Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 17/232

Deutscher Bundestag

Stenografischer Bericht

232. Sitzung

Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Inhalt:

Gedenken an den 23. März 1933 ...... 29003 A ordneten und der Fraktion der SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Absetzung des Zusatztagesordnungspunk- Durchsetzung des Entgeltgleichheitsge- tes 11 ...... 29004 A botes für Frauen und Männer (Entgelt- gleichheitsgesetz) (Drucksachen 17/9781, 17/12782) ...... 29024 B Tagesordnungspunkt 30: Unterrichtung durch die Bundesregierung: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Bericht der Bundesregierung zum Stand Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen der Aufarbeitung der SED-Diktatur und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- (Drucksache 17/12115) ...... 29004 A neten Dorothee Bär, Markus Grübel, Ingrid Fischbach, weiterer Abgeordneter Bernd Neumann, Staatsminister und der Fraktion der CDU/CSU sowie der BK ...... 29004 A Abgeordneten Nicole Bracht-Bendt, Miriam Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) ...... 29005 D Gruß, Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP: Entgeltgleichheit für Frauen Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) ...... 29008 B und Männer verwirklichen – Familien- Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) ...... 29010 A freundliche Unternehmen als Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 17/12483, 17/12782) . . . . . 29024 B DIE GRÜNEN) ...... 29011 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Raju Sharma (DIE LINKE) ...... 29013 D Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident dem Antrag der Abgeordneten Renate (Sachsen-Anhalt) ...... 29015 B Künast, Beate Müller-Gemmeke, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Siegmund Ehrmann (SPD) ...... 29016 B Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dr. Stefan Ruppert (FDP) ...... 29017 D Frauen verdienen mehr – Entgeltdiskri- minierung von Frauen verhindern Stefan Liebich (DIE LINKE) ...... 29018 C (Drucksachen 17/8897, 17/12575) ...... 29024 C Michael Frieser (CDU/CSU) ...... 29020 A Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 29024 D Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) ...... 29021 C Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) ...... 29026 C Arnold Vaatz (CDU/CSU) ...... 29022 B Nicole Bracht-Bendt (FDP) ...... 29027 D Diana Golze (DIE LINKE) ...... 29029 D Tagesordnungspunkt 31: Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ a) Zweite und dritte Beratung des von den DIE GRÜNEN) ...... 29031 C Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Josip Juratovic, weiteren Abge- Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . 29032 D II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. , Freitag, den 22. März 2013

Elke Ferner (SPD) ...... 29034 C der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europäische Tonnagesteuer statt Steuer- Miriam Gruß (FDP) ...... 29035 C sparmodell Yvonne Ploetz (DIE LINKE) ...... 29036 D (Drucksachen 17/12697, 17/12878) ...... 29047 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) ...... 29037 D BMWi ...... 29048 A Paul Lehrieder (CDU/CSU) ...... 29038 C Uwe Beckmeyer (SPD) ...... 29049 A

Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) ...... 29040 A Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVBS ...... 29050 D Christel Humme (SPD) ...... 29041 B Herbert Behrens (DIE LINKE) ...... 29052 B Katharina Landgraf (CDU/CSU) ...... 29042 D Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 29044 B DIE GRÜNEN) ...... 29054 A Eckhard Pols (CDU/CSU) ...... 29045 B Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) ...... 29055 C Ingo Egloff (SPD) ...... 29057 C Tagesordnungspunkt 32: Torsten Staffeldt (FDP) ...... 29058 D a) Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Ingbert Liebing (CDU/CSU) ...... 29059 D Pfeiffer, Eckhardt Rehberg, Thomas Bareiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Tagesordnungspunkt 33: Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin), Torsten Staffeldt, weite- Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Jan rer Abgeordneter und der Fraktion der Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter FDP: Den Wandel in der maritimen und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung Wirtschaft begleiten und ihre nationale einer Bundesfinanzpolizei als Wirtschafts-

Aufgabe für den Wirtschaftsstandort und Finanzermittlungsbehörde Deutschland herausstellen (Drucksache 17/12708) ...... 29062 A (Drucksache 17/12817) ...... 29047 B Frank Tempel (DIE LINKE) ...... 29062 A b) Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Patricia Lips (CDU/CSU) ...... 29063 A Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Frank Tempel (DIE LINKE) ...... 29063 C Umsteuern in der Krise – Maritime Martin Gerster (SPD) ...... 29065 A Wirtschaft unterstützen (Drucksache 17/12723) ...... 29047 C Dr. Birgit Reinemund (FDP) ...... 29065 D c) Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, DIE GRÜNEN) ...... 29067 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . 29067 D DIE LINKE: Soziale Arbeitsbedingun- gen in der maritimen Wirtschaft för- dern – Flaggenflucht verhindern Tagesordnungspunkt 34: (Drucksache 17/12823) ...... 29047 C Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜND- Dritter Bericht der Bundesregierung NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- über die Entwicklung und Zukunftsper- wurfs eines Gesetzes über die Zusammenar- spektiven der maritimen Wirtschaft in beit von Bundesregierung und Deutschem Deutschland Bundestag in Angelegenheiten der Europäi- (Drucksache 17/12567) ...... 29047 C schen Union (EUZBBG) (Drucksache 17/12816) ...... 29068 D in Verbindung mit Bernhard Kaster (CDU/CSU) ...... 29069 A Axel Schäfer (Bochum) (SPD) ...... 29070 B Zusatztagesordnungspunkt 10: Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- DIE GRÜNEN) ...... 29070 D nanzausschusses zu dem Antrag der Abgeord- Dr. Stefan Ruppert (FDP) ...... 29072 A neten Dr. Valerie Wilms, Dr. Gerhard Schick, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und Alexander Ulrich (DIE LINKE) ...... 29073 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 III

Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ GRÜNEN: Mehr öffentliche Sicherheit DIE GRÜNEN) ...... 29074 A durch weniger private Waffen (Drucksachen 17/2130, 17/12872) ...... 29076 C Michael Stübgen (CDU/CSU) ...... 29075 A Günter Lach (CDU/CSU) ...... 29076 C

Tagesordnungspunkt 35: Gabriele Fograscher (SPD) ...... 29078 C a) Zweite und dritte Beratung des von den Serkan Tören (FDP) ...... 29079 D Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Frank Tempel (DIE LINKE) ...... 29081 C Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- DIE GRÜNEN) ...... 29082 C wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes – Schutz vor Gefah- Nächste Sitzung ...... 29083 D ren für Leib und Leben durch kriegs- waffenähnliche halbautomatische Schuss-

waffen Anlage 1 (Drucksachen 17/7732, 17/12872) ...... 29076 B Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 29085 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck Anlage 2 (Köln), Kai Gehring, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Amtliche Mitteilungen ...... 29086 B

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29003

(A) (C)

232. Sitzung

Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: noch von einer einzigen Partei hochgehalten wurde. Be- Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. gleitet wurde dies, wie Sebastian Haffner im bitteren Rückblick festhielt, von einem in der Gesellschaft – ich Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsere zitiere – „sehr weit verbreiteten Gefühl der Erlösung und Tagesordnung eintreten, möchte ich an ein historisches Befreiung von der Demokratie“. Ereignis erinnern, das für die Geschichte unseres Landes und für die Parlamentsgeschichte im Besonderen zwei- Tatsächlich litt die politische Kultur der Weimarer fellos von herausragender Bedeutung ist. Republik von Beginn an unter der Skepsis gegenüber dem parlamentarischen System, den Vorbehalten gegen- Morgen, am 23. März 2013, jährt sich der 80. Jahres- über dem Prinzip der Repräsentation und dem Miss- tag der Verabschiedung des sogenannten Ermächti- trauen in die pluralistisch-demokratischen Entschei- gungsgesetzes. In der Krolloper, wo der Reichstag nach dungsprozesse. Zur historischen Wahrheit gehört dem verheerenden Brand vom 27. Februar zusammen- deshalb: Die Republik ging keineswegs nur an ihren vie- (B) trat, beschlossen am 23. März 1933 die Abgeordneten len Gegnern zugrunde, die es zweifellos gab, sondern (D) das sogenannte Gesetz zur Behebung der Not von Volk auch und gerade durch das Versagen der Demokraten. und Reich – mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit, allein gegen die Stimmen der Sozialdemokraten unter ih- Die Doppelerfahrung des Scheiterns von Weimar und rem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Otto Wels. Des- der nationalsozialistischen Diktatur prägt den Geist un- sen denkwürdige und heldenhafte Rede war, in den Wor- seres Grundgesetzes; aus ihr folgt der Gedanke einer ten seines Kollegen Wilhelm Hoegner, ein – ich zitiere – wehrhaften Demokratie. Der Parlamentarismus in „letzter Gruß an das verblichene Zeitalter der Mensch- Deutschland ist auch heute nicht völlig unangefochten, lichkeit und des Menschenrechts“. Bei der Abstimmung aber er erweist sich auch und gerade bei Herausforderun- im Reichstag fehlten damals bereits 107 Abgeordnete: gen als robust und vital, getragen von der Einsicht von neben 26 Sozialdemokraten die 81 Fraktionsmitglieder Demokraten, dass sie eine gemeinsame Verantwortung der KPD, die bereits in Haft genommen waren oder sich haben, die noch wichtiger ist als der legitime jeweilige aus berechtigter Angst um ihr Leben auf der Flucht be- politische Ehrgeiz. fanden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bit- ten, sich für einen Augenblick von den Plätzen zu erhe- Mit der Übertragung der gesetzgebenden Gewalt vom ben. – Wir verneigen uns heute vor allen Opfern der na- Parlament auf die Exekutive wurde die Gewaltenteilung tionalsozialistischen Diktatur und erinnern uns dankbar aufgehoben, die parlamentarische Demokratie aufgege- all derer, die während und nach der brutalen Zerstörung ben und der Weg in die Diktatur zementiert, der seit dem der ersten deutschen Demokratie durch ihren Mut und 30. Januar 1933 mit beispiellosem politischem Terror ihre Tatkraft den politischen, sozialen und moralischen eingeschlagen worden war. Wiederaufbau unseres Landes ermöglicht haben. – Vie- Siegestrunken, aber in der Sache leider nicht einmal len Dank. falsch triumphierte der Völkische Beobachter über die, (Marieluise Beck [] [BÜNDNIS 90/ so wörtlich, „Kapitulation des parlamentarischen Sys- DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich die Bundes- tems“. Richtig ist: Der 23. März steht für die mutwillige regierung? – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Zerstörung einer Demokratie, die freilich nicht erst an Ziemlich schamlos!) diesem Tag begonnen hat. Das Ermächtigungsgesetz be- deutete nach der Auslieferung des Staates durch die kon- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie darauf servativ-reaktionären Machteliten Ende Januar die aufmerksam machen, dass die für heute ursprünglich Selbstaufgabe des Parlamentes, dessen verfassungs- beantragte Aktuelle Stunde zum Thema „Umvertei- rechtliche Kompetenz und Verantwortung am Ende nur lungspläne der Koalition und Auswirkungen auf Durch- 29004 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) schnittsverdiener und sozial Benachteiligte – Schul- desregierung vorgelegte Bericht zum Stand der Aufar- (C) denfinanzierte Steuersenkungen und Rente mit 69“ nicht beitung der SED-Diktatur, der heute erstmals Gegen- stattfindet. Der entsprechende Antrag ist zurückgezogen stand der Debatte ist, dokumentiert in umfassender und worden. eindrucksvoller Weise auf fast 300 Seiten, was in den letzten Jahren an Aufarbeitung geleistet wurde. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beigetragen haben verschiedene Bundesressorts und Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- zentrale Einrichtungen des Bundes für die Aufarbeitung gierung der SED-Diktatur, die zu meinem Geschäftsbereich ge- Bericht der Bundesregierung zum Stand der hören, so etwa die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der Aufarbeitung der SED-Diktatur SED-Diktatur, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, das – Drucksache 17/12115 – Haus der Geschichte, das Deutsche Historische Museum Überweisungsvorschlag: sowie das Bundesarchiv, aber auch alle 16 Länder,

Ausschuss für Kultur und Medien (f) Opferverbände wie auch Einrichtungen von Gedenkstät- Innenausschuss Rechtsausschuss ten. Der Bericht belegt, dass die Bundesregierung dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Auftrag des Koalitionsvertrags, die Aufarbeitung zu ver- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe stärken, umfänglich nachgekommen ist. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich jetzt nur die die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Aktivitäten des Bundes kurz darlege: nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Grundlage dafür bildet die 2008 vorgelegte Gedenk- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- stättenkonzeption des Bundes. Ich habe in meiner Amts- nächst dem Staatsminister bei der Bundeskanzlerin, zeit bewusst die Mittel für die Aufarbeitung beider deut- Bernd Neumann. scher Diktaturen um 50 Prozent erhöht. Fast alle in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dieser Konzeption thematisierten Maßnahmen sind be- reits abgeschlossen oder befinden sich in der Umset- zung. Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- kanzlerin: So wurden – um nur einige Beispiele zu nennen – die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gedenkstätten Berliner Mauer, Deutsche Teilung nächsten Jahr feiern wir den 25. Jahrestag des Mauer- Marienborn, Leistikowstraße – also das ehemalige sow- (B) falls in Berlin, der eine entscheidende Wegmarke am jetische Untersuchungsgefängnis – wie auch die Erinne- (D) Ende der unseligen kommunistischen Diktatur in Ost- rungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde in die institu- deutschland war. 40 Jahre lang hatten 17 Millionen tionelle Förderung des Bundes aufgenommen. An der Deutsche in der DDR unter der SED-Diktatur gelitten, Bernauer Straße öffnete 2009 das Besucherzentrum waren ihrer Freiheit beraubt; Menschenrechte wurden seine Pforten. 2010 konnte der erste Abschnitt der Open- mit Füßen getreten, Hunderttausende von Bürgern wur- Air-Ausstellung auf dem ehemaligen Mauerstreifen fol- den bespitzelt, Andersdenkende und Regimekritiker wa- gen. Im September 2011 eröffnete die Bundeskanzlerin ren inhaftiert und wurden drangsaliert – auch dann, die Dauerausstellung zum Alltag der deutschen Teilung wenn sie nur die DDR verlassen wollten. Millionen von im „Tränenpalast“ am Bahnhof Friedrichstraße. Im Ja- Menschen wurden also ihrer Zukunft beraubt. nuar 2012 konnte Haus 1 in der Normannenstraße, die ehemalige Zentrale des Ministeriums für Staatssicher- Auch über 20 Jahre nach der deutschen Einheit ist die heit, nach denkmalgerechter Instandsetzung der Öffent- Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der SBZ lichkeit wieder zugänglich gemacht werden. Darüber hi- und in der DDR eine für Staat und Gesellschaft notwen- naus wurden unter anderem Sanierungsmaßnahmen mit dige und herausragende Aufgabe. Einen Schlussstrich Kosten in Millionenhöhe wie auch Projekte finanziert, unter das begangene Unrecht kann und wird es nicht ge- etwa beim ehemaligen Stasiknast in Hohenschönhausen, ben. im Zuchthaus Cottbus, in der „Runden Ecke“ in Leipzig (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie wie im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau. bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und Auch an der ehemaligen Zonengrenze bzw. am soge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nannten Todesstreifen, der die DDR abtrennte, finden Die 40-jährige DDR-Diktatur darf nicht verdrängt, mit Mitteln des Bundes wichtige Aktivitäten statt. Ich nicht vergessen und schon gar nicht verharmlost und nenne nur Beispiele wie das Grenzlandmuseum Eichs- verniedlicht werden. Dies sind wir nicht nur den Opfern feld, das Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth und schuldig, sondern auch den Werten unserer Demokratie, Point Alpha. aber auch den Menschen, die die friedliche Revolution 1989 erst möglich machten. Meine Damen und Herren, alle genannten Einrichtun- gen arbeiten dagegen an, die Verbrechen vergessen zu Die Regierungsparteien hatten sich daher für die machen und das System der DDR schönzureden. Zeit- 17. Wahlperiode vorgenommen, die Aufarbeitung weiter zeugen können dem am eindrucksvollsten etwas entge- zu verstärken, um einer Verklärung und Verharmlosung gensetzen. Daher haben wir im Juni 2011 das Koordinie- der SED-Diktatur entgegenzuwirken. Der von der Bun- rende Zeitzeugenbüro eingerichtet – eine Anregung der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29005

Staatsminister Bernd Neumann (A) FDP, die in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden weile alle einig, dass vor diesem Datum eine Integration (C) ist –, bei dem die Gedenkstätte Hohenschönhausen, die ins Bundesarchiv auf keinen Fall infrage kommt. Aber Bundesstiftung Aufarbeitung und die Stiftung Berliner unabhängig davon steht doch fest, dass, ob integriert Mauer zusammenarbeiten. Allein im letzten Jahr gab es oder nicht integriert, die Aufarbeitung auch darüber hi- bundesweit 514 Zeitzeugeneinsätze. Insgesamt wurden naus weitergeht. über 22 000 Teilnehmer erreicht. Dieses werden wir dau- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) erhaft fortsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Deshalb unser Vorschlag: Wir sollten in der nächsten Le- des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ gislaturperiode in Ruhe über die Zukunft der Behörde DIE GRÜNEN]) beraten. Insgesamt gibt der Bund für die geschichtliche Aufar- Meine Damen und Herren, die Aufarbeitung der beitung der SED-Diktatur jährlich etwa 100 Millionen dunklen Kapitel unserer Geschichte ist uns Verpflich- Euro aus. Aber, meine Damen und Herren, trotz aller tung. Das gilt im besonderen Maße für die Zeit der natio- Aktivitäten des Bundes, aber auch der Länder haben wir nalsozialistischen Terrorherrschaft und ihrer singulären beunruhigende Befunde in verschiedenen Studien zum Verbrechen. historischen Wissen von Jugendlichen. Das muss alle (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Deswegen war Verantwortlichen in Deutschland wachrütteln, die An- die FDP vorhin auch nicht hier! – Gegenruf strengungen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, insbe- des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Komm! sondere in den Schulen, noch weiter zu verstärken. Bei- Hören Sie auf! – Gegenruf des Abg. Sigmar tragen können dazu auch Schülerprojekte wie das, das Gabriel [SPD]: Das hätten wir mal machen Roland Jahn im Januar unter dem Titel „Stasi – Was geht sollen! Dann wären Sie der Erste, der dort ge- mich das an?“ durchgeführt hat und an dem sich über standen hätte!) 300 Schülerinnen und Schüler aus vier Bundesländern beteiligt haben. Das Gelände des ehemaligen Stasiquar- Aber auch die Aufarbeitung der SED-Diktatur ist aller tiers auf diese Weise auch als authentischen außerschuli- Anstrengungen wert. Der Bericht zeigt: Die Bundes- schen Lernort zu nutzen, finde ich unterstützenswert. regierung hat sich dieser Aufgabe umfassend und auf ho- hem Niveau gestellt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. GRÜNEN] und Wolfgang Wieland [BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) NIS 90/DIE GRÜNEN]) (B) (D) Das Ziel eines „Campus der Demokratie“, das Roland Präsident Dr. Norbert Lammert: Jahn hat, finde ich dem Grundsatz nach eine gute Idee. Um an dieser Stelle unnötige Missverständnisse zu Ob der Name optimal ist, können wir ja noch einmal in vermeiden: Ich hatte keine Informationen, dass die Sit- Ruhe diskutieren. zung der FDP-Fraktion, die etwas später als die der Lieber Kollege Thierse, laut Zeitungsberichten haben CDU/CSU-Fraktion unter Beteiligung der Bundeskanz- Sie zu dieser Idee des Campus kritisch gesagt – ich zi- lerin stattgefunden hat, noch nicht beendet war, als wir tiere –: das Plenum pünktlich eröffnet haben. Insofern ist es ab- wegig, aus der Nichtanwesenheit der FDP-Fraktion zu Es kam ja auch niemand auf die Idee, ein NS-Kon- Beginn der Sitzung irgendeine Schlussfolgerung auf die zentrationslager in einen Campus der Demokratie Relevanz der vorgenommenen historischen Erinnerung umzuwandeln. herzuleiten. Finden Sie nicht, dass Ihr Vergleich inkorrekt und ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – schmacklos ist, Konzentrationslager und Stasizentrale Christian Lange [Backnang] [SPD]: Unglaub- gleichzusetzen? Ich finde das unmöglich. licher Vorgang!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Das Wort hat nun der Kollege Thierse für die SPD- bei Abgeordneten der LINKEN) Fraktion. Erlauben Sie mir an dieser Stelle auch eine Anmer- (Beifall bei der SPD) kung zur sogenannten Perspektivkommission für den BStU, die die SPD ja wieder für sich entdeckt zu haben Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): scheint. Ihre Argumentation, liebe Kolleginnen und Kol- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich er- legen von der SPD, ist doch – ja – etwas scheinheilig. laube mir trotzdem eine Bemerkung: Es bleibt ein be- Warum? In der Großen Koalition waren es – zugegeben – dauerlicher Umstand, dass während der Worte der Erin- einige Politiker der Union, die sich auf eine alsbaldige nerung des Bundestagspräsidenten an den Untergang der Überführung der Behörde in die Zuständigkeit des Bun- Weimarer Demokratie und an den Mut von Otto Wels desarchivs verständigen wollten. Sie, die SPD, und die und anderen Sozialdemokraten kein Minister anwesend Grünen waren dam als einstimmig dagegen. Nun haben war. wir in der christlich-liberalen Koalition das Stasiunterla- gengesetz novelliert und alle entsprechenden Überprü- (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt ja fungsfristen bis 2019 verlängert. Wir sind uns mittler- nicht! – Marieluise Beck [Bremen] [BÜND- 29006 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, eine Ministe- dass die Berichte der aufgeforderten Institutionen ein- (C) rin! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau fach zusammengeheftet worden sind. Wanka war anwesend!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Dann sage ich also: Es ist bedauerlich, dass die Bun- NEN]: Da wird ja gar kein Hehl draus ge- desregierung so gut wie gar nicht durch Minister vertre- macht!) ten war. Dies bleibt ein bedauerlicher Umstand. Diesem Bericht fehlt – so bewerte ich es nach meiner (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Lektüre – etwas Entscheidendes, leider: Dieser Bericht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kennt und nennt keine Kriterien, um den Stand der Auf- arbeitung zu bewerten. Aktuelle und länger bekannte Sie können zumindest so viel Respekt erweisen, dass Sie Probleme blenden Sie einfach aus. Doch Probleme zu dieses Gefühl der sozialdemokratischen Fraktion und der ignorieren, bringt keine Lösung; das wissen Sie, und das anderen Fraktionen der Opposition entgegennehmen. zeigen die vergangenen vier Jahre Ihrer Regierungszeit. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nachkarten!) Ich will zwei Beispiele nennen; das eine betrifft die Meine Damen und Herren, die Regierungsfraktionen Rehabilitierung von Haftopfern, das andere die Entwick- haben in ihrem Koalitionsvertrag einen Bericht der Bun- lung der Stasiunterlagenbehörde. desregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-Dik- tatur angekündigt; jetzt liegt er endlich vor. Diese Auf- Kürzlich traf ich mich mit Frauen des Süddeutschen arbeitung – das will ich betonen – bleibt eine wichtige Freundeskreises „Hoheneckerinnen“, eines Zusammen- gesellschaftliche Herausforderung, auch 23 Jahre nach schlusses ehemaliger politischer Häftlinge – eine sehr dem Ende der DDR. Sie gehört zum verpflichtenden beeindruckende, mich bewegende Begegnung. Diese Erbe der friedlichen Revolution. Ein Schlussstrich ist Frauen erzählten mir von ihren Erlebnissen. Im Gefäng- weder möglich noch überhaupt sinnvoll. nis Hoheneck erfuhren sie die ganze Härte des Unrechts, dessen der Justizapparat der DDR fähig war. Die Haft Der Titel des Berichts lässt Großes erwarten, Antwor- wirkt bis heute nach; die Frauen leiden unter schlimmen ten auf grundsätzliche Fragen: Welche Aufgaben hat die Spätfolgen, unter schweren Traumata, Schlafstörungen Politik zur Aufarbeitung der SED-Diktatur übernom- und physischen Folgeerscheinungen, die behandelt wer- men? Was wurde erreicht? Was bleibt zu tun? – Zu- den müssen. nächst einmal ist Erfreuliches zu berichten: Es passiert wirklich viel. Es ist in den vergangenen 23 Jahren eine Diese Frauen haben einen Forderungskatalog aufge- vielfältige Aufarbeitungslandschaft – wie man das nennt – stellt. Eine der Forderungen lautet: Sie wollen für ihre (B) entstanden: Unzählige Forschungsarbeiten wurden pu- Rehabilitierung und Opferrente nicht jahrelang mit einer (D) bliziert. Gedenkorte und Museen tragen zur Aufklärung Bürokratie kämpfen müssen, die ihnen mit peinlichen über die SED-Diktatur bei. Hier hat der Bund, Bundes- Hürden zusetzt. Sie wollen nicht um jeden Cent, der ih- regierung und Bundestag, bei der Unterstützung und nen zusteht, kämpfen. Finanzierung viel geleistet. Ebenso viele ehrenamtliche (Beifall bei der SPD) und private Initiativen sind aktiv. Aufarbeitung – das wird deutlich – ist eine zivilgesellschaftliche Aufgabe im Sie fordern deshalb eine Professionalisierung, Vereinfa- weiten und vernünftigen Sinn dieses Wortes, die in ihrer chung und Vereinheitlichung des behördlichen Umgangs ganzen Breite nur gelingt, weil engagierte Bürgerinnen mit den Opfern. Ich finde, darüber sollten wir nachden- und Bürger sich dafür einsetzen. ken. Der vorgelegte Bericht liefert dafür keinerlei nützli- che Informationen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Auch bei der Stasiunterlagenbehörde scheint nach Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ diesem Bericht alles in Ordnung zu sein. Der Bericht CSU]) spart die zentrale Frage völlig aus: Wie geht es weiter mit dieser Behörde und ihren Aufgaben? Der Staats- Detailliert zählt der Bericht Gedenkstätten und Mahn- minister für Kultur und Medien sagt dazu nichts, wäh- male, Initiativen und Einrichtungen auf. Er leuchtet viele rend sich öffentlich besorgte Stimmen mehren: Kommt Aspekte der Aufarbeitung aus, von der Rehabilitierungs- die Behörde ihrem eigentlichen Hauptauftrag angemes- gesetzgebung, der Wiedergutmachung über Archive und sen nach, nämlich Bürgerinnen und Bürgern Einsicht in Forschung bis hin zu Bildungsprojekten. Er bildet das ihre Akten zu gewähren? Reagieren Politik und Behör- breite Spektrum der Gruppen ab, für die Aufklärung und den angemessen und rechtzeitig auf die Veränderungen, Aufarbeitung von besonderer Bedeutung sind, nicht nur die mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum Gegen- im Bund, sondern auch in den Ländern. Man wird immer stand der DDR-Geschichte für Aufklärung und Aufar- auch sagen können – ich weiß das von mancherlei Aus- beitung entstehen? landsreisen –, dass Deutschland hier durchaus vorbild- lich mit der Hinterlassenschaft einer Diktatur oder, wenn Der jüngst vorgelegte 11. Tätigkeitsbericht des Beauf- man so will, sogar zweier Diktaturen umgeht. All dies ist tragten für die Stasiunterlagen ist da sehr deutlich. Dezi- lobenswert. Jedem, der sich einen Überblick über beste- diert beklagt er personelle Schwierigkeiten bei der Ak- hende Einrichtungen verschaffen will, sei der Bericht tenbereitstellung. Die Wartezeiten für Antragsteller deshalb empfohlen, auch wenn die Gewichtungen nicht verlängern sich. Das ist nicht akzeptabel, und da läuft immer stimmen: Man hat gelegentlich den Eindruck, doch etwas falsch. Im Bericht findet sich dazu nichts. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29007

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Das Personalproblem aber ist nicht isoliert zu sehen. im Lande und auf die vielfältige Landschaft der Aufar- (C) Der gegenwärtige Bundesbeauftragte, Roland Jahn, legte beitung. kürzlich erste Pläne vor, den einstigen Sitz der Stasizent- Indem die Regierungskoalition schweigt statt zu han- rale in der Normannenstraße zu einem „Campus der De- deln, stiehlt sie sich – das meine ich schon ernst – aus ih- mokratie“ umzugestalten. Er forderte richtigerweise eine rer politischen Verantwortung. Sie verschleppt die not- öffentliche Debatte darüber. Diese Debatte versagt ihm wendige Diskussion zur Perspektive der BStU, die Regierungskoalition. (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das stimmt doch doch völliger Quatsch!) überhaupt nicht! Das ist doch albern!) sie missachtet die Gestaltungspflicht und Gestaltungs- Das entsprechende Debattengremium, eine Experten- freiheit des Parlaments. kommission, die die Koalition für diese Legislatur- periode angekündigt hatte, ist bis heute nicht eingesetzt. (Beifall bei der SPD) (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Wir haben Dieses Vakuum kann der Behördenleiter nicht adäquat doch schon gehandelt bis 2019! – Patrick füllen. Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Vor einem Jahr ha- Die BStU-Behörde war und ist aus gutem Grunde ben Sie genau das Gegenteil behauptet!) eine Institution des Bundestages, über deren Zuschnitt und Aufgaben sich das Parlament zu verständigen hat. Meine Damen und Herren von der Koalition, ich for- Weil strukturelle Veränderungen der Behörde notwendi- dere Sie auf: Setzen Sie diese Kommission endlich ein! gerweise auch personelle Konsequenzen nach sich zie- Sie muss Vorschläge erarbeiten und öffentlich diskutie- hen, lassen sich langfristige Planungen einerseits und der ren, wie und in welcher Form die verschiedenen Aufga- Umgang mit heute auftretenden personellen Problemen ben dieser Behörde mittel- und langfristig zu erfüllen andererseits nicht voneinander isolieren. sind. Darum geht es. (Beifall bei der SPD – Burkhardt Müller- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sönksen [FDP]: Das ist richtig!) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Untätigkeit der Regierungskoalition im Bundes- tag führt zu einer weiteren Schieflage, nämlich zur Ver- Dies haben Sie schließlich selbst in Ihrem Koalitionsver- unsicherung in der Öffentlichkeit. Wer es wagt, öffent- trag festgelegt. Dies steht auch in der Gedenkstättenkon- lich die Tatsache auszusprechen, dass die Behörde des zeption des Bundes, auf die Sie sich beziehen. Beauftragten für die Stasiunterlagen vor über 20 Jahren (B) (D) Nur nebenbei: Wenn ich in dem Bericht lese, alle in – ich war dabei, als wir sie gefordert und erfunden ha- der Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption be- ben – aus guten Gründen als befristetes, also endliches schlossenen Maßnahmen wurden – wörtlich – „erfolg- Projekt geplant war, wer daran erinnert, dass sie eine reich umgesetzt oder befinden sich in der Schlussphase Ausnahmeinstitution in unserem Rechtsstaat ist, der ihrer Realisierung“, dann trifft dies eben auf dieses setzt sich dem Vorwurf aus, die BStU-Behörde zerschla- Thema gewiss nicht zu. gen und die SED- und Stasiaufarbeitung in toto beenden und einen Schlussstrich ziehen zu wollen. Das Gegenteil Die Debatte über die Zukunft der BStU ist aber unbe- ist der Fall. Jedenfalls ist das ganz und gar nicht meine dingt zu führen, und sie ist jetzt zu führen. Die Idee des Absicht. „Campus der Demokratie“ führt nämlich nach meiner (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das haben Sie aber Überzeugung in die Irre. Es ist ein Irrtum, zu glauben, vor vier Jahren ganz anders gesagt!) die bloße Anschauung der Diktatur bringe Demokraten hervor. – Nein; im Unterschied zu Ihnen, Kollege Vaatz. (Zuruf von der FDP: Das hat er auch nicht (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ich habe immer behauptet!) dasselbe gesagt!) Dies geschieht ebenso wenig, wie die Betrachtung des Ich erinnere mich noch sehr gut an Vorschläge aus Ihren Lasters die Tugend mehrt, um hier Richard Schröder zu Reihen, bestimmte Dinge zu beenden. zitieren. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ja, natürlich!) (Beifall bei der SPD) Die BStU-Behörde leistet – ich betone es noch einmal – wichtige Arbeit und verfügt zu Recht über hohes Anse- Der Titel ist nicht der entscheidende Punkt. Viel hen. wichtiger noch ist: Die Idee des „Campus der Demokra- tie“ beinhaltet grundlegende und langfristige Weichen- (Beifall bei der SPD und der FDP) stellungen weg von der zentralen Aufgabe der Gewäh- Damit dies in Zukunft so bleibt, müssen wir sie weiter- rung von Akteneinsicht und hin zur Etablierung der entwickeln. Ich will vier Dinge nennen, über deren zu- Stasiunterlagenbehörde als dauerhafter Bildungseinrich- künftige Verwirklichung wir diskutieren müssen: tung. Die Frage ist aber doch: Wollen und brauchen wir genau dies? Das sollte uns beschäftigen, gerade auch mit Erstens. Die Stasiüberprüfungen werden im Jahr 2019 Blick auf die anderen politischen Bildungseinrichtungen enden. 30 Jahre nach dem Fall der Mauer ist es weder 29008 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) politisch noch menschlich angemessen, dass dann weit – Er telefoniert hinten in der Ecke. Herr Gabriel, telefo- (C) zurückliegende Stasiverwicklungen noch ein Hinde- nieren Sie bitte draußen! Hier ist der Deutsche Bundes- rungsgrund für Anstellungen und Berufungen darstellen tag und nicht irgendein Kindergarten. Wir führen hier sollen. eine wichtige Debatte. Zweitens wird der Bedarf schwinden, eine behörden- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) eigene Spezialforschung zu unterhalten. Sukzessive er- schließt die Behörde ihre Archivbestände mit dem Ziel, Außerdem, Herr Thierse: Wir alle haben die Ho- externen Wissenschaftlern den Zugang zu den Akten zu heneckerinnen getroffen, jede einzelne Fraktion, nicht erleichtern. Über kurz oder lang werden deshalb ein- nur Sie. Der Deutsche Bundestag, die Verwaltung, hatte schlägige zeitgeschichtliche Institute diese Forschungen zu einer entsprechenden Veranstaltung eingeladen. Ein- weiterführen können. geladen waren SPD, Linke, Grüne, CDU/CSU und FDP. Alle Fraktionen des Hauses haben diese Veranstaltung Bei allen Veränderungen muss drittens die Möglich- begleitet. Ich persönlich kam hinzu, als der Vertreter der keit der Akteneinsicht für Betroffene unbedingt erhalten Linken seine Ausführungen gerade beendet hatte. Durch bleiben. Diese Kernaufgabe ist dauerhaft sicherzustellen, seine Einlassungen hatte er bei den Hoheneckerinnen be- auch für die Zeit nach 2019. Der Aktenzugang bleibt für sondere Emotionen hinterlassen. Ich konnte dann einiges die Aufarbeitung elementar, auch wenn das Stasiarchiv, wiedergutmachen. in welcher Weise auch immer, dem Bundesarchiv ange- gliedert werden sollte. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Viertens. Auch die historische und politische Aufar- Die Veranstaltung hat mir gezeigt, dass Demokratie, beitung wird selbstverständlich nicht abgeschlossen Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit keine selbstver- sein. Allerdings ist ernsthaft darüber nachzudenken, wel- ständlichen Werte sind. Darauf wird auch im Bericht der che der bestehenden Einrichtungen diese Aufgabe über- Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED- nehmen können. Ich denke an die Bundesstiftung zur Diktatur in aller Deutlichkeit hingewiesen. Wir leben Aufarbeitung der SED-Diktatur oder die Bundeszentrale heute in Freiheit und Wohlstand. Die tristen Zustände und die Landeszentralen für politische Bildung. Der Be- der DDR und der SED-Mief erscheinen sehr fern. Sie richt der Bundesregierung breitet übrigens die ganze sind – auch das muss man deutlich sagen – für viele aber Fülle der bereits existierenden kompetenten Einrichtun- auch nicht mehr greifbar; denn die Mauer ist vor immer- gen sehr schön aus. hin 24 Jahren und 4 Monaten eingerissen worden. Viele haben aufgrund ihres biologischen Alters gar nicht mehr Über all diese Punkte müssen wir sprechen. Doch an- die Möglichkeit, sich ein Bild davon zu machen, wie es statt Fachleute und Interessierte einzuladen und zur Dis- (B) in der DDR ausgesehen hat, wie es dort gerochen hat, (D) kussion zu ermuntern, damit in diesen Fragen ein öffent- wie dort die Umstände waren usw. usf. Das ist die ei- licher Konsens erreicht wird, herrscht koalitionäres gentliche Herausforderung für die Aufarbeitung. Es geht Schweigen. Wir brauchen eine grundsätzliche Debatte heute nicht mehr um juristische Aufarbeitung, sondern über Zuschnitt, Qualität und Zukunft der Aufarbeitung darum, dass junge Menschen urteilsfähig bleiben gegen- und nicht eine Tabuisierung einer solchen Debatte. Sonst über Unrecht und Unfreiheit, den Wert der Freiheit als verlieren wir uns in kleinteiligen finanziellen Vertei- solchen erkennen und die Freiheit auch verteidigen wol- lungskämpfen. Der Bericht der Bundesregierung ist da- len. Darum geht es: Die Menschen müssen urteilsfähig für nur begrenzt hilfreich. bleiben. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der LINKEN) Auch eine zivilisierte Gesellschaft kann durch Unfreiheit erdrückt werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Patrick Kurth für die FDP- Insofern können wir stolz darauf sein, was die DDR- Fraktion. Aufarbeitung bei uns darstellt. Wir hatten im Osten Deutschlands die Kraft, uns der eigenen Aufarbeitung zu (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten stellen. Das ist nicht die Regel; es ist die Ausnahme, und der CDU/CSU) zwar weltweit. Andere postkommunistische Diktaturen haben eine solche Aufarbeitung nicht durchgeführt. Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Aber auch innerhalb Deutschlands müssen wir genau Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und hinschauen, inwiefern manche Dinge bei der Aufarbei- Herren! Herr Thierse, niemand wirft hier irgendjeman- tung schiefgelaufen sind. dem etwas vor. Wir werfen Ihnen nicht vor, dass bei dieser wichtigen Debatte, die wir gerade führen, der Spitzenkan- Wir haben vor 20 Jahren gewissermaßen auf Druck didat der SPD nicht anwesend ist, der Parteivorsitzende der Linken sehr intensiv über Stasiunrecht gesprochen. der SPD nicht anwesend ist, der Fraktionsvorsitzende der Die Linke hat es geschafft, den Fokus weg vom DDR- SPD nicht anwesend ist. Unrechtsstaat sozusagen hin zu einer staatsterroristi- schen Einheit, nämlich der Stasi, zu verschieben und (Dagmar Ziegler [SPD]: Da ist er doch!) sich damit selber aus der Verantwortung zu nehmen, die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29009

Patrick Kurth (Kyffhäuser) (A) SED ein wenig reinzuwaschen und die gesamte Verant- Wir haben das behoben. Jetzt ist die Leistikowstraße sa- (C) wortung der Stasi zuzuschreiben. niert und im Rahmen der Möglichkeiten wieder offen für die Bevölkerung. Es ist wichtig, zu zeigen, wohin Kom- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten munismus bzw. Diktatur führen kann. der CDU/CSU) Die DDR war ein SED-Unrechtsstaat, und die SED war (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten überall und hat dieses Unrecht begangen. Das müssen der CDU/CSU – Burkhardt Müller-Sönksen wir auch heute deutlich sagen. [FDP]: Auch wenn die Regierung in Branden- burg das nicht wahrhaben will!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LIN- Meine Damen und Herren, wir, die Koalition, haben KEN) sehr bedauert, dass die Opposition an der Stelle im Bun- destag nicht zugestimmt hat: Wir haben das Stasiunterla- Auch das will ich Ihnen sagen, Herr Thierse: Unter gengesetz noch einmal verlängert. Wir sagen: Solange es Rot-Grün ist die Erinnerungsarbeit erlahmt. Sie ist ge- biologisch möglich ist, dass sich Opfer und Täter im Ar- bremst worden. Sie wurde akademisiert und ist dadurch beitsleben begegnen, befördern oder behindern können, nicht mehr greifbar – ich sage nicht: angreifbar –; das ist muss es nach unserer Auffassung möglich sein, dass das Entscheidende. Bei der Aufarbeitung ist es entschei- man in die Stasiakten Einblick nehmen und nachlesen dend, verstanden zu werden, und das ist Ihnen nicht ge- kann, ob jemand Opfer oder Täter war. Das ist ausge- lungen. Die FDP nimmt für sich in Anspruch – ich hoffe, sprochen wichtig. die Union spricht uns da weiterhin zu –, dass wir 2009 in die gesamte SED-Aufarbeitung neuen Schwung hinein- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gebracht haben, nicht aus Rachegelüsten oder Ähnli- der CDU/CSU) chem, was Sie uns manchmal unterstellen, sondern um nach vorne zu zeigen und Zukunftsfähigkeit zu bewei- Ich habe nicht verstanden, warum ostdeutsche Bun- sen. desländer der Novelle zum Stasiunterlagengesetz nicht zugestimmt haben. Letztlich ist es dem SPD-regierten (Lachen des Abg. Ralph Lenkert [DIE und dem grün-rot regierten Baden-Württem- LINKE]) berg, die im Bundesrat zugestimmt haben, zu verdanken, – Da braucht man nicht abzuwinken, Herr Lenkert. Sie dass diesem wichtigen Gesetz die Freigabe erteilt wurde. kommen aus Jena. Wissen Sie, wie schwierig es ist, in In diesen beiden Bundesländern ist die Weitsicht zumin- Jena politische Überzeugungsarbeit zu leisten, was Frei- dest in der Frage offensichtlich angekommen. Herr Mi- (B) heit ist usw.? nisterpräsident, trotzdem herzlichen Dank, dass Sie (D) heute hier sind. Es ist nicht üblich, dass die Bundesrats- (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wissen Sie, wer der bank bei solchen Themen besetzt ist. Meistens geht es Oberbürgermeister a. D. von Jena ist?) um Geld, wenn dort jemand sitzt. Heute sind Sie bei ei- – Der Oberbürgermeister von Jena a. D. sitzt in unseren nem solchen Thema anwesend. Insofern sage ich: Herz- Reihen und weiß genau, wie schwierig es im Osten ist, lich willkommen bei uns hier im Deutschen Bundestag! mit Demokratie und Freiheit umzugehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir als Koalition haben Roland Jahn zum Behörden- leiter gemacht. Das ist ein ungeheurer Fortschritt. Herr Das sind besondere Herausforderungen. Das ist letztlich Thierse, ich möchte daran erinnern, dass Sie, als Frau Ihr Erbe. Birthler die Behördenleitung innehatte, die Behörde un- Herr Staatsminister, Sie haben noch einmal überzeu- begrenzt erhalten wollten. Sie haben gesagt: Die Be- gend deutlich gemacht, welche Erfolge wir hatten. Wir hörde kann bis in alle Ewigkeit bestehen. – Jetzt herrscht von der FDP sind große Optimisten, aber dass das Koor- dort ein anderer Wind. Frau Birthler hat nicht alles dinierende Zeitzeugenbüro ein solcher Erfolg wird, hat- schlecht gemacht; aber Roland Jahn fasst die Dinge eben ten wir nicht geglaubt. Es ist ein ungeheuer erfolgreiches anders an. Er hat eine andere Biografie und geht mit dem Projekt. Weiter so! Wir haben die Stasiopferrente gleich Thema anders um. Plötzlich gibt es bei Ihnen einen Mei- am Anfang verbessert. Wir haben 40 Millionen Euro für nungsumschwung. Plötzlich sagen Sie: Schluss mit dem einen Fonds für DDR-Heimkinder bereitgestellt. Wir ha- ganzen Stasiunterlagen-Behördensystem! Wir müssen ben mehrere Stasiunrecht-Gedenkstätten und auch kom- jetzt eine Trennung herbeiführen; wir wollen das auslau- munistische Gedenkstätten saniert wie das Haus 1 in der fen lassen. – Was gilt denn nun? Wollen wir wieder Frau Normannenstraße und das ehemalige KGB-Untersu- Birthler ins Amt holen? Sind Sie dann wieder dafür, dass chungsgefängnis – das letzte sowjetische KGB-Untersu- es weitergeht? Wie machen wir das? Diese Koalition chungsgefängnis überhaupt in Osteuropa – in Potsdam in sorgt dafür, dass an der Stelle Rechtssicherheit herrscht der Leistikowstraße. Das kennt kaum jemand, weil die und wir die Dinge politisch in ihrer ganzen Tragweite Brandenburger Landesregierung alles getan hat, damit begutachten können. das Kapitel einigermaßen unter der Decke bleibt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sehr gut!) 29010 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Patrick Kurth (Kyffhäuser) (A) Leider bleibt mir nicht genügend Zeit, um darauf ein- mierung der DDR von Anbeginn ab, und das wird auch (C) zugehen, dass wir auch heute für Freiheit und Ähnliches so bleiben. einstehen müssen. Ich habe es außerordentlich bedauert, dass der Kollege Steinbrück von Herrn Kuhn von den (Beifall bei der LINKEN) Grünen zum Neujahrsempfang der SPD in Stuttgart eine Wer, wie es auch im Bericht steht, von kommunisti- Mao-Zedong-Fibel bekommen hat, eine rote Bibel, wie scher Diktatur in der SBZ und in der DDR redet, der be- man sie auch nennt. Ich finde es unglaublich, dass je- weist sowohl, dass er vom Kommunismus wenig Ah- mand, der Deutschland regieren will, dieses Geschenk nung hat, als auch, dass er die damaligen Abläufe nicht überhaupt angenommen hat. verstanden hat. Es ist doch kein Zufall, dass viele Intel- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie sind ja ein lektuelle nach dem Zweiten Weltkrieg ebendiesen Staat unverschämter Vogel!) ausgewählt haben. So geht das nicht. Wir müssen in der täglichen Arbeit für (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Freiheit und gegen Unfreiheit einstehen. Das macht sich Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ auch bei solchen Dingen bemerkbar. DIE GRÜNEN]: Viele haben schnell erkannt, dass es eine Illusion war, und sind dann gegan- Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. gen oder mussten gehen!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Das ist kein Zufall; dafür gab es Gründe. Thomas Mann, Sigmar Gabriel [SPD]: Wie blöd muss man ei- Stefan Heym, Friedrich Wolf – ich kann Ihnen ganz viele gentlich sein, um bei der FDP Bundestagsab- Namen nennen –, die sind alle dorthingekommen, und geordneter zu werden?) sie hatten Gründe dafür.

Vizepräsidentin Petra Pau: (Holger Krestel [FDP]: Wie viele Intellektuelle Das Wort hat der Kollege Dr. Dietmar Bartsch für die wollten denn ausreisen aus dem Staat?) Fraktion Die Linke. Ich will auch daran erinnern, dass nach der Zerschla- (Beifall bei der LINKEN) gung Hitler-Deutschlands in der Sowjetischen Besat- zungszone die SPD, die KPD und die CDU als Parteien Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): zugelassen worden sind. Eine Lehre aus der Geschichte war der Auftrag: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um das Krieg! – Das war das Motto aller Parteien dort. Wer dies klar und deutlich vorweg zu sagen: Natürlich wollen bei der Geschichtsaufarbeitung nicht zur Kenntnis auch wir eine seriöse, eine wissenschaftliche Aufarbei- (B) nimmt, der kommt nicht ans Ziel. (D) tung; natürlich bleibt das auch weiterhin eine gesell- schaftliche Aufgabe. Deshalb ist parteipolitische Instru- (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das sollten mentalisierung in dieser Frage wirklich fehl am Platz, Wissenschaftler machen, nicht Politiker!) Herr Kurth. Ich will daran erinnern, dass die DDR schon 1949 den (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung angesehen hat. In der neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Bundesrepublik hat dies Richard von Weizsäcker 1985 GRÜNEN) zur Staatsräson gemacht. Auch das gehört mit zur Wahr- Sonst muss man auch einen Halbsatz zu den Blockpar- heit. teien sagen. Wenn es eine Frage der Aufarbeitung sein (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- soll, wenn jemand eine Mao-Fibel geschenkt bekommt, neten der SPD) dann sind wir wirklich nicht sehr weit gekommen. Ein zweiter Punkt: Es ist ganz klar und eindeutig, dass (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr müsst doch ver- kein Mensch einen Schlussstrich will. Auch wir wollen langen, dass Das Kapital verschenkt wird!) die Auseinandersetzung mit der Geschichte. Keine Par- Ich will – das ist ganz klar – sowohl zum Bericht als tei hat das so kritisch, so selbstkritisch wie die damalige auch zur Rede des Herrn Staatsministers Widerspruch PDS gemacht. anmelden. Zunächst einmal will ich darauf hinweisen – und das hat nichts mit Verklärung zu tun –, dass die (Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth DDR-Geschichte natürlich zuallererst auch eine Ge- [Kyffhäuser] [FDP]: Reinwaschen!) schichte der deutschen Teilung und ein Teil der deut- – Herr Kurth, da geht es nicht um Reinwaschen. Das ist schen Geschichte ist. Die DDR ist doch nicht vom Him- doch einfach nur dummes Zeug. – Ich will vom außer- mel gefallen. Der Bundestagspräsident hat heute auf das ordentlichen Parteitag 1989 – er war die Wiege der da- Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 hingewiesen. maligen PDS – zitieren: Die DDR ist eben auch ein Ergebnis der größten Kata- strophe, die wir in Deutschland hatten. Hitler-Deutsch- Die Delegierten des Sonderparteitages sehen es als land, der Zweite Weltkrieg und der Holocaust – das alles ihre Pflicht an, sich im Namen der Partei gegenüber hat dazu geführt, dass es eine sowjetische Besatzung und dem Volk aufrichtig dafür zu entschuldigen, dass im Ergebnis die Gründung der DDR gegeben hat. Auch die ehemalige Führung der SED unser Land in deshalb lehnen wir als Linke jeden Versuch der Delegiti- diese existenzgefährdende Krise geführt hat. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29011

Dr. Dietmar Bartsch (A) (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Nennen (Beifall bei der LINKEN) (C) Sie mal die Menschen! Das ist das Thema Was immer die konkreten … Umstände waren, die heute!) zu dem Ereignis … führten – diese Lehre ist … un- Wir sind willens, diese Schuld abzutragen. … Der umstößlich. außerordentliche Parteitag hat den Bruch mit der machtpolitischen Überhebung der Partei über das Ich möchte noch zwei Bemerkungen machen. Ers- Volk, mit der Diktatur der Führung … vollzogen. tens. Es ist wirklich inakzeptabel, wenn, wie im Bericht geschehen, eine Gleichsetzung der DDR mit dem fa- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber für die To- schistischen Hitler-Regime erfolgt. desstrafe haben Sie sich nicht entschuldigt und den Schießbefehl!) (Beifall bei der LINKEN) Diesen Weg sind einige gegangen, viele nicht. Bei Ih- Das ist wirklich inakzeptabel. Ich will dazu Egon Bahr nen ist das ganz einfach: Diejenigen, die am Tag danach zitieren, der sagte: Die Millionen Leichen sind eben wussten, dass alles falsch war, und sich sofort woanders nicht mit Millionen von Aktenbergen zu vergleichen. – engagiert haben, sind die Guten. Diejenigen, die sich auf Mögen wir doch bitte gemeinsam dabei bleiben. Diese den schwierigen Weg gemacht haben, persönlich die Ge- Gleichsetzung ist in keiner Weise zu akzeptieren. schichte und Verantwortung selbstkritisch aufzuarbeiten (Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth und Schlussfolgerungen zu ziehen, sind für Sie die Bö- [Kyffhäuser] [FDP]: Das kann doch wohl nicht sen, weil Sie das parteipolitisch instrumentalisieren. wahr sein! – Widerspruch bei der CDU/CSU Ich werfe Ihnen das überhaupt nicht vor; aber Sie wis- und der SPD) sen gar nicht, unter welchen Auseinandersetzungen Wer die DDR-Geschichte nicht als Teil der deutschen diese Aufarbeitung in der PDS bzw. in der Linken statt- Geschichte und als Teil der Geschichte der deutschen gefunden hat. Das ist eine sehr, sehr kritische, schmerz- Einheit sieht, der begreift nicht, hafte Auseinandersetzung – auch unter Tränen – gewe- sen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist ungeheuerlich!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das glaubt Ihnen doch kein Mensch!) dass es andere Ursachen für diese Entwicklung gegeben hat. Wer nicht bereit ist, zu verstehen, dass Menschen Es ist das Kuriose, dass teilweise selbst diejenigen, die aus der DDR Erfahrungen und Lebensleistung in die nach 1989 geboren wurden, für alles zuständig sein sol- deutsche Einheit einbringen, auf die sie stolz sein dürfen len, was die Vergangenheit – seit dem Bauernkrieg – be- (B) und auf die sie stolz sind, der wird Geschichte nie verste- (D) trifft. Das nehmen wir gerne an; das ist in Ordnung. Wir hen und leistet keinen Beitrag zur deutschen Einheit. wollen auch diese Zuständigkeit und diese Auseinander- setzung. Nehmen Sie aber zur Kenntnis: Die SED hatte Danke schön. 2,3 Millionen Mitglieder. Weniger als 1 Prozent davon (Beifall bei der LINKEN) sind heute in der Linken, und es ist so, dass diese die Auseinandersetzung vorangetrieben haben. Vizepräsidentin Petra Pau: (Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Sie haben Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland für die ein ganzes Volk terrorisiert!) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ein dritter Punkt: Wir setzen uns nicht Ihretwegen mit der Geschichte auseinander, sondern um unserer selbst Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): willen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu den SED-Millionen sage ich diesmal nichts, da darf ich Sie (Beifall bei der LINKEN) beruhigen. Wir wollen sie aus unserem Interesse, und zwar um der (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Zukunft einer demokratisch-sozialistischen Partei wil- len. Nichts anderes kann der Maßstab sein. Der Kollege Bartsch hat leider Stichworte genug gelie- fert. Ich will noch ein Zitat anführen, weil das Thema „Mauer“ da eine Schlüsselfrage ist. Wir haben zum Ich beginne mit dem Stichwort „inakzeptabel“, das er 40. Jahrestag des Mauerbaus erklärt: hier einige Male gebraucht hat. Es ist völlig inakzepta- bel, dass der Vertreter einer Partei, die das alles ange- An der bitteren Erkenntnis, dass der Staatssozialis- richtet hat – SED-Diktatur –, sich hier hinstellt und sagt: mus in der DDR am Ende war, als die Mauer gebaut Wir machen die Aufarbeitung primär um unserer selbst, wurde und es kein Konzept zu ihrer Überwindung um unserer Partei willen. gab, führt kein Weg vorbei. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das haben (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) doch nicht Sie zu entscheiden!) Und weiter: Ja, wenn es denn eine Aufarbeitung wäre! Sie haben sich Ein Staat, der sein Volk einsperrt, ist weder demo- von Anfang an gegen die Delegitimierung der DDR ge- kratisch noch sozialistisch. wandt. Was soll das denn heißen? Die Gruppe Ulbricht 29012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Wolfgang Wieland (A) kam, und von Ulbricht, Ihrem früheren Parteivorsitzen- Ein Wort zu Sahra Wagenknecht. Sie mag in jede (C) den, kennen wir den Satz: Talkshow gehen, sie mag von der Liebe ihres Lebens re- den, (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Es muss demokratisch aussehen!) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Nur nicht neidisch sein!) Genossen, es muss alles schön demokratisch aussehen. – Es sollte so aussehen, aber das war es nie. Wer wider- vom Turbokapitalismus und von der Euro-Krise; das al- sprach, wer Widerstand leistete, landete in den Kerkern les ist ihr gutes Recht. Aber sie sollte auch einmal etwas des KGB; so war es. zu folgenden Sätzen sagen – ich zitiere –: (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ja, so war es! – Patrick (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Wo ist sie Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Genau!) eigentlich?) – die ist nie hier; aber sie äußert sich – Die DDR war von der ersten Minute an ein Unterdrü- ckungsstaat, Herr Kollege Bartsch. Die DDR war das friedfertigste und menschen- freundlichste Gemeinwesen, das sich die Deutschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, im Gesamt ihrer bisherigen Geschichte geschaffen bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- haben. geordneten der SPD – Zurufe von der LIN- KEN) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was haben Sie eigentlich damals so gemacht?) Da Sie gesagt haben: „Wir haben den 8. Mai als Tag der Befreiung gefeiert, bevor es die alte Bundesrepublik Erich Honecker gebühre deshalb „unser bleibender Res- tat“ – als sei das sozusagen ein historischer Vorsprung –, pekt“. frage ich Sie: Auf was für einen Geschichtsrevisionis- (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Pfui!) mus haben Sie sich da eigentlich eingelassen? Die Mauer ist für sie eine Maßnahme „zur Grenzbefesti- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie gung …, die dem lästigen Einwirken des feindlichen des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD] – Hans- Nachbarn ein längst fälliges Ende setzte“. Das ist Ihre Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Guckt euch historische Aufarbeitung! das an! Die Grünen klatschen ja noch nicht mal!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- (B) Mich macht das wütend. geordneten der SPD – Kathrin Vogler [DIE (D) LINKE]: Und von wann ist das? – Stefan Als der Kollege Kurth geredet hat, kam der Zwi- Liebich [DIE LINKE]: Ja, und jetzt sagen Sie schenruf „LDPD!“. Die Staffage der Blockparteien ha- auch mal, wann sie das gesagt hat!) ben Sie aufgebaut. Das war Ihre Staffage. – Diese Sätze hat sie als Erwachsene bei klarem Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, stand im wiedervereinigten Deutschland geschrieben. bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- geordneten der SPD) (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: War das damals beim Kommunistischen Bund?) Welches Gefängnis hat denn die LDPD betrieben? Wel- chen Geheimdienst hat denn die Ost-CDU gehabt? Sa- Dazu würde ich von ihr gerne etwas hören. gen Sie mir das einmal! Das hat alles Ihre Partei ge- Ich möchte nicht von Ihnen, Herr Bartsch, hören: Un- macht. Nach viermaliger Umbenennung sitzen Sie hier ser Parteitag hat 1989 beschlossen, dass wir Fehler ge- wie Forscher, wie Wissenschaftler, die sich irgendein macht haben. Wir entschuldigen uns. Damit ist es ein für Gebilde ansehen, mit dem sie gar nichts zu tun haben. alle Mal gut. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP – (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Was haben Sie Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Geheuchelt denn 1989 so gemacht? Und vor allem: Was ist das!) war davor?) Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen! Das ist doch lächerlich! Das ist doch kein Eingeständnis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist nur bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- ein Lippenbekenntnis!) geordneten der SPD – Widerspruch bei der Das ist doch keine Reue. Das ist doch nichts, was den LINKEN) Opfern je geholfen hätte. Keine müde Mark, keinen mü- Ihr Lothar Bisky hat Ulbricht einen großen Patrioten den Euro haben Sie selber je dafür ausgegeben. genannt; Ihr Ehrenvorsitzender Hans Modrow, Genosse (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist doch Hans, hat den 17. Juni einen konterrevolutionären falsch!) Putsch genannt – das alles im vereinten Deutschland, nicht zu DDR-Zeiten. Das sind Ihre Erkenntnisprozesse. Sie haben das Geld beiseitegeschafft. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29013

Wolfgang Wieland (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, müssen erklären, wer die Stasi warum eingerichtet hat, (C) bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- was sie bewirkt hat und wie sie sich auf das Leben der geordneten der SPD) Menschen ausgewirkt hat. – Es wurde schon gesagt: Die heute 20-Jährigen kennen das alles nicht mehr. Sie wol- Wenn man von Opferentschädigung redet, muss man len auch wissen: Wie habt ihr in der DDR gelebt? Was auch einmal die Frage stellen: Wer wäre denn primär da- waren eure Ängste? Was waren eure Träume? – Auch für zuständig gewesen? Sie wären primär dafür zustän- das gehört zur Aufarbeitung. Da sind wir, denke ich, tat- dig gewesen. – Es tut mir leid; aber nach diesem Rede- sächlich auf einem guten Weg. beitrag musste das sein. Andere Dinge – das kann ich Ihnen nicht ersparen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Staatsminister – müssen noch geklärt werden: Die bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- Expertenkommission zur Entwicklung der Stasiunterla- geordneten der SPD – Sigmar Gabriel [SPD]: genbehörde sollte kommen; das steht ohne jede Bedin- Das ist schon in Ordnung! Das muss Ihnen gung in der Koalitionsvereinbarung. Sie ist nicht gekom- nicht leid tun! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE men. Vier Jahre wurden nicht genutzt. Das ist schlecht. LINKE]: Nein! Das musste nun wirklich nicht Wir Grüne haben immer gesagt: Wir weisen die Mäkelei, sein! – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das die es bei Marianne Birthler gab, zurück. Wir können musste sein! Ganz genau! – Kathrin Vogler auch nicht verstehen, warum man Roland Jahn nun ähn- [DIE LINKE]: Sie wären wirklich besser bei lich behandelt. Das mag zum Teil auch Gründe haben, der Union aufgehoben! Oder noch besser bei die in den Personen liegen. der FDP!) Für uns steht im Vordergrund: Die Stasiunterlagenbe- – Es sind die Getroffenen, die bellen; das wissen wir. hörde ist eine großartige Einrichtung: Das erste Mal hat Das ist auch gut. Aber Sie sollten solche Auseinander- sich ein Volk der Akten seiner Unterdrücker bemächtigt. setzungen auch einmal öffentlich führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Tun geordneten der SPD) wir das nicht gerade? – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das machen wir seit Jahren! Wir müssen das Beispielgebende dieser Institution beto- Sie müssten mal zu unseren Parteitagen kom- nen. Wir müssen diskutieren: „Welchen Weg soll sie ge- men! Dann wüssten Sie auch, worüber Sie re- hen?“, aber doch bitte schön nicht in ganz kleiner den!) Münze; das findet nicht unsere Zustimmung. Wir Grüne wissen: Den Königsweg wollen wir nicht, können wir (B) – Hallo? Uns hier zu erzählen, die DDR sei irgendwie (D) gar nicht vorzeichnen. Deswegen muss diese Experten- vom Himmel gefallen und nicht ohne die deutsche Ge- kommission jetzt eingesetzt werden. Hier gibt es eine schichte verstehbar, das ist doch keine Auseinanderset- klare Reihenfolge. Zuerst muss geklärt werden: „Wie zung mit dem Unrecht, das Sie begangen haben! lange und in welcher Form hat sie die Aufgaben zu erfül- Der Bericht – das wurde gesagt – ist vielfältig; das len?“, dann: „Was kommt danach?“ – wenn denn danach war eine Fleißarbeit. Er stellt eine gute Diskussions- etwas kommt. Danach erst kann man überlegen: Was grundlage dar; das muss man sagen. Er sollte ursprüng- machen wir mit den Gebäuden? – „Campus der Demo- lich jedes Jahr erscheinen. Nun erscheint er ein Mal in kratie“, dieser Begriff wird nicht gehen. Man kann einen jeder Legislaturperiode; auch das ist so akzeptabel. Da- Ort der Täter nicht in „Campus der Demokratie“ umbe- mit kann man leben. Der Bericht zeigt, dass die Auf- nennen. Aber die Idee von Roland Jahn finden wir rich- arbeitung der DDR-Vergangenheit so vielfältig ist, wie tig. Die Errichtung einer Jugend- und Begegnungsstätte das Leben in der DDR war. Im Mittelpunkt steht natür- war auch ein Prüfauftrag in der Koalitionsvereinbarung. lich die Unterdrückung, stehen authentische Orte des In Roland Jahns Konzept ist das enthalten. Zerstörens von Menschen wie Berlin-Hohenschönhau- sen, wie Bautzen, wie Hoheneck, wie Torgau – ohne je- Vizepräsidentin Petra Pau: den Anspruch auf Vollständigkeit. In dieser Aufzählung Kollege Wieland, gestatten Sie eine Bemerkung oder fehlen immer noch Orte; ich denke an das Militärgefäng- Frage des Kollegen Sharma? nis in Schwedt. „Wer in Schwedt war, schweigt“, hieß es in der DDR. Das zeigt: Bei so vielen Orten der Unterdrü- ckung braucht man wirklich einen langen Atem. Ich Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): denke, wir haben ihn. Ja, bitte.

Es ist richtig, dass auch die Alltagskultur in der DDR Raju Sharma (DIE LINKE): in Museen ausgestellt wird, dass man sich damit aus- Herr Kollege Wieland, Sie hatten freundlicherweise einandersetzt. Es gab in der DDR nämlich auch das, wo- gesagt, dass Sie nichts zu den SED-Millionen sagen wer- für sich der Begriff „gelebtes Leben“ herausgebildet hat. den – das fand ich schon einmal sehr sympathisch –, ha- Wir dürfen nicht den Fehler machen, das zu übersehen. ben dann trotzdem entsprechende Andeutungen ge- Niemand akzeptiert, wenn seine Biografie nur negativ macht. gesehen wird, nur abgewertet wird. Von daher sehe ich mich mit Roland Jahn durchaus auf einer Linie, wenn er Bei uns reden Kolleginnen und Kollegen, die im Os- sagt: Wir müssen die ganzen Kreisläufe erklären. Wir ten geboren und groß geworden und politisiert sind. Ich 29014 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Raju Sharma (A) selber bin im Westen geboren und zwölf Jahre lang Mit- Heißt das: Wir werden nie wieder eine Mauer bauen? – (C) glied der SPD gewesen. Ich war auch nicht – anders als Soll das als richtige Kritik der Partei durchgehen, die andere hier – Maoist oder Pol-Pot-Anhänger, wie Sie diese Mauer gebaut hat? Soll das als Verbeugung vor den möglicherweise, sondern immer ein ordentlicher Demo- Opfern durchgehen? krat. Weil ich insoweit unverdächtig bin, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sie müs- (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) sen zuhören! Hören müssen Sie schon! Das Zuhören ist doch nicht verboten worden!) will ich sagen: Man kann vieles kritisieren, was die da- malige Parteiführung der SED gemacht hat. – Ich habe sehr genau zugehört und habe das gelesen. – Das ist nicht ausreichend; das sage ich Ihnen hiermit. (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist selbstkritisch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Ich selber gehöre zu denen, die auch vieles kritisieren, GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE was unsere jetzige Parteiführung macht; ich nehme ei- LINKE]: Oberlehrer Wieland!) gentlich kein Blatt vor den Mund. Aber was man den Menschen in der SED und den Mitgliedern der Linken Gerade wenn man in seiner Vergangenheit Fehler ge- nicht vorwerfen kann, ist, dass sie sich mit ihrer Vergan- macht hat, muss es einen radikalen Bruch geben. Auch genheit nicht auseinandergesetzt hätten. Der Kollege ich habe welche gemacht. Bartsch hat nicht umsonst auf den Sonderparteitag 1989 (Zurufe von der LINKEN: Ah!) hingewiesen. Herr Wieland, Sie fordern eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ein. Ich kann – Ja, gar keine Frage. Daraus habe ich nie einen Hehl ge- Ihnen sagen: Diese Auseinandersetzung läuft permanent. macht. – Es gibt dann immer zwei notwendige Dinge: Auch bei dem Grundsatzprogramm, das wir in Erfurt be- Erstens. Man muss der Vergangenheit gegenüber ehr- schlossen haben, haben wir uns auseinandergesetzt mit lich sein und darf nichts beschönigen. der Vergangenheit und mit dem Unrecht gegenüber den Menschen in der DDR, was auch von unserer Partei zu Zweitens. Man muss es radikal anders und besser ma- verantworten gewesen ist. chen. Das ist wichtig. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wege zum Kommunismus habt ihr beschlossen!) (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Machen wir!) Das alles haben wir getan. (B) – Das machen Sie nicht. (D) Ich bitte Sie einfach einmal, das nicht permanent zu ignorieren, weil das einfach komplett falsch ist und weil (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sie dadurch hier diese Selbstkritik und diese enorme SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und menschliche Leistung auch derjenigen, die durch diesen der FDP – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: tiefen Tunnel gegangen sind und den Mut aufgebracht Die Linken machen es radikal, aber nicht bes- haben, sich damit auseinandersetzen, negieren. ser! Das ist der Unterschied!) (Michael Frieser [CDU/CSU]: Ist hier in absehba- Passen Sie auf: Der Herr Sharma als Schatzmeister rer Zeit noch eine Frage zu erwarten?) sagte ja – nun hat er mich doch auf die Milliarden ge- bracht –, Damit negieren Sie eine wirklich große Leistung von Menschen. (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Jetzt eine da seien Milliarden verschwunden. – Wenn ich gefragt Frage! Holen Sie einmal Luft!) werde, dann antworte ich. – Trotz Einsetzens einer unab- Das ist eine Verachtung, die nicht angemessen ist. hängigen Kommission und trotz der Beauftragung von Detektiven ist dieses Geld, das Sie beiseite gebracht ha- (Beifall bei der LINKEN) ben, nicht gefunden worden. Dieses Geld hätte den Op- fern und nicht in Ihre dunklen Kanäle gehört. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Kollege Sharma, ich sehe diese Leistung nicht; bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – das tut mir leid. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wo ist denn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) deren Notar? Wir wollen deren Notar sehen! Der soll Auskunft geben!) Der Kollege Bartsch hat hier vorgetragen: Es war ein Fehler, die Mauer zu bauen; das war nicht demokratisch. – Schließlich und endlich: In Bezug auf die Entschädi- Meine Güte, was heißt das denn? gung der Opfer gab es Fortschritte, die die Große Koali- tion erreicht hat, zum Beispiel durch die Opferrente. Das (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]:Das habe kann aber noch nicht das letzte Wort sein. Wir müssen ich gar nicht gesagt! Haben Sie nicht zuge- auch zu einer Ehrenpension und zu einer Anerkennung hört?) von Verfolgungsschicksalen kommen. Das wäre eine Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29015

Wolfgang Wieland (A) Weiterentwicklung. Es kann nicht sein, dass es nur eine Gefahr, den SED-Staat nostalgisch zu verklären und sei- (C) bessere Haftentschädigung gibt, die auch noch von einer nen diktatorischen Charakter auszublenden. Bedürftigkeit abhängig ist. Das ist noch unzureichend. Ich habe die DDR-Wirklichkeit tagtäglich erlebt. Ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und habe mich in einem atheistischen Staat zum Christentum der FDP) bekannt. Deshalb weiß ich: Der SED-Staat und sein Ap- parat waren alles andere als harmlos. Die Debatte um die Es gibt viele Opfergruppen, zum Beispiel zwangsver- Aufar setzte Schüler und Zwangsumgesiedelte, die noch immer beitung der DDR-Geschichte darf sich nicht aus- schließlich auf die Rolle der Stasi fokussieren. auf eine entsprechende Entschädigung warten. Auch da kann es keinen Schlussstrich geben. Auch da sind wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- noch mitten in der Umgestaltung und dabei, das zu leis- neten der FDP) ten, was notwendig ist. Das MfS war ein konstitutives Herrschaftsinstrument (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- der SED, ihr „Schild und Schwert“. Die SED prägte die SES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. DDR: von der Gründung bis zum Untergang. Der Füh- Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]) rungsanspruch dieser Partei erstreckte sich auf alle Be- Abschließend ein Satz von , den er un- reiche von Staat und Gesellschaft. Die DDR war ihr mittelbar nach der friedlichen Revolution gesagt hat: Staat. Jeder SED-Kreissekretär war mächtiger als ein Nichts vergeben, nichts vergessen. – Das war sehr Kreisdienststellenleiter der Staatssicherheit. Vorsitzen- apodiktisch. Vergessen dürfen wir tatsächlich nicht. Das der der Bezirkseinsatzleitung war der erste Sekretär der Vergeben hängt davon ab, ob die Opfer dazu bereit sind. SED-Bezirksleitung. Für den Ernstfall waren Isolie- Nur sie können es. Das kann man nicht einfordern. rungslager für mehr als 84 000 unliebsame DDR-Bürger geplant. Mit den Vorbereitungen waren zwar MfS-Mitar- (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das kann beiter befasst. Sie erfüllten aber als Schild und Schwert man hier auch nicht beschließen!) der Partei nur einen Auftrag der SED. Die Bereitschaft der Opfer dazu setzt voraus, dass die Das wahre Ausmaß von Überwachung und Unterdrü- Täter Einsicht zeigen, und da, Freundinnen und Freunde, ckung wurde erst nach Öffnung der Archive allmählich müsst ihr noch ganz gewaltig wachsen. sichtbar. Noch längst sind nicht alle Fragen gestellt, ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schweige denn beantwortet. Insbesondere die Opfer des bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- Regimes haben einen Anspruch auf umfassende Aufklä- geordneten der SPD) rung. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur bleibt eine (B) notwendige Aufgabe. (D) Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, hat das Wort. Schließung oder Vernichtung der Akten würde wenig zum inneren Frieden beitragen, aber sehr viel zu einer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Verdrängung und Verharmlosung dieser Diktatur. neten der FDP) Die Geschichte der DDR ist auch die Geschichte der SED und ihrer Versuche, das Leben der Menschen bis Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident (Sachsen- weit in ihre Privatsphäre hinein zu kontrollieren und zu Anhalt): bestimmen. In diesem Zusammenhang ist zu Recht von Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren der DDR als einer „Erziehungsdiktatur“ gesprochen Abgeordnete! Wie wir gerade gehört haben, werden uns worden. Wer weiß das heute von den Heranwachsenden? die Debatten um den Charakter des SED-Staates und um Eine 2008 durchgeführte Befragung von Schülerinnen seine Hinterlassenschaften noch sehr lange beschäftigen. und Schülern aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Berlin Die untergegangene DDR hat tiefe Spuren hinterlassen. und hat gravierende Wissenslücken offen- Einen Schlussstrich kann und wird es nicht geben. bart. Je geringer das Wissen über die DDR war, desto (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) positiver wurde sie beurteilt. Deshalb ist Aufklärung wichtig. Sicherlich hat manch einer ein großes Interesse an ei- nem schnellen Vergessen. Wer mittel- oder unmittelbar (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- für den Überwachungs- und Unterdrückungsstaat Ver- neten der FDP) antwortung trug, stellt sich nicht gerne kritischen Fra- Deshalb sind Symbole, Gesten und Jahrestage wich- gen. Andere wiederum plädieren für ein Ende der Debat- tig. Unter ihnen hat der 17. Juni sein eigenes Gewicht ten, weil sie der Konfrontation mit dem Unbequemen und ausweichen wollen. seine eigene Symbolik. Deshalb sind Orte wichtig, die die Gegenwart der Vergangenheit deutlich machen. Bei aller Dringlichkeit unserer alltäglichen Aufgaben Wir müssen uns der Geschichte stellen, vorbehaltlos und dürfen wir die Vergangenheit nicht auf sich beruhen las- aufrichtig. Zur Aufrichtigkeit gehört vor allem, die Per- sen. Vergessen stiftet keinen dauerhaften Frieden. Die spektive der Opfer nicht auszublenden. Ihre Schicksale Errichtung der Stasiunterlagenbehörde war wichtig, und dürfen uns nicht gleichgültig sein oder gleichgültig wer- ihre Arbeit muss fortgesetzt werden. Sie schützt vor der den. 29016 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt) (A) Wie viele Menschen Opfer der SED-Diktatur wurden, drücklich recht: Diese Aufgabenstellung, dieses Thema (C) wissen wir bis heute nicht genau. Wir kennen nur unge- bedarf des Engagements und der Empathie. Im Gegen- fähre Zahlen. Was wir aber mit Sicherheit wissen: Die satz dazu steht das, was Herr Kurth hier abgeliefert hat. SED-Diktatur schreckte vor Mord nicht zurück. Sie ließ Es ist auf keinen Fall ein Thema, an das man als Eiferer Lebensentwürfe scheitern, stellte Identitäten infrage und mit einer selbstgerechten Haltung herangehen kann. Das zerstörte Beziehungen. war total daneben, Herr Kurth. Die Aufarbeitung dieser Diktatur schützt vor Legen- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) denbildung. Die DDR war keine Nischengesellschaft. Sie ließ keine autonomen Gesellschaftsmodelle zu. Die Das macht es unheimlich schwer, eine Linie fortzufüh- DDR war ein totalitärer Staat. Er kannte weder Gewal- ren, die seit 1989/90 in einem breiten Konsens in diesem tenteilung noch politischen Pluralismus. Die Macht der Haus immer wieder gefunden wird. Das erschweren Sie SED gründete auf Zwang und Gewalt. Das von der SED- durch eine derartige Haltung. Führung installierte und perfektionierte Grenzregime In der Sache selbst einen kleinen Hinweis: Da Sie versinnbildlichte die fehlende Legitimation des Staates dargelegt haben, unter Rot-Grün sei die Erinnerungspoli- und war Symbol für eine Menschen- und Freiheitsrechte tik erlahmt, gebe ich Ihnen nur das Stichwort „Gedenk- verachtende Politik. stättenkonzept“ oder erinnere an die Änderungen im Im Innern herrschte der Verdacht. Die SED misstraute Bundesvertriebenengesetz. Setzen Sie sich bitte einmal dem eigenen Volk. Nur mittels eines gigantischen Si- damit auseinander! Dann werden Sie zu anderen Ergeb- cherheitsapparates konnte die SED ihre Herrschaft auf- nissen kommen. rechterhalten. Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl Ich finde es ausgesprochen hilfreich, dass uns dieser sind Geschichte. Sie müssen aber einen Platz in unserer Bericht vorliegt. Er bietet eine sehr gute Gesamtschau. Erinnerungskultur behalten. Einen Schlussstrich darf es Problematisch ist es allerdings, wenn der Bericht den deshalb nicht geben. Eindruck erweckt, als sei die Aufarbeitung der SED-Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schichte als abgeschlossener Prozess zu bewerten. Ich leite das deshalb ab, weil der Bericht an einer Stelle Er wäre nämlich eine unverantwortliche Flucht aus der extrem schwächelt. Er enthält nämlich relativ wenige, Geschichte. Geschichte endet nicht mit einer neuen Ge- nahezu keine Empfehlungen und keinen Blick in die Zu- neration, und Unrecht bleibt Unrecht; es verjährt nicht. kunft, der deutlich macht, was zu tun ist. Da gibt es enor- Unsere Vergangenheit bürdet uns eine große Verant- men Handlungsbedarf. Gleichwohl ist sehr beeindru- wortung auf. Sie macht vor niemandem halt, weder vor ckend, wie viele Einrichtungen und Initiativen in Bund (B) der Erlebnisgeneration noch vor den später Geborenen; und Ländern sich der Aufarbeitung widmen. Doch die (D) denn neben die unmittelbare Zeitzeugenschaft tritt die Anzahl der Institutionen allein gibt keine Auskunft da- moralische. Sie erfordert Engagement und Empathie. rüber, ob unsere Gesellschaft das Erbe der DDR in all ih- Engagement und Empathie sind wir vor allem den Op- ren Facetten wirklich verarbeitet hat. Insofern bleibt die fern der SED-Diktatur schuldig, deren Schicksale wir Aufarbeitung des begangenen Unrechts eine fortwäh- immer wieder persönlich erleben. Wir sind es aber auch rende Aufgabe, die sich allein durch Zeitablauf auf kei- uns selbst und den kommenden Generationen schuldig; nen Fall erledigt. denn eine gemeinsame Zukunft lässt sich nicht auf Irrtü- Eine viel beachtete Studie des Forschungsverbundes mern, Legenden und Beschönigungen aufbauen. Ebenso „SED-Staat“ der Freien Universität Berlin hat unter dem wenig eignet sich politisch-historische Gleichgültigkeit Titel Später Sieg der Diktaturen? festgestellt, dass Schü- für eine gute Zukunftsgestaltung. Vergessen wir nicht: lerinnen und Schüler in ganz Deutschland insgesamt ein Wir alle tragen Verantwortung für unsere gesamte Ge- sehr geringes historisches und politisches Wissen haben. schichte. Wir haben die Pflicht, zu erinnern. Wir haben Das gilt gleichermaßen für die Geschichte der DDR wie die Pflicht, aus unserer Geschichte zu lernen, und wir ha- für die Geschichte des Nationalsozialismus. Insofern ben die Pflicht, dem Vergessen zu wehren. lautet die zentrale Frage: Wie kann es in Zukunft besser Herzlichen Dank. gelingen, Wissen und Erfahrungen so zu vermitteln, dass sie auch nachfolgenden Generationen präsent sind? Das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie erreicht man eben nicht allein durch große Aufarbei- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE tungsinstitutionen, sondern durch eine Fülle kleinteili- GRÜNEN und des Abg. Hans-Ulrich Klose ger, qualitativ guter Angebote im Bereich der politisch- [SPD]) historischen Bildung. Beispielhaft möchte ich an dieser Stelle die Bundesstiftung Aufarbeitung nennen, die Vizepräsidentin Petra Pau: deutschlandweit zahllose Ausstellungen, Konferenzen Das Wort hat der Kollege Siegmund Ehrmann für die und Veranstaltungen organisiert, unermüdlich Publika- SPD-Fraktion. tionen und Dokumentarfilme fördert und erstellt und auf (Beifall bei der SPD) diese Art und Weise zu einer intensiven Auseinanderset- zung mit den kommunistischen Diktaturen in Deutsch- land und in Europa anregt. Siegmund Ehrmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Herr Ministerpräsident Haseloff, ich gebe Ihnen aus- Das trifft zu! Gute Arbeit machen die!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29017

Siegmund Ehrmann (A) In diesem Zusammenhang möchte ich an die wichti- Wurde nach 1990 zunächst viel über die Repression (C) gen Vorarbeiten erinnern, die in einer Enquete-Kommis- und ihre Instrumente in der DDR-Diktatur diskutiert, sion in den Jahren 1992 bis 1997 geleistet wurden. Eine sind mittlerweile auch andere Aspekte der Aufarbeitung zentrale Forderung dieser Enquete-Kommission war wichtig geworden. Ich erwähne die Sabrow-Kommis- 1997, ebendiese Stiftung zu gründen und sie langfristig sion, deren Ergebnisse in dem vorliegenden Bericht mit der Auseinandersetzung mit den Folgen der DDR- überhaupt nicht erwähnt werden, obwohl sie eine sehr und SED-Diktatur zu beauftragen. grundlegende und wichtige Arbeit erbracht hat. Die Di- mensionen von Aufarbeitung – Alltag, Widerstand und Natürlich haben wir daneben weitere wichtige Institu- Opposition, Ideologie, Teilung und Grenze – sind viel- tionen. Sie sind hier genannt worden: die Bundeszentrale fältig. Aufarbeitung ist folglich deutlich mehr als nur die für politische Bildung und die jeweiligen Landeszentra- Beschäftigung mit der Stasi. Insofern erinnere ich noch len, aber auch der Bundesbeauftragte für die Stasiunter- einmal an die Bundesstiftung Aufarbeitung, die einen lagen. Überall wird gute Arbeit geleistet. Daneben dür- sehr breiten Auftrag hat, der weit über die Betrachtung fen wir allerdings die vielen kleinteiligen, ehrenamtlich der Stasiunterlagenbehörde hinausgeht. getragenen Einrichtungen im ganzen Land nicht verges- sen. Deren Engagement möchte ich an dieser Stelle aus- Ich habe beispielhaft zwei Bereiche von Aufarbeitung drücklich würdigen und anerkennen. genannt, die einer konzeptionellen Weiterentwicklung bedürfen. Zudem hängen damit auch Fragen der besse- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ren Vernetzung der Akteure und Einrichtungen, der wei- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des teren Professionalisierung und natürlich der Finanzie- Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ rung ihrer Aufgaben zusammen. Umso wichtiger ist es CSU]) deshalb – hier erinnere ich an die Einlassungen von Was es aber jetzt braucht, ist gewissermaßen ein Bo- Wolfgang Thierse –, dass wir eine nach vorne gerichtete xenstopp. Wir müssen danach fragen, wie wir all diese Debatte über die Zukunft und den Anspruch der Aufar- Akteure noch effektiver vernetzen und die Angebote beitung in Deutschland organisieren. vielleicht noch genauer aufeinander abstimmen können, Die im Gedenkstättenkonzept und im Koalitionsver- damit sie besser wirken. Darüber hinaus gibt es Finan- trag der schwarz-gelben Regierung verankerte Experten- zierungsprobleme. Gerade was die politische Bildung in kommission, die sich mit genau diesem Thema aus- den Schulen anbelangt, gibt es einen enormen Bedarf, einandersetzen soll, ist bis heute nicht realisiert. Das ist authentische Orte zu besuchen. Aber die Finanzierung angesprochen worden. Das fordern wir massiv ein. Ich solcher Aktivitäten leidet Not. Dabei fällt enorm ins Ge- hoffe, dass wir auf Grundlage eines solchen Diskurses wicht, dass gerade die Bundesstiftung Aufarbeitung auf- zu einer Neujustierung der Erinnerungspolitik, auch im (B) grund der aktuell niedrigen Zinsrate eine Schrumpfung (D) Zusammenhang mit dem SED-Staat, kommen. ihrer Projektmittel um rund 1,3 Millionen Euro erwarten muss. Hier wünschte ich mir seitens der Bundesregie- Herzlichen Dank. rung ein deutlicheres Bekenntnis, das aufzufangen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Einen weiteren Anhaltspunkt möchte ich nennen, wa- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE rum die Aufarbeitung eine fortwährende Aufgabe bleibt: GRÜNEN) der Umgang mit dem politischen Erbe der friedlichen Revolution von 1989. Diesen Umbruch habe ich persön- Vizepräsidentin Petra Pau: lich damals sehr intensiv beobachten und begleiten kön- nen aufgrund meiner Kontakte zu unserer Partnerge- Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert für die meinde in Falkenhagen in Brandenburg. Der unbändige FDP-Fraktion. Wille der Menschen, der aufgebracht wurde, um das Le- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ben und die neue Zeit zu gestalten und die Verfehlungen der CDU/CSU) des Systems und seiner Akteure offenzulegen, hat mich tief beeindruckt. Selbstverständlich geschah damals das Dr. Stefan Ruppert (FDP): eine oder andere überstürzt – eine Revolution kennt eben Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und keine Blaupause. Umso erfreulicher, beinahe wunder- Herren! Es gibt eine Debatte hier im Haus, die sozusa- sam ist es, dass ein Großteil der Akten des ehemaligen gen auf einer Ebene stattfindet. In dieser Debatte setzen Staatssicherheitsdienstes gesichert werden konnte. wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Aus diesem Gefühl von Aufbruch und Aufbrechen Die Linke auseinander. Dazu haben Herr Wieland, aber heraus hat sich eine Vielzahl von Vereinen und Initiati- auch andere Redner das Notwendige, wie ich finde, sehr ven entwickelt, die sich des historischen Erbes an au- treffend gesagt. Sie, liebe Kollegen von der Linken, ver- thentischen Orten, in Gedenkstätten und anderswo ange- passen leider eine Chance, wenn Sie in diese Debatten nommen haben. Aus den ganz aktuellen Protesten für immer diejenigen senden, die es durchaus schaffen, mit den Erhalt der East Side Gallery hier in Berlin spricht wohlabgewogenen Worten einen gewissen Eindruck zu auch eine Aneignung des politischen Erbes durch die erwecken – ich denke dabei an Herrn Sharma, den ich Bevölkerung. Zugleich wird aber auch deutlich, dass persönlich in der Tat für sehr glaubhaft halte, aber auch sich mit der Zeit die Bedürfnisse verändern und sich die an Herrn Bartsch, den viele hier im Hause schätzen –, Betrachtungsweisen des Erbes, also bestimmter Institu- während diejenigen, die sich immer wieder Punkten ih- tionen und Ereignisse, ein Stück weit wandeln. rer eigenen Vergangenheit nicht stellen, in diesen Debat- 29018 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Dr. Stefan Ruppert (A) ten nie ein öffentliches Bekenntnis zum Ausdruck brin- was glauben, aufgearbeitet worden. Dieses Dokument ist (C) gen, obwohl ihnen das Glaubwürdigkeit verschaffen so frappant und so beängstigend, dass man immer wie- würde. der daran erinnern muss. Es ist eine weitere Aufgabe von uns allen, auch in Zukunft in der Bundesrepublik (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Die kom- Deutschland das Verständnis für Unrecht im Kleinen wie men hier gar nicht her! Die sind gar nicht im im Großen nicht nur wissenschaftlich aufzuarbeiten, Plenum, Frau Wagenknecht, zum Beispiel!) sondern auch durch Pädagogik zu fördern. Ich gestehe: – Wo ist denn Frau Wagenknecht? Wo sind denn diejeni- Einzelne von Ihnen sind daran durchaus beteiligt. Leider gen, die Urheber der Zitate sind, die Herr Wieland den verpassen Sie regelmäßig die Chance einer Debatte wie Linken vorgehalten hat? Von ihnen hören wir in diesen der heutigen. Debatten leider nie irgendeinen Ton. Gesprochen haben Vielen Dank. vielmehr immer diejenigen, die durchaus eine gewisse Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Vergangenheit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie pflegen. Das war meine erste Bemerkung. bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Frak- Zweite Bemerkung. Herr Ehrmann, gerade weil ich tion Die Linke. Ihren Beitrag in vielen einzelnen Punkten sehr geschätzt habe: Wenn jemand, der in der ehemaligen DDR gelebt (Beifall bei der LINKEN) hat, über ein solches Thema redet, ist die Herangehens- weise natürlich anders, als wenn Sie oder ich als Mensch Stefan Liebich (DIE LINKE): aus Westdeutschland es tun. Es ist für mich immer sehr Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! glaubwürdig, wenn ich jemanden wie Herrn Kurth hier Der Alterspräsident des 13. Deutschen Bundestages, reden höre, der einfach aus eigener Erfahrung berichtet Stefan Heym, dessen 100. Geburtstag wir in wenigen Ta- hat. Reden von Menschen mit einem entsprechenden fa- gen begehen, schrieb in seinem Buch 5 Tage im Juni: miliären Hintergrund, Reden von Menschen, die die Art und Weise kennen, wie man mit Christen umgegangen (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist, mit Personen, die einen Glauben hatten, Reden von NEN]: Der ist nur im Westen veröffentlicht! Menschen, die erfahren mussten, dass es die Trennung Das sollte man nicht vergessen!) zwischen Privatem und Öffentlichem in einem solchen Die Arbeiterklasse, sagen wir, sei die führende Unrechtsstaat eben nicht gegeben hat, sind – das gehört (B) Klasse und die Partei die führende Kraft der Klasse. (D) zur Aufarbeitung der Geschichte – von anderer Emotio- Offensichtlich muß es Menschen geben, die stell- nalität geprägt, als wenn wir beide darüber reden. Ich vertretend auftreten für die führende Klasse und de- glaube, wir erleben hier kein Eiferertum, sondern ein- ren führende Kraft. Aber wer verhindert, daß sie, fach eine andere Form des Umgangs mit der Vergangen- stellvertretend, nur noch sich selbst vertreten? heit. Dieses Buch von Stefan Heym wurde 1965 in der (Beifall bei der FDP) DDR von Erich Honecker kritisiert und durfte bis zum Ich will zwei weitere Punkte nennen: Ende der DDR dort nicht erscheinen. Erster Punkt. Herr Bartsch hat sich hier zur frühen Ich finde es gut, dass wir uns heute mit der Vergan- DDR geäußert. Ich erinnere mich an Abende mit unse- genheit eines Teils unseres Landes befassen. Und natür- rem verstorbenen Kollegen Wolfgang Mischnick, in de- lich richten sich in dieser Debatte viele Augen auf unsere nen er über die frühen Jahre der DDR geredet hat. Ich er- Fraktion – wie könnte es anders sein. Ich verstehe das. innere mich auch an Gespräche mit Wolfgang Knoll. Unsere Partei Die Linke ist Rechtsnachfolgerin der PDS, Auch in der Sozialdemokratie und in der Christdemokra- und diese ist aus der SED hervorgegangen. tie gibt es Menschen, die in Dresden und andernorts leb- (Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident [Sach- ten und die DDR aus Angst, politisch verfolgt zu wer- sen-Anhalt]: Umbenannt!) den, schon in den allerersten Jahren verlassen haben. Insofern ist Ihr Versuch, Verständnis für den Anfang der Wir leugnen das nicht. Wir sind vor unserer Vergangen- DDR zu wecken, glaube ich, zutiefst misslungen. heit nicht einfach davongelaufen, und wir tun das auch heute nicht. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Habe ich nicht gesagt! Historisch einordnen! Nicht Ver- (Beifall bei der LINKEN) ständnis: historisch einordnen!) Der Vorwurf allerdings, wir würden uns mit unserer Zweiter und letzter Punkt. Mir ist wieder deutlich ge- Vergangenheit nicht auseinandersetzen, ist nun wirklich worden, dass es nicht nur um die großen Themen gehen nachweisbar falsch. kann. Ich habe neulich das Buch von Inga Markovits Ge- (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Eben rechtigkeit in Lüritz gelesen. Darin sind einfach einmal nicht!) die Akten eines Gerichts in der ehemaligen DDR, die alltäglichen Fragen des Umgangs mit Gerechtigkeit, bei- In unserem Parteiprogramm, das wir im Oktober 2011 spielsweise mit dem Christentum, mit Menschen, die et- beschlossen haben, heißt es: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29019

Stefan Liebich (A) Ein Sozialismusversuch, der nicht von der großen Blick zurück wichtig und schätzen wir die Arbeit jener, (C) Mehrheit des Volkes demokratisch gestaltet, son- die hierzu ernsthaft forschen, dokumentieren und infor- dern von einer Staats- und Parteiführung autoritär mieren. gesteuert wird, muss früher oder später scheitern. Sehr geehrte Damen und Herren, der Bericht, über Ohne Demokratie kein Sozialismus. den wir hier sprechen, enthält allerdings auch Leerstel- (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Wieland len. Über die Blockparteien der DDR erfährt man, an- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll rei- ders als über die Rolle der SED, die sehr ausführlich dar- chen?) gestellt wird, fast nichts. Deshalb formulierten die Mitglieder der SED/PDS (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sie haben …: „Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinis- doch diese Partei daraus gemacht!) mus als System.“ Richtig ist, Herr Kauder, dass die SED die führende (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rolle in der DDR innehatte; falsch ist hingegen die An- NEN]: Aber Sie tun es nicht!) nahme, dass es sich bei der CDU der DDR und der De- mokratischen Bauernpartei der DDR, mit der sich die Dieser Bruch mit dem Stalinismus gilt für DIE CDU am 2. Oktober 1990 vereinigt hat, oder bei der LINKE ebenso. LDPD und der NDPD der DDR, Herr Kurth, mit denen (Beifall bei der LINKEN – Cornelia Behm sich die FDP vereinigt hat, um Oppositionsbewegungen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie tun handelte. Das ist falsch. es doch nicht!) (Beifall bei der LINKEN und bei der SPD – So weit unser Grundsatzprogramm. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sie haben die Leute erschossen! 19-Jährige haben sie er- Ja, unsere Partei kommt aus der SED. Aber eines muss schossen! Das kann ja wohl nicht wahr sein, auch gesagt werden, Herr Wieland, Herr Kurth: Wir sind was Sie hier abliefern! Ihre Vorgänger haben nicht mehr die SED. Über 90 Prozent der SED-Mitglieder die Leute erschossen und guillotiniert!) haben die Partei bereits 1989/90 verlassen. Und schon damals kamen neue hinzu: Halina Wawzyniak, Angela Alle vier Parteien – Herr Ministerpräsident Haseloff, Marquardt oder auch ich selbst seien hier erwähnt. ich möchte es an dieser Stelle sagen – waren bis zum bit- teren Ende der DDR 1990 mit 208 von 500 Abgeordne- Und auch wenn es eher die Ausnahme als die Regel ten in der Volkskammer vertreten. Alle Parteien, Herr war – ich will es an dieser Stelle erwähnen –: Auch Ver- Haseloff – Sie sind 1976 der Ost-CDU beigetreten, als (B) treter der DDR-Opposition stritten seit der Wende an un- ich vier Jahre alt war –, (D) serer Seite, (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Was ist mit dem Vermögen der SED passiert?) stellten bis zum Schluss Minister in der DDR – ganz am Schluss die Minister für Umwelt, Post und Justiz. Inso- Marion Seelig zum Beispiel, unsere langjährige Abge- fern möchte ich Roland Jahn recht geben, der sagte, die ordnete im Abgeordnetenhaus von Berlin, deren Tod wir Union könnte mehr zur Erforschung ihrer Vergangen- erst kürzlich beklagen mussten. Herr Wieland, Ihre Rede heit, der DDR-Blockpartei CDU, beitragen. war deshalb für mich so erstaunlich, weil Sie es besser wissen. (Beifall bei der LINKEN und der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist eine (Beifall bei der LINKEN – Gunther Nebelkerze!) Krichbaum [CDU/CSU]: Offene Worte zum Vermögen der SED!) Apropos Roland Jahn: Wir sind natürlich dafür, dass die Einsicht in die Akten des ehemaligen Ministeriums Sie, Herr Wieland, haben mit Marion Seelig viele Jahre für Staatssicherheit gewährleistet bleibt. Unter welchem im Abgeordnetenhaus von Berlin im Innenausschuss zu- Namensschild dies passiert, ist hierbei nicht das Ent- sammengearbeitet. Sie wissen ganz genau, welche De- scheidende. batten Marion Seelig bei uns in der Partei und in der Fraktion angestoßen hat. Trotzdem bauen Sie hier so ei- Sehr geehrte Damen und Herren, wir Linke ducken nen Pappkameraden auf. uns vor den Debatten über die Vergangenheit nicht weg, (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Doch! Das (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Wieland machen Sie doch gerade! Sie relativieren! Das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sagen ist doch Geschichtsrelativismus!) doch selber: eine Außenseiterin! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Pappkameraden?) auch wenn Sie hier wider besseres Wissen immer wieder etwas anderes behaupten. Der Sozialismus, für den wir Marion Seelig hat in der DDR in der „Kirche von Un- streiten, der liegt nicht hinter uns, der liegt vor uns. Und ten“ gearbeitet und war Teilnehmerin am Zentralen Run- es kann nur ein demokratischer Sozialismus sein. den Tisch. Sie war sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik eine wirkliche Bürgerrechtlerin – ohne (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- das heute so gern verwendete „ehemalig“ davor. Aber neten der SPD – Burkhardt Müller-Sönksen nicht nur wegen Menschen wie Marion Seelig ist uns der [FDP]: Gott sei Dank nicht!) 29020 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: SPD agiert mittlerweile sehr obsessiv, wenn es um die (C) Das Wort hat der Kollege Michael Frieser für die Frage der Kritik geht – um ein Kompendium handelt, in Unionsfraktion. dem wirklich ein kollektiver Bewusstwerdungsprozess deutlich wird. Auf der einen Seite handelt es sich um (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) eine Chronik; es wird ein chronologischer Fortgang be- schrieben. Auf der anderen Seite handelt es sich um ei- Michael Frieser (CDU/CSU): nen Katalog des politisch Möglichen und des politisch Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Machbaren. Wir wissen, dass die Beispiele aus der Pra- Es ist nicht ganz einfach, nach so einem Ausfall an das xis die Voraussetzung dafür sind, dass ein Gesamtpro- Rednerpult zu treten. Ich will mich auch nicht an dieser zess in der Bundesrepublik stattfinden kann, in dem die Art von Geschichtsklitterung beteiligen. Aufarbeitung das Wesentliche ist. Es handelt sich um ei- (Beifall des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen nen gesamtgesellschaftlichen Prozess, und genau das [FDP]) bildet dieser Bericht ab. Ich habe an der Stelle nämlich den Eindruck, dass Unbe- Wie schon zu Recht betont wurde, ist eine Aufarbei- lehrbarkeit herrscht. Eine Unterrichtung durch die Bun- tung weder allein durch den Staat möglich, noch ist sie desregierung sollte man eigentlich als Unterricht nutzen, zu verordnen. statt sich hier hinzustellen und zu sagen – Sie wissen es (Dr. h. c. Wolfgang Thierse [SPD]: Richtig!) doch besser als jeder andere in diesem Raum; ich meine da auch die Kollegen aus der CDU/CSU und der FDP –, Wir brauchen die Menschen, und wir brauchen die Be- dass erst dieses System eigentlich demokratische Par- reitschaft der Menschen, diesen Weg mitzugehen. teien zu seinem Bestandteil gemacht hat, indem sie un- terwandert und missbraucht wurden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall des Abg. Holger Krestel [FDP] – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Freiwillig!) Deshalb ist es ganz wichtig, dass die Opferverbände, UOKG natürlich, Forschung und Lehre in die Darstel- Das als Argument in die Debatte einzuführen, ist eigent- lung eingebunden wurden. Auch die Gedenkstättenkon- lich pure kommunistische Dialektik. zeption wird angesprochen. Dass Politik, Verwaltung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und Enquete-Kommissionen dafür den Boden bereiten, die Rahmenbedingungen setzen, ist das eigentlich Ent- Das sollten Sie besser wissen. Das entbehrt auch jeder scheidende, das Wesentliche. Grundlage. (B) Die CDU/CSU hat ihren Beitrag geleistet und ihren (D) Und, Herr Liebich, in dieser Art und Weise mit dem Stempel mit aufgedrückt bei all den Entscheidungen, die Wort „Pappkamerad“ zu operieren – getroffen wurden, etwa zum Stasi-Unterlagen-Gesetz, (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: zur Opferrente und zur Stiftung zur Aufarbeitung der Unglaublich!) SED-Diktatur. Kollege Wieland, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze; So exzeptionell der Vorgang einer friedlichen, gewalt- ich nehme Sie da auch in Schutz –, zeigt, wes Geistes freien Revolution und des damit einhergehenden Um- Kind Sie sind, bruchs war, so dramatisch ist natürlich auch die Aus- einandersetzung über das Ungewöhnliche dieses Weges. (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Da ist das Wort „Schießbefehl“ sehr nahe!) Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich als Jugend- licher an der S-Bahn-Station Friedrichstraße am Grenz- wenn es um die Art und Weise der Auseinandersetzung übergang stand, nur einen Steinwurf von hier entfernt, geht. mit dem Gefühl der Überwachung im Genick, der greif- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und baren Pression. Deshalb verletzt es mich fast, wenn ich der FDP) lesen, erfahren und feststellen muss, dass sich gerade junge Leute in einer erschreckenden Art und Weise Wer wie die Linke in der Tradition der PDS und der SED durch Nichtwissen auszeichnen. steht und die Verantwortung für Tod und Stacheldraht und Mauer hat, der sollte sich nicht hinstellen und ande- Meine sehr verehrten Damen und Herren, Nichtwis- ren, die kritisieren, das Wort „Pappkamerad“ vorhalten. sen führt immer zu „nicht wissen“: nicht wissen, wie Ich glaube, da wäre eine Entschuldigung notwendig. man mit Menschen umgeht, nicht wissen, wie man Pro- bleme angeht, nicht wissen, wie man anderen gegen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) übertritt, um Probleme aus dem Weg zu schaffen, wie Herr Staatsminister, was untergeht, ist die Auseinan- man andere, die Leid und Unrecht erfahren haben, um dersetzung über die Unterrichtung durch die Bundes- Vergebung bitten kann. Das ist etwas, was tatsächlich regierung. Der Bericht ist eine Bestandsaufnahme; zu- fehlt. Das ist der Grund für die Ausbildung von Ostalgie. gleich geht er weit darüber hinaus. Ich bedanke mich für Die Zahl der Besucher in Hohenschönhausen aus den al- die CSU innerhalb der CDU/CSU herzlich für diesen ten Bundesländern: gigantisch; aus den neuen Bundes- Bericht. Ich will deutlich machen, dass es sich bei die- ländern: besorgniserregend. Darauf sollten und müssen sem Bericht – manchmal habe ich den Eindruck: die wir achten. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29021

Michael Frieser (A) Als Integrationsbeauftragter meiner Fraktion wün- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C) sche ich mir, dass diese Aufarbeitung im demokratischen Prozess auch dazu führt, dass – ich sage einmal – demo- Vizepräsidentin Petra Pau: kratische Wurzeln von Menschen mit Migrationshinter- Das Wort hat der Kollege Burkhardt Müller-Sönksen grund gestärkt werden, die oftmals selber in ihrer Bio- für die FDP-Fraktion. grafie Unrecht und Willkür eines Landes, eines Staates erlebt haben. Diese Unterrichtung kann ein beispielge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten bender Anlass sein, den Menschen deutlich zu machen, der CDU/CSU) dass man auch so damit umgehen kann. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herr Bartsch, ich muss auch deutlich sagen, dass es Herren! In der Tagesordnung steht: Stand der Aufarbei- nicht angeht, dass man sich unter Berufung auf die Tat- tung der SED-Diktatur. Ich glaube, sagen zu dürfen, dass sache, dass Unrecht in sich nicht vergleichbar ist, bei diese Debatte leider zeigt – insbesondere die Debatten- diesem Thema immer wieder vom Acker macht. Die Be- beiträge der Linken –, dass wir dabei noch am Anfang zugnahme auf die Diktaturen des 20. Jahrhunderts ist sind. Das haben Sie sehr klar dargestellt. Es reicht kein immer schwierig, dieser Weg führt nur ganz selten zum Lippenbekenntnis eines Bundesparteitages, dass Sie sich Erfolg, weil er entweder das Unrecht des einen relati- von der Vergangenheit abwenden. Das ist ein Prozess viert oder das Unrecht des anderen bagatellisiert. Dieje- und kein einzelner Beschluss, lieber Herr Bartsch. nigen, die Verantwortung tragen, müssen aber deutlich (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten machen, dass man mit diesen Folgen leben muss. Es der CDU/CSU – Dr. Dietmar Bartsch [DIE wäre jedoch aberwitzig, wenn man Fehler, die bei der LINKE]: Das ist aber eine ganz schlaue Er- Aufarbeitung dieser Phase des 20. Jahrhunderts began- kenntnis! Darauf sind wir nicht gekommen! gen wurden, erneut machen würde. Deshalb sage ich an Ganz schön schlau!) dieser Stelle: Es war nach dem Zweiten Weltkrieg ein re- volutionärer Akt, die Wiege eines modernen Völker- Die Zeit der deutschen Teilung ist Teil des kollektiven strafrechtes aus den Nürnberger Prinzipien zu entwi- Gedächtnisses unserer Republik. Auch wenn sich der ckeln. Jetzt könnten wir genauso beispielgebend für die Fall der Mauer in diesem Jahr zum 24. Mal jährt, sind Welt sein. Der Prozess der Aufarbeitung könnte auch für wir mit der Aufarbeitung nicht am Ende. Ganz im Ge- andere beispielgebend sein. genteil. Wir sind noch mittendrin, wie diese Diskussion zeigt. Am 12. Juni 1987 sagte der US-Präsident Ronald (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Reagan: „Mister Gorbatschow, tear down this wall!“ (B) (D) 26 Jahre später, am letzten Sonntag, steht wieder ein Wenn Hohenschönhausen einlädt, dann kommen Amerikaner am Rest der Berliner Mauer und wirbt aus 120 Botschafter. Ein Projekt mit Tunesien ist bereits an- meiner Sicht zu Recht: Das letzte Stück der Mauer sollte gestoßen. Das kann etwas sein. Das verhindern Sie, unantastbar sein, damit wir daran erinnert werden. – Die wenn Sie engstirnig immer sagen, es dürfe doch um Geschichte der deutschen Teilung bewegt nicht nur uns, Gottes Willen nichts relativiert werden. Wenn Sie sich sondern auch weltweit, wie wir sehen, die Menschen. der Aufarbeitung stellen, wären wir in der Lage, ein Bei- spiel zu geben und den Menschen, statt ihnen den Weg Im damaligen Westen waren rund 40 000 Personen zu verstellen, eine Perspektive zu eröffnen. über die Jahre für die Stasi tätig. Vielen von ihnen waren Bürgerinnen und Bürger der BRD, die keinem sozialen Bedeutend in diesem Aufarbeitungsprozess ist immer Druck ausgesetzt waren; sie haben aus freien Stücken die Absicht, dass man den Menschen, denen Unrecht mit der Stasi kooperiert. und Leid geschah und die heute noch daran leiden, eine Perspektive gibt, aber auch denjenigen, die am Unrecht (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sehr richtig!) beteiligt waren. Das ist die Grundlage für ein Zusam- Viel zu lange wurde die Aufarbeitung der SED-Diktatur menleben, für ein gedeihliches Morgen, für ein Mitei- im öffentlichen Bewusstsein nur als ostdeutsche Auf- nander in einem demokratischen Staat. Wer immer das gabe begriffen. Es ist endlich an der Zeit, den Blick zu Klischee der Siegerjustiz bedient, wird nichts anderes er- weiten und auch die gesamtdeutsche Dimension in den reichen als eine Blockade im Kopf, eine Blockade in den Vordergrund zu stellen. Herzen, die die Menschen voneinander fern hält, sie aber nicht aufeinander zubewegt. Das sollten Sie bei der Ge- (Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen schichte Ihrer Partei überdenken. [Bönstrup] [CDU/CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) So haben auch westdeutsche Unternehmen Waren im Strafvollzug der DDR fertigen lassen, ohne sich ausrei- Auch ich glaube, dass Aufarbeitung immer ein chend über die Arbeitsbedingungen informiert zu haben. schwieriger und schmerzvoller Prozess ist. Das liegt im Teilweise wurde sogar auf die Zwangsarbeit politischer Wesen der Dinge. Dass dieser Prozess aber möglich ist, Häftlinge zurückgegriffen. Auch bei diesem Thema ste- zeigt die vorliegende Unterrichtung durch die Bundes- hen wir erst am Anfang. Tiefergehende Forschung ist regierung. Deshalb, Herr Staatsminister, vielen herzli- notwendig, um die Zusammenhänge aufzudecken. Wir chen Dank dafür, dass hier Unterrichtung zum Unterricht sind es den Opfern, den Häftlingen schuldig, dass dieses in Geschichte wird. Thema nicht vergessen wird. 29022 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Burkhardt Müller-Sönksen (A) Für uns ist der Bericht der Bundesregierung keines- ausgerechnet in den Kreisen, in denen man ein für alle (C) falls eine abschließende Bilanz. Die Arbeit der Aufarbei- Mal mit solchen Dingen Schluss machen wollte, ein tungsinstitutionen wird sich in den nächsten Jahren Massenmörder wie Mao Zedong, eines der schlimmsten weiterentwickeln, um den Anforderungen einer Gesell- Ungeheuer der neueren Menschheitsgeschichte, schaft, in der immer mehr Bürgerinnen und Bürger auf- (Zurufe von der LINKEN) grund ihres Alters keine eigenen Erfahrungen mehr mit der deutschen Teilung haben, gerecht zu werden. zum Idol einer ganzen Jugendbewegung werden konnte. Das verstehe ich bis heute nicht. Um die junge Generation zu erreichen, braucht es Zeit- zeugenarbeit, authentische Erinnerungsorte und – dies ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mir besonders wichtig – einen offenen und ehrlichen Die Frage muss beantwortet werden. Man muss meines Umgang mit unserem eigenen Handeln in der Zeit der Erachtens auch einmal aufarbeiten, warum eine ganze deutschen Teilung. Neue Formen der Vermittlung sind Reihe von Menschen aus Ihren Kreisen dieses Idol auf- notwendig. Daher ist in meinen Augen die Idee eines gebaut hat. Auch das gehört dazu. Campus der Demokratie – oder wie immer man es nen- nen möchte –, in dem Archiv, Forschung und Bildung (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten unter einem Dach zusammenkommen, besonders zu- der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜND- kunftsweisend. Wir unterstützen dieses Projekt. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig richtig!) Abschließend möchte ich sagen: Lieber Herr Zweitens. Verehrter Herr Ehrmann, ich habe Ihnen Ehrmann, Konsens bei diesem Thema: „Ja, sehr gerne“, aufmerksam zugehört. Ich muss sagen: Ich fasse es aber Konsenssoße mit der Linken: „Nein!“ Es wäre mir nicht, wie es möglich sein kann, dass Sie, der Sie das lieber gewesen, Sie hätten sich den Ausführungen der Glück hatten, die DDR nicht am eigenen Leibe erleben Grünen angeschlossen, anstatt sich sehr kleinlich an zu müssen, heute zum Kollegen Kurth sagen, er sei hier Herrn Kurth abzuarbeiten. selbstgerecht aufgetreten, obwohl er im Grunde nur von seinen Erlebnissen berichtet hat und dabei selbstver- Vielen Dank. ständlich etwas leidenschaftlich und temperamentvoll (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) geworden ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Vizepräsidentin Petra Pau: Siegmund Ehrmann [SPD]: Wenn es so gewe- Das Wort hat der Kollege Arnold Vaatz für die sen wäre!) Unionsfraktion. Wissen Sie, wenn Sie sich in dieser Art und Weise als (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Besserwisser von außen hinstellen, werden Sie in Ost- deutschland, jedenfalls unter denjenigen, die die DDR- Arnold Vaatz (CDU/CSU): Diktatur abgelehnt haben, niemals Akzeptanz finden; Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und das ist der Punkt. Herren! Zunächst einmal danke ich dem Ältestenrat da- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) für, dass er diese Debatte heute in die Kernzeit gelegt hat. Dort gehört sie hin. Meine Damen und Herren, hauptsächlich muss ich mich natürlich mit den Beiträgen der Linken befassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Na klar! Was GRÜNEN) sonst? Damit sind Sie beim Thema!) Ich danke auch dem Vorsitzenden meiner Fraktion, – Selbstverständlich. – Herr Bartsch, Sie haben so ein- Volker Kauder. Er ist der einzige Fraktionsvorsitzende, drucksvoll gesagt, dass Sie eine Delegitimierung der der dieser Debatte von Anfang bis Ende beiwohnt. DDR ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Ute Vogt [SPD]: Ich (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Herr Vaatz, würde den Mund nicht so voll nehmen!) ich habe gesagt: „von Anfang an“!) Als Abschlussredner ist es an mir, ein Stück weit auf Ich sage für mich und für meine Fraktion: Wir haben meine Vorredner einzugehen. Das will ich gerne tun. niemals, zu keinem Zeitpunkt, die Legitimitätsbeteue- rungen der DDR akzeptiert. Als Erstes zu Ihnen, lieber Herr Wieland: Sie haben mir mit jedem Satz, den Sie hier gesagt haben, aus dem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- Herzen gesprochen; ruf des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) – Ich gehe auf alle Vorwürfe ein. Sie können sich Ihre Zwischenrufe sparen. das wird Sie nicht überraschen. Aber vielleicht erlauben Sie mir eine Frage. Denn es gibt eine Sache, die ich noch (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nein! Wir nicht verstehen kann, nämlich wie angesichts der sind jetzt hier, wo man das machen darf! Es ist schrecklichen Geschichte, die seit Hitler auf Deutsch- nicht mehr wie früher! Das ist anders gewor- land lastet, ausgerechnet in der westdeutschen Linken, den!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29023

Arnold Vaatz (A) – Ja, dürfen können Sie alles, aber Sie können es sich Es ist nicht so, dass die CDU die SED gleichgeschaltet (C) auch sparen, wenn Sie wollen. Das ist Ihnen anheimge- hat, sondern die SED hat die CDU vergewaltigt und ka- stellt. puttgemacht. Das war das Ziel. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Genau so ist das! Mord und Totschlag!) Herr Wieland hat eben den entscheidenden Satz von Ulbrich genannt: Es muss alles schön demokratisch aus- Das ist das, was Sie unter Demokratie verstehen. sehen, aber wir müssen alles in der Hand haben. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie aus dem Buch Die Revolution entlässt ihre Kinder von bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Wolfgang Leonhard. Hinter diesem Satz verbirgt sich: GRÜNEN) Man nutzt die Demokratie, um sie abzuschaffen. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ja, ein- Vizepräsidentin Petra Pau: verstanden! – Wolfgang Wieland [BÜND- Kollege Vaatz, gestatten Sie eine Bemerkung oder NIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat mit der Linkspar- eine Frage des Kollegen Thierse? tei nichts zu tun! – Weitere Zurufe von der LINKEN: Hat mit uns doch nichts zu tun!) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Das war von der ersten Minute an die Kernbestrebung Nein. der DDR. (Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oi! – Sie haben gesagt, wir sollen vor unserer eigenen Tür Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Angsthase! – kehren. Die CDU, die LDPD etc. seien alles Blockpar- Gegenruf des Abg. Michael Frieser [CDU/ teien gewesen, sie hätten das Lied der DDR gesungen CSU]: Das Niveau war schon so erschreckend! usw. Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Es ist richtig, dass Dann kann es nicht besser werden!) der Befehl Nr. 2 der Sowjetischen Militäradministration – Ich will noch gerne ein paar Bemerkungen machen. vom 1. Juli 1945 gelautet hat, die alten bürgerlichen Par- teien wiederherzustellen. Es gab Personen, die dieser Lieber Herr Bartsch, Sie haben uns bezichtigt, wir Einladung gefolgt sind und das geglaubt haben. wollten die DDR und das Hitler-Regime gleichsetzen. Ich muss Sie auf eine Sache aufmerksam machen: Die Einer derjenigen, die den Gründungsaufruf der CDU DDR und das Hitler-Regime gleichzusetzen hat hier nie- unterschrieben haben, war Andreas Hermes; zu Hitlers mals, in keiner Sekunde, jemand versucht. (B) Zeiten zum Tode verurteilt, da vom Widerstand als (D) Landwirtschaftsminister auserkoren. Dieser Mann stellte (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Im Be- sich an die Spitze der CDU. Wissen Sie wie lange? Ein richt! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Jahr! Dann kam die sowjetische Besatzungsmacht in Doch!) Kumpanei mit der SED und hat ihn erst einmal abge- Allerdings gibt es das Recht auf Vergleich mit dem Ziel, setzt. Dann kamen Jakob Kaiser und Ernst Lemmer. Wie Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen beiden lange haben sie die CDU geführt? Zwei Jahre! Dann pas- herauszuarbeiten. sierte dasselbe. So hat die SED nicht locker gelassen, bis die CDU gleichgeschaltet war. Die CDU ist Opfer und Sie fragen sich, weshalb die DDR über lange Jahre re- nicht Täter gewesen. lativ ruhig überlebt hat, weshalb die Menschen das im- mer akzeptiert haben, sich jedenfalls den Anschein gege- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ben haben. Eine Möglichkeit, um das herauszufinden, ist neten der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: in diesem Zusammenhang beispielsweise, einen Ver- Und mit der haben Sie sich vereint! Mit der gleich mit Norwegen anzustellen. Ich weiß nicht, ob Ih- gleichgeschalteten CDU! – Dr. Dietmar Bartsch nen der Name Vidkun Quisling bekannt ist. Dieser Mann [DIE LINKE]: Die musste man dann doch hat bestimmt nicht dieselben Verbrechen wie Hitler be- nicht übernehmen! Keine Vereinigung!) gangen, man kann ihn nicht mit Hitler gleichsetzen – um Gottes Willen. Aber das Schreckensregime, das er in Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Ich habe 1990 Norwegen aufgebaut hat, konnte auf dem Abschre- auch gedacht: Diese CDU ist viel zu nahe an der SED, ckungspotenzial, das Hitler in Deutschland errichtet hier muss wirklich etwas verändert werden. Nachdem hatte, aufbauen. ich in die CDU eingetreten bin, habe ich allerdings die Schicksale derjenigen kennengelernt, die 1945 in dieser Oder lesen Sie das Buch von Jörg Baberowski Ver- CDU gelandet sind und über diese ganze Zeit versucht brannte Erde über den Stalinismus in der Sowjetunion. haben, ihre Existenz zu retten. Da lesen Sie, dass vor dem Krieg Quoten festgelegt wur- den, wie viele Menschen ein Parteisekretär in seiner Re- (Zuruf des Abg. Sönke Rix [SPD]) gion umbringen muss. Diese Praxis ist damals auch in Sie mussten aber mit ansehen, wie die CDU von oben Deutschland nicht verborgen geblieben. Wer als Ausläu- herab umgekrempelt wurde, und zwar von Ihnen. fer eines solchen Terrorregimes regiert, der verschafft sich selbstverständlich Respekt, aber nicht mit demokra- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – tischen Mitteln, sondern mit Angst und Schrecken. Und Zurufe von der LINKEN) das hat die SED gemacht. 29024 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Arnold Vaatz (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie ordneten Nicole Bracht-Bendt, Miriam Gruß, (C) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP GRÜNEN) Entgeltgleichheit für Frauen und Männer ver- Meine Damen und Herren, es wäre noch viel zu sa- wirklichen – Familienfreundliche Unterneh- gen, aber ich muss leider abbrechen. Zuvor, Frau Präsi- men als Beitrag zur Gleichstellung der Ge- dentin, muss ich noch eine Kritik loswerden. Die betrifft schlechter im Grunde das ganze Haus. Die Aufarbeitung der DDR- – Drucksachen 17/12483, 17/12782 – Vergangenheit darf sich nicht nur auf die Dimension der Menschenrechte und auf die Dimension der Vergewalti- Berichterstattung: gung der Demokratie beschränken. Wir haben noch Abgeordnete Nadine Schön (St. Wendel) mehr aufzuarbeiten, so zum Beispiel das ganze Kapitel Christel Humme des wirtschaftlichen Versagens, der Planwirtschaft. Denn Nicole Bracht-Bendt wir sind – das befürchte ich – in einigen Punkten genau Cornelia Möhring auf dem Weg, auf dem die DDR gescheitert ist. Monika Lazar (Beifall bei Abgeordneten der FDP) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Deshalb lohnt auch die Aufarbeitung des wirtschaftli- (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- chen Versagens der DDR. ten Renate Künast, Beate Müller-Gemmeke, Ekin (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN]: Ihre Regierung auf dem Weg Frauen verdienen mehr – Entgeltdiskriminie- zur Planwirtschaft! – Christian Lange [Back- rung von Frauen verhindern nang] [SPD]: Das war aber eine steile These zum Schluss!) – Drucksachen 17/8897, 17/12575 – Berichterstattung: Vizepräsidentin Petra Pau: Abgeordneter Paul Lehrieder Ich schließe die Aussprache. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich Drucksache 17/12115 an die in der Tagesordnung aufge- höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- (B) verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung (Unruhe) (D) so beschlossen. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der fol- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 c auf: genden Beratung nicht teilnehmen können, ihre Gesprä- che doch bitte außerhalb des Plenums zu führen, damit a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- ich die Aussprache eröffnen kann. neten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Josip Juratovic, weiteren Abgeordneten und der Ich eröffne die Aussprache. Für die Unionsfraktion Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines hat die Kollegin Nadine Schön das Wort. Gesetzes zur Durchsetzung des Entgeltgleich- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- heitsgebotes für Frauen und Männer (Entgelt- neten der FDP) gleichheitsgesetz) – Drucksache 17/9781 – Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Kollegen! Gestern, am 21. März, haben wieder zahlrei- ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend che Frauen und Männer am Brandenburger Tor eine (13. Ausschuss) Kundgebung abgehalten. Eine Kundgebung, die dazu – Drucksache 17/12782 – diente, auf den nach wie vor vorhandenen Entgeltunter- schied zwischen Männern und Frauen aufmerksam zu Berichterstattung: machen. Dieser beträgt 22 Prozent. Wenn man die Teile Abgeordnete Nadine Schön (St. Wendel) wegrechnet, die zu erklären sind, dann kommt man auf Christel Humme Werte zwischen 2 Prozent und 7 Prozent. Nicole Bracht-Bendt Cornelia Möhring Auch unsere Partei hat sich an dieser Kundgebung be- Monika Lazar teiligt. Ich will mich herzlich bei allen bedanken, die gestern, aber auch schon in den Tagen und Wochen zu- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- vor in ganz Deutschland auf diese Entgeltunterschiede in richts des Ausschusses für Familie, Senioren, eigenen Veranstaltungen, Kundgebungen und Diskus- Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An- sionsveranstaltungen aufmerksam gemacht haben. trag der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Ingrid Fischbach, weiterer Abgeordneter Wir, die Koalitionsfraktionen, haben bereits zum und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- Weltfrauentag am 8. März einen Antrag vorgelegt, der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29025

Nadine Schön (St. Wendel) (A) sich schwerpunktmäßig mit den Entgeltunterschieden Deshalb sagen wir: Man muss gezielt etwas dafür tun, (C) zwischen Männern und Frauen in Deutschland befasst. dass Frauen sich eine eigene Altersvorsorge aufbauen Dabei haben wir aber im Gegensatz zu Ihnen nicht ver- können. sucht, den Eindruck zu erwecken, man brauche nur ein Genau aus diesem Grund kämpfen wir auch dafür, einziges Gesetz und schon wäre man den Kampf gegen die Lohnlücke beherzt angegangen. (Elke Ferner [SPD]: Das wäre das erste Mal, dass Sie für etwas kämpfen!) (Elke Ferner [SPD]: Sie machen gar nichts, Frau Schön!) dass die Frauen, die vor 1992 Kinder geboren haben, mehr Rentenpunkte bekommen. Leider ist die Wirklichkeit komplexer; denn der Entgelt- lücke liegen zahlreiche Ursachen zugrunde. Alle muss (Beifall bei der CDU/CSU) man angehen. Und das tun wir. Das ist ein wichtiger Punkt, liebe Kollegen von der Op- position. Zu diesem Thema habe ich von Ihnen noch nie (Dagmar Ziegler [SPD]: Was denn?) etwas gehört. Wir sind fest entschlossen, in der nächsten Durch den Ausbau der Kinderbetreuung und die Ini- Legislaturperiode dafür zu sorgen, dass die Frauen, die tiativen für familienfreundliche Arbeitszeiten sorgen wir vor 1992 Kinder bekommen haben, mehr Rentenpunkte für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. bekommen. Denn es ist nicht einzusehen, dass hier so ein großer Unterschied gemacht wird. (Zuruf von der SPD: Betreuungsgeld!) Ich würde mich freuen, Sie würden uns bei diesen Dadurch werden die Auszeiten kürzer, die Teilzeitquote ganz konkreten Vorschlägen unterstützen. Das würde wird geringer, und wer Vollzeit oder vollzeitnah arbeitet, den Frauen mehr bringen als solche Placebogesetze wie hat natürlich auch ein höheres Einkommen. der Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann aber neten der FDP – Elke Ferner [SPD]: Sie reden pro Stunde immer noch zu niedrig sein!) sich die Welt schön! – Weitere Zurufe von der SPD) Wir werben mit zahlreichen Programmen und Projek- Außerdem haben wir durch den Bonus beim Betreu- ten für mehr Frauen in technischen Berufen; denn mehr ungsgeld nun die Möglichkeit, dass diejenigen, die ihr Frauen in diesen Branchen bedeutet weniger Entgeltun- Kind betreuen und deshalb ihre Berufstätigkeit reduzie- terschiede. ren, mit 115 bzw. 165 Euro monatlich privat vorsorgen (B) (D) Wir wollen, dass mehr Frauen in Führungspositionen können. Ob es Ihnen gefällt oder nicht: Mehr als die kommen. Hälfte der Frauen reduziert ihre Berufstätigkeit, wenn das Kind noch im zweiten oder dritten Lebensjahr ist. (Elke Ferner [SPD]: Auch da machen Sie lie- Diesen Frauen haben wir die ganze Zeit gesagt – Sie sa- ber nichts, als dass Sie etwas machen!) gen es nach wie vor –: Da habt ihr halt Pech gehabt; dann fehlen halt diese Punkte bei der Rente. – Genau das Da gilt es schon einmal festzuhalten: Seit die CDU/ wollen wir nicht. Deshalb haben wir beschlossen, dass CSU-Frauen dieses Thema lautstark aufgegriffen haben, ab Sommer diese Frauen 115 bzw. 165 Euro für die pri- hat sich in den Führungsetagen der deutschen Unterneh- vate Altersvorsorge anlegen und somit einiges für die men einiges bewegt. Da ist wirklich Bewegung hinein- Rente tun können. gekommen. Daran hat auch unser Engagement seinen Anteil. Höhere Positionen bedeuten auch höhere Ein- (Zuruf des Abg. Dr. Frank-Walter Steinmeier kommen. [SPD]) Das alles sind strukturelle Maßnahmen, die dazu bei- Das ist gut; das ist richtig; das ist ein ganz wichtiger tragen werden, dass die Entgeltlücke kleiner werden Schritt beim Thema Entgeltungleichheit und Rentenlü- wird. Und es sind gute Maßnahmen; denn sie sind nach- cke im Alter. haltig. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sie, liebe Kollegen der Opposition, versuchen aller- der FDP – Zurufe von der SPD) dings mit Ihren heute vorgelegten Gesetzentwürfen, den Eindruck zu erwecken, man brauche nur ein kleines Ge- Nachhaltig heißt in der Konsequenz, dass sie sich auch setz zu machen und schon wären Rentenlücke und Ent- positiv auf die Rentenlücke auswirken. Denn die Ent- geltlücke bekämpft. Ein Entgeltungleichheitsgesetz ha- geltlücke ist nicht das einzige Problem. Ein viel größeres ben Sie vorgelegt. Ich dachte zunächst: Das ist vielleicht Problem, das in meinen Augen noch viel dramatischer ganz interessant; denn alles, was uns hilft, diese Lücke ist, ist die Rentenlücke. Sie liegt teilweise bei über zu bekämpfen, ist erst einmal gut. Aber wenn man sich 50 Prozent, und das ist wirklich dramatisch. anschaut, was Sie genau vorschlagen, kriegt man wirk- lich das kalte Grausen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dagegen macht die (Elke Ferner [SPD]: Was genau schlagen Sie Regierung gar nichts!) denn vor?) 29026 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Nadine Schön (St. Wendel) (A) Nach Ihren Vorstellungen sollen Unternehmen ab 15 Be- mer unterstützt! Sie erzählen vielleicht putzi- (C) schäftigten regelmäßig detailliert über ihre Lohnstruktu- ges Zeug, Frau Schön!) ren Rechenschaft ablegen. Das heißt, alle Unternehmen ab 15 Mitarbeitern müssen einen eigenen Bericht ferti- Das ist ein wirklich sehr durchschaubares Wahlkampf- gen und die komplette Lohnstruktur ihres Unternehmens manöver. Darauf werden die Frauen in diesem Land offenlegen. Zum obersten Sittenwächter wird dann die nicht hereinfallen. Wir wollen gemeinsam erfolgreich Antidiskriminierungsstelle. Sie soll prüfen, ob es in Tau- daran arbeiten, dass die Entgeltlücke kleiner wird und senden von Betrieben gleiche Bezahlung für gleichwer- vor allem auch die Rentenlücke im Alter kleiner wird. tige Arbeit gibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- In der Anhörung ist schon deutlich geworden, dass es neten der FDP) sehr schwer ist, gleichwertige Arbeit zu definieren. Vizepräsidentin Petra Pau: (Christel Humme [SPD]: Welche Anhörung? Sie haben sich mit dem Gesetz gar nicht aus- Das Wort hat der Kollege Dr. Frank-Walter einandergesetzt!) Steinmeier für die SPD-Fraktion. Ihr Gesetzentwurf gibt auf diese Frage auch überhaupt (Beifall bei der SPD) keine Antwort. Sie schreiben, die Antidiskriminierungs- stelle soll das bewerten. Letzte Instanz soll nicht etwa Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): ein Gericht sein, sondern die Antidiskriminierungsstelle. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Sie soll als letzte Instanz darüber entscheiden, ob Unter- Herren! Frau Schön, Lesen hätte geholfen. nehmen bestraft und Sanktionen verhängt werden. Auch das wurde in der Anhörung kritisiert. Das alles zusam- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mengenommen ist nicht nur rechtlich äußerst bedenk- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lich, sondern es ist auch gar nicht umsetzbar. Über dem Gesetzentwurf steht nicht „Gesetz zur Entgelt- (Elke Ferner [SPD]: Wo sind Ihre Änderungs- ungleichheit“, sondern „Engeltgleichheitsgesetz“; das anträge?) Gesetz soll nämlich zur Entgeltgleichheit führen. Fakt ist: Was Sie vorschlagen, bringt eine ganze Meine sehr verehrten Damen und Herren, zehn Wo- Menge Bürokratie für die Unternehmen. Jedes Unter- chen bzw. 57 Arbeitstage innerhalb dieser zehn Wochen – nehmen ab 15 Mitarbeitern muss künftig Berichte ferti- so lange müssen Frauen dieses Jahr länger arbeiten, um gen. Seien wir ehrlich: Wer fertigt diese Berichte? Meis- auf den gleichen Lohn zu kommen wie die Männer. Bis (B) tens die Frauen, die in den Büros sitzen. Sie dürfen das gestern, bis zum Equal Pay Day, waren alle erwerbstäti- (D) noch zusätzlich zu ihrer eigentlichen Arbeit machen. gen Frauen in Deutschland allein damit beschäftigt, den Lohnrückstand aus dem letzten Jahr aufzuholen. Ich (Dagmar Ziegler [SPD]: Ach Gott! – Elke hoffe, dass wir uns bei allen Unterschieden wenigstens Ferner [SPD]: Peinlich!) über eines einig sind: Jeder Tag dieser zehn Wochen ist Das bringt nur Mehrbelastung. Es ist zugleich aber nicht einer zu viel, und deshalb muss das aufhören. erwiesen, dass uns das beim Bekämpfen der Entgeltun- gleichheit auch nur einen Schritt weiterbringt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Ich bin mir sicher, dass die Frauen in Deutschland GRÜNEN) nicht auf dieses durchschaubare Manöver hereinfallen werden. Das ist der Versuch, Ihren Spitzenkandidaten, Wenn wir uns darüber einig sind, dann müssen wir auch der offensichtlich einige Probleme mit Frauen hat, etwas etwas tun. Lamentieren allein – das stellen wir gelegent- aufzuhübschen. lich auch auf anderen Feldern fest – hilft nicht. In den letzten Jahren hat sich nur leider kaum etwas bewegt. (Elke Ferner [SPD]: Weniger als Ihre Kanzle- rin! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist Sie haben es zitiert, allerdings falsch ausgewertet: Im- ganz neu!) mer noch verdienen erwerbstätige Frauen 22 Prozent weniger Lohn als die Männer. Das sind pro Stunde im- Er ist leider heute auch nicht anwesend. Das ist sehr merhin 4 Euro weniger Lohn. Damit sind wir europaweit schade. Die Kehrtwende, die jetzt versucht wird, wird Schlusslicht bei der Entgeltgleichheit. Das darf doch aber nicht einmal von den eigenen Frauen aufgenom- nicht so bleiben. men. In der Presseberichterstattung der letzten Tage ist nachzulesen, dass, als er das Thema auf einer Veranstal- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tung angesprochen hat und eine Frau kritisch nachge- DIE GRÜNEN) fragt hat, sie gefragt wurde, ob sie denn wirklich in der Es geht hier nicht um die Probleme Einzelner. Schuld richtigen Partei sei. – So geht man mit Kritik in Ihren sind nicht die Frauen, die – das liest man gelegentlich – Reihen um. So geht man mit Frauen in Ihren Reihen um, bei Lohnverhandlungen entweder zu bescheiden sind wenn sie einmal kritische Nachfragen stellen. oder nicht genügend streng verhandeln können. Die (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lohnlücke zwischen Männern und Frauen – das wissen NEN]: Ja, ja! Die Frauen in der CDU werden wir doch alle – ist kein individuelles Problem. Da gibt es vom Fraktionsvorsitzenden bei der Quote im- systematische Benachteiligungen: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29027

Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Erstens werden typische Frauenberufe nach wie vor Weil das so ist, weil wir noch immer darüber reden (C) schlechter vergütet als klassische Männerberufe, obwohl und das Reden nichts geholfen hat, brauchen wir eine verdammt noch mal in der Altenpflege viel und hart ge- gesetzliche Regelung. Appelle allein – das haben wir ge- arbeitet wird. sehen – sind nicht geeignet, um die Welt zu verändern. Die Verantwortlichen sowohl in den Unternehmen als (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auch, wie ich glaube, die Tarifpartner brauchen einen ge- DIE GRÜNEN) setzlichen Rahmen, in dem Lohndiskriminierung zu- Zweitens sind es eben vor allen Dingen Frauen, die nächst einmal offengelegt wird, um sie dann zu beseiti- die Erwerbstätigkeit gelegentlich unterbrechen, entwe- gen. Nur so erreichen wir – davon bin ich überzeugt – der um die Kinder zu erziehen oder um die Pflege von endlich unser Ziel. Das Ziel ist, dass der Equal Pay Day Angehörigen zu leisten. Je länger die Auszeit ist – auch nicht irgendwann Mitte März, sondern in Zukunft am das zeigt die Erfahrung –, desto höher sind anschließend 1. Januar stattfindet. Darum geht es. die Einbußen beim Lohn. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Drittens sitzen Frauen zu oft in der Teilzeitfalle. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Viertens sind die Führungsetagen immer noch Män- nerdomänen. Die FDP äußert sich zu diesen Dingen überhaupt nicht; das hat sie auch am Brandenburger Tor nicht ge- Und selbst da, wo es Frauen geschafft haben, gleiche tan. Tätigkeiten auszuüben, ist bei gleicher Qualifikation und gleicher Tätigkeit immer noch schlechterer Lohn für die (Miriam Gruß [FDP]: Wir waren am Haupt- Frauen an der Tagesordnung. Wenn wir nichts tun, dann bahnhof!) wird das so bleiben, und genau das darf nicht sein. Die CDU/CSU war, wie in den vergangenen Jahren, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auch diesmal vertreten. Deshalb sage ich an die Union DIE GRÜNEN) gerichtet: Wenn auch Sie der Meinung sind, dass die Nun ist das keine völlig neue Diagnose. Diese Dia- Lohnunterschiede überholt sind und dass man etwas ma- gnose liegt schon länger auf dem Tisch. Aber nicht nur chen muss, dann machen Sie bitte in Zukunft keine fal- das: Auch Rezepte liegen schon länger auf dem Tisch, schen Versprechungen am Brandenburger Tor, sondern zum Beispiel der Entwurf eines Gesetzes für mehr zeigen Sie, dass Sie Kreuz haben, und stimmen Sie unse- Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen, rem Gesetzentwurf zu. (B) (Beifall bei der SPD) Herzlichen Dank. (D) zum Beispiel der Entwurf eines Gesetzes für den Ausbau (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ von Kindertagesstätten. Zu all dem haben wir Vorschläge DIE GRÜNEN) unterbreitet. Hinzu kommt der Vorschlag, den wir Ihnen heute unterbreiten, der Entwurf eines Entgeltgleichheits- Vizepräsident Eduard Oswald: gesetzes. Das Traurige ist: Nichts von dem können wir Vielen Dank, Kollege Dr. Frank-Walter Steinmeier. – mit dieser Regierung machen. Alles, was Ihnen in letzter Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Frak- Zeit eingefallen ist, ist ein Betreuungsgeld, das mehr Pro- tion der FDP unsere Kollegin Frau Nicole Bracht-Bendt. bleme schafft als beseitigt. Das ist aus meiner Sicht – las- Bitte schön, Frau Kollegin. sen Sie es mich einmal so sagen – eine zynische Antwort für Frauen, die arbeiten müssen und verzweifelt nach ei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nem Kitaplatz suchen. Das ist bildungspolitisch eine Ka- der CDU/CSU) tastrophe, es ist familienpolitisch falsch, und es ist zy- nisch. Deshalb ist das die falsche Antwort für Familien, Nicole Bracht-Bendt (FDP): die falsche Antwort für Kinder und erst recht die falsche Antwort für Frauen. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Steinmeier, wir waren nicht am Brandenburger Tor, aber des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wir waren am Hauptbahnhof und intensiv im Gespräch Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das war schon die mit den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes. Forderung der ersten weiblichen Abgeordneten der Wei- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) marer Republik. Ich weiß nicht, ob die sich hätten träu- men lassen, dass wir 90 Jahre später noch immer über Zweitens frage ich mich, was Sie denn in den vergan- dasselbe Thema, noch immer über dasselbe Problem, genen Jahren gemacht haben. Sie hatten doch die Mög- noch immer über Lohnungleichheit in dieser Dimension lichkeit, einen Gesetzentwurf dazu vorzulegen, aber Sie reden. haben nicht gehandelt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN – Miriam Gruß [FDP]: Was ha- der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Da hatten ben Sie denn in Ihrer Regierungszeit gemacht, wir ein Antidiskriminierungsgesetz, das Sie Herr Steinmeier?) abgelehnt haben!) 29028 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Nicole Bracht-Bendt (A) Männer und Frauen arbeiten auf Augenhöhe: Das ist machen es Frauen schwerer, im Aufstiegswettbewerb (C) in der FDP-Fraktion das Leitmotto. Erfolg zu haben. (Elke Ferner [SPD]: Deshalb sind Sie auch so (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE viele, Frau Kollegin!) GRÜNEN]: Warum haben Sie dann dem Be- treuungsgeld zugestimmt?) – Hören Sie zu! – Das war auch gestern bei unserer Ak- tion am Hauptbahnhof zum Equal Pay Day so. Wir alle Dass die SPD-Fraktion reflexartig sagt, dass ein Ge- wissen, dass es immer noch Defizite bei der Entgelt- setz hermuss, überrascht uns nicht mehr. Denn die SPD- gleichheit gibt. Der im Grundgesetz verankerte Art. 3 Fraktion glaubt, ohne Gesetz funktioniert in unserem Abs. 2 und 3, wonach niemand wegen seines Geschlech- Lande nichts. Ich denke, wir beweisen das Gegenteil. tes benachteiligt werden darf, ist immer noch nicht über- Das ist eben der elementare Unterschied zwischen Ihnen all umgesetzt. Das ist bedauerlich. und uns. Wenn Männer und Frauen unterschiedlich hohe Ge- (Elke Ferner [SPD]: Ja, Gott sei Dank!) hälter bekommen – das haben auch Sie, Herr Steinmeier, angesprochen –, obwohl sie die gleiche Qualifikation Mit einem Entgeltgleichheitsgesetz käme auf die Unter- und Berufserfahrung haben, besteht Handlungsbedarf. nehmen ein neues Bürokratiemonster zu. Mit Bürokra- tieabbau, den wir immer anstreben, hat das wahrlich (Ulrike Gottschalck [SPD]: Ja, eben!) nichts zu tun. Das steht für uns außer Frage. Was mich ehrlich verblüfft, ist, dass die Gewerkschaf- Wir sollten aber endlich mit der leidigen Geschlech- ten die Füße so still halten. Sie sind es doch, die zusam- terkampfdebatte aufhören. men mit den Arbeitgebern am Tisch sitzen und ihre Un- terschrift unter Tarifverträge setzen. (Zurufe von der SPD: Oh!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ich halte es für unredlich, wenn neue Zahlen über die Verdienste von Frauen und Männern veröffentlicht wer- Wenn wir über ungerechte Lohnlücken reden, ist es den und jedes Mal so getan wird, als würden Frauen in Quatsch, die Tarifautonomie auszuhebeln. Hier sind die Deutschland generell bei gleicher Qualifikation und Be- Gewerkschaften in der Pflicht, sich für die Rechte und rufserfahrung 22 Prozent weniger als ihre männlichen Interessen der Frauen einzusetzen. Kollegen aufs Gehaltskonto überwiesen bekommen. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Oh nein! Wir sind (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Gesetzgeber! Das ist unsere Aufgabe!) (B) NEN]: Das Statistische Bundesamt ist unred- Ein anderes Thema sind die sogenannten traditionel- (D) lich? Ich glaube es nicht!) len Frauenberufe. Sie werden ja bekanntlich meistens Das ist eine reine Irreführung und Stimmungsmache, die schlechter besoldet als traditionelle Männerberufe. Wir skandalös ist. sollten darüber reden, warum das so ist. Auch hier ver- misse ich eine klare Ansage der Gewerkschaften. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La- chen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE Wir haben schon in den vorausgegangenen Debatten GRÜNEN – Dr. Frank-Walter Steinmeier festgestellt: [SPD]: Das Bundesamt untersteht Ihnen!) (Bettina Hagedorn [SPD]: Es reicht nicht, nur Fakt ist: Den größten Anteil an der Gehaltslücke ha- darüber zu reden! Handeln ist angesagt!) ben die Erwerbsunterbrechungen. Eine Frau, die sich Um Entgeltgleichheit herzustellen, müssen wir die Ursa- nach der Geburt eines Kindes dafür entscheidet, einige chen für die Unterschiede aufdecken und handeln. Wir Jahre zu pausieren, um sich ausschließlich ihrem Kind sind dabei. Wir tun dies. oder mehreren Kleinkindern zu widmen, tut dies aus freien Stücken. Hier hat sich der Staat herauszuhalten. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Der Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP Wir sollten auch mit dem Märchen von den ach so (Elke Ferner [SPD]: Der ist wirklich nur pein- schlimmen Minijobs aufhören. Die Minijobs sind nicht lich, Frau Kollegin!) per se schlecht. hat die Verwirklichung der Entgeltgleichheit mit Blick (Elke Ferner [SPD]: Nein!) auf die Ursachen in Zusammenarbeit mit der Gesell- schaft, den Tarifpartnern, Frauen- und Wirtschaftsver- – Hören Sie zu! – Problematisch wird es, wenn die Frau bänden zum Gegenstand. zu lange zu Hause bleibt. Längere familienbedingte Aus- zeiten bremsen häufig die Karriere von Frauen aus. (Bettina Hagedorn [SPD]: Wir als Parlament haben da etwas zu machen! Das ist unsere Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft machen Aufgabe!) allein familienbedingte Erwerbsunterbrechung und Teil- zeitarbeit 56 Prozent des Lohnunterschiedes aus. Ziel Für uns Liberale ist Transparenz – ich wiederhole es – muss sein, die Babypause möglichst kurz zu halten. Je- die zentrale Herausforderung. Unternehmen, in denen der Monat länger weg vom Beruf oder ein Teilzeitjob Mitarbeiterinnen für gleiche Leistung und bei gleicher Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29029

Nicole Bracht-Bendt (A) Qualifikation weniger Gehalt bekommen als die Mitar- Die dritte Ursache ist bekannt – aber ich wiederhole (C) beiter, werden spätestens dann, wenn der Fachkräfte- sie, weil ich sie für ursächlich und für die gravierendste mangel richtig losgeht, den Kürzeren ziehen. halte –: Es ist ja auch nicht so, dass die Bundesregierung in (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sachen Entgeltgleichheit noch nichts unternommen hat. NEN]: Die dritte Ursache ist die FDP!) (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Doch, so ist es! Sie Je länger die Familienphase, in der die Frau aus dem Be- haben nichts getan!) ruf aussteigt, desto schwieriger wird auch der Wieder- einstieg. Das Lohntestverfahren Logib-D und das Unternehmens- programm „Erfolgsfaktor Familie“ gewährleisten auf der (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Betreuungsgeld!) einen Seite rechtliche Grundlagen, um Entgeltgleichheit Junge Frauen müssen sich die Konsequenzen klarma- durchzusetzen. Auf der anderen Seite werden die Öffent- chen: Die Lohnlücke, die während der Familienphase lichkeit, die Unternehmen und die Tarifpartner aktiv in entsteht, kann nicht mehr geschlossen werden. Abgese- die Strategie eingebunden. hen davon bedeutet weniger Gehalt automatisch auch (Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP]) weniger Rente. Um die Lohnlücke zu schließen, müssen wir also die Die Politik der Liberalen folgt dem Grundsatz: Ursachen im Blick behalten: (Elke Ferner [SPD]: Frauen raus!) Erstens. Frauen sind in Berufszweigen, in denen es Frauen und Männer arbeiten auf Augenhöhe. nur geringe Aufstiegsmöglichkeiten gibt, überrepräsen- tiert. (Elke Ferner [SPD]: Das sieht man an dem Frauen- anteil in Ihrer Fraktion, Frau Kollegin!) (Elke Ferner [SPD]: Ach so! Sie sind also auch noch selber daran schuld, ja?) Gleiches Gehalt für gleiche Arbeit muss deshalb selbst- verständlich sein. Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Zweitens. Frauen entscheiden sich häufig für Berufe Wir wollen dasselbe wie Sie, nur ohne Gesetz. auf einem unteren Einkommensniveau. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Lachen bei der SPD – Petra Hinz [Essen] Politik, Unternehmen und Frauen müssen gemeinsam [SPD]: Soll das etwa heißen, die Frauen sind an einem Strang ziehen. Ein weiteres Gesetz, wie es die selber schuld? Ich glaube es ja nicht! – Elke SPD plant, ist aus Sicht der FDP-Fraktion, wie Sie sich Ferner [SPD]: Das ist wirklich nicht zu fas- (B) denken können, nicht der richtige Weg. Deshalb werden (D) sen!) wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen. Eine Diplompädagogin verdient heute durchschnittlich (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten 2 500 Euro im Monat, während schon das Einstiegsge- der CDU/CSU – Miriam Gruß [FDP]: Und das halt eines Absolventen eines Studienganges für Umwelt- ist auch gut so!) technik oder Maschinenbau 1 000 Euro darüber liegt. (Karin Binder [DIE LINKE]: Die Feststellung Vizepräsident Eduard Oswald: ist ja schon mal gut! Jetzt fehlen nur noch das Vielen Dank, Frau Kollegin Bracht-Bendt. – Nächste Fazit und die Konsequenz daraus!) Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Diana Golze. Bitte schön, Die Berufswahl ist immer noch eines der entscheidenden Frau Kollegin Diana Golze. Kriterien für die Gehaltsentwicklung. (Beifall bei der LINKEN) Wir können und wollen Frauen nicht dazu zwingen, sich beruflich anders zu orientieren und statt Philosophie oder Pädagogik besser Mathematik oder Ingenieurswis- Diana Golze (DIE LINKE): senschaften zu studieren. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der (Zurufe von der SPD) gestrige Equal Pay Day markierte eine der größten Un- Wir müssen aber dafür sorgen – vielleicht hören Sie auch gerechtigkeiten, die es in diesem Land gibt. Denn ges- einmal zu –, dass junge Frauen wissen, dass die Berufs- tern – das wurde bereits angesprochen – endete die Zeit- wahl für die Karrieremöglichkeiten und das spätere Ein- spanne, die Frauen im Jahr 2013 länger arbeiten kommen ausschlaggebend sein kann. mussten, um genauso viel zu verdienen, wie der Durch- schnittslohn eines Mannes im Jahr 2012 betrug. Für die (Beifall bei der FDP – Dagmar Ziegler [SPD]: gleiche Bezahlung 80 Tage länger arbeiten müssen, Dann gibt es keine Friseurinnen mehr, dann 80 Tage für lau arbeiten müssen, das ist eine riesige Un- gibt es keine Altenpflegerinnen mehr usw.! – gerechtigkeit und ein Beweis für den Unwillen zu politi- Diana Golze [DIE LINKE]: Was halten Sie schem Handeln. denn von einem Mindestlohn?) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- – Ja, Mindestlohn; nur diese Antwort kommt für Sie ja neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE infrage. GRÜNEN) 29030 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Diana Golze (A) Häufig heißt es – dieser Gedanke hat in dieser De- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (C) batte schon eine Rolle gespielt –, die Entgeltungleichheit neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE liege daran, dass Frauen eben schlechter bezahlte Berufe GRÜNEN) ergriffen. Das ist ein Satz, der schnell dahingesagt ist Ich frage Sie, liebe Damen und Herren: Wer hat das und den viele aus ihren Alltagserfahrungen heraus viel- Recht, die Arbeit dieser Frauen durch eine schlechtere leicht bestätigen würden. Aber dieser Satz ist gefährlich, Bezahlung derart herabzuwürdigen? in mehrerlei Hinsicht: Zum einen verschleiert er, dass Frauen auch in den (Agnes Alpers [DIE LINKE]: Genau!) sogenannten Männerberufen schlechter bezahlt werden Und wer hat das Recht, auch noch mit dem Finger auf als ihre männlichen Kollegen, die Frauen zu zeigen und ihnen vorzuhalten: „Hättet ihr (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- einen Männerberuf gewählt! Dann hättet ihr das Problem neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE nicht“? Niemand hat dieses Recht! GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dass selbst nach Berücksichtigung von Teilzeitbeschäfti- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE gung und Babypausen immer noch eine Lohnlücke GRÜNEN) bleibt. Was tun die Bundesregierung und die sie tragenden Zum anderen macht eine solche Aussage die Frauen Fraktionen, um die Einkommenssituation der Frauen zu zu Anwältinnen in eigener Sache, ohne dass sie etwas an verbessern? Schauen wir einmal auf den gestrigen Tag den Ursachen ändern könnten. Mit der Zuweisung der zurück: Bei der Aktion des Deutschen Gewerkschafts- Verantwortung für schlechtere Bezahlung an die Frauen bundes vor dem Brandenburger Tor, Frau Bracht-Bendt, selbst stiehlt sich die Politik, stiehlt sich die Gesellschaft war die FDP weder mit einem Stand noch mit einer Red- aus der eigenen Verantwortung. nerin vertreten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Haben Sie nicht neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE zugehört?) GRÜNEN) – Ich habe Ihnen zugehört: Sie waren am Hauptbahnhof; Die Politik hat damit einen schönen Vorwand dafür, wes- zu welchem Thema, haben Sie uns nicht verraten. halb sie die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen (Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Sie haben nicht nicht ergreift, und in der Öffentlichkeit wird dieser Miss- zugehört! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ stand als individuelles Problem und nicht als gesell- (B) DIE GRÜNEN]: Sie hat auf den Zug gewar- (D) schaftliche Ungerechtigkeit wahrgenommen. tet!) Es ist aber kein individuelles Problem, wenn Ge- Es ist zumindest konsequent, dass man sich, wenn man haltseinstufungen von Arbeitgebern intransparent vorge- nichts zu sagen hat, an solchen Aktionen auch nicht be- nommen werden. Es ist kein individuelles Problem, teiligt. wenn Lücken in der Erwerbsbiografie, die durch Erzie- hungszeiten oder das Muttersein an sich entstanden sind, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und als nicht kalkulierbares Ausfallkriterium eingeschätzt der SPD – Miriam Gruß [FDP]: So ein Un- werden. Es ist auch kein individuelles Problem, wenn sinn!) von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Ar- Zu diesem Entschluss konnte sich die CDU/CSU lei- beitswelt immer mehr Flexibilität gefordert wird, was der nicht durchringen. Im Gegenteil, sie hatte sogar eine ein Familienleben fast unmöglich macht. besonders tolle Idee. Sie ist mit Plakaten gekommen, auf Nein, meine Damen und Herren, es ist ein riesengro- denen die bahnbrechende Ankündigung „Mütterrente ßes gesellschaftliches Problem, wenn die sogenannten kommt!“ zu lesen war. Frauenberufe – die Berufe der Alten- und Krankenpfle- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gerinnen, der Friseurinnen, der Frauen im Gesundheits- NEN]: Von Frauen, die gar nicht betroffen wesen, der Grundschullehrerinnen, der Erzieherinnen in sind!) der Kita – die schlecht bezahlten Berufe sind. Respekt! Derart am Thema vorbei zu plakatieren, das Solange der Beruf der Erzieherin ein reiner Frauenbe- muss man erst einmal hinbekommen. ruf war, hat sich für dessen schlechte Bezahlung kaum jemand interessiert. Nun aber, da unsere Ministerin für (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Frauen, Kristina Schröder, gern auch mehr Männer in BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Kitas locken möchte, kommt das Thema Bezahlung Einmal ganz davon abgesehen, dass Sie einem diesbe- ganz plötzlich auf den Tisch. züglichen Antrag meiner Fraktion gerade erst nicht zu- (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Das gestimmt haben, ist festzuhalten: Es ging gestern um die ist ziemlicher Unsinn!) ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern im Be- rufsleben. Sie haben also das Thema verfehlt. Insofern finde ich es schade, Frau Ministerin, dass Sie sich in dieser Debatte heute gar nicht zu Wort gemeldet So verwundert es mich auch nicht, dass es keinen ent- haben. sprechenden Gesetzentwurf der Regierung gibt. Warum Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29031

Diana Golze (A) sollten Sie sich auch in persönliche Aushandlungspro- nis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Katrin Göring- (C) zesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebern einmi- Eckardt. Bitte schön, Frau Kollegin Göring-Eckardt. schen? Warum sollten Sie auch politische Verantwortung für individuelle Probleme von Frauen übernehmen? Ich Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sage Ihnen, warum: Weil es Ihre Pflicht und Schuldigkeit NEN): als Regierung wäre. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Könnten Sie nach der Ablehnung einer Frauenquote gibt die aktuelle Studie des Statistischen Bundesamtes, für Führungspositionen, nach dem Festhalten am Ehe- die sagt, Frauen verdienen im Schnitt 22 Prozent weni- gattensplitting, nach der Einführung des Betreuungsgel- ger als Männer. Vor kurzem – so steht es auch noch in des nicht wenigstens einmal so tun, als wenn die Gleich- unserem Antrag – waren es noch 23 Prozent. Die Regie- stellung der Geschlechter für Sie ein Thema wäre? rung sagt an einer solchen Stelle dann gerne: Wir sind auf einem guten Weg; das ist ein großer Schritt voran. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Werte Kolleginnen und Kollegen, der Handlungsbe- darf für die Politik liegt auf der Hand. Ich möchte nur Aber Spaß beiseite. Tatsache ist: Deutschland liegt in drei Beispiele nennen: der EU ganz am Ende, was die Lohnunterschiede zwi- schen Frauen und Männern angeht. Das ist ein Skandal, Erstens. Wir brauchen gesetzliche Regelungen zur und es zeigt übrigens auch, dass es nicht an den Frauen Durchsetzung der Entgeltgleichheit. Unternehmen müs- liegt, sondern an der Struktur: an fehlender Gesetzlich- sen verpflichtet werden, ihre Entgeltpraxis geschlechter- keit und an falschen Vereinbarungen. gerecht zu gestalten, und dies muss für alle Beschäftig- ten transparent erfolgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der LINKEN) LINKEN) Zweitens. Ja, wir brauchen endlich – Frau Bracht- Frau Schön, wenn man sich das, was Sie hier gesagt Bendt wartet ja schon darauf, dass ich es sage – einen haben, im Protokoll noch einmal anschaut, dann liest gesetzlichen Mindestlohn als Lohnuntergrenze, man: wir wollen, wir wollen, wir wollen, wir kämpfen für. – Meine Güte! Wer regiert hier eigentlich? Sie regie- (Beifall der Abg. Nicole Bracht-Bendt [FDP]) ren doch! Sie hätten das doch längst tun können! Sie weil besonders Frauen von Dumpinglöhnen betroffen müssen nicht wollen, Sie müssen machen! (B) sind und sie gerade deshalb von einem Mindestlohn am (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) meisten profitieren würden. und bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Frau Bracht-Bendt, ich finde es in besonderer Weise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) doppelt diskriminierend, wenn Sie sich hier hinstellen Drittens. Auch die Forderung nach einem Rechtsan- und sagen: Die Frauen sind doch selber schuld. Sie er- spruch auf Rückkehr aus Teilzeit- in Vollzeitbeschäfti- greifen einfach die falschen Berufe. – Nein, die Frauen gung teilen wir. Er gehört dazu, damit Frauen ihre Ar- sind nicht selber schuld. Die Politik hat die Verantwor- beitszeit nach einer familienbedingten Reduzierung tung, dafür zu sorgen, dass es Entgeltgleichheit gibt; sie wieder aufstocken können. Die Frauenministerin hat die- darf diese Verantwortung nicht den Frauen zuschieben, sen Rechtsanspruch beim Familiengipfel vor wenigen die dann doppelt gestraft sind. Tagen angesprochen und geäußert, sie würde sich dafür (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einsetzen. Dieser Ankündigung müssen nun aber auch und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Taten folgen. LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Bettina Hagedorn [SPD]: Über die Gründe der Lohndiskriminierung ist schon Darauf können wir aber lange warten!) viel geredet worden. Selbstverständlich sind die fami- Verehrte Damen und Herren, auf dem Weg zu wirkli- lienbedingten Erwerbsunterbrechungen der Haupt- cher Gleichberechtigung der Geschlechter gibt es viel zu grund. Das Stichwort „Gläserne Decke“ gehört dazu. tun. Solange die Mehrheit dieses Hauses ihre Verweige- Das ist ein ganz entscheidender Faktor. rungshaltung aber leider nicht aufgibt, bleibt der Weg für Hinzu kommt natürlich auch die Alltagsdiskriminie- viele Frauen eine Sackgasse. rung, nach dem Motto: Frauen können es eben nicht so gut wie Männer. – Danach wird in vielen Betrieben nach Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. wie vor verfahren. Das ist eine plumpe Diskriminierung. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Es ist richtig: Hier brauchen wir eine andere Unterneh- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) menskultur. Meist ist es aber noch viel subtiler. Die Kranken- Vizepräsident Eduard Oswald: schwester verdient weniger als der Müllmann, die Erzie- Vielen Dank, Frau Kollegin Golze. – Nächste Redne- herin verdient weniger als der Automechaniker. Die Er- rin in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bünd- zieherin in Mecklenburg-Vorpommern verdient unter 29032 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Katrin Göring-Eckardt (A) 7 Euro pro Stunde. Das hat mit Respekt überhaupt nichts weiblich bleiben. Deswegen braucht es hier eine andere (C) mehr zu tun. Gleichwertige Arbeit muss endlich gleich Lösung, eine echte Garantierente, mit der die Altersar- bezahlt werden. mut von Frauen wirklich bekämpft wird. Das, was bei Ihrem Koalitionsgeschwurbel am Ende herausgekom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men ist, kann vielleicht für Sie gut sein, damit endlich und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Ruhe herrscht; aber es ist nicht gut für die Frauen, denen LINKEN) Altersarmut droht. Wir müssen darauf achten, welches Signal wir hier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen. Wir reden über demografische Entwicklung, über sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Pflegenotstand und über einen drastischen Mangel an KEN) Erzieherinnen und Erziehern. Es ist absurd, zu glauben, das würde sich irgendwie regeln, solange diese Berufe in Zum Schluss: Ja, Frauen bekommen schlechtere Ge- Deutschland nicht endlich besser bezahlt werden. Dafür hälter, auch im gleichen Job. Ja, Frauen wechseln ihre haben wir als Politiker eine Verantwortung. Jobs nicht so oft wie Männer. Wenn sie es endlich ge- schafft haben, die Kitaöffnungszeiten, die Arztsprech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stunden, den Klavierunterricht und das Fußballtraining und bei der SPD) mit dem eigenen Job zusammenzubringen, dann werden Ich finde, man muss sich auch noch einmal genau an- sie nicht dauernd von einem Job zum anderen wechseln. gucken, was und ihre Koalition machen. Auch das führt dazu, dass sie weniger verdienen. Das alles ist eine Als-ob-Politik nach dem Motto: eine Frauen machen übrigens auch weniger Fortbildung in freiwillige Verpflichtung, eine freiwillige Selbstver- Deutschland. Warum? Weil sie sie seltener vom Arbeit- pflichtung, auf der Basis der Freiwilligkeit. Die von die- geber bezahlt bekommen als Männer, nicht etwa, weil ser Regierung gern bemühte Freiwilligkeit ist ein Code- sie sagen, sie hätten dafür keine Zeit. Ja, es bleibt ab- wort für nur eines: abwarten und nichts tun. – Die surd, dass beim Müllmann die körperliche Belastung Geduld der Frauen in diesem Land ist am Ende. Sie ver- zählt und bei den Pflegekräften eben nicht. Ja, es bleibt dienen endlich mehr Geld statt irgendwelcher warmer absurd, dass wir keine vernünftigen Rahmenbedingun- Worte hier. gen dafür haben, dass Frauen tatsächlich wieder in den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beruf zurückkehren und Vollzeit arbeiten können. So- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der lange Sie auch nur 1 Euro für das sinnlose Betreuungs- LINKEN) geld ausgeben, tun Sie nichts dafür, dass sich an der Si- tuation der Frauen etwas ändert. (B) Deswegen ist es notwendig, dass wir das Gesetz zur (D) Entgeltgleichheit bekommen. Deswegen ist es notwen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dig, dass es klare Sanktionen und klare Pflichten zur bei der SPD und der LINKEN) Überprüfung und zur Beseitigung der Diskriminierung Man muss ganz einfach sagen: An einem Tag im Jahr gibt. Wir wollen ein Gesetz für Lohngleichheit mit ver- geht es um Equal Pay. Eigentlich müsste an 365 Tagen bindlicher Durchsetzung und wirklichen Sanktionen. im Jahr in dieser Frage politisch aktiv gehandelt werden. Wir brauchen endlich eine verbindliche Regelung statt Die notwendige gesellschaftliche Debatte gehört dazu. irgendwelches Gerede. Dafür werden wir auch kämpfen. Aber es gehört eben auch ganz knallharte Politik dazu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vor allem ist es aber absurd, nur noch einen Tag länger sowie bei Abgeordneten der SPD) anzunehmen, mit dieser Regierung würde sich zum Wohl der Frauen irgendetwas ändern. Natürlich brauchen wir andere Rahmenbedingungen. Ja, wir brauchen den Mindestlohn. Wir sollten uns hier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht hinstellen und so tun, als ob die Teilzeitarbeit die und bei der SPD – Christian Freiherr von Falle wäre. Nein, Frauen verdienen auch in Teilzeit we- Stetten [CDU/CSU]: Wie machen Sie das denn niger als Männer. in der EKD-Synode?) (Elke Ferner [SPD]: So ist es!) Vizepräsident Eduard Oswald: Das ist doch absurd. Ja, wenn man über den Gender Pay Vielen Dank, Frau Kollegin Katrin Göring-Eckardt. – Gap redet, darf man auch über den Gender Pension Gap Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Frak- nicht schweigen. Wenn Sie von Mütterrente und von Le- tion der CDU/CSU unsere Kollegin Frau Elisabeth bensleistungsrente reden, haben Sie genau die Frauen, Winkelmeier-Becker. Bitte schön, Frau Kollegin die es betrifft, nicht im Blick. Winkelmeier-Becker. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) und bei der SPD) Sie machen nichts anderes, als jahrzehntelang ein fal- Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): sches Familienmodell zu subventionieren und hinterher Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- erschreckt zu sagen: Meine Güte, das könnte für die gen! Wir sind uns in der Tat in vielen Punkten einig. Mütter im Alter finanziell eng werden. – Nein, das ist Herr Steinmeier, dass im Schnitt Frauen fast drei Monate falsch. Altersarmut wird auch mit Ihren Vorschlägen länger arbeiten müssen als Männer, um so viel zu verdie- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29033

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) nen wie das, was Männer schon am Silvesterabend in der Die Grünen verweisen in ihrem Antrag zu Recht da- (C) Kasse haben, ist empörend und ungerecht. Es ist klar, rauf: Wird die Erwerbstätigkeit wegen Familienarbeit dass das ein wichtiges Handlungsfeld der Politik sein unterbrochen oder reduziert, hat das Einkommenseinbu- muss. ßen zur Folge, die später nicht wieder auszugleichen sind. – Das stimmt und ist erschütternd. In der Anhörung Es sind viele Punkte angesprochen worden, die in wurde das sogar näher beziffert. Wer ein Jahr aussetzt, dem Ursachengeflecht eine Rolle spielen. Auch die An- hat im Durchschnitt 4,8 Prozent weniger Lohn pro Jahr hörung hat da keine wirklich große Überraschung ge- zu erwarten und wird damit sogar mehr abgestraft als je- bracht. Die Zusammenhänge, die dort dargestellt wur- mand, der ein Jahr wegen Arbeitslosigkeit aussetzt. Dass den, waren bekannt: Erwerbsunterbrechungen wegen das so ist, hat mich sehr erschüttert. familiärer Sorgearbeit, Reduzierung der Arbeitszeit, Teilzeit, Minijobs, die Rollenklischees, das Berufswahl- Deshalb ist klar: Alles, was die Rückkehr in den Be- verhalten. All diese Themen kennen wir seit langem, ruf sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf er- auch in ihrem Zusammenspiel. Es zeigt, dass die Aus- leichtert, ist gut und entspricht im Übrigen auch den Er- ganssituation sehr schwierig ist. wartungen, die die Arbeitgeber vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels formulieren. Die Möglichkeiten für Ich möchte drei Sätze dazu sagen, wie es dazu ge- Frauen, in den Beruf zurückzukehren, sind also eigent- kommen ist. Die Bundesrepublik hat einfach mit einem lich ganz gut, sofern sie denn Kinderbetreuungsmöglich- – in Anführungszeichen – „normalen“ Familienbild be- keiten haben. gonnen, das sich über die Jahrzehnte etabliert hat. Da- rum herum haben sich das Steuerrecht und das Bildungs- Man muss das aber auch aus einer anderen Perspek- system entwickelt. In diesem Modell haben Frauen nur tive sehen. Ich weiß aufgrund meiner eigenen Lebenser- dazuverdient. Das wurde damals gar nicht als Defizit fahrung – das lässt sich auch im Gleichstellungsbericht empfunden. Das sehen wir heute natürlich ganz anders. und im Achten Familienbericht finden –, dass es immer Das ist heute so nicht mehr denkbar. Da haben sich die wieder einmal Phasen gibt, in denen beide Elternteile Situation, die Erwartungshaltung und auch die – berech- nicht durchgängig Vollzeit arbeiten können. Ich selbst tigten – Ansprüche der Frauen deutlich verändert. habe drei Kinder. Als diese null, drei und viereinhalb Der Verweis auf die historische Entwicklung macht Jahre alt waren, habe ich mir eine komplette Auszeit von das Ergebnis, mit dem wir heute konfrontiert sind, nicht zwei Jahren genommen. Es wäre nicht zielführend ge- erträglicher, sondern ist als Aufforderung zu verstehen, wesen und hätte auch nicht der Lebensqualität genutzt, uns dieser großen Aufgabe zu stellen. wenn auch ich damals Vollzeit gearbeitet hätte. Es war schon kompliziert genug, als ich zwei Jahre später wie- (B) (Elke Ferner [SPD]: Es freut mich, dass Sie der angefangen habe. (D) zustimmen, Frau Kollegin!) Wir müssen dafür sorgen, dass es jederzeit möglich Es handelt sich wirklich um eine große Aufgabe. Ich ist, einmal eine begrenzte Zeit auszusetzen, ohne dabei habe nicht die Hoffnung, dass sie sich mit einem auf Be- den Anspruch zu verlieren, beim beruflichen Wiederein- triebe beschränkten Entgeltgleichheitsgesetz wuppen stieg dort anzuknüpfen, wo man ohne die Unterbrechung lässt. wäre. Ich habe noch eine Bitte. Wir sollten die Diskussion (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht so führen, dass sich diejenigen, die das beschrie- neten der SPD) bene Modell gelebt haben, diskriminiert oder in ihrer Ar- beit nicht gewürdigt fühlen. Viele Frauen hatten damals Um es vielleicht noch anschaulicher zu machen: Ich keine andere Wahl. Sie haben eine tolle Arbeit geleistet, finde, man muss beispielsweise im Alter von 30 Jahren haben ihre Familien gut versorgt und Kinder erzogen. einmal zwei Jahre aussetzen und trotzdem mit 50 oder Aber am Ende sehen sie sich mit dem Gender Pension auch mit 40 Jahren Führungspositionen bekleiden kön- Gap konfrontiert. In der Tat sollten wir hier etwas tun. nen. Die berufliche Entwicklung sollte jedenfalls alters- Die Anerkennung von Erziehungszeiten kann ein Ele- gerecht und ohne den nachhängenden Nachteil einer ment sein. Damit sind an dieser Stelle sicherlich nicht Kindererziehungsphase verlaufen. Auch das müssen wir alle Probleme gelöst. Aber so kann durchaus ein relevan- berücksichtigen. ter Beitrag geleistet werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich kann nicht auf alle Punkte eingehen, die anzuspre- chen wären. Ich möchte aber auf den Zusammenhang Dazu gehört, dass Familienarbeit und die dabei er- zwischen Berufsunterbrechung und der Entwicklung von worbenen Kompetenzen besser gewürdigt werden. Das Berufschancen eingehen. Ich möchte ausdrücklich sa- heißt, wir brauchen eine gezielte Förderung beim beruf- gen: Es geht mir nicht nur um Berufschancen, sondern lichen Wiedereinstieg. Für mich gehört dazu auch – das auch um Karrierechancen. Das ist ein Unterschied. Die ist sicherlich keine Neuigkeit – eine verbindliche Ziel- Frauen wollen nicht nur in den Beruf zurückkehren, son- quote in der Frauenförderung, gerade wenn es um Füh- dern sie wollen auch dort wieder anknüpfen, wo diejeni- rungspositionen geht. Denn das kann das Vertrauen in gen stehen, mit denen sie zusammen im Beruf begonnen die Überzeugung stärken, dass man ruhig einmal eine haben und die keine Unterbrechung hatten. Das ist der Auszeit nehmen kann, wenn sie zur eigenen Life Work Anspruch. Balance gehört, ohne Karrierechancen zu verlieren. 29034 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) Jetzt wollen Sie sicherlich wissen, warum wir Ihren Elke Ferner (SPD): (C) Antrag ablehnen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Stimmt!) muss wirklich sagen: Die Debattenbeiträge der schwarz- gelben Koalition zeigen – so kommt es mir vor –, dass – Das fällt mir nicht schwer zu sagen. Sie nach dem Motto verfahren: Ich habe zwar keine Lö- sung, aber ich bewundere das Problem. Ein Punkt stört mich wirklich. Ich finde, dass das Ehegattensplitting – auch wenn diese Phasen nicht ein (Heiterkeit bei der SPD) ganzes Leben lang oder 15 Jahre dauern, sondern viel- leicht nur 2 oder 3 Jahre – die angemessene steuerliche Nach der rechtlichen Situation – das wissen wir ganz Behandlung darstellt. Wer in dieser Zeit Alleinverdiener klar – ist die Entgeltdiskriminierung bereits verboten. ist, während der Partner mit den Kindern zu Hause ist, Dazu braucht man eigentlich kein neues Gesetz. darf steuerlich nicht so veranlagt werden, als hätte er das Geld für sich alleine. Es muss vielmehr steuerlich aner- (Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) kannt werden, dass er sein Geld mit dem anderen Partner Das Härteste an Forderungen in Ihrem Antrag ist teilt. – ich will das hier allen zur Kenntnis geben –, dass die Mich hat nie das Argument überzeugt, dass das Ehe- Bundesregierung im Rahmen der zur Verfügung stehen- gattensplitting der große Hemmschuh bei dem Wieder- den Haushaltsmittel sich weiterhin für die Überwindung einstieg in den Beruf sein soll. der Entgeltunterschiede zwischen Frauen und Männern einsetzen und Benachteiligungen von Frauen in Wirt- (Elke Ferner [SPD]: Dann lesen Sie doch mal schaft und Arbeitswelt beseitigen soll. Das ist ein Ap- die ganzen Studien!) pell. Aber wir leben in einem Rechtsstaat und nicht in ei- Wenn wir ordentliche Stellen und eine ordentliche Be- ner Bananenrepublik. Eine Regierung muss geltendes treuung haben, dann ist für den Wiedereinstieg das Split- Recht durchsetzen. Ein Parlament muss, wenn das Recht ting kein Hemmschuh. Denn das zusätzliche Einkom- nicht ausreicht, neues Recht schaffen und dafür sorgen, men wird immer den größeren Effekt haben als der dass dieses durchgesetzt wird. Vorteil durch das Splitting. (Beifall bei der SPD) (Elke Ferner [SPD]: Wer das Splitting beibe- halten will, will auch die Einkommensunter- Aber das sehen Sie anders. Die ganzen Analysen, die schiede beibehalten!) Sie hier zu Markte tragen, zielen auf eines ab, nämlich zu beweisen, dass die Frauen im Prinzip selber daran – Nein, die Einkommensunterschiede werden nicht ho- schuld sind. Warum haben wir ein Recht ohne Praxis? (B) noriert, sondern im Steuerrecht wird nur der Nachteil Das Recht ohne Praxis haben wir deshalb, weil jede ein- (D) ausgeglichen, zelne Frau ihren Arbeitgeber auf Zahlung gleichen (Elke Ferner [SPD]: Die Unterschiede werden Lohns verklagen muss. Jetzt braucht man keine Prophe- honoriert!) tin zu sein, um vorauszusagen, wer so etwas macht. Das machen keine Frauen, die ihren Job behalten wollen, sodass man sich nicht schlechter steht als das Paar, das sondern das machen vielleicht die, die sich mit dem Ge- gleiche Einkommen hat. danken an eine Kündigung tragen oder schon gekündigt (Beifall bei der CDU/CSU) haben. Genau das ist das Problem. Die Kollegin, die am Arbeitsplatz nebenan arbeitet, muss ihr Recht ebenfalls individuell einklagen. Deshalb ist klar: Das geltende Vizepräsident Eduard Oswald: Recht führt nicht zum Ziel der Entgeltgleichheit. Des- Sie sehen auf die Uhr, Frau Kollegin? halb muss man etwas ändern.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ja. – Ich wünsche mir, dass wir noch viele Equal Pay Days im Schnee feiern, aber dass das nicht an einem au- Sie haben gesagt, die Ursachen seien Teilzeitarbeit, ßergewöhnlich kalten März liegt, sondern daran, dass die Auszeiten wegen der Familie oder eine geringere Ta- wir demnächst den Equal Pay Day im Januar, am liebs- rifbindung in den kleineren Betrieben, in denen Frauen ten an Neujahr, feiern können. überwiegend beschäftigt seien. Das ist alles richtig, aber Danke schön. nicht nur Frauen mit Kindern und Auszeiten haben weni- ger Einkommen als ihre männlichen Kollegen. Auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Frauen ohne Kinder und ohne Auszeit verdienen im neten der FDP) Durchschnitt weniger als ihre männlichen Kollegen. Also sind die Gründe für die Ungleichbezahlung nicht Vizepräsident Eduard Oswald: allein diejenigen, die Sie nennen. Vielen Dank, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker. – Ich sage Ihnen: Die Regierung und die Regierungsko- Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Frak- alition sind dazu da, Problemlösungen zu finden, und tion der SPD unsere Kollegin Elke Ferner. Bitte schön, nicht, Problemanalysen zu betreiben. Sie bleiben immer Frau Kollegin Elke Ferner. bei den Problemanalysen stehen. Dafür brauchen wir Sie (Beifall bei der SPD) aber nicht. Die Probleme analysieren können wir selber. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29035

Elke Ferner (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) DIE GRÜNEN) Wenn das, was Sie als Gründe für die Ungleichbezah- lung anführen, die tatsächlichen Gründe wären, dann sollte man da ansetzen. Aber was machen Sie? Sie ma- Vizepräsident Eduard Oswald: chen im Prinzip genau das Gegenteil: Sie verstärken das, Vielen Dank, Kollegin Elke Ferner. – Nächste Redne- was Sie für ebendiese Gründe halten. Sie haben be- rin für die Fraktion der FDP ist unsere Kollegin Miriam schlossen, das Betreuungsgeld einzuführen. Dadurch Gruß. Bitte schön, Frau Kollegin Gruß. werden die Auszeiten der Frauen nicht verkürzt, sondern (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten verlängert. Sie haben mit Ihrer Mehrheit beschlossen, der CDU/CSU) die Verdienstgrenze für die Minijobs auf 450 Euro zu er- höhen. Das verringert nicht die Entgeltungleichheit, son- dern vergrößert sie. Sie haben verbal immer wieder be- Miriam Gruß (FDP): teuert, dass Sie für Berufsrückkehrer gerne einen Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Rechtsanspruch auf die alte Arbeitszeit wollen. Aber wo ren! Liebe Frau Ferner, wer hat denn elf Jahre in ist denn das entsprechende Gesetz, Frau von der Leyen Deutschland regiert? Wo war denn in Ihrer Regierungs- und Frau Schröder? Sie sind doch an der Regierung. Le- zeit, Herr Steinmeier, ein Entgeltgleichheitsgesetz? Das gen Sie hier doch einen Gesetzentwurf vor. Dann können muss man an dieser Stelle einmal fragen. wir ihn einstimmig im Deutschen Bundestag verabschie- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den. der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Was ist Nein, Sie machen nichts, auch nicht beim Steuerrecht. mit dem Antidiskriminierungsgesetz?) Stattdessen kommen Sie mit den absurdesten Argumen- – Da Sie jetzt dazwischenrufen, darf ich einmal nachfra- ten, wenn es darum geht, das Ehegattensplitting, das gen: Wer waren die Ersten, die das Betreuungsgeld mit wirklich von vorvorgestern ist, zu verteidigen. beschlossen haben? Das waren ja wohl Sie von der SPD. Frau Schön, schönreden und schönrechnen helfen (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) nicht weiter. Sie sind da ganz auf der Linie Ihres Landes- verbandes: Links blinken, wenn es um das Reden geht, – Ja, selbstverständlich. aber rechts abbiegen, wenn es um das konkrete Handeln (Elke Ferner [SPD]: Das stimmt doch gar geht. nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wahrheiten müssen hier genannt werden. (B) Was wir brauchen, ist mehr Transparenz. Österreich (D) Kommen wir zum Thema. Es ist unbestritten: Ja, es hat beispielsweise ein Transparenzgesetz. Wir brauchen bestehen immer noch Unterschiede in der Bezahlung Entgeltberichte. Wir brauchen vor allen Dingen ein von Frauen und Männern. Wir alle hier sind uns doch ei- Messverfahren, das wirkt. Was ich nun wirklich nicht nig, dass dies ungerecht ist. Die Fakten sind genannt; verstehen kann, liebe Kollegen und Kolleginnen von der aber man muss in der Diskussion auch korrekt bleiben. Union: Sie beschreiben in Ihrem Antrag das Lohntest- Es bringt nämlich gar nichts, einen 30-jährigen IT-Spe- verfahren Logib-D und bezeichnen gleichzeitig die Aus- zialisten mit einer gleichaltrigen Erzieherin zu verglei- zeiten als das Hauptproblem. Ist Ihnen nicht klar, dass chen. Vielmehr müssen wir die Bruttostundenlöhne in dieses Messverfahren an der Person und auch an den den gleichen Jobs anschauen. Dann wird deutlich, dass Auszeiten ansetzt und damit eine Entgeltdiskriminierung es hier nicht um 22 Prozent Lohnungleichheit geht, son- auch noch rechtfertigt? Gleicher Lohn muss für gleiche dern um etwa 10 Prozent. Das ist immer noch genug, Arbeit und nicht für die gleiche Anzahl an Berufsjahren aber deutlich weniger, als die ganze Zeit behauptet wor- gezahlt werden. den ist. Letzter Punkt. Wir brauchen ein Gesetz zur Herstel- Lassen Sie uns die Polemik einmal beiseiteschieben lung der Entgeltgleichheit, weil die jetzigen gesetzlichen und uns um die tatsächlichen Probleme kümmern, näm- Regelungen nicht funktionieren. Wir brauchen ein Ge- lich um die Ursachen der Lohnungleichheit. Prinzipiell setz, mit dem auch diejenigen, die die typischen Frauen- gilt: Wenn es um die Lohnfindung geht, haben wir in berufe ausüben, mehr Respekt und auch eine bessere Be- Deutschland ein sehr gut funktionierendes Tarifsystem, zahlung erhalten. Wer das ändern will, der muss das sich bewährt hat. Schwarz-Gelb abwählen und muss dafür sorgen, dass wir eine rot-grüne Mehrheit bekommen. (Christel Humme [SPD]: Leider nicht überall!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Hier sind doch vor allem die Tarifpartner gefordert. Sie machen wir nicht mit! Das wird nicht klap- legen die Löhne fest. Wer Rechte hat, hat auch Pflichten. pen!) Es geht in der Lohnfindung nämlich nicht nur darum, Lohnerhöhungen zu beschließen, sondern auch darum, Dann können wir ein vernünftiges Gesetz machen. So Löhne gerecht auszutarieren. Wann erlebt man es bei- können wir zur Entgeltgleichheit zwischen Frauen und spielsweise einmal, dass Lohngruppen, in denen insbe- Männern nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der sondere Frauen zu finden sind, bei den Verhandlungen in Wirklichkeit kommen. den Mittelpunkt gestellt werden, meine Damen und Her- Schönen Dank. ren? 29036 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Miriam Gruß (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Es ist richtig, endlich dafür zu werben, dass mehr (C) der CDU/CSU) Männer in Erzieherberufe kommen, und Stereotype auf- zubrechen. Aber das, was Sie hier vertreten, ist Politik Die Unternehmen haben ihrerseits erkannt, dass sie in von vorgestern, meine Damen und Herren von der Op- der Arbeitswelt der Gegenwart und Zukunft gut ausge- position. bildete Frauen brauchen. Vor Ort werden Lösungen ge- sucht und gefunden, um Arbeit und Familie besser ver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) einbaren zu können. Diesen Prozess unterstützen wir Wir haben den Ausbau der Betreuungsplätze so stark politisch. vorangetrieben wie keine Bundesregierung zuvor. Vor (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten allem gute und flexible Betreuungsmöglichkeiten sind der CDU/CSU) ein Schlüssel zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, genauso wie die eigenständige Jungen- und Männerpoli- Mit den Programmen „Erfolgsfaktor Familie“, „audit tik, die ich bereits angesprochen habe. berufundfamilie“ und „Betrieblich unterstützte Kinder- betreuung“ sprechen wir gezielt Unternehmen an. Denn Nicht zuletzt müssen wir weiter Anreize setzen, damit in den Unternehmen geht es darum, die Vereinbarkeit es sich für Mütter und Ehefrauen lohnt, arbeiten zu ge- von Beruf und Familie zu verbessern – nicht hier im hen. Die Abschaffung der Steuerklasse V nehmen wir Bundestag. als FDP in unser nächstes Wahlprogramm auf. Dafür werden wir uns einsetzen. Da Sie gestern am Brandenburger Tor auf der DGB- Veranstaltung groß getönt haben, möchte ich noch sa- Es gilt zudem, staatliche Leistungen, die der Rück- gen: Auch die Gewerkschaften sind gefordert, meine kehr in das Berufsleben im Wege stehen, zu überdenken. Damen und Herren von der SPD und von den Linken. Ich freue mich deshalb auch auf eine Neuorientierung der ehe- und familienpolitischen Leistungen im Rahmen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der Gesamtevaluation, die auch unter diesem Aspekt in Die Vertreter der Arbeitnehmer müssen nämlich bei den Angriff genommen werden muss. Tarifverhandlungen noch stärker typische Frauenberufe Um die Situation für Frauen in der Arbeitswelt zu in den Mittelpunkt stellen. Davon habe ich in der Ver- verbessern, bedarf es also der Unterstützung von Wirt- gangenheit wenig gesehen. Bisher galt doch eher: Män- schaft, Gewerkschaften, Gesellschaft und Politik. Es gibt ner werden hoch anerkannt und gut bezahlt, wenn sie viel zu tun. Alle Akteure sind gefordert, meine Damen harte körperliche Arbeit verrichten, wie etwa im Stra- und Herren. ßenbau, als Drucker oder bei der Müllabfuhr. Bei (B) Frauen, beispielsweise in der Altenpflege, ist das hinge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (D) gen immer noch nicht der Fall. Von politischer Seite unterstützen wir den Prozess der Vizepräsident Eduard Oswald: Gleichstellung so früh wie möglich – und früh muss man Vielen Dank, Frau Kollegin Gruß. – Nächste Redne- ansetzen –, beispielsweise in der frühkindlichen Bil- rin in unserer Aussprache ist unsere Kollegin Frau dung. Yvonne Ploetz für die Fraktion Die Linke. Bitte schön, Frau Kollegin Ploetz. (Elke Ferner [SPD]: Ja klar, Mama bleibt zu Hause mit Betreuungsgeld!) (Beifall bei der LINKEN) Hier gilt es, Rollenbilder aufzubrechen und Jungen und Yvonne Ploetz (DIE LINKE): Mädchen nach ihren Talenten zu fördern, nicht nach ih- rem Geschlecht. Stereotypen muss endlich entgegenge- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer wirkt werden. Deshalb führen wir Mädchen und junge dann, wenn ein Mann 1 Euro verdient, bekommt eine Frauen schon früh an neue Berufsfelder und Interessen- Frau nur 78 Cent. Frauen mussten bis zu diesem ver- gebiete heran, beispielsweise mit „Komm, mach MINT.“ schneiten Frühlingsanfang arbeiten, um das zu haben, oder dem „Girls‘ und Boys‘ Day“. was Männer bereits an Silvester bekommen haben. Ich glaube, wir alle sind uns einig: Fair und gerecht sieht an- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ders aus. Leider habe ich in der gesamten Debatte von der CDU/CSU) den Regierungsfraktionen keine nennenswerten Vor- schläge dazu gehört, wie man dies beheben könnte. In der Familienphase unterbrechen Frauen wegen fa- miliärer Verpflichtungen immer noch deutlich häufiger (Beifall bei der LINKEN und der SPD – Elke ihre Berufslaufbahn als Männer. Auch deshalb ist es Ferner [SPD]: Die bewundern nur das Pro- richtig, dass die Fraktionen von Schwarz-Gelb und die blem!) Bundesregierung endlich auch einmal den Fokus auf die Männer gerichtet haben. Es ist richtig, dass wir eine ei- Nur zwei kleine Beispiele: Nach drei Jahren Ausbil- genständige Jungen- und Männerpolitik eingeführt ha- dung verdienen Frauen 1 071 Euro netto – Männer ha- ben. Das lasse ich mir von Ihnen nicht schlechtreden, ben 500 Euro mehr. Arbeiten Frauen in Vollzeit – und schon gar nicht von Ihnen von der Linken. das kommt ja viel zu selten vor, wie wir wissen –, haben sie 2 312 Euro brutto – Männer haben 600 Euro mehr. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- Wenn ich mir diese Zahlen so anschaue, dann frage ich rufe von der SPD) mich ernsthaft, was denn los wäre, wenn es plötzlich öf- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29037

Yvonne Ploetz (A) fentliche Verdienstlisten gäbe, wie das in Norwegen der der Grenze der Leistungsfähigkeit“. Das ist der reinste (C) Fall ist, wenn Frauen schwarz auf weiß einsehen könn- Raubbau an der pflegenden Frau und ist in keinster ten, wie viel weniger sie – völlig zu Unrecht – verdie- Weise zu akzeptieren. nen. Lohntransparenz sollte in der gesamten Debatte (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- kein Tabuthema mehr sein. neten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Was wir brauchen, liegt auf der Hand. Wir brauchen Ich glaube, besondere Wirkung würde Lohntranspa- armutsfeste Renten, Mindestlöhne, das Verbot von Leih- renz in Verbindung mit dem Verbandsklagerecht erhal- arbeit in so sensiblen Branchen, eine Humanisierung der ten. Wir als Linksfraktion haben das gestern im Bundes- Arbeitsabläufe, das heißt eine gute Personalausstattung, tag beantragt. Wir wissen doch alle: Eine Frau allein und familienfreundliche Arbeitszeiten. Natürlich brau- traut sich kaum, Verbesserungen für sich einzuklagen. chen wir Entgeltgleichheit per Gesetz. Aber viele Frauen, gemeinsam mit den Verbänden, wä- Doch das allein reicht noch nicht. Wir leben in einer ren nicht mehr aufzuhalten. Ich glaube, dann würden Gesellschaft, in der es mehr wert ist, 2 Zentner Zement auch Sie von der Regierung sich bewegen. am Bau zu heben, als einen kranken Menschen aus dem (Beifall bei der LINKEN) Bett zu heben. Es muss bei uns wirklich ein Umdenken stattfinden. Der Dienst am Menschen, Kindererziehung, Meine Damen und Herren, der diesjährige Equal Pay Pflege, Gesundheit, all das ist viel mehr wert. Day stand unter dem Motto „Viel Dienst – wenig Ver- dienst“; es geht also um Frauen in Gesundheitsberufen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ich finde es wirklich besonders schäbig, dass genau neten der SPD) diese Branche beispielhaft für das gesamte Dilemma der Wenn Frau Schröder sagt – ich zitiere aus einem Bei- Frauen am Arbeitsmarkt steht. Nicht nur, dass diese trag auf der Equal-Pay-Day-Homepage –: „Die schlechte Frauen rund ein Viertel weniger verdienen als ihre Bezahlung in frauendominierten Berufen, und dazu ge- männlichen Kollegen: Es ist auch so, dass die Gesund- hören Gesundheitsberufe, ist eine wesentliche Ursache heitsbranche zu den Branchen mit den meisten Frauen für den bestehenden statistischen Entgeltunterschied“, im Niedriglohnsektor gehört. dann stimmt ihr jeder zu; das ist doch ganz selbstver- Dankenswerterweise hat mir die Bundesagentur für ständlich. Nur kaufen kann sich dafür keine Frau etwas. Arbeit gestern die neuen Zahlen zu Minijobs in Gesund- Sie, Frau Schröder, sind in der Verantwortung, hier et- heitsberufen zur Verfügung gestellt. Im Vergleich zum was zu ändern. Sie müssen etwas ändern. Jahr 2000 hat sich hier die Zahl der Frauen in Minijobs Herzlichen Dank. (B) auf 5 Millionen fast verdoppelt. Besonders betroffen (D) sind Altenpflegerinnen; hier gibt es eine Steigerung um (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- 73 Prozent. Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen neten der SPD) wirklich nicht mehr erklären, was Minijobs für Frauen bedeuten. Sie sind eine Sackgasse und müssen unbedingt Vizepräsident Eduard Oswald: eingedämmt werden; sie müssen vom ersten Euro an in Vielen Dank, Frau Kollegin Ploetz. – Nächste Redne- sozialversicherungspflichtige Jobs umgewandelt wer- rin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere den. Kollegin Frau Beate Müller-Gemmeke. Bitte schön, (Beifall bei der LINKEN) Frau Kollegin Müller-Gemmeke. Sicherlich haben Sie alle am Montag die Studie des Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Familienministeriums zur Kenntnis genommen, in der NEN): ganz klar gesagt wird: Minijobs sind – ich zitiere – „ein Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Programm zur Erzeugung lebenslanger ökonomischer nen und Kollegen! Ich bin immer wieder verwundert und Ohnmacht und Abhängigkeit von Frauen“. Gerade ein- erstaunt über die Diskussion zum Equal Pay Day hier im mal 14 Prozent aller Frauen schaffen den Absprung aus Bundestag. Sie von den Regierungsfraktionen singen in einem Minijob in eine Vollzeitstelle. Alle anderen kom- Ihrem Antrag und auch in der Debatte hier ein Loblied men aus diesem Teufelskreis von Dumpinglöhnen heute auf die – vermeintlich – gute Familienpolitik der Bun- und Armutsrenten morgen nicht mehr heraus. Nicht nur, desregierung. Sie führen eine Diskussion über die dass Sie dem einfach so zusehen; nein, Sie weiten das Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt. Da geht es auch noch aus. Ich kann Ihnen wirklich nur sagen: Wenn um Beschäftigungsdiskriminierung. Dieses Thema ist schon Ihr Gewissen Sie nicht einholt, werden Sie irgend- wichtig. Heute gehen Sie damit aber schlicht am eigent- wann, hoffe ich, von den Wählerinnen die Quittung da- lichen Thema vorbei; denn heute geht es um Entgelt- für bekommen. gleichheit, also um den Grundsatz: Gleicher Lohn für (Beifall bei der LINKEN) gleiche und gleichwertige Arbeit. Ich frage mich wirk- lich, ob Sie tatsächlich verstehen, warum all die Frauen Hinzu kommt, dass für die Frauen in Gesundheitsbe- und Männer gestern am Brandenburger Tor demonstriert rufen die Arbeitsbedingungen fast unerträglich sind. Es haben. herrscht ganz starker Leistungsdruck und Termindruck. Die Arbeitsabläufe sind ganz streng getaktet. Diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frauen – ich zitiere den Stressreport 2012 – „arbeiten an und bei der SPD) 29038 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Beate Müller-Gemmeke (A) Das Gleiche passierte unlängst bei der Anhörung. Pay Day. Mir scheint, dass die Ministerin wohl nicht ge- (C) Auch dort haben wir phasenweise zwei Diskussionen pa- merkt hat, was ihr in den Text geschrieben wurde. Denn rallel geführt. Den Regierungsfraktionen ging es um die genau darum geht es, warum wir gleichen Lohn für Erwerbsbeteiligung von Frauen, um Teilzeit, um Mini- gleichwertige Arbeit fordern. Aber die Durchsetzung jobs und darum, ob Frauen einfach zu wenig Lohn for- funktioniert nicht mit Freiwilligkeit und Selbstverpflich- dern und sich nicht durchsetzen können. Das war alles tung. Notwendig sind gesetzliche Regelungen; denn recht amüsant. Das Problem war nur, dass diese Diskus- Frauen verdienen mehr. sionen mit dem Gesetzentwurf der SPD und dem Antrag Vielen Dank. von uns Grünen so gar nichts zu tun hatten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) und bei der SPD)

Es wurde auch gerätselt, wie die Frauen dazu bewegt Vizepräsident Eduard Oswald: werden könnten, MINT-Studiengänge zu belegen. Auch Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. – heute haben Sie, Frau Bracht-Bendt, dieses Thema wie- Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Frak- der angesprochen. Natürlich verdienen Physikerinnen tion der CDU/CSU unser Kollege Paul Lehrieder. Bitte mehr als Pflegekräfte. Darum geht es aber nicht. Der schön, Kollege Lehrieder. Skandal ist doch vielmehr, dass die Physikerin weniger verdient als ihr männlicher Kollege, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Paul Lehrieder (CDU/CSU): bei der SPD und der LINKEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und und die Pflege schlechter bezahlt wird als andere gleich- Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Was haben wertige Tätigkeiten. Genau deswegen wollen wir eine Estland, die Tschechische Republik, Österreich und gesetzliche Regelung gegen Entgeltdiskriminierung; Deutschland neben der EU-Mitgliedschaft gemeinsam? denn es muss endlich Schluss sein, dass es Arbeit von Sie alle bilden im europäischen Vergleich das Schluss- Frauen zum Schnäppchenpreis gibt. licht im Gender Pay Gap, dem prozentualen Unterschied im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Män- nern und Frauen. Der Durchschnitt der Europäischen und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Union liegt bei 16 Prozent. In Deutschland – die Vorred- LINKEN) ner haben bereits darauf hingewiesen – liegen wir mit Aber ich möchte nicht unfair sein: Bei der Anhörung 22 Prozent deutlich darüber. Diese Zahl ist im Verlauf (B) (D) und auch in der heutigen Debatte geht es auch um zwei dieser Debatte bereits mehrfach genannt worden. Aspekte, die sich tatsächlich mit den Anträgen auseinan- Nur zum Vergleich: Das Land mit den europaweit ge- dersetzen. So wird ein Entgeltgleichheitsgesetz immer ringsten Unterschieden im Bruttostundenverdienst von wieder als Angriff auf die Tarifautonomie bezeichnet. Frauen und Männern war im vorletzten Jahr Slowenien Das hieße, dass die Tarifparteien Frauen unbehelligt dis- mit 2 Prozent. Auch unser Nachbarland Polen mit 5 Pro- kriminieren dürfen, als wären sie nicht an das Grundge- zent und Italien mit 6 Prozent verzeichneten eher mode- setz gebunden. Ein Gesetz zur Durchsetzung von Ent- rate Gehaltsunterschiede. Dabei gebietet es die Ehrlich- geltgleichheit regelt lediglich, dass die Löhne auf keit, darauf hinzuweisen, dass gerade in Italien sehr viele Entgeltdiskriminierung überprüft werden müssen. Wie Frauen nach der Babyphase nicht mehr ins Berufsleben Entgeltgleichheit hergestellt wird, ist natürlich Sache der einsteigen und als Gehaltsempfängerinnen überhaupt Tarifpartner. Und deshalb sind gesetzliche Regelungen nicht auftauchen. Die Statistik muss hier fairerweise dif- in keinster Weise ein Angriff auf die Tarifautonomie. ferenziert betrachtet werden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Elke Ferner [SPD]: Damit rechtfertigen Sie SES 90/DIE GRÜNEN) schon wieder die Ausweitung als Grund für Dann wird immer noch das Argument Bürokratie ge- schlechtere Bezahlung!) nannt. Frau Schön hat es angesprochen. Das Recht auf – Ich rechtfertige hier gar nichts, Frau Ferner. Stellen Sie Entgeltgleichheit ist im Grundgesetz verankert. Allein mir eine Frage, dann kann ich länger reden. schon das Abwägen zwischen Grundrecht und bürokrati- schem Aufwand ist für mich nicht akzeptabel. Ein (Elke Ferner [SPD]: Darauf können Sie lange Grundrecht hat für uns selbstverständlich höchste Priori- warten!) tät. Alles andere geht gar nicht. In den letzten Tagen erreichten mein Büro anlässlich Sehr geehrte Regierungsfraktionen: des gestrigen Equal Pay Day zahlreiche Pressemitteilun- gen und Gesprächseinladungen. Bundesweit fanden in Die schlechte Bezahlung in frauendominierten Be- diesem Rahmen zahlreiche Aktionen statt. So machten rufen, und dazu gehören Gesundheitsberufe, ist eine zum Beispiel Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der wesentliche Ursache für den bestehenden statisti- Pflege am Bundestag mit einer Tanzaktion auf ihre Si- schen Entgeltunterschied. tuation aufmerksam und sangen: „We work hard for the Das sage nicht ich, sondern Ministerin Schröder. Dieser money“. In der Altenpflege sind 80 Prozent des Perso- Satz steht auch auf der offiziellen Internetseite des Equal nals, wie Sie wissen, weiblich. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29039

Paul Lehrieder (A) Auch in meinem Wahlkreis Würzburg war ein Bündnis (Elke Ferner [SPD]: Jetzt erst? Wir haben ei- (C) zum Equal Pay Day mit einem Informationsstand am nen Gesetzentwurf!) Sternplatz vertreten, um die bestehenden Entgeltunter- schiede zwischen Frauen und Männern anzuprangern und Im Gesetzentwurf steht in § 18: somit zur Bewusstseinsbildung beizutragen. In diesem Beginn des ersten Prüfzeitraumes Jahr standen die bundesweiten Aktionen unter dem Motto: „Lohnfindung im Gesundheitswesen – viel Dienst, (1) Die Verpflichtung zur Erstellung und Übermitt- wenig Verdienst“. Frau Kollegin Müller-Gemmeke hat lung eines betrieblichen Prüfungsberichtes besteht bereits darauf hingewiesen: Es geht um die schlechte Be- bei Unternehmen … zahlung in frauendominierten Berufen. mit mehr als 1 000 Beschäftigten bis zum letzten (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tag des 24. Monats nach Inkrafttreten des Geset- Recht hat sie!) zes … Eine Entgeltlücke ist selbst bei Führungspositionen für die übrigen Betriebe bis zum letzten Tag des zu finden. Zwar ist die Gehaltslücke zwischen weibli- 60. Monats nach Inkrafttreten des Gesetzes. chen und männlichen Führungskräften in den letzten Jahren etwas kleiner geworden; dennoch werden Frauen Das heißt, dieser Mann will das Problem innerhalb ei- in Führungspositionen schlechter bezahlt als ihre männ- nes halben Jahres lösen, das Sie nach einer Evaluation ge- lichen Pendants. mäß Ihrem Gesetzentwurf erst nach zwei bis fünf Jahren umsetzen können. Da ist natürlich die Vollmundigkeit, Erlauben Sie mir, mit einigen Sätzen auf die Vorred- das Wahlkampfgetöse des Kandidaten Peer Steinbrück ner einzugehen. Frau Kollegin Göring-Eckardt hat aus- mit Händen zu greifen. geführt, es hätte schon längst etwas getan werden kön- nen. Es ist durchaus berechtigt, zu fragen: Was haben Sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und in der rot-grünen Regierungszeit für die Minderung des der FDP – Elke Ferner [SPD]: Was ist jetzt ei- Gender Pay Gaps, der ungleichen Bezahlung, getan? gentlich Ihr konkreter Vorschlag?) (Elke Ferner [SPD]: Fragen Sie sich mal, was Sie Frau Göring-Eckardt, Sie haben ausgeführt, wir för- in der Großen Koalition verhindert haben!) derten das falsche Familienmodell. Darf ich Sie als Bun- Was haben Sie, Frau Ferner, gemacht? Was hat Rot-Grün destagsvizepräsidentin fragen: Woher nehmen Sie den in seiner Regierungszeit erreicht? Nichts. Wenn es so Mut, zu entscheiden, welche Familie welches Modell zu einfach wäre, dieses Problem zu lösen, dann hätte Rot- leben hat? (B) Grün es tun können. Deshalb arbeiten wir noch daran. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (D) (Elke Ferner [SPD]: Sie arbeiten doch gar Elke Ferner [SPD]: Woher nehmen Sie eigent- nicht daran!) lich den Mut, solche Reden zu halten?) Herr Kollege Steinmeier, Sie haben auf die Weimarer Wir schreiben das nicht vor, Frau Göring-Eckardt. Republik hingewiesen und ausgeführt, dass die Un- Sie haben ausgeführt, das Betreuungsgeld sei sinnlos; gleichheit schon vor 80 oder 90 Jahren ein Thema war. viele Vorredner von der Opposition haben dieses Thema Ein berühmter Vertreter Ihrer Partei, der SPD, war am strapaziert. Ich will es der Vollständigkeit halber für das Equal Pay Day auch am Brandenburger Tor – das habe Protokoll wiederholen: Das Betreuungsgeld hindert ich heute der Presse entnommen –: Herr Kollege keine Frau daran, nach der Geburt eines Kindes berufstä- Steinbrück. tig zu werden. Zum Mitschreiben, Frau Ferner: Das Be- (Elke Ferner [SPD]: Da war sogar Herr treuungsgeld hindert keine Frau, in den Beruf einzustei- Gabriel da! Und viele andere auch!) gen. – Herr Gabriel war auch da; ich hoffe, Sie alle waren (Elke Ferner [SPD]: Hängen sie das Kind so da. – lange an die Garderobe, oder was? – Kai (Elke Ferner [SPD]: Herr Lehrieder, wo waren Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Muss Sie denn?) man denn jetzt 1,5 Milliarden dafür ausge- ben?) Herr Kollege Steinbrück hat sich zu Wort gemeldet und wird folgendermaßen zitiert – mit Erlaubnis des Präsi- Meine Damen und Herren, Frau Göring-Eckardt hat denten darf ich das im O-Ton zitieren –: von der schlechten Bezahlung in den sozialen Berufen gesprochen. Ich bin gespannt, was die Pressemitteilun- Wenn es nach mir und der SPD geht, ist nächstes gen der EKD in den nächsten Tagen und Wochen dazu Jahr diese Veranstaltung nicht mehr notwendig. verlautbaren, wie viel mehr eine Altenpflegerin und eine (René Röspel [SPD]: Ja! Bravo!) Kindergärtnerin in Zukunft verdienen wird. Da dachte ich: Boah! – Die Medien schrieben: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und „Steinbrück zeigt Flagge für Frauen.“ der FDP) Ich habe mir dann Ihren Antrag angeschaut, Frau Ich freue mich und bin sehr gespannt darauf, wie opti- Ferner. Im Antrag steht – – mistisch die Meldungen der EKD in Zukunft ausfallen. 29040 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Paul Lehrieder (A) (Abg. Angelika Graf [Rosenheim] [SPD] mel- Paul Lehrieder (CDU/CSU): (C) det sich zu einer Zwischenfrage) Ja. – Hier hat jemand eine Frage, Herr Präsident. Vizepräsident Eduard Oswald: Vizepräsident Eduard Oswald: Gut, dann lasse ich die Uhr weiterlaufen. Vielen Dank, Herr Lehrieder, dass Sie auch hier mit- wirken. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Entgeltgleichheit gehört zu den ältesten Forderungen (Heiterkeit) der Frauenbewegung. Der Grundsatz der gleichen Be- Frau Kollegin, Sie haben das Recht zu einer Zwi- zahlung ist in der EU schon lange verankert: bereits seit schenfrage. 1957 in Art. 141 des EG-Vertrages. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Paul Lehrieder (CDU/CSU): GRÜNEN]: Das wissen wir! – Kai Gehring Dann sollten Sie die Uhr anhalten. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Kon- sequenz ziehen Sie daraus für Ihr Regierungs- Vizepräsident Eduard Oswald: handeln?) Das ist schon erfolgt. – Bitte schön. Dies wird auch in Art. 3 Abs. 2 unseres Grundgesetzes definiert. Das heißt im Klartext: Dieser Grundsatz hat Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): bereits Verfassungsrang. Von meinen Vorrednern wurde Sie kommen doch aus Bayern. Ich habe eine Frage: konzediert: Wir brauchen kein Gesetz, weil wir das ver- Ist es richtig, dass Frau Haderthauer denjenigen, die im fassungsrechtlich schon normiert haben. Hinblick auf das Betreuungsgeld gegebenenfalls an- (Elke Ferner [SPD]: Es kommt doch auf die Reali- tragsberechtigt sind, bereits vorausgefüllte Anträge zu- tät an! Wo leben Sie denn eigentlich?) schicken will? Wie verträgt sich das mit der Einlassung, die Sie gerade gemacht haben? Der Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, ist ein bü- (Elke Ferner [SPD]: Wie? Was? Vorausgefüllte rokratisches Monstrum. Dieses Gesetz wird nicht hand- Anträge?) habbar sein, es wird nicht funktionieren. Deshalb werden wir es – das wird Sie nicht überraschen – ablehnen. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Im De- (D) (B) Welche Anträge? Sie müssen das schon präzisieren: zember 2012 wurde eine dreijährige Forschungsphase Was steht in den Anträgen? „Tarifverhandlungen und Equal Pay“ gestartet. In Zu- sammenarbeit mit den Tarifpartnern und der Forschung (Elke Ferner [SPD]: Fertige Anträge!) sollen mögliche Ansatzpunkte für den Abbau der ver- Ich kenne diese Anträge nicht; aber ich kann sie mir gern bleibenden Lohnunterschiede im Rahmen kollektiver zuleiten lassen. Lohnverhandlungen identifiziert werden. Das Projekt richtet sich vorrangig an die Tarifpartner. Ziel ist, dass (Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Dann le- das Thema Entgeltgleichheit künftig in den Tarifver- sen Sie offensichtlich keine Zeitung, Herr Kol- handlungen eine größere Rolle spielt. lege!) Lassen Sie mich auf die Rede von Frau Kollegin Geht es um einen Antrag, der die Frauen in Bayern daran Golze zurückkommen. Sie hat es nicht lassen können, hindert, berufstätig zu sein? Mit Verlaub, man kann hier das Thema Mindestlohn als Allheilmittel in diese De- natürlich Volksgruppen diskreditieren. Aber wenn Sie batte einzubringen. uns Bayern für so rückständig halten, muss ich sagen: Wir sind es nicht; wir tun das nicht; wir lassen die (Diana Golze [DIE LINKE]: Ich habe mehrere Frauen arbeiten, auch wenn die häusliche Betreuung der Vorschläge gemacht!) Kinder – – Liebe Frau Kollegin Golze, nehmen Sie bitte zur Kennt- (Elke Ferner [SPD]: Sie lassen die Frauen ar- nis, dass die Sachverständigenanhörung ergeben hat: beiten? Da sind die Frauen aber dankbar, dass Insbesondere im Bereich der höheren Bezahlung geht Sie sie arbeiten lassen! Wie peinlich! Das ist ja der Gender Pay Gap auseinander. Der Lohnunterschied der Hammer!) ist in den ungelernten Berufen mit 5 Prozent noch am geringsten. – Frau Ferner, wir schreiben kein Familienmodell vor. Wir haben durchaus Respekt vor der Lebensentschei- (Diana Golze [DIE LINKE]: Und deshalb dung der Familien, Respekt vor der Entscheidung der muss man dafür nichts tun? Das ist doch lä- Frau, entweder zu Hause zu bleiben oder berufstätig zu cherlich!) sein. Bei Angelernten beträgt er 14 Prozent, bei Fachange- stellten 11 Prozent, bei herausgehobenen Arbeitnehmern Vizepräsident Eduard Oswald: 15 Prozent und bei Arbeitnehmerinnen in leitender Stel- War das jetzt die Beantwortung der Frage? lung immerhin 24 Prozent. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29041

Paul Lehrieder (A) (Diana Golze [DIE LINKE]: Und deshalb muss endlich zu beenden. Stimmen Sie daher unserem Gesetz- (C) man für diesen Bereich nichts tun?) entwurf zu! Das heißt, ein Mindestlohn wird das Problem der unter- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schiedlichen Bezahlung von Frauen und Männern leider DIE GRÜNEN) nicht lösen. Herr Lehrieder, Herr Steinbrück hat recht: Wir möch- (Elke Ferner [SPD]: Zwei Drittel der Niedrig- ten gerne, dass der Equal Pay Day endlich überflüssig löhner sind Frauen!) wird. Wir setzen neben dem Betreuungsgeld auf den ver- (Beifall bei der SPD – Paul Lehrieder [CDU/ stärkten Ausbau von Betreuungseinrichtungen, Frau CSU]: Das wollen wir alle!) Ferner. Wir haben in diesem Jahr zusätzlich 580,5 Mil- In Ihrem Antrag lese ich: Sie wollen, dass der Equal Pay lionen Euro ausgegeben, weil viele, insbesondere sozial- Day weiterhin vom Ministerium finanziell gefördert demokratisch dominierte Regionen, in den letzten Jahren wird. Das signalisiert mir doch: Sie trauen Ihrer eigenen ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Das ist wirk- Politik nicht über den Weg. Sie rechnen offensichtlich sam. nicht damit, dass Ihre Politik die Lohnlücke schließt. Ihr Im Übrigen haben wir im letzten Jahr in der Bundes- Antrag ist meiner Ansicht nach eine echte Offenbarung. republik mit 71 Prozent die höchste Frauenerwerbsquote (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aller Zeiten erzielt, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Elke Ferner [SPD]: Viel Teilzeit! Das Arbeits- GRÜNEN) volumen ist nicht gestiegen!) Wir von der SPD stellen uns an die Seite der Frauen. und das auch ohne Ihre kritische Begleitung, liebe Frau Wir wollen im Gegensatz zu Ihnen den Grundsatz „Glei- Kollegin Ferner. Wir werden auf diesem Weg weiterma- cher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ tatsäch- chen; denn damit helfen wir den Frauen und den Fami- lich durchsetzen. Das geht unserer Auffassung nach nur lien. mit einer Verpflichtung, nur mit einem Gesetz. Appelle und Freiwilligkeit haben den Frauen bisher nicht gehol- (Diana Golze [DIE LINKE]: Auch die Kinder fen und werden das auch in Zukunft nicht tun. würden von einem Mindestlohn profitieren!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Präsident, ich bedanke mich für Ihr geduldiges der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Warten. GRÜNEN) (B) (D) Danke schön. Frau Bracht-Bendt, Sie haben recht: Es gibt schon (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und viele Gesetze. Ich will sie noch einmal nennen: das All- der FDP) gemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Betriebsverfas- sungsgesetz, seit 60 Jahren das Grundgesetz. In allen wird – auch das ist richtig – die Gleichbehandlung von Vizepräsident Eduard Oswald: Männern und Frauen und damit auch gleiche Entlohnung Vielen Dank, Herr Kollege Paul Lehrieder. – Nächste gefordert. Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Christel Humme. Aber kein Gesetz wirkt. Warum? Um gleichen Lohn Bitte schön, Frau Kollegin Christel Humme. herzustellen, bedarf es einer wichtigen Voraussetzung: Wir müssen wissen, wie der Betrieb insgesamt entlohnt, (Beifall bei der SPD – Elke Ferner [SPD]: damit wir die Situation überhaupt verbessern können. Endlich eine vernünftige Rede!) Das heißt, wir brauchen Transparenz.

Christel Humme (SPD): (Beifall der Abg. Elke Ferner [SPD]) Frau Schön – – Natürlich erst einmal: Herr Präsident! Nichts ist in Deutschland ein besser gehütetes Geheim- – Entschuldigung. nis – das wissen wir doch alle – als das Gehalt der Kolle- gin und vor allem das des Kollegen. Es ist klar, dass es Vizepräsident Eduard Oswald: damit einfach ist, ungleich zu bezahlen. Unser Gesetz – So viel Zeit muss sein – vielen Dank. das ist wichtig – wird die Transparenz herstellen, die wir brauchen, um für Gerechtigkeit zu sorgen. (Heiterkeit – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Man kann auch sagen: Schöner Präsi- (Beifall bei der SPD) dent!) Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, die bestehenden Gesetze funktionieren auch deshalb nicht, weil diese Ge- Christel Humme (SPD): setze überhaupt kein Verfahren vorsehen, das gleichen Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Frau Schön und Lohn für gleiche Arbeit schafft und Diskriminierung be- Herr Lehrieder, es bleibt dabei: Im 21. Jahrhundert ange- seitigt. Wir wollen die Arbeitgeber verpflichten, gemein- langt, und immer noch ist die Arbeit der Frauen weniger sam mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und, wert als die Arbeit der Männer. Da müssen wir etwas falls vorhanden, mit dem Betriebsrat oder dem Personal- tun. Wir haben heute die Chance, diese Ungerechtigkeit rat und den Gleichstellungsbeauftragten ihre Entgeltsys- 29042 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Christel Humme (A) teme eigenständig diskriminierungsfrei zu gestalten. Wir Gleichberechtigung von Männern und Frauen, gelten? (C) setzen dabei auf ein eigenverantwortliches Handeln, Es kann doch nicht sein, dass Sie Bürokratie nur akzep- quasi im Schatten des Gesetzes. Für das gesamte Verfah- tieren, wenn es um Ihre Klientel geht, angefangen in die- ren ist im Gesetz ein angemessener Zeitraum von mehre- ser Legislaturperiode mit der Hotelsteuer. ren Jahren vorgesehen. Eine Gesetzeskeule, wie das Frau Schön immer wieder gerne sagt, sehe ich darin überhaupt (Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP: Oh nicht. !) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das Betreuungsgeld ist genauso bürokratisch. Das ak- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zeptieren Sie, aber wenn es um die Gleichstellung von Männern und Frauen und wenn es um Menschenrechte Wir brauchen natürlich auch Sanktionen; das ist keine geht, dann kritisieren Sie alles. Frage. Denn ohne sie fehlt es an Durchsetzungskraft. Frau Ministerin Schröder – sie ist auch hier – will, so- (Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Menschenrechte weit wir wissen, ebenfalls eine Prüfung. jetzt auch? Was ist mit den Frauen bei der Ba- byklappe?) (Zurufe von der CDU/CSU) Ich sage Ihnen: Unsere Geduld ist am Ende. Wenn wir – Sie wollen das auch. – Sie bieten Logib-D zum Down- das derzeitige Tempo unterstellen – Abbau der Entgelt- load an und hoffen, dass die Arbeitgeber es nicht nur ungleichheit um 1 Prozent in sechs Jahren –, sind es herunterladen, sondern auch nutzen. Insgesamt sollen 132 weitere Jahre, bis wir den Equal Pay Day tatsächlich 200 Unternehmen beraten werden. Das ist ein schönes abschaffen können. Es ist Zeit für Taten. Stimmen Sie Vorgehen, allerdings mit großen Webfehlern: heute unserem Gesetzentwurf zu! Erstens. Alles ist freiwillig und entzieht sich einer Er- Danke schön. folgskontrolle. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zweitens. Das Messverfahren ist überholt. DIE GRÜNEN) (Elke Ferner [SPD]: Genau!) Vizepräsident Eduard Oswald: Drittens. Die Arbeitgeber entscheiden alleine, ob sie das machen oder nicht. Eine Mitbestimmung der Arbeit- Vielen Dank Frau Kollegin Christel Humme. – nehmerinnen und Arbeitnehmer ist im Gegensatz zu un- Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Frak- serem Gesetzentwurf nicht vorgesehen. tion von CDU/CSU unsere Kollegin Katharina Landgraf. Bitte sehr, Frau Kollegin Landgraf. (B) Viertens. Sie beraten 200 Unternehmen, und das bei (D) insgesamt 3 Millionen Unternehmen. Was soll das brin- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gen? Das bringt überhaupt nichts, aber es kostet eine neten der FDP) ganze Menge. 4,5 Millionen Euro stellen Sie dafür in den Haushalt ein. Lohngleichheit mit Ihnen? Ich sage: Katharina Landgraf (CDU/CSU): Fehlanzeige. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate in der Arbeitswelt ist eine unendliche Geschichte. Da- Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rüber reden wir – auch ich – jedes Jahr wieder; leider NEN]) bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Frau Bracht-Bendt, ich habe es fast schon geahnt, Die Erwerbstätigkeit der Frauen nimmt seit Jahren dass der Vorwurf der Bürokratie erhoben wird. stetig zu, aber die tatsächliche Gleichstellung der Frauen (Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Ja!) in der Arbeitswelt ist noch lange nicht erreicht. Denn: Obwohl Frauen heute durchschnittlich höhere und bes- Dahinter verstecken Sie sich immer dann gerne, wenn sere Bildungsabschlüsse als Männer erreichen, sind sie Sie keine gesellschaftspolitischen Veränderungen wol- in gut bezahlten Berufen und höheren Entscheidungs- len. positionen immer noch selten zu finden. (Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Nein, nein!) Einen Lichtblick gibt es allerdings in den neuen Bun- – Selbstverständlich, Frau Bracht-Bendt. Sobald es um desländern. Dort ist die Lohnlücke sehr viel kleiner. Sie gesellschaftspolitische Veränderungen geht, sagen Sie, beträgt zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern nur das sei zu bürokratisch. 4 Prozent und in Sachsen 9 Prozent, während sie in Ba- den-Württemberg 27 Prozent beträgt. Dies liegt auch da- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate ran, dass die Männer im Osten durchschnittlich weniger Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verdienen als ihre westdeutschen Kollegen und dass die NEN]) Frauen im Osten häufiger in Vollzeit arbeiten und selte- Verkehrsregeln einhalten, Verbraucher schützen und ner in Minijobs. Zudem unterbrechen sie ihre Berufstä- Lebensmittelskandale verhindern – das alles ist doch nur tigkeit seltener für längere Zeit – denn 50 Prozent aller mit Bürokratie möglich. Und das ist gut so; damit dienen Zweijährigen gehen bei uns in eine Kinderkrippe –, und wir doch dem Allgemeinwohl. Warum soll nicht das es gibt im Osten mehr Frauen, die Führungspositionen Gleiche für die Einhaltung der Grundrechte, also für die innehaben. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29043

Katharina Landgraf (A) (Elke Ferner [SPD]: Das findet jetzt Herr (Elke Ferner [SPD]: Die Regierung verändert (C) Lehrieder gar nicht gut!) jetzt die Stellen- und Arbeitsbewertungen?) Die SPD betont in ihrem Gesetzentwurf, dass sie die – Hören Sie gut zu, Frau Ferner. Das ist ein bisschen was Entgeltgleichheit mit einem Gesetz durchsetzen will. Ich anderes als das, was andere gesagt haben. Denn ich finde sage hingegen: Der Staat als Handelnder soll sich hier so es wichtig, dass wir nicht nur in Sonntagsreden vom weit wie möglich zurückhalten. Das verträgt sich aber Dienst am Menschen sprechen, nicht mit diesem Gesetzentwurf. Denn Sie fordern eine (Elke Ferner [SPD]: Wir wollen was tun im Verpflichtung zur Vorlage von Entgeltberichten, zum Gegensatz zu Ihnen! – Gegenruf von der Aufbau einer Behördenstruktur und einer Prüfungsin- CDU/CSU: Nicht immer dazwischenquat- stanz. schen, wenn die Kollegin aus Sachsen redet!) (Elke Ferner [SPD]: Schaffen wir das Kraft- sondern dass sich das auch im Lohn auswirkt, den diese fahrt-Bundesamt auch ab, oder was?) Menschen bekommen. Ich denke zum Beispiel an unsere Sie fordern also den Aufbau einer ausladenden Bürokra- Lehrerinnen, Erzieherinnen, Pflegerinnen und all die, die tie. Das widerspricht unseren ordnungspolitischen Prin- für den Dienst am Menschen bisher noch zu wenig Geld zipien und unserem Ziel des Bürokratieabbaus. bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) neten der FDP) Das trägt dazu bei, die Auswirkungen auf die Entgelt- Wo bleibt außerdem die Tarifvertragsfreiheit? gleichheit zwischen Männern und Frauen zu mindern. Wir haben schon eine Rahmengesetzgebung zum Einer der wichtigsten Punkte ist aber nach wie vor die Thema Entgeltgleichheit und brauchen kein neues Ge- Vereinbarkeit von Familie und Beruf. setz. Ich erinnere an die vorhandenen Gesetze, zum Bei- (Elke Ferner [SPD]: Betreuungsgeld!) spiel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Grundgesetz. Trotz eines veränderten Rollenverständnisses von Män- nern sind es nach wie vor die Frauen, die die Erziehung (Elke Ferner [SPD]: Sie wollen also die Ver- der Kinder übernehmen. Die Unternehmenskultur ist hältnisse so lassen, wie sie sind! Das ist schon trotz jahrelanger Bemühungen und auch unserer Appelle mal eine Aussage!) in der letzten Zeit nicht freundlicher geworden. Ich versuche jetzt, nicht das zu wiederholen, was (Elke Ferner [SPD]: Also, Appelle helfen meine Kollegen schon vorgetragen haben. Ich will auch (B) nicht!) (D) nicht noch einmal die Ursachen nennen; darin stimme ich mit Ihnen überein. Ich möchte bloß wiederholen, Die Erwerbstätigenquote von Frauen war im vorigen dass unser Ministerium schon lange auch bei den Ursa- Jahr zwar mit 71 Prozent auf dem Höchststand. Die Teil- chen ansetzt. zeitquote ist in Deutschland aber leider unverhältnismä- ßig hoch. Zahlreiche Studien und meine Erfahrungen be- Ich möchte zu den Aktivitäten nur einen Punkt nen- legen, dass ein Teil dieser Frauen sehr gerne in Vollzeit nen, den auch Kollege Lehrieder schon angesprochen arbeiten würde. Dass sie dies trotz oft sehr guter Qualifi- hat: das Forschungsprojekt „Tarifverhandlungen und kation nicht können, liegt häufig an den bisher noch Equal Pay“. Zusammen mit den Tarifpartnern und der nicht ausreichenden Infrastrukturmaßnahmen für die Be- Forschung werden – darauf setze ich große Hoffnung – treuung von Kindern, an starren Arbeitszeiten, mangeln- Maßnahmen für einen Abbau von Lohnunterschieden im der Flexibilität bei dem Wechsel zwischen Vollzeit und Rahmen von Lohnverhandlungen benannt. Teilzeit oder auch an mangelnden Gestaltungsmöglich- (Elke Ferner [SPD]: Gesetzgeber sind doch keiten. Nach wie vor ist es die Frau, die zu Hause bleibt, Sie, nicht die Tarifpartner!) ihre Arbeitszeit reduziert, und das schlägt sich eben auf das Entgelt und die Altersversorgung nieder. Das Projekt richtet sich vorrangig an die Tarifpartner. Ziel ist es, dass das Thema Entgeltgleichheit künftig in Wir fordern weiterhin innovative Arbeitszeitmodelle Tarifverhandlungen eine größere Rolle als bisher spielt. in Form von Gleitzeit, Teilzeit, Telearbeit usw. Das würde auch den Männern guttun. Das führt zu weniger (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Fehlzeiten, zu weniger Fluktuation und zu einer höheren Elke Ferner [SPD]: Entgeltgleichheit ist doch Motivation. Wir werben in diesem Zusammenhang in nicht verhandelbar!) unserem Antrag – gerade im Hinblick auf den Fachkräf- Im brandfrischen Antrag der Koalition fordern wir die temangel – für eine Kultur der Vielfalt innerhalb der Un- Bundesregierung auf, weitere Maßnahmen zur Überwin- ternehmen und dafür, dass das Potenzial von Berufsrück- dung der Entgeltungleichheit zu ergreifen. kehrerinnen besser genutzt wird. (Elke Ferner [SPD]: Bei der Regierung können (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Sie aber noch lange darauf warten!) wie des Abg. Dr. Peter Röhlinger [FDP]) So werden zum Beispiel die Tarifpartner darin unter- Die noch vorherrschende Präsenzkultur muss durch eine stützt, die Stellen- und Arbeitsbewertungen zu verän- Effizienzkultur ersetzt werden, bei der es viel weniger dern. auf die Länge der Arbeitszeit als auf die Ergebnisse an- 29044 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Katharina Landgraf (A) kommt. Dazu muss auch die Charta für familienbe- Ja, so ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie brin- (C) wusste Arbeitszeiten ausgewertet und weiterentwickelt gen die Wirklichkeit für 41 Millionen Frauen in werden. Deutschland ganz genau auf den Punkt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der FDP – Beate Müller-Gemmeke [BÜND- Was wollen Sie angesichts dieser 64 Jahre währenden NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber mit Ent- Grundgesetzverstöße machen? Schauen wir in Ihren An- geltgleichheit überhaupt nichts zu tun!) trag: Erst einmal freuen Sie sich über 200 von 3 Millio- Die Verbesserung der Vereinbarung von Familie und nen Unternehmen in Deutschland, die das Instrument Beruf ist nicht nur ein gleichstellungs- und familienpoli- Logib-D freiwillig nutzen. Diese Unternehmen können tisches Ziel. Es hilft allen. Es stünden dem Arbeitsmarkt freiwillig gegen Lohnunterschiede vorgehen und damit nach aktuellen Schätzungen rund 1,2 Millionen qualifi- genau 0,0014 Prozent der Lohnlücke schließen. Sie zierte Frauen mehr zur Verfügung. Die bessere Verein- freuen sich über einen Familiengipfel, auf dem viele barkeit von Familie und Beruf hat einen starken Einfluss warme Worte verloren wurden. Sie freuen sich über auf die Erwerbsbeteiligung und trägt somit maßgeblich 1 000 Unternehmen in Deutschland, die laut Hertie-Stif- zur Verringerung der Lohnlücke bei. tung Maßnahmen zur verbesserten Vereinbarkeit von Fa- milie und Beruf ergriffen haben. Toll! Das entspricht ja Ich appelliere daher an die Arbeitgeber und an die Ta- immerhin einem Unternehmen von 3 000. rifparteien, (Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD]) (Elke Ferner [SPD]: Ich denke, die Appelle helfen nichts!) In Ihrem Antrag schreiben Sie dann im Forderungs- teil, dass Sie Werbung machen wollen: für mehr Fami- auf die Frauen und deren Möglichkeiten einzugehen, da- lienfreundlichkeit, für den verstärkten Einsatz von Ta- mit uns deren Potenzial nicht verlorengeht, sondern es gesmüttern, weil diese so herrlich flexibel sind, für die bestmöglich genutzt wird. Erleichterung des Wiedereinstiegs von Frauen nach der (Elke Ferner [SPD]: Sie müssen sich einmal Kinderphase, für eine Effizienzkultur statt einer Präsenz- entscheiden, ob die Appelle jetzt helfen oder kultur in der Arbeitswelt. nicht!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, Vielen Dank. die Entgeltlücke zwischen Männern und Frauen wird von Feministinnen schon seit über 100 Jahren problema- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke tisiert. Sie hält sich in Deutschland trotz großen Pro- Ferner [SPD]: Nur peinlich!) (B) blembewusstseins noch viel hartnäckiger als in vielen (D) anderen europäischen Ländern. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin aus (Elke Ferner [SPD]: Wohl wahr!) der Fraktion der Sozialdemokraten: unsere Kollegin Diese Entgeltlücke wollen Sie als verantwortliche Re- Frau Gabriele Hiller-Ohm. Bitte schön, Frau Kollegin. gierung allen Ernstes mit „Freuen“ und „Werben“ schlie- (Beifall bei der SPD) ßen? Realitätsferner geht es ja wohl nicht. (Elke Ferner [SPD]: Genau!) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): So sieht Ihr Kampf gegen die Lohndiskriminierung Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist aus: Ihre Ministerin, Kristina Schröder, Mutter des Be- traurig und für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von treuungsgelds, geht in die Betriebe, freut sich über die CDU/CSU und FDP, beschämend, dass wir diese De- Belegplätze der Unternehmen bei einer Tagesmutter, batte heute überhaupt führen müssen. wirbt für das große Potenzial von Berufsrückkehrerinnen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und denkt, dass die netten Chefs ihren Arbeitnehmerin- nen nachher freiwillig ein Viertel mehr Gehalt zahlen Sie könnten den unhaltbaren Zustand der unmittelbaren würden. In welcher Welt, so frage ich Sie, leben Sie? Diskriminierung von 17 Millionen erwerbstätigen Frauen mit Ihrer Regierung sofort ändern. (Beifall bei der SPD) (Zuruf des Abg. Dr. Peter Röhlinger [FDP] – Wir alle – das war auch unter Rot-Grün so – haben Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Wollen doch schon unsere Erfahrungen mit Freiwilligkeit ge- die nicht! Aha!) macht – viel zu lange. Nichts hat sich bis heute an der Lohndiskriminierung geändert. Wir wollen endlich Ta- In Ihrem Antrag stößt man auf folgende richtige Ana- ten sehen. lyse: Das Grundgesetz verbietet es, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein der LINKEN) geringeres Entgelt zu zahlen als Männern. … Den- noch verharrt seit Jahren der durchschnittliche Ver- Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von dienstunterschied zwischen Frauen und Männern CDU/CSU und FDP: Würden Sie es hinnehmen, wenn nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei Ihre Bank Monat für Monat widerrechtlich ein Viertel 22 Prozent. Ihres Gehaltes einbehielte? Würden Sie nach 100 Jahren Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29045

Gabriele Hiller-Ohm (A) noch diskutieren und sich freuen, dass Ihr Bankberater für mehr Frauen im Handwerk, sondern er stellt Frauen (C) Ihren Unmut versteht? Würden Sie dafür werben, Ihnen und Männer hinsichtlich der Entlohnung gleich. wenigstens eine Chance zu geben, die ungerechtfertigten Abzüge zu verringern? Als Mittelständler und Handwerksmeister möchte ich als letzter Redner zum Thema „Entgeltgleichheit für (Elke Ferner [SPD]: Nein, würden sie nicht!) Männer und Frauen“ einen Blick auf das deutsche Hand- werk werfen, um auch einmal einen Praxisbezug herzu- Es geht nicht darum, langsam eine gesellschaftliche stellen und aufzuzeigen, wie es funktionieren kann. Das Stimmung für Lohngerechtigkeit zwischen den Ge- deutsche Handwerk ist in vielen gesellschaftspolitischen schlechtern zu erzeugen. Es ist richtig: Wir müssen die Bereichen sowieso einen Schritt voraus. Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Aber das allein löst das Problem nicht. In den vergangenen Jahren ist der Frauenanteil im Handwerk kontinuierlich gestiegen. Frauen haben in vie- (Elke Ferner [SPD]: Genau!) len der fast 1 Million Handwerksbetriebe die Hosen Wir müssen die systematische Diskriminierung beseiti- – oder besser gesagt: die Schweißerjacke, die Lupen- gen; brille oder die elektrisch ableitfähigen Handschuhe – an; denn Frauen sägen, löten, schweißen, hämmern, schrau- (Beifall bei der SPD) ben an Autos und decken Dächer. Mehr als ein Viertel denn auch Frauen ohne Kinder, die überhaupt kein Pro- der Auszubildenden im Handwerk sind Frauen, mehr als blem hinsichtlich der Vereinbarkeit zwischen Familie 20 Prozent der Meisterprüfungen werden von Frauen ab- und Beruf haben, sowie Frauen in typischen Männerbe- gelegt, und fast jeder vierte Gründer im Handwerk ist rufen werden für gleiche Leistungen schlechter bezahlt weiblich. Bei diesen Zahlen gibt es sogar eine steigende als Männer. Alle Frauen in Deutschland sind deshalb be- Tendenz. troffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sehenden Auges wird gegen unser Grundgesetz ver- neten der FDP) stoßen, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung wird Diese erfreuliche Entwicklung zeigt, dass die freiwil- bis ins hohe Alter, bis zum Tod, krass benachteiligt. Das, lige Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Skandal. Wir je- von Männern und Frauen, die vor zehn Jahren zwischen denfalls werden es nicht länger hinnehmen, dass die der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der Rechte von Frauen in unserem Land mit Füßen getreten deutschen Wirtschaft geschlossen wurde, sehr erfolg- werden. reich ist. Frauen haben also längst die klassische Män- (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nerdomäne Handwerk erobert. (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Elke Ferner [SPD]: 20 Prozent – sehr ambi- Wir wollen deshalb unseren Gesetzentwurf durchset- tioniert!) zen, mit dem wir diese Ungerechtigkeit ein für alle Mal Diese Entwicklung muss – umgekehrt – auf die Dienst- beenden können. Die Gewerkschaften stehen dabei dicht leistungsbranche, insbesondere auf die Gesundheits- und an unserer Seite. Wir zeigen eine wirksame und unbüro- Pflegeberufe, übertragen werden. In diesen frauendomi- kratische Lösung auf, wie man Entgeltdiskriminierung nierten Berufen brauchen wir mehr Männer, um nicht unterbinden kann. nur dem Fachkräftemangel, sondern auch dem demogra- Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und fischen Wandel entgegenzuwirken. Ziel des Bundesfa- FDP, tun Sie endlich einmal etwas Richtiges, und stim- milienministeriums ist es daher, die Attraktivität der Ge- men Sie unserem Gesetzentwurf zu! sundheitsbranche zu steigern, (Beifall bei der SPD – Elke Ferner [SPD]: Nur (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ein Mal in dieser Wahlperiode etwas Richtiges Christel Humme [SPD]: Wie denn?) machen!) zum einen durch eine gesellschaftliche und zum anderen vor allem durch eine finanzielle Aufwertung der Ge- Vizepräsident Eduard Oswald: sundheitsberufe. Vielen Dank, Frau Kollegin Hiller-Ohm. – Letzter Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion von (Elke Ferner [SPD]: Appelle! Jawohl!) CDU/CSU unser Kollege Eckhard Pols. Bitte schön, Das sind Maßnahmen, um die Entgeltunterschiede zwi- Kollege Pols. schen Frauen und Männern zu verringern. Mit diesem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Thema, nämlich mit der Lohnfindung in den Gesund- neten der FDP) heitsfachberufen, beschäftigt man sich auch im Rahmen des diesjährigen Equal Pay Day. Eckhard Pols (CDU/CSU): Ich selbst kann nur schwer nachvollziehen, warum Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe beispielsweise der Umgang mit Maschinen oder mit dem Kolleginnen und Kollegen! Sie kennen doch sicherlich Thema Finanzen im Hinblick auf die Entlohnung eine alle den Satz: Bei uns ist jeder Tag Frauentag. – So wirbt andere Bewertung erfährt als die hohe psychische und der Zentralverband des Deutschen Handwerks nicht nur körperliche Belastung im Umgang mit kranken oder 29046 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Eckhard Pols (A) hilfsbedürftigen Menschen. Das widerspricht meinem von Elternzeiten und die Häufigkeit von Teilzeittätigkei- (C) persönlichen Gerechtigkeitsempfinden. ten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Elke Ferner [SPD]: Ja, ja! Jetzt sind die der FDP – Elke Ferner [SPD]: Und warum tun Frauen auch noch selber schuld!) Sie dann nichts dagegen?) Wie eben gesagt, macht es sich natürlich in der Vergü- Ein gesellschaftliches Umdenken ist hier dringend erfor- tung von Frauen bemerkbar, dass sich viele von ihnen derlich. für erzieherische, lehrende oder gesundheitsbezogene (Elke Ferner [SPD]: Sie sollten umdenken!) Berufe entscheiden statt für technische oder gar inge- nieurwissenschaftliche. Das Institut der deutschen Wirt- Für das Handwerk gilt: Wo Tarifverträge existieren, schaft Köln hat dazu Berechnungen durchgeführt und fällt die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern ge- festgestellt, dass Elternzeiten von mehr als drei Jahren ringer aus, weil die Entgeltpraxis an diesen Stellen trans- mit Entgelteinbußen von durchschnittlich 12 Prozent parenter ist. einhergehen. Dass Frauen häufiger als Männer in Mini- jobs arbeiten, senkt ihre durchschnittliche Vergütung. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Sagen Sie doch Der wesentliche Teil der Entgeltlücke zwischen Frauen auch mal etwas Konkretes zum Thema!) und Männern lässt sich somit durch unterschiedliche Be- Wichtig ist auch, dass man bei der Frage der Entgelt- rufswahl und Verantwortung in der Familie erklären. Be- gleichheit nicht Äpfel mit Birnen vergleicht. reinigt man diese Entgeltlücke um die genannten Fakto- ren, dann bleibt lediglich eine Lücke von 2 Prozent (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!) bestehen. Wenn eine Frau beim gleichen Arbeitgeber die gleiche (Elke Ferner [SPD]: Also gar kein Problem, Arbeit leistet wie ein Mann, dann wird sie auch gleich oder wie? Toll! Das ist ja echtes Problembe- entlohnt. Das ist im Handwerk gelebte Praxis und wird wusstsein!) auch nach Recht und Gesetz verlangt. (Elke Ferner [SPD]: Dann braucht ihr ja keine Dies sind, wie gesagt, Zahlen des Instituts der deutschen Angst vor dem Gesetz zu haben!) Wirtschaft Köln. Dieser Wert, Frau Ferner, taugt nun wirklich nicht, um eine fundamentale Diskriminierung – Hören Sie doch erst einmal zu, Frau Ferner! Dann kön- von Frauen zu belegen. Dies ändert aber nichts an unse- nen Sie dazwischenrufen. rem grundsätzlichen, generellen Ziel, die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt voranzutrei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (B) ben. (D) der FDP) Es wäre auch ökonomisch unsinnig, Männern bei In unserem Antrag haben wir deshalb ein Bündel an gleicher Arbeit mehr zu zahlen als Frauen. Maßnahmen vorgeschlagen, (Karin Binder [DIE LINKE]: Es geht um gleich- (Elke Ferner [SPD]: Oh ja! Maßnahmen wie wertige Arbeit, Herr Kollege! Sie haben es im- Appelle und Bitten!) mer noch nicht begriffen!) um dieses Ziel zu erreichen, zum Beispiel die Schaffung Dazu steht auch nicht im Widersprich, dass Männer und von besseren Rahmenbedingungen zur leichteren Ver- Frauen beim gleichen Arbeitgeber und im gleichen Be- einbarkeit von Familie und Beruf – das haben wir schon ruf dennoch oftmals unterschiedlich viel verdienen. von Frau Landgraf gehört – Denn bei der Lohn- bzw. Gehaltseinstufung werden auch individuelle Vorkenntnisse und Fähigkeiten, der Grad (Elke Ferner [SPD]: Betreuungsgeld!) der Belastung, die Verantwortung des Arbeitnehmers und insbesondere eine flächendeckende und bedarfsge- und die Art, Vielfalt und Qualität der Tätigkeit berück- rechte Kinderbetreuung. Frau Ferner, noch einmal ganz sichtigt. deutlich: Wenn Ihre Tochter für ihr Kind Betreuungsgeld (Elke Ferner [SPD]: Es geht also nicht um die bezieht, dann heißt das noch lange nicht, dass Ihre Toch- Arbeit, sondern um die Nase!) ter währenddessen nicht auch arbeiten kann. Dies erklärt zum Beispiel, warum nicht jeder Lehrer, je- (Elke Ferner [SPD]: Und das Kind hängt sie der Krankenpfleger und jeder Verkäufer gleich entlohnt dann an den Kleiderhaken, oder wie?) werden. Wir arbeiten in unserer christlich-liberalen Koalition an Die viel diskutierte Entgeltlücke von 22 Prozent zwi- diesem Bündel von Maßnahmen. schen Frauen und Männern spiegelt das, was suggeriert wird, nicht wider. Da die Bruttostundenlöhne von Frauen Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn meine um 22 Prozent unter denen von Männern liegen, wird Handwerkskollegen gefragt werden, dann sagen sie im- auf eine Diskriminierung von Frauen in Deutschland ge- mer: Wir sind Handwerker, wir können das. schlossen. Bei dieser Argumentation bleiben jedoch ei- Vielen Dank. nige Faktoren, die die Vergütung sehr stark prägen, un- berücksichtigt, zum Beispiel die Berufswahl, die Dauer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29047

(A) Vizepräsident Eduard Oswald: (Berlin), Torsten Staffeldt, weiterer Abgeordneter (C) Vielen herzlichen Dank, Kollege Eckhard Pols. und der Fraktion der FDP Den Wandel in der maritimen Wirtschaft be- Kollege Pols war auch der letzte Redner in unserer gleiten und ihre nationale Aufgabe für den Aussprache, Wirtschaftsstandort Deutschland herausstel- (Elke Ferner [SPD]: Der Letzte, da haben Sie len recht!) – Drucksache 17/12817 – die ich nun auch schließe. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weite- Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD wurf der Fraktion der SPD zur Durchsetzung des Ent- geltgleichheitsgebotes für Frauen und Männer. Der Aus- Umsteuern in der Krise – Maritime Wirtschaft schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützen empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh- – Drucksache 17/12723 – lung auf Drucksache 17/12782, den Gesetzentwurf der c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Herbert Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9781 abzulehnen. Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der DIE LINKE SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Soziale Arbeitsbedingungen in der maritimen Enthaltungen? – Das ist die Fraktion Die Linke. Der Ge- Wirtschaft fördern – Flaggenflucht verhin- setzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit dern entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera- – Drucksache 17/12823 – tung. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 17/12782 empfiehlt der Ausschuss die An- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung nahme des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU und d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- FDP auf Drucksache 17/12483 mit dem Titel „Entgelt- gierung gleichheit für Frauen und Männer verwirklichen – Fa- (B) milienfreundliche Unternehmen als Beitrag zur Gleich- Dritter Bericht der Bundesregierung über die (D) stellung der Geschlechter“. Wer stimmt für diese Entwicklung und Zukunftsperspektiven der Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio- maritimen Wirtschaft in Deutschland nen. Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfrak- – Drucksache 17/12567 – tionen. Enthaltungen? – Niemand. Die Beschlussemp- Überweisungsvorschlag: fehlung ist angenommen. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Verteidigungsausschuss Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Frauen Ausschuss für Tourismus verdienen mehr – Entgeltdiskriminierung von Frauen ver- ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- hindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu empfehlung auf Drucksache 17/12575, den Antrag dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache Dr. Gerhard Schick, Bettina Herlitzius, weiterer 17/8897 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ empfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Ge- DIE GRÜNEN genprobe! – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Europäische Tonnagesteuer statt Steuerspar- Enthaltungen? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist modell angenommen. – Drucksachen 17/12697, 17/12878 – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende

dieses Tagesordnungspunktes. Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Mathias Middelberg Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d sowie Lothar Binding (Heidelberg) den Zusatzpunkt 10 auf: Dr. Gerhard Schick 32 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Dr. Joachim Pfeiffer, Eckhardt Rehberg, Thomas Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Sie sind damit einverstanden. Dann haben wir das gemeinsam so be- Bareiß, weiterer Abgeordneter und der Frak- schlossen. tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner Ich eröffne die Aussprache. 29048 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Vizepräsident Eduard Oswald (A) Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Bun- Mit der Erneuerung des Maritimen Bündnisses hat die (C) desregierung der Parlamentarische Staatssekretär Hans- Bundesregierung im vergangenen Jahr ein deutliches Joachim Otto. – Bitte schön, Kollege Hans-Joachim und, wie ich finde, sehr wichtiges Signal gesetzt. Damit Otto. hat die Bundesregierung Kontinuität und Verlässlichkeit bewiesen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bun- Zugleich haben wir erreicht, dass die deutschen Ree- desminister für Wirtschaft und Technologie: der mit 30 Millionen Euro jährlich zusätzlich einen sub- Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und stanziellen Eigenbeitrag zur Stärkung von Ausbildung Kollegen! Gleich eingangs meine zentrale Botschaft: und Beschäftigung in Deutschland erbringen. Auch das Die maritime Wirtschaft in Deutschland ist eine strate- will ich an dieser Stelle ausdrücklich gutheißen. gisch unverzichtbare Zukunftsbranche mit einem über- durchschnittlichen Wachstumspotenzial. Wir brauchen Mit Erleichterung kann ich sagen, dass die Koalition sie als drittgrößtes Exportland der Welt, und wir brau- auch dafür sorgt, dass jetzt keine zusätzlichen Belastun- chen diese Branche zur Lösung von zentralen Zukunfts- gen auf die Reeder zukommen. Ich danke – das tue ich fragen hier durch besonderes Hervorheben – den Finanzpoliti- kern der Koalition dafür, dass sie sich auf eine gesetzli- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) che Klarstellung verständigt haben, wonach Erlöspools wie etwa der Energieversorgung, der Rohstoffversor- in der Schifffahrt nicht versicherungsteuerpflichtig sind. gung und des Klimawandels. Wir brauchen deshalb auch Ich bin sehr froh, dass dieses Thema noch vor der ein starkes maritimes Cluster. Um das auch in der Zu- Achten Nationalen Maritimen Konferenz erledigt wer- kunft zu erreichen, hat sich die maritime Wirtschaft ins- den konnte. Diese Konferenz findet in zwei Wochen in besondere im Bereich des Schiffbaus strategisch neu und Kiel statt. Sie wird dort einer breiten Öffentlichkeit zei- erfolgversprechend aufgestellt. gen, dass wir beispielsweise mit dem Zulassungsverfah- Die Werften haben ihre Produktpalette konsequent ren für private bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord den angepasst, und inzwischen werden in diesem Bereich Reedern die notwendige Rechtssicherheit verschaffen, nach langer Zeit wieder zusätzliche Arbeitsplätze aufge- dass wir im Bereich Verkehrsinfrastruktur viel für Ha- baut. fenanbindung und Ertüchtigung der Bundeswasserstra- ßen tun – ein Beispiel ist der Nord-Ostsee-Kanal – (B) Unterstützung brauchen die Werften bei der nach wie (D) vor schwierigen Finanzierung. Bund und Länder haben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- insgesamt aber bewiesen, dass sie ihre Instrumente, wie des Abg. Torsten Staffeldt [FDP] – Lachen nämlich Exportkreditgarantien, CIRR-Zinsausgleichsga- bei der SPD) rantien und Landesbürgschaften, flexibel und erfolgreich einsetzen. und dass wir den Nationalen Masterplan Maritime Tech- nologien erfolgreich fortschreiben und umsetzen. Für Ich begrüße es nachdrücklich, dass es uns gemeinsam Zukunftsmärkte, zum Beispiel Offshorewind, maritime gelungen ist, die Mittel für die Innovationsförderung auf Sicherheit und Tiefseebergbau, konnten wichtige Ak- 13 Millionen Euro zu erhöhen. Die Länder stellen eine zente gesetzt und konkrete Aktivitäten angestoßen wer- Kofinanzierung in gleicher Höhe bereit, und vielleicht den. gelingt es uns ja, bei dieser Position auch noch ein biss- chen zuzulegen. (Bettina Hagedorn [SPD]: Ihre Aktivitäten be- standen doch nur aus Spatenstichen!) Besonders schwierig – darüber gibt es keine Zwei- fel – ist weiterhin die Lage in der Seeschifffahrt. Es Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist heute ver- herrscht weltweit ein Überangebot an Tonnage vor. Die mutlich meine letzte Rede als Maritimer Koordinator vor dringend notwendige Erholung der Charter- und Fracht- diesem Hohen Haus. Ich will deshalb die Gelegenheit raten wird wohl kaum vor 2015 eintreten. Hier wird von nutzen, um mich bei Ihnen allen für eine insgesamt sehr den Reedern, den Eigenkapitalgebern und den Banken konstruktive und erfolgreiche Zusammenarbeit in den viel Engagement verlangt, um die Folgen der strukturel- vergangenen Jahren zu bedanken. Die maritime Koope- len und konjunkturellen Krise bewältigen zu können. ration – so nenne ich das – über alle Fraktionsgrenzen hinweg ist viel sachorientierter und zielgerichteter ver- Die Bundesregierung setzt sich ihrerseits im Rahmen laufen, als es vermutlich die folgenden Redebeiträge der des Maritimen Bündnisses verlässlich dafür ein, den Opposition vermuten lassen. Schifffahrtsstandort Deutschland zu stärken. Instrumente wie Tonnagesteuer, Lohnsteuereinbehalt, Zuschüsse zu Ich freue mich darauf, möglichst viele von Ihnen in den Lohnnebenkosten und Arbeitsplatzförderung schaf- 14 Tagen in Kiel wiedersehen zu können. fen hier bestmögliche Rahmenbedingungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29049

(A) Vizepräsident Eduard Oswald: die dem maritimen Standort insgesamt schadet. Wir (C) Auch Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, brauchen einen Kurswechsel in der maritimen Politik. ein herzliches Danke. – Nächster Redner in unserer Aus- Notwendig ist eine konsequente Innovationspolitik, um sprache für die Fraktion der Sozialdemokraten unser die maritime Wirtschaft in der Krise aktiv zu unterstüt- Kollege Uwe Beckmeyer. Bitte schön, Kollege Uwe zen. Beckmeyer. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Machen wir schon!) Uwe Beckmeyer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Entscheidend wird sein, den Modernisierungsprozess ren! der Branche aktiv zu steuern. Eine strategische Indus- triepolitik für den gesamten maritimen Bereich muss (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: In Hamburg vier zentrale Bausteine enthalten: erstens die Finanzie- sagt man: Uwe, hör auf zu tüdeln!) rung von maritimen Projekten, zweitens die Förderung – Herr Fischer, haben Sie sich einmal Gedanken ge- zukunftsfähiger Arbeit, drittens eine umfassende Inno- macht, weshalb hier kein Minister sitzt? Ist das für die vationsstrategie und -förderung und viertens die Stär- Minister Rösler und Ramsauer kein Thema? Aber gut. kung der Infrastruktur. Kurz gesagt: Ein Zukunftspaket für die maritime Branche ist notwendig. Darauf setzen Die maritime Wirtschaft schaut auch ohne die Minis- wir Sozialdemokraten. ter heute nach Berlin. (Beifall bei der SPD – Ingbert Liebing [CDU/ (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Ist Herr CSU]: Das habt ihr doch noch nie hinge- Gabriel da?) kriegt!) In der Vorbereitung der Konferenz in Kiel werden von Die Zukunftsfähigkeit der maritimen Branche hängt der Politik überzeugende Antworten erwartet, wesentlich vom technologischen Fortschritt und von (Otto Fricke [FDP]: Wo ist denn Herr marktfähigen Innovationen ab. Dies erfordert jedoch Steinmeier?) hohe Investitionssummen. Angesichts der weltweit an- gespannten Lage auf den internationalen Kapitalmärkten die helfen können, die maritime Wirtschaft in schwieri- und der wachsenden globalen Standortkonkurrenz ist die gen Zeiten zu unterstützen. Das gilt für die derzeitige solide Finanzierung absolut notwendig und eine wesent- Bundesregierung leider nicht. Sie hat in den Augen der liche Herausforderung der maritimen Erfolge und der maritimen Wirtschaft schon auf der Konferenz in Wil- maritimen Projekte. (B) helmshaven kläglich versagt. Showeffekte sind kein Er- (D) satz für eine stimmige und hilfreiche Politik. Darum fordern wir die Bundesregierung auf, sich ge- genüber der BaFin für die Übernahme des sogenannten (Beifall bei der SPD) Long Term Asset Value als alternatives Ertragswertver- fahren für die Schiffsfinanzierung einzusetzen – bis zum Auch nach der letzten Maritimen Konferenz hat es die heutigen Tage ist da auf Ihrer Ebene nichts passiert –, Regierung nicht vermocht, das Steuer herumzureißen. In gemeinsam mit den schiffsfinanzierenden Banken Mo- wesentlichen Handlungsfeldern der maritimen Wirt- delle zu entwickeln, um die deutschen Reeder beim Ab- schaft sind von ihr keine Antworten geliefert worden. bau von Schiffskapazitäten zu unterstützen, und zwar Die Folgen: Auf wichtigen Feldern, ob Offshorewind- durch Aufliegerprogramme oder durch Herausnahme energie, Maritimes Bündnis oder Hinterlandanbindung, von Schiffen, die nicht energieeffizient sind oder älter ist weiterhin kein Land in Sicht. Die Aussichten verhei- als 15 Jahre, die bestehenden Finanzierungsinstrumente ßen wenig Besserung, zumindest was die Politik von zu überprüfen und im Rahmen von Förderzielen neue Union und FDP betrifft. Die Achte Nationale Maritime Perspektiven für die Schiffbaubranche zu eröffnen. Konferenz in Kiel fällt mit dem Ende dieser Wahl- periode zusammen. Oder sollte man besser sagen: Mit Ich will das abkürzen. Wir haben im Bereich der Off- dem Ende der schwarz-gelben Regierungszeit? shoreförderung ein KfW-Sonderprogramm. Bis zum heutigen Tage haben Sie, sehr geehrte Damen von der (Torsten Staffeldt [FDP]: Die Wahl ist doch christdemokratischen Union und der FDP, es abgelehnt, erst im September!) dies für den Bereich der Hafen- und Schiffskapazitäten Daher ist dies auch der Zeitpunkt für eine Bilanz von zu öffnen. Das ist ein Umstand, der – ich sage es einmal – vier Jahren Schwarz-Gelb. Das Ergebnis fällt nicht posi- für die deutsche Küste schädlich ist. tiv aus; denn eine Schlüsselbranche unserer Volkswirt- (Beifall bei der SPD) schaft ist unter der jetzigen Bundesregierung auf sich ge- stellt. Der maritime Arbeitsmarkt ist in den vergangenen (Torsten Staffeldt [FDP]: Ach Quatsch!) Jahren stark in Bewegung geraten. Vor diesem Hinter- grund sind Fragen der Verfügbarkeit und Qualifizierung Die derzeitige Bundesregierung versteht sich, wie im von Fachkräften sowie der Stellenwert und die Perspek- Bericht mehrfach nachzulesen, als moderierend. Han- tive der traditionellen Industriearbeit zu diskutieren. deln ist nicht so ihr Ding. Sie setzt auf wichtigen Hand- Auch hier wurden Aufgaben nicht erfüllt. Deshalb for- lungsfeldern der maritimen Wirtschaft auf den Rückzug dern wir Sozialdemokraten die Entwicklung von Maß- des Staates, das Laisser-faire der Märkte – eine Haltung, nahmen zur Sicherung des Nachwuchses in der Schiff- 29050 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Uwe Beckmeyer (A) bauindustrie, die Erhöhung der Ausbildungsquote in der die Fehlleistungen der vergangenen dreieinhalb Jahre zu (C) deutschen Werftindustrie, die Verknüpfung der Förde- übertünchen. Aber die maritime Industrie lässt sich nicht rung für den Bereich Schiffbau, Seeschifffahrt und mehr hinter die Fichte führen. Sie wartet auf einen Neu- Offshorewindenergie mit quantitativen und qualitativen start. Diesen wird es allerdings mit dieser Bundesregie- Zielen hinsichtlich Ausbildung, Übernahme und Ausge- rung nicht geben. Wir brauchen einen Kurswechsel in staltung der Tarifverträge. der maritimen Politik, vielleicht kommt er erst nach der Bundestagswahl. Wir fordern ein Sicherheitskonzept Deutsche Küste im Bereich des Rettungswesens auf Offshorewindener- Herzlichen Dank. gieanlagen und eine koordinierte Strategie einer mariti- (Beifall bei der SPD) men Sicherheitspartnerschaft aller Beteiligten ein. Nicht nur diejenigen, die vor der Küste technisch tätig sind, sondern wir alle müssen uns darum kümmern. Ich will Vizepräsident Eduard Oswald: mich auch hier kurzfassen. Die Langfassung können Sie Vielen Dank, Kollege Uwe Beckmeyer. – Nächster in unserem Antrag nachlesen. Wir fordern Sie des Weite- Redner für die Fraktion von CDU/CSU ist unser Kollege ren auf, auf europäischer Ebene beim Verzicht auf Aus- Eckhardt Rehberg. schreibungspflicht für Lotsdienste tätig zu werden. Hier (Zurufe von der CDU/CSU: Nein, Enak ist zu vermerken, dass Sie bislang alle Aktivitäten unter- Ferlemann! Die haben getauscht!) lassen haben. – Dieser Tausch ist bei mir, dem Präsidenten, nicht ange- Wir brauchen dringend Anstrengungen bei der be- kommen. Es ist schön, dass die richtige Reihenfolge we- schleunigten Modernisierung der Schiffsflotte zur ver- nigstens auf dem Bildschirm erscheint. Aber beim Präsi- stärkten Emissionsminderung und Energieeffizienz. Wir denten ist es nicht angekommen. brauchen eine systematische Untersuchung der Vor- und Nachteile von Flüssiggas und Flüssigerdgas. Auch hier Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär haben Sie in Ihrer Strategie einen absoluten Nullpunkt Kollege Enak Ferlemann. Bitte schön, Kollege Enak erreicht. Wir brauchen die Entwicklung einer Exzellenz- Ferlemann. strategie, die es der deutschen Werftindustrie ermöglicht, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) im Hightechsegment tätig zu werden. Wir brauchen zu- dem eine deutliche Aufstockung im Haushaltstitel „Ma- Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- ritime Technologie der nächsten Generation“ zugunsten minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: der Werftindustrie in Deutschland. Sehr geschätzter, hochverehrter Herr Präsident, ent- (B) Wesentlicher Bestandteil einer Innovationsstrategie schuldigen Sie, dass ich mich etwas vorgedrängelt habe. (D) für die maritime Wirtschaft muss auch eine gezielte Aber die Geschäftsordnung sieht das so vor. Gleichwohl staatliche Infrastrukturpolitik sein; denn die logistische werden alle Kolleginnen und Kollegen hier noch zu Anbindung der deutschen Seehafenstandorte wird in den Wort kommen. kommenden Jahren zu einem kritischen Wettbewerbs- Wir haben gerade einen etwas erschütternden Bericht faktor werden. Nur eine Politik der zwei Säulen – indus- des Kollegen Beckmeyer über ein Land, das ich gar trielle Entwicklung und Ausbau der Infrastruktur – wird nicht kenne, gehört. Die Bundesrepublik Deutschland dazu beitragen, die Wachstumsbasis der maritimen Bran- kann das jedenfalls nicht sein. che in Deutschland nachhaltig zu sichern und zu stärken. Hierzu einige Stichworte: zuverlässige Abwicklung der (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Hinterlandverkehre insbesondere durch den Ausbau der der FDP) Schienen- und Wasserwege sowie den zügigen Ausbau Wir stehen vor der Achten Nationalen Maritimen der seewärtigen Zufahrten unserer Seehäfen inklusive Konferenz, einer wunderbaren Errungenschaft. Die Nord-Ostsee-Kanal; Kürzung der Verfahrensdauer beim ganze Branche mit ihren verschiedenen Facetten trifft Bundesverwaltungsgericht in Leipzig durch eine deut- sich, kann miteinander sprechen, Impulse setzen, über lich bessere Personalausstattung. Sie müssen das Prinzip Lösungsansätze diskutieren und hat die Möglichkeit, mit der verkehrsträgerbezogenen Finanzierungskreisläufe Politik, Verwaltung und Gesellschaft in Austausch zu aufgeben. Wir brauchen eine integrierte Finanzierung treten. Viele andere Branchen in Deutschland würden unserer Verkehrsinfrastruktur. sich wünschen, dass es eine solche Gelegenheit gäbe, (Beifall bei der SPD und der LINKEN) sich auszutauschen. Wir brauchen endlich eine klarsichtige Politik bei der Pünktlich zum Maritimen Bündnis legen die Koali- Neuordnung der Bundeswasserstraßen. Was Sie dort ak- tionsfraktionen unter deiner Federführung, lieber tuell machen, ist schädlich für Deutschland. Sie bringen Eckhardt Rehberg, einen wiederum außerordentlich ge- den ganzen Bereich in Unordnung. Wir wollen das been- lungenen Antrag vor, den. Ich hoffe, dass es nach Abwahl dieser Regierung zu (Lachen des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD]) einem Neustart kommt. der die maritime Politik exzellent beschreibt, der aber Sie sehen, meine Damen und Herren: Nichts ist gut auch deutlich macht, welche Herausforderungen für auf diesem Feld in der Bundesrepublik Deutschland. Die diese Branche auf Deutschland und auf die Politik zu- Bundesregierung versucht mit ihrer selbstgefälligen Art, kommen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29051

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann (A) Man kann allerdings feststellen, lieber Kollege So schnell sind Sie auf der Straße noch nie von Bremen (C) Beckmeyer: Die maritime Wirtschaft und die maritime nach Hamburg gekommen. Wir sind mit dem Ausbau Politik sind bei uns in sehr guten Händen. der A 7 weit vorangekommen, wir bauen den nächsten Abschnitt der A 21, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist ein Erfolg Ich kann das nur betonen und darf mich an dieser Stelle von Wolfgang Tiefensee!) für die exzellente Zusammenarbeit mit meinem Kolle- gen Otto aus dem Wirtschaftsressort bedanken. Ich die A 14 ist begonnen worden, und die Planungen der glaube, die Erfolge der vergangenen Jahre können sich A 20 und der A 39 gehen zügig voran. Trotz mancher wahrhaft sehen lassen. Koalitionsversprechen, die Sie in den norddeutschen Wir haben es hier mit einer Branche zu tun, in der es Ländern gegeben haben, was diesen Projekten wahrhaft rund 400 000 Beschäftigte gibt und die einen sagenhaf- nicht guttut, werden wir sie trotzdem hinbekommen. ten Jahresumsatz von rund 50 Milliarden Euro macht. Denken Sie an die Schiene und das Seehafenhinter- Häufig wird maritime Politik als rein norddeutsche Poli- landanbindungsprogramm, das wir haben. Ich erinnere tik qualifiziert, die sie aber nicht ist; denn alle Auswir- an die Knoten, die ertüchtigt und aufgebaut werden. Es kungen der maritimen Politik betreffen immer das ganze stellt sich die Frage, ob wir die steigenden Mengen auf Land. Maritime Politik ist nicht nur eine Politik für die dem bestehenden Netz abwickeln können oder ob wir Küstenländer, sondern maritime Politik ist eine Politik Alternativen brauchen – Stichwort: Y-Trasse. Die Unter- für das ganze Land, sie ist eine nationale Aufgabe. suchungen laufen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Ingo Egloff [SPD]: Bezahlt von den norddeut- neten der FDP) schen Ländern, nicht von Ihnen!) Der Schwerpunkt der maritimen Politik liegt insbe- Wir haben viele Projekte, zum Beispiel die Betuwe- sondere auf den norddeutschen Ländern; aber genauso Line, die wir auf nordrhein-westfälischer Seite aus- wichtig ist die Anbindung der ZARA-Häfen. Auch die bauen. Alles das sind Punkte, die für eine exzellente ZARA-Häfen sind wichtig für die maritime Politik, die Politik sprechen. Sie haben zu Ihren Regierungszeiten wir in Deutschland machen müssen; davon geträumt, so etwas verwirklichen zu können. (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- denn auch dort werden Hinterlandanbindungen ge- neten der FDP) braucht, auch dort wird importiert und exportiert. Des- Genauso ist es mit den seewärtigen Anbindungen. (B) wegen muss man beides im Blick haben. Ich glaube, Alle seewärtigen Anbindungen sind von dieser Regie- (D) dass wir die Nordwestrange insgesamt sehen müssen. rung in der Planung weit vorangetrieben worden. Die Die Konkurrenz dieser Häfen findet nicht untereinander Planfeststellungsverfahren sind häufig abgeschlossen statt, sondern das ist nur Wettbewerb; und das ist gut und und liegen jetzt dem Bundesverwaltungsgericht vor. Ich richtig so. Die Konkurrenz droht aus Süd- und Südost- finde, man sollte etwas bescheidener sein, wir als Exeku- europa. Darauf muss die Nordwestrange reagieren, und tive und Sie als Legislative, wenn die Judikative Recht darauf müssen die richtigen politischen Antworten gege- sprechen soll. Warten Sie doch in Ruhe die Urteile ab. ben werden. Ich vertraue darauf, dass unsere Mitarbeiterinnen und In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach Mitarbeiter einen hervorragenden Job gemacht haben der Anbindung der Seehäfen. Bei dem steigenden Wa- und wir bei Gericht schon gewinnen werden. Ein biss- renumsatz, den wir durch die Globalisierung haben, sind chen Geduld tut manchmal auch einem Bremer ganz gut. die Seehäfen die Einfallstore der Globalisierung. Deswe- Der Blutdruck normalisiert sich dann. Warten wir das gen ist es vordringliche Aufgabe des Verkehrsministe- also ab. Dann gestalten wir die Dinge, die da kommen. riums, für eine ordnungsgemäße Anbindung der See- Wir sehen allerdings am Nord-Ostsee-Kanal, so wie häfen zu sorgen. Das tun wir. Noch nie hat eine an vielen Stellen, dass wir mehr Geld für den Erhalt der Bundesregierung einen Schwerpunkt so sehr auf die See- Seehafenhinterlandanbindungen brauchen. Da haben wir hafenhinterlandanbindung gelegt wie diese. Im neuen die Programme so umgestrickt, dass wir schon im ak- Bundesverkehrswegeplan, der von 2015 bis 2030 rei- tuellen Investitionsrahmenplan einen größeren Schwer- chen wird, wird sie es wiederum tun. punkt auf die Unterhaltung als auf Neuinvestitionen ge- (Uwe Beckmeyer [SPD]: Versprechungen!) legt haben. Das ist gut und richtig so. – Herr Beckmeyer, ich denke, auch Sie sind mit großer Wir werden auf dieser Maritimen Konferenz sicher- Freude zwischen Bremen und Hamburg oder Hamburg lich über die Krise der Seeschifffahrt, über die Finanzie- und Bremen, wie auch immer Sie das sehen, auf der neu rungsfragen sprechen. Wir werden über das hervorra- gestalteten A 1 gefahren. gend ausgestaltete Maritime Bündnis sprechen, das noch nie so gut wie jetzt dastand. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Ist das Ihr Erfolg?) (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des Da gibt es nicht einmal ein Tempolimit, so gut ist sie BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall ausgebaut. bei Abgeordneten der CDU/CSU und der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) FDP) 29052 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann (A) Ich freue mich darüber, dass wir das Seearbeitsgesetz Die Schiffe unter deutscher Flagge werden von Monat (C) fertiggestellt haben. Ich freue mich über die Modernisie- zu Monat weniger. 600 sollten es mindestens sein – Sie rung der Flaggenpolitik, und ich freue mich darüber, wissen es –; das wurde im Maritimen Bündnis vor zehn dass trotz mancher Diskussion in diesem Hause die Ton- Jahren vereinbart. Aktuell sind es halb so viele. Die Ver- nagesteuer nach wie vor eine der bedeutendsten Förder- suche der Bundesregierung seit der Siebten Nationalen möglichkeiten für die Reeder ist. Maritimen Konferenz in Wilhelmshaven, die Reeder wieder zu mehr Engagement zu bringen, sind weitge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hend gescheitert. Das Maritime Bündnis ist in Wirklich- Wir werden über die Zukunft der Werften reden. Wir keit kein Bündnis mehr. Die Reeder haben ihren Beitrag werden über die sicheren Seewege reden, darüber, was an Ausbildung und Beschäftigung zwar erhöht, aber pa- die Operation Atalanta gebracht hat, darüber, was wir radoxerweise wird dieser Beitrag zum Teil aus Gebühren gemeinsam vereinbart haben, um Sicherheitskräfte auch finanziert, die eingenommen werden, wenn Schiffe aus- an Bord deutsch geflaggter Schiffe nehmen zu können. geflaggt werden. Das heißt im Umkehrschluss: Je mehr Schiffe ausgeflaggt werden, umso mehr Geld können die (Uwe Beckmeyer [SPD]: Alle warten darauf, Reeder zur Verfügung stellen, um Beschäftigung zu för- dass diese Regierung geht!) dern. Das kann doch kein Konzept sein. Wir werden über die leistungsfähigen Seehäfen reden, (Beifall bei der LINKEN) übrigens auch über die Binnenhäfen. Haben Sie das neue Konzept der Bundesregierung schon einmal gelesen, Ein anderes Beispiel für diese falsche Politik finden Herr Beckmeyer? Exzellente Arbeit! Das müssten Sie ei- wir beim Flaggenrecht. Die Bundesregierung behauptet, gentlich zugestehen. sie habe die maritime Ausbildung gestärkt. Aber was hat sie tatsächlich gemacht? Die Koalitionsfraktionen drück- In diesem Zusammenhang seien mir noch folgende ten durch, dass Flaggenflucht nur dann genehmigt wird, Fragen erlaubt: Wie stellt Herr Beckmeyer sich vor, wenn die Reeder dafür einen Ausgleich leisten. Der Aus- Seehäfen, die ausgebaut werden, zu fördern? Herr gleich besteht darin, dass Ausbildungsplätze auch auf Beckmeyer, was machen Sie denn mit denen, die ausge- ausgeflaggten Schiffen erhalten bleiben sollen. Aber baut worden sind? Wie wollen Sie denn da fördern? Die keine Regel ohne Ausnahme: Die Reeder können sich Ungleichheit der Wettbewerbsbedingungen hat er natür- mit geringen Ausgleichszahlungen von der Ausbildungs- lich nicht erwähnt, sondern er ruft nach Geld ohne Kon- pflicht freikaufen. Mit dieser Politik muss Schluss ge- zept, ohne Sinn und Verstand. Die Offshorewindindus- macht werden. trie wird es schon genau zu werten wissen. (Beifall bei der LINKEN) (B) Wir werden über Klima und Umweltschutz reden, (D) über die maritime Sicherheit, über all diese Punkte. Wir fordern, die Arbeitsbedingungen in der maritimen Wirtschaft zu verbessern, und dazu gehört, die Flucht (Sören Bartol [SPD]: Sie reden immer nur!) aus der deutschen Flagge zu verhindern. Ich glaube, wir haben mit der Achten Nationalen Mariti- (Beifall bei der LINKEN) men Konferenz ein hervorragendes Diskussionsforum. Ich glaube, wir haben alle Möglichkeiten, die Zukunfts- Die Reeder oder, besser gesagt, die Finanzinvestoren fähigkeit der Branche für ganz Deutschland – maritime und Fonds, die dahinterstecken, suchen ihre Anlagemög- Politik ist eine nationale Aufgabe – gut darzustellen und lichkeiten immer dort, wo am meisten Profit erwirtschaf- Impulse zu setzen. Ich freue mich, wenn wir uns in Kiel tet werden kann. Ist es hier im Land zu wenig, dann zieht wiedersehen und nachher die Ergebnisse bewerten und man halt weiter. Verlierer ist der Staat, weil ihm Steuer- umsetzen können. Alles Gute der nächsten Maritimen einnahmen wegbrechen; Verlierer sind insbesondere die Konferenz in Kiel! Beschäftigten, weil Konkurrenzvorteile immer auch zu- lasten von sozialen Standards, Arbeitsplätzen und Ein- Herzlichen Dank. kommen gehen. Darum müssen Wettbewerbsvorteile, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die ausschließlich zulasten der Beschäftigten und der Steuerzahler gehen, abgeschafft werden. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der LINKEN) Das Wort hat der Kollege Herbert Behrens für die Die Bundesregierung muss auf europäischer Ebene Fraktion Die Linke. dahin gehend aktiv werden, den Subventionswettlauf zu (Beifall bei der LINKEN) stoppen. Förderungen an Unternehmen darf es nur dann geben, wenn Ausbildung und Know-how verbindlich ge- sichert werden. Leistung ohne Gegenleistung darf es in Herbert Behrens (DIE LINKE): der europäischen Schifffahrt nicht länger geben. Das for- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dern wir in unserem Antrag. Jetzt ein paar Worte aus der real existierenden Bundesre- publik. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Aber nicht nur auf See, sondern auch an Land sind die Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Arbeitsbedingungen schlechter geworden. Die Unter- NEN]) nehmen nutzen die Krise und auch die Möglichkeiten Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29053

Herbert Behrens (A) der Agenda 2010, um Druck zu machen. Leiharbeit, Schwermetallen und Ruß. Hier besteht sofortiger Hand- (C) Werkverträge, befristete Beschäftigungen sind Kennzei- lungsbedarf. chen einer falschen Arbeitsmarktpolitik. (Beifall bei der LINKEN) Auch wenn Unternehmen in die Krise geraten, wie Im Bericht der Bundesregierung wird der Schutz der SIAG in Emden oder P+S in Wolgast und Stralsund, gibt natürlichen Umwelt aber unter den Vorbehalt von Wirt- es mehr Möglichkeiten als Entlassungen und Lohnkür- schaftlichkeit und Konkurrenzfähigkeit der Produkte ge- zungen. Die Menschen dort müssen eine Perspektive für stellt. Sie wollen mit Ihrer Forschungs- und Entwick- ihr Leben bekommen. Und wenn es den Unternehmen lungspolitik erreichen, dass Innovationszyklen drastisch allein nicht möglich ist, das finanziell zu wuppen, dann verkürzt werden, um der Konkurrenz immer einen müssen durch staatliche Förderung, Qualifizierungs- Schritt voraus zu sein. Sie wollen erreichen, dass schnel- gesellschaften, bessere Kurzarbeitsregelungen und Ar- ler und billiger produziert wird. Aber sind das nicht auch beitszeitverkürzungen Arbeitsplätze erhalten werden. die Ursachen des internationalen Verdrängungswettbe- werbs, für die bestehenden Wahnsinnsüberkapazitäten (Beifall bei der LINKEN) auf den Weltmärkten? Zukunftsweisende Forschungs- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht der und Technologiepolitik in der maritimen Wirtschaft sieht Bundesregierung zeigt die Probleme der maritimen wirklich anders aus. Wirtschaft auf: Überkapazitäten im Schiffbau, sinkende (Beifall bei der LINKEN) Frachtraten und dramatische Unterbeschäftigung in Schifffahrtsunternehmen und Werften. Aber Sie ziehen SPD und Grüne haben Anträge vorgelegt, in denen sie keine Konsequenzen daraus. Sie predigen gebetsmüh- eine Umsteuerung in der maritimen Wirtschaft fordern. lenartig Ihre alte Idee – Sie warten darauf, dass die euro- Die Kolleginnen und Kollegen der SPD haben erkannt, päische Finanz- und Wirtschaftskrise endlich vorbeigeht, dass die Liberalisierung der Märkte und der Rückzug des und hoffen, dass die strahlende Zukunft für Häfen, Werf- Staates nicht dazu führen, dass maritime Standorte ge- ten und Zulieferer an der Nord- und Ostseeküste durch stärkt werden – eine späte, aber richtige Erkenntnis, al- die Offshorewindenergie kommen wird. Aber Hoffen lerdings auch das Gegenteil dessen, was ursprünglich und Harren allein reichen doch nicht aus. Sie müssen Ihre Arbeitsmarktpolitik war. handeln! Wir unterstützen viele Ihrer Forderungen, können Ih- rem Antrag aber nicht zustimmen. Denn wieder setzen (Beifall bei der LINKEN) Sie auf den Marineschiffbau und fordern von der Bun- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, desregierung, „den Marineschiffbausektor bei seinen Ex- (B) (D) Sie listen in Ihrem Antrag mehr als ein Dutzend Maß- portanstrengungen durch die Förderung von Referenz- nahmen auf, die angeblich die Belange der maritimen projekten zu unterstützen“. Bau und Export von Wirtschaft gefördert hätten. Am Ende lassen sich diese Kriegsschiffen und anderen Marineprodukten sind aber Maßnahmen auf zwei Begriffe reduzieren: Wir brauchen nicht die Zukunft. Wir wollen Rüstungsexporte stoppen. mehr Wachstum, wir brauchen mehr Markt. – Das kann (Torsten Staffeldt [FDP]: Ihr wollt alles stop- es aber doch nicht sein! Zu Recht werden an 16 Stellen pen, aber gleichzeitig Arbeitsplätze erhalten! im Bericht der Bundesregierung „große Herausforderun- Das ist widersprüchlich! Sie sprechen mit ge- gen“ – so heißt es – erwähnt, denen man sich stellen spaltener Zunge!) müsse. Aber wenn keine Prioritäten gesetzt werden, dann wird doch daraus nichts! Beim Marineschiffbau muss mit intelligenter Konver- sionspolitik umgebaut werden; die darin steckenden fi- „Das Meer ist Wirtschafts- und Lebensraum sowie nanziellen Mittel müssen in zukunftsfähigen zivilen Nahrungs- und Ressourcenquelle zugleich.“ So steht es Schiffbau umgelenkt werden. sehr richtig in dem Antrag der Koalition. Aber diese teils gegensätzlichen Funktionen des Meeres bergen Kon- (Beifall bei der LINKEN) flikte. Darum müssen Richtungsentscheidungen gefällt Selbstverständlich, liebe Kolleginnen und Kollegen werden. Neben der Schaffung guter Arbeit in der mariti- von der SPD, sind wir dabei, wenn es darum geht, die men Wirtschaft und auf Schiffen ist die Forschung und weitere Liberalisierung der Hafendienstleistungen zu Entwicklung in zukunftsfähige, umweltverträgliche verhindern. Auch wir fordern: Port Package III darf es Technologien ein sehr, sehr wichtiges Handlungsfeld für nicht geben. Ich hoffe sehr, dass die Maritime Konferenz staatliche Technologiepolitik und auch für Forschungs- in Kiel die wesentlichen Fragen diskutieren und Schwer- förderung. punkte setzen wird. Passiert das nicht, bleibt die mari- time Wirtschaft in schwerer See. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Vordringlich ist die Senkung der Emissionen von Schadstoffen in der Schifffahrt nicht nur auf hoher See. (Beifall bei der LINKEN) Eine der Hauptursachen der Feinstaubemissionen gerade in Norddeutschland ist die Verbrennung von Schweröl in Vizepräsidentin Petra Pau: Schiffsmotoren. Inzwischen gibt es zwar gesetzliche Die Kollegin Dr. Valerie Wilms von der Fraktion Grenzwerte für Schwefelemissionen, nicht aber bei Bündnis 90/Die Grünen hat nun das Wort. 29054 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

(A) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kann mir auch durchaus vorstellen, warum das so (C) Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! ist. Den ganzen Schlamassel – den können Sie auch Meine Damen und Herren! Dass der maritime Wirt- nicht mit Träumereien über irgendwelche sich wieder er- schaftszweig Debattenthema hier im Bundestag ist, höhenden Frachtraten und Ähnliches verdecken – hat die kommt nur alle zwei Jahre vor, Politik mit zu verantworten. Unsere Vorgängerinnen und Vorgänger haben es zugelassen, dass sich diese Blase, (Torsten Staffeldt [FDP]: Das stimmt aber diese riesige Schiffsmenge, bilden konnte. Mit dem In- nicht!) strument des Schiffsfonds wurde eine prima Steuerspar- möglichkeit für Anleger geschaffen, angefeuert durch bedauerlicherweise; es gibt nämlich genug Probleme in die vereinfachte Tonnagegewinnermittlung – umgangs- dem Sektor. Wir kommen hier mehr oder weniger nur sprachlich: Tonnagesteuer; es wurde schon angespro- alle zwei Jahre dazu, darüber zu diskutieren, weil dann chen –, die im Grundsatz sicherlich nicht ganz falsch ist. wieder eine neue maritime Konferenz vor der Tür steht. (Torsten Staffeldt [FDP]: Aha!) (Torsten Staffeldt [FDP]: Das stimmt aber nicht!) Aber wir kennen das auch aus anderen Bereichen: Das Instrument ist falsch angewendet worden. Ich denke da Kurz vorher machen wir hier wieder unsere übliche par- an die Bauherrenmodelle aus früherer Zeit. Das ist aber lamentarische Selbstbeweihräucherungsshow nach zwei nur die eine Seite der Medaille. Jahren zwischenzeitlichen Stillstands. Die andere Seite der Medaille ist, dass wir mit diesem Nachdem wir uns 2011 auf der Baustelle des JadeWe- Finanzierungssystem ermöglicht haben, dass unterneh- serPorts in Wilhelmshaven – ich sage einmal – zum poli- merische Verantwortung und unternehmerisches Risiko tischen Camping getroffen haben, ist die deutsche mari- praktisch voneinander entkoppelt sind. time Wirtschaft immer weiter in die See hineingeflossen; sie ist beinahe verschwunden. (Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Torsten Staffeldt (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Sie reden sie schlech- [FDP]: Quatsch!) ter, als sie ist! Sie ist gut aufgestellt!) Durch die Konstruktion der Schiffsfonds als KG zählt Wir sind zwar die weltgrößte Containerschiffnation das für die finanzierenden Banken bislang als Eigenkapi- – das hört sich zunächst einmal ganz gut an –, aber die tal, obwohl der Reeder gar kein eigenes Geld hinein- Schiffe fahren nicht unter deutscher Flagge, liebe Kol- gesteckt haben muss. Als Eigenkapital steckt im Wesent- leginnen und Kollegen. Wir haben einen dramatischen lichen nur das Geld der aufs Steuersparen fixierten Anleger drin; Herr Staffeldt, das sollten auch Sie so (B) Rückgang zu verzeichnen, nämlich von knapp 500 Schiffen (D) auf jetzt nur noch knapp über 300 Schiffe. langsam mal begriffen haben. Was wir sehen, ist eine riesige Schiffsblase, die in (Torsten Staffeldt [FDP]: Ist das bei einer Ak- Kürze zerplatzen wird. tiengesellschaft anders?) Der Reeder bekommt also ein Schiff, das er einsetzen (Torsten Staffeldt [FDP]: Wie soll ich mir das kann, ohne dass er mit einem einzigen Euro Eigenkapital denn vorstellen?) in die unternehmerische Haftung gegangen ist. So haben Die Banken, werter Kollege Staffeldt, wir die Blase geschaffen, meine Damen und Herren, an der die maritime Wirtschaft jetzt zugrunde zu gehen (Torsten Staffeldt [FDP]: Was ist eine Schiffs- droht. blase? Erklären Sie uns das bitte!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ziehen sich aus der Schifffahrt zurück. Vielleicht ist das sogar bei der FDP angekommen. Die Commerzbank hat Was müssen wir jetzt machen? Vor allen Dingen muss das angekündigt. Die HSH Nordbank, der ehemals die Bundesregierung endlich aus ihrem maritimen Tief- größte Schiffsfinanzierer der Welt, kann nur mit gerade schlaf aufwachen und wirksame Maßnahmen ergreifen. wieder auf 10 Milliarden Euro erhöhten staatlichen (Martin Burkert [SPD]: Jawohl! – Eckhardt Bürgschaften aus Schleswig-Holstein und Hamburg Rehberg [CDU/CSU]: Der Staatssekretär sieht – um einmal im maritimen Bild zu bleiben – knapp über aber ganz munter aus! – Ingbert Liebing Wasser gehalten werden. [CDU/CSU]: Hellwach!) Wo bleibt die schonungslose Analyse des ach so kom- – So nach hellwach sah das eben aber nicht aus, Kollege petenten Wirtschaftsministers? Otto. – Eine funktionierende Lösung haben wir in un- serem Antrag zur Tonnagesteuer präzise vorgeschlagen (Martin Burkert [SPD]: Was für eine Kompe- – die Finanzwelt sieht das mittlerweile auch so –: tenz hat der?) Erstens. Die Tonnagegewinnermittlung muss direkt Ich habe sie noch nicht gehört. Die gibt es nämlich nicht. bei der Schiffsgesellschaft vorgenommen werden. Also Der Wirtschaftsminister stammt zwar aus der sogenann- für die Fachleute unter uns und den Zuschauern: Umstel- ten Partei der Wirtschaft, aber Fehlanzeige im dicken lung der Besteuerung der Schiffsfonds vom Transpa- Bericht der Bundesregierung! renz- auf das Trennungsprinzip. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Torsten Staffeldt [FDP]: Oje!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29055

Dr. Valerie Wilms (A) Zweitens. Alle Schiffe eines Reeders müssen in des- (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: (C) sen konsolidierte Bilanz aufgenommen werden, unab- Was?) hängig vom Anteil der tatsächlichen finanziellen Beteili- Der Maritime Koordinator muss mit der Fachebene sinn- gung des Reeders. Damit übernimmt er nämlich auch voll verbunden sein. Er oder besser sie gehört dahin, wo wieder Verantwortung für sein unternehmerisches Han- die meisten Fachabteilungen sind: ins Verkehrsministe- deln. rium. Mit der heutigen Konstruktion werden wir der Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) deutung der Branche nicht mehr gerecht. Drittens. Wir müssen unser Flaggenregister dringend (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dienstleistungsorientiert aufstellen oder müssen am bes- ten gleich ein solches dienstleistungsorientiertes euro- Ein zukunftsfähiges Konzept ist von dieser Regierung päisches Flaggenregister schaffen, also die Europa- nicht mehr zu erwarten. flagge. Wir sind schließlich Bestandteil des vereinigten (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Also, wenn das Europa. eine Bewerbungsrede sein soll, sind Sie durch- Es gibt noch einen weiteren Punkt, der zur unterneh- gefallen!) merischen Verantwortung passt: das Thema Ausbildung Hier ist Abwracken angesagt. In genau sechs Monaten in der Seeschifffahrt. Junge Menschen bilden wir zu ist der Stichtag. Nautikern aus. Sie freuen sich und verlassen die See- fahrtsschulen, erhalten stolz ihr Patent, und dann kommt Herzlichen Dank. das böse Erwachen: Sie finden keine Anstellung auf ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nem Schiff mit deutscher Flagge, um ihre Patente aus- sowie bei Abgeordneten der SPD) zufahren. Was ist die Folge? Nach drei Jahren sind sie schlicht und ergreifend ihr Patent wieder los, und die Vizepräsidentin Petra Pau: ganze teure Ausbildung war für die Katz. Der Kollege Eckhardt Rehberg hat für die Unions- (Torsten Staffeldt [FDP]: Das ist falsch, was fraktion das Wort. Sie erzählen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hier brauchen wir dringend Lösungen, die ein echtes maritimes Bündnis aller Partner aus Wirtschaft, Gewerk- Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): schaften und Politik schaffen könnten. Sonst stehen wir Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- nämlich bald ganz ohne Nautiker aus deutscher Ausbil- legen! Für einen hessischen Jungen, lieber Hans- (B) dung da und brauchen dann für sie auch keine Tarifver- Joachim, ist es am Anfang wahrscheinlich nicht ganz (D) träge und gesetzlichen Regelungen mehr. Das will ich einfach gewesen. Wenige Tage vor der Nationalen Mari- wirklich nicht. timen Konferenz will ich dir im Namen der Unionsfrak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tion danken. Es war heute wahrscheinlich deine letzte Rede als Maritimer Koordinator. Darum brauchen wir jetzt den echten Neustart des Mari- timen Bündnisses. Der 22. September ist dafür der rich- Lieber Uwe Beckmeyer, ich werde darauf eingehen, tige Stichtag. was geleistet worden ist, unter anderem bei der Bekämp- fung der Piraterie, beim Maritimen Bündnis. In den zehn (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Es kommt jetzt Jahren eurer Regierungszeit, in denen ihr die Verkehrs- das Kapitel Wahlkampf!) minister gestellt habt, habt ihr nicht einmal ansatzweise Werter Kollege Otto, Sie schmücken sich mit dem das geschafft, was wir auf die Reihe bekommen haben. schillernden Titel „Maritimer Koordinator der Bundesre- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo gierung“. Toll! Doch ich frage mich: Wo sind Sie, wenn Egloff [SPD]: Wer hat denn die Maritime Kon- es um die wichtigen Fragen der maritimen Politik geht? ferenz angefangen? Wer hat sich darum ge- Schiffsfinanzierung? Abgetaucht. Hafenkonzept? Abge- kümmert?) taucht. Meeresschutz? Abgetaucht. Also komplett abge- taucht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Säulen der Schifffahrtsförderung in Deutschland sind die Ton- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nagesteuer, der Lohnsteuereinbehalt und das Maritime Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Vielleicht ist Bündnis. Bei der Tonnagesteuer wird oft nur auf die er der Koordinator für U-Boote! – Heiterkeit Zahl der Schiffe geguckt, die unter deutscher Flagge fah- bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und ren. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ge- genruf des Abg. Ingbert Liebing [CDU/CSU]: (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Ja, das war Haben Sie etwas gegen U-Boote?) vereinbart!) Zum Neustart des Maritimen Bündnisses nach der Natürlich wird es Probleme geben, wenn die Reeder mit Wahl gehört auch eine neue Rolle für den Maritimen Ko- Standort in Deutschland nicht zur Vernunft kommen. Es ordinator. Es macht einfach keinen Sinn, wenn wir das gibt nämlich zwei Kriterien: Entweder fahren 60 Prozent Themenfeld auf zwei oder mehr Ministerien aufteilen, unter europäischer Flagge, oder es gibt einen Aufwuchs die sich dann auch noch spinnefeind sind. bei der eigenen Flagge. Auf der anderen Seite muss man 29056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Eckhardt Rehberg (A) sehen, dass wir seit 1999 einen Zuwachs an Landarbeits- Glauben Sie, dass Sie mit Ihren Vorstellungen zu Auf- (C) plätzen von 16 000 auf 23 000 zu verzeichnen haben, liegern und zu einer Abwrackprämie den Preiskampf der insbesondere in den norddeutschen Ländern. Das sind großen Linienreedereien in den Griff bekommen, der hochqualifizierte Arbeitsplätze. Deswegen hat auch das sich bis in die Charterreedereien durchzieht? ZEW Mannheim der Tonnagesteuer bei einer Betrach- tung der 20 größten Subventionen im Bundeshaushalt (Uwe Beckmeyer [SPD]: Die haben gar kein nicht die rote Karte gezeigt, sondern die grüne. Interesse daran! Die deutsche Reederschaft! Um die geht es!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schauen Sie sich die Zuläufe im Containerbereich im Deswegen, Frau Kollegin Wilms, ist Ihre Kritik völlig Jahr 2013 an! Schauen Sie sich den Zuwachs im Bulk- überzogen und unangebracht. carrierbereich, im Tankerbereich an! Das, was Sie hier (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – den Reedern suggerieren, ist schon keine weiße Salbe Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mehr; das ist Verhohnepipelung, das ist Sand-in-die- NEN]: Nein! Genau das wird vom ZEW bestä- Augen-Streuen, das ist schlichtweg populistisch, Herr tigt! Sie müssen das Gutachten richtig lesen!) Kollege Beckmeyer, und trägt nicht zur Lösung bei. Herr Kollege Beckmeyer, ich frage mich, in welchem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe Land Sie leben und ob Sie Fakten überhaupt zur Kennt- Beckmeyer [SPD]: Das ist sachgerecht und nis nehmen. mit der Branche gut diskutiert!) (Uwe Beckmeyer [SPD]: Wir haben nur über Wenn ich höre, dass die Sozialdemokratische Partei Fakten gesprochen!) Deutschlands kritisiert, wie wir jetzt das Maritime Bünd- nis gestaltet haben, denke ich daran, was Sie über ein – Nein, Sie haben überhaupt nicht über Fakten gespro- Jahrzehnt versäumt haben. Ich war förmlich von den So- chen. Wenn man Ihren Antrag liest, erkennt man: Sie cken, als ich hörte, dass die Ausflaggungsgebühren nicht fordern die Bundesregierung auf, zu „untersuchen“ und einmal 1 Million Euro betrugen. Wir haben sie jetzt in zu „prüfen“, ohne sich wirklich einmal mit den Gege- einem ersten Schritt auf 10 Millionen Euro angehoben; benheiten zu befassen. die eingenommenen Mittel wurden direkt in den Haus- Ich will einmal einen auch Ihnen bekannten Reeder halt eingestellt und auch für die Senkung von Lohnne- aus Hamburg bzw. Bremen, Claus Peter Offen, zitieren. benkosten verwendet. Die Frage der Frankfurter Allgemeinen vom August Wir haben eine Vereinbarung mit dem Verband Deut- letzten Jahres war: (B) scher Reeder zur Ausbildung und zum Ausfahren von (D) Sollte der Staat den Reedern helfen? Patenten getroffen: Die Reeder müssen Ablösebeiträge zahlen, wenn sie nicht selber ausbilden. Das heißt, wir, Antwort: die Christdemokraten und die Freien Demokraten, neh- Nein. Es ist nicht Aufgabe des Staates, hier zu inter- men die Wirtschaft in die Pflicht: Wenn sie etwas nicht venieren. Die Unternehmen sollten ihre Probleme tut, muss sie im Gegenzug zahlen. Wir sorgen uns um selbst lösen. Ausbildung, Beschäftigung und das Ausfahren von Pa- tenten; wir sorgen für Nachwuchs. Das heißt, öffentliche In der Ostsee-Zeitung vom 7. Januar heißt es: Hand und private Hand handeln gemeinsam. Das ist an Im Kern aber sind die Reeder selbst verantwortlich dieser Stelle wirklich eine öffentlich-private Partner- für ihre Misere: Sie bringen zu viele Schiffe an den schaft. Markt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dann wird Großreeder Peter Krämer zitiert: Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass das, was wir im Wir Reeder waren blauäugig – dachten, der Boom Bereich der Piraterie machen, keine Lösung ist. Man der 2000er-Jahre hört nicht mehr auf, und haben kann ja vorschlagen, dass wir Tausende Bundespolizis- entsprechend Schiffe bestellt, ohne konkreten Be- ten und Bundeswehrangehörige auf Schiffe unter deut- darf. scher Flagge einsetzen. Man müsste dann schauen, wie man es macht, vielleicht unter europäischer Flagge. Die Ein drittes Zitat bezieht sich auf Michael Behrendt, Eigensicherung der deutschen Reeder wird von der Bun- Vorstandsvorsitzender bei Hapag-Lloyd, nebenbei Präsi- despolizei massiv unterstützt. Das Bundesverkehrsmi- dent des Verbandes Deutscher Reeder: nisterium hat mit dazu beigetragen. Es gab hier eine Michael Behrendt hat den Glauben an die Vernunft rechtliche Grauzone; wir haben eine rechtlich saubere seiner Branche längst verloren. „Es existiert wohl Basis geschaffen. Es ist ein Verdienst von Hans-Joachim keine andere Industrie, die derart irrational han- Otto, dass er die Initiative ergriffen hat, hier rechtlich delt“, sagt der Vorstandsvorsitzende von Deutsch- saubere Regelungen zu schaffen. lands größter Containerreederei Hapag-Lloyd. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Aber wann wirkt „Und leider betrifft diese Irrationalität ausnahmslos denn die Regelung?) alle Reeder.“ Was den Manager in Rage bringt, sind die andauernden Preiskämpfe der Linienreeder rund Meine Damen und Herren, die Verordnung ist jetzt um den Globus. fertig, sie hat 60 Seiten. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29057

Eckhardt Rehberg (A) (Uwe Beckmeyer [SPD]: Wirkt sie schon (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: (C) jetzt? Nein!) Richtig!) Es war ein schwieriger Prozess. Das Problem privater Jetzt werden Debatten losgetreten, der Bund solle sich Sicherheitsunternehmen auf Schiffen unter deutscher stärker engagieren. Nur ein Hinweis dazu: Die 100-pro- Flagge – unter dänischer oder norwegischer Flagge ver- zentige Tochter der KfW-Förderbank, die KfW IPEX- hält es sich ähnlich – haben wir gelöst. Bank, ist auch hier involviert und engagiert. Ich kann für die Bundesregierung mitsprechen, wenn ich sage: Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe setzen alles daran, dass Schiffbauaufträge gerade der Beckmeyer [SPD]: Auf dem Papier, aber nicht schwierigen Region Mecklenburg-Vorpommern zugute- in der Praxis! Die existiert noch nicht!) kommen. – Herr Kollege Beckmeyer, private Sicherheitsunterneh- Wir brauchen keine neuen Förderinstrumente, und wir men an Bord – das ist ein sehr sensibler Bereich. Wir ha- brauchen schon gar nicht, Herr Beckmeyer, dass der ma- ben alles getan, um das durch Verordnung bzw. Gesetz ritime Standort Deutschland schlechtgeredet wird. abzusichern. Die Politik hat hier alles dafür getan, dass das vernünftig und sauber läuft. Herzlichen Dank. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Und wann beginnt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) es?) Vizepräsidentin Petra Pau: Da lassen wir uns von Ihnen nicht vorwerfen, dass wir Der Kollege Ingo Egloff hat für die SPD-Fraktion das nichts getan hätten. Wort. Letzter Punkt: Schiffsfinanzierung. Man hat gerade (Beifall bei der SPD) gestern gesehen, dass die Finanzierungsinstrumente des Bundes greifen: Die KfW IPEX-Bank als Konsortialfüh- rer finanziert zwei innovative Hightechschiffe für die Ingo Egloff (SPD): niederländische Reederei RollDock, die auf der Werft Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Flensburger Schiffsbau-Gesellschaft gebaut werden, zu- Herren! Auf die Bedeutung der maritimen Wirtschaft sammen mit zwei niederländischen Banken mit einem mit über 400 000 Arbeitsplätzen und 50 Milliarden Euro Kredit von rund 75 Millionen Euro, CIRR-finanziert, Umsatz ist schon hingewiesen worden. Ich gebe der Kol- Hermes-gedeckt. Das heißt: Unsere Förderinstrumente legin Wilms recht, dass wir öfter – und nicht nur aus An- und unsere Finanzierungsinstrumente tragen mit dazu lass der Nationalen Maritimen Konferenz – dies von die- ser Stelle aus, vielleicht auch grundsätzlich, diskutieren (B) bei, dass auf deutschen Werften Hightechschiffe im Off- (D) shorebereich gebaut werden. Dies zeigt: Unsere Instru- sollten. Letztendlich hat die Entwicklung der maritimen mente greifen, wenn wir sie flexibel und mobil einset- Wirtschaft Auswirkungen auf Arbeitsplätze in ganz zen. Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: So ist es!) Wenn hier jemand behauptet – auch einige Haushälter sind dabei –, dass wir nicht in der Lage sind, flexibel zu Herr Staatssekretär Ferlemann hat eben gesagt: Die handeln: Wir haben in den letzten Jahren, wenn es darauf maritime Wirtschaft stand noch nie so gut da wie ankam, unsere Förderinstrumente so flexibel gehalten, heute. – Ich frage mich, in welcher Wirklichkeit Herr dass Milliardenaufträge, über CIRR-Finanzierung und Ferlemann lebt. Wer gestern das Handelsblatt zum Hermes-gedeckt, nach Deutschland gekommen sind. Thema Schiffsfinanzierung gelesen hat und auch weiß, dass wir seit 2008 eine Schifffahrtskrise haben, weiß ge- (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Ab- nauso: Man kann eine solche Behauptung nicht aufstel- solut richtig!) len. Unter anderem eine Werft in Niedersachsen profitiert (Beifall bei der SPD) davon in hohem Maße. Die Beschäftigungseffekte sind enorm. Wir konnten allein in einem Jahr 23 000 Men- Herr Ferlemann, Sie loben die Projekte im Zusam- schen beschäftigen, davon ein Viertel in der Region rund menhang mit dem Hafenhinterlandverkehr, die angeb- um Papenburg und die restlichen drei Viertel in ganz lich von Ihrer Regierung auf den Weg gebracht worden Deutschland. Wenn wir unsere Finanzierungsinstru- sind. Die Autobahn Bremen ist damals unter Minister mente einsetzen, hilft das also nicht nur der Küste, son- Tiefensee in Angriff genommen worden. Die Planungs- dern ganz Deutschland. mittel der Y-Trasse sind von drei norddeutschen Bundes- ländern zur Verfügung gestellt worden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär: Nein, der FDP) nur ein Teil!) Lassen Sie mich zum Abschluss noch Folgendes sa- – Doch, von Hamburg, Bremen und Niedersachsen; gen: Gerade was mein Heimatland Mecklenburg-Vor- sonst wäre überhaupt nichts passiert, Herr Ferlemann. pommern betrifft, ist festzustellen, dass der Bund in den letzten Jahren bis an die Grenze dessen gegangen ist, Herr Rehberg, Sie haben eben Herrn Behrendt von was verantwortbar war. Hapag-Lloyd zitiert. Natürlich hat Herr Behrendt als 29058 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Ingo Egloff (A) Linienreeder ein anderes Interesse als andere Reeder, Meine Damen und Herren, Offshore ist eine unendli- (C) weil er von niedrigen Charterraten profitiert. Aber ich che Geschichte. Nachdem Frau Merkel mit dem Aus- denke, man muss das Schiffsportfolio insgesamt sehen, stieg aus der Atomenergie ihr Erweckungserlebnis hatte, das wir in Deutschland haben: 3 900 Schiffe, die in ir- hat das Wirtschaftsministerium ein Jahr gebraucht, um gendeiner Weise von Deutschland aus gesteuert werden, die Frage der Netzanschlüsse zu klären, zumindest auf über 400 Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren. Wir dem Papier. Zu fragen ist: Sind die Offshoreanlagen an- müssen feststellen, dass das Problem nicht gelöst ist. geschlossen? Nein, das sind sie zum Teil nicht. Warum sind EnBW, RWE und Dong ausgestiegen? Warum wur- (Uwe Beckmeyer [SPD]: Richtig! – Ingbert den drei Projekte gestoppt? Wenn Sie mit den Unterneh- Liebing [CDU/CSU]: Und ihr glaubt an ihre men reden, sagen die: Wenn bei dem Stauchungsmodell Lösung? – Heiterkeit bei Abgeordneten der nichts geschieht, werden wir das auch später nicht nach- CDU/CSU) holen. – So kann man die Energiewende nicht betreiben. – Nein, Herr Kollege, aber man muss sich diesen Proble- Herr Beckmeyer hat auf die Finanzierung der Errich- men zuwenden. terschiffe im Offshorebereich hingewiesen; dies war nicht im KfW-Programm enthalten. In dem Bericht der (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Dann macht Bundesregierung lese ich nun, dass kein Mangel an Er- mal einen Vorschlag!) richterschiffen bestehe. Nein, natürlich nicht. Warum Vom Verband Deutscher Reeder, vom Zentralverband nicht? Weil sie fast alle in Dubai, in Korea und in China Deutscher Schiffsmakler und von Schiffsfinanzierern gebaut werden und nur zwei in Deutschland, nämlich bei hört man, dass die Führung des Wirtschaftsministeriums Sietas. Der Bau eines dieser beiden Schiffe ist sogar am 30. August 2012 zugesagt hat, dass man über diese noch gestoppt worden, weil RWE aus dem Projekt aus- Fragen diskutieren will. Trotz mehrfacher Nachfragen ist gestiegen ist. da aber nichts passiert. Das erinnert mich an das (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Theaterstück Warten auf Godot. Der ist auch nie gekom- NEN]: Offshore ist doch keine Zukunft, Herr men. Kollege!) (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, wenn Sie von Wertschöp- fungsketten für Offshore in Norddeutschland reden, Herr Kollege Otto, wir haben schon beim Thema Nord- dann müssen Sie auch den Beweis dafür erbringen. Das Ostsee-Kanal darüber diskutiert, was Ihre Aufgabe als haben Sie nicht getan. Sie haben das Gegenteil gemacht. Maritimer Koordinator ist. Ich werde mich dem Dank Vielen Dank. (B) für Ihre Arbeit nicht anschließen; denn ich finde, dass (D) Sie Ihre Arbeit als Maritimer Koordinator nicht gut ge- (Beifall bei der SPD) macht haben. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Undank ist der Vizepräsidentin Petra Pau: Welten Lohn!) Das Wort hat der Kollege Torsten Staffeldt für die FDP-Fraktion. Bleiben wir einmal beim Thema Schiffsfinanzierung. Natürlich kann die Bundesregierung dieses Problem (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nicht in Gänze lösen; das verlangt auch keiner. Aber der CDU/CSU) nicht umsonst sprechen Sie in Ihrem gemeinsamen An- trag den Long Term Asset Value an und sagen, dass mit Torsten Staffeldt (FDP): der BaFin über solche Dinge geredet werden muss, um Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! eine andere Bewertung zu erreichen. Das Beste an der Rede meines Vorredners waren die Pausen. Herr Rehberg, ich weiß, dass Sie sich in Bezug auf die Versicherungsteuer sehr eingesetzt haben; ich bin Ih- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei nen auch dankbar dafür. Wenn 30 Container-Reedereien Abgeordneten der CDU/CSU) 200 Schiffe in einen Erlöspool einbringen Ich sage es einmal so: Wenn Fachkompetenz die Voraus- (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Ich würde setzung dafür wäre, vor dem Hohen Hause über dieses das nicht so breit diskutieren! Diesen Rat gebe Thema reden zu dürfen, dann hätten ohnehin nur die ich Ihnen, Kollege Egloff!) Kollegen Otto, Ferlemann und Rehberg reden können. (Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär: Und und am Ende dabei herauskommt, dass das Finanzminis- Staffeldt!) terium darauf eine Versicherungsteuer erheben will, so ist das nicht zielführend. Ich bin Ihnen dankbar dafür, – Danke. Das wollte ich hören. dass Sie dieses Thema aufgenommen haben, dass Sie es (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei angeschoben haben, dass die Überlegungen nun in die Abgeordneten der CDU/CSU) richtige Richtung gehen; aber wir warten auf eine ent- sprechende Regelung in einer Verordnung oder in einem Wir haben eine interessante Debatte gehabt. Ich freue Gesetz, um sicherzustellen, dass so etwas in Zukunft mich darüber. Es war übrigens keineswegs die einzige nicht wieder passiert. im Laufe von zwei Jahren. Wenn Sie zurückblicken, wis- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29059

Torsten Staffeldt (A) sen Sie, dass wir schon häufiger über die Themen der dafür sorgen würden, dass die Kompetenzen dahin ge- (C) maritimen Wirtschaft geredet haben, natürlich insbeson- hend gestärkt werden. dere über die Bereiche Schiffbau, Schifffahrt und mari- Die maritime Sicherheit ist ein wichtiges Thema. time Meerestechnik, aber eben auch über andere Berei- Deswegen freue ich mich insbesondere, dass bei der che. Ich freue mich grundsätzlich, wenn wir über dieses kommenden Nationalen Maritimen Konferenz in Kiel Thema reden, weil ich wie wohl der Großteil des Ple- das Thema „Maritime Sicherheit“ wieder als Work- nums der festen Überzeugung bin, dass man sich im shop VII auf der Tagesordnung steht. Letztes Mal war Deutschen Bundestag generell mehr damit beschäftigen das nicht der Fall. Ich denke, gerade im Hinblick auf das sollte; denn Schiffbau, Schifffahrt und maritime Meeres- Thema Piraterie ist es wichtig, weiter daran zu arbeiten. technik sind Zukunftsfelder, bei denen wir gut beraten sind, Fördermittel zur Verfügung zu stellen und dafür zu Liebe Kolleginnen und Kollegen, als wir mit der sorgen, dass die Innovationsfähigkeit der unterschiedli- CDU/CSU die Regierung gebildet und die Aufgabenver- chen Bereiche erhalten bleibt und ausgebaut wird. teilung vorgenommen haben, stand den Reedern und Schiffbauern das Wasser bis zum Hals. Auf meinem Glücklicherweise gibt es im Bereich des Schiffbaus Schlips sehen Sie die sogenannte Plimsoll-Marke bzw. nach wie vor weltmarktfähige Unternehmen. Die Werf- Freibordmarke. Sie zeigt, wie weit ein Schiff beladen ten in Papenburg und Flensburg wurden schon genannt. werden darf in Abhängigkeit zum Fahrtgebiet, beispiels- (Uwe Beckmeyer [SPD]: Wir müssen uns auch weise im Winter im Nordatlantik oder im Tropenfrisch- um den Rest kümmern!) wasser. Zu dem Zeitpunkt, als wir in der Regierung die Verantwortung übernommen haben, stand den Reedern Wir haben dort glücklicherweise starke Player, und die und Schiffbauern das Wasser bis zum Hals. Sie waren müssen wir erhalten. kurz vorm Umkippen. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Wer kümmert sich (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- um den Rest?) NEN]: Jetzt sind sie abgesoffen, Herr Kol- Dazu ist das Bundeswirtschaftsministerium aufgefor- lege!) dert. Deswegen haben wir auch den Maritimen Koordi- Durch unsere gute Arbeit, die wir als Parlamentarier und nator dem Wirtschaftsministerium und nicht dem Ver- als Regierung in den letzten Jahren geleistet haben, ist es kehrsministerium zugeordnet. Ich danke an dieser Stelle uns gelungen, dafür zu sorgen, dass Schiffbau, Schiff- ausdrücklich Hans-Joachim Otto für seine Arbeit, die er fahrt und maritime Meerestechnik in Deutschland wei- im Laufe der letzten Jahre im Deutschen Bundestag und terhin eine Zukunft haben. in der Regierung für Schiffbau und Schifffahrt geleistet (B) hat. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Es hat sechs Insol- (D) venzen während Ihrer Zeit gegeben! Wissen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sie das eigentlich gar nicht? Schiffe sind aus- der CDU/CSU) geflaggt worden, viele bedrohte Arbeitsplätze! Ich danke auch Enak Ferlemann und dem Verkehrs- Ein Schwätzer sondergleichen! Setzen Sie sich ministerium, die zusammen mit uns, den interessierten bloß wieder! Es ist ja nicht zum Aushalten, und begeisterten Parlamentariern, dafür gesorgt haben, welchen Unsinn Sie reden!) dass die Zukunftsfähigkeit der deutschen Schifffahrt er- Dafür bedanke ich mich recht herzlich. halten bleibt. Dem dient auch unser Antrag, den wir heute vorgelegt haben. Er listet noch einmal alles Gute Ich bin froh und dankbar, dass es auch nach dem auf, was wir im Laufe der letzten Jahre getan haben. Der 22. September so weitergehen wird; denn wohin rot- Antrag der SPD zeigt, dass Sie im Grunde genommen grünes Chaos führt, wenn es um Verkehrsinfrastruktur nicht wissen, wie Sie damit umgehen sollen. Es ist nur geht, sehen wir in Nordrhein-Westfalen und jetzt in Nie- von Prüfaufträgen die Rede. Eigentlich finden Sie gut, dersachsen. Das wollen wir für Deutschland nicht, meine was wir gemacht haben. Das sollten Sie endlich zuge- Damen und Herren. ben, Herr Beckmeyer. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) CDU/CSU) Wünschenswert erscheint mir, dass die Kompetenzen Vizepräsidentin Petra Pau: des Maritimen Koordinators im Hinblick auf die Durch- Das Wort hat der Kollege Ingbert Liebing für die setzungsfähigkeit an der einen oder anderen Stelle Unionsfraktion. gestärkt werden. Denn es ist eine schwierige Aufgabe, in der Gemengelage zwischen den unterschiedlichen (Beifall bei der CDU/CSU) Ministerien wie Verkehrs- und Umweltministerium die Sicherheitsbelange sowohl im Inneren wie im Äußeren Ingbert Liebing (CDU/CSU): – ich denke dabei an den Zoll oder die Deutsche Marine – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und als auch im Ernährungsbereich, beispielsweise in der Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir heute Fischerei, zu berücksichtigen. Das sind alles Bereiche, im Vorfeld der Achten Maritimen Konferenz diese De- die die maritime Wirtschaft betreffen, und ich wäre batte über die maritime Wirtschaft führen und die Kon- dankbar, wenn wir als Parlament und in der Regierung ferenz in Kiel in meinem Heimatland Schleswig-Hol- 29060 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Ingbert Liebing (A) stein stattfindet, möchte ich zum Abschluss dieser gute Gelegenheit, noch einmal darauf hinzuweisen – das (C) Debatte gerne mit einem Thema beginnen, das uns in sauberste Verkehrsmittel, wenn wir die Relation zwi- Schleswig-Holstein besonders am Herzen liegt, nämlich schen transportierter Ladung und Schadstoffausstoß zu- dem Nord-Ostsee-Kanal. grunde legen. Auch deshalb, aus diesen ökologischen Gründen, unterstützen wir als Union die Schifffahrt. Wir haben in dieser Woche bereits in der Aktuellen Stunde am Mittwoch Gelegenheit gehabt, über dieses Dabei beschreiten wir manchmal einen schmalen Thema zu debattieren. Pfad. Ich denke zum Beispiel an die Schwefelemissions- (Ingo Egloff [SPD]: Da haben Sie schon or- sondergebiete in Nord- und Ostsee, an die SECAs. dentlich eins an die Backen gekriegt! – Uwe Einerseits ist es gut und ein großer ökologischer Fort- Beckmeyer [SPD]: Das hat geschmerzt!) schritt, wenn der Schadstoffgehalt ab dem 1. Januar 2015 in Nord- und Ostsee auf 0,1 Prozent reduziert wird. Es ist gut, dass wir als Koalition mit unserem Antrag Andererseits müssen wir aufpassen, dass höhere ökolo- auch ein klares Bekenntnis zum Nord-Ostsee-Kanal ab- gische Standards nicht zu einer Verkehrsverlagerung legen. Damit machen wir deutlich, dass wir handeln und vom Schiff auf die Straße führen; denn das wäre ökolo- die Versäumnisse der Vergangenheit bereinigen. Die gisch kontraproduktiv. Koalition hat mit dem Infrastrukturbeschleunigungspro- gramm bereits die notwendigen Haushaltsmittel bereit- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gestellt, damit die fünfte Schleuse in Brunsbüttel gebaut neten der FDP) werden kann. Deshalb appelliere ich an die Branche, die Zeit bis zum (Zuruf von der SPD: Ramsauer taucht immer 1. Januar 2015 – das ist nicht mehr viel Zeit – für Anpas- noch!) sungen zu nutzen. Die technologischen Möglichkeiten, die die Schifffahrtsindustrie und die Meerestechnik der Der Haushaltsausschuss hat mit den Stimmen der Koali- Branche anbieten, müssen genutzt werden. Deutschland tion auch dafür gesorgt, dass mögliche Nachfinanzierun- verfügt in diesem Bereich über die modernsten Umwelt- gen unproblematisch erfolgen können. technologien. Bei Neubauten ist das kein Problem; aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bei Bestandsbauten haben wir Probleme hinsichtlich der neten der FDP) Finanzierung, wenn es darum geht, das wirtschaftlich darzustellen. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregie- Es ist gut, wenn die Ausschreibung noch vor Beginn der rung mit der Innovationshilfe für neue Projekte hilft. Wir Maritimen Konferenz herausgeht. Ich bin sicher, dass haben in unseren Antrag aufgenommen, dass bestehende das Bundesverkehrsministerium, Bundesverkehrsminis- KfW-Programme für Nachrüstungen optimiert werden (B) ter Ramsauer und Staatssekretär Ferlemann alles dafür sollen. Dies hilft ganz konkret. (D) tun werden, damit nach der Ausschreibung zügig die Vergabe erfolgt und mit dem Bau begonnen wird. Das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) brauchen wir. Das braucht die maritime Wirtschaft als nationale Wirtschaft. Deswegen sind wir als Koalition Die maritimen Technologien und die Umwelttechno- bei diesem Thema gut aufgestellt. logien im maritimen Sektor bieten gewaltige Chancen für unsere deutsche maritime Wirtschaft. Das gilt insbe- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sondere für den Bereich der Offshorewindkraft. Wir ha- der CDU/CSU – Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ben aber auch erfahren müssen, dass manche Hoffnun- sehen wir ja! Vier Jahre Verzug!) gen und Erwartungen, die mit der Offshorewindkraft Anschließend müssen, parallel vorbereitet, die nächs- verbunden wurden, überzogen waren. ten Maßnahmen folgen: die Reparatur der Schleusen, der (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das war doch Ausbau der Oststrecke und die Vertiefung des Kanals. absehbar!) Wir wissen, dass das ein Milliardenprogramm ist, das schwierig zu stemmen ist. Dafür müssen wir alle Kräfte Offshorewindkraft bringt besondere technologische bündeln. Herausforderungen und Anforderungen mit sich. Die Entwicklung dauert länger, und es wird auch teurer als (Uwe Beckmeyer [SPD]: Mehr Personal bei zunächst erwartet. Deshalb werden wir bis 2020 wohl der Wasser- und Schifffahrtsdirektion! Sie kaum die angepeilten 10 Gigawatt erreichen. bauen das alles ab!) Deswegen ist es gut, wenn es jetzt ein Aktionsbündnis (Uwe Beckmeyer [SPD]: Weil Ihre Regierung aller Beteiligten gibt. Das ist allemal mehr wert als das versagt hat! – Gegenruf des Abg. Torsten Wahlkampfgetöse, das wir von Ihnen zu diesem Thema Staffeldt [FDP]: Sie glauben, jedes Problem zu hören bekommen. mit Geld lösen zu können! Das ist Ihr Pro- blem!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo Egloff [SPD]: Sie haben doch nur wegen der Ich greife gerne einmal auf, was die Sozialdemokra- Schleswig-Holstein-Wahl die Hosen voll!) ten zum Thema Offshore gesagt haben. In Ihrem Antrag fordern Sie uns auf, mehr für den Bereich Offshore zu Auf der Achten Nationalen Maritimen Konferenz tun. wird ein Schwerpunkt wieder auf dem Bereich der Um- welt liegen. Schiffe sind – die heutige Debatte ist eine (Zuruf des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD]) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29061

Ingbert Liebing (A) – Herr Kollege Beckmeyer, ein Vorschlag: Seien Sie ein- (Uwe Beckmeyer [SPD]: Trotz Ihrer Regie- (C) mal ganz ruhig, und hören Sie zu! Hinterher können Sie rung!) immer noch brüllen. – Der Kollege Egloff hat uns eben Deshalb ist es auch verständlich, dass die maritime Wirt- noch einmal aufgefordert, sehr viel mehr im Bereich schaft auf der Maritimen Konferenz mit besonderen Offshore zu tun. Erwartungen auf dieses Thema blickt. Wir als Unions- (Ingo Egloff [SPD]: Ich habe Sie auf Ihre Ver- fraktion, wir als Koalitionsfraktionen unterstützen ge- säumnisse hingewiesen!) meinsam mit der Bundesregierung diese Entwicklung mit ihren Herausforderungen und Chancen. Wir handeln Die norddeutschen Ministerpräsidenten – allesamt mit ganz konkret. So führen wir die maritime Wirtschaft in SPD-Parteibuch – eine gute Zukunft. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Gott sei Dank!) Ich bin sicher, dass die Maritime Konferenz, die in haben vor kurzem ein energiepolitisches Papier vorge- 14 Tagen – im April – in Kiel stattfindet, den Beweis da- legt. Der SPD-Ministerpräsident von Mecklenburg-Vor- für liefern wird, wie gut diese Branche aufgestellt ist, pommern, Herr Sellering, hat dieses Papier mit der Auf- dass sie in eine gute Zukunft gehen und mit Optimismus forderung verbunden, sehr viel mehr für den Bereich in die Zukunft schauen kann. Dies ist auch ein Ergebnis Offshore zu tun. Sein Kieler Kollege, Herr Albig, der unserer guten Politik, die wir mit der Bundesregierung das gleiche Papier mitbeschlossen hat, wirft uns vor, wir bzw. mit dem Maritimen Koordinator, Herrn Otto – dem würden viel zu viel für den Bereich Offshore tun. Meine ich auch herzlichen Dank sagen möchte –, gemeinsam Damen und Herren Sozialdemokraten, was wollen Sie machen. In diesem Sinne wünsche ich dieser Maritimen nun eigentlich? Was stimmt denn jetzt? Sie wissen nicht, Konferenz alles Gute und der Wirtschaft entsprechend was Sie wollen, und Sie wissen nicht, was Sie tun. Ver- einen guten Erfolg. antwortungsvolle Politik ist das, was Sie hier bieten, Vielen Dank für diese Debatte. nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie müssen das noch ein- mal nachlesen! Da ist ein Fehler drin bei Ih- Vizepräsidentin Petra Pau: nen!) Ich schließe die Aussprache. Wir dagegen handeln ganz konkret. Wir unterstützen Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der die Offshorebranche, wo es notwendig und sinnvoll ist, Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/12817 mit dem Titel „Den Wandel in der maritimen (B) (D) (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist sträflich Wirtschaft begleiten und ihre nationale Aufgabe für den vernachlässigt worden!) Wirtschaftsstandort Deutschland herausstellen“. Wer weil wir darin eine Zukunftsoption sehen, gerade für die stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer maritime Wirtschaft. Ich nenne vier Stichworte: das Kre- enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Ko- ditprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau – hie- alitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion rüber werden 5 Milliarden Euro für die Offshorewindparks und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion bewegt –, die Regelungen in Bezug auf die Haftungsrisi- Bündnis 90/Die Grünen angenommen. ken, mit denen wir Investitionsbremsen lösen, die Rege- Tagesordnungspunkt 32 b. Abstimmung über den An- lungen zum Netzanschluss, mit denen wir den Netz- trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12723 mit anschluss verbessern und beschleunigen, dem Titel „Umsteuern in der Krise – Maritime Wirt- (Ingo Egloff [SPD]: Sie haben eine Regelung, schaft unterstützen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – aber keinen Netzanschluss! Das ist das Pro- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag blem!) ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion und die Raumplanung in der Ausschließlichen Wirt- Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab- schaftszone, die wir zum Abschluss gebracht haben, da- gelehnt. mit auch die Probleme hinsichtlich der Nutzungskonkur- renzen auf dem Meer, die mit der Offshorewindenergie Tagesordnungspunkte 32 c und 32 d. Interfraktionell verbunden sind, gelöst werden können. Das alles sind wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen konkrete Maßnahmen, die helfen. Für uns besteht kein 17/12823 und 17/12567 an die in der Tagesordnung auf- Gegensatz zwischen der Förderung von Offshorewind- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit energie und Onshorewindenergie. Wir brauchen beides: einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über- Wir brauchen Offshore und Onshore. Dafür stehen wir, weisungen so beschlossen. und dafür sorgen wir. Zusatzpunkt 10. Abstimmung über die Beschlussemp- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) fehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Europäische Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Tonnagesteuer statt Steuersparmodell“. Der Ausschuss Kollegen, die Offshorewirtschaft kann und wird ein empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Wachstumstreiber der maritimen Wirtschaft in Deutsch- 17/12878, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- land sein. nen auf Drucksache 17/12697 abzulehnen. Wer stimmt 29062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Vizepräsidentin Petra Pau (A) für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? auch noch das Zollkriminalamt. Die Folge der Zersplit- (C) – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit terung ist das Fehlen von Synergieeffekten zwischen den den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD- Ermittlungsstrukturen. Dies wiederum führt zu einer ge- Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/ ringeren Kontrolldichte. Dadurch kommt es zu mehr un- Die Grünen und Die Linke angenommen. bemerkten Straftaten und letztendlich zu einem Ausfall von Steuereinnahmen in erheblichem Umfang. Die Höhe Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: dieser Steuerausfälle bedient übrigens nicht ganz zu Un- Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank recht das Bild: Die großen Fische dürfen – zumindest Tempel, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abge- fast – ungestraft betrügen, die kleinen Fische dagegen ordneter und der Fraktion DIE LINKE verfolgt man mit großem Aufwand. Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei als (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Woher haben Wirtschafts- und Finanzermittlungsbehörde Sie denn dieses Bild?) – Drucksache 17/12708 – Lassen Sie uns doch in der kommenden Debatte darüber Überweisungsvorschlag: nachdenken, wie wir auch den großen Fischen besser das Finanzausschuss (f) Handwerk legen können! Innenausschuss (f) Haushaltsausschuss (Beifall bei der LINKEN – Dr. Birgit Federführung strittig Reinemund [FDP]: Und die kleinen Fische Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die wollen Sie gehen lassen?) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre – Das steht in unserem Antrag gar nicht drin; das ist keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Blödsinn. Stellen Sie doch eine Frage, wenn Sie fragen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege wollen! Frank Tempel für die Fraktion Die Linke. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Na, na! Ein bisschen (Beifall bei der LINKEN) freundlicher könnten Sie aber sein!) Unser Vorschlag lautet, dieses Problem mit einer Frank Tempel (DIE LINKE): Straffung der Strukturen anzugehen. Es geht überhaupt Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen nicht darum, etwas völlig Neues zu schaffen. Der ganze und Herren! Die Linke schlägt Ihnen vor, eine Bundesfi- Bereich der bisherigen Zollverwaltung bleibt im Verant- nanzpolizei zu bilden, das heißt, aus der bisherigen Bun- wortungsbereich des Bundesfinanzministeriums, auch (B) deszollverwaltung die Zollfahndungseinheiten und das die Bundesfinanzpolizei. Es erfolgt jedoch eine Aufspal- (D) Zollkriminalamt herauszulösen. Die Grundlage unseres tung der bisherigen Bundeszollverwaltung in einen fis- Antrags ist ein Thesenpapier der Gewerkschaft der Poli- kalisch-administrativen Teil auf der einen Seite und ei- zei, also der GdP. Ganz nebenbei: Vorschläge aus Be- nen – ebenfalls selbstständig agierenden – Fahndungs- rufs- und Fachverbänden sollten ruhig öfter den Weg ins und Ermittlungsteil, die Bundesfinanzpolizei, auf der an- Plenum finden. deren Seite. Die Vorteile liegen auf der Hand: stärkere (Beifall bei der LINKEN) Vernetzung bei Zusammenarbeit und Informationsaus- tausch und damit mehr Ermittlungsbreite – es geht also Der Zoll hat zwei zentrale Aufgaben: Erstens geht es um die kleinen und um die großen Fische – und eine spe- in einem administrativen Teil um die Verwaltung der zialisiertere Ausbildung mit kriminalistischer Orientie- Bundessteuern, um die Vollstreckung von Geldforderun- rung. Die Trennung von Verwaltung und Ermittlung ist gen des Bundes und bundesunmittelbarer Körperschaf- – auch das ist wichtig – immer ein Fall für die Korrup- ten und um die Überwachung der Einhaltung von Verbo- tionsprävention. ten und Beschränkungen im grenzüberschreitenden Warenverkehr. Zweitens geht es – darum soll es hier und (Beifall bei der LINKEN) heute gehen – um polizeiliche Aufgaben, also um die Eines möchte ich deutlich machen, weil es in der me- Bekämpfung von Schmuggel, Außenwirtschaftskrimina- dialen Berichterstattung zu Missverständnissen gekom- lität, international organisierter Geldwäsche, illegaler men ist: Bei unserem Vorschlag geht es nicht darum, in Beschäftigung, Subventionsbetrug und Steuerhinterzie- die Zuständigkeiten und Befugnisse der Länder einzu- hung zum Nachteil der EU und ihrer Mitgliedstaaten. greifen. Es geht auch nicht darum, in die Befugnisse von Diese Straftaten kosten den Staat – da dürften wir uns Bundespolizei und Bundeskriminalamt einzugreifen; es wohl alle einig sein – sehr viel Geld. Schätzungen belau- geht um Aufgaben, die bereits jetzt in der Zuständigkeit fen sich auf einen Betrag von 4 Milliarden Euro – das ist der Bundeszollverwaltung liegen. Es geht auch nicht da- eine vorsichtige Schätzung – bis hin zu einem Betrag rum, die Befugnisse und Eingriffsrechte staatlicher Be- von 50 Milliarden Euro. Allein die Summe des illegal in hörden auszuweiten und Bürgerrechtsstandards zu be- die Schweiz verbrachten Geldes wird auf 150 Milliarden schneiden; die bisherigen Befugnisse sind ausreichend. Euro geschätzt. Es geht darum, durch verbesserte Strukturen bzw. durch Was soll nun anders werden? Gegenwärtig ist der Be- eine einfache Strukturmaßnahme den finanziellen Scha- reich für Fahndung und Ermittlung in den 43 Zollfahn- den durch Straftaten zu verringern. Jede Milliarde mehr, dungsämtern zersplittert und nur zum Teil örtlich ausge- die dadurch eingenommen wird, kann Kürzungen in den richtet, die Vernetzung ist sehr gering, und dann gibt es Bereichen Kultur, Bildung und Soziales verhindern hel- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29063

Frank Tempel (A) fen, und das möchte doch hoffentlich jeder hier, auch die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) FDP. neten der FDP) (Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich Herr Tempel, man könnte es dabei bewenden lassen; [DIE LINKE]: Ich glaube nicht, dass die das aber es ist an dieser Stelle einfach zu schön. Sie werfen wollen!) dem Zoll obendrein vor – Sie begründen Ihre Initiative damit; das steht nicht wörtlich in Ihrem Antrag, aber an Vizepräsidentin Petra Pau: anderer Stelle –, es handle sich bei ihm um eine „ineffi- ziente Institution“, die mitverantwortlich sei an dem in Das Wort hat die Kollegin Patricia Lips für die Ihren Augen massiven Einnahmeproblem in Deutsch- Unionsfraktion. land. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Oh!)

Patricia Lips (CDU/CSU): Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage zu- Umbau der Sicherheitsbehörden unter Berücksichtigung lassen? der Zollverwaltung – Sie hatten das eben geschildert – ist ein Gedanke, der immer mal wieder, auch heute durch Patricia Lips (CDU/CSU): Ihren Antrag, in das politische Gespräch kam und teil- Ja, ich lasse die Zwischenfrage zu. weise noch kommt. Die Zielrichtung war, je nachdem, ob es eine finanz- oder eine innenpolitische Schwer- punktsetzung gab, unterschiedlich. Ich denke, wir be- Vizepräsidentin Petra Pau: gegnen uns hier durchaus mit großem Respekt. Dann halte ich die Uhr an, und der Kollege Tempel hat das Wort für eine Zwischenfrage. Im Mittelpunkt standen zumeist – Sie haben das ge- rade geschildert – ein Stück weit die Herauslösung we- sentlicher Bestandteile aus dem Gesamtgefüge des Zolls, Frank Tempel (DIE LINKE): insbesondere im Vollzugsbereich, und der Aufbau einer Frau Kollegin, Sie haben schon mitbekommen, dass neuen, anders gearteten Behördenstruktur mit verstärkt sich meine Äußerung eindeutig auf die Strukturen bezog polizeilicher Ausrichtung; ich habe das jetzt einmal ver- und nicht auf die Arbeit der Mitarbeiter? kürzt ausgedrückt. Patricia Lips (CDU/CSU): (B) Ich rede ausdrücklich in der Vergangenheit; denn ge- Ich habe nur zitiert, was Sie in der Clara, Ausgabe 27 (D) nau deshalb hatten wir bereits zu Beginn der laufenden vom 13. Februar 2013, geschrieben haben: Legislaturperiode eine eigene Kommission, die soge- nannte Werthebach-Kommission, damit beauftragt, sich Das liegt … an ineffizienten Institutionen … wie mit der Struktur der Sicherheitsbehörden eingehend zu zum Beispiel dem Zoll. beschäftigen. Ausweislich des Berichts der Werthebach- (Frank Tempel [DIE LINKE]: Aber Sie haben Kommission von 2010 kommt eine entsprechende Um- auch meine Worte gehört?) organisation, die aufgrund der Vielzahl entstehender Schnittstellen keinen fachlichen Mehrwert hätte, bereits – Ich habe sie gehört. – Schauen Sie, Herr Tempel, ich aus verfassungsrechtlichen Erwägungen und aufgrund weiß nicht, was Sie damit bezwecken. der Kernaufgaben der Zollverwaltung – Sicherung der (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das habe ich Ih- Staatseinnahmen und der Sozialsysteme, Schutz von nen doch erklärt!) Staat und Bürgern – nicht in Betracht. Sie wollen doch Mitarbeiter in Ihrem Sinne motivieren. Damit nicht genug: Der Wissenschaftliche Dienst des Umso unverständlicher ist es, wenn Sie mit solchen Aus- Deut schen Bundestages kam kurz danach in einem eige- sagen agieren. nen Gutachten zu einem vergleichbaren Ergebnis, näm- lich dass die vollzugspolizeiliche Komponente der Zoll- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und verwaltung nicht von ihren steuerlich-administrativen der FDP – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das Aufgaben getrennt werden könne. Diese Komponente kommt von den Mitarbeitern!) stehe in einem unauflösbaren Zusammenhang mit den Ich meine das gar nicht böse; ich sage nur, was Sie vor- Kernaufgaben der Zollverwaltung. haben. Es mag meine persönliche Ansicht sein; aber ich Unabhängig vom Inhalt des Gesagten ist festzuhalten: muss schon sagen: Ich betrachte das als einen Schlag ins Allein damit wird Ihre heutige Forderung nach einer er- Gesicht der 40 000 Zöllnerinnen und Zöllner, die ihrer neuten – Sie beschreiben das in Ihrem Antrag – „Eva- täglichen Arbeit mit einem gewissen Stolz nachgehen. luierung der besonderen Befugnisse und Rechtsgrundla- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gen der Zollfahndung und des Zollkriminalamts“ zur der FDP – Frank Tempel [DIE LINKE]: Ge- Feststellung von Schnittstellen mehr als entbehrlich. nau von denen kommt das!) Kolleginnen und Kollegen, Sie wärmen hier etwas auf, was längst geklärt ist. Das Ergebnis – wie vorgetragen – Herr Tempel, es geht Ihnen um die Einnahmen. Diese, ist Ihnen auch bekannt. wie Sie sie nennen, ineffiziente Institution nimmt jedes 29064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Patricia Lips (A) Jahr immerhin die Hälfte der dem Bund zufließenden Herr Tempel, ich frage mich mit Erstaunen: Was (C) Steuern ein: rund 125 Milliarden Euro. Sie hat gefälschte würde sich bei Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei ei- Ware im Wert von 127 Millionen Euro eingezogen. Sie gentlich an Ihrem Duktus ändern, und warum sollte sich hat Schäden durch Schwarzarbeit im Umfang von in den Reihen Ihrer Partei etwas ändern? Nein, Sie haben 750 Millionen Euro aufgedeckt. Sie hat 29 Tonnen es ja selber erwähnt: Dafür soll es jetzt einen eigenen Rauschgift beschlagnahmt. Sie hat 543 000 Personen Bundesfinanzpolizeibeauftragten geben, und 66 000 Arbeitgeber überprüft. Sie hat 146 Millionen (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das klingt schon Schmuggelzigaretten eingezogen. Es muss Ihnen doch fürchterlich!) klar sein, dass die Zollverwaltung alles andere ist als eine ineffiziente Institution, dass hier Menschen sehr gut der die Einhaltung der gesetzlichen Regeln und bürgerli- und effizient und prozessorientiert ihrer Arbeit nachge- chen Standards durch eine Bundesfinanzpolizei kontrol- hen. lieren soll. So ganz scheinen Sie der von Ihnen beantrag- ten Behörde dann also doch nicht zu trauen, da Sie den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bediensteten von Anfang an ein Misstrauen ausspre- neten der FDP) chen; denn für die allgemeine Kontrolle fordern Sie par- Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bundespoli- lamentarische Kontrollgremien gleich noch dazu. zei wie Zoll leisten eine wertvolle Arbeit in einem oft Herr Tempel, wenn man an die ganz großen Fische schwierigen Umfeld. will, dann gilt am Ende des Tages doch eines: Auf harte (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Also Jungs und Straftaten folgt im Rahmen unserer Gesetze doch!) zwangsläufig auch schon einmal eine harte Kante beim Vollzug. Das geschieht bereits heute, ist aber nachweis- Ihnen gebühren unsere Achtung und unser Respekt. Wir lich nicht gerade Ihre Linie. haben uns aus den genannten Gründen dafür entschieden, bei gemeinsamen Schnittstellen die Zusammenarbeit der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Frank Behörden ganz unmittelbar vor Ort – ob im Einsatz, in der Tempel [DIE LINKE]: Das ist falsch!) Ausbildung, beim Training, bei der Ausstattung oder an- Würde Ihrem Antrag gefolgt, dann hätte manch einer derem mehr – zu intensivieren und zu unterstützen. Diese mit großer Wahrscheinlichkeit seine helle Freude an Ih- Zusammenarbeit ist vielleicht noch nicht in jedem Fall nen – vermutlich vor allem die ganz großen Fische. vorhanden. Aber ich habe zwischenzeitlich, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen, mehrfach die Gelegenheit Ich fasse zusammen: wahrgenommen, mir das Wachsen dieser Strukturen vor (Iris Gleicke [SPD]: Oh Gott! Auch das noch! – Ort anzuschauen, und werde gerne weiter daran arbeiten. (B) Frank Tempel [DIE LINKE]: Das kann jetzt (D) Diese Besuche, die Gespräche und die Unterstützung nicht viel sein!) durch dieses Haus dienen der Motivation deutlich mehr, als wenn bestehende, durchaus effiziente Strukturen auf- Die Sicherung der finanziellen Leistungsfähigkeit ist in gelöst werden. der Tat Grundlage für das Funktionieren unseres Staates. Es geht um Steuergerechtigkeit, es geht um die Wettbe- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – werbsfähigkeit unserer Unternehmen, und es geht natür- Frank Tempel [DIE LINKE]: Ihnen ist schon lich um den Vollzug. Bundes- und Zollkriminalamt, klar, dass das Thesenpapier von diesen Kolle- Bundespolizei und Zoll und auch die Landespolizeien gen kommt?) mit ihren vielen Tausend Bediensteten arbeiten in die- – Herr Tempel, es gibt ja auch andere Meinungen an an- sem Sinne effektiv und prozessorientiert. derer Stelle. Durch eine Umstrukturierung entstünden nach Maß- Ich habe mich von Anfang an gefragt, wieso ausge- gabe der genannten Gutachten nur neue Schnittstellen, rechnet die Linke einen solchen Antrag stellt. Immerhin die einen echten Mehrwert verhindern. Manchmal er- geht es darin um die Gründung einer Bundesfinanzpoli- reicht man Effektivität auch mit flexiblen Einheiten in zei, deren Ausrichtung eng an der der Bundespolizei an- der Fläche. gelehnt ist – bis hin zu einer Verankerung in Gesetzen Keine dieser Behörden ist statisch verharrend ausge- ähnlich der der Bundespolizei. Allein in diesem Satz richtet, sondern sie richten ihre Arbeit natürlich immer kam dreimal „Polizei“ vor. wieder neu auf die neuen Herausforderungen aus. Das ist Ihnen persönlich nehme ich das sogar noch ab. Wie ein dynamischer Prozess. passt das aber zu Folgendem – das sind nur drei Bei- Unser Ziel sind Formen der vertieften Zusammenar- spiele; gehen Sie ins Internet –: „… Linke attackieren beit, wo es notwendig ist bzw. Berührungspunkte gibt. Chef der Bundespolizei“, „Linke kritisieren Kontrollpra- Wir laden Sie herzlich ein, uns und die Arbeit vor Ort am xis der Bundespolizei“, „Linke kritisieren Personenkon- weiteren Aufbau zu unterstützen. trollen der Bundespolizei“. Dabei erwähne ich gar nicht erst die zahllosen Meldungen unter den Stichworten Vielen Dank. „Die Linke“ oder einfach nur „Polizei“ oder Ihre ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – schiedenen und durchaus auch kritischen Anfragen zu Frank Tempel [DIE LINKE]: Bisher haben Sie dieser Personengruppe hier im Deutschen Bundestag. gar nichts gemacht! Wie soll man das unter- (Heiterkeit des Abg. Dr. Daniel Volk [FDP]) stützen?) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29065

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: nicht, geantwortet, nein, sie würden nicht mehr zum Zoll (C) Das Wort hat der Kollege Martin Gerster für die SPD- gehen. Deswegen meine ich, dass wir in der Tat überle- Fraktion. gen sollten, was wir politisch dazu beitragen können, um dienstebenenübergreifend für mehr Zufriedenheit zu sor- (Beifall bei der SPD) gen.

Martin Gerster (SPD): Die Beamtinnen und Beamten brauchen – so ist Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! meine Meinung – zunächst einmal Erwartungssicherheit, All das, was bisher gesagt wurde, ist weder in Gänze auch in organisatorischer Hinsicht, und keine unausge- richtig noch in Gänze falsch. Ich denke, es ist wichtig, gorenen Rufe nach einer schnellen Neustrukturierung. noch einmal herauszuheben, dass uns Wirtschaftskrimi- Dies wäre letztendlich weder Fisch noch Fleisch. Das nalität, Steuerbetrug, Korruption, Geldwäsche und orga- betrifft eben auch den Antrag der Linksfraktion, den wir nisierte Kriminalität vor gewaltige Probleme stellen und unter dieser Rubrik einordnen müssen. Darin wird nach dass sie gewaltige Herausforderungen darstellen, die wir einer Bundesfinanzpolizei und nach einem Auflösen von natürlich angehen müssen, und zwar noch intensiver und aufgeblähten Mittelbehörden gerufen. Dazu sagen wir: effektiver als bisher. Das scheint doch eher ein Schnellschuss zu sein als tat- sächlich ein konsequent durchdachtes Konzept. Wir müssen hier maximal tätig werden. Es wird hier nämlich ein immenser Schaden angerichtet, und zwar Ich kann das zusammenfassen, indem ich den Bund letztendlich nicht nur vom Betrag her. Es geht hier um Deutscher Kriminalbeamter zitiere, der uns über nichts anderes als um die Integrität unserer Volkswirt- Sebastian Fiedler heute seine Stellungnahme hat zukom- schaften und unserer Staatsfinanzen und auch um das men lassen: Die schwerwiegenden Kriminalitätspro- subjektive Gefühl, dass wir die großen Fische in der Tat bleme und komplexen Bedrohungen erfordern intelli- gente Lösungen und keine unausgegorenen polemischen nicht davonschwimmen lassen, sondern hier auch zu- greifen, wenn es möglich ist. Forderungen wie beispielsweise im Antrag der Links- fraktion. (Beifall der Abg. Michael Hartmann [Wa- Herzlichen Dank. ckernheim] [SPD] und Frank Tempel [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Patricia Lips Zweifelsohne wachsen die Anforderungen an die Be- [CDU/CSU]) amtinnen und Beamten, die diese Kriminalitätsform und ihre Folgen bekämpfen sollen. Das betrifft auch den Zoll (B) und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die trotz ge- Vizepräsidentin Petra Pau: (D) waltiger Arbeitsbelastung großartige Arbeit leisten. Ich Das Wort hat die Kollegin Dr. Birgit Reinemund für denke, das muss an dieser Stelle und in dieser Debatte die FDP-Fraktion. klar herausgearbeitet und erwähnt werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Dr. Birgit Reinemund [FDP]) Dr. Birgit Reinemund (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linksfraktion spricht – das will ich beto- Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich sind wir uns nen – Richtiges und Wichtiges an. Aber sinnvolle Lö- einig, dass wir massiv gegen Steuerbetrug, gegen Wirt- sungen bietet er aus unserer Sicht nicht. Vieles bleibt un- schaftskriminalität vorgehen müssen. Dem Staat entste- term Strich Stückwerk, das nicht zusammenpasst. hen jährlich Milliardenverluste durch Finanzkriminalität Wichtig erscheint mir der Hinweis, dass wir in der und Wirtschaftskriminalität, durch Steuerhinterziehung, letzten Legislaturperiode Strukturreformen bei der Zoll- Subventionsbetrug, Geldwäsche, Korruption und verwaltung in Angriff genommen haben. Jetzt ist die Schmuggel. Frage, ob wir an diesen Ergebnissen schon wieder he- Allein circa 30 Milliarden Euro jährlich gehen dem rumdoktern wollen oder ob wir nicht erst einmal detail- Staat durch Steuerhinterziehung verloren. liert erfassen wollen, wie sich die Reformen auf längere Sicht bewähren. Ich meine, hier sollten wir in Ruhe ent- Davon könnten rund 10 Milliarden Euro für den sprechende Verbesserungsspielräume erörtern, ohne aber Staat gerettet werden, wenn die Steuerfahndung ih- auszuschließen, dass wir an den Schnittstellen die eine ren Aufgaben angemessen ausgestattet wäre, oder andere Verbesserung benötigen. schätzt die Deutsche Steuer-Gewerkschaft. Hier stehen Letztendlich sind Vorschläge in diesem Zusammen- die Länder in der Verantwortung. Hier müssen sie ihrer hang immer willkommen; denn – auch das erscheint mir Verantwortung gerecht werden. Weitere zweistellige wichtig – zollintern sind natürlich noch längst nicht alle Milliardenbeträge werden dem Staatshaushalt durch Stellschrauben passend justiert. Das zeigt auch eine von Wirtschaftskriminalität entzogen. Dagegen geht diese Verdi zitierte Erhebung aus dem letzten Jahr. Diese Er- christlich-liberale Koalition mit aller Macht vor, hebung, dieser Bericht sollte uns zu denken geben. Bei (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Mitarbeiterbefragung hat die Hälfte der Beschäftig- der CDU/CSU) ten auf die Frage, ob sie, wenn sie noch einmal die Ent- scheidung treffen müssten, zum Zoll gehen würden oder intensiver und konsequenter als je zuvor. 29066 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Dr. Birgit Reinemund (A) Wir haben in dieser Legislatur eine ganze Reihe Ge- Die Forderung der Linken in ihrem Antrag ist also (C) setze dazu auf den Weg gebracht, national umgesetzt nicht neu: eine Trennung der Zollverwaltung in eine oder international angestoßen, zum Beispiel das Gesetz Bundesfinanzpolizei und in eine administrative Bundes- zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und finanzverwaltung, beide dem BMF unterstellt. Wir dage- Steuerhinterziehung, zum Beispiel die circa 90 Doppel- gen sehen keine Qualitätsverbesserung alleine durch besteuerungsabkommen inklusive Informationsaus- Zerschlagung, Zentralisierung und Umorganisation von tausch, die wir neu abgeschlossen oder auf den neuesten Behörden. Sinnvoller ist, die Zusammenarbeit der Bun- Stand der OECD gebracht haben, zum Beispiel das Ab- des- und Landesbehörden sowie zwischen Bundespolizei kommen mit der Schweiz – Sie haben die Summe von und Zollverwaltung zu verbessern und unsere Behörden 150 Milliarden Euro deutscher Steuergelder in der vor allem international noch stärker zu vernetzen. Schweiz angesprochen –, das Sie im Bundesrat verhin- Schnittstellen müssen klarer definiert, Synergien geho- dert haben, mit dem erstmals sogar rückwirkend eine ben werden. Auch hier hat diese Koalition bereits gehan- Nachbesteuerung von illegalem Geld im Ausland ausge- delt. Die Bundesregierung hat 2010 die Werthebach- handelt wurde. Kommission ins Leben gerufen, (Martin Gerster [SPD]: Aus gutem Grund ha- ben wir es abgelehnt!) (Frank Tempel [DIE LINKE]: Die war aber nicht so erfolgreich!) Seit 1. Januar 2013 könnten wir bereits die Nachbe- steuerung auf Altvermögen haben plus eine Abgeltung- genau mit dem Ziel, die Aufgaben sowie die Ablaufor- steuer auf alle künftigen Kapitalerträge ganisationen der einzelnen deutschen Sicherheitsbehör- den auf Bundesebene darzustellen, zu vergleichen und (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Ein Schelm, wer Vorschläge für eine bessere Verzahnung zu erarbeiten. Böses dabei denkt!) Sie kam zu dem eindeutigen Ergebnis – Frau Lips hat es und damit eine Gleichbesteuerung mit Deutschland. deutlich ausgeführt –, dass ein Heraustrennen der poli- zeilichen Aufgaben des Zollvollzugs – was die Linke als (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Klaus- Bundesfinanzpolizei bezeichnet – aus der Zollverwal- Peter Flosbach [CDU/CSU]) tung mehr Reibungsverluste erzeugen würde, als da- durch Verbesserungspotenzial zu erwarten wäre. Seit Januar könnten Milliardeneinnahmen aus der Schweiz nach Deutschland fließen, und das Jahr für Jahr. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Dieses Geld fehlt nun dem Bund, den Ländern und den auch Sie sollten diese Ergebnisse kennen. Sie stellen hier Kommunen. Es geht Ihnen doch um die Einnahmen, (B) eine plakative Forderung auf, die längst geprüft und als (D) Herr Tempel. schlecht verworfen ist. Zudem hat das Bundesverfas- (Frank Tempel [DIE LINKE]: Richtig!) sungsgericht in seiner Entscheidung von 1998 zum Bun- desgrenzschutz eindeutig klargestellt, dass der Bundes- Aber das haben SPD, Grüne und Linke im Bundesrat grenzschutz „nicht zu einer allgemeinen, mit den verhindert. Landespolizeien konkurrierenden Bundespolizei ausge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Martin baut werden“ darf. Der Vorschlag der Linken wäre dem- Gerster [SPD]: Aus gutem Grund!) nach ebenfalls verfassungswidrig. Daran ist einfach nicht zu rütteln. Sie setzen lieber auf Zufallsfunde und Steuer-CDs als auf eine flächendeckende Besteuerung. Ohne Frage sehen wir die Notwendigkeit, Aufgaben zu straffen, Kompetenzen klar zu definieren und Doppel- (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: zuständigkeiten abzubauen; darin sind wir uns einig. Straftäter müssen überführt werden, auch mit Doch genau dies ist Aufgabe und Ziel der im Januar die- Hilfe von CDs!) ses Jahres neu eingerichteten Regierungskommission zur Eine gleichmäßige Steuererhebung und das Durchset- Evaluierung der Sicherheitsgesetze. Wir sollten die Er- zen von Steueransprüchen ist eine Frage der Steuerge- gebnisse der Arbeit dieser Kommission abwarten. rechtigkeit; das sollte doch Ihr Thema sein. Gleichmäßig (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Gut, heißt in Deutschland auch einheitliche Auslegung, Um- dass Sie an diese Kommission erinnern!) setzung und Durchsetzung des Steuerrechts in allen Bun- desländern. Es wird immer wieder bemängelt, dass die Das ist allemal effektiver, als grundgesetzlich bedenkli- einzelnen Landesfinanzdirektionen eine unterschiedliche che Anträge und bereits als schlecht bewertete Vor- Anzahl an Steuerfahndern mit unterschiedlichen Fahn- schläge immer wieder zu diskutieren. dungsschwerpunkten einsetzen und Steuerrecht unter- schiedlich strikt auslegen. Deshalb forderte die FDP be- Im Ziel sind wir uns einig: Bekämpfung von Steuer- reits 2007 in der Föderalismuskommission II mehr betrug und Wirtschaftskriminalität sichert dem Staat ihm Weisungsbefugnis der Bundesfinanzverwaltung gegen- zustehende Einnahmen – eine Frage der Haushaltssiche- über den Landesfinanzbehörden. Dies fand keine Mehr- rung und eine Frage der Steuergerechtigkeit. Machen Sie heit, da SPD, Grüne und Linke schon damals lieber zen- mit! tralisieren wollten und die Länder jede Veränderung ablehnten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29067

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: zu den Aufgaben der Landespolizeien und die Frage, die (C) Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat für die Fraktion Herr Gerster angesprochen hat, nämlich ob man kurz Bündnis 90/Die Grünen das Wort. nach der Reform in der letzten Legislaturperiode jetzt er- neut an eine Reform herangeht und in welcher Form das Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geschehen soll. NEN): Ich finde, dass Ihr Antrag genau diese Abwägung der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! verschiedenen Aspekte nicht vornimmt und nicht zeigt, Ich will nur ganz kurz auf das Abkommen mit der wie die Strukturveränderung zu einer wirklichen Pro- Schweiz eingehen, das Sie, Frau Kollegin Reinemund, blemlösung führt, ohne neue Probleme aufzuwerfen. Ge- angesprochen haben. Ihre Sicht ist interessant. Warum nau deswegen glaube ich, dass dieses Thema einer wei- haben denn gerade die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teren Diskussion bedarf. aus der Steuerverwaltung und aus dem Justizbereich der Länder massiv davor gewarnt, ein solches Abkommen Es gibt tatsächlich ein Nebeneinander von verschie- abzuschließen? Gerade weil es verhindert hätte, dass denen Institutionen. Uns erreichen Hinweise, dass es zahlreiche Straftaten im Bereich der Wirtschaftskrimina- teilweise schwierig ist, zu einer guten Zusammenarbeit lität aufgedeckt werden. zu kommen. Aber lassen Sie uns das etwas gründlicher anschauen und dann mit einem Diskussionsprozess be- (Dr. Daniel Volk [FDP]: Jetzt verjähren sie!) ginnen, der wirklich die verschiedenen Stimmen berück- Das war einer der Gründe, warum wir dieses Abkommen sichtigt und nicht nur auf wenige Stimmen Bezug nimmt zu Recht abgelehnt haben, nämlich damit die Ermittlun- und damit keine Zufriedenheit bei den Beschäftigten gen möglich bleiben und nicht alles in der Anonymität schafft. Da hat die Koalition meines Erachtens das Nö- versinkt. tige noch nicht getan. Darauf weisen Sie zu Recht hin. Aber die Lösung, die Sie vorschlagen, ist unseres Erach- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tens noch nicht zustimmungsfähig. sowie bei Abgeordneten der SPD) Danke. Konkret zu dem Antrag der Linksfraktion: Uns errei- chen die Hinweise von den Beschäftigten, dass es eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unzufriedenheit gibt. Kollege Gerster hat auf die Um- sowie bei Abgeordneten der FDP) frage hingewiesen. Sie haben das Gefühl, dass sie ihre Arbeit nicht so tun können, wie sie sie tun sollten. Das Vizepräsidentin Petra Pau: ist zunächst einmal etwas, was wir auf jeden Fall ernst Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege (B) nehmen sollten. Es gibt ein zweites Argument – das ist Michael Hartmann für die SPD-Fraktion das Wort. (D) am Anfang Ihres Antrags genannt –, nämlich dass es wachsende Aufgaben in dem Themenbereich Wirt- (Beifall bei der SPD) schaftskriminalität gibt. Tatsächlich können wir – das zeigen verschiedene Ermittlungen zur Geldwäsche im Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Rahmen der Finanzkrise, die teilweise nicht zum ge- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und wünschten Erfolg führen – feststellen, dass eine struktu- Herren! Es ist in der Tat vieles im Bereich unserer ge- relle Unterlegenheit der Behörden besteht. samten Sicherheitsarchitektur nicht richtig sortiert und zugeordnet. Das gilt auch für den Zoll und in besonde- Jetzt muss man sich fragen, ob der Vorschlag geeignet rem Maße für den sogenannten waffentragenden Zoll. ist, diese Probleme wirklich zu lösen. Da gibt es eine Wenn man sich beispielsweise überlegt, dass immer Reihe von Zweifeln. Ich glaube nicht, Frau Lips, dass noch, nachdem bekannt wurde, dass bei der Fracht in die Werthebach-Kommission da schon das abschlie- Passagiermaschinen vieles nicht so läuft, wie wir es uns ßende Wort gesprochen haben kann. Das ist eine rein wünschen würden, der Kompetenzstreit um Stellen und von der Exekutive besetzte Kommission gewesen, die Zuordnung zwischen dem Finanzministerium, dem Ver- viele unabhängige Stimmen nicht berücksichtigt hat und kehrsministerium und dem Bundesinnenministerium deswegen gerade nicht zu einer Befriedung dieser Dis- tobt, wird klar, dass keiner sagen kann: Mit dem Zoll, kussion führen konnte. seiner Aufgabenwahrnehmung und seiner Zuordnung ist Trotzdem: Es gibt eine verfassungsrechtliche Tren- alles in Ordnung. Aber das haben nicht die Beamtinnen nung, und wir müssen die Frage stellen, ob mit der Ent- und Beamten am Frankfurter Flughafen oder anderswo wicklung einer Bundesfinanzpolizei nicht die Frage der zu verantworten, sondern eine Bundesregierung, die Zuständigkeit des Bundes und der Länder berührt ist. Im nichts anderes tut, als um Stellen zu streiten und das Zweifelsfall sollen die polizeilichen Aufgaben bei den Kompetenzgerangel auf dem Rücken der Beamtinnen Ländern sein. Das halten wir für verfassungsrechtlich und Beamten auszutragen. richtig und geboten. Man muss sich fragen, ob die Fol- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen für die Beschäftigten mit dieser Strukturveränderung der LINKEN) dann schon wirklich positiv sind. Es erreichen uns von den Beschäftigten anderer Institutionen warnende Hin- Deshalb meine ich: Wir müssen gemeinsam den Mut weise, dass das Problem damit möglicherweise nicht ge- haben, in Fragen der Sicherheitsarchitektur eine Aufga- löst, sondern verschärft wird. Auch diese Hinweise sind benkritik überall und an jeder Stelle vorzunehmen. Dazu ernst zu nehmen. Es stellt sich die Frage der Abgrenzung gehört unbedingt der Zoll. Wenn nun immer wieder das 29068 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Michael Hartmann (Wackernheim) (A) Stichwort „Werthebach-Kommission“ fällt, sei dazu aus gabe orientierte Kritik muss an der einzelnen Wahrneh- (C) meiner Sicht eines gesagt: Fragen Sie doch bitte mal den mung im Sicherheitsbereich erfolgen. Dann kann man zu Herrn Werthebach, was er heute von seinen damaligen gescheiten und zielführenden Lösungen kommen. Auftraggebern hält. Er wurde vorgeschoben, durfte zu- Insofern ist es gut, wenn wir mit den Freunden der sammen mit anderen hochmögenden ehemaligen Präsi- GdP, der DPolG, des BDK reden. Aber wir sollten als denten von Sicherheitsbehörden nachdenken, musste be- Parlamentarier nie einfach deren Position übernehmen, stimmte Fragen tabubewusst ausklammern und wurde sondern eigenständig in der Gesamtschau prüfen. Wir dann, nachdem das Ganze präsentiert worden war, sofort sollten im Übrigen auch nie sagen: Die Welt ist gut, so zurückgepfiffen. Es ist gar nichts daraus geworden. wie sie ist. Meine Damen und Herren von der Koalition, In der Frage des Zolls wurde die Aussage getroffen: sie kann immer noch besser werden, auch beim Zoll. Bitte gar nicht erst anfassen. Genau das ist verkehrt. Man Vielen Dank. muss sich auch den Problemen der Abgrenzung stellen. Man darf nicht von vornherein Tabus schaffen und sa- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen, die Sache sei erledigt. In der Tat: Der Zoll ist eine der LINKEN – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: wichtige Sicherheitsbehörde unseres Landes. Aber mit dieser Koalition!) Wenn Sie den Bürgerinnen und Bürgern erklären wol- len, dass zum Beispiel die Bekämpfung von Drogen- Vizepräsidentin Petra Pau: schmuggel, die Bekämpfung von Schleuserkriminalität, Ich schließe die Aussprache. die Bekämpfung von illegalen Aktivitäten organisierter Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Kriminalität auch mit dem Instrument der Onlinedurch- Drucksache 17/12708 an die in der Tagesordnung aufge- suchung und mit verdeckten Ermittlern wahrgenommen führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist wird, und dann fragen würden: „Wer macht das denn?“, jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP würden, glaube ich, die meisten Bürgerinnen und Bürger wünschen Federführung beim Finanzausschuss. Die antworten: Das macht doch die Polizei. Ob Bundes- oder Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Innen- Landespolizei oder Bundeskriminalamt, sei einmal da- ausschuss. hingestellt. Nein, das alles macht der Zoll. Deshalb muss es erlaubt sein, zu fragen, ob der Zoll, der so weit im Be- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- reich der Gefahrenabwehr, der unmittelbaren Gewalt, vorschlag der Fraktion Die Linke, also Federführung der verdeckten Maßnahmen tätig ist, nicht tatsächlich beim Innenausschuss. Wer stimmt für diesen Überwei- auch besser und geordneter als Polizei verstanden wer- sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen (B) den muss, als das in der Vergangenheit der Fall war. In- (D) sofern ist die Fragestellung im Antrag der Linken unbe- der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen dingt eine berechtigte. die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. (Beifall des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Allerdings sind wir der Meinung, dass es sich lohnt, schlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, also Fe- alles genau anzuschauen und nicht sofort Ergebnisse zu derführung beim Finanzausschuss. Wer stimmt für die- präsentieren; denn wir sind beispielsweise dann in einem sen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Feld, das der intensiven Diskussion bedarf, wenn wir Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit fragen: Was kann durch den Gesetzgeber eigentlich vor- den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und gegeben werden? Wo sind wir in Bereichen, die der Or- der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die ganisations- und Personalhoheit der Ministerien unter- Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- liegen, in denen das Parlament gar nichts zu sagen hat? nommen. Wo kommen wir in Bereiche hinein, die durch das Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Grundgesetz klar dem bisherigen Zoll zugewiesen sind? Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ Jetzt ist mir völlig klar, dass – ganz gleich, wer regiert CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/ und wer wo Minister ist – niemand sich eine so schmu- DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines cke Truppe so einfach aus dem Ressort herausschneiden Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bun- lässt. Zugleich stellt sich allerdings die Frage, ob es desregierung und Deutschem Bundestag in sachadäquat ist, allein dem Finanzminister bestimmte Angelegenheiten der Europäischen Union Aufgaben einer eigentlich polizeilich orientierten Be- (EUZBBG) hörde zuzuordnen. Deshalb sind wir der Meinung, lieber Frank Tempel: Es ist nicht richtig, zu sagen: „Wir brau- – Drucksache 17/12816 – chen ein Sonderkontrollgremium für diese Einheiten“, Überweisungsvorschlag: sondern das muss schon im klassisch parlamentarischen Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Verfahren weiterlaufen. Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Wir sind auch keineswegs der Meinung, dass die ge- Sportausschuss

samte Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität nun bei Rechtsausschuss Finanzausschuss dieser zukünftigen Bundesfinanzpolizei angesiedelt sein Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sollte, sondern wir meinen, eine strenge und an der Auf- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29069

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Verbraucherschutz (Zuruf von der FDP: Keine Drohungen!) (C) Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Aber um das an dieser Stelle klar zu sagen: Es geht Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend um die frühzeitige und vollständige Unterrichtung des Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ganzes Parlamentes, um – wie es unser Bundestagspräsi- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dent formuliert hat – der „zentralen Stellung des Bundes- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe tages als Ort der öffentlichen politischen Auseinander- Ausschuss für Bildung, Forschung und setzung und der rechtsverbindlichen Entscheidung“

Technikfolgenabschätzung gerecht zu werden. Es geht um unseren Beitrag zur „de- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mokratischen Legitimation der EU“. Darum geht es auch Ausschuss für Tourismus hier im Deutschen Bundestag. Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Herausgekommen ist ein Gesetz, das – und das halte keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen. ich für sehr wichtig – die notwendige Balance wahrt zwischen der parlamentarischen Kontrolle und Mitwir- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege kung einerseits sowie der Eigenverantwortung und Bernhard Kaster für die Unionsfraktion. Handlungsfähigkeit der Exekutive andererseits. Diese (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Balance war uns auch ein Anliegen in den Gesetzes- beratungen. Wir schaffen damit mehr Transparenz durch stärkere Kontrolle und mehr demokratische Legitimation Bernhard Kaster (CDU/CSU): durch parlamentarische Mitwirkung. Die Regierung Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen – um das abschließend dazu zu sagen – benötigt Hand- und Kollegen! Welch wunderbare Abkürzung – EUZBBG: lungsfähigkeit und parlamentarische Rückbindung glei- Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung chermaßen. Beides gehört zusammen. und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Euro- päischen Union. Für die Bürgerinnen und Bürger können (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir das einfach übersetzen: Es geht um ein Mitsprache- Einen besonderen inhaltlichen Hinweis will ich noch gesetz, ein europäisches Mitsprachegesetz. geben: Auch die Beteiligung des Parlamentes beim Im vergangenen Jahr hat das Bundesverfassungsge- Thema Einführung des Euro in einem Mitgliedstaat ist (B) richt Leitsätze zu den Informationspflichten, zum Um- durch eine Einvernehmensregelung in einem eigenen (D) fang, Zeitpunkt und zu der Qualität der Unterrichtung Absatz noch einmal gestärkt worden. Ich denke, das ist zwischen Bundesregierung und Bundestag entwickelt. ein wichtiges Element. Wir haben damals dieses Urteil, so auch unser Fraktions- vorsitzender, ausdrücklich begrüßt. Die wesentlichen Neuerungen liegen auch darin, dass die Unterrichtungspflichten auf völkerrechtliche Ver- Eine Neufassung des bisherigen Beteiligungsgeset- träge und Regierungsvereinbarungen ausgedehnt worden zes forderte das Gericht nicht. Der Grundsatz des Bun- sind, sobald diese in einem besonderen Näheverhältnis desverfassungsgerichts lautet: Je mehr Kompetenz auf zur Europäischen Union stehen. Die Unterrichtungs- die europäische Ebene verlagert wird, desto mehr Kon- pflichten umfassen alle Ebenen. Dabei ist natürlich klar, trollrechte der Parlamente muss es geben. – Das ist der dass die Informationsqualität, die Informationstiefe in Hauptleitsatz des Verfassungsgerichtsurteils. dem Maße zunehmen, in dem man sich im Laufe eines Prozesses der politischen Entscheidungsebene nähert. Deshalb haben wir uns im vergangenen Jahr frak- tionsübergreifend darauf verständigt, ein neues Beteili- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bürgerinnen gungsgesetz in Angelegenheiten der Europäischen und Bürger unseres Landes sind überzeugte Europäer. Union auf den Weg zu bringen. Es freut mich, dass es Sie stehen hinter Europa. Sie leben auch Europa, und sie gelungen ist, heute einen gemeinsamen Vorschlag aller leben es – das sehe ich auch in meiner Heimat – mit gro- Fraktionen in das Parlament einzubringen. An dieser ßer Selbstverständlichkeit. Aber gerade in den vergange- Stelle sage ich ein ausdrückliches Danke an alle, die da- nen Jahren sind Themen zum Euro aufgekommen – das ran mitgewirkt haben, an alle Beteiligten, die diesen Ge- beschäftigt uns ja auch aktuell in dieser Woche – wie setzentwurf in der Arbeitsgruppe erarbeitet haben. Herz- Schuldenkrise oder Rettungsschirm. Thema war aber lichen Dank dafür! auch manche Richtlinie, die wir diskutieren, etwa die Trinkwasserrichtlinie oder aber auch die Richtlinie, in (Beifall im ganzen Hause) der es darum ging, wie Feuerwehrkräfte in die Arbeits- Danke sage ich auch deshalb, weil dieser Gesetzent- zeitrichtlinie zu integrieren sind. Hier wären viele The- wurf sowohl aus dem Blickwinkel des Bundestages wie men aufzuzählen. auch der Regierung zu betrachten ist. Er ist ebenso unab- Wenn es um diese Themen geht, fragen viele der Bür- hängig vom derzeitigen Rollenverständnis zu betrachten, ger uns Bundestagsabgeordnete: Blickt ihr da noch ob Regierungsfraktion oder Oppositionsfraktion – in der durch? fernen Zukunft mögen die Rollen vielleicht auch einmal wechseln. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir ja!) 29070 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Bernhard Kaster (A) Seid ihr da genügend eingebunden? Bestehen da genü- lich ist – das heißt, es gab nicht irgendwelche Vorlagen, (C) gend Mitsprache- und Kontrollmöglichkeiten? Ich die uns die Regierung oder wer auch immer geschrieben denke, mit diesem Gesetz können wir zumindest eine hat – und dass wir in der Lage sind, Sachkompromisse bessere Antwort auf diese Fragen geben, was Mitwir- zu finden. Das ist ganz besonders wichtig: Sachkompro- kung, Unterrichtung und Kontrolle angeht. misse zu finden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jetzt möchte ich etwas machen, was im Parlament sehr oft vergessen wird, nämlich mich einmal bei denen Es ist auch unsere parlamentarische Aufgabe in bedanken – an dieser Stelle muss ich in mein Manuskript Deut schland, für Europa Subsidiarität, gewollte Vielfalt gucken –, die für das Zustandekommen eine wichtige wie auch nationale Besonderheiten im Blick zu behalten. Arbeit geleistet haben, nämlich bei unseren Referentin- Wenn erst einmal die Fristen für eine Subsidiaritätsrüge nen und Referenten, die uns wirklich ausgezeichnet un- oder eine Subsidiaritätsklage zu laufen beginnen, ist es terstützt haben. meist schon zu spät. Deswegen muss das politische Han- deln des Bundestages frühzeitiger einsetzen; das bedingt (Beifall im ganzen Hause) entsprechende Informationen. Namentlich sind zu nennen: Paul Göttke von der CDU, Ich will zum Schluss nicht übertriebenes Pathos ver- Dr. Fabian Schulz von der SPD, Jakob Redl von den breiten, aber ich möchte persönlich sagen, dass wir mit Grünen, Jens Lorentz von der FDP und Janeta Mileva diesem Gesetz sehr wohl, vielleicht auch modellhaft in von der Linkspartei. Ganz herzlichen Dank an dieser Europa, einen Weg aufzeigen, wie man parlamentarische Stelle! Mitwirkung, parlamentarische Kontrolle und damit die vom Bürger ausgehende demokratische Legitimation (Beifall im ganzen Hause) europäischer Entscheidungen besser gestalten und stär- Es wird ja sehr oft vergessen, aber wer sich mit europäi- ken kann. schen Zusammenhängen beschäftigt, erlebt das jeden Vielen Dank. Tag: Unser Deutscher Bundestag ist deshalb so stark und kann sich in einzelnen Fragen so stark machen, weil er (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie das bestausgestattete Parlament in der EU ist, und zwar bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- hinsichtlich unserer Strukturen und unserer Mitarbeite- NISSES 90/DIE GRÜNEN) rinnen und Mitarbeiter. Das kommt hinzu. Auch darauf müssen wir achten und dürfen nicht nur das im Blick ha- Vizepräsidentin Petra Pau: ben, was wir selbst machen und können. (B) Der Kollege Axel Schäfer hat nun für die SPD-Frak- (Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE (D) tion das Wort. GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- (Beifall bei der SPD) frage – Zuruf von der FDP: Ach, Manuel!) – Gerne, Manuel. – Ach so, Frau Präsidentin. Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vizepräsidentin Petra Pau: Heute ist ein besonderer Tag für unser Parlament, und Bei so viel Einigkeit habe ich nicht mit einer Meldung zwar aus vier Gründen: gerechnet. Aber der Kollege Sarrazin hat für eine Be- (Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE merkung oder Frage das Wort. LINKE]) Der erste Punkt ist: Es geht um das Selbstverständnis Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): unseres Hauses. Unser Selbstverständnis lautet: Wir Herr Kollege Schäfer, sind Sie bereit, hier auch zu wollen und wir müssen und wir werden parlamentari- würdigen, dass von unserer Fraktion auch das Justizia- sche Rechte gemeinsam wahrnehmen. Zu diesem Zweck riat maßgeblich beteiligt war, vor allem in Person von sind wir auch in der Lage, über Fraktionsgrenzen, über Herrn Tabbara? die Konstellation von Regierung und Opposition hinaus- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir können zugehen. „Denken“ heißt auch immer „überschreiten“. auch noch einen nennen!) Wir haben das überschritten, indem wir es geschafft ha- ben, dass ein gemeinsamer Gesetzentwurf von FDP, CDU/CSU, Grünen, Linken und SPD vorgelegt wurde. Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Das ist nicht nur ein Wert für uns; das ist auch ein Wert Das mache ich gerne. Die anderen Namen hatte man an sich für die parlamentarische Demokratie. Darauf mir aufgeschrieben. Ihr wisst ja: die lieben Mitarbeite- sollten wir in diesem Hause gemeinsam stolz sein, liebe rinnen und Mitarbeiter. Vielleicht hat da jemand gefehlt. Kolleginnen und Kollegen. Der zweite Punkt nach dem Selbstverständnis ist die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Selbstkritik. Der vorliegende Gesetzentwurf ist nicht al- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lein aus unseren Erkenntnissen und guten Ideen entstan- den, Das ist auch ein Beispiel dafür, dass Gesetzgebung al- lein durch Parlamentarierinnen und Parlamentarier mög- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Genau!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29071

Axel Schäfer (Bochum) (A) sondern auch aus schlechten Erfahrungen, respektive ei- Dazu gehört auch – die Vorsitzende des Haushaltsaus- (C) ner Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, et- schusses, Frau Merkel von der SPD, hat dies schon zu was zu tun. Recht eingefordert –, dass wir uns dafür einsetzen müs- sen, dass das Kalendarium innerhalb der EU zwischen (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Genau!) den nationalen Parlamenten und dem EP so ausgestaltet wird, dass wir als Parlamente einmal im Jahr mindestens Das ist schon eine klare Ohrfeige für die Haltung der Re- eine Woche gemeinsam tagen können, um uns zu beraten gierung, die uns weismachen wollte, ESM und andere und zu positionieren. Auch das würde dazu führen, dass wichtige Verträge wären keine europäischen Angelegen- wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Europa gemein- heiten, weil sie in den europäischen Verträgen gemein- sam besser handlungsfähig werden. Das sollten wir uns schaftlich nicht vorkommen. Das war falsch. Dass uns in diesem Hause überlegen. erst ein Gericht darüber belehren musste, sollte – so rich- tig und wichtig es war – in Zukunft nicht mehr notwen- Es gibt auch immer Erinnerungen an bestimmte Er- dig sein. Wir sollten schon Manns und Frau genug sein, fahrungen. Das will ich ganz offen sagen: Zu Zeiten der gemeinsam darauf zu kommen, und zwar egal, in wel- Großen Koalition haben wir, CDU/CSU und SPD, es chen Regierungs- und Oppositionskonstellationen wir hinbekommen, dass sich alle Fraktionen gemeinsam auf uns befinden. die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Bun- destag in EU-Angelegenheiten verständigt haben. In die- Es gehört auch dazu, zu sagen: Jawohl, die Kollegin- ser Legislaturperiode ist der vorliegende Gesetzentwurf nen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen haben ge- übrigens der erste, bei dem das wieder möglich war. klagt. Zum einen Glückwunsch, dass sie es gemacht ha- ben, zum anderen Glückwunsch, dass dies zum Erfolg Am Ende, als alles beschlossen war, habe ich den für uns alle geführt hat. Vielen Dank! Vorsitzenden meiner Fraktion, den unvergessenen Peter Struck – ein Vollblutparlamentarier –, gefragt: Peter, was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagst du denn zu dem, was wir hier an Beteiligungsrech- sowie bei Abgeordneten der SPD) ten für den Bundestag zustande gebracht haben? Er hat mir geantwortet: Axel, ich hätte euch nicht so viel zuge- – Es dürfen auch die Kolleginnen und Kollegen von der standen. – Wie es der Zufall so will, habe ich an diesem CDU/CSU und der FDP klatschen. Ich finde, das gehört Tag auch den Kollegen Kauder getroffen. Da habe ich auch dazu. mir gedacht: „Na ja, wir sind ja in einer Koalition“, und fragte Herrn Kauder – auch ein Vollblutparlamentarier –: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Was sagen Sie denn zu dem, was wir hier für den Bun- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der destag erreicht haben? Daraufhin antwortete er mir: Ich (B) SPD und der FDP) (D) hätte Ihnen nicht so viel zugestanden. – Ich glaube, das Der dritte Punkt: Aus dieser Erfahrung muss eine ist jetzt sieben Jahre her. Es gibt insgesamt einen Be- Selbstverpflichtung für das ganze Haus entstehen. wusstseinswandel, hoffentlich auch beim Kollegen Selbstverpflichtung heißt, dass wir in Zukunft die Dinge, Kauder, der zu der Einsicht führte: Wir müssen als Parla- die wir von der Regierung erwarten und die wir auch ment in europäischen Angelegenheiten gemeinsam kontrollieren, immer zu unserer eigenen Sache machen. engagierter sein. Wir sollten nicht nur sagen: Oh, das ist Das heißt, dass wir uns auf der Grundlage der Informa- Sache des Europaausschusses. – Es ist Sache des Parla- tionen und der Berichte, die uns vorliegen, selbst zu ments insgesamt. mehr Stellungnahmen dieses Hauses verpflichten. Die Europa wird nur demokratisch und damit auch parla- entsprechenden Diskussionen müssen nicht immer nur mentarisch gelingen. Lassen Sie uns, liebe Kolleginnen an Fraktions- oder Koalitionsgrenzen entlang verlaufen. und Kollegen, diese neuen Möglichkeiten gemeinsam Wir müssen darüber hinaus überlegen, ob wir gemäß nutzen und es als Verpflichtung verstehen, andere in un- Art. 45 Grundgesetz dem Europaausschuss häufiger die seren eigenen Fraktionen – das soll in allen fünf Fraktio- Möglichkeit einräumen, die Rechte des Bundestages nen so sein – davon zu überzeugen. Auch diejenigen, die wahrzunehmen; Stichwort: plenarersetzende Beschlüsse. ab September an der Regierung sind – wir von SPD und Auch das ist ein wichtiger Punkt, der leider sehr oft ver- Grünen wollen gemeinsam regieren –, sollen sich wirk- gessen wird. lich daran halten. Es gehört aus meiner Sicht auch dazu, zu überlegen, Vielen Dank und Glück auf! ob wir auf der Grundlage des Art. 45 Grundgesetz einen neuen Querschnitts- oder Unterausschuss schaffen, um (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ das zu erreichen, was bei der Änderung des Grundgeset- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der zes vor über 20 Jahren noch nicht bedacht wurde, näm- CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) lich neue parlamentarische Möglichkeiten der Kontrolle bei Entscheidungen im Bereich der Finanzen und der Vizepräsidentin Petra Pau: Wirtschaft in der EU zu schaffen. Es reicht ja nicht, dass Der Kollege Dr. Stefan Ruppert hat für die FDP-Frak- wir uns immer über Zuständigkeiten – Unterrichtungen tion das Wort. etc. – streiten, also sozusagen über die innere Architek- tur. Vielmehr kommt es auch auf die gemeinsame Hand- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lungsfähigkeit nach außen an. der CDU/CSU) 29072 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

(A) Dr. Stefan Ruppert (FDP): Heute sind wir zum Glück einen Schritt weiter. Aber (C) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und wir stellen auch fest: Zahlreiche Möglichkeiten der Be- Herren! Auch ich finde es gut – das sollten wir Parla- teiligung der nationalen Parlamente, über die wir heute mentarier immer wieder herausstellen –, dass es uns ge- verfügen, erweisen sich bisher als relativ stumpfe lungen ist, in dieser Frage einen ganz breiten parteipoli- Schwerter – ich nenne die Subsidiaritätsrüge, aber auch tischen Konsens zu finden und die unterschiedlichen die Subsidiaritätsklage –, weil wir feststellen, dass die Interessen, aber auch die unterschiedlichen politischen parlamentarischen Abläufe und die Koordinierung mit Vorstellungen vom Gelingen eines gemeinsamen Arbei- anderen europäischen Parlamenten faktisch so zeitauf- tens von Exekutive und Legislative unter einen Hut zu wendig sind, dass die dort vorgefundenen Fristen in der bringen. Da er es nicht für sich selbst tun kann, ist es, Regel nicht ausreichen, um etwas auf die Beine zu stel- wie ich finde, an der Zeit, Herrn Kaster zu danken, der len. all das ausgesprochen gut und kollegial koordiniert hat. Umso wichtiger ist es, dass wir im Gesetzentwurf Vielen Dank. zum EUZBBG nicht so sehr auf formale Mittel setzen. Sie sind auch wichtig, aber es geht mehr darum, dass (Beifall im ganzen Hause) eine Exekutive zu jedem Zeitpunkt einer Debatte unter- Jetzt könnte man sich überlegen, was eigentlich wäre, richtet. Sie informiert also das Parlament, den Deutschen wenn diese Debatte – ich nehme ein Beispiel – am Bundestag; er nimmt diese Informationen auf und be- 1. August 2009 stattgefunden hätte. Wer sich nicht mehr wertet sie politisch. So können die Koalitionsfraktionen so genau erinnert, was da war, dem sei gesagt: Kurz zu- ihrer eigenen Regierung sagen oder auch die Opposi- vor war das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsge- tionsfraktionen signalisieren, inwieweit man bereit ist, richts verkündet worden. Liebe Kollegen von SPD und den Weg auf europäischer Ebene mitzugehen. Diese Tei- Grünen, ich will es Ihnen jetzt ersparen, Ihnen Ihre lung von Kontrolle, Legitimation und Ermächtigung ist damaligen Reaktionen auf das Lissabon-Urteil vorzuhal- im Gesetzentwurf zum EUZBBG genau richtig gewählt. ten. Wegen Äußerungen des Ihnen vermeintlich, wahr- Deswegen stimmen wir aus voller Überzeugung zu. scheinlich sogar tatsächlich nicht nahestehenden Bericht- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) erstatters haben Sie damals von „dumpfen nationalen Tönen“ oder zumindest „Untertönen“ gesprochen. Sie Lassen Sie mich zum Schluss noch einen weiteren waren darüber besorgt, ob nun wieder „am deutschen Punkt ansprechen. Wir sollten die Schrauben nicht über- Wesen die Welt genesen“ solle. Es gab breite Empörung drehen. Es gibt durchaus Bereiche exekutiven Handelns, in Ihren Reihen darüber, wie man darauf kommen die von der Exekutive allein wahrgenommen werden könne, etwas so Gutes wie die europäische Integration müssen. Es gibt einen Kernbereich exekutiven Handelns, (B) dadurch zu behindern, dass man nationalen Parlamenten den wir ernst nehmen sollten. Wer schon einmal Ver- (D) mehr Rechte einräumt. handlungen auf europäischer Ebene erlebt hat oder über diese berichtet bekam, der weiß, dass man in solchen Von dieser Vorstellung, dass es ein Malus für die Verhandlungen nicht alles bis ins kleinste Detail deter- europäische Integration sei, wenn man den Deutschen minieren, kontrollieren oder voraussagen kann. Bundestag stärke, haben Sie sich zum Glück innerhalb kürzester Zeit wieder entfernt, mit einer 180-Grad-Dre- Insofern ist festzuhalten: Der heute vorgelegte Ge- hung bei Ihren politischen Aussagen. Sie sind dann sehr setzentwurf findet auch hier ein ausgewogenes Verhält- schnell – wie ich finde, aus guten Gründen – auf die Sys- nis zwischen exekutivem Kernbereich auf der einen tematik eingestiegen, die mit dem Lissabon-Urteil ange- Seite und parlamentarischen Kontrollrechten auf der an- stoßen worden ist. deren Seite. Ich muss zugeben: Einmal wäre ich gerne Grüner ge- Der Deutsche Bundestag hat sich viele Jahrzehnte wesen. nicht um seine Beteiligungsrechte bei der europäischen Integration gekümmert, anders als die Länder, die durch- (Zuruf von der LINKEN: Das kann man noch aus schon früher einen Blick darauf hatten. Erst als uns ändern! – Heiterkeit des Abg. Alexander das Karlsruher Urteil diese Mitwirkungsrechte einge- Ulrich [DIE LINKE]) räumt hatte – das Lissabon-Urteil ist hier zentral –, ha- ben wir uns verstärkt um unsere Teilhaberechte geküm- Ich hätte das Gesetz, offen gesagt, lieber zu einem Zeit- mert. punkt auf den Weg gebracht, als uns Karlsruhe noch nicht dazu aufgefordert hat. Es ist immer besser, wir ma- (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sachlich chen Gesetze selbst, als Handlungsaufträge aus Karls- falsch!) ruhe zu bekommen. – Sie können eine schöne Gesetzeskommentierung von (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ mir dazu lesen. Ich kann Ihnen sagen, wann die ersten DIE GRÜNEN) Initiativen aus Ihrer Fraktion dazu kamen und wie die Das war damals – das sage ich ganz versöhnlich – noch ersten Debatten im Jahr 2009, kurz vor dem Lissabon- nicht gemeinsamer Verhandlungsstand. Wir sind etwas Urteil, noch verlaufen sind. später aufgebrochen, aber dafür haben wir umso bessere Ergebnisse erzielt. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: BBV 2006! Nachlesen!) Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29073

Dr. Stefan Ruppert (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nicht nur da! (C) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Es wird nicht die letzte sein! – Zuruf von der GRÜNEN) FDP: Ihr müsst einmal klatschen!) Es ist positiv zu bewerten – da schließen wir uns an –, Vizepräsidentin Petra Pau: dass es uns in den letzten Monaten gelungen ist, hier ei- Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die nen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf einzubrin- Fraktion Die Linke. gen; denn dieser bedeutet selbstverständlich eine Verbes- (Beifall bei der LINKEN – Manuel Sarrazin serung des Status quo. Was die Gemeinsame Außen- und [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt erzähl Sicherheitspolitik bzw. die Gemeinsame Sicherheits- mal, warum ihr immer zustimmt!) und Verteidigungspolitik anbelangt, hatten wir natürlich weitere Vorschläge.

Alexander Ulrich (DIE LINKE): (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! NEN]: Aber nicht so richtig viele, Herr Wir bringen den vorliegenden Gesetzentwurf nicht in Ulrich!) den luftleeren Raum ein, sondern wir diskutieren dieses Die anderen Fraktionen haben leider nicht mitgemacht, Thema immer auch im Hinblick auf die konkrete Situa- was wir schade finden. Aber das war für uns kein Grund, tion in Europa. Wir kommen ja nicht drumherum, zuzu- aus den Verhandlungen auszusteigen. geben, dass Europa tatsächlich in einer tiefen Krise steckt und dass sich immer mehr Menschen von diesem Dazu möchte ich auch noch sagen: Natürlich hat man Europa abwenden. Ob Sozialabbau, Rekordarbeitslosig- immer wieder aufs Neue gemerkt, dass insbesondere keit, fehlende Investitionen in Bildung, Gesundheit oder SPD und Grüne immer auch aus dem Blickwinkel heraus Infrastruktur: Insbesondere in Südeuropa gehen immer diskutiert haben, dass es möglich sein kann, dass sie mehr Menschen auf die Straße, weil sie den Eindruck morgen wieder die Regierung stellen, und sich vor die- haben, dass der Europäische Rat und die EU-Kommis- sem Hintergrund gefragt haben, ob man die Parlaments- sion diese Politik der Europäischen Union diktieren. Sie rechte wirklich so weit ausbauen will. Wir hätten uns ge- haben auch das Gefühl, dass ihre nationalen Parlamente wünscht, dass man noch einen Schritt weiter geht. Trotz nicht in dem Umfang mitsprechen können, wie sie das alledem wurde eine Verbesserung des Status quo er- unter demokratischen Gesichtspunkten eigentlich gerne reicht. sehen würden. Ich glaube also, wir müssen auch im Lichte der aktuellen europäischen Entwicklung den Wir dürfen aber an diesem Punkt nicht haltmachen, (B) heute vorliegenden Gesetzentwurf beraten. wenn es darum geht, europäische Politik transparenter (D) zu machen, sie auch bürgernäher zu machen. Ich denke, (Beifall bei der LINKEN) über das Gesetz hinaus müssen wir uns in einem nächs- Viele haben den Eindruck, dass nicht mehr die Parla- ten Schritt auch Gedanken darüber machen, bei wesent- mente, sondern die Finanzmärkte, die Banken und die lichen Entscheidungen der Europäischen Union Volks- Großkonzerne über die Zukunft der Europäischen Union abstimmungen einzuführen. entscheiden. Integration hält damit leider nicht Schritt. (Beifall des Abg. Andrej Hunko [DIE Wir als Linke haben von Anfang an gesagt: Europa wird LINKE]) nur gelingen, wenn die Europäische Union sozialer und demokratischer wird. Leider haben wir in den letzten Damit sind wir nicht alleine. Im Süden gibt es einen Mi- Jahren in dieser Hinsicht schwere Rückschläge erleben nisterpräsidenten, der das auch immer gern diskutiert. müssen. In dieser Woche beispielsweise hat keine ein- Wir warten einmal ab, wann zumindest die CSU im Par- zige Brüsseler Entscheidung die Zustimmung Zyperns lament entsprechend agiert. erhalten. Das zeigt: Mit dieser Art europäischer Politik haben wir Probleme, zu den Menschen durchzudringen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das sind Ihre Partner? Interessant!) Dass wir heute darüber diskutieren – meine Vorredner haben es schon angesprochen –, ist auch keine Stern- Denn die Europäische Union wird, wie gesagt, nur funk- stunde des Parlaments. Es war schon so – das gehört zur tionieren, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sie Wahrheit dazu –, dass der Großteil des Parlaments diese mitentscheiden können, dass es demokratisch abläuft Rechte eigentlich gar nicht mehr wollte, sondern von bzw. dass zumindest die Parlamentarier, die sie gewählt Karlsruhe aufgefordert werden musste, sie sich als Parla- haben, in letzter Konsequenz entscheiden. Heute haben ment zurückzuholen. wir einen kleinen Schritt getan; aber es ist noch viel mehr möglich. (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Nein, Nein!) Auch ich sage der Mitarbeiterebene und insbesondere Viele hier im Haus waren eher der Auffassung, man auch Ihnen, Herr Kaster, Dank. Sie haben das sehr gut solle die europapolitischen Entscheidungen, die die je- organisiert. Das liegt wahrscheinlich weniger daran, dass weilige Bundesregierung hier einbringt, abnicken. Ich Sie von der CDU/CSU-Fraktion sind, denke, man kann im Zusammenhang damit, dass Karls- ruhe uns hier auf einen anderen Weg gebracht hat, wirk- (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Selbstver- lich auch von einer Ohrfeige reden. ständlich!) 29074 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Alexander Ulrich (A) sondern eher daran, dass Sie wie ich Rheinland-Pfälzer (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (C) sind. Rheinland-Pfälzer haben manchmal richtig gute GRÜNEN]: Zum Beispiel Sondersitzungen!) Ideen. Dazu gehört die Möglichkeit, dass wir uns dadurch, dass Vielen Dank. wir viel früher, viel besser und auch über ganz andere Sitzungsformate und Inhalte als bisher unterrichtet wer- (Beifall bei der LINKEN) den, auch früher, proaktiver und eigentlich auch kon- struktiver als bisher in europäischen Verhandlungen zu Vizepräsidentin Petra Pau: Wort melden und so der Bundesregierung unsere Vor- Der Kollege Manuel Sarrazin hat für die Fraktion stellungen als Parlament zu einem Zeitpunkt mitgeben, Bündnis 90/Die Grünen das Wort. zu dem diese noch die Möglichkeit hat, sie in ihre Ver- handlungsführung auf europäischer Ebene einzubringen. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dazu gehört auch, dass beispielsweise die Sitzung, Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und die letzten Freitag zu der sehr misslichen Situation ge- Herren! Eine bekannte Fernsehwerbung kann man auf- führt hat, die wir zurzeit haben, erst durch die Gesetzes- grund der Debattenbeiträge abgewandelt so zitieren: änderung beim Fiskalvertrag und vollumfänglich erst „Wer hat denn eigentlich die Parlamentsrechte vor Ge- durch die Gesetzesänderung, die wir heute in Umsetzung richt eingeklagt? – Die Grünen waren es.“ der grünen Verfassungsgerichtsklage beschließen, in den gleichen Informationsraum wie die normalen europäi- Auch wenn wir im Parlament eine lange gemeinsame schen Verfahren gerät. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass Geschichte seit der BBV haben – man kann eigentlich wir jetzt diese Beschlüsse fassen. sagen, dass die Urkompetenz für neue Rechte des Bun- destages, die durch diese Gerichtsentscheidung und die- Mit diesen Rechten geht natürlich auch eine Verant- ses neue Gesetz in einer ganz neuen Qualität ausgelegt wortung für die Abgeordneten einher, ihre Europapolitik werden, die Einführung von Art. 23 im Rahmen der darauf auszurichten. Dazu gehört auch, dass wir, wenn Maastricht-Ratifikation ist –, muss man doch sagen, dass wir sensible Informationen erhalten, die vielleicht in an- es an der Stelle sehr wichtig war, dass wir Grüne – in deren Staaten ganz besondere Befindlichkeiten auslösen Stellvertretung des Parlaments, aber als einzige Frak- können, nicht gleich zum Beispiel per E-Mail an die tion – nach Karlsruhe gegangen sind und diese Rechte Presse weiterleiten, wie wir es im Fall Irland beispiels- eingefordert haben; die FA Z sprach in diesem Zusam- weise noch auf einer anderen Rechtsgrundlage erlebt ha- menhang ja so treffend von der „Anatomie einer Hinter- ben. gehung“. (B) (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Bernhard Kaster [CDU/CSU]) Zuruf von der FDP: Ursprünglich war es Herr Gauweiler! Den habt ihr noch diffamiert!) Dazu gehört auch, dass wir in den europapolitischen Debatten, die wir führen, unsere Aufgabe als Abgeord- Die gemeinsamen Positionen des Parlaments haben nete, gerade wenn wir Zugriff auf Dokumente und In- wir auch im Gesetzgebungsprozess gegen die Regierung halte haben oder sogar auf die Verhandlungsführung mit durchsetzen müssen. Insoweit möchte ich mich dem anderen Staaten, beispielsweise in der Euro-Krise, Ein- Dank in alle Richtungen anschließen. Wir haben kon- fluss nehmen können, in einem Ton und mit einer Empa- struktiv gearbeitet. Sie wissen auch, dass wir noch wei- thie gegenüber dem Verhandlungspartner wahrnehmen, tergehende Vorstellungen hatten, zum Beispiel die Idee, dass niemand das Gefühl hat, beim Deutschen Bundes- ein Comprehensive Law, ein Europagesetzbuch zu schaf- tag zum Bittsteller zu werden. fen, in dem alle Beteiligungsrechte zusammengeführt sind. Dennoch war das ein gutes Geschäft für alle Seiten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch wenn man sich vor Augen hält, dass die Bundesre- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der gierung in den Verhandlungen in Karlsruhe noch argu- SPD und der FDP) mentiert hat, dass die Bereiche wie der ESM, die EFSF oder andere völkerrechtliche Verträge, die in einem Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Das ist Nähe-Verhältnis zur Europäischen Union stehen, einfach ein guter Tag für die Parlamentsrechte und ein guter Tag nur Völkerrecht seien und dem Bundestag nur per Letzt- für die Grünen und alle anderen hier im Haus. Ich denke, entscheidungsrecht zugänglich wären. Dass wir diese dass wir das in den nächsten Jahren gemeinsam noch Baustelle schließen konnten, ist sehr wichtig für die Par- sehr gut nutzen werden. lamentsrechte, gerade auch in Zeiten einer Krise, wie wir Danke. sie momentan haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dass wir in dieser Krise die Legitimation stärken, um sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der auch die Legitimität der Europäischen Union und der eu- SPD und der FDP) ropäischen Einigung gerade in so schwierigen Zeiten zu erhalten, ist sehr wichtig. Vor dem Hintergrund ist es na- türlich auch richtig, dass wir als Parlament uns bewusst Vizepräsidentin Petra Pau: sind, dass mit dieser ganz neuen Qualität an parlamenta- Das Wort hat der Kollege Michael Stübgen für die rischen Rechten auch Pflichten für uns einhergehen. Unionsfraktion. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29075

Vizepräsidentin Petra Pau (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – chen, das wir nicht umsonst Sonntagsgesetz nennen, (C) Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Herr Stübgen, nämlich das sogenannte Integrationsverantwortungsge- jetzt reißen Sie es wieder raus!) setz. Das heißt – ganz grob zusammengefasst –, Kompe- tenzübertragungen, die in kleinen Vertragsänderungen Michael Stübgen (CDU/CSU): geregelt werden können, müssen in diesem Haus wie Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Vertragsänderungen ratifiziert werden. Das hat das Ver- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen fassungsgericht 2009 zu Recht von uns verlangt. heute mit der Beratung und in der nächsten Sitzungswo- Das Verfassungsgericht hat überhaupt nicht im Blick che aller Voraussicht nach mit der Beschlussfassung gehabt, dass Kompetenzverschiebungen in der Europäi- über den Entwurf eines EUZBBG – man müsste eigent- schen Union tagtäglich in Form normaler Rechtsset- lich „II“ hinzufügen, denn das Gesetz stellt nicht nur zungsvorgänge – Richtlinien, Verordnungen etc. – statt- eine Änderung oder Ergänzung dar, sondern wir schrei- finden. Das mussten wir schon selber machen. Wir ben damit ein neues Gesetz – zu dem Endpunkt eines hatten als Vorlage die BBV. Damals haben wir kurzfristig Prozesses, der im November 2005 begonnen hat. Ich entschieden: Wir wollen das im Rahmen des EUZBBG re- glaube, am Schluss dieser Debatte sollte man darauf geln. noch einmal hinweisen. Ich glaube, einige können sich noch daran erinnern: (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Vor allen Din- Das war im Sommer 2009. Eigentlich standen wir alle gen für die Kollegen, die damals nicht im Par- im Wahlkampf und haben gegeneinander gekämpft, weil lament waren!) jeder die Wahl gewinnen wollte, wie das halt so ist. Denn es waren die damaligen Koalitionsfraktionen Gleichzeitig haben wir die Ratifizierung durchgeführt. CDU/CSU und SPD, die sich in den Koalitionsverhand- Aufgrund des Zeitdrucks haben wir uns entschieden, die lungen im November 2005 darauf geeinigt haben, eine Zusammenarbeitsvereinbarung quasi mit leichten Verän- Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen Bundestag derungen als Gesetz zu nehmen. Wir ahnten damals und Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäi- schon, dass es systematisch nicht ganz richtig bzw. kom- schen Union zu erarbeiten und vertraglich zu beschlie- pliziert ist, einen Vertrag quasi wortwörtlich als Gesetz ßen. zu übernehmen. Deswegen haben wir uns damals ein Monitoring auferlegt. Wir haben festgelegt, dass wir in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Mitte der Legislaturperiode die Wirkungsweise die- der SPD) ses Gesetzes genau analysieren und möglicherweise Ver- Dazu, gleich ein Gesetz zu machen, was ich damals änderungen bzw. Konkretisierungen herbeiführen wol- (B) schon für den besseren Weg gehalten hätte, hat uns zu len. Dieser Prozess hat stattgefunden. Aber es ist etwas (D) der Zeit in der Tat noch der Mut gefehlt. passiert, was 2009 keiner von uns auf dem Schirm hatte: Die europäische Politik war in der Folgezeit geprägt (Beifall bei Abgeordneten der FDP) durch die Euro-Krise, durch die Finanzkrise und die da- Allerdings haben wir diese Zusammenarbeitsvereinba- durch notwendig gewordenen verschiedenen Rettungs- rung hinbekommen – ich weiß noch, Axel Schäfer, dass schirme. Deswegen wird dieses Gesetz erst heute verän- wir sehr lange diskutieren mussten –, und das war ein dert bzw. neu geschaffen. Meilenstein erstens für Informationsrechte des Bundes- Ich will kurz noch zwei Punkte anbringen, die wir, tages in europäischen Angelegenheiten und zweitens für wie ich denke, ganz gut geregelt haben – die Zukunft Mitwirkungsrechte des Bundestages in europäischen wird zeigen, ob wir daran vielleicht noch einmal etwas Angelegenheiten. ändern müssen –: Wir haben das Gesetz in dieser Legislaturperiode um- Zum einen müssen wir bei der Regelung der Informa- gesetzt, und dann kam das berühmte Lissabon-Urteil des tionsrechte des Bundestages die Balance finden zwi- Bundesverfassungsgerichtes. In diesem Zusammenhang schen der Masse an Informationen, die es gibt, und der möchte ich am Schluss dieser Debatte allerdings ein Qualität der Informationen, die wir brauchen, um uns klein wenig Wasser in den Wein der vielen Lobeshym- über die europäischen Rechtssetzungen eine Meinung nen gießen, die auch heute schon auf das Karlsruher Ge- bilden zu können. Die Europäische Kommission mit ih- richt als dem einzigen Hüter der Parlamentsrechte des ren ganzen Agenturen und Beratergruppen – kein Bundestages gesungen worden sind. Zum Teil werden Mensch weiß, wie viele das sind – produzieren täglich sie auch vom Präsidenten Voßkuhle selber auf sein Ge- tonnenweise beschriebenes Papier. richt gesungen. (Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: Ihr Es ist nämlich nicht ganz richtig, dass nur Karlsruhe kriegt das jetzt alles!) die Wahrung der Rechte des Deutschen Bundestages er- zwungen hat. Wir haben eine ganze Menge an Rechten 1 Promille davon ist für uns wichtig. Spannend ist die selber geschaffen. Frage, wie wir dieses 1 Promille finden. Ich glaube, wir haben mit unserem Gesetzentwurf die richtige Antwort (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr! gefunden: Inoffizielle Dokumente sollen nicht automa- Genau!) tisch an den Bundestag überwiesen werden – das wäre Denn in dem Lissabon-Urteil hat das Verfassungsgericht ein Lastwagen voll am Tag –, sondern nur auf Nach- uns zu Recht, sage ich, gezwungen, ein Gesetz zu ma- frage; das ist allerdings notwendig. 29076 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Michael Stübgen (A) Ich möchte kurz noch einen zweiten Punkt ansprechen, b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (C) den ich genauso sehe wie das Bundesverfassungsgericht. richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu Das Verfassungsgericht hat in allen seinen Urteilen zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang europäischen Angelegenheiten in den vergangenen vier Wieland, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, wei- Jahren das sogenannte Transparenzgebot als ganz we- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- sentlichen Punkt genannt. Transparenzgebot bedeutet, NIS 90/DIE GRÜNEN dass wir als gewählte Abgeordnete verpflichtet sind, we- sentliche Entscheidungen öffentlich vorzutragen und öf- Mehr öffentliche Sicherheit durch weniger fentlich zu begründen, damit das Volk die Möglichkeit private Waffen hat, die Entscheidungen nachzuvollziehen und die Frage – Drucksachen 17/2130, 17/12872 – der Verantwortung zu beurteilen. Ich glaube, das Trans-

parenzgebot wird mit diesem Gesetz noch einmal ge- Berichterstattung:

stärkt. Auch in Zukunft werden wir öffentlich in diesem Abgeordnete Günter Lach

Haus diskutieren, bevor ein weiteres Land in den Euro- Gabriele Fograscher

Raum aufgenommen wird. Man höre und staune, es gibt Serkan Tören

Anwärter: Lettland und Litauen. Frank Tempel Wolfgang Wieland Vizepräsidentin Petra Pau: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Kollege Stübgen, ich bin ein geduldiger Mensch, ins- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre besondere da Sie angekündigt haben, zum Schluss zu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. kommen. Aber jetzt müssen Sie einen Punkt setzen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Günter Lach für die Unionsfraktion. Michael Stübgen (CDU/CSU): Ich bin gleich fertig. – Wir werden das noch in diesem Günter Lach (CDU/CSU): Jahr umsetzen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Waf- fengesetzgebung hat zwei wichtige Aufgaben zu erfül- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der len. Auf der einen Seite steht das berechtigte Sicher- FDP) heitsbedürfnis der Öffentlichkeit, auf der anderen Seite stehen die Interessen der legalen Waffenbesitzer wie (B) Vizepräsidentin Petra Pau: Sportschützen, Jäger und Sammler. Ziel einer Waffenge- (D) Ich schließe die Aussprache. setzgebung sollte es nach meiner Ansicht sein, hier eine sinnvolle Balance zu schaffen. Die Aufgaben auf diesem Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- Gebiet gilt es immer wieder neu zu überprüfen und, wurfs auf Drucksache 17/12816 an die in der Tagesord- wenn nötig, durch gesetzliche Maßnahmen weiter anzu- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie passen. damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist nötig!) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a und 35 b auf: Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. neten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Obwohl ich diesen Gesetzentwurf und den Antrag mit Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der meiner Fraktion ablehne, freue ich mich, dass ich als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- Erster sprechen darf. brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än- derung des Waffengesetzes – Schutz vor (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gefahren für Leib und Leben durch kriegs- NEN]: Und dann haben Sie auch noch die waffenähnliche halbautomatische Schusswaf- dreifache Redezeit von mir!) fen – Lieber Kollege Wieland, ich darf Ihnen zumindest erst – Drucksache 17/7732 – einmal meine Anerkennung und meinen Respekt für Ihre Rede heute Morgen zum Tagesordnungspunkt „Aufar- Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- beitung der SED-Diktatur“ aussprechen. Das hat meine schusses (4. Ausschuss) große Anerkennung gefunden. Das gilt leider nicht für den Tagesordnungspunkt, den wir jetzt behandeln. – Drucksache 17/12872 – (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Man kann Berichterstattung: nicht alles haben!) Abgeordnete Günter Lach Gabriele Fograscher Dieser Tagesordnungspunkt beinhaltet zwei Punkte: Serkan Tören den Entwurf eines „Gesetzes zur Änderung des Waffen- Frank Tempel gesetzes – Schutz vor Gefahren für Leib und Leben Wolfgang Wieland durch kriegswaffenähnliche halbautomatische Schuss- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29077

Günter Lach (A) waffen“ sowie den Antrag „Mehr öffentliche Sicherheit In Ihrem Antrag „Mehr öffentliche Sicherheit durch (C) durch weniger private Waffen“. weniger private Waffen“ sagen Sie von den Grünen ja ei- gentlich, dass Sie wollen, dass es in privaten Haushalten (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE überhaupt keine Waffen mehr gibt. GRÜNEN]: Und was ist daran schlecht? – Ge- genruf des Abg. Serkan Tören [FDP]: Alles!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sind doch keine Extremisten, die Grü- Ein Hauptgrund für diesen Gesetzentwurf sind mit Si- nen! Mehr durch weniger!) cherheit die Geschehnisse 2009 in Deutschland und 2011 in Norwegen. Sie fordern aber noch mehr, nämlich die zentrale Aufbe- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wahrung von Schusswaffen. NEN]: Ja!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es stellt sich nur die Frage, ob die im Gesetzentwurf ge- NEN]: Oder Munition! – Gegenruf des Abg. forderten Maßnahmen der richtige Ansatz sind, um mehr Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Also keine Sicherheit zu erreichen. Im Mai 2012 fand hier eine öf- Schlagbolzen, ja?) fentliche Anhörung von Sachverständigen statt. Das ist – Oder von Munition. – Alle Experten und Sachverstän- schon einige Zeit her; aber ich kann mich sehr gut daran digen sind der Meinung, erinnern, dass es die einhellige Meinung der anwesenden Experten war, dass mit einer Änderung des Waffenrechts (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- im Sinne des Gesetzentwurfs keine Sicherheitsgewinne NEN]: Nein, nicht alle! – Sylvia Kotting-Uhl erzielt werden können. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht!) Ich möchte einige Anmerkungen zu den Inhalten des Gesetzentwurfs bzw. zu dem Antrag machen. Zunächst dass man durch eine zentrale Aufbewahrung von einmal komme ich zu der Problematik des Begriffes Schusswaffen genau das Gegenteil dessen erreicht, was „kriegswaffenähnliches Aussehen“. Die Verbotsregelung man erreichen möchte. Wir wissen, dass sich Schieß- für diese Waffen haben wir mit Ihrer Mitwirkung 2002 stände gerade in den Randgebieten unserer Städte und schon einmal abgeschafft. Es stellt sich nämlich die Gemeinden befinden Frage: Was ist eine kriegsähnliche Waffe? (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, eben! Die sind doch schon da!) NEN]: Die stellt sich eigentlich nicht!) (B) und dass das Einbruchspotenzial dort gerade aufgrund (D) Gerade in der Rechtsprechung haben wir damals keine der Abgeschiedenheit dieser Orte größer ist als im priva- Sicherheit gehabt, da die Frage von den einzelnen Be- ten Bereich. hörden unterschiedlich gesehen wurde. Insofern hatten wir eine rechtliche Unsicherheit bezüglich des Begriffes Im Rahmen der letzten Änderung des Waffengesetzes „kriegsähnliche Waffen“. haben wir schon einige besondere Regelungen getroffen. So müssen die Waffenbehörden das Fortbestehen des Das Gleiche gilt auch für den Bereich der Anscheins- waffenrechtlichen Bedürfnisses von Waffenbesitzern waffen. Nach § 42 a des Waffengesetzes wird das Füh- fortlaufend überprüfen. Es muss bei der Genehmigung ren von Anscheinswaffen in der Öffentlichkeit verboten. jeder Waffe überprüft werden; früher war das nur alle Dazu gehören sämtliche Schusswaffen, die nach ihrer drei Jahre notwendig. Das waffenrechtliche Bedürfnis äußeren Form bzw. nach ihrem Gesamterscheinungsbild von Sportschützen wird bereits von Vereinen und Ver- den Anschein von scharfen Schusswaffen hervorrufen. bänden bestätigt. Man kann sich also nicht einfach eine Nach der aktuellen Regelung fallen auch Nachbauten Waffe kaufen, sondern der Verein bzw. Verband muss von Spielzeugwaffen und deren Potenzial darunter. Auch dies bestätigen. wenn von Nachbauten bzw. Spielzeugwaffen keine Ge- fahr für das Leben ausgeht, so verringert die bestehende Im Hinblick auf das Schießen mit Großkaliberwaffen Regelung mögliche Bedrohungssituationen. Damit wer- haben wir die Altersgrenze von 14 auf 18 Jahre erhöht. den Anscheinswaffen aus dem öffentlichen Raum fern- gehalten. Diese Maßnahme unterstützt auch die Arbeit (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE und Sicherheit unserer Polizei, da sie hilft, unnötige GRÜNEN]: Dann liegen sie zu Hause rum, die Polizeieinsätze zu vermeiden. Waffen – und? – Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das soll ja auch nicht Gestatten Sie mir noch ein Wort zu den halbautoma- sein, Herr Ströbele! – Gegenruf des Abg. tischen Waffen. Gerade für die Jagd sind halbautoma- Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tische Waffen zwingend erforderlich, besonders für die NEN]: Ja, aber es ist die Realität! – Gegenruf Bewegungsjagd. Hier ist das Magazin auf drei Schuss des Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wir begrenzt. Im sportlichen Bereich gibt es Disziplinen, bei sorgen ja auch dafür, dass das nicht mehr ge- denen es eine Begrenzung des Magazins auf zehn Schuss schieht!) gibt. Würden wir halbautomatische Waffen total verbie- ten, würden wir in vielen sportlichen Disziplinen nicht – Wenn das Gespräch beendet ist, würde ich meine Rede mehr teilnehmen können. gerne fortsetzen. 29078 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Zurzeit hat überwiegend der Kollege Lach das Wort. Das Wort hat die Kollegin Gabriele Fograscher für die SPD-Fraktion. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, aber man muss sich doch wohl weh- (Beifall bei der SPD) ren dürfen, wenn der da drüben so undiszipli- niert ist! Rüpelhaft!) Gabriele Fograscher (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Günter Lach (CDU/CSU): gen! Die Vorschläge, die Sie vom Bündnis 90/Die Grü- Wer eine neue Waffenbesitzkarte beantragt, muss nen in Ihren Vorlagen machen, sind weder neu, noch schon bei der Antragstellung nachweisen, dass er die schaffen sie mehr Sicherheit. Deshalb sind sie für die Waffe sicher aufbewahren wird. Sie wissen, dass die SPD nicht zustimmungsfähig. Aufbewahrung in den dafür vorgeschriebenen Waffen- schränken erfolgen muss. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE NEN]: Es ist ja auch kaum noch jemand von GRÜNEN]: Ja, aber es funktioniert ja nicht! – euch da! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/ Wir sollten uns mal fragen, ob wir überhaupt CSU): Doch! – Gegenruf des Abg. Hans- noch beschlussfähig sind!) Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann liegen die Waffen unter dem Zu den einzelnen Forderungen. Die Streichung des Bett! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Wieland Verbots von kriegswaffenähnlichen halbautomatischen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder der Schusswaffen war kein Versehen der damaligen rot-grü- Schrank ist offen! – Gegenruf des Abg. Jörn nen Bundesregierung. Wir haben das bewusst gemacht; Wunderlich [DIE LINKE]: Oder sie sind im- denn es gab große Abgrenzungsprobleme, was nun eine mer am Mann bzw. an der Frau!) kriegswaffenähnliche Schusswaffe ist und was nicht. Dazu erklärte der Sachverständige Rainer Hofius, Ober- Kontrollen durch die Ordnungsämter finden in regelmä- staatsanwalt in Mainz – kein Lobbyist –, in seiner Stel- ßigen Abständen statt; sie werden unangemeldet und un- lungnahme zu der Anhörung zu den Vorlagen von Bünd- abhängig von der Tageszeit durchgeführt. nis 90/Die Grünen am 21. Mai 2012: (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Das Ziel des Gesetzentwurfes ist faktisch die Wie- GRÜNEN]: Wie häufig? – Frank Tempel [DIE dereinführung von Teilen des im Zuge des Waffen- (D) (B) LINKE]: Das ist Theorie!) rechtsneuregelungsgesetzes 2002 abgeschafften § 37 WaffG … Die damalige rot-grüne Bundesre- Gestatten Sie mir zum Schluss das Fazit: Die Anhö- gierung hat seinerzeit zweifellos bewusst eine nicht rung der Sachverständigen am 21. Mai 2012 hat deutlich praktikable und für die öffentliche Sicherheit be- gezeigt, dass mit einer Umsetzung der vorliegenden For- deutungslose Norm abgeschafft. derungen des Bündnisses 90/Die Grünen kein Sicher- heitsgewinn für die Gesellschaft erzielt bzw. die Sicher- Der objektive Eindruck von einer Waffe ist für de- heit in Deutschland dadurch nicht erhöht würde. Von den ren tatsächliche Gefährlichkeit ohne jeden Belang. Sachverständigen wurde besonders hervorgehoben, dass der legale Waffenbesitz nicht das Problem in Deutsch- Dieser Aussage schließe ich mich an. land ist. Den Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen, Waffen (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- außerhalb von Privatwohnungen zu lagern, haben wir NEN]: Aber auch ein Problem!) hier schon mehrfach diskutiert. Ich halte diesen Vor- schlag nicht für zielführend. Ich zitiere nochmals den Denn im Bereich des legalen Waffenbesitzes beträgt die Sachverständigen Hofius: Missbrauchsquote – auch wenn sie immer noch hoch ge- nug ist – nur 4 Prozent. Die Ansammlung einer großen Zahl von Schuss- waffen an einem Ort ist trotz aller denkbaren Mög- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE lichkeiten der Sicherung ein großer Anreiz für GRÜNEN]: Sagen Sie das den Toten!) Straftäter, hier eine lukrative Tat zu begehen. Es ist der illegale Waffenbesitz, der ein Problem für Der schreckliche Vorfall 2009 in Eislingen hat das trauri- die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger darstellt. gerweise belegt. Auf dieses Problem müssen wir unser Augenmerk mehr als bisher lenken. Mit den Regelungen des deutschen Neben den Änderungen des Waffengesetzes von 2009 Waffenrechts tun wir bereits jetzt alles dafür, um den un- sind weitere Änderungen unterhalb der gesetzlichen Re- berechtigten Zugang zu Waffen möglichst zu verhindern. gelungen wichtig für die öffentliche Sicherheit. Nach Wir werden Ihren Antrag ablehnen. jahrelangen Diskussionen zwischen den Bundesländern und dem Bund ist 2011 die Allgemeine Verwaltungsvor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – schrift zum Waffengesetz erlassen worden. Damit gibt es Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einheitliche Vorschriften für den Vollzug, der bei den NEN]: Das ist nicht gut!) Bundesländern liegt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29079

Gabriele Fograscher (A) Wir haben das Nationale Waffenregister früher auf mehr 15 Zentimeter, sondern nur noch 8 Zentimeter dick (C) den Weg gebracht, als die EU es gefordert hat. sein dürfen. Die Begründung für diese Änderung war, dass die Geschosse von dickem Holz zurückprallen und (Beifall des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/ Menschen verletzen könnten. Passiert ist so etwas auf CSU]) den Schützenfesten der Republik bisher noch nie. Damit kann der gesamte Lebenszyklus einer Waffe Diese Änderung fiel erst auf, als die ersten Adler für nachvollzogen werden, und für Polizeibeamte wird mehr die anstehenden Schützenfeste in Auftrag gegeben wur- Sicherheit geschaffen; denn sie können vorher informiert den. Berechtigterweise gab es in den Schützenvereinen werden, ob sie am Tatort mit Waffen zu rechnen haben. viel Empörung; denn ein dünnerer Adler würde nur we- Wenn alle Daten an das Nationale Waffenregister über- nige Schuss vertragen, ein dicker Adler aber mindestens mittelt sind, wissen wir auch endlich, wie viele legale 500 bis 600 Schuss. Waffen es überhaupt in Deutschland gibt. Die Amnestie- regelung – 2009 miteingeführt – hat dafür gesorgt, dass Nachdem dieses Thema sogar die Kanzlerin erreicht mehrere Hunderttausend Waffen abgegeben und damit hatte und diese um Wählerstimmen bei den Schützinnen aus dem Verkehr gezogen wurden. Wir sollten über eine und Schützen bangen musste, ruderte der Bundesinnen- erneute Amnestieregelung nachdenken und diese dann minister zurück: Am 13. März 2013 veröffentlichte das entsprechend publik machen. BMI eine Pressemitteilung mit dem Titel „Tradition und (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sicherheit in Einklang bringen“ und erklärte darin, dass NEN]: Aha! Und warum kommt die nicht? die Änderung mit sofortiger Wirkung zurückgenommen Nicht einmal dieser Vorschlag wurde aufge- ist. Das ist wirklich ein Stück aus dem Tollhaus. griffen!) (Beifall bei der SPD – Reinhard Grindel [CDU/ Durch die Einführung verdachtsunabhängiger Kon- CSU]: Nein, aus dem Vogelhaus!) trollen wird die Aufbewahrung der Schusswaffen und Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem missbräuchli- der Munition durch die Waffenbehörden überprüft. Das chen Umgang mit Waffen, der Missachtung von Vor- wird von den Betroffenen immer wieder kritisiert. Wir schriften und der kriminellen Energie wird kein Waffen- hatten in die Begründung des Entwurfes zur Änderung gesetz der Welt Herr werden können, des Waffengesetzes 2009 geschrieben: (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die verdachtsunabhängigen Kontrollen liegen im NEN]: Ach ja!) öffentlichen Interesse und deswegen werden keine Gebühren erhoben. und der viel zu hohen Zahl illegaler Waffen in Deutsch- (B) land kann man nicht mit Verschärfungen des Waffen- (D) (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Genau!) rechts begegnen. Dies wird in der anstehenden Kostenverordnung (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) klargestellt. Gesetzliche Regelungen können nie hundertprozentige Leider sieht die Praxis anders aus: In der Kostenver- Sicherheit erreichen. Die Maßnahmen, die Bündnis 90/ ordnung ist nichts klargestellt, und die Landkreise erhe- Die Grünen hier vorschlagen, leisten keinen Beitrag zu ben Gebühren in unterschiedlicher Höhe. mehr öffentlicher Sicherheit. Wir werden die Vorlagen (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist nicht ablehnen. in Ordnung! – Iris Gleicke [SPD]: Das ist nicht Danke schön. in Ordnung!) Auch werden die Kontrollen – auch wegen Personal- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE mangels der zuständigen Behörden – unterschiedlich ge- GRÜNEN]: Republikanerin! – Gegenruf des handhabt. Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Was? – Gegenruf des Abg. Wolfgang Wieland (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist auch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: US-Republi- nicht in Ordnung!) kanerin, nicht deutsche Republikanerin!) Hier sind die Länder in der Pflicht, die Kontrollen, wie vom Bundesgesetzgeber vorgegeben, durchzuführen. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Serkan Tören für die FDP- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fraktion. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Wenn wir schon über das Waffenrecht reden, dann muss ich auch über die Vorgänge der letzten Tage spre- chen. Da hat das Bundesinnenministerium im wahrsten Serkan Tören (FDP): Sinne des Wortes den Vogel abgeschossen. Im Herbst Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen letzten Jahres erließ das BMI eine neue Schießstand- und Kollegen! Frau Fograscher, ganz kurz zu dem richtlinie, die beinhaltet, dass hölzerne Vögel, auf die die Vogel: Das, was da passiert ist, war sicherlich nicht rich- Schützinnen und Schützen in einer jahrhundertelangen tig. Darauf hat die FDP-Bundestagsfraktion in einem Tradition – beim Königsadlerschießen – zielen, nicht Brief auch sofort hingewiesen. 29080 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Serkan Tören (A) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dann ist gerade bei zentraler Lagerung die Gefahr des (C) NEN]: Oh! Da hat die Kanzlerin dann gezit- Abhandenkommens und des Diebstahls von Waffen ge- tert!) geben. Auch Kollegen der CDU/CSU haben sich aus dem Parla- Sie haben aus der Anhörung nichts gelernt. Für mich ment heraus sofort an das Innenministerium gewandt. stellt sich hier die Frage: Warum nicht? Es geht hier ein- fach nur um eine Ideologie von Ihnen. Sie wollen näm- Ich weise aber auch darauf hin, dass die Sportschüt- lich generell keine Waffen im privaten Besitz. zen an dieser Richtlinie mitgearbeitet und uns hier nicht informiert haben – das muss man auch einmal sagen –, (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE sondern das ist so durchgegangen. Ich hätte mir hier eine GRÜNEN]: Das sagen Sie jetzt zum wieder- rechtzeitige Information gewünscht. Wir haben das wie- holten Male!) der rückgängig gemacht. Von Ihnen habe ich dabei aber Sie wollen einfach nicht, dass Sportschützen, Jäger und leider nur wenig gehört und gesehen. Das muss man Sammler an ihre Geräte herankommen. auch einmal sagen, wenn Sie uns hier schon so kritisie- ren. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie mal ins Gesetz ge- Ich komme jetzt kurz zum Antrag der Grünen und guckt?) möchte hier zwei Dinge hervorheben – das haben auch die Vorredner schon gemacht –: Das wollen Sie verbieten. Das, was Sie hier machen wol- len, ist völlig ideologisch und nichts anderes. Erstens: Verbot von halbautomatischen Waffen, die wie Kriegswaffen ausschauen. Natürlich gibt es ein Ab- Ich bin in einer kleinen Gemeinde mit 900 Einwoh- grenzungskriterium, und es ist fraglich, wie man das in nern aufgewachsen. Gerade die soziale und integrative der Umsetzung handhaben soll. Im Übrigen haben das Arbeit, die die Sportschützen dort geleistet haben, war Ihre Vorgänger von Rot-Grün besser gemacht. Sie haben vorbildlich. Ich nenne das Stichwort ehrenamtliches das Verbot nämlich aufgehoben. Jetzt stellt sich für mich Engagement und alles, was dazu zählt. Wenn man Ju- die Frage, warum Sie das wieder umkehren wollen. Das gendliche an die Waffe heranführt, dann ist das auch mit erschließt sich mir nicht ganz. Disziplin verbunden, und es geht hier auch um Traditio- nen. All das wollen Sie vernichten. Das sagen Sie hier (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aber nicht offen, sondern Sie ergehen sich in irgendwel- NEN]: Weil niemand diese Waffen braucht!) chen technischen Dingen, was überhaupt nichts mit Ich begründe das damit, dass Sie jetzt irgendwelche Sachlichkeit zu tun hat. (B) Ansätze suchen, um gegen jegliche Art von Waffen vor- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La- (D) zugehen. Das sagen Sie nur nicht offen. Einmal greifen chen des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- Sie sich die Großkaliber heraus, und jetzt sind es die NIS 90/DIE GRÜNEN]) halbautomatischen Waffen. Schritt für Schritt gehen Sie an die verschiedenen Waffenarten heran. Ihr eigentliches Als selbsternannte Umweltpartei wollen Sie die Ar- Interesse, nämlich Waffen generell zu verbieten, beken- beit von Jägern kaputtmachen, die sich ja gerade für die nen Sie nicht. Stattdessen suchen Sie irgendwelche ande- Umwelt einsetzen. Begleiten Sie doch einmal einen Jä- ren Wege und Instrumentarien. Aber seien Sie doch of- ger, und schauen Sie sich an, welche Umweltarbeit sie fen und ehrlich, und sagen Sie, was Ihr eigentliches leisten! Auch das tun Sie nicht. Auch hier führen Sie Interesse ist, statt mit solchen Verboten herumzuhantie- eine rein ideologische Debatte, sonst nichts. ren! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Bleiben wir bei der Ideologie, und sprechen wir über Zweitens: zentrale Lagerung. Auch dazu ist von den die Waffensteuer in Bremen. Bei diesem Thema ist jetzt Vorrednern schon vieles gesagt worden. Die Anhörung die SPD gefragt. – Sie schauen weg; das passt beim war eigentlich eindeutig, Herr Wieland. Sie waren ja da- Thema Waffensteuer, denn auch hier geht es um Ideolo- bei. Alle Experten, die dort waren, haben gesagt, dass es gie. – In Bremen hat die SPD versucht, Waffen über die sogar zu mehr Gefahr führt, wenn zentral gelagert wird. Kosten aus dem privaten Besitz zu verdrängen, nämlich mit der Einführung einer Waffensteuer. Was hat man (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dann gemacht? Man hat aufgrund des Druckes – Sie ha- NEN]: Weil sie alle Waffenträger waren! – Ge- ben vorhin von Druck geredet – die Waffensteuer in eine genruf der Abg. Gabriele Fograscher [SPD]: Gebühr umbenannt. Diese wird jedes Jahr anlasslos er- Nein, auch ein Staatsanwalt!) hoben. Auch das ist nicht im Sinne dessen, was wir ei- gentlich wollten. Das, was Sie in Bremen gemacht ha- Herr Wieland, es gab eine Kleine Anfrage der Grünen ben, ist die Einführung einer Quasi-Steuer, was zum Waffenbestand und zum Fehlbestand bei der Bun- überhaupt nicht in Ordnung ist. deswehr. Da wird ja zentral gelagert. Es ergab sich, dass der Fehlbestand ganz schön hoch ist. Auch das ist für Diese Waffensteuer halte ich für verfassungswidrig, mich ein Beweis dafür, dass es eben nicht zu mehr Si- weil sie nur eingeführt wurde, um Waffen aus dem priva- cherheit führt, wenn man zentral lagert, sondern im Ge- ten Besitz zu verdrängen. Wir auf der Bundesebene ha- genteil: Wenn sich die Schützenheime usw. in den Au- ben aber das Bedürfnis nach Waffen im privaten Besitz ßenbereichen und nicht zentral in den Städten befinden, gesehen. Deswegen haben wir das Waffengesetz. Wenn Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29081

Serkan Tören (A) auf Landesebene oder kommunaler Ebene eine Waffen- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) steuer eingeführt wird, ist das nichts anderes als ein Ver- Herr Tören, ich muss jetzt in die Freiheit Ihrer Rede stoß gegen die gesetzliche Intention im Waffenrecht. eingreifen. Sie müssen zum Schluss kommen. Deswegen halte ich die Waffensteuer für verfassungs- widrig. Serkan Tören (FDP): (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Abschließender Satz: Die christlich-liberale Koalition CDU/CSU) wird sich weiterhin dafür einsetzen und ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einhalten, dass es keine Ver- Was hat sich aus der Anhörung im Innenausschuss er- schärfungen im Waffenrecht gibt. geben? Die Vorredner haben es schon angesprochen. Eine Verschärfung des Waffenrechts bringt überhaupt (Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nichts. Durchweg alle, die als Experten an der Anhörung NEN): Es darf richtig geballert werden! teilgenommen haben, haben uns das gesagt. Vielen Dank. Hilfreich war auch eine BKA-Analyse, die aufgezeigt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörn hat, wie viele Straftaten mit legalen Waffen begangen Wunderlich [DIE LINKE]: Zwei Lügen in ei- werden. Dieser Anteil liegt unter 1 Prozent. Wenn man nem Satz: „christlich-liberal“ und „Verspre- davon noch die Zahl der Waffenbesitzer abzieht, die im chen“!) öffentlichen Dienst sind – Beamte usw. –, dann tendiert diese Zahl gegen null. Sie haben sich einfach Sport- Vizepräsidentin Petra Pau: schützen, Jäger und Sammler, Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Frak- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tion Die Linke. NEN]: Jäger und Sammler! Fallensteller!) (Beifall bei der LINKEN) ehrenhafte Bürger in unserem Lande, ausgesucht, um diese als Feindbild mit unsachlichen Angriffen zu über- Frank Tempel (DIE LINKE): ziehen. Das ist nicht richtig. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Mehr öffentliche Sicherheit durch weniger (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) private Waffen“ – das klingt doch zumindest erst einmal ganz logisch. Die Bundesregierungen der letzten Jahre Als FDP-Fraktion werden wir uns auch weiterhin da- haben das Thema Waffenrecht in der Regel nur ange- für einsetzen, dass es keine Verschärfung im Waffen- (B) fasst, wenn schreckliche Ereignisse die öffentliche Dis- (D) recht geben wird. Aber wir brauchen eine Systematisie- kussion beherrschten. Amoktaten lösten bisher regelmä- rung und eine Vereinfachung im Waffenrecht – daran ßig politischen Aktionismus aus. Da wurde hier ein müssen wir arbeiten –, weil auch die Beamten in den bisschen verboten, da ein bisschen geändert; aber grund- Waffenbehörden, die damit beschäftigt sind, das Waffen- legend hat sich an der Sicherheitslage nichts verändert, recht nicht verstehen. Das muss eines der Ziele sein, die weder bei legalen Waffen noch bei illegalen Waffen. Es wir weiterverfolgen werden. kam immer nur darauf an, zu zeigen, dass man auf das Dann werden wir auch eine vernünftige Evaluierung tragische Ereignis reagiert hat. Nutzen und Umsetzbar- durchführen. Die Evaluierung, die im Innenministerium keit der Änderungen spielten keine Rolle. Das ist genau stattgefunden hat, war nicht gut. der Grund, warum eine Evaluierung dieser Änderungen bis heute nicht vorliegt. (Gabriele Fograscher [SPD]: Ja, das stimmt Die Grünen haben nun einen sehr radikalen Antrag wohl!) auf den Tisch gelegt. Aber angesichts von über 10 Mil- Wir brauchen hier eine objektive Evaluierung, auch un- lionen legaler Waffen in der Bundesrepublik muss das ter Einbeziehung von Sportschützen und Jägern. Sollte Thema eben auch einmal radikaler diskutiert werden. diese Evaluierung ergeben, beispielsweise bei den Kon- Das ist vollkommen richtig. trollen, dass die Regelungen kein Mehr an Sicherheit (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- bringen, dann muss man einmal darüber nachdenken, ob NIS 90/DIE GRÜNEN) es nicht einen Weg zurück gibt. Dann muss man auch abwägen, wie groß der Eingriff in die Freiheit der Bürger Das gilt erst recht, wenn es um Großkaliber, halbauto- ist. matische Waffen und Munition mit besonderer Durch- schlagskraft geht. Bei allen Fragen, die die Linke zur (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Umsetzung dieser Vorschläge hat, stelle ich fest, dass GRÜNEN]: Wollen Sie Verhältnisse wie in wir das Anliegen der Grünen sehr deutlich teilen. Wir se- den USA?) hen bei diesen Vorschlägen einen Sicherheitsgewinn. Das muss man einmal bedenken. Es muss also eine Es gibt aber auch einen guten Grund, warum die Evaluierung geben; das ist die zweite Forderung. Dann Linke einen entsprechenden Antrag noch nicht selber muss es auch einen Kampf gegen illegale Waffen geben. eingebracht hat. Wir beschäftigen uns sehr genau mit der Es ist selbstverständlich, dass wir hier die Behörden stär- Frage: Welcher Einschnitt bringt wirklich mehr Sicher- ken und den Kampf gegen illegale Waffen führen. heit, und welche Idee kann wie umgesetzt werden? Eine 29082 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

Frank Tempel (A) Lösung suchen wir im Dialog gerade auch mit Sport- ter beschäftigen. Die Linke wird dabei die Diskussion (C) schützen, Jägern und Büchsenherstellern; mit Sammlern mit allen Beteiligten mit dem Fokus auf mehr Sicherheit hatte ich noch nicht so viel zu tun. Dabei stellt sich he- fortführen. raus, dass eine Reihe von Problemen organisatorischer, finanzieller und rechtlicher Art noch nicht zu Ende ge- (Beifall bei der LINKEN) dacht sind, was sich mit meinen Erfahrungen aus dem Polizeidienst durchaus deckt. Vizepräsidentin Petra Pau: Nehmen wir als Beispiel die Lagerung von Waffen in Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland für die Schützenhäusern. Es ist richtig: Gerade in abgelegenen Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenden, gerade im ländlichen Raum stellt das ein Pro- blem dar, das gelöst werden muss. Wenn wir das so um- Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): setzen, wird eine Vielzahl von Waffen zentral gelagert, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als letz- was natürlich Begehrlichkeiten illegaler Waffenhändler ter Redner vor der Osterpause wecken wird, und diese finden dann auch Wege. Ich kenne Tatorte, wo ganze Geldautomaten herausgerissen (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Alles richtig- und Wände weggesprengt wurden. Für eine solch zen- stellen und eine huldvolle Haltung!) trale Waffenunterbringung müssten sehr hohe Sicher- heitsstandards gelten. Das heißt, dass es sehr teuer wird. – in vier Minuten werde ich wohl nicht alles richtigstel- len können – möchte ich Sie fragen, lieber Kollege Ich muss auch das einseitige Verbot großkalibriger Tempel, wie Sie hier von Aktionismus reden können. Waffen kritisieren, da auch kleinkalibrige Waffen je nach Diese Vorlagen sind fast drei Jahre alt. Bauart eine sehr hohe Durchschlagsleistung erzielen (Frank Tempel [DIE LINKE]: Damit meine ich können. Nehmen wir doch statt des Kalibers die maxi- nicht Ihren Antrag! Der ist ausgenommen!) male Geschossenergie zum Maßstab; das macht mehr Sinn. Das ist übrigens ein Vorschlag, der vom Bayeri- – Gut, wir sind ausgenommen. Dann bin ich beruhigt. schen Sportschützenbund kommt. Auch mit dem kann man zusammenarbeiten. Von Aktionismus kann überhaupt keine Rede sein, genauso wenig wie von Ideologie, lieber Herr Tören. Es (Beifall bei der LINKEN) waren Eltern sowie die Angehörigen der Lehrerinnen und Lehrer aus Winnenden und Erfurt, die Präsident und Das Verbot halbautomatischer Waffen dürfte den gro- Vizepräsidenten sowie auch uns Unterschriftenlisten (B) ßen Teil des legalen Waffenbestandes in der Bundesre- übergeben haben. Wir haben aus den Forderungen der (D) publik betreffen. Beim Einsammeln gegen Entschädi- Betroffenen Anträge entwickelt, die wir dann zur Dis- gung kämen auf die Länder Kosten von mehreren kussion gestellt haben. Es gab eine Anhörung, an der Hundert Millionen Euro zu. Das können manche Bun- ausschließlich Waffenträger – Frau Fograscher, hören desländer gar nicht leisten. Da muss der Bund mit in die Sie zu; auch der Staatsanwalt war bewaffnet, nicht auf Verantwortung. Wir können nicht immer hier im Bun- dem Podium, wohl aber in seiner Funktion als Sicher- destag beschließen, und Länder und Kommunen zahlen heitsbeauftragter – teilnahmen. Die von uns als Expertin dann die Rechnung. Ob so eine massive Enteignung ge- benannte Mutter aus Winnenden war an diesem Tag lei- gen Entschädigung von den Gerichten als rechtmäßig der erkrankt. anerkannt wird, wissen wir auch nicht. Ich erinnere nur an den Bestandsschutz. (Serkan Tören [FDP]: Das sind keine Waffen- träger, sondern Sachverständige!) Gut ist übrigens, dass Sie die Probleme der geringen personellen und finanziellen Ausstattung der kommuna- – Alle hatten einen Waffenschein und haben in eigener len Waffenbehörden in Ihrem Antrag benennen. Aber Sache geredet. Dabei kam das bekannte Ergebnis heraus. dann schreiben Sie bitte auch hinein, dass den Kommu- Wenn Sie meine Worte auf die Goldwaage legen, dann nen dafür ein finanzieller Ausgleich gewährt werden tun Sie mir leid, Herr Tören. muss, erst recht wenn die Bearbeitung des Einsammelns (Zuruf des Abg. Serkan Tören [FDP]) von Waffen gegen Entschädigung und die sichere Zwi- schenlagerung der eingesammelten Waffen durchgeführt – Ich habe es Ihnen gerade erklärt, dass die von uns be- werden sollen. Die Kommunen können das sonst gar nannte Expertin an diesem Tag kurzfristig erkrankt war. nicht leisten, was wir hier beschließen. Ihre Bewertung, dass alle diese Anhörung toll fanden, (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Wieland ist höchst einseitig. Das wollte ich hier festhalten. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dürfen wir nicht!) Am 14. Dezember hatten wir den Amoklauf in Con- necticut. Insgesamt 27 Menschen wurden kaltblütig er- Mit der Zustimmung zum Antrag der Grünen wird mordet, darunter 20 Erstklässler und 6 Angestellte der sich die Linke heute zur Forderung nach mehr Sicherheit Schule. Der Täter hatte sich für diese abscheuliche Tat im Umgang mit legalen Waffen deutlich bekennen. Aber mit drei Schusswaffen bewaffnet, die sich alle legal im auch wer das Richtige will, darf nicht in Aktionismus Besitz seiner von ihm ebenfalls ermordeten Mutter – das verfallen. Das Waffenrecht in Deutschland wird uns wei- 28. Opfer – befanden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29083

Wolfgang Wieland (A) (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie wollen Sie erklären immer nur, was nicht geht. Das wird zu (C) doch die Situation dort nicht mit Deutschland der Situation führen, dass der nächste Amoklauf in die- vergleichen! Was ist das für eine Argumenta- sem Land dann zwar mit einer registrierten Waffe durch- tion?) geführt wird, aber er wird stattfinden. Dann ist die Be- troffenheit wieder groß. Diese nehme ich Ihnen ab. Ihre Die Waffen waren ein halbautomatisches Sturmge- Betroffenheit war echt, auch als die Eltern aus Winnen- wehr vom Typ Bushmaster sowie zwei Großkaliberpis- den da waren. Aber Sie sind nicht bereit, auch nur eine tolen der Marken Glock und Sig Sauer. Alle diese Waf- Forderung des Forderungskatalogs zu erfüllen. Das ist fen sind auch bei uns für Sportschützen erhältlich. traurig. Ich prophezeie Ihnen: Das wird nicht das letzte Präsident Obama will sie verbieten. Ich stelle fest, Frau Wort hier in diesem Hause sein. Fograscher – es tut mir leid –: Er überholt hier die SPD- Fraktion, die diese Waffen im Handel halten will. Da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie rüber sollten Sie einmal nachdenken. des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben zu jedem unserer Vorschläge – wir haben Ich denke, von der Richtigkeit des letzten Satzes kön- einen Strauß von Vorschlägen gemacht – gesagt: So nen wir alle ausgehen. Dieses Thema wird uns auch über nicht. – Man sollte anders reagieren, sollte nur ein biss- die heutigen Abstimmungen hinaus weiter beschäftigen. chen eingreifen usw. Selbst den Vorschlag einer nochma- ligen Amnestie, dem alle zustimmten, haben Sie nicht Ich schließe die Aussprache. aufgegriffen. Ihr Credo ist: Wir machen gar nichts. – Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak- Oder, wie Herr Tören gesagt hat: Schwarz-Gelb wird tion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines jede Verschärfung beim Waffenrecht verhindern. – Freie „Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes – Schutz vor Bürger fordern freies Ballern. Das ist Ihr pseudoliberales Gefahren für Leib und Leben durch kriegswaffenähnliche Credo. Das ist zu wenig. halbautomatische Schusswaffen“. Der Innenausschuss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf auf Drucksache 17/12872, den Gesetzentwurf der Frak- des Abg. Holger Krestel [FDP]) tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7732 ab- zulehnen. – Polemisch wäre noch ganz anders. (B) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- (D) (Holger Krestel [FDP]: Sie machen Wahl- men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- kampf auf Kosten von 2,5 Millionen Schützen gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in in Deutschland!) zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak- – Die sind ähnlich aggressiv wie Sie, Herr Krestel. Die tionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der schreiben uns schon die entsprechenden Mails jeden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Tag. Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unse- rer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Damit komme ich zu den kriegsähnlichen Waffen. Er- klären Sie mir doch einmal, warum ein Jäger oder wer Tagesordnungspunkt 35 b. Unter Buchstabe b seiner auch immer mit einer Rambo-artigen Waffe durch den Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12872 emp- Wald laufen muss. Warum muss er mit einer Jagdwaffe, fiehlt der Innenausschuss die Ablehnung des Antrags die wie eine Kriegswaffe aussieht, herumlaufen, wenn er der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache noch alle Tassen im Schrank hat? Erklären Sie mir bitte 17/2130 mit dem Titel „Mehr öffentliche Sicherheit einmal, warum wir solche Waffen überhaupt brauchen durch weniger private Waffen“. Wer stimmt für diese und für wen wir sie brauchen. Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion, der und bei der LINKEN) SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis Nun wird immer gesagt – das ist auch richtig, und das 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenom- erkennen auch wir an –, dass die Lagerung in den Schüt- men. zenhäusern aufwendig und nicht für alle Schützenver- eine möglich sei. Deswegen sagen wir: Dann muss eben Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am die Munition dort gelagert werden. Das wäre die Alter- Schluss unserer heutigen Tagesordnung. native. Was immer zu den Amokläufen geführt hat, war, Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- dass die Munition und Großkaliberwaffen zu Hause ge- destages auf Mittwoch, den 17. April 2013, 13 Uhr, ein. lagert wurden, der Schrank nicht abgeschlossen war oder die Munition und die Waffen im Schreibtisch oder sonst Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen für wo lagen. Oder der Täter, wie der junge Mann in Erfurt, die folgende Zeit alles Gute. war selber Sportschütze und zog los. Das müssen wir ab- stellen. (Schluss: 15.40 Uhr)

Anlagen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013 29085

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Bär, Dorothee CDU/CSU 22.03.2013 Mast, Katja SPD 22.03.2013

Bleser, Peter CDU/CSU 22.03.2013 Mayer (Altötting), CDU/CSU 22.03.2013 Stephan Burchardt, Ulla SPD 22.03.2013 Menzner, Dorothée DIE LINKE 22.03.2013 Canel, Sylvia FDP 22.03.2013 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 22.03.2013 Dittrich, Heidrun DIE LINKE 22.03.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 22.03.2013 Dr. Franke, Edgar SPD 22.03.2013 Movassat, Niema DIE LINKE 22.03.2013 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 22.03.2013 Nešković, Wolfgang fraktionslos 22.03.2013 Goldmann, Hans- FDP 22.03.2013 Michael Dr. von Notz, BÜNDNIS 90/ 22.03.2013 Konstantin DIE GRÜNEN Günther (Plauen), FDP 22.03.2013 Joachim Paus, Lisa BÜNDNIS 90/ 22.03.2013 DIE GRÜNEN Gunkel, Wolfgang SPD 22.03.2013 (B) Dr. Pfeiffer, Joachim CDU/CSU 22.03.2013 (D) Hahn, Florian CDU/CSU 22.03.2013 Rebmann, Stefan SPD 22.03.2013 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 22.03.2013 Dr. Reimann, Carola SPD 22.03.2013 Hempelmann, Rolf SPD 22.03.2013 Remmers, Ingrid DIE LINKE 22.03.2013 Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 22.03.2013 Sager, Krista BÜNDNIS 90/ 22.03.2013 Jung (Konstanz), CDU/CSU 22.03.2013 DIE GRÜNEN Andreas Schlecht, Michael DIE LINKE 22.03.2013 Kamp, Heiner FDP 22.03.2013 Schmidt (Eisleben), SPD 22.03.2013 Krischer, Oliver BÜNDNIS 90/ 22.03.2013 Silvia DIE GRÜNEN Schreiner, Ottmar SPD 22.03.2013 Krüger-Leißner, SPD 22.03.2013* Angelika Schulz, Jimmy FDP 22.03.2013

Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ 22.03.2013 Dr. Schwanholz, SPD 22.03.2013 DIE GRÜNEN Martin

Kühn, Stephan BÜNDNIS 90/ 22.03.2013 Schwanitz, Rolf SPD 22.03.2013 DIE GRÜNEN Seif, Detlef CDU/CSU 22.03.2013 Laurischk, Sibylle FDP 22.03.2013 Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 22.03.2013 Ludwig, Daniela CDU/CSU 22.03.2013 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 22.03.2013* Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ 22.03.2013 DIE GRÜNEN Simmling, Werner FDP 22.03.2013 29086 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. März 2013

(A) Sportausschuss (C) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Drucksache 17/8967 Nr. A.3 EP P7_TA-PROV(2012)0025 Drucksache 17/11919 Nr. A.7 Strothmann, Lena CDU/CSU 22.03.2013 Ratsdokument 16214/12

Süßmair, Alexander DIE LINKE 22.03.2013 Rechtsausschuss Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ 22.03.2013 DIE GRÜNEN Drucksache 17/10710 Nr. A.23 Ratsdokument 11780/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.8 Walter-Rosenheimer, BÜNDNIS 90/ 22.03.2013 Ratsdokument 16097/12 Beate DIE GRÜNEN Drucksache 17/12126 Nr. A.14 Ratsdokument 5213/13 Weinberg, Harald DIE LINKE 22.03.2013 Drucksache 17/12126 Nr. A.15 Ratsdokument 17324/12 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ 22.03.2013* Drucksache 17/12244 Nr. A.13

DIE GRÜNEN Ratsdokument 17817/12 Drucksache 17/12244 Nr. A.15 Ratsdokument 17881/12

* für die Teilnahme an der 128. Jahreskonferenz der Interparlamenta- rischen Union Finanzausschuss Drucksache 17/12449 Nr. A.4 Anlage 2 Ratsdokument 5132/13 Drucksache 17/12449 Nr. A.5 Amtliche Mitteilungen Ratsdokument 5249/13 Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie den Antrag Begriffe „Vegetarisch“ und „Vegan“ gesetzlich schützen auf Drucksache 17/3067 Haushaltsausschuss zurückzieht. Drucksache 17/12244 Nr. A.20 Ratsdokument 17929/12 (B) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben (D) mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ner Beratung abgesehen hat. Drucksache 17/12449 Nr. A.6 Ratsdokument 5292/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.3 Innenausschuss Ratsdokument 6121/13 Drucksache 17/10898 Nr. A.3 Drucksache 17/12587 Nr. A.4 Ratsdokument 13327/12 Ratsdokument 6122/13 Drucksache 17/11919 Nr. A.5 Ratsdokument 16019/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.6 Ratsdokument 17344/12 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und

Drucksache 17/12126 Nr. A.10 Entwicklung Ratsdokument 17322/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.11 Drucksache 17/12126 Nr. A.45 Ratsdokument 17360/12 Ratsdokument 17135/12

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-7980