Reas Wolff an Dem Punkt, Auf Den Er Seit Jahren Hingearbei- Tet Hat
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DIE NUMMERN 1 m 31. Januar 2016 steht And- reas Wolff an dem Punkt, auf A den er seit Jahren hingearbei- tet hat. Ihm hängt eine Goldmedaille um den Hals, die Reporter bilden einen Pulk um ihn, Mikrofone werden ihm ins Gesicht gehalten, jeder Wortfetzen von Wolff ist jetzt wichtig. Allen ist der historische Moment bewusst. Erst ein paar Minuten liegt dieser denkwürdige Auftritt in der Tauron Arena zurück, der Wolff in nur 60 Minuten auf eine Ebene mit deutschen Torwart-Hero- en wie Manfred Hofmann, Wieland Schmidt, Andreas Thiel und Henning Fritz katapultiert hat. Er hat gegen die Spanier 48 Prozent aller Bälle ge- halten, in den ersten 20 Minuten lag er bei fast 60 Prozent, noch nie hat es ein Torwart in einem EM-Finale ver- mocht, nur 17 Gegentore zuzulassen. Der Nachfolger des „Hexers“ ist ge- funden. „Es war immer mein Ziel, eine Goldmedaille zu gewinnen. Jetzt habe ich die erste hier in der Hand. Ich hof- fe, dass noch einige folgen“, sagt Wolff, der sehr ruhig wirkt. Ja, in diesem Moment des Triumphes spricht der 24-jährige schon von Olympia. Und dass er auch Weltmeister werden will. + + + Carsten Lichtlein ist deutlich früher als Wolff in die Mixed Zone gelangt. Der größte Moment seiner Karriere liegt hinter dem dem 35-jährigen Tor- wart vom VfL Gummersbach, er war es, der als Kapitän die Trophäe für den neuen Europameister aus der Hand von EHF-Präsident Jean Brihault in Empfang nehmen durfte. Lichtlein 33 war schon bei der EM 2004 dabei, er Bei der EM in Polen katapultierte sich Andreas Wolff in die absolute Weltspitze. Ihn begleitete der überaus erfahrene Carsten Lichtlein. Die beiden Torleute sind offensichtlich sehr verschieden. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten. ist der letzte Weltmeister von 2007 im Kader. Jetzt versucht er, diesen Sieg in seinem 210. Länderspiel, so surre- al er auch wirkt, irgendwie einzuord- nen. „Bei den anderen Titeln war die Mannschaft viel eingespielter“, sagt Lichtlein. Und dann erzählt er, dass er schon Mitte der ersten Halbzeit, als er Wolff bei einem deutschen Angriff die Trinkflasche reichte, diese Worte zu seinem jungen Kollegen sprach: „Heu- te brauche ich nicht ins Tor.“ Weil Wolff sich in seinem erst 23. Einsatz für Deutschland schon in einen Rausch gespielt hatte. Weil die Spanier mit ei- ner Mischung aus Entsetzen und Panik auf Wolff schauten. „Andreas war un- glaublich“, sagt Lichtlein und schüttelt dabei immer wieder den Kopf. + + + Hinter den beiden Torhütern liegen in diesem Moment vier lange Wochen EM-Enklave. Lichtlein und Wolff ha- ben das erste Mal das Duo im deut- schen Tor gebildet, nachdem Dagur Sigurdsson den formschwachen Silvio Heinevetter nach dem Supercup aus- sortiert hatte. „Ich gehe davon aus, dass ich spielen werde“, hat Wolff nach dem Gewinn des Supercups in Kiel lächelnd mitgeteilt, da stand ein Keeper im Bauch der Sparkassena- rena, der vor Selbstbewusstsein fast platzte. Lichtlein ist gesetzt, wegen seiner großen Konstanz. Es ist jeden- falls eine neue Konstellation. Wolff, der junge Wilde, und Lichtlein, der alte Hase. Elf Jahre liegen zwischen den beiden Torleuten, sie sind in un- terschiedlichen Zeiten aufgewachsen. Der eine ist Weltmeister, der ande- Fotos: Sascha Klahn/DHB 16 re hat noch nie einen Titel gewonnen. tig, antwortet Artur Lichtlein, von Be- 450 Euro im Monat für das Internat Sie sind ganz offensichtlich sehr ver- ruf Bankdirektor. „Wenn Carsten ein verlangt. Das gehe nicht, erklärt Wolffs schiedene Charaktere. Zugleich hat richtig guter Torwart werden sollte, Vater, der als Bauarbeiter sein Geld das Duo auf dem Weg nach Polen mit kann er noch genug Geld verdienen.“ verdient, das könne sich die Familie denselben Trainern gearbeitet und in Im Sommer 1999 wechselt Lichtlein, nicht leisten. Als Kunz davon erfährt, denselben Vereinen gespielt. 18, von der TG Heidingsfeld zum TVK. bietet er der Familie an, dass sich in + + + Nach einer Weile zieht der Teenager Kirchzell die Mutter eines anderen Der Startschuss für die große Kar- aus Würzburg zu seiner Oma nach Spielers um ihn kümmere. „Ich habe riere ertönt für beide Keeper in der Großwallstadt, um die Fahrstrecke dem Vater freie Kost und Logis für sei- Provinz: in Kirchzell, Unterfranken, nach Kirchzell zu verkürzen. nen Sohn angeboten“, erzählt Kunz. gut 2000 Einwohner, man kennt sich. + + + Der Vater stimmt zu. Und Wolff zieht „Ein Kaff“, sagt Gottfried Kunz und Acht Jahre später, im Frühjahr im Alter von nur 16 Jahren aus, mit lacht laut. Bei Kunz, der sich als Trai- 2007, Carsten Lichtlein ist gerade dem Ziel, der beste Torwart der Welt ner des TV Kirchzell in der handball- Weltmeister geworden, sitzt Kunz bei zu werden. „Das macht auch nicht je- verrückten Region einen guten Ruf einem Sichtungslehrgang im Hand- der“, sagt Kunz. + + + Kunz berichtet, dass Lichtlein und Wolff schon in der Jugend mit un- heimlich viel Ehrgeiz trainieren, beide mit großem Talent gesegnet, beide mit herausragenden körperlichen Anla- gen ausgestattet. Das eint sie. Aber es gibt auch erkennbare Unterschiede. Lichtlein, so expressiv er als Torhüter auch ist, reift außerhalb des Spielfel- des sehr früh, er strebt eine Ausbil- dung als Steuerfachgehilfe an. Und er nimmt die Kritik der Trainer klaglos an. Zu Beginn seiner Karriere erzählt Lichtlein in Breslau, sei er „auch so ag- gressiv und ständig unterwegs“ gewe- sen wie der Kollege, aufbrausender als jetzt, im Herbst seiner Karriere. Foto: EHF + + + Jubelte gegen Russland: Carsten Lichtlein Der Handballer Wolff hingegen präsentiert sich, als er von der HSG aufgebaut hat, klingelt im Frühjahr ball-Leistungszentrum Großwallstadt. Rheinbach nach Kirchzell wechselt, 1999 das Telefon. Am Apparat ist Artur Ein Zufall, normalerweise schaut sich als menschliches Pulverfass. In der Lichtlein, Deutscher Meister im Feld- der Coach diese Sichtung nicht an. Er D-Jugend, als Wolff, gerade mal zwölf handball mit dem TV Großwallstadt beobachtet einen jungen Nachwuchs- Jahre alt, noch in seinem ersten Ver- (1973) und Vater des jungen Torwarts torwart aus dem Rheinland: Andreas ein SG Ollheim-Straßfeld in der Nähe Carsten. Er habe ihn gefragt, ob der Wolff, der gerade 16 Jahre alt gewor- Bonns spielt, bedrohen die Ausfälle TV seinen Sohn haben wolle, berich- den ist. Wolff brennt vor Ehrgeiz, er des Torwarts manchmal das Gefüge tet Kunz, der am Tag des EM-Finals brüllt seinen Frust bei jedem Gegentor der Jugendmannschaft. „Dass er fan- in das Mannschaftshotel nach Krakau heraus, Talent und Wille sind unüber- tastische Anlagen hatte, war schon zu gekommen ist. „Na klar wollen wir“, sehbar. Der Bundesligist will Wolff jener Zeit zu sehen“, sagt Andy Mi- sagt Kunz, „alle wollen Carsten. Aber ausbilden. Aber der Umzug droht da- chels, sein damaliger Coach. „Aber ich kann nichts bezahlen“. Nicht nö- ran zu scheitern, dass der TVG rund er ist bei jeder Kleinigkeit förmlich 28 AUSGABE 1/2016 ausgerastet, er war immer sofort auf 180.“ Auch in Kirchzell zeigt Wolff auf dem Handballfeld sein cholerisches Temperament, sagt Kunz. Was er gar nicht verträgt: Kritik vor der Mann- schaft. Das muss unter vier Augen er- ledigt werden. „Dann habe ich immer gesagt: Andy! Kabine!“, erinnert sich der Handball-Lehrer. „Auf der ande- ren Seite war er abseits des Handballs immer ein sehr lieber Kerl. Wenn ich ihn anrief, weil ich eine helfende Hand brauchte, war er sofort da.“ Kunz sagt, dass er sich doch etwas gesorgt habe, weil Wolff, anders als Lichtlein, voll auf den Profihandball gesetzt und nach der Fachoberschule keine Ausbildung angestrebt habe. „Das war ein großes Risiko, das hätte ich meinen Kindern so nicht empfohlen“, sagt Kunz. „Aber der Erfolg gibt ihm jetzt ja Recht.“ + + + Lichtleins Karriere verläuft in den ersten Jahren steil. Schon als 20-Jäh- riger steht er im Tor des TV Großwall- stadt, im November 2001 streift er das erste Mal das Trikot des Deutschen Handballbundes über, in einem Test- spiel in Aichwald gegen Österreich. 2005 wechselt er zum Spitzenclub TBV Lemgo, er folgt dort Christian Ramo- ta nach und bleibt acht Jahre im Ost- westfälischen. In der DHB-Auswahl aber beginnt für ihn eine lange, quä- lende Zeit des Wartens. Zunächst hat er Henning Fritz und Christian Ramo- ta vor sich, als das Team im Jahr 2004 in Ljubljana den EM-Titel gewinnt, sitzt er auf der Tribüne. Nach Ramotas ANDREAS WOLFF Ära wird Lichtlein von Johannes Bitter Position: Tor überholt, bei der WM 2005 in Tunesi- Geburtstag: 3. März 1991 en ist er wieder nur der dritte Mann, Geburtsort: Euskirchen, GER der bei Medienterminen etwas verlo- Nationalität: deutsch Größe: 1,98 m ren dasitzt, weil er für die Journalis- ten gerade keine Geschichte darstellt. Vereine: Der damalige DHB-Pressechef Charly 2009 – 2013: TV Kirchzell Hühnergarth fleht den Kollegen von 2009 – 2013: TV Großwallstadt 2005 – 2013: TBV Lemgo der Handballwoche deshalb an, seit 2013: HSG Wetzlar Länderspiele: 25 Erfolge: AUSGABE 1/2016 • Europameister 2016 29 Foto: Christina Pahnke / sampics photographie Foto: Christina Pahnke sich um Lichtlein zu kümmern und ein Sozialinterview zu führen. „Bitte, Du musst mit ihm reden!“ Es hat schon Handballprofis gegeben, die solche Si- tuationen so zermürbt haben, dass sie aus der Nationalmannschaft zurück- traten. Lichtlein erträgt das alles. Er wartet auf seine Chance. + + + Geduldig auf die Chance warten – das ist kein Satz, den die frühen Weggefährten Wolffs über ihn sa- gen würden. Nicht mal dann, wenn seine Kollegen mal einen draufma- chen. „Wir waren mal im Club Aldi- ana im Trainingslager, in der Nähe von Hammamet in Tunesien, da sind die anderen Spieler gern auch an den Strand gegangen“, erzählt Kunz. Wolff sagte dann: „Ich gehe noch in den Kraftraum.“ Als Wolff im Som- mer 2009 ein Zweitspielrecht beim TVG erhält, ist er erst 18 Jahre alt, der jüngste Torhüter in der Bundesliga. Vor ihm steht mit dem tschechischen Nationalkeeper Martin Galia ein arri- vierter Torwart, aber Wolff zeigt ihm sofort, dass er ihn angreifen will. „So war Andy Wolff immer“, sagt Kunz an dem Tag, als Wolff in Krakau Ge- schichte schreibt.