DO 5. DEZ 2019

JERUSALEM QUARTET HILA BAGGIO

3. KAMMERKONZERT / BEGINN: 20.00 UHR HAUS DER MUSIK INNSBRUCK, GROSSER SAAL PROGRAMM MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK

ERWIN SCHULHOFF (1894–1942) Fünf Stücke für Streichquartett (1923) I Alla Valse viennese. Allegro II Alla Serenata. Allegretto con moto III Alla Czeca. Molto allegro IV Alla Tango milonga. Andante V Alla Tarantella. Prestissimo con fuoco JERUSALEM QUARTET

LEONID DESYATNIKOV (*1955) ALEXANDER PAVLOVSKY Jiddisch – 5 Lieder für Stimme VIOLINE und Streichquartett (2018) SERGEI BRESLER – Angeregt vom Jerusalem Quartet – VIOLINE I Varshe ORI KAM II In a hoyz vu men veynt un men lakht VIOLA III Ikh ganve in der nakht IV Yosl un Sore-Dvoshe KYRIL ZLOTNIKOV V Ikh vel shoyn mer nit ganvenen VIOLONCELLO

– PAUSE – HILA BAGGIO ERICH WOLFGANG KORNGOLD (1897–1957 ) SOPRAN Streichquartett Nr. 2 Es-Dur op. 26 (1933) I Allegro II Intermezzo. Allegretto con moto – Molto più mosso – Tempo primo III Larghetto. Lento – Con molto sentimento IV Waltz (Finale). Tempo di Valse – Grandioso – Più mosso

Einführungsgespräch: 19.00 Uhr im Großen Saal

2 3 NOTIZEN MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK

TANZPHANTASIEN Musiker mit sozialistischen Ideen. Schulhoff sah sich nach der Okkupation der Tschechischen Republik und der Slowakei­ 1938/39 durch die Deutschen doppelt gefährdet: starb 1942 im als Jude und als Kommunist. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt Nazi-Internierungslager Wülzburg beantragte er die russische Staatsbürgerschaft, da er sich an den Folgen einer Tuberkulose. als sowjetischer Staatsangehöriger vor der Verfolgung aus Die Musikwelt verlor mit ihm einen Rassengründen sicher wähnte. Doch nur einen Tag nach profilierten Komponisten und exzel- dem Angriff Deutschlands auf die Sowjet­union wurde lenten Pianisten, der entscheidend Schulhoff mit seiner Familie von der „Ausländer­polizei“ in an den Entwicklungen der musikali- Brünn aufgegriffen und deportiert. schen Moderne mitwirkte. Der Apfel 1923 feierte Schulhoff – nach zwei frühen Studienwer- fiel nicht weit vom Stamm, möchte ken für Streichquartett – mit den „Fünf Stücken“ einen man sagen, denn Schulhoffs Groß- ersten Erfolg mit einem Werk dieser Besetzung, dem er onkel war der in ganz Europa gefeierte Konzertpianist noch zwei packende Streichquartette und ein köstliches Julius ­Schulhoff (1815–1898). Der Großvater des Kom­ Divertimento folgen ließ. Durch Schulhoffs Schaffen zieht ponisten mütterlicherseits, Heinrich Wolff, war Konzert- sich eine Bevorzugung von Tanzformen, oft traditionellen meister eines ­Frankfurter Theaterorchesters. Schulhoffs und volksmusikalischen Tänzen, die er mit neuen Akzenten Vater Gustav ­war ein wohlhabender deutsch-jüdischer erfüllte. Alle „Fünf Stücke“ sind überzogene Charakterisie- Wollhändler, der mit seiner Braut aus Deutschland nach rungen von Tänzen, mit gespitztem Notenstift gezeich- Prag zog, wo Erwin und seine beiden jüngeren Geschwister nete Capriccios und Karikaturen. Im ersten Stück bricht geboren wurden. Auch Gustav Schulhoff wurde ein Opfer Schulhoff­ rhythmisch und melodisch einen Wiener Walzer des Nazi-Regimes, er starb im KZ Theresienstadt (im sel- auf, den er immer wieder aus dem Dreiertakt geraten lässt. ben Jahr wie sein Sohn). Das zweite­ Stück ist im unregelmäßigen 5/8-Takt ange- Einen großen Teil seiner Ausbildung und einige Jahre legt, wodurch die Serenade einen bizarren Charakter er- als Berufsmusiker verbrachte Schulhoff im deutschsprachi- hält: In der nervösen Begleitung wird eine Gitarre imitiert, gen Raum zum einen in der Bach- und Mendelssohn-Stadt über der fahrige und fahle Melodiefloskeln angestimmt Leipzig, wo Max Reger zu seinen Kompositionslehrern zähl- werden. Eine flotte, dissonant geschärfte Polka ­aus de- te, zum anderen in , wo er durch seine Schwester ren Herkunftsland Böhmen ist das dritte Stück. Für das Viola, eine bildende Künstlerin, Kontakt zu Avantgardisten vierte Stück griff Schulhoff die Form des Tango argentino wie Otto Dix bekam. Schulhoff vermischte in seinen Kom- auf, der sich schon zu seiner Zeit als Modetanz in Europa­ positionen die vorherrschenden expressionistischen und ausgebreitet hatte. In Schulhoffs Komposition erklingt neoklassizistischen Strömungen mit dadaistischen und jaz- die Tango-Urform Milonga­ in einer etwas schwermütigen zigen Akzenten und komponierte Symphonien, Oratorien, Stimmung. Auch für das fünfte Stück ließ sich Schulhoff die Oper „Die Flammen“ und Kammer- und Klaviermusik. von einem Tanz aus südlichen Hemisphären inspirieren, Als Gegenmittel gegen den aufkommenden National- nunmehr von der neapolitanischen Tarantella, die er zu sozialismus beschäftigte sich der nach Prag zurückgekehrte­ einem­ dämonischen Furioso steigert.

4 5 NOTIZEN MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK

JIDDISCHES KABARETT Bei Leonid Desyatnikov löste die Anfrage Ori Kams Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in der Sowjet­ union wach. „Jiddisch war die Geheimsprache meiner Das Jerusalem Quartet wollte in einem Programm, das Eltern­; sie benutzten sie, wenn etwas besprochen wurde, den Reichtum und die Vielseitigkeit der jüdischen Musik in das nicht für die Ohren der Kinder bestimmt war. Jiddisch Osteuropa zwischen 1920 bis 1935 beleuchtet, auf Musik – die Sprache der jüdischen Diaspora – ist eine makkaroni- aus dem damals vor allem in Polen verbreiteten Liedgut sche Sprache, in die Worte und Idiome des jeweiligen Auf- nicht verzichten. Zwar ist es heutzutage Mode, Kabarett- enthaltslandes eingebettet sind. Als ich in den jiddischen Musik aus der Zeit der Weimarer Republik auszugraben, Kabarettliedern ,Yosl‘ und ,Sore-Dvoshe‘ den Schwall „doch auf die jüdische Komponente dieser Musik wird dabei halbbekannter Phoneme in russischen Phrasen vernahm, nur selten hingewiesen“, stellten die Musiker des Jerusalem­ ergriffen mich sentimentale Gefühle.“ Das war einer der Quartet fest. „Wir sind der Meinung, dass die Ironie, die Hauptgründe, weshalb Desyatnikov den Vorschlag an- Wortspiele und das Interesse an alltäglichen Themen den nahm, einige der Kabarettlieder für Stimme mit Quartett- direkten Einfluss jüdischer Kultur reflektieren, deren Ver- begleitung zu setzen. So entstand mischung mit der allgemeinen deutschen Kultur erst nach das Werk „Jiddisch ­– 5 Lieder für 1919 möglich wurde.“ Stimme und Streichquartett“. Vor 1939 war Polen das Land mit der größten jüdi- „Mein Zyklus ist eine Reihe freier schen Bevölkerungsgruppe der Welt. Es blühte eine Kul- Transkriptionen solcher Lieder. Nor- turszene mit Theater, Kabarett, Literatur, Musik und sogar malerweise wird diese Art Musik dem einer der größten Filmindustrien auf. Nach dem Zweiten ,lowbrow‘-Bereich zugeordnet. Es ist Weltkrieg blieben nur wenige Juden in Polen zurück. Auf die eklektische Kultur der Assimilan- der ganzen Welt wurde Jiddisch durch Hebräisch ersetzt. ten, des Lumpenproletariats und der „Für uns ist Jiddisch die Sprache, die unsere Großeltern Außenseiter, die Kultur des billigen hinter verschlossenen Türen sprachen, und jiddische Mu- Schicks und gleichzeitig – in seinen besten Formen – eine sik ist etwas, das in der tiefen Erinnerung unserer Kindheit freche, talentierte Kultur voller Selbstironie und latenter Ver- wurzelt“, so der Bratschist Ori Kam vom Jerusalem Quartet. zweiflung. Der strenge, respektable Sound des Streichquar- Es wurden fünf Lieder ausgewählt, die ein musikali- tetts verwandelt diese Musik in eine erlesene Gravur.“ sches Bild des jüdischen Straßenlebens in Warschau in der Komponieren vollzieht sich bei Desyatnikov generell auf Zeit zwischen den Weltkriegen zeigen. Um die Lieder in ein der Grundlage von vergangener und vertrauter Musik, von Streichquartettprogramm integrieren zu können, waren Be- alten Stilen und Symbolen. Die verschiedenen Elemente arbeitungen erforderlich. Ori Kam wandte sich deshalb an fügen sich zu einer polystilistischen Musik aus Erhaltenem den russischen Komponisten Leonid Desyatnikov, einige der und dazu neu in Beziehung Gesetztem. In seinen Erinnerun- jiddischen Lieder für Stimme und Streichquartett zu bear- gen und Rückblenden tauchen vor allem Reminiszenzen an beiten. „Wir wollten eine zeitgenössische Perspektive auf Tschaikowsky, Rachmaninow, orthodoxe Kirchenmusik und diese Musik schaffen und sie bewusst nicht durch die Linse Folklore in vielen seiner Kompositionen auf. Desyatnikov­ der nachfolgenden Katastrophe sehen“, so Ori Kam. will damit ein Bild der „russischen Seele“ ausdrücken.

6 7 VOKALTEXTE MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK

Varshe Warschau Oyf berg un tol tseshpreyt, Spreizt eure Flügel über Berge und Täler in der leng un breyt, fern und weit, prekhtik sheyne shtet zaynen faran. da gibt es schöne Städte. Vien, un Pariz, Wien, London, , Nyu York du shtoltser riz, New York, die stolze Gigantin, oykh do iz, Rom un Milan. und auch Berlin, Rom und Mailand ... Fun dem a perlshnur Unter all diesen lockt mich shaynt aroys far mir der Glanz einer Perle vi a diment reyn wie ein reiner Diamant, Varshe aleyn. Warschau selbst. Varshe, vi zis dayn nomen klingt mir, Warschau ... Wie süß dein Name mir klingt; Varshe, a lid dayn nomen zingt mir. Warschau ... dein Name singt mir ein Lied; Varshe, printsesn, shtoltse yatn, Warschau ... Prinzessinnen, stolze Helden; Varshe, a kleyn Pariz: belcante, sharmante! Warschau ... ein kleines Paris, pikant und charmant; Varshe, di shtot fun toyznt farbn, Warschau ... du Stadt der tausend Farben. far Varshe oykh greyt bin ikh tsu shtarbn! Ich bin bereit, für Warschau zu sterben. Yede gas un yeder vinkl tayer – lib iz mir, Jede Straße und jede Ecke ist mir lieb. Varshe, mayn leben gib ikh dir! Warschau, ich widme dir mein Leben. Proshe, „viens, viens, mon p’tit chéri.“ Bitte ... „komm, komm, mein kleines Liebchen.“ Proshe, i d z´ P a n do cholery! Bitte ... der Herr, fahren Sie zur Hölle! Proshe, zey zehen nisht keyn frayer, Bitte ... das sind keine Trottel. Proshe, es kost bay mir nisht tayer, a fayer! Bitte ... ein Feuer würde mich auch nicht mehr kosten. Varshe, ot shtey far dir a korbn, Warschau ... hier stehe ich, ein Opfer für dich. Varshe, fun dayne zin fardorbn, Warschau ... deine Sünden haben mich verdorben. oy, mayn vist un hintish lebn, O du Leben meines leeren Tages, ikh bin shoyn fun dir mid! ich bin deiner müde. Varshe, farendikt zikh mayn lid. Warschau ... mein Lied ist bald vorbei.

In a hoyz vu men veynt un men lakht In einem Haus, wo man weint und lacht Batrakht nor menchn atsind, Nun denkt einmal nach, Leute, vi dos lebn geyt haynt baym mentsh, wie das Leben uns dieser Tage mitspielt, men yogt tsikh un men plogt tzikh arum, man eilt geplagt umher, voil iz dem ver s’iz gebentsht. glücklich ist der, der gesegnet ist, Ober men klert nisht vos vet shpeter zayn, aber ihr denkt nicht an das, was später geschieht, ir darft dos gedenken atsind, denkt jetzt, und achtet auf eine Sache: ir darft gor akhtung gebn oyf eyn zakh Schickt eure Frau und Kind nisht ahintsushikn ayer froy un kind. nicht an diesen Ort ... Ikh bin arayn gekumen in a shtub, Ich ging in ein Haus a yung(e) meydl ze ikh zitsn shtark batrift. und sah eine junge und sehr traurige Frau. Ikh bin nor tsu ir tsugekumen, Ich ging zu ihr und sie weinte veyn zi far mir mit trern fil. vor mir viele Tränen. Zi tut mikh betn: oy, Yungerman! Sie flehte mich an: Junger Mann, rette mich, Rat’vet mir aroys, ikh vil do nisht zayn. ich möchte hier nicht sein. Ikh bin farnart gevorn fun mayn hoyz Ich wurde getäuscht, von zu Hause weggelockt durkh a yungn sharlatan von einem jungen Scharlatan, un do leyd ikh, hunger un payn. und hier leide ich nun Hunger und Schmerz.

8 9 VOKALTEXTE MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK

In a hoyz vu men veynt un men lakht In einem Haus, wo man weint und lacht, bin ikh amol geven a gantse nakht. habe ich einmal eine ganze Nacht verbracht. Ikh hob dort gezen, damen un hern tsuzamen Ich sah dort Männer und Frauen zusammen, in a hoyz vu men veynt un men lakht. in einem Haus, wo man weint und lacht. Bakent hob ikh zikh mit a froy, Ich traf mich mit einer Frau; yung un sheyn iz zi damolt geven. sie war jung und hübsch damals, Shpet baynakht hob ikh geton mit ir spät am Abend habe ich mit ihr geschäkert in a dansing arayn geyn. in einem Tanzsaal; Ven mir zitsn bay a tishl un trinken shampaner, wir saßen an einem kleinen Tisch ikh vil shoyn fun ir avekgeyn. und tranken Champagner. Zogt zi tsu mir: neyn, yungermantchik, Ich wollte gehen, doch sie sagte zu mir: haynt vestu mit mir zayn. (schluchzt) „Nein, junger Mann, du bleibst heute bei mir.“ Ikh freg ir, zog mir libe froy, Ich frage sie: „Sag mir, liebe Frau, funvanen kumstu dortn arayn? wo kommst du her, dass du hier gelandet bist?“ Un ze vi di froy entfer nisht, Und ich sehe, wie die Frau nicht antwortet, in ire oygn bavayzt tsikh a geveyn: in ihren Augen erkennt man den Kummer: Gehat hob ikh a man mit kinderlekh tsvey, Ich hatte einen Mann und zwei Kinder, gut is mir damolt geven. die Dinge standen gut für mich damals. Ikh hob tsikh mit im tsusheyd. Ich verließ ihn Un nisht gehat vu tsu zayn und wusste nicht, wohin. hob ikh gemuzt nebekh do arayn geyn. Ich wurde gezwungen, ich Arme, hierher zu kommen. In a hoyz vu men veynt un men lakht... In einem Haus ...

Ikh ganve in der nakht Ich stehle des Nachts Ikh ganve in der nakht, Ich stehle des Nachts, di nakht iz khoyshekh shvarts, die Nacht ist pechschwarz, un du host mikh fartshapet und du hast mich gepackt gelatkhnt mir mayn harts. und mein Herz gestohlen. Az ikh latkhn iz dokh gut, Wenn ich es gestohlen habe, dann ist es gut so – a simen, az ikh toyg, es ist ein Zeichen, dass ich etwas kann, ikh bin dokh a beyre, ich bin also doch geschickt, dos vaysl fun dayn oyg. bin dein Augapfel. Ikh latkhn a brilyant, Ich stehle einen Diamanten in perelekh a baytsh, und eine Perlenkette, tsum sof ze ikh dikh geyn gor und schließlich sehe ich dich mit Yoselen dem daytsh. mit Yosele gehen, dem deutschen Gecken. A nafke mine zest Weißt du, das macht keinen Unterschied – a daytsh tsi a frantsoyz, ein Deutscher oder ein Franzose, bay mir ken er bakumen von mir aus kann er a parekh mit a royz. die Krätze kriegen. Undz nisht shatn Kein Gefängnis keyn maysematn, kann uns etwas anhaben. mit shtotparad Wir haben in der Stadt zenme blat, zenme blat. alle korrumpiert, Shpil pavole spielen die Rolle ganz langsam. nor di role Kumpel – zog mir, yat, sag mir, hareyat, hareyat. dass du mich heiratest!

10 11 VOKALTEXTE MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK

Dos knipekhl er glantst, Das Schnappmesser glänzt es shpilt dokh vi a smik, und spielt wie ein Bogen. ikh broykh dokh nisht keyn brunes, Ich brauche keine Waffe, vayl teykev makh ikh khik. denn ich werde ihm die Kehle aufschlitzen. Nu shoyn, ikh vel nisht geyn, Nun, ich gehe nicht mehr mit Yoselen mer geyn, mit Yosele. to veln mir keyn Boyne Wir gehen nur zusammen forn bloyz in tsvey’n. nach Buenos Aires. Undz nisht shatn ... Kein Gefängnis ...

Yosl un Sore-Dvoshe Yosl und Sore-Dvoshe Akh, mayn libe Sore-Dvoshe, Ach meine liebe Sore-Dvoshe, vos zhe zitstu do in gas warum sitzt du hier auf der Straße un kukst oyf der levone? und schaust in den Mond? Akh, antshuldik, kh’hob fargesn Ach verzeih, ich vergaß – bins nokh alts oyf mir in kas, du bist immer noch böse auf mich, mayn likhtige madone. meine strahlende Madonna. Zog mir vos di sibe iz Sag mir, was ist der Grund, fun nokh anader broygez zayn, immer verärgert zu sein? lomir shoyn sholem makhn. lass uns endlich Frieden schließen. Lyubov’ moya, ved’ ya lyublyu tebya, Mein Liebling, wisse dass ich dich liebe, mayn Sore-Dvoshele, meine kleine Sore-Dvoshe, povyer’ zhe mnye. glaub mir. Yosl, vos zingstu mir a Serenade Yosl, warum schwatzt du mich voll un lozt nit zitsn a sheyne meydele in gas! und lässt ein hübsches Mädel nicht auf der Straße sitzen? Du koyf mir beser a groyse plite shchikolade Es wäre besser, du kauftest mir ein großes Stück Schokolade, veln mir shpatsirn un ikh vel mer nit zayn in kas. dann machen wir einen Spaziergang und ich bin dir nicht mehr böse. Akh, a plite shchikolade, Ah, ein Stück Schokolade. narishkeyt, nu, zog aleyn, Eine Kleinigkeit, findest du nicht? es kost nit mer vi a zlote, Das kostet nur einen Zloty. lomir beser in yidishn teater geyn, teater geyn Lass uns lieber ins jiddische Theater gehen, ins Theater – dort kost mir nit keyn prute, da kostet es mich keinen Cent. der balebos vos zitst baym tir, Der Manager, der an der Tür sitzt, er iz mayns a leter, er lozt arayn, ist mein Onkel – er iz a yid a guter. er lässt uns rein; er ist ein guter Kerl. Lyubov’ moya ... Mein Liebling, wisse dass ich dich liebe ... Yosl, mir veln zitsn ershte reye, Yosl, lass uns in der ersten Reihe sitzen un zikn luboyen mit Vevele, und Velvele knuddeln, vos est kompot, du vest mir koyfn während sie Kompott isst. a bisl semetshkes tsum kayen, Du kaufst mir a por tsukerkes ein paar Sonnenblumenkerne zum Kauen tsu smotshkenen volt nit geshat. und ein paar Plätzchen zum Knabbern tun auch nicht weh. Akh, mayn libe Sore-Dvoshe, Ach, meine liebe Sore-Dvoshe, Vi derlebt men di minut dir tsu der khupe firn, wie werde ich es bis zu unserer Hochzeit aushalten? du a galande, ikh a smoking, Du in einem Hochzeitskleid, a vaysn shipsele dertsu veln mir in zal shpontsirn. ich im Smoking, mit einem weißen Schlips obendrein.

12 13 VOKALTEXTE MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK

Di mekhutonim groys un kleyn Wir schlendern in den Saal. oysgeputst dokh zeyer sheyn Die Schwiegers groß und klein, in esik un in honik. alle feinstens ausstaffiert. Lyubov’ moya ... Mein Liebling, wisse dass ich dich liebe ... Yosl, mir veln a tsendlik kinder hobn Yosl, wir werden ein Dutzend Kinder haben un geyn shpatsirn mit zey iber der breyter gas. und wir werden mit ihnen auf den breiten Alleen flanieren. A tsendlik hering, a pud kartoflyes optsushobn, Ein Dutzend Heringe, ein Scheffel Kartoffeln zum Schälen. s’vet zayn a lebn, oy, zis vi tsuker un eplkvas. Welch ein Leben, es wird – süß sein wie Zucker und Apfelmost. Übersetzungen aus dem Jiddischen von Chana Mlotek, „Songs of Generations“, New York 1997

Ikh vel shoyn mer nit ganvenen Werd nicht mehr stehlen Ikh hob far keynem keyn moyre, Ich habe weder Angst noch Scham keyn bushe, keyn moyre, keyn bushe, vor irgendwem, vayl mayn professie kumt mir beyerushe. denn ich habe meinen Beruf geerbt. Ikh vel shoyn mer nit ganvenen, Ich werde nicht mehr stehlen, nor nemen, nor nemen, ich werde nur etwas nehmen, nur nehmen. vel shoyn mer nit ganvenen, Ich werde nicht mehr stehlen, nor nemen, nemen. ich werde nur etwas nehmen, nur nehmen. Az ikh bin geven a nar Weil ich ein Idiot war un hot nisht folgn mayn tatn, und nicht auf den Rat meines Vaters gehört habe, haynt zits ikh in turme sitze ich jetzt im Gefängnis un kuk aroys durkh di kratn. und schaue durch die Gitter. IIkh vel shoyn mer nit ganvenen ... Ich werde nicht mehr stehlen ... Kh’bin arayngekrokhn in a finster, – Ich kletterte durch ein Fenster, kh’bin gevorn royt, kh’bin gervorn royt, doch ich wurde erwischt und wurde ganz rot, me hot mikh gekhapt sie packten mich un geshlogn shir tsum toyt. und schlugen mich fast tot. IIkh vel shoyn mer nit ganvenen... Ich werde nicht mehr stehlen ... Flizhe, mayn feygele, Flieg über die Büsche, iber di kshakes, iber di kshakes, mein kleiner Vogel, gib op mayne grusn grüße mir di Varshever bosyakes. die Rumtreiber in Warschau. IIkh vel shoyn mer nit ganvenen ... Ich werde nicht mehr stehlen ... Riboyne shel oylam, Meister des Universums, ikh shver dir aleyn, ikh shver dir aleyn, ich schwöre dir, kh’vel aroysgekumen fun pov’yak, wenn ich aus dem Knast komme, vel ikh ganvenen nisht geyn. werde ich nicht mehr stehlen. IIkh vel shoyn mer nit ganvenen ... Ich werde nicht mehr stehlen ... Kh’vel aroysgekumen fun tfise, Wenn ich aus dem Gefängnis komme, vel ikh geyn in dayn shteyger, werde ich auf deinem Pfad der Gerechten wandeln. dem erstn pochontik – Der erste Punkt auf der Tagesordnung? a goldenem zeyger. Eine goldene Uhr. Ikh vel shoyn mer nit ganvenen ... Ich werde nicht mehr stehlen ... Übersetzung: Stephanie Wollny

14 15 NOTIZEN MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK

WALZERAPOTHEOSE und die Jahreszeit scheinen sich auf das von lichter Har- monik und eingängigen Melodien durchflutete Kammer- musikwerk übertragen zu haben. Erich Wolfgang Korngold, im Brahms-Sterbejahr 1897 in Mit akkordgesättigter Fanfarenthematik eröffnet Korn- Brünn als Sohn des Musikkritikers Julius Korngold geboren gold den ersten Satz, als ob Hörner zur Jagd auf die Schön- und in Wien aufgewachsen, war ein Wunderkind. Im Alter heiten des Daseins blasen. Sehr bald landet die Musik in von zehn Jahren durfte der Knabe dem Hofoperndirektor gesanglichen Sphären. Melos konkurriert in der Folge mit Gustav Mahler Kompositionen vorspielen, woraufhin die- Rhythmus, wobei auch die prägnant akzentuierten Motive­ ser den „besten Lehrer“, den er kenne, empfahl: Alexander immer harmonisch reich ausgestattet sind. Schließlich Zemlinsky. Der Lehrer sowie andere Musikerpersönlichkei- zieht sich der Satz auf eine intime lyrische Melodie zurück. ten wie Richard Strauss, Engelbert Humperdinck und Karl Ein humorvolles Tänzchen ist das Intermezzo. Eine Goldmark konnten nur staunen über die Begabung des Szene voller Gemütlichkeit und Charme wie aus einem Knaben, der die schwierigsten harmonischen Übergänge Landgasthaus. Im Trio verlangt Korngold den Streichern traumwandlerisch beherrschte, dessen Kompositionen mit heikle Rhythmus- und Tonfolgen herrlichen melodischen Einfällen gesegnet und auch far- ab. – Mit den fremd schimmern- benreich und brillant instrumentiert waren. den Flageolett-Akkorden am An- Als junger Mann komponierte Korngold seinen Welt- fang legt sich eine Sommernacht erfolg, die Oper „Die tote Stadt“. Von großer Bedeutung auf das Adagio, die von mystischen war die Begegnung Korngolds mit dem Regisseur Max Harmonien und etwas schwermüti- Reinhardt, der den Komponisten für die Musik seiner Ver- gen Melodien erfüllt ist. Im letzten filmung von Shakespeares „Der Sommernachtstraum“ ge- Satzteil wird ein süßer Gesang ohne wann. So landete Korngold als Filmmusikkomponist in Hol- Worte angestimmt. Verklärte Nacht. lywood. Die Firma Warner Brothers bot ihm an, originale Doch dann setzt ein Walzer ein ... Filmmusiken zu schreiben. Sein Debut feierte Korngold mit ... denn Korngold beendet das Werk – ungewöhnlich der Musik zu dem Errol-Flynn-Film „Captain Blood“. Nach und wohl einmalig für ein Streichquartett – mit einem Österreichs Anschluss an Hitler-Deutschland blieb Korn- Wiener Walzer, besser gesagt, mit einer Apotheose auf den gold in den USA, wo er bis 1946 mit insgesamt 18 Filmmu- Tanz. Mit mehreren Variationen bringt Korngold im Finale­ sikpartituren und seiner farbenreichen, expressiven und das mit einem ähnlichen Aufwärtsschwung wie Richard zwischen Lyrik und Dramatik changierenden Musik den Strauss’ „Rosenkavalier-Walzerfolge“ anhebende Walzer­ Hollywood-Soundtrack nachhaltig prägte. Der Oscar-Preis- thema in mitreißende und berauschende Bewegungs- träger Korngold blieb dabei seiner im Musiktheater und in abläufe, die manchmal an den Rand der Auflösung von der Instrumentalmusik eingesetzten Klangsprache treu. Rhythmus und Melodik führen. Unbewusst komponierte Wenige Monate vor seiner ersten Reise nach Hollywood Korngold, der den größten Teil seines weiteren Lebens fern komponierte Korngold während eines Sommeraufenthal- der geliebten Heimat Österreich in den Vereinigten Staaten tes 1933 in einem Schloss nahe Gmunden sein Streich- verbringen sollte, einen Abschiedswalzer. quartett Nr. 2 Es-Dur. Die Stimmung im Salzkammergut Einführungstexte: Rainer Lepuschitz

16 17 BIOGRAFIEN MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK

Hila Baggio war in ihrem Hei- matland Israel viele Jahre lang Mitglied des Opera Studios in Tel Aviv. Die Sopranistin erhielt Aus- zeichnungen wie den 2. Preis in der Kategorie Operette beim In- ternationalen Hans Gabor Bel- vedere Gesangswettbewerb in Wien und den „Israeli Minister of Das Jerusalem Quartet besticht durch „Leidenschaft, Culture Award“. Ihre Opernlaufbahn führte sie u. a. an die Präzision, Wärme – eine Gold-Mischung“, wie die „New York Semperoper Dresden (Musetta in Puccinis „La bohème“), Times“ schrieb. 1996 gegründet, zählt das Streichquartett nach Berlin (Schönbergs „Pierrot lunaire“ unter der Leitung längst zur kammermusikalischen Weltspitze. Die vier Musi- von Daniel Barenboim) und zum Rossini Opera Festival in ker aus Israel lassen ihre hohe Klangkultur und tiefgründige­ Pesaro (Giulia in „La Scala di Seta“). An der Israelischen Oper Interpretationsart in den Konzerthäusern von New York, war sie in Partien wie der Violetta in Verdis „La Traviata“, Chicago, Los Angeles, Philadelphia, Cleveland, Washington, der Titelpartie in Donizettis „Lucia di Lammermoor”, der beim Ravinia Festival, bei der Schubertiade Schwarzenberg, Susanna­ in „Le nozze di Figaro“ und der Pamina in „Die Zau- beim Verbier Festival, Rheingau Musikfestival, den Salzbur- berflöte“ von Mozart, der Tytania in Brittens „A Midsummer ger Festspielen, beim Schleswig Holstein Musikfestival, in Night’s Dream“ und der Micaëla in Bizets „Carmen“ zu erle- der Tonhalle Düsseldorf, Wigmore Hall London, bei Pinchas ben. Höhepunkte als Konzertsängerin waren ein Galakonzert Zukermans Londoner „Summer Music Festival“ und bei der mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Streichquartett-Biennale Amsterdam hören. Für seine CD- Zubin Mehta, Mahlers Symphonie Nr. 8 bei den Dresdner Aufnahmen (exklusiv beim Label Harmonia Mundi) erhielt Musikfestspielen und Ayal Adlers „At the Gate of Darkness“ das Jerusalem Quartet Preise wie den „Diapason d’Or“ und mit den Münchner Philharmonikern unter­ der Leitung von den „BBC Music Magazine Award“. Die beeindruckende Dis- Omer Meir Wellber. Die Europa-Tournee mit dem Jerusalem kographie umfasst Aufnahmen von ausgewählten Streich- Quartet und dem Programm „Jiddisches Kabarett“ führt die quartetten Haydns, Mozarts, Beethovens, Schuberts („Der Sängerin u. a. an das Theatre des Champs-Elysées, in das Tod und das Mädchen“), Tschaikowskis, Smetanas, Dvorˇáks, Wiener Konzerthaus, die Tonhalle­ Zürich, die Elbphilharmo- Janácˇeks, Brahms’, Bartóks und Schostakowitschs, von den nie Hamburg, das Gewandhaus Leipzig, die Wigmore Hall Streichquartetten Ravels und Debussys, des Weiteren von London – und in das Haus der Musik Innsbruck. Dvorˇáks Streichquintett und Streichsextett (mit Veronika

Hagen, Bratsche, Gary Hofman, Violoncello) sowie Kla- Impressum: Meister&Kammerkonzerte, Innsbrucker Festwochen der Alten Musik GmbH, Universitäts­ straße 1, 6020 Innsbruck; E-Mail: [email protected]; Tel.: +43 512 571032; Für den Inhalt vierquintett (mit dem Pianisten Stefan Vladar), Schumanns verantwortlich: Dr. Markus Lutz, Mag. Eva-Maria Sens; Redaktion & Texte­: Rainer Lepuschitz; © Fotos: Klavierquartett und –quintett (mit Alexander Melnikov), Karina van de Broek (S. 1), Spectrum Concerts (S. 4), Anna Vysochina (S. 7), Madame d'Ora (S. 17), Felix Broede (S. 18); trotz Recherche konnten nicht alle Rechteinhaber ermittelt werden, wir gelten aber gerne Brahms’ Klarinettenquintett (mit Sharon Kam) sowie das etwaige Ansprüche marktüblich ab; Konzeption & Design: Citygrafic Designoffice, citygrafic.at, Innsbruck; Druck: Alpina Druck GmbH, Innsbruck; Druck- und Satzfehler sowie Besetzungs- und Programmänderun- Album „Jiddisches Kabarett“ (mit Hila Baggio, Sopran). gen vorbehalten.

18 19 MEISTER& KAMMERKONZERTE INNSBRUCK

VORSCHAU

4. KAMMERKONZERT, MO 13. JÄNNER 2020, 20.00 UHR HAUS DER MUSIK INNSBRUCK, GROSSER SAAL KIRILL GERSTEIN KLAVIER Franz Liszt, Thomas Adès, Johannes Brahms, Béla Bartók, Joseph Haydn, György Kurtág, Franz Schubert

4. MEISTERKONZERT, MI 15. JÄNNER 2020, 20.00 UHR CONGRESS INNSBRUCK, SAAL TIROL TONHALLE-ORCHESTER ZÜRICH PAAVO JÄRVI DIRIGENT MARTIN FRÖST KLARINETTE Béla Bartók, Aaron Copland, Pjotr Iljitsch Tschaikowski

5. KAMMERKONZERT, FR 7. FEBRUAR 2020, 20.00 UHR HAUS DER MUSIK INNSBRUCK, GROSSER SAAL QUATUOR AROD Joseph Haydn, Béla Bartók, Ludwig van Beethoven

5. MEISTERKONZERT, MO 17. FEBRUAR 2020, 20.00 UHR CONGRESS INNSBRUCK, SAAL TIROL DIE DEUTSCHE KAMMERPHILHARMONIE BREMEN · FLORIAN DONDERER KONZERTMEISTER & LEITUNG · CHRISTIAN TETZLAFF VIOLINE Ludwig van Beethoven

Einzelkarten sind nach Verfügbarkeit für jedes Konzert erhältlich: . www.meisterkammerkonzerte.at . Haus der Musik Innsbruck: T +43 512 52074-504, [email protected] . Innsbruck Information: T +43 512 5356-0, [email protected]

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