Die Tonkunst 1903

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Die Tonkunst 1903 Felix Draeseke: Das Leben (k)ein Traum THEMA Ulrich Tadday Ulrich Tadday Felix Draeseke: Das Leben (k)ein Traum m Mittwoch, den 17. Mai 1865 ließ sich Als Draeseke Anfang Mai 1865 von Lausanne, A»Richard Wagner im Kreise seiner Freunde seinem neuen Wohnort, nach München reiste, um und Anhänger« im Atelier des Photographen Joseph die Uraufführung von Tristan und Isolde zu besu- Albert in München ablichten (vgl. Abbildung auf chen, lag die erste Begegnung mit Wagner bzw. Seite 276).1 Unter den fünfzehn Männern, die mit Wagners Werken schon etliche Jahre zurück. anlässlich der Uraufführung von Tristan und Isolde 1852 hatte Draeseke die Pfingstferien bei seiner zum Phototermin erschienen waren, befand sich Tante Emma in Weimar verbracht, auch um vor auch Felix Draeseke. Er war wie Richard Pohl, Ort eine Oper Wagners zu hören. Anstatt des Hans von Bülow und Alexander Ritter »einer von Tannhäuser erlebte er unter der Leitung von Liszt den Versprengten der Weimarischen Schule«.2 eine Aufführung von Wagners Lohengrin »und Im Vergleich zum älteren, klein und schmäch- erhielt damit einen Eindruck, der für mein Leben tig wirkenden Wagner war der junge Draeseke entscheidend werden sollte.«6 Nicht von ungefähr eine äußerlich beeindruckende Erscheinung, ist in der Draeseke-Literatur seit Erich Roeder vom ein »ernster, dunkelgebarteter großer Mann«3 »Weimarer Pfingsterlebnis« die Rede,7 ein religiös mit vollem Haar4 und markantem Profil. Dass überhöhter Begriff eines Grenzen überschreitenden Draeseke, wie Franz Liszt 1859 an Wagner aus ästhetischen Verstehens, der eher nachdenklich Weimar schrieb, »in unserem ganz kleinen Kreis stimmen sollte, weil Draeseke erst wenige Wochen von Vertrauten […] ›der Recke‹ genannt« wurde,5 zuvor sein Studium am Leipziger Konservatorium wundert nicht. aufgenommen hatte, in dem ein ganz anderer Geist wehte, nicht der Wagners. Für einen angehenden, erst sechszehn Jahre alten Komponisten war diese 1 Gunther Braam: Richard Wagner in der zeitgenössischen Foto- Konstellation keine günstige, wie Draeseke später grafie, Regensburg 2015, S. 65–83. selbst in seiner Autobiographischen Skizze von 1886 2 Brief von Peter Cornelius an Reinhold Köhler feststellen sollte: »Auf dem Konservatorium galt (26./27. Dezember 1869), in: Peter Cornelius: Ausgewähl- te Briefe nebst Tagebuchblättern und Gelegenheitsgedichten, ich während meiner ganzen Lernzeit für einen 2 Bde., hg. Carl Maria Cornelius, Bd. 2, Leipzig 1905, Wagnerianer, was mir sowohl bei Rietz als insbe- S. 580. sondere bei Direktor Schleinitz hinderlich werden 3 Oskar Gluth: Der verhexte Spitzweg. Ein heiterer Münchener sollte. Obwohl zu den hervorragenden Kompo- Roman, Leipzig 1928, S. 311. sitionstalenten gezählt, wurde ich gelegentlich 4 Peter Cornelius nennt ihn »den ewig haarbuschigen der öffentlichen Prüfungsaufführungen übergan- Dräseke«, Brief von Peter Cornelius an Hans von Brons- gen, und dies machte es mir leichter, den bereits Ausgewählte Briefe art (16. Juni 1874), in: Cornelius, (wie gefassten Entschluß, mich der Weimarer Schule Anm. 2), S. 745. 5 Brief von Franz Liszt an Richard Wagner (22. August 1859), in: Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt, 2 Bde., Bd. 1: Vom Jahre 1841 bis 1853, Leipzig 21900, S. 258, zit. 6 Felix Draeseke: Autobiographische Skizze, in: Neue Musik- nach Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke und Franz Zeitung 7 (1886), Nr. 11, S. 130. Liszt. Biographie einer Beziehung, in: Draeseke und Liszt, 7 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg Draesekes Liedschaffen, Tagungen 1987 und 1988 in Coburg eines deutschen Musikers. Umfassende Darstellung seines LESEPROBE(= Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesell- Entwicklungsganges unter Berücksichtigung der Familienge- schaft, Schriften 2), hgg. von Helga Lühning und Helmut schichte, des Schaffens und des zeitgenössischen Musiklebens, Loos, Bad Honnef 1988, S. 11. 2 Bde., hier Bd. 1, Dresden 1932, S. 49. © DIE TONKUNST, Juli 2019, Nr. 3, Jg. 13 (2019), ISSN: 1863-3536 274 Felix Draeseke als Musikschriftsteller THEMA Helmut Loos Helmut Loos Felix Draeseke als Musikschriftsteller eihnachten 1851 entschloss sich Felix kompromissloser Vertreter. Nach Liszts Abschied WDraeseke allen familiären Vorbehalten 1861 aus Weimar, als Draeseke sich nochmals dies- zum Trotz, den Musikerberuf zu ergreifen, am bezüglich exponierte, schrieb er noch zwei apologe- 16. April 1852 trat er als Student in das Leipziger tische Korrespondenzen aus Löwenberg (Schlesien), Konservatorium ein. Zu Pfingsten (30. Mai 1852) wo Fürst Friedrich Wilhelm Constantin von besuchte er seine Tante Emma Draeseke in Weimar Hohenzollern-Hechingen mit dem Kapellmei- und erlebte dort eine Aufführung von Richard ster Max Seifriz den Neudeutschen eine außerge- Wagners Lohengrin unter der Leitung von Franz wöhnlich intensiver Pflege zukommen ließ,3 dann Liszt. Einem Erweckungserlebnis gleich war er für sachlichere Berichte vom Genfer See, wo sein Leip- die Neudeutsche Schule gewonnen und erlebte ziger Mitschüler Friedrich Rehberg4 Joseph Haydns den Unterricht in Leipzig als Enttäuschung, wie Schöpfung zur Aufführung gebracht hatte,5 und seinem Abgangszeugnis von Ostern 1855 deut- über das »ideale Kunststreben« in Lausanne, mit lich zu entnehmen ist.1 Lediglich Franz Brendel, dem er seinem selbstgewählten Schweizer Verban- der Dozent für Musikgeschichte, gab ihm eine nungsort ein gutes Zeugnis ausstellte.6 Danach gute Beurteilung, er war es auch, der Draeseke zu trat eine Pause von gut zehn Jahren ein, in denen musikschriftstellerischer Arbeit heranzog. 1844 Draeseke keine Schriften mehr veröffentlicht hat. hatte Brendel von Robert Schumann die Redaktion der Neuen Zeitschrift für Musik übernommen und sie zu einem Tendenzblatt für die Werke Wagners I – Autobiographisches und Liszts gestaltet. Seinen treuen Schüler gewann er nach abgeschlossenem Studium als Mitstrei- Das Schweizer Exil diente Draeseke zur Selbst- ter, Draeseke verfasste für die Neue Zeitschrift für besinnung. Seine Publikationstätigkeit nahm Musik »Correspondenzen«, Briefe und Berichte, er 1876 vor allem mit musikhistorischen und größere Aufsätze vor allem für die Anregungen für musiktheoretischen Themen wieder auf. Bereits in Kunst, Leben und Wissenschaft. Unter Mitwirkung einem großen Beitrag über Peter Cornelius, seinen von Schriftstellern und Künstlern herausgegeben vertrauten Freund aus Weimarer Tagen, nahm er von Dr. Franz Brendel.2 Damit profilierte sich eine eigene Neupositionierung vor, die eine radi- Draeseke als durchaus wortgewaltiger Vorkämp- kale Kehrwende bedeutete: »Mit den Jahren hatte fer der Neudeutschen Schule, er galt nun nicht ich mich, unsympathisch berührt von manchen nur als radikaler Komponist, sondern auch als ihr Willkürlichkeiten, die ihrer Zeit für Genialitäten galten, und erschreckt über das sich immer rück- 1 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines sichtloser entfaltende declamatorische Prinzip in Lebens (= Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- der Gesangsmusik, welches die abgeschlossene Gesellschaft 3), Bonn 1989, S. 26f. Nur mit Vorbehalten Form zu beseitigen drohte, mehr und mehr nach zu verwenden ist die Biographie des überzeugten National- sozialisten Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters, 2 Bde, Dresden 1932 3 Felix Draeseke: Aus Löwenberg, in: NZfM 29 (1862), und Berlin 1937. Bd. 56, S. 80ff. Ders.: Löwenberg, in: ebd., S. 235. 2 Martella Gutiérrez-Denhoff und Helmut Loos (Hgg.): 4 Johann Friedrich Rehberg aus Frankenhausen (Schwarz- Felix Draeseke. Schriften 1855–1861 (= Veröffentlichungen burg-Rudolstadt) wurde 1852 inskribiert. der Internationalen Draeseke-Gesellschaft 1), Bad Honnef LESEPROBE1987. Zu ergänzen: Felix Draeseke, Königliches Hoftheater, 5 Felix Draeseke: Morges am Genfer See, in: NZfM 32 (1865), in: Dresdner Nachrichten. Tageblatt für Unterhaltung und Bd. 61, S. 59. Geschäftsverkehr, Nr. 313 (9. November 1857), S. 1f. 6 Ders.: Lausanne, in: NZfM 32 (1865), Bd. 61, S. 135f. © DIE TONKUNST, Juli 2019, Nr. 3, Jg. 13 (2019), ISSN: 1863-3536 284 Überlegungen zum Musikdiskurs im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg Überlegungen zum Musikdiskurs im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg THEMA Boris Voigt Felix Draeseke im Streit um vergangene Zukunftsmusik, gegenwärtige Kakophonie und musikalischen Fortschritt. Modernetheoretische Überlegungen zum Musikdiskurs im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg elix Draesekes Artikel Die Konfusion in der ohne dass Draesekes Aufsatz nicht einige musi- FMusik. Ein Mahnruf, erschienen 1906 in der kalisch perennierende Probleme angesprochen Neuen Musik-Zeitung, zog in den darauf folgen- hätte. In vollem Umfang lässt sich dies hier den zwei Jahren eine Flut kontroverser Stellung- nicht aufrollen, doch sollen von Draesekes nahmen von Musikern, Musiktheoretikern und Text ausgehend wenigstens exemplarisch einige Musikpublizisten nach sich, die das Schlagwort Verbindungen zu späteren ihm opponierenden »Konfusion« rasch zu einem Ausdruck für eine Diskussionsbeiträgen gezogen werden, haupt- Debatte über die Grundlagen der Musik und sächlich zu Strauss’ im Sommer 1907 erfolgter vor allem der Musikentwicklung werden ließ.1 Entgegnung und zu Regers Beiträgen Musik und Die Heftigkeit, mit der die Auseinandersetzung Fortschritt und Degeneration und Regeneration in geführt wurde, bewegte nicht zuletzt den von der Musik, die er im Sommer und Herbst dessel- Draeseke angegriffenen Richard Strauss und ben Jahres publizierte. schließlich Max Reger zu einer Positionierung In der Debatte wurde mit nicht nur
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