10 Kultur Die Tagespost Dienstag, 30. April 2013 Nr.52 Schriftsteller schreiben wieder über Gott Vonder „Renaissance des Katholischen“bei Gegenwartsautoren –Ein Gespräch mit dem Schriftleiter der Zeitschrift „Communio“, Professor Jan-Heiner Tück VON ANJA KORDIK

Die Pastoralkonstitution „Gaudium et und Hochschullehrer Hanns-Josef Ortheil. Tück, Schriftführer von „Communio“. Tat- genLiteratur kommt eher auf der Ebene der lium. VonAndreas Maier stammt die Aussa- spes“ nimmt in ihrem Artikel 62 das Ver- Aufneue,jeeigene Weise setzen sich diese sache sei, dass sich nach einer langen Phase Erfahrung und biografischen Prägung ins ge: „Irgendwann habe ich begonnen, mir hältnis vonReligion und Literatur in den Autoren mit ihren katholischen Prägungen in der Nachkriegsliteratur,inder Autoren Spiel –etwa bei , wenn er die das Wort ,Gott‘ zu gönnen, sonst habe ich Blick: „Aufihre Weise sind Literatur und auseinander,zum Teil durchaus kritisch, oft wie ,Arno sprachprägende Kraft vonLiturgie in die Li- extreme Schwierigkeiten, bestimmte Dinge Kunst für das Leben der Kirche vongroßer aber dankbar erinnernd. Bezügezur katho- Schmidt, auch Siegfried Lenz und Günther teratur überführt.“ auszusprechen. Es kann nicht sein, dass wir Bedeutung.Denn sie bemühen sich um das lischen Liturgie –Gottesdienstbesuche und Grass ihre „religiösen Antennen“gleich- Grundsätzlich existieren viele Berüh- das Wort Gott nurbenutzen, um uns zu Verständnis des eigentümlichen Wesens Beichterfahrungen werden geschildert, sam eingezogenhatten, eine doch bemer- rungspunkte und Schnittflächen zwischen vergewissern, dass schon alles gut und rich- des Menschen, seiner Probleme und seiner Priesterpersönlichkeiten treten in den kenswerte Wiederzunahme religiöser,be- Religion und Literatur.GroßeLiteratur,be- tig ist. Wenn wir vonGott sprechen, wissen Erfahrungen bei dem Versuch, sich selbst Blickpunkt in der Weise,werden einfühl- sonders katholischer Motiveinder Litera- tont Jan-Heiner Tück, sei immer auf den wir,dass wir über etwas sprechen, das und die Welt zu erkennen und zu vol- sam beschrieben. tur feststellen lasse. Menschen bezogen. „Sie hatstets eine an- außerhalb unserer selbst ist.“ lenden.“ Die internationale katholische Zeit- Das katholische Element, so der Wiener thropologische Stoßrichtung insofern, als Mit der neuen Rede vonGott, so Jan- Seit einiger Zeit lässt sich –leise viel- schrift „Communio“ (1/2013 Schwaben- Theologe,komme weniger auf der Ebene sie versucht, der Vielfalt menschlicher Er- Heiner Tück, verbinde sich auch eine grö- leicht, doch vernehmbar –eine „Renais- verlagOstfildern) widmet sich der Frage- komplexer theologischer Auseinanderset- fahrungen, vonFreude,Hoffnung,wunder- ßere „Offenheit für das Schöne,Wahre und sance katholischer Motive“ in der Gegen- stellung „Renaissance des Katholischen in zungen zum Tragen, vonvereinzelten Bei- barem Erleben, auch Schuld, innerer und Gute“. Damit, unterstreicht der Theologe, wartsliteratur feststellen. Die jüngsten Ver- der Gegenwartsliteratur?“Die Zeitschrift spielen abgesehen wie Martin Mosebachs äußerer Not in den Blick zu nehmen.“ würden Autoren wie öffentlichungen renommierter Autoren ge- hatdazu einigeneuere literarische Stim- kontrovers diskutiertem Essay „Häresie der Auch die Religion wendet sich gerade dieser ein über langeJahre in der zeitgenössischen ben davonZeugnis: unter ihnen die Büch- men des Katholischen versammelt. „Ich Formlosigkeit“ (2002) oder Martin Walsers Vielfalt, zum Teil Widersprüchlichkeit Literatur vorherrschendes Tabu aufbrechen ner-Preisträger Peter Handke, Martin Wal- wäre jedoch zurückhaltend, voneiner ge- Buch „Rechtfertigung,eine Versuchung“ menschlicher Erfahrungen zu, beleuchtet und einer allgemein zeitkritischen Strö- ser, und Felicitas Hoppe,fer- nerellen Wiederkehr des Katholischen in (2011), in dem er sich mit der Frageder sie im Horizont der Gottesfrage.Innerhalb mung entgegentreten, die es geradezu ver- ner der seit Jahrzehnten in Berlin lebende der Literatur oder gar voneiner Erneuerung Rechtfertigung unter Rückgriff auf Autoren dieses Horizontes formuliert Religion Ant- biete, „über das Schöne,Wahre und Gute Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann katholischer Literatur zu sprechen“, so der wie Kafka und Thomas Mann auseinander- worten auf die Fragenach dem Sinn auch nurzusprechen. Die Autoren plädie- und des Kölner Schriftsteller,Germanist Wiener Dogmatiker Professor Jan-Heiner setzt. „Das Katholische in der gegenwärti- menschlicher Existenz.“ ren dafür,eszur Sprache zu bringen, doch Die Kirche sieht ihre Aufgabe durch die nicht in einer verflachenden, simplen Wei- Zeiten hindurch darin, dem Menschen be- se.Esgeht ihnen darum, den Spuren des sonders an den „Knotenpunkten seiner Schönen, Wahren und Guten in der Wirk- Existenz“–Geburt, Initiation, Liebe,Tod – lichkeit literarisch nachzugehen.“ und auch in existenziellen Krisen Beglei- Die Fragenach Gott ist wieder verstärkt tung und Hilfe anzubieten. „In der Beich- präsent in der Literaten der Gegenwart. te“, betont Jan-Heiner Tück, „wird unmit- etwa schildert in seinem telbar erlebbar,dass der Mensch der Gnade Rechtfertigungs-Essay,wie Menschen stän- Gottes wirklich vertrauen kann –sokann er dig bestrebt sind, sich selbst zu rechtferti- darauf bauen, dass ihm die Absolution ge- genund dabei in eine Spirale der Bezichti- geben wird, die keine menschliche Instanz gungen gegenAndere geraten, nurum ihm gewähren kann. Die Beichte ist ein selbst besser dazustehen. Und Walser Ort, wo der Mensch, stotternd vielleicht, schreibt weiter: „Waswäre,wenn es eine sich der Gnade Gottes öffnen darf.“ In der Instanz gäbe,die uns so sein lässt, wie wir Vergangenheit wurde die Beichte voneini- sind, was dazu führen würde,dass wir an- genSchriftstellern eher als „Instrument der dere so sein lassen können, wie sie sind?“ Knechtung und seelischen Unterjochung“ Auch bei Handkefindet sich eine Passage, beschrieben. Neuere literarische Zeugnisse in der er vonGott spricht und formuliert, er hingegen etwa bei Felicitas Hoppe oder stelle sich Gott vor „als jemanden, der uns Hanns Josef Ortheil betonen wieder den wohlwollend anblickt“. Und die Erfahrung, „befreienden Charakter“ der Beichte. wohlwollend angeblickt zu werden, führe, Interessant ist auch zu beobachten, dass so Handke, dazu, dass wir uns selbst leich- es eine Reihe vonAutoren der jüngeren ter und dankbarer annehmen können und und mittleren Generation gibt, Menschen, zugleich Andere dankbarer annehmen. die in der Regel nicht mehr in einem ge- „Hier kann der Glaube an Gott einen Aus- schlossenen katholischen Milieu aufge- wegaus festgefügten Mechanismen von wachsen sind. Bei ihnen lässt sich zum Teil Schuld und Beschuldigen markieren“, ver- eine neue Unbefangenheit beobachten in deutlicht der Wiener Theologe Tück. „Al- ihrer Rede vonGott. Beispielhaft ist der lerdings kann Literatur nurüberzeugen, Frankfurter Schriftsteller,Philosoph und Li- wenn sie erfahrungsbezogenund sprach- teraturpreisträger Andreas Maier,Jahrgang sensibel letzte Fragen ins Wort bringt, die 1967. So sind seine Frankfurter Poetikvor- auf die Gottesfrage verweisen. Wenn sie in lesungen (2006 bei Suhrkamp erschienen) ihrer Diktion allzu fromm ist und geradezu über weite Strecken eine literarische Ausei- als verlängerter Arm der Katechese auftritt, Jan-Heiner Tück, Professor für dogmatische Theologie an der Universität Wien und Schriftleiter der Zeitschrift „Communio“. Foto: Kordik nandersetzung mit dem Matthäus-Evange- hatsie keine Chance.“

Passau: Marius Schwemmer neuer Kirchenmusikdirektor Privatissimum mit den alten Meistern Als der Apostolische Administrator des Bis- Ein Besuch im Print Room des Ashmolean-Museums in Oxford VON CONSTANTIN GRAF VON HOENSBROECH tums Passau, Bischof Wilhem Schraml, kürzlich Marius Schwemmer zum Bischöfli- Wergenau hinsieht, entdeckt ungefähr in Renaissance werden die Verführungskünste malten Klosterkirche lassen sich aber Fens- weltweit gibt es den „Western Art Print chen Kirchenmusikdirektor ernannt hat, der Mitte des kegelförmig aufragenden Hü- der ekligen Gestalten, die an dem alten ter erkennen, die bereits auf die Gotik hin- Room“. Nach einer schriftlichen Anfrage brachte er damit nicht nurseine eigene gels ein Kirchlein. Friedvoll und fast unbe- Mann in dem weißen Gewand zerren, be- weisen. per Post oder auf elektronischem Wege als Hochachtung gegenüber dem engagierten merkt hatesder Maler in die sich sanft hi- sonders plastisch erlebbar.Wunderbar de- Diese Möglichkeit der genauen und vor Mail dauert es in der Regel nureinen oder jungen Musiker zum Ausdruck. Er betonte, naufziehenden satten grünen Weiden und tailreich ist auch das Aquarell, das Joseph allem: ausgeruhten Betrachtung bietet das wenigeTage, bis Interessierte einen Termin dass er darin die Möglichkeit sehe,jene die unterschiedlich dicht oder auch einzeln Mallord William Turner (1775 bis 1851) „Ashmolean“, jenes berühmte Kunst- und bekommen, um sich originale Aquarelle, Wertschätzung,die man Schwemmer im angeordneten Bäume platziert. Beim Blick voneiner Klosterruine gemalt hat. Der Archäologiemuseum der britischen Univer- Zeichnungen, Skizzen und Druckvorlagen ganzen Bistum entgegenbringe, auch nach durch das Vergrößerungsglas wird die Über- wohl bedeutendste Vertreter der englischen sität Oxford, das an und für sich schon eine berühmter Künstler wie Albrecht Altdorfer, außen hin sichtbar zu machen. Die Kir- raschung noch größer: Das kleine Gottes- Romantik hatinden schlanken Turm des Entdeckung ist. In dem für seine Kunst- Leonardo da Vinci, Michelangelo,Rem- chenmusik im Bistum Passau sei, so Bischof haus ist architektonisch einfach, aber klar verfallenen Gebäudes romanische Fenster und Antikensammlung bekannten ältesten brandt, Tintoretto oder Caspar David Fried- Wilhelm Schraml, gut aufgestellt, was zu gegliedert. Ebenso lassen sich die Bäume gesetzt, im Hauptschiff der detailliert ge- Museums Englands und vielleicht sogar rich anzusehen und genauestens zu studie- einem beachtlichen Teil auch Schwemmer bei dieser Form der Betrachtung viel deutli- ren. Die Liste ließesich beliebig fortsetzen zu verdanken sei. Er sei wissenschaftlich cher noch und geradezu filigran wahrneh- und liest sich wie ein Almanach der Künst- profund ausgebildet, praktisch erprobt und men. Bei der weiteren Studie dieses Aqua- ler seit dem 15. Jahrhundert bis in die weit über das Bistum hinaus ehrenamtlich rells einer Landschaft vonAlbrecht Dürer Gegenwart. engagiert und vorallem stets mit Liebe bei (1471–1528) lassen sich weitere fast mini- In kastenförmigen Schubern lagern der Arbeit. Zudem sei er einer, „der Großes malistisch anmutende Details entdecken. rund 25 000 Bilder und etwa 200 000 Zeich- tut“. „Nur,wer innerlich für eine Sache Fürwahr,eine Entdeckung ist diese Mög- nungen, jedes in säurefreie und altersbe- brennt, kann auch andere begeistern“, be- lichkeit, dem berühmten Nürnberger Meis- ständigePassepartoutkartons eingefasst. tonte Schraml und genau dies gelinge ter aus dem 15. Jahrhundert so dicht über Das freundliche Personal legt den Besu- Schwemmer,der wie nurwenigeandere die Schulter zu schauen, gleichsam seinem chern den Schuber mit dem gewünschten immer darum bemüht sei, Altes und Neues Pinselstrich zu folgen und die vonihm zu Künstler vorund öffnet diesen. Dann zu verbinden und der mit viel Fingerspit- Papier gebrachte Studie höchstselbst in können die Gäste zugreifen und sich die zengefühl die Menschen immer wieder an Händen zu halten. Werke–nach Anlegen der obligatorischen die neue Kirchenmusik heranführe. Diese Nähe ist faszinierend, weil die Be- weißen Baumwollhandschuhe –auf eine Schwemmer zeigte sich dankbar für die Eh- trachter bei ihren Studien vermeintlich in Staffelei aufstellen und es einfach betrach- rung und betonte,ihm sei es wichtig,mit- das dargestellte Geschehen mit hineingezo- ten, wirken lassen oder auch im buchstäbli- hilfe der Musik auch seinen persönlichen genwerden, es nachempfinden können. chen Sinne des Wortes unter die Lupe neh- Glauben auszudrücken und mit anderen zu Beispielsweise bei der Darstellung des men. Vorallem im 19. Jahrhundert sind teilen. „Außerdem kann Musik Tür und Tor kreuztragenden Christus vonGuercino (17. Sammlungen dem Museum als Schenkung öffnen und Menschen für eine Sache ge- Jahrhundert). Während die Gesichter der hinterlassen worden –oft mit der Maßgabe winnen –Zuhörer wie Musiker.Ich hoffe, Soldaten kaum konturiert sind, blickt der versehen, die Zugänglichkeit für die Öffent- dass die Kirchenmusik noch langeinder mit der Dornenkrone bekränzte und lei- lichkeit zu gewährleisten. Die Konzeption Breite existieren wird, wie das im Bistum dende Christus klar erkennbar,fast mit der des heutigen Raums wurde indes erst im Passau der Fall ist.“ Auch sein unermüdli- Genauigkeit eines rasch gefertigten Fotos. 20. Jahrhundert ausgestaltet. Das Herz der ches Engagement für die katholische Fach- Werteuflischen Gestalten folgen will, fragt Sammlung sind die Zeichnungen vonMi- zeitschrift für Kirchenmusik Musica sacra nach Hieronymus Bosch (15. Jahrhundert). chelangelo und Raffael, die das Museum im war maßgeblich für die Ernennung zum Beim Anblick der „Versuchung des heiligen Jahr 1846 aus der berühmten Sammlung Kirchenmusikdirektor.Stühlmeyer Antonius“ des niederländischen Malers der Hieronymus Bosch: „Versuchung des heiligen Antonius“, 15. Jahrhundert. Foto: Hoensbroech des Malers Sir Thomas Lawrence erhielt.