Do 5. Dez 2019
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DO 5. DEZ 2019 JERUSALEM QUARTET HILA BAGGIO 3. KAMMERKONZERT / BEGINN: 20.00 UHR HAUS DER MUSIK INNSBRUCK, GROSSER SAAL PROGRAMM MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK ERWIN SCHULHOFF (1894–1942) Fünf Stücke für Streichquartett (1923) I Alla Valse viennese. Allegro II Alla Serenata. Allegretto con moto III Alla Czeca. Molto allegro IV Alla Tango milonga. Andante V Alla Tarantella. Prestissimo con fuoco JERUSALEM QUARTET LEONID DESYATNIKOV (*1955) ALEXANDER PAVLOVSKY Jiddisch – 5 Lieder für Stimme VIOLINE und Streichquartett (2018) SERGEI BRESLER – Angeregt vom Jerusalem Quartet – VIOLINE I Varshe ORI KAM II In a hoyz vu men veynt un men lakht VIOLA III Ikh ganve in der nakht IV Yosl un Sore-Dvoshe KYRIL ZLOTNIKOV V Ikh vel shoyn mer nit ganvenen VIOLONCELLO – PAUSE – HILA BAGGIO ERICH WOLFGANG KORNGOLD (1897–1957 ) SOPRAN Streichquartett Nr. 2 Es-Dur op. 26 (1933) I Allegro II Intermezzo. Allegretto con moto – Molto più mosso – Tempo primo III Larghetto. Lento – Con molto sentimento IV Waltz (Finale). Tempo di Valse – Grandioso – Più mosso Einführungsgespräch: 19.00 Uhr im Großen Saal 2 3 NOTIZEN MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK TANZPHANTASIEN Musiker mit sozialistischen Ideen. Schulhoff sah sich nach der Okkupation der Tschechischen Republik und der Slowakei 1938/39 durch die Deutschen doppelt gefährdet: Erwin Schulhoff starb 1942 im als Jude und als Kommunist. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt Nazi-Internierungslager Wülzburg beantragte er die russische Staatsbürgerschaft, da er sich an den Folgen einer Tuberkulose. als sowjetischer Staatsangehöriger vor der Verfolgung aus Die Musikwelt verlor mit ihm einen Rassengründen sicher wähnte. Doch nur einen Tag nach profilierten Komponisten und exzel- dem Angriff Deutschlands auf die Sowjet union wurde lenten Pianisten, der entscheidend Schulhoff mit seiner Familie von der „Ausländer polizei“ in an den Entwicklungen der musikali- Brünn aufgegriffen und deportiert. schen Moderne mitwirkte. Der Apfel 1923 feierte Schulhoff – nach zwei frühen Studienwer- fiel nicht weit vom Stamm, möchte ken für Streichquartett – mit den „Fünf Stücken“ einen man sagen, denn Schulhoffs Groß- ersten Erfolg mit einem Werk dieser Besetzung, dem er onkel war der in ganz Europa gefeierte Konzertpianist noch zwei packende Streichquartette und ein köstliches Julius Schulhoff (1815–1898). Der Großvater des Kom- Divertimento folgen ließ. Durch Schulhoffs Schaffen zieht ponisten mütterlicherseits, Heinrich Wolff, war Konzert- sich eine Bevorzugung von Tanzformen, oft traditionellen meister eines Frankfurter Theaterorchesters. Schulhoffs und volksmusikalischen Tänzen, die er mit neuen Akzenten Vater Gustav war ein wohlhabender deutsch-jüdischer erfüllte. Alle „Fünf Stücke“ sind überzogene Charakterisie- Wollhändler, der mit seiner Braut aus Deutschland nach rungen von Tänzen, mit gespitztem Notenstift gezeich- Prag zog, wo Erwin und seine beiden jüngeren Geschwister nete Capriccios und Karikaturen. Im ersten Stück bricht geboren wurden. Auch Gustav Schulhoff wurde ein Opfer Schulhoff rhythmisch und melodisch einen Wiener Walzer des Nazi-Regimes, er starb im KZ Theresienstadt (im sel- auf, den er immer wieder aus dem Dreiertakt geraten lässt. ben Jahr wie sein Sohn). Das zweite Stück ist im unregelmäßigen 5/8-Takt ange- Einen großen Teil seiner Ausbildung und einige Jahre legt, wodurch die Serenade einen bizarren Charakter er- als Berufsmusiker verbrachte Schulhoff im deutschsprachi- hält: In der nervösen Begleitung wird eine Gitarre imitiert, gen Raum zum einen in der Bach- und Mendelssohn-Stadt über der fahrige und fahle Melodiefloskeln angestimmt Leipzig, wo Max Reger zu seinen Kompositionslehrern zähl- werden. Eine flotte, dissonant geschärfte Polka aus de- te, zum anderen in Dresden, wo er durch seine Schwester ren Herkunftsland Böhmen ist das dritte Stück. Für das Viola, eine bildende Künstlerin, Kontakt zu Avantgardisten vierte Stück griff Schulhoff die Form des Tango argentino wie Otto Dix bekam. Schulhoff vermischte in seinen Kom- auf, der sich schon zu seiner Zeit als Modetanz in Europa positionen die vorherrschenden expressionistischen und ausgebreitet hatte. In Schulhoffs Komposition erklingt neoklassizistischen Strömungen mit dadaistischen und jaz- die Tango-Urform Milonga in einer etwas schwermütigen zigen Akzenten und komponierte Symphonien, Oratorien, Stimmung. Auch für das fünfte Stück ließ sich Schulhoff die Oper „Die Flammen“ und Kammer- und Klaviermusik. von einem Tanz aus südlichen Hemisphären inspirieren, Als Gegenmittel gegen den aufkommenden National- nunmehr von der neapolitanischen Tarantella, die er zu sozialismus beschäftigte sich der nach Prag zurückgekehrte einem dämonischen Furioso steigert. 4 5 NOTIZEN MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK JIDDISCHES KABARETT Bei Leonid Desyatnikov löste die Anfrage Ori Kams Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in der Sowjet- union wach. „Jiddisch war die Geheimsprache meiner Das Jerusalem Quartet wollte in einem Programm, das Eltern ; sie benutzten sie, wenn etwas besprochen wurde, den Reichtum und die Vielseitigkeit der jüdischen Musik in das nicht für die Ohren der Kinder bestimmt war. Jiddisch Osteuropa zwischen 1920 bis 1935 beleuchtet, auf Musik – die Sprache der jüdischen Diaspora – ist eine makkaroni- aus dem damals vor allem in Polen verbreiteten Liedgut sche Sprache, in die Worte und Idiome des jeweiligen Auf- nicht verzichten. Zwar ist es heutzutage Mode, Kabarett- enthaltslandes eingebettet sind. Als ich in den jiddischen Musik aus der Zeit der Weimarer Republik auszugraben, Kabarettliedern ,Yosl‘ und ,Sore-Dvoshe‘ den Schwall „doch auf die jüdische Komponente dieser Musik wird dabei halbbekannter Phoneme in russischen Phrasen vernahm, nur selten hingewiesen“, stellten die Musiker des Jerusalem ergriffen mich sentimentale Gefühle.“ Das war einer der Quartet fest. „Wir sind der Meinung, dass die Ironie, die Hauptgründe, weshalb Desyatnikov den Vorschlag an- Wortspiele und das Interesse an alltäglichen Themen den nahm, einige der Kabarettlieder für Stimme mit Quartett- direkten Einfluss jüdischer Kultur reflektieren, deren Ver- begleitung zu setzen. So entstand mischung mit der allgemeinen deutschen Kultur erst nach das Werk „Jiddisch – 5 Lieder für 1919 möglich wurde.“ Stimme und Streichquartett“. Vor 1939 war Polen das Land mit der größten jüdi- „Mein Zyklus ist eine Reihe freier schen Bevölkerungsgruppe der Welt. Es blühte eine Kul- Transkriptionen solcher Lieder. Nor- turszene mit Theater, Kabarett, Literatur, Musik und sogar malerweise wird diese Art Musik dem einer der größten Filmindustrien auf. Nach dem Zweiten ,lowbrow‘-Bereich zugeordnet. Es ist Weltkrieg blieben nur wenige Juden in Polen zurück. Auf die eklektische Kultur der Assimilan- der ganzen Welt wurde Jiddisch durch Hebräisch ersetzt. ten, des Lumpenproletariats und der „Für uns ist Jiddisch die Sprache, die unsere Großeltern Außenseiter, die Kultur des billigen hinter verschlossenen Türen sprachen, und jiddische Mu- Schicks und gleichzeitig – in seinen besten Formen – eine sik ist etwas, das in der tiefen Erinnerung unserer Kindheit freche, talentierte Kultur voller Selbstironie und latenter Ver- wurzelt“, so der Bratschist Ori Kam vom Jerusalem Quartet. zweiflung. Der strenge, respektable Sound des Streichquar- Es wurden fünf Lieder ausgewählt, die ein musikali- tetts verwandelt diese Musik in eine erlesene Gravur.“ sches Bild des jüdischen Straßenlebens in Warschau in der Komponieren vollzieht sich bei Desyatnikov generell auf Zeit zwischen den Weltkriegen zeigen. Um die Lieder in ein der Grundlage von vergangener und vertrauter Musik, von Streichquartettprogramm integrieren zu können, waren Be- alten Stilen und Symbolen. Die verschiedenen Elemente arbeitungen erforderlich. Ori Kam wandte sich deshalb an fügen sich zu einer polystilistischen Musik aus Erhaltenem den russischen Komponisten Leonid Desyatnikov, einige der und dazu neu in Beziehung Gesetztem. In seinen Erinnerun- jiddischen Lieder für Stimme und Streichquartett zu bear- gen und Rückblenden tauchen vor allem Reminiszenzen an beiten. „Wir wollten eine zeitgenössische Perspektive auf Tschaikowsky, Rachmaninow, orthodoxe Kirchenmusik und diese Musik schaffen und sie bewusst nicht durch die Linse Folklore in vielen seiner Kompositionen auf. Desyatnikov der nachfolgenden Katastrophe sehen“, so Ori Kam. will damit ein Bild der „russischen Seele“ ausdrücken. 6 7 VOKALTEXTE MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK Varshe Warschau Oyf berg un tol tseshpreyt, Spreizt eure Flügel über Berge und Täler in der leng un breyt, fern und weit, prekhtik sheyne shtet zaynen faran. da gibt es schöne Städte. Vien, London un Pariz, Wien, London, Paris, Nyu York du shtoltser riz, New York, die stolze Gigantin, oykh Berlin do iz, Rom un Milan. und auch Berlin, Rom und Mailand ... Fun dem a perlshnur Unter all diesen lockt mich shaynt aroys far mir der Glanz einer Perle vi a diment reyn wie ein reiner Diamant, Varshe aleyn. Warschau selbst. Varshe, vi zis dayn nomen klingt mir, Warschau ... Wie süß dein Name mir klingt; Varshe, a lid dayn nomen zingt mir. Warschau ... dein Name singt mir ein Lied; Varshe, printsesn, shtoltse yatn, Warschau ... Prinzessinnen, stolze Helden; Varshe, a kleyn Pariz: belcante, sharmante! Warschau ... ein kleines Paris, pikant und charmant; Varshe, di shtot fun toyznt farbn, Warschau ... du Stadt der tausend Farben. far Varshe oykh greyt bin ikh tsu shtarbn! Ich bin bereit, für Warschau zu sterben. Yede gas un yeder vinkl tayer – lib iz mir, Jede Straße und jede Ecke ist mir lieb. Varshe, mayn leben gib ikh dir!