Verdi-Handbuch

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Verdi-Handbuch Verdi-Handbuch Bearbeitet von Anselm Gerhard, Uwe Schweikert 2., überarbeitete und erweiterte Auflage; 25 Notenbeispiele 2013. Buch. xlii, 757 S. Hardcover ISBN 978 3 476 02377 3 Format (B x L): 17 x 24,4 cm Gewicht: 1443 g Weitere Fachgebiete > Musik, Darstellende Künste, Film > Musikwissenschaft Allgemein > Einzelne Komponisten und Musiker Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. Verdi Handbuch Verdi.indb I 07.05.13 15:36 2 Verdi-Bilder von Anselm Gerhard Giuseppe Verdi ist allgegenwärtig. Bis in die Fern- Verdis Selbststilisierung sehwerbung hinein begegnen seine Melodien. Seine Opern gehören neben denen Mozarts und Eine der erstaunlichsten Erkenntnisse der Verdi- noch vor den Musikdramen Richard Wagners zu Forschung der letzten Jahrzehnte war die Feststel- den meistgespielten nördlich und südlich der Al- lung, mit welcher Kaltblütigkeit Verdi ein sorgfäl- pen, innerhalb wie außerhalb Europas. Sein Kon- tig retuschiertes Bild seiner Person in Umlauf ge- terfei ist beileibe nicht nur den Italien-Touristen bracht hatte und wie wenig Wert er dabei auf präsent, die sich noch an die zwischen 1962 und Wahrheit legte. Julian Buddens Feststellung, dass 1981 ausgegebenen Tausend-Lire-Note erinnern. »Verdi im fortgeschrittenen Leben dazu neigte, Ebenso allgegenwärtig sind die Bilder, die sich das zu vergessen, was er nicht erinnern wollte« Musikfreunde, Opernfans, Theatermacher, Mu- (Budden 1973, Bd. II, S. 175), ist dabei noch als sik historiker und Tourismus-Werber von diesem euphemistische Umschreibung der Selbstinszenie- herausragenden Zeitgenossen des italienischen rungsstrategien eines Menschen zu begreifen, der 19. Jahrhunderts machen: »Leierkasten-Musiker«, sich durchaus zu Recht als »uomo di teatro«, als Begründer des »musikalischen Realismus«, Anti- »Mann des Theaters«, und nicht etwa als »musi- pode Richard Wagners, »Bauer von Sant’Agata« cista«, als »Komponist«, bezeichnet haben soll sind dabei nur einige der im Widerspruch mitein- (Pizzetti 1952, S. 23 bzw. S. 761). So ist hier mit ander stehenden Etikettierungen, die sich längst Nachdruck an Max Frischs Diktum zu erinnern: vor eine unvoreingenommene Wahrnehmung der »Jeder Mensch erfindet sich früher oder später Persönlichkeit und des Werks des erfolgreichsten eine Geschichte, die er für sein Leben hält, oder Komponisten in der italienischen Opernge- eine ganze Reihe von Geschichten« (Frisch 1976, schichte geschoben haben. S. 49). Ein Blick auf die Entstehung und auf die Wi- »Ich bin und bleibe immer ein Bauer aus Le dersprüchlichkeiten solcher Etiketten verspricht Roncole.« (Brief Verdis an Opprandino Arriva- deshalb nicht nur neue Aufschlüsse über die Wir- bene vom 25. Mai 1863; Ca Arrivabene, S. 26) kungsgeschichte dieses leidenschaftlichen Thea- Generationen von Opernfreunden sind mit die- termusikers. Nur dieses Vorgehen kann auch die sem Bild aufgewachsen: Der ungehobelte Land- Voraussetzungen schaffen, um sich dem Werk mann aus dem gottverlassenen Flecken Le Ron- Verdis zu nähern, ohne sich zugleich von dem cole in der Po-Ebene, der sich unter widrigsten Wust an überkommenen Vorurteilen den Blick Bedingungen aus ärmlichen Verhältnissen soweit verstellen zu lassen. hochgearbeitet hatte, dass er in Mailand überleben konnte, dort zwar zunächst vom Konservatorium schmählich zurückgewiesen worden war, dann aber – unbeirrt von Schicksalsschlägen wie dem Tod seiner jungen Frau und seiner beiden Kin- Verdi.indb 2 07.05.13 15:36 Verdi-Bilder 3 der – doch zu ersten Erfolgen kam und sich Bände umfasste (Phillips-Matz 1993, S. 20–26; schließlich in langen, langen »Galeerenjahren« ei- Tomasini 1996, S. 16 f.). nen bescheidenen Wohlstand erarbeiten konnte. In der stolzen Kleinstadt nutzte Verdi die An diesem Bild ist zwar nicht alles falsch. Aber neuen Möglichkeiten: Ab 1825 hatte er regelmäßi- kein einziges der Klischees, die sich in der Über- gen Musikunterricht beim städtischen Musikdi- lieferung seit über 150 Jahren über die historischen rektor Ferdinando Provesi. Ein unglaublicher Realitäten gelagert haben, trifft in dieser Form zu. Glücksfall war es jedoch, dass er in dem erfolgrei- Le Roncole, der kleine Flecken im Nordwesten chen Kaufmann Antonio Barezzi, seinem späteren von Parma, war gewiss kein kulturelles Zentrum, Schwiegervater, einen Gönner fand, der unbeirrt und ein Kind dieser Gegend hatte bildungssozio- an seine musikalische Begabung glaubte und ihn logisch betrachtet erhebliche Nachteile im Wett- mit Hartnäckigkeit und beträchtlichen finanziel- bewerb mit Musikern, die in Großstädten oder len Mitteln nicht nur in die schmale Funktions- wenigstens größeren Provinzstädten wie Pesaro elite dieses kleinen Zentrums einführte, sondern (Rossini), Bergamo (Donizetti) oder Catania (Bel- später auch die beiden entscheidenden Aufent- lini) geboren worden waren. Aber Verdi kam nicht halte in der größten Stadt Norditaliens, in Mai- aus ärmlichen, sondern aus relativ wohlhabenden land, ermöglichte. Verhältnissen: Seine Eltern waren keine Bauern, Die Tatsache, dass Verdi in Busseto angesichts sondern Händler und führten mit achtbarem Er- der schwachen Konkurrenz als außergewöhnliche folg den einzigen Kramladen des kleinen Dorfs. musikalische Begabung aufgefallen war, mag ihn Immerhin verfügte Verdis Familie seit Generatio- und sein Umfeld zur Überschätzung seiner Fähig- nen über eigenen Grundbesitz, und sein Vater keiten verleitet haben. Immerhin hatte Verdi im Carlo gehörte sogar zu dem knappen Zehntel der Juni 1832 die Aufnahmeprüfung am Mailänder Bevölkerung, das lesen und schreiben konnte. Von Konservatorium deswegen nicht bestanden, weil 1825 bis 1840 wirkte er überdies als Sekretär und die Prüfungskommission damals gar keine andere Schatzmeister der Kirchgemeinde seines Wohn- Wahl hatte: Als Altersgrenze für Neuaufnahmen orts. galt das 14. Lebensjahr, und nur bei außergewöhn- Insofern war Verdi durchaus begünstigt: In ei- lichen Begabungen waren Ausnahmen möglich. nem wesentlich von Analphabetismus geprägten Freilich hinterließ der fast neunzehnjährige Verdi ländlichen Umfeld engagierten seine Eltern bereits in der – nach dem Reglement allein entscheiden- 1817 Pietro Baistrocchi, den aus Sant’Agata stam- den – Klavierprüfung alles andere als einen bril- menden Geistlichen als Privatlehrer für ihren lanten Eindruck. einzigen Sohn. Der noch nicht Vierjährige erhielt Verdi, der diese Ablehnung noch im hohen Unterricht nicht nur in Italienisch, sondern auch Alter unversöhnlich als »Attentat auf [s]eine Exis- in Latein. 1819 besuchte er die von diesem Kleriker tenz« empfinden wollte (Brief an Giulio Ricordi geleitete private Dorfschule, 1820 kaufte ihm der vom 13. August 1898; Ab IV, S. 632), hatte dennoch Vater ein Spinett, und der Siebenjährige vertrat wieder Glück im Unglück: Barezzi finanzierte bisweilen schon seinen Mentor Baistrocchi an der großzügig kompositorischen Privatunterricht und Orgel der Kirche von Le Roncole. Verdi gehörte vor allem das für Verdis Karriere noch viel wichti- aber nicht nur zur verschwindenden Minderheit gere Lernen durch regelmäßige Besuche der ver- der Kinder, die damals im Herzogtum Parma schiedenen Mailänder Opernhäuser. Wie so oft im überhaupt eine Schule besuchen konnten – eine Leben berühmter Musiker kam dabei Verdi ein Statistik von 1833 geht von einer Einschulungs- Zufall zugute: Im April 1834 übernahm er kurzfris- quote von 1:47 aus –, er wurde überdies von seinen tig die Leitung einer von adligen Dilettanten or- Eltern 1823 ins Internat in die nahe gelegene ganisierten Aufführung von Haydns Oratorium Kleinstadt Busseto geschickt, wo er in vier Jahren Die Schöpfung im Mailänder Casino de’ nobili und das Gymnasium absolvierte. Dort studierte er konnte mit diesem Erfolg bei den tonangebenden nicht nur Autoren wie Vergil und Cicero, sondern Kreisen des aristokratischen Kulturlebens der konnte auch regelmäßig die ehemalige Jesuitenbi- habsburgischen Residenzstadt auf sich aufmerk- bliothek benutzen, die immerhin rund 10 000 sam machen. Verdi.indb 3 07.05.13 15:36 4 Einleitung Dennoch setzte sich Verdi zunächst weniger was die Einschätzung rechtfertigen könnte, hier hochfliegende Ziele: Die Stelle seines 1833 gestor- zeichne sich das Genie eines herausragenden benen Lehrers Provesi in Busseto stand für eine Opernkomponisten ab. kurze Zeit im Mittelpunkt seiner Ambitionen. Die Ereignisse der Monate vor und nach der Nach vielen Intrigen in der Kirchturmpolitik zweiten Premiere werden auch heute noch von fast Bussetos und dem mehr oder weniger erzwunge- allen Biographen in der melodramatischen Form nen Verzicht auf die weit besser bezahlte Position nachgebetet, die ihr Verdi 1881 gegeben hat: eines Kapellmeisters und Organisten an der Ka- Nun aber trifft mich ein schwerer Schicksalsschlag nach thedrale der lombardischen Stadt Monza wurde er dem andern. Anfang April wird mein Junge krank [ …] im März 1836 tatsächlich zum maestro di musica und stirbt in den Armen der verzweifelten Mutter. [ …] Wenige Tage danach erkrankt mein Töchterchen gleich- der Stadt Busseto ernannt. falls! … und auch diese Krankheit endet tödlich! … aber In einem Alter, in dem der in Bologna ausge- noch immer nicht genug: In den ersten Tagen des Juni bildete Rossini mit
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