder Wortfetzen von Wolff ist jetzt wichtig. Allen ist der historische Moment bewusst. Erst ein paar Minuten liegt dieser denkwürdige Auftritt in der Tauron Arena zurück, der Wolff in nur 60 Minuten auf eine Ebene mit deutschen Torwart-Hero- en wie Manfred Hofmann, Wieland Schmidt, Andreas Thiel und Henning Fritz katapultiert hat. Er hat gegen die Spanier 48 Prozent aller Bälle ge- halten, in den ersten 20 Minuten lag er bei fast 60 Prozent, noch nie hat es ein Torwart in einem EM-Finale ver- mocht, nur 17 Gegentore zuzulassen. Der Nachfolger des „Hexers“ ist ge- funden. „Es war immer mein Ziel, eine Goldmedaille zu gewinnen. Jetzt habe ich die erste hier in der Hand. Ich hof- fe, dass noch einige folgen“, sagt Wolff, der sehr ruhig wirkt. Ja, in diesem Moment des Triumphes spricht der 24-jährige schon von Olympia. Und dass er auch Weltmeister werden will. + + + ist deutlich früher als Wolff in die Mixed Zone gelangt. Der größte Moment seiner Karriere liegt hinter dem dem 35-jährigen Tor- wart vom VfL Gummersbach, er war es, der als Kapitän die Trophäe für den neuen Europameister aus der Hand von EHF-Präsident Jean Brihault in Empfang nehmen durfte. Lichtlein 33 war schon bei der EM 2004 dabei, er Bei der EM in Polen katapultierte sich in die absolute Weltspitze. Ihn begleitete der überaus erfahrene Carsten Lichtlein. Die beiden Torleute sind offensichtlich sehr verschieden. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten.

ist der letzte Weltmeister von 2007 im Kader. Jetzt versucht er, diesen Sieg in seinem 210. Länderspiel, so surre- al er auch wirkt, irgendwie einzuord- nen. „Bei den anderen Titeln war die Mannschaft viel eingespielter“, sagt Lichtlein. Und dann erzählt er, dass er schon Mitte der ersten Halbzeit, als er Wolff bei einem deutschen Angriff die Trinkflasche reichte, diese Worte zu seinem jungen Kollegen sprach: „Heu- te brauche ich nicht ins Tor.“ Weil Wolff sich in seinem erst 23. Einsatz für Deutschland schon in einen Rausch gespielt hatte. Weil die Spanier mit ei- ner Mischung aus Entsetzen und Panik auf Wolff schauten. „Andreas war un- glaublich“, sagt Lichtlein und schüttelt dabei immer wieder den Kopf. + + + Hinter den beiden Torhütern liegen in diesem Moment vier lange Wochen EM-Enklave. Lichtlein und Wolff ha- ben das erste Mal das Duo im deut- schen Tor gebildet, nachdem Dagur Sigurdsson den formschwachen nach dem Supercup aus- sortiert hatte. „Ich gehe davon aus, dass ich spielen werde“, hat Wolff nach dem Gewinn des Supercups in Kiel lächelnd mitgeteilt, da stand ein Keeper im Bauch der Sparkassena- rena, der vor Selbstbewusstsein fast platzte. Lichtlein ist gesetzt, wegen seiner großen Konstanz. Es ist jeden- falls eine neue Konstellation. Wolff, der junge Wilde, und Lichtlein, der alte Hase. Elf Jahre liegen zwischen den beiden Torleuten, sie sind in un- terschiedlichen Zeiten aufgewachsen. Der eine ist Weltmeister, der ande- Fotos: Sascha Klahn/DHB 16 re hat noch nie einen Titel gewonnen. tig, antwortet Artur Lichtlein, von Be- 450 Euro im Monat für das Internat Sie sind ganz offensichtlich sehr ver- ruf Bankdirektor. „Wenn Carsten ein verlangt. Das gehe nicht, erklärt Wolffs schiedene Charaktere. Zugleich hat richtig guter Torwart werden sollte, Vater, der als Bauarbeiter sein Geld das Duo auf dem Weg nach Polen mit kann er noch genug Geld verdienen.“ verdient, das könne sich die Familie denselben Trainern gearbeitet und in Im Sommer 1999 wechselt Lichtlein, nicht leisten. Als Kunz davon erfährt, denselben Vereinen gespielt. 18, von der TG Heidingsfeld zum TVK. bietet er der Familie an, dass sich in + + + Nach einer Weile zieht der Teenager Kirchzell die Mutter eines anderen Der Startschuss für die große Kar- aus Würzburg zu seiner Oma nach Spielers um ihn kümmere. „Ich habe riere ertönt für beide Keeper in der Großwallstadt, um die Fahrstrecke dem Vater freie Kost und Logis für sei- Provinz: in Kirchzell, Unterfranken, nach Kirchzell zu verkürzen. nen Sohn angeboten“, erzählt Kunz. gut 2000 Einwohner, man kennt sich. + + + Der Vater stimmt zu. Und Wolff zieht „Ein Kaff“, sagt Gottfried Kunz und Acht Jahre später, im Frühjahr im Alter von nur 16 Jahren aus, mit lacht laut. Bei Kunz, der sich als Trai- 2007, Carsten Lichtlein ist gerade dem Ziel, der beste Torwart der Welt ner des TV Kirchzell in der - Weltmeister geworden, sitzt Kunz bei zu werden. „Das macht auch nicht je- verrückten Region einen guten Ruf einem Sichtungslehrgang im Hand- der“, sagt Kunz. + + + Kunz berichtet, dass Lichtlein und Wolff schon in der Jugend mit un- heimlich viel Ehrgeiz trainieren, beide mit großem Talent gesegnet, beide mit herausragenden körperlichen Anla- gen ausgestattet. Das eint sie. Aber es gibt auch erkennbare Unterschiede. Lichtlein, so expressiv er als Torhüter auch ist, reift außerhalb des Spielfel- des sehr früh, er strebt eine Ausbil- dung als Steuerfachgehilfe an. Und er nimmt die Kritik der Trainer klaglos an. Zu Beginn seiner Karriere erzählt Lichtlein in Breslau, sei er „auch so ag- gressiv und ständig unterwegs“ gewe- sen wie der Kollege, aufbrausender als jetzt, im Herbst seiner Karriere. Foto: EHF + + + Jubelte gegen Russland: Carsten Lichtlein Der Handballer Wolff hingegen präsentiert sich, als er von der HSG aufgebaut hat, klingelt im Frühjahr ball-Leistungszentrum Großwallstadt. Rheinbach nach Kirchzell wechselt, 1999 das Telefon. Am Apparat ist Artur Ein Zufall, normalerweise schaut sich als menschliches Pulverfass. In der Lichtlein, Deutscher Meister im Feld- der Coach diese Sichtung nicht an. Er D-Jugend, als Wolff, gerade mal zwölf handball mit dem TV Großwallstadt beobachtet einen jungen Nachwuchs- Jahre alt, noch in seinem ersten Ver- (1973) und Vater des jungen Torwarts torwart aus dem Rheinland: Andreas ein SG Ollheim-Straßfeld in der Nähe Carsten. Er habe ihn gefragt, ob der Wolff, der gerade 16 Jahre alt gewor- Bonns spielt, bedrohen die Ausfälle TV seinen Sohn haben wolle, berich- den ist. Wolff brennt vor Ehrgeiz, er des Torwarts manchmal das Gefüge tet Kunz, der am Tag des EM-Finals brüllt seinen Frust bei jedem Gegentor der Jugendmannschaft. „Dass er fan- in das Mannschaftshotel nach Krakau heraus, Talent und Wille sind unüber- tastische Anlagen hatte, war schon zu gekommen ist. „Na klar wollen wir“, sehbar. Der Bundesligist will Wolff jener Zeit zu sehen“, sagt Andy Mi- sagt Kunz, „alle wollen Carsten. Aber ausbilden. Aber der Umzug droht da- chels, sein damaliger Coach. „Aber ich kann nichts bezahlen“. Nicht nö- ran zu scheitern, dass der TVG rund er ist bei jeder Kleinigkeit förmlich

28 AUSGABE 1/2016 ausgerastet, er war immer sofort auf 180.“ Auch in Kirchzell zeigt Wolff auf dem Handballfeld sein cholerisches Temperament, sagt Kunz. Was er gar nicht verträgt: Kritik vor der Mann- schaft. Das muss unter vier Augen er- ledigt werden. „Dann habe ich immer gesagt: Andy! Kabine!“, erinnert sich der Handball-Lehrer. „Auf der ande- ren Seite war er abseits des immer ein sehr lieber Kerl. Wenn ich ihn anrief, weil ich eine helfende Hand brauchte, war er sofort da.“ Kunz sagt, dass er sich doch etwas gesorgt habe, weil Wolff, anders als Lichtlein, voll auf den Profihandball gesetzt und nach der Fachoberschule keine Ausbildung angestrebt habe. „Das war ein großes Risiko, das hätte ich meinen Kindern so nicht empfohlen“, sagt Kunz. „Aber der Erfolg gibt ihm jetzt ja Recht.“ + + + Lichtleins Karriere verläuft in den ersten Jahren steil. Schon als 20-Jäh- riger steht er im Tor des TV Großwall- stadt, im November 2001 streift er das erste Mal das Trikot des Deutschen Handballbundes über, in einem Test- spiel in Aichwald gegen Österreich. 2005 wechselt er zum Spitzenclub TBV Lemgo, er folgt dort Christian Ramo- ta nach und bleibt acht Jahre im Ost- westfälischen. In der DHB-Auswahl aber beginnt für ihn eine lange, quä- lende Zeit des Wartens. Zunächst hat er Henning Fritz und Christian Ramo- ta vor sich, als das Team im Jahr 2004 in Ljubljana den EM-Titel gewinnt, sitzt er auf der Tribüne. Nach Ramotas ANDREAS WOLFF

Ära wird Lichtlein von Position: Tor überholt, bei der WM 2005 in Tunesi- Geburtstag: 3. März 1991 en ist er wieder nur der dritte Mann, Geburtsort: Euskirchen, GER der bei Medienterminen etwas verlo- Nationalität: deutsch Größe: 1,98 m ren dasitzt, weil er für die Journalis- ten gerade keine Geschichte darstellt. Vereine: Der damalige DHB-Pressechef Charly 2009 – 2013: TV Kirchzell Hühnergarth fleht den Kollegen von 2009 – 2013: TV Großwallstadt 2005 – 2013: TBV Lemgo der Handballwoche deshalb an, seit 2013: HSG Wetzlar

Länderspiele: 25

Erfolge: AUSGABE 1/2016 • Europameister 2016 29 Foto: Christina Pahnke / sampics photographie Foto: Christina Pahnke sich um Lichtlein zu kümmern und ein Sozialinterview zu führen. „Bitte, Du musst mit ihm reden!“ Es hat schon Handballprofis gegeben, die solche Si- tuationen so zermürbt haben, dass sie aus der Nationalmannschaft zurück- traten. Lichtlein erträgt das alles. Er wartet auf seine Chance. + + + Geduldig auf die Chance warten – das ist kein Satz, den die frühen Weggefährten Wolffs über ihn sa- gen würden. Nicht mal dann, wenn seine Kollegen mal einen draufma- chen. „Wir waren mal im Club Aldi- ana im Trainingslager, in der Nähe von Hammamet in Tunesien, da sind die anderen Spieler gern auch an den Strand gegangen“, erzählt Kunz. Wolff sagte dann: „Ich gehe noch in den Kraftraum.“ Als Wolff im Som- mer 2009 ein Zweitspielrecht beim TVG erhält, ist er erst 18 Jahre alt, der jüngste Torhüter in der Bundesliga. Vor ihm steht mit dem tschechischen Nationalkeeper Martin Galia ein arri- vierter Torwart, aber Wolff zeigt ihm sofort, dass er ihn angreifen will. „So war Andy Wolff immer“, sagt Kunz an dem Tag, als Wolff in Krakau Ge- schichte schreibt. „Als er in Kirch- zell ankam, wollte er mit 17 Jahren Stammtorhüter bei uns sein. Als er zum TVG ging, wollte er so schnell wie möglich die Nummer Eins sein, auch CARSTEN LICHTLEIN in Wetzlar. Und als er in Wetzlar die

Position: Tor Nummer Eins war, wollte er National- Geburtstag: 4. November 1980 keeper werden. Und heute will er der Geburtsort: Würzburg, GER beste Torwart der Welt sein.“ Nationalität: deutsch + + + Größe: 2,02 m Wurfhand: rechts Auch Lichtlein will das, aber seine Körpersprache ist nicht ansatzweise so Vereine: aggressiv. Vielleicht führt die zurück- bis 2000: TV Kirchzell haltende, äußerst faire Haltung sogar 2000 – 2005: TV Großwallstadt 2005 – 2013: TBV Lemgo dazu, dass Lichtlein trotz starker Leis- seit 2013: VfL Gummersbach tungen im entscheidenden Moment zurückgestuft wird. Als die deutsche Länderspiele: 212 Mannschaft am 4. Februar 2007 die

Erfolge: • Weltmeister 2007 • Europameister 2016 • Vize-Weltmeister 2003 • EHF-Cup-Sieger30 2006, 2010 AUSGABE 1/2016 Foto: Christina Pahnke / sampics photographie Foto: Christina Pahnke Weltmeisterschaft gewinnt, sitzt er hin- kann Negativerlebnisse schneller ver- seiner Routine die junge Mannschaft ter dem Tor. Das nimmt er gelassener arbeiten. Zum einen, weil Wolff stän- führen. Lichtlein gelingt das bei den hin als die Entscheidung Brands, ihn dig in der Startformation steht. Zum Blau-Weißen auf allen Ebenen, auch nicht für die Olympischen Spiele in Pe- anderen, weil der erfahrene Spanier wenn das einen großen Spagat für ihn king zu nominieren, obwohl er in der und auch der kroatische Genius Ivano darstellt, weil der Weg nach Würzburg Saison 2007/08 so gut gehalten hat wie Balic den jungen Keeper, wie Camdzic zu seiner Frau und den beiden Kindern noch nie. „Das war die größte Enttäu- berichtet, „Lässigkeit lehren“. Hom- weit ist. „Lütti“ wird jedenfalls gefeiert schung in meiner Karriere“, bekennt er später. Damals hält er sich zurück, er zeigt sich als vorbildlicher Team-

player, er bleibt geduldig und wartet Foto: EHF weiter. Bei der WM 2009 in Kroatien ist es endlich soweit: Er ist gesetzt für das Torhüter-Duo. „Jetzt bin ich froh, endlich diese Spiele zu spielen“, sagt er damals, er wirkt erleichtert. Hinter ihm lauert aber schon ein junger, hungriger Torwart auf seine Chance. Der neue dritte Mann heißt Silvio Heinevetter. + + + Als Wolff im Jahr 2013 nach Wetzlar wechselt, ist er gerade 22 Jahre alt und immer noch ein sehr junger Torwart. Und eigentlich ist er für die Bundes- liga nicht zu gebrauchen, weil er sich förmlich selbst in ein Formtief stürzt, wenn er ein paar Bälle nicht hält, die er glaubt, halten zu müssen. Das zerfrisst ihn dann förmlich, das nagt so sehr an ihm, dass nichts mehr geht. „Am Durchbruch gegen Schweden: Andreas Wolff bei einer Parade gegen Niclas Ekberg Anfang hat er sich selbst kaputt ge- macht”, erzählt Jasmin „Jasko” Camd- brados impft Wolff ein, dass er nicht von den anspruchsvollen Gummersba- zic, der Co-Trainer der HSG Wetzlar, in jedem Spiel 20 oder 25 Bälle halten cher Fans. In der Nationalmannschaft der für das Torwarttraining zuständig müsse. Es reiche völlig, wenn er am muss er die nächste Enttäuschung ist. „Da war Andy manchmal nach Ende eines Spiels die wichtigen Bälle verkraften: Vor dem WM-Playoff im fünf Minuten und zwei nicht gehalte- gehalten habe. „Er hat mir unheimlich Sommer 2014 gegen Polen reakti- nen Bällen nicht in der Lage, das Spiel viel beigebracht, vor allem mental“, viert Bundestrainer Martin Heuber- normal zu Ende zu bringen.” Camdzic berichtet Wolff in Polen. „Er ist so ein ger wieder Johannes Bitter, der 2011 sagt, dass Wolff „unbedingt jeden Ball ruhiger Torhüter, das versuche ich, so zurückgetreten war. Heinevetter hat halten will”. Camdzic arbeitet intensiv gut es geht, auch umzusetzen.“ offensichtlich einen Vorteil dadurch, mit Wolff. „Der Bewegungsablauf war + + + dass er unter Heuberger im Jahr 2004 schon da, den wollten wir auch nicht Während Wolff in Wetzlar noch um Junioren-Europameister geworden ist. ändern. Wir haben uns darauf konzen- seine innere Ruhe ringt, verkörpert Hinzu kommt, dass Heinevetter die triert, dass er athletisch arbeitet, und Lichtlein in Gummersbach, wohin er Schlagzeilen beim Boulevard gewiss auch im mentalen Bereich, natürlich 2013 wechselt, den Aufbruch. Er soll in sind, schon aufgrund seiner Beziehung torwartspezifische Dinge“, erzählt der der neuen Schwalbe-Arena nicht nur zu Schauspielerin Simone Thomalla. Spezialist. Erst durch José Hombrados die Torhüterprobleme des Traditions- Aber als Dagur Sigurdsson im August kommt Wolff in Wetzlar zur Ruhe und clubs beheben, sondern auch mit all 2014 Bundestrainer wird, ändert

AUSGABE 1/2016 31 sich alles. Zwar wird Lichtlein nicht nur auf dem Spielberichtsbogen ein- hohes Niveau gezeigt“, sagt Camdzic. zum ersten Lehrgang in der Ära Si- getragen zu werden. Ich möchte der Im Heimspiel gegen die SG Flensburg- gurdsson nominiert. Aber der Isländer Matchwinner sein“, sagt er. In zehn Handewitt demonstriert er, dass er das setzt auf ihn bei der WM 2015 in Doha, Jahren habe er vielleicht die Rolle von Tor auch gegen Weltklasse-Flügelspie- das hat er ihm am Telefon erklärt. „Da- Lichtlein. „Oder schon in zwei.“ Dass ler wie Lasse Svan und Anders Eggert rauf kann er sich was einbilden, denn er zum THW Kiel gehen wird, steht in förmlich vernageln kann. Gegen den Dagur redet sonst nicht mit den Spie- Doha schon so gut wie fest. Dass Wolff Bergischen HC verlässt er nach gut 40 lern“, sagt Heinevetter. Jedenfalls ist den Konkurrenzkampf mit Supertor- Minuten das Feld, weil er das Spiel mit Lichtlein bei der Wüsten-WM, welche wart Niklas Landin sucht, darf man einer Quote von deutlich über 50 Pro- das Team mit Platz Sieben beendet, die getrost als Ausweis seines gestiegenen zent fast allein entschieden hat. Die Si- klare Nummer Eins vor Heinevetter. Selbstbewusstseins werten. gnale, die Wolff an den Bundestrainer Er fühlt sich endlich gewürdigt. Als Wolff aus Doha nach Wetzlar zu- sendet, werden regelmäßiger. + + + rückkommt, ist sein Zustand nicht der + + + Auch Wolff ist in Doha mit dabei, er allerbeste. Ihm fehlt die Matchpraxis, Die Rollenverteilung im Tor ist zu ist jetzt der neue dritte Mann. Er steht aber er kämpft sich mit seinem unge- Beginn der Vorrunde in Breslau klar oft etwas abseits und schaut mürrisch. wöhnlichen Trainingsfleiß wieder zu- umrissen. Lichtlein, der erfahrene Schnell wird klar, dass er diese Rolle rück. „Andy ist ein Trainingsmonster“, Keeper, der inzwischen fast 15 Jah- nicht so defensiv interpretieren wird sagt HSG-Coach Kai Wandschneider re das DHB-Trikot überstreift, ist wie Lichtlein das über Jahre hinweg über den jungen Torwart. Jedenfalls die Nummer Eins, Wolff sitzt auf der gemacht hat. Er gibt den Kieler Nach- kehrt Wolffs große Form, die ihn nach Bank. Doch Lichtlein startet unglück- richten ein außergewöhnliches Inter- Doha gebracht hatte, nach einigen lich in das erste Spiel gegen Spanien, view, in dem er erklärt, dass er sich Spielen wieder zurück. Und im Herbst Wolff wird schon in der ersten Halb- mit der Rolle als Ersatztorwart nicht 2015 steigert sich Wolff in einen zeit eingewechselt und zeigt eine an- abfinden wird. „Es ist mir zu wenig, Rausch. „Andy hat teilweise sehr, sehr sprechende Leistung. Zwei Tage später gegen Schweden der gleiche Ablauf: Wieder enttäuscht Lichtlein, auch weil die Verteidigung noch nicht sicher steht, wieder kommt Wolff schon vor der Pause. Er braucht ein paar Bälle, um in das Spiel zu kommen. Und dann ereignet sich diese Szene, mit der sich das Blatt für die deutsche Mannschaft wendet: Kurz nach der Pause, zu der die DHB-Auswahl 13:17 zurückliegt, Foto: Christina Pahnke / sampics photographie Foto: Christina Pahnke hält Wolff beim Stand von 15:18 erst einen Wurf des abgezockten Linksau- ßen Jonas Källman, Sekundenbruch- teile später auch den Nachwurf von Andreas Nilsson. Diese Paraden wir- ken wie ein Fanal für seine Vorder- leute. „Andy braucht die Akzeptanz in der Mannschaft“, erzählt Camdzic. „Und wenn Andy spürt, dass die Ab- wehrspieler ihm vertrauen, dann gerät er in einen Tunnel, dann kann er un- heimlich viel Energie von sich geben. Dann wächst er über sich hinaus.“ Bundestrainer Dagur Sigurdsson bedankt sich bei seinen Torleuten Wandschneider sagt, dass Wolff diese

32 AUSGABE 1/2016 offensive 4:2-Deckung, die Sigurdsson gegen Schweden angeordnet hatte, einfach liege, weil dieses System viele Würfe von den Flügeln und aus der sogenannten Nahwurfzone provoziere. Wandschneider sieht am Fernseher, was mit Wolff passiert. „Der war total im Film. Der hätte gegen Schweden auch mit gebrochener Nase eine Stun- de weiter gespielt, ohne zu merken, dass schon abgepfiffen ist.“ + + + Mit seiner sensationellen Fangquote von 42 Prozent gegen Schweden dreht Wolff das Spiel und rückt erstmals ins Rampenlicht. Er ist am Anfang noch et- was unsicher. „Ich muss mir manchmal noch überlegen, was ich sagen soll“, sagt er einem ZDF-Mann vor einem seiner ersten Interviews in Polen. Aber welche sportlichen Ziele er bei der EM verfolgt, daran lässt er keinerlei Zweifel. Den Re- / sampics photographie Foto: Christina Pahnke portern aus Wetzlar hat schon vor dem Wir haben das Ding! Lichtlein freut sich nach dem Finale mit Kai Häfner ersten Spiel erzählt, dass er den Titel gewinnen will, ungeachtet aller Aus- im Spiel und damit auch im Turnier dann in der Nationalmannschaft auf- fälle. Nach dem klaren Sieg im ersten hält. Aber Lichtlein merkt natürlich, zuhören, aber wenn Dagur dann mit Hauptrundenspiel gegen Ungarn sagt dass da gerade ein junger Mann in die jemand anderem zusammenarbeiten er beim ZDF: „Im Hinterkopf ist der Weltspitze durchbricht. „Da springt will, dann habe ich das zu akzeptie- Traum präsent, Europameister zu wer- einer raus mit 24 Jahren“, so formu- ren.“ Aber es scheint keineswegs aus- den.“ Mit jedem Sieg wird die Rhetorik liert es Camdzic, der Torwarttrainer geschlossen, dass Sigurdsson noch bis des Keepers angriffslustiger. Nach dem aus Wetzlar. Er sagt, dass Wolff der- zur WM 2017 in Frankreich auf dieses dramatischen Halbfinale gegen Norwe- zeit eine Ausnahmestellung in Euro- Duo setzt. Es wäre keine Sensation, gen sagt er: „Übermorgen stehe ich hier pa besitzt. Allein Filip Ivic, der junge wenn Lichtlein noch mit 37 Jahren und um meinen Hals hängt eine Gold- kroatische Keeper, habe annähernd so Nationalmannschaft spielte. Camdzic medaille. Am Sonntag wird der Wolff viel Talent und Willen wie Wolff, sagt sagt: „Torwart ist wie Wein, je älter losgelassen.“ Camdzic. „Es gibt viele starke Torhü- er wird, desto besser hält er.” Wo soll + + + ter, Sterbik, Omeyer, aber wo sind die das nur hinführen, wenn dieser Wolff Wolff realisiert bei dieser EM einen Torhüter, die man sieht und dann ruft: in diesen jungen Jahren schon Leis- seiner Träume, einen Titel. Dass er Wow!?” Solch ein Aha-Erlebnis, sagt tungen in einem Finale abruft, wie er nicht alleine eine Europameisterschaft Camdzic, provoziere derzeit nur Wolff. das in Krakau geschafft hat? Wenn er gewinnen kann, zeigt sich in der Partie + + + Arpad Sterbik, sein großes Idol („den gegen Russland, als er einfach keine Womöglich ist der Weg dieses finde ich geil”), in diesem Spiel in Hand an den Ball bekommt und die Duos, das so unterschiedlich ist und den Schatten gestellt hat. Vielleicht Mannschaft, als ihm die ersten Bäl- zugleich eine gemeinsame Geschichte ist es einfach nur logisch, wenn Wolff le allesamt durchrutschen, mit 4:7 hat, schon in Rio de Janeiro beendet. in diesem Moment, der für andere in Rückstand gerät. Gegen die star- „Olympia ist mein großer Traum“, eine Erfüllung darstellt, schon über ken Russen ist es Lichtlein, der seine sagt Carsten Lichtlein, er ist dann fast einen Olympiasieg und einen WM- Vorderleute mit zahlreichen Reflexen 36 Jahre alt. „Es ist nicht mein Plan, Titel redet. Erik Eggers

AUSGABE 1/2016 33