Editorial - 18 Beiträge aus der Welt des Fussballs

Anpfiff zur allerersten Ausgabe von «HSG Focus». Fussball-Management und weitere Themen aus der ballrunden Welt bilden den inhaltlichen Schwerpunkt. Forschende der HSG und externe Autoren haben Beiträge zum 18-teiligen Dossier beigesteuert.

Der Fussball-Manager ist eine der schillerndsten Figuren im Sportgeschäf t. Er heuert den Trainer an – und f euert ihn, wenn es der viel gescholtene Mann an der Seitenlinie nicht schaf f t, eine Ansammlung überbezahlter Stars in eine Mannschaf t zu f ormen. Manchmal wird der Manager selbst gef euert. Meistens aber hält er sich länger in seiner Position als andere im nebligen Geschäf t. Er kann die Leistung des Trainers, der Spieler, die f inanziellen Probleme des Clubs oder sogar das Verletzungspech vorschieben – bis es ihm selbst an den Kragen geht. Er ist Dreh- und Angelpunkt zwischen Prof is, Übungsleitern und Betreuern, Vereinsf ührung, Sponsoren und Fan-Organisationen – und vielen und vielem mehr. Und der eine oder andere Manager wird sich nicht hüten können, in Verdacht zu geraten, wenn der nächste Wettskandal rund um den Globus Schlagzeilen macht.

Es scheint nicht nur ein buntes, sondern vor allem auch ein schwieriges Business zu sein, dieses Fussball-Management. Wenn man bedenkt, dass zum Beispiel die Vereine der spanischen, englischen und italienischen Prof iligen insgesamt mit mehreren Milliarden Franken verschuldet sind.

Das «perfekte Team»

Wir haben uns auf gemacht, HSG- und externe Blickwinkel auf Fussball-Management und verwandte Themen zu f inden, um diese in einem Dossier f ür den ersten «HSG Focus» zusammenzutragen. Dabei sind wir auf Logisches gestossen, um das Fussballgeschäf t in gesündere Bahnen zu lenken, das aber erstaunlich selten bef olgt zu werden scheint: «Wir geben nicht mehr aus, als wir einnehmen», sagte uns Bayern Münchens Präsident und langjähriger Manager Uli Hoeness in einem Porträt.

HSG-Forscherinnen und -Forscher machten sich engagiert daran, das Thema unseres ersten Dossiers in einem Videointerview zu beleuchten, Analogien zwischen Fussball-Management und einer Universität zu betrachten, die Zusammensetzung eines «perf ekten Teams» zu analysieren und über die Wirkungen nachzudenken, wenn mehr Frauen in diesem männerdominierten Milliarden-Geschäf t tätig wären. Die ausserordentlich erf olgreiche Marke «Jürgen Klopp» wurde ebenso Gegenstand eines lesenswerten Beitrages, wie kulturwissenschaf tliche und ethische Blicke auf das beliebteste Spiel der Menschheit. Und die Frage, ob der Fussball denn sogar unsere Welt ein wenig verbessern kann.

«Anleitung für Manager» Der Schrif tsteller Pedro Lenz steuerte eine «Kleine Arbeitsanleitung f ür Fussball-Manager» bei. Ein Redaktor des «St.Galler Tagblatts» f ühlte zwei sogenannten Spielervermittlern auf den Zahn. Und Schalke-Prof i Tranquillo Barnetta verriet uns, warum sein Management Familiensache ist. Die Auf zählung der Beiträge ist nicht vollständig. Und ein Fussballspiel ist erst zu Ende, wenn der Schiri abpf eif t. Wer bis zum Schluss voll durchhält, der wird zum Ende unseres Dossiers quasi mit einem Fallrückzieher-Tref f er in der Nachspielzeit belohnt: «Darlington 0 – Hartlepool 2» des Philosophen Dominique Künzle ist ein «Tor des Jahres» zum Abschluss unserer 18-teiligen Zusammenstellung unter dem Übertitel «Die Welt ist rund – Fussball-Management und andere ballsichere Themen.»

Dossier und Campus

Nebst dem Dossier zu einem Schwerpunkt-Thema bietet «HSG Focus» auch stets einen Campus-Teil. Letzterer beinhaltet Hintergründiges und Wissenswertes aus der Uni-Welt. In unserer ersten Ausgabe zum Beispiel ein Projekt f ür den Markteintritt von Sauerteig-Brot in der Schweiz, die Kolumne unseres HSG-Philosophen Dieter Thomä, ein Porträt über den Volkswirtschaf tler Simon Evenett, ein Interview mit unserem Forschungs-Prorektor Torsten Tomczak, einen Audio-Beitrag über einen HSG-Studenten in Radio-Ausbildung und einen Bericht über «studentische Reporter» am WEF. Nicht verpassen: Im Campus- Teil f indet sich auch unser Wettbewerb, bei dem es ein iPad zu gewinnen gibt.

Jürg Roggenbauch

Die nächste Ausgabe von «HSG Focus» erscheint im Mai 2013.

«Leistung lässt sich planen»

Video-Interview

HSG-Prof essor Wolf gang Jenewein über Fussballpassionen, zeitgemässes Fussball-Management und Analogien zwischen Wirtschaf t und Prof isport.

Vid e o : Unive rsität St.Galle n (HSG)

Interview: Markus Zinsmaier. Kamera: Thomas Karrer.

Kleine Arbeitsanleitung für Fussball-Manager

Sie möchten als Fussball-Manager gross auf trumpf en? Nichts einf acher als das! Beherzigen Sie die hier f olgenden Ratschläge, dann sollte einer erf olgreichen Karriere nichts mehr im Wege stehen. Von Pedro Lenz

Ze ichnung : Co rinne Bro mund t

Zunächst dürf te es Sie schon einmal beruhigen, dass sich der Fussball-Manager auf dem europäischen Kontinent, anders als in Grossbritannien, weder um das Training, noch um das Coaching der Spieler kümmern muss. Für diese undankbaren Auf gaben steht Ihnen ein Untergebener zur Verf ügung.

Dieser Untergebene nennt sich Trainer und mag in der Öf f entlichkeit präsenter sein, als Sie es je sein werden. Das kann Ihnen allerdings nur recht sein. Der Trainer glaubt, das Glück eines Fussballclubs hänge von seiner Arbeit ab. Als geschickter Fussball-Manager müssen Sie den Trainer jederzeit in diesem Glauben belassen. Mehr noch, Sie sollten sich bemühen, die Bedeutung des Trainers bei jeder sich bietenden Gelegenheit öf f entlich herauszustreichen. Das hat den unbestreitbaren Vorteil, dass Sie sich bei anhaltendem Misserf olg Ihres Vereins hinter dem Trainer verstecken können.

Wenn Sie spüren, dass die treuen Fans mit der Leistung der Mannschaf t allmählich unzuf rieden werden, gehen Sie immer nach f olgendem Schema vor: 1. Sie versichern gegenüber den Medien, die Position des Trainers sei unbestritten. 2. Sie lassen sich alle Dossiers von verf ügbaren Trainern zukommen und studieren diese gründlich. 3. Sobald Sie einen neuen Trainer gef unden haben, erklären Sie Ihrem Präsidenten, der aktuelle Trainer sei leider nicht mehr haltbar, die Öf f entlichkeit verlange dringend nach einem Wechsel. 4. Sobald Sie den Präsidenten und die Geldgeber von der unauf schiebbaren Notwendigkeit eines Trainerwechsels überzeugt haben, wenden Sie sich an einen Journalisten Ihres Vertrauens und streuen die Namen möglicher Nachf olger, unter denen natürlich derjenige sein muss, den Sie schon engagiert haben. 5. Sie beruf en eine Pressekonf erenz ein, präsentieren den neuen Übungsleiter und betonen, er sei der absolute Wunschkandidat und es sei ein Glück, dass Sie ihn in so kurzer Zeit verpf lichten konnten.

Die Blendwirkung dieses Schachzugs wird verhindern, dass jemand f ragt, weshalb Sie erst wenige Tage zuvor versichert hatten, der alte Trainer sitze f est im Sattel.

Weisen Sie aufs Verletzungspech hin Falls sich der Erf olg mit dem neuen Trainer nicht einstellen sollte, beginnen Sie über die Zusammensetzung des Kaders zu lamentieren. Sollte Ihnen jemand vorhalten, das Kader sei von Ihnen zusammengestellt worden, beruf en Sie sich auf die f inanziellen Rahmenbedingungen, die es verunmöglicht hätten, jene Spieler einzukauf en, die Sie sich gewünscht haben. Vergessen Sie dabei keinesf alls, auf das Verletzungspech hinzuweisen, und darauf , dass die vielen Verletzungen möglicherweise mit den Trainingsmethoden jenes Trainers zusammenhänge, den Sie gerade noch rechtzeitig entlassen hätten.

Sollten die Resultate unter dem neuen Mann auch nach längerer Zeit zu wünschen übrig lassen, erklären Sie der Öf f entlichkeit, jeder Trainer brauche Zeit, um seine Ideen umzusetzen. Verliert das Team weiter, gehen Sie wieder nach dem oben erwähnten Schema vor, betonen also zunächst, der Trainer sitze f est im Sattel.

Teure Spieler = teure Verkäufe

Zu den Untergebenen eines Fussball-Managers gehören neben dem Trainer natürlich auch die Spieler. Der Umgang mit den Spielern ist ein bisschen komplizierter, als derjenige mit dem Mann an der Seitenlinie. Doch wenn Sie sich auch hier an die Gepf logenheiten des Beruf s halten, kann nicht viel schief gehen.

Im Zusammenhang mit den Spielern müssen Sie vor allem eines wissen: Es ist schwieriger eine ganze Mannschaf t zu knechten, als einen einzelnen Trainer. Überlassen Sie also die Disziplinierung der Spieler getrost dem Coach. Falls er damit überf ordert sein sollte, wissen Sie ja nun, wie Sie ihn wieder loswerden.

Sie tun gut daran, die Spieler mit hoch dotierten Verträgen zu verwöhnen. Je teurer ein Spieler ist, desto höher ist das Ansehen des Mannes, der es geschaf f t hat, ihn zu verpf lichten. Und dieser Mann sind Sie! Ausserdem können teure Spieler in der Regel auch teuer verkauf t werden. Hören Sie nicht auf Leute, die Ihnen erklären wollen, dieser oder jener Spieler sei überbezahlt. Die Fussballwelt ist voll von überbezahlten Spielern, daf ür tragen Sie keine Verantwortung. Die Schuld an diesem Misstand haben einzig die Spielervermittler. Falls Sie also in der Öf f entlichkeit über zu hohe Spielersaläre jammern wollen, vergessen Sie keinesf alls, die Spielervermittler zu desavouieren.

Damit ist f reilich nicht gesagt, dass Sie den Spielervermittlern aus dem Weg gehen sollten. Es ist immer besser, ein paar gute Kontakte zu dieser Beruf sgattung zu unterhalten. Sie sind es gewohnt, in der Fussballerszene als Bösewichte dazustehen und werden Ihre bösen Worte nicht persönlich nehmen.

Wichtig ist ausserdem, dass Sie daf ür sorgen, dass die Spieler nichts sagen, das dem Ansehen des Vereins oder dem Ansehen des Managers schaden könnte. Bestehen Sie also darauf , dass jeder Fussballer ein Medientraining absolviert. Das Medientraining soll jeden Spieler dazu bef ähigen, nach einem Fussballspiel mindestens zwei Mal drei Platitüden f ehlerf rei auf sagen zu können:

A: Im Fall eines Sieges: 1. Das war ein Sieg der ganzen Mannschaf t, entscheidend war die Teamleistung. 2. Wir dürf en uns jetzt nicht auf den Lorbeeren ausruhen und werden konzentriert weiterarbeiten. 3. Die Meisterschaf t ist noch nicht entschieden, wir müssen Schritt um Schritt machen.

B: Im Fall einer Niederlage: 1. Wir müssen uns als Team steigern, wichtig ist jetzt, dass wir uns als Mannschaf t verbessern. 2. Wir müssen nun gemeinsam analysieren, wo wir uns verbessern können und werden konzentriert weiterarbeiten. 3. Die Meisterschaf t ist noch nicht entschieden, wir schauen jetzt von Spiel zu Spiel.

Erst wenn jeder Spieler diese Aussagen auch im Zustand emotionaler Anspannung korrekt von sich geben kann, haben Sie als Manager Ihre diesbezügliche Pf licht getan.

Bestärken Sie den Präsidenten

Nachdem Ihnen nun klar sein sollte, wie Sie als erf olgreicher Fussball-Manager mit Trainer und Spielern umzugehen haben, f olgen hier noch die wichtigsten Regeln im Umgang mit den Vereinspräsidenten. Halten Sie sich jederzeit vor Augen, dass der Präsident eines Fussballclubs nicht zwingend etwas von Fussball verstehen muss. Dennoch ist es nie f alsch, den Präsidenten in seiner Ansicht, er sei ein vollkommener Fussballf achmann, zu bestärken. Widersprechen Sie Ihrem Präsidenten also nicht allzu direkt, wenn er sich die Freiheit herausnimmt, Ihnen Anweisungen zu geben. Falls die Anordnungen des Präsidenten nicht deckungsgleich mit Ihren Vorstellungen sein sollten, empf iehlt es sich, ihn denken zu lassen, Sie seien mit ihm einer Meinung. Sie können dann trotzdem nach Ihrem eigenen Gutdünken handeln, denn Fussballclub-Präsidenten sind in der Regel vielbeschäf tigte Leute, die sich selten an alles erinnern können, was sie einmal angeordnet haben.

Falls Sie spüren, dass der Präsident mit Ihrer Arbeit unzuf rieden ist, versuchen Sie am besten von Ihrer Person abzulenken, indem Sie über den überf orderten Trainer, die verwöhnten Spieler oder die unf aire Presse lamentieren. Geben Sie dem Präsidenten immer das Gef ühl, die öf f entliche Meinung über ihn unterliege dem Einf luss des Managers.

Es kann auch hilf reich sein, den Präsidenten in der Öf f entlichkeit als gutmeinenden Ignoranten hinzustellen. Dazu eigenen sich zum Beispiel f olgende Aussagen: 1. Unser Präsident leistet sehr viel f ür den Club, aber f ür die technischen Fragen bin immer noch ich zuständig. 2. Unser Präsident ist der grösste Fan dieses Clubs, er steht emotional hundertprozentig hinter dem Verein, doch zurzeit sind rationale Schritte angesagt. 3. Die Meinung des Präsidenten ist wichtig, aber noch wichtiger ist das Wohlergehen des Clubs.

Fussball ist ein einfaches Spiel

Falls Sie nach der Lektüre dieser kleinen Arbeitsanleitung zum Schluss kommen, das sei ja alles viel zu banal, bringen Sie vermutlich die f alschen Voraussetzung f ür eine Karriere als Fussball-Manager mit. Fussball ist nun mal ein einf aches Spiel. Es geht letztlich bloss darum, erf olgreich zu sein. Oder, um es mit den Worten des berühmten österreichischen Stars zu sagen: «Wir müssen gewinnen. Alles andere ist primär.»

Pedro Lenz (1965, Langenthal BE) ist Schriftsteller und lebt in Olten. Für seinen berndeutschen Roman «Der Goalie bin ig» erhielt er mehrere Auszeichnungen, darunter den Deutschschweizer Schillerpreis. Vor kurzem ist sein Mundart-Erzählband «Liebesgschichte» im Cosmos Verlag erschienen.

The perfect team

What makes a perf ect team? Over the last three years, researchers at the Research Institute f or International Management (FIM-HSG) have examined the perf ormance ef f ects of team composition and diversity in prof essional f ootball teams. By Martin Engeler, Peder Greve and Winf ried Ruigrok

Chart: Walo vo n Büre n Big flags: a player's nationality. Small flags: countries where a player has gained professional experience.

International teams have become the norm rather than the exception in a wide variety of contexts, including business and sports. Today international team diversity is a result of more than bringing together people of dif f erent nationalities. People of the same nationality may have had very dif f erent international career paths to get to where they are today, af f ecting their socialization, training, knowledge, and networks. Due to such dif f erences, even teams that seem non-diverse on the surf ace may require time and integration ef f orts bef ore team members start to work well together. Diversity theories suggest that team members’ diverse experiences enhance the team’s knowledge base and access to resources, giving internationally diverse teams a potential advantage over other teams. But theory also suggests that the benef icial ef f ects of diverse team member backgrounds are conditional on f actors such as task environment, external context, and team leadership.

International experience matters

Our study of seven seasons of German f ootball (2005/06 - 2011/12) shows that if the players on the f ield during a season have more diverse international career backgrounds, then the team is more likely to win games, collect points, and ultimately f inish in a higher league position. Take Borussia Mönchengladbach, which exceeded many people’s expectations by f inishing in 4th place in the 2011/12 season. Not only did they build this success on a squad of highly talented players, but the team’s players also had among the most diverse international career backgrounds in the league. Meanwhile, Kaiserslautern had a disappointing season ending in last place. Compared to other teams in the league, their players possessed some of the least diverse international playing careers. Our f indings show that players’ international experience backgrounds matter f or the team’s perf ormance. However, we also f ind that some teams are better positioned to take advantage of these benef its.

First, if players have gained their international experience f rom one of Europe’s top leagues, our study shows that this is likely to be more valuable than experience f rom smaller leagues. Teams consisting of players who have spent more career time in the top 5 leagues in Europe are better able to exploit the benef its of diverse international backgrounds in the team as a whole. Teams such as Bayern Munich and Schalke 04 – which have the f inancial resources to recruit players f rom top leagues such as Spain, England, Italy, and France – should theref ore be in a strong position to take advantage of high international team diversity.

Second, we f ind that longer-tenured head coaches are better able to create perf ormance advantages f rom diverse international player backgrounds. This f inding indicates the importance of leadership continuity to make the most out of a complex resource. Recruiting new players with diverse international backgrounds is not a quick-f ix solution af ter a run of poor results. It needs to be part of a long-term strategy that emphasizes perseverance and continuity in order to make diversity work. This may work in another way as well, as long-tenured coaches will also need players with diverse career experiences to get new impulses and bring in f resh outside perspectives to the team. Accordingly, a head coach like at Werder Bremen, who has been in charge of the team since 1999, should be ideally poised to utilize the benef its of a team with diverse international career backgrounds. In recent seasons this seems to have been a missed opportunity.

In most cases, there's no quick fix

In practice, many Bundesliga teams change their head coach so f requently that it becomes dif f icult to take advantage of the benef its that players with diverse international backgrounds can bring. Such teams need to invest more time and resources in integration, acclimatization, and getting used to changing playing styles. Teams that of ten change their head coach may theref ore be better of f with a squad of players that have less diverse international backgrounds, even if that means to sacrif ice the superior perf ormance potential in a squad of players with diverse international career experiences.

So what does the perf ect team look like? With our research we cannot quite claim to be able to answer that question (yet). But it is likely to be a team of highly talented and skillf ul players that bring together diverse playing experiences, primarily f rom Europe’s top 5 leagues, and topped of f with a seasoned head coach who is able to integrate diverse playing experiences into a unique playing style, and thereby make diversity work.

Martin Engeler is a doctoral candidate at the Research Institute of International Management (FIM-HSG) at the University of St.Gallen, where Dr. Peder Greve works as a research fellow. Prof. Dr. Winfried Ruigrok is Director of the FIM-HSG and Dean of the Executive School of Management, Technology and Law (ES- HSG).

Der Kaufmann

Im Prof i-Fussball wird Geld verbrannt, als gäbe es kein Morgen. Deshalb f ällt die Ausnahme umso mehr auf : der FC Bayern München. Weil dort der Unternehmer Uli Hoeness den Tresor bewacht. Von Gerhard Waldherr

Der erfolgreichste aller Fussball-Manager: Uli Hoeness. Bild : Ke ysto ne /Mig ue l Villag ran

Hunderte Interviews. Dutzende Talkshows. Immer ein Kommentar nach dem Schlusspf if f . Er hat zu allem schon etwas gesagt. Zum Fussball in all seinen schillernden Facetten, zu indisponierten Schiedsrichtern, gutem Management und schlechten Politikern auch, zu Moral, Ethik und dass ein Land, das sich moderne Fussballarenen leisten kann, auch in der Lage sein muss, ausreichend Kindergärten zu bauen.

Jeden Samstag zoomen ihn die Kameras ins Bild. Rundes Gesicht, hohe Stirn, blondes Haarrot. Den rot- weissen Schal um den Hals, die Vorstände Karl-Heinz Rummenigge und Karl Hopf ner neben sich. Die drei von der Tribüne. Dann kann man ihn wieder jubeln, leiden, gestikulieren, poltern sehen. Und man muss bei Youtube nur seinen Namen und «Wutrede» eingeben, dann erscheint er auf einem Podium mit hochrotem Kopf . Das war bei einer Jahreshauptversammlung. Der Auf tritt ist Kult. «Eure Scheissstimmung, Pf if f e, Buhruf e – wer glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid?!»

Frau Hoeness' Blick sagt was anderes

2011. Ein Freitag, Ende September. Uli Hoeness sitzt mit seiner Frau Susi vor einem Berggasthof über dem Tegernsee. Natürlich drehen sich die Leute an den Nebentischen nach ihm um. Seine Frau bestellt Leberkäse mit Spiegelei und Kartof f elsalat. Nimmt er auch. Er spricht von der schönen Natur am Tegernsee. Sie von der Wäsche, die noch gemacht werden muss. Er sagt: «Ich bin eine öf f entliche Person, obwohl ich nie eine sein wollte.» Frau Hoeness' Blick sagt was anderes.

Wer nur den öf f entlichen Hoeness kennt, den Macher, den Erf olgsmenschen, den Provokateur, Protagonisten und Visionär des deutschen Fussballs, ist auf den privaten Hoeness nicht vorbereitet. Der private Hoeness wirkt auf geräumt, beinahe sanf tmütig. Bemüht sich um seinen Gast. «Trinken wir einen ‹Schnitt›?» Ein «Schnitt» ist eine halb eingeschenkte Halbe Bier. Hoeness übergeht das Zögern des Reporters und sagt zur Bedienung: «Fräulein, bringen’S uns doch bitteschön zwei ‹Schnitt›.» Er ist guter Laune an diesem Nachmittag. Das liegt sicher auch an dem brillanten Wetter. Strahlend blauer Himmel. Warm und weich der Wind. Alpenglühen. Es liegt bei Hoeness aber immer auch am sportlichen Zustand seines Vereins. Damals, im Herbst 2011, sah alles nach einem Durchmarsch des FC Bayern München in der Bundesliga aus, das Finale der Champions League 2012 würde in der heimischen Allianz Arena ausgetragen werden, wof ür Hoeness das Motto «Finale Dahoam» ausgegeben hatte. Nach turbulenten, titellosen Jahren, der Fehlbesetzung Jürgen Klinsmann als Trainer und schweren menschlichen Dissonanzen mit dessen Nachf olger, dem Niederländer , war Hoeness’ Welt wieder in Ordnung. Sein Kumpel hatte die sportliche Leitung übernommen, die Mannschaf t gewann, gewann, gewann und gestattete den Gegnern kaum ein Gegentor. Er hatte seinen FC Bayern wieder da, wo er ihn immer haben will: ganz oben. Dass am Saisonende alles anders kommen sollte, konnte er nicht wissen.

Fussball ist ein schwer kalkulierbares Geschäf t. Zwischen einem 1:0 und einem 0:1 liegen Details. Der Leistung von Spielern kann eine Grippe oder Bänderdehnung im Weg stehen. Dem Ball der Pf osten. Einem Sieg eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters. Oder ein verschossener Elf meter. Ein teuer gekauf ter Spieler kann sich schon am nächsten Tag das Bein brechen. Ein Trainer kann in wenigen Monaten ein über Jahre auf gebautes Sozialgef üge zertrümmern. Alles schon da gewesen, auch beim FC Bayern. Qualif iziert sich der Klub dann nicht f ür die Champions League, entgehen ihm 20 Millionen Euro Einnahmen, mindestens.

Bayerns Barvermögen: 278 Millionen Euro

Der FC Bayern ist Hoeness, Hoeness ist der FC Bayern. 1979 übernahm er den Klub als Manager, seit zwei Jahren ist er Präsident, seit 2010 Auf sichtsratsvorsitzender der FC Bayern München AG. Seine Bilanz ist phänomenal, sportlich wie wirtschaf tlich.

17-mal Deutscher Meister; zehnmal Pokalsieger, zweimal im Finale des Europapokals der Landesmeister, UEFA-Pokal gewonnen, viermal im Finale der Champions League, darunter der Triumph von 2001.

1979 machte der FC Bayern zwölf Millionen Mark Umsatz und hatte sieben Millionen Mark Schulden; 2011/2012 machte der FC Bayern 373,4 Millionen Euro Umsatz, 11,1 Millionen Euro Gewinn, das aktuelle Barvermögen beträgt 278,3 Millionen Euro.

Als Hoeness Manager wurde, lag der Zuschauerschnitt bei 32'000. Wenn es regnete, verloren sich weniger als 20'000 Fans im zugigen Olympiastadion, dessen Eintrittsgelder 85 Prozent der Einnahmen des Klubs ausmachten; heute ist die Allianz Arena, ein f uturistischer Fussballtempel auf einem Acker bei Fröttmaning nördlich von München mit 106 VIP-Logen, konzipiert von den Schweizer Architekten Herzog und de Meuron, entstanden f ür 340 Millionen Euro, jedes Mal ausverkauf t, 69'000 Zuschauer, die nur noch 18 Prozent des Umsatzes produzieren.

Seinen ersten Sponsorenvertrag als Manager unterzeichnete Hoeness auf einem Bierdeckel, 1979 zahlte der Trikotsponsor Magirus Deutz 600'000 Mark pro Saison; heute überweist die Deutsche Telekom daf ür jährlich 25 Millionen Euro. Zu den Werbepartnern gehören Luf thansa, Adidas, Audi, Coca-Cola, Hypo-Vereinsbank, Siemens, Samsung, Lego, Burger King. Insgesamt 26 Firmen.

1979 hatte die Geschäf tsstelle 15 Angestellte; Hoeness' erste Sekretärin beschwerte sich nach ein paar Wochen, sie habe nichts zu tun; zum Training kamen zwei Lokalreporter und ein paar Rentner; heute gibt es 400 Angestellte, das Trainingszentrum hat einen beheizten Rasenplatz, Ruhezonen, eine Caf eteria, ein Kino f ür die Spieler, täglich gibt es im Medienzentrum zwei Pressekonf erenzen, das Training verf olgen bis zu 5000 Menschen.

Früher gab es Wimpel und Anstecknadeln zu kauf en; heute macht der FC Bayern jährlich rund 40 Millionen Euro Umsatz mit Merchandising inklusive Weiss- und Rotwein, Sekt und Bonbons. Mit 188'000 Mitgliedern ist der FC Bayern der drittgrösste Sportverein der Welt.

Was ist der FC Bayern wert? «Audi hat 2009 f ür 9,1 Prozent unserer Anteile 90 Millionen Euro bezahlt, dann können Sie es sich ausrechnen.»

Eine Milliarde aus nichts, wie viel Potenzial ist da noch? Hoeness stutzt. Die Gabel f ällt in den Kartof f elsalat, der Mann in die Stuhllehne, die Hände gehen nach oben. Schöner Tag hin, grandioser Saisonstart her. Jetzt regt er sich auf . Muss er sich auf regen. «Selbst wenn wir verkauf en wollten – wer kauf t denn einen Verein wie uns? Ein Stadion wie die Allianz Arena? Wir sind doch nicht in Amerika, wo Sportvereine verscherbelt werden und von A nach B umziehen.»

Ständig mehr Geld verdienen will der FC Bayern aber auch? «Ach, Geld, Geld, mehr, mehr, höher. Diese Frage gef ällt mir überhaupt nicht. Ich wusste nie, wie viel Umsatz ich machen wollte. Am Ende müssen viele kleine Dinge stimmen, damit die Zahlen stimmen.»

Aber steht das nicht im Widerspruch zum Erfolgsmenschen Uli Hoeness, der schon mal sagt, die Konkurrenz müsse mit dem Fernglas suchen, wo der FC Bayern steht? «Natürlich will ich Erf olg, aber nicht um jeden Preis. Wenn es um Geld geht, muss man auch mal zuf rieden sein. Den Status quo zu erhalten ist auch eine Herausf orderung.»

«Es besteht die Gefahr, dass alles aus dem Ruder läuft»

Uli und Susi Hoeness wohnen an einem Hang hinter Bad Wiessee. Schönes Anwesen. Bauernhausstil. An der Pf orte zwei Klingeln ohne Namen. Hoeness öf f net. Der ehemalige Prof i Manf red Schwabl sei da, er müsse noch schnell telef onieren, er komme gleich. Man solle doch bitte auf der Terasse warten. In der Wohnung keine Pokale, Urkunden, Fotograf ien. Ausser zwei Arbeiten eines amerikanischen Popkünstlers im Flur weist nichts auf Fußball hin. Im Wohnzimmer läuf t der Fernseher, Börsenkurse auf n-tv. Klickte man jetzt durch den Videotext, stiesse man auf schlimme Nachrichten: Griechenland pleite. Der Euro in Gef ahr. Die Banken am Abgrund. Das kapitalistische System droht zu entgleisen. Er nimmt das Thema gleich auf , als er auf die Terrasse kommt. Genau das predige er seit Jahren bei seinen Vorträgen, in denen es neben Fussball immer auch um gutes Management, um Werte und Moral in Wirtschaf t und Politik geht: «Es besteht die Gef ahr», sagt Hoeness, «dass das alles aus dem Ruder läuf t.»

Warum? «Die Finanzwelt zeigt keine Bereitschaf t, zur Volkswirtschaf t beizutragen. Eine Krankenschwester trägt mehr zur Volkswirtschaf t bei als ein Spekulant. Wenn ich sehe, dass Optionsscheine f ür Reis steigen, sage ich zu meiner Frau: ‹Das bedeutet, dass Menschen hungern müssen, weil sie sich keinen Reis mehr kauf en können.›»

Wie das ändern? «Eine Finanztransaktionssteuer bringt nichts, man muss das verbieten. Spekulationen auf Rohstof f e dürf en nur von Leuten unternommen werden, die mit der Ware auch physisch arbeiten.»

«Focus Money» beschrieb er seine Bedenken mit einem Beispiel aus seiner Wurstf abrik, Howe Wurstwaren KG, Nürnberg, 300 Angestellte, 45 Millionen Euro Umsatz, 200'000 Rostbratwürste täglich; Geschäf tsf ührer ist Hoeness’ Sohn: «Ich habe f ür mein Schweinef leisch f ünf verschiedene Lief eranten. Ich ruf e an, lasse mir die Preise geben und kauf e dann. Für was aber brauchen Banker Schweinebäuche?»

«Es ist doch Wahnsinn», sagt Hoeness, während der f erngesteuerte Rasenmäher vor dem Zaun eine Kehrtwendung macht, kurz vor der Hütte, in der er mit ehemaligen Prof is und Freunden Karten spielt, «wenn täglich hundertmal mehr Rohöl gehandelt als produziert wird. Ich glaube, die Preise sind manipuliert.»

Wie das? «Ich habe mir das sehr lange sehr genau angeschaut: Am Freitag bricht wieder irgendwo in Nigeria ein Feuer aus, da wird der Kurs gedrückt, am Montag schiesst er wieder nach oben. Dass diese Leute keine Skrupel haben, macht mich krank.»

Allegorie des Lebens, Ausdruck der Seele

Die Faszination, die Fussball auslöst und ihn zur weltweit lukrativsten Ware des Unterhaltungsgeschäf ts gemacht hat, wird gern umschrieben. Allegorie des Lebens. Spiegelbild der Gesellschaf t. Ausdruck der Seele und Mentalität einer Nation. Fussball verbindet, bewegt, spaltet. Die lukrativste Ware des Unterhaltungsgeschäf ts. Da kommt selbst Olympia nicht mit. Olympia ist alle vier Jahre. Fussball ist f ast das ganze Jahr über, f ast täglich. Liga, Pokal, Europacup. Irgendwas ist immer. Wenn es nach Hoeness geht, dann ist Fussball aber auch Abbild der Abgründe des Finanzsystems geworden. Ein wildes Gezocke abseits kauf männischer Vernunf t, zunehmend entmenschlicht. Hoeness: «Unsere Branche wird immer mehr ein Spiel ohne Grenzen.»

Die Vereine der spanischen Primera División waren 2009 mit mehr als 3,5 Milliarden Euro verschuldet. Die englische Premier League liegt bei schätzungsweise vier Milliarden Euro Schulden. Der FC Barcelona hat sich seine jüngsten Titel teuer erkauf t, mit Geld, das er nicht hat. Knapp 400 Millionen Euro Schulden. Das liegt vor allem an immer höher steigenden Ablösesummen und Gehältern, die angef euert werden von Milliardären, die sich Fussballklubs halten wie Rennpf erde. Roman Abramowitsch soll mehrere Milliarden Euro Verluste mit dem Londoner Chelsea Football Club gemacht haben. Manchester City gehört Mansour bin Zayed Al Nahyan, dem Bruder des Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, der sich sein Engagement bislang angeblich 700 Millionen Euro hat kosten lassen. FK Anschi Machatschkala, ein Verein im kaukasischen Dagestan, zahlt dem Spieler Eto'o f ür drei Jahre 60 Millionen Euro. Und der amerikanische Investor Malcolm Glazer, von dem Hoeness vermutet, «dass er nicht mal weiss, dass Luf t im Ball ist», hat f ür Manchester United 790 Millionen Pf und gezahlt. Das Darlehen f ür den Kauf wurde dem Verein auf gehalst, weshalb der nun jährlich mehr als 40 Millionen Pf und Tilgung auf wenden muss.

«So will ich keinen Erf olg haben, und unser Fan will das auch nicht», sagt Hoeness, «da werde ich lieber Zweiter oder Dritter.» Wenn er sich Real Madrid anschaue, angeblich mit f ast einer Milliarde Euro verschuldet, könne er nur f eststellen: «Wer zu lange unnötige f inanzielle Risiken eingeht, geht irgendwann kaputt.» Schön, wenn 80'000 Fans ins Bernabeu-Stadion pilgern, um dem verpf lichteten Spieler Cristiano Ronaldo – 94 Millionen Euro Ablösesumme, 13 Millionen Euro jährliches Nettogehalt – zu huldigen. «Die werden dann ein Problem haben, wenn der Gerichtsvollzieher kommt und ihnen ihr Stadion zusperrt. Lassen wir die doch lauf en. Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht.»

Der Vater steht ab drei Uhr in der Wurstküche

Uli Hoeness wird 1952 im Ulmer Stadtteil Eselsberg geboren. Die Eltern haben eine Metzgerei, der Vater steht von morgens drei Uhr in der Wurstküche, die Mutter hinter der Ladentheke, am Wochenende macht sie die Buchhaltung. Die Familie: christlich, konservativ, sparsam. «Wenn abends zehn Mark in der Kasse f ehlten, hat man zwei Stunden gesucht, und wenn an Weihnachten eine Gans nicht abgeholt wurde, war der Heiligabend im Eimer.»

Die Tugenden, die ihm seine Eltern vermittelten? «Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Disziplin.»

Seine Mutter drängt auf eine gute Ausbildung, ein Studium. Doch Hoeness weiss mit 14 schon, dass er das nicht will. Um sechs Uhr f rüh lässt er sich von seinem Vater wecken, bolzt in den Wäldern. «Fussball war mein großes Ziel», sagt er. «Ich wollte Prof i werden. Daran habe ich gearbeitet wie ein Tier.» Hoeness durchläuf t alle Nationalmannschaf ten im Jugendbereich des Deutschen Fussball-Bundes (DFB). 1970 geht er zusammen mit Paul Breitner zum FC Bayern. Es ist die vielleicht schillerndste Zeit des deutschen Fussballs. Beckenbauer. Maier. Müller. Netzer. Heynckes. Vogts. Overath. Grabowski. Alles Weltklassespieler. Hoeness wird neben Breitner zum Inbegrif f von jugendlichem Sturm und Drang: Seine Spielweise ist revolutionär, er glänzt als Vorbereiter und Vollstrecker. 1972 wird er mit der Nationalelf Europameister, 1974 Weltmeister. 1974 und 1975 Europapkalsieger der Landesmeister. 1976, im Finale gegen Leeds United, verletzt er sich am Knie. Zwei Operationen. In diesem Jahr macht er sein letztes Länderspiel, danach ist er als aktiver Fussballer, das Einzige, worauf er in seinem Leben hingearbeitet hat, ein Mann ohne Zukunf t. Sportinvalide mit 27.

Wer Hoeness' Lebensweg betrachtet, dem f ällt auf , dass er schon f rüh Verantwortung f ür andere übernimmt. In Ulm am Gymnasium ist er Schulsprecher. In den Auswahlmannschaf ten des DFB ist er, obwohl immer einer der Jüngsten, Spielf ührer. («Wo ich bin, ist oben»), der damals als Jugendtrainer f ür den DFB arbeitete, erinnert sich, dass Hoeness einmal vor der Abf ahrt zu einem Länderspiel nicht auf f indbar war. Man suchte das ganze Hotel ab. Sie f anden ihn in der Personalküche, wo er den Angestellten erklärte, dass sie unterbezahlt seien und sich organisieren müssten, um höhere Löhne auszuhandeln.

«Wir geben nie mehr aus, als wir einnehmen»

Als er den FC Bayern übernimmt, legt Hoeness f est, der Verein mache ab sof ort keine Schulden mehr. Sein Credo: «Wir geben nie mehr aus, als wir einnehmen.» Jeder Bankrott betrif f t Menschen. An jedem Arbeitsplatz hängt das Wohl einer Familie. Das hat er in der elterlichen Metzgerei begrif f en. Und: «Geld, Wirtschaf tlichkeit, Gewinnmachen ist wichtig, aber Nachhaltigkeit, Glaubwürdigkeit und Identif ikation sind es genauso. Der FC Bayern ist eine Familie. Wir arbeiten in einem f amiliären Umf eld. Das ist ein ganz grosser Vorteil.»

In der Familie des FC Bayern sind nach Hoeness' Willen alle gleichberechtigte Mitglieder. Es gibt einen Verhaltenskodex f ür die Prof is, der sie zu respektvollem Umgang mit dem Personal verpf lichtet. «Ich will», sagt Hoeness, «dass ein Zeugwart ein Partner ist, kein Schuhputzer.» Wenn sie Meister werden oder die Champions League gewinnen, bekommen alle Angestellten ein Monatsgehalt extra. Wenn einer seiner Angestellten, ob Zeugwart oder ehemaliger Prof i, in f inanzielle Not gerät, hilf t der Verein. Weil f ür Hoeness alle gleich sind. Wenn dem Spieler Ribéry Sex mit einer minderjährigen Prostituierten vorgeworf en wird, stellt er sich in der Presse vehement vor ihn. Wenn der Spieler Breno in Untersuchungshaf t sitzt, weil er sein Haus angezündet haben soll, scheut Hoeness nicht die Konf rontation mit der Staatsanwaltschaf t: «Wir haben eine Sorgf altspf licht f ür die Leute, die f ür uns arbeiten oder gearbeitet haben.»

So erklärt sich auch die Wutrede damals bei der Mitgliederversammlung, als einer sagte, die Atmosphäre im Stadion habe gelitten durch die vielen VIPs. Für die Allianz Arena hatte Hoeness mit seinem Grundsatz, nie die Kreditabteilung einer Bank zu betreten, gebrochen. Dann f iel der Partner des Projekts, der Zweitligist TSV 1860 München, inf olge miserabler Finanzen aus, plötzlich f ehlten 117 Millionen Euro. Und die Fans kapierten nicht, wof ür er das alles auch macht. «Damit ihr f ür sieben Euro in der Südkurve stehen könnt», rief er damals erbost, «weil wir den Leuten in den Logen das Geld aus der Tasche ziehen!» Sowas zu sagen, kann sich im deutschen Fussball keiner leisten. Nur Hoeness. Weil er authentisch ist. Weil man ihm glaubt. Es gebe auch eine Sorgf altspf licht f ür den Fan, sagt Hoeness, der Champions League sehen will und sich ein Ticket bei Chelsea in London, wo die Plätze mindestens 40 Pf und kosten, nicht leisten könne.

Alle Familie, jeder ist wichtig. Wie in der elterlichen Metzgerei, nur eben größer. So ist der FC Bayern ein Anachronismus im schnelllebigen Fussballgeschäf t geworden, in dem die Gesichter in den Führungsetagen häuf ig von Saison zu Saison wechseln.

Begrüssungsabende bei Feinkost Käfer

Und in München? Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge ist seit 1974 im Verein. Markenbeobachter ist Paul Breitner, Chef -Scout der ehemalige Prof i Wolf gang Dremmler. Abteilungsleiter der Fan- und Fanclub-Betreuung ist der f rühere Torhüter Raimond Aumann, die Fanshops betreut der f rühere Abwehrspieler Hans Pf lügler, und Gerd Müller, einst der Bomber der Nation, den Hoeness durch den Alkoholentzug begleitete, ist heute Jugend- und Amateurtrainer. Uli Hoeness braucht das, diese Nähe, diese menschliche Wärme. Deshalb auch die Geburtstagsf eiern und Begrüssungsabende f ür Spieler und Trainer bei Feinkost Käf er. Und deshalb auch das Freibier f ür die Mitglieder bei Jahreshauptversammlungen.

Natürlich kauf t der FC Bayern der heimischen Konkurrenz traditionell die besten Spieler weg, aber zugleich sanieren die sich mit den Einnahmen. Wenn die Deutsche Fussball-Liga mehr Geld f ür Übertragungsrechte aushandelt, dann liegt das auch am Unterhaltungswert des FC Bayern. 1979 gab es jährlich 50 Millionen Mark vom Fernsehen, 2011 waren es 425 Millionen Euro. Davon prof itieren alle. Wenn ein Verein vor der Insolvenz steht, wie der FC St. Pauli, dann kommt der FC Bayern mit allen Stars und bestreitet ein Benef izspiel. Und Hoeness läuf t am Millerntor herum in einem T-Shirt mit St.-Pauli-Logo und der Auf schrif t «Retter». Dabei gibt es kaum einen größeren Gegensatz im deutschen Fussball als den FC Bayern und den Kiezklub FC St. Pauli. Ganz zu schweigen von den Millionen Euro, die auf den FC Bayern und den Kiezklub FC St. Pauli. Ganz zu schweigen von den Millionen Euro, die auf Weisung des Präsidenten f ür gemeinnützige und humanitäre Zwecke gespendet werden, wozu auch alle Honorare f ür seine Vorträge gehören.

Natürlich ist seine Macht beim FC Bayern weitaus grösser als das Amt eines Präsidenten in einem Fussballverein suggerieren würde. Natürlich ist sein Streben nicht primär von christlicher Nächstenliebe geprägt, auch wenn er politisch der Christlich-Sozialen Union (CSU) nahe steht. Aber bei der CSU ist es auch nicht anders. Und er kann durchaus ungerecht sein, beleidigte Leberwurst, wenn, wie 2011 und 2012 nicht der FC Bayern Meister wird, sondern der BVB , dem Hoeness zwei Millionen Euro überwies, als der Verein vor dem Bankrott stand und seine Spielergehälter nicht mehr bezahlen konnte. Auch das Pokalf inale 2012 verloren die Münchner gegen Dortmund. 2:5. Eine Demütigung. Worauf Hoeness gif tete: «Wer kennt in China schon Dortmund?» Seinen Klub kennt die Welt. Neuerdings erscheint die vereinseigene Website auf Russisch und Arabisch.

Ego, Ehrgeiz, Erfolgsstreben

Das System Hoeness. Alles drin. Ego, Ehrgeiz, Erf olgsstreben. «Es muss Hunger da sein», sagte er einmal. Aber auch Gemeinsinn, Gerechtigkeit, soziales Gewissen. Als Vertreter der Interessen seines Vereins ist er, wie Willi Lemke von Werder Bremen es nannte, «Abteilung Attacke». Of f ensive gewinnt Spiele. Def ensive gewinnt Meisterschaf ten. Hoeness ist beides.

Deshalb hat er nach drei Jahren ohne Meisterschaf t, nach der herzzereissend ungerechten Niederlage im «Finale Dahoam» gegen Abramowitschs Söldnertruppe vom FC Chelsea einen neuen Sportdirektor verpf lichtet: . Der war 1996 Europameister mit der deutschen Auswahlmannschaf t und Europas Fussballer des Jahres. Einer, der immer dort zu f inden war, wo es weh tut, der – wie Hoeness – nicht verlieren kann. 2002 coachte Sammer (Spitzname «Motzki») Borussia Dortmund zum Meistertitel. Und Hoeness scheute sich nicht, f ür 40 Millionen Euro Javier Martinez vom FC Valencia zu kauf en. Der teuerste Transf er der Bundesliga-Geschichte. Für den Erf olg ging Hoeness diesmal auch f inanziell dorthin, wo es weh tut.

Die Investitionen scheinen sich auszuzahlen. Als die Bundesliga am 18. Januar 2013 den Spielbetrieb nach der Winterpause wieder auf nahm, lag der FC Bayern unangef ochten an der Tabellenspitze. Neun Punkte Vorsprung vor Bayer Leverkusen, zwölf Punkte vor Borussia Dortmund. Nur sieben Gegentore in den ersten 17 Ligaspielen. In der Champions League stehen die Münchner wieder im Achtelf inale und gelten neben dem FC Barcelona und Real Madrid auch in diesem Jahr wieder zu den Titelanwärtern. Trainer Heynckes sagte unlängst, noch nie in seiner Geschichte habe der FC Bayern attraktiver Fussball gespielt. Als dessen Nachf olger hat Hoeness verpf lichtet, der Barsa zur besten Vereinsmannschaf t der Welt gemacht hat. Hoeness prophezeit: «Wir werden Dortmund noch lange ärgern.» Und nicht nur Dortmund.

«Der hat doch nicht alle Tassen im Schrank»

Zurück an den Tegernsee, Herbst 2011. Später Nachmittag. 2005, erzählt Hoeness, nach dem Ausscheiden in der Champions League gegen den FC Chelsea, habe ihm in einer Boulevardzeitung «ein junger Schnösel vorwurf svoll den Rat gegeben, ich solle endlich Schulden machen, damit wir mit Chelsea mithalten können. Der Mann hat doch nicht alle Tassen im Schrank.» Als Borussia Dortmund 2000 an die Börse gegangen sei und dabei zirka 130 Millionen Euro erlöste, «hiess es, der Hoeness muss sich die als Vorbild nehmen. Diversif ikation, eigene Hotels, eine eigene Sportmarke das sei die Zukunf t. Ich musste ständig lesen, Bayern würde sich nur auf das Kerngeschäf t konzentrieren, da müsse jetzt was passieren. Wo aber ist das Hotel? Wo ist die Sportmarke? Wo sind die Börsengelder?» Der Ausgabekurs der Dortmunder Aktie lag bei elf Euro, zwischendurch sank er unter einen Euro. Erst in den letzten Jahren konnte sich der Verein durch ein Geschäf tsgebahren, das kurioserweise verdächtig an das des FC Bayern erinnert, f inanziell und sportlich wieder konsolidieren.

«Real Madrid hat Fans in der ganzen Welt, der AC Mailand auch», sagt Herbert Hainer, Vorstandsvorsitzender des Sportartikelherstellers Adidas, dessen Unternehmen 2002 bei der FC Bayern München AG 9,4 Prozent der Anteile erworben hat: «Wir würden dennoch in keinen anderen Verein investieren als in den FC Bayern.» Wenn einer wie Hainer das sage, so Hoeness, «dann macht mich das stolz». Die 77 Millionen, die ihnen Adidas damals bezahlte, haben die Bayern immer noch.

Gerhard Waldherr ist Chefreporter beim Wirtschaftsmagazin «brand eins», Hamburg.

Erfolg ist nicht steuerbar – aber beeinflussbar!

Was kann eine Universität wie die HSG aus dem Fussball-Management lernen? Eine Betrachtung von Analogien aus dem akademischen und dem f ussballerischen Kosmos. Von Dieter Euler

Bild : Hanne s Thalmann

Fussball lebt in der Gegenwart. Der Sieg von gestern ist angesichts der Niederlage von heute bedeutungslos – diese wird aber nach dem nächsten Sieg vergessen sein. Aber Fussball besitzt hinter der Fassade des f lüchtigen Entertainments viele Aspekte, die auch dem Streben einer Wissenschaf t nach Bleibendem und Stabilem gerecht werden können. Fussball bietet die Kulisse f ür angewandte Führungs-, Team-, Motivations- oder Emotionstheorien, und f ür viele gilt das Geschehen in den Stadien f ür die Sozial- und Moralentwicklung einer Nation als bedeutsamer als die Erziehung in Schule und Elternhaus. Albert Camus wird etwa das Zitat zugeschrieben: «Alles, was ich über Moral weiss, habe ich beim Fussball gelernt.» Und Fussball ist «Big Business» – nicht nur die international f ührenden Vereine sind Organisationen mit Millionenumsätzen und einer hohen Binnenkomplexität.

Ob Fussballclubs oder Universitäten – beide Organisationen wollen erf olgreich sein. Doch während sich der Erf olg eines Fussballclubs exakt an den Spielergebnissen und dem Tabellenplatz ablesen lässt, sind die Indikatoren f ür den Erf olg einer Universität weniger eindeutig. Die Gemeinsamkeiten bestehen daher nicht in der Art der Erf olgsindikatoren, sondern in den Prozessen zur Erreichung des Erf olgs: Erf olg ist nicht steuerbar ‒ aber beeinf lussbar!

«Geld schiesst keine Tore»

Auf dem Spielf eld erscheint eine solche These nicht weiter begründungspf lichtig, schliesslich kann immer nur eine Mannschaf t gewinnen. Auf der Clubebene erf ährt sie durch den zugeschriebenen Spruch «Geld schiesst keine Tore» eine erste Plausibilität. Nicht (alleine) die Budgets f ür die Spielereinkäuf e entscheiden über den Erf olg, sondern es braucht mehr als das. Ein aktuelles Beispiel ist Real Madrid mit seiner «Galácticos Strategy». Lange Zeit wurde Jahr f ür Jahr ein Megastar verpf lichtet, so beispielsweise Figo (2000), Zidane (2001), Ronaldo (2002) und Beckham (2003) – doch während der Spitzenplatz in der «Money League«» (Elberse & Dye, 2012) unangef ochten blieb, f ielen Mannschaf t und Club mehr durch Glamourstories als durch sportlichen Erf olg auf . Seit 2001 waren die «Galaktischen» nicht mehr im Endspiel der Champions League, während Erzrivale FC Barcelona in dieser Zeit den Wettbewerb dreimal gewann. Ähnlich ging es dem englischen Club Chelsea London, der 2003 vom russischen Milliardär Roman Abramowitsch gekauf t wurde. Dieser investierte zwischen 2003 und 2011 etwa eine Milliarde US-Dollar in neue Spieler, verpf lichtete Startrainer Mourinho und beschäf tigte phasenweise weltweit mehr als 50 Scouts f ür die Sichtung neuer Spieler. Dennoch bleibt den Chelsea- Fans ein Wechselbad der Gef ühle nicht erspart, zuletzt in der lauf enden Saison. Nach dem Champions- League-Sieg im vergangenen Jahr kam in dieser Saison das vorzeitige Aus bereits in den Gruppenspielen – Geld (allein) schiesst eben keine Tore!

Helden- und Erfolgsgeschichten

Erf olg ist beeinf lussbar, aber wie? Wolf gang Jenewein (2008) untersucht diese Frage auf der Folie von Führungstheorien. Für ihn ist die konsequente Umsetzung einer transf ormationalen Führung unter Jürgen Klinsmann eine wesentliche Erklärung f ür den Erf olg der deutschen Nationalmannschaf t bei der Fussball- WM 2006. Aber auch dieses Führungskonzept f unktionierte of f ensichtlich nicht kontextlos – als Vereinstrainer bei Bayern München wurde er vor Ablauf seiner ersten Saison entlassen. Im Fussball öf f net sich beim Thema Führung ein weites Feld von Helden- und Erf olgsgeschichten, die sich teils amüsant, teils aber auch recht naiv über die Prinzipien und Stile von Trainern, Managern und Präsidenten auslassen.

Der holländische Trainer («Der General») sprach seine Spieler mit ihrer Rückennummer an, um zu signalisieren, dass jeder ersetzbar ist. Dies erinnert an Jack Walsh, der als Vorstandsvorsitzender bei General Electric daf ür sorgte, dass in der Vorstandsetage stets ein Büro leer stand, um zu demonstrieren, dass bei GE niemand einen ständigen Posten hat (Sennett, 2012, 218). Max Merkel war bekannt f ür seinen beissenden Sarkasmus («lieber 10 Minuten Maradona beim Autowaschen zuschauen als 90 Minuten Pf lügler auf dem Fussballplatz»). Manager Michael Meier f asste sein Erf olgsrezept in den Satz: «Ein schlechter Manager macht immer dieselben Fehler, ein guter immer neue». Und Trapattoni war sich durchaus den Grenzen seines Tuns bewusst, als er abseits seiner legendären Wutrede («Ich habe f ertig») besonnen bemerkte: «Ein guter Trainer kann ein Team nur 10 Prozent besser machen. Aber ein schlechter Trainer macht ein Team 50 Prozent schlechter».

Alex Ferguson, seit mehr als 26 Jahren Manager beim englischen Top-Club Manchester United (ManU), sieht eines seiner Erf olgsgeheimnisse in dem Prinzip, die Stärken seiner Spieler zu stärken und mit deren Schwächen zu leben. So verteidigte er einen Spieler, der wiederholt vom Platz gestellt worden war mit dem Hinweis, dass man ihm seiner Stärken berauben würde, wenn man ihm die aggressive Spielweise austreibe. Er meinte den f ranzösischen Nationalspieler Eric Cantona, den er 1992 überraschend f ür ManU verpf lichtet hatte. Cantona war einerseits Publikumsliebling, andererseits hatte er seine Emotionen selten unter Kontrolle (man sagte ihm nach, er könne selbst in einer leeren Telef onzelle einen Streit anf angen).

Das Individuum im Kollektiv

In eine ähnliche Richtung gehen die Erf olgsrezepte zur Teamphilosophie. Wie gelingt es in einem Team beziehungsweise einer Organisation, die individuellen Stärken in den Dienst des Ganzen zu stellen? Wie wirkt sich der Wettbewerb in der Mannschaf t auf das Teamverhalten aus – blüht nicht gerade im Fussball die Teamparadoxie, nach der ein Einzelner im Team besser sein muss als die anderen? Zu diesen Fragen bieten die grossen Clubs unterschiedliche Antworten. Es war bereits die Rede von den «Galaktischen» bei Real Madrid. Der Personenkult und eine damit verbundene Divenmentalität werden dort immer wieder neu belebt (vgl. Martinez-Jerez & Martinez de Albornoz, 2006). Vereinspräsidenten treten zur Wahl mit dem Versprechen an, einen neuen Megastar zu verpf lichten. Anders beim Intimf eind Barcelona (vgl. Davila & Foster, 2007). Auch dort spielen Stars, doch kommen die meisten von ihnen (zum Beispiel Messi, Iniesta, Xavi, Puyol, Fàbregas) aus der vereinseigenen Nachwuchsakademie «La Masia», die 1979 von Johan Cruyf f nach dem Muster von Ajax Amsterdam gegründet wurde. Das Modell wurde von vielen Clubs auf genommen. Vereinf acht liesse sich das «Make-or-Buy»-Modell nicht nur in der Rivalität Madrid vs. Barcelona, sondern auf der Insel auch im Kontrast ManU vs. Chelsea veranschaulichen. Teamtheoretisch lassen sich die Ef f ekte der beiden Modelle schnell erklären: Wenn Teams f rüh reif en können, dann zeigt sich dies in einer Kohäsion, die über die Ansammlung von Stars nur begrenzt zu erwarten ist.

Die Teamentwicklung beziehungsweise das Commitment von Individuen f ür ein Kollektiv ist gerade in Hochleistungsorganisationen, denen auf grund des kontinuierlichen Erf olgsdrucks wenig Zeit f ür die Teamintegration zur Verf ügung steht, eine zentrale Herausf orderung. Clubs wie Barcelona oder ManU versuchen das Problem zum einen dadurch zu lösen, dass sie in eine systematische Nachwuchsarbeit investieren und die besten Nachwuchsspieler behutsam in die Prof imannschaf t integrieren. Zum anderen wird eine Entwicklung innerhalb der Hochleistungsteams angestrebt, die vom Gegeneinander über das Miteinander zum Füreinander reicht. Dabei wird jeder Individualismus toleriert, solange er das Team stärkt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Vergleiche zwischen den Teammitgliedern möglichst vermieden werden, da jeder in seinem Kontext wirkt. Die Leistung eines Torwarts mit der eines Stürmers zu vergleichen ist ebenso unsinnig wie die Frage, ob Roger Federer oder Usain Bolt die besseren Sportler sind. Die Analogie zur Universität ist auch hier nicht f ern, wie Alf red Kieser in seiner Mannheimer Abschiedsvorlesung hervorhob: «Rankings von Wissenschaf tlern verschiedener Disziplinen und selbst von Wissenschaf tlern einer Disziplin, die unterschiedliche Fragestellungen mit unterschiedlichen Ansätzen und Methoden verf olgen, sind unsinnig.»

«Die schwachen Fesseln sind die starken»

Das Spannungsf eld von Einzel- und Teamleistung in Organisationen ist eng verbunden mit dem Motivationskonzept. Auch hier f lorieren die Erf olgsgeschichten der Trainer und Manager, aber auch die populistischen Erklärungen, wenn der Erf olg ausbleibt. Misserf olg begründet sich in den Augen der Fans durch Söldnermentalitäten, und er wird häuf ig nicht mehr nur durch Pf eif konzerte in den Stadien, sondern durch kreative und teilweise auch f ragwürdige Praktiken quittiert. Eine kreative Reaktion stellt etwa das Verhalten von Fans im Stadion dar, den Spielern geschlossen den Rücken zu kehren, wenn diese nach dem Spiel zur Fankurve kommen. Nicht tolerierbar sind sicherlich martialische Sprüche mit Todesdrohungen an den Clubheimen oder das Auf lauern und Belästigen von Spielern ausserhalb des Fussballplatzes. Wie in anderen Managementbereichen, so mangelt es bei der Beurteilung der Motivationslage von Menschen an der Möglichkeit einer klaren Kausalitätszuschreibung. Bezogen auf die besagte Söldnermentalität liesse sich etwa vermuten, dass Motive des Kommens häuf ig auch solche des Gehens sind: Wer (primär) f ür Geld kommt, der geht f ür mehr Geld. Fehlen weitere Motivationsquellen, dann besteht die Gef ahr der negativen Selektion: Es gehen die Hochleister, weil sie anderswo mehr bekommen, es bleiben die Schwachleister, weil sie anderswo nicht mehr bekommen. Vermutlich entscheiden dann nicht das Geld, sondern immaterielle Faktoren. Ferguson von ManU sieht seine Auf gabe nicht zuletzt darin, den Spielern Freiräume f ür die Entf altung ihrer Stärken zu schaf f en. Sprenger (2008, 143) hat dieses Prinzip als «Bindung durch Loslassen» bezeichnet: «Die schwachen Fesseln sind die starken. Starke Fesseln erzeugen hingegen das Gegenteil: Was man f esthält, sucht das Weite.» Die Analogie zur Universität erf ordert keine Erläuterung.

Ein Effekt des «dynamischen Stillstands»

Ein letzter interessanter Bereich mit Analogiepotenzial sei nur noch kurz gestreif t. So vollzieht sich im Fussball seit Jahren ein Prozess der Prof essionalisierung, Kommerzialisierung und Internationalisierung. Vor jeder Saison brechen die grossen Clubs in die Kontinente zu Freundschaf tsspielen auf , um dort den Markt zu bearbeiten. Sie verpf lichten Spieler aus Asien, Amerika oder Af rika, um in deren Herkunf tsländern die Identif ikation mit dem Verein zu stärken, was sich schliesslich über verteuerte Fernsehrechte, verkauf te Trikots, erhöhte Sponsoreneinnahmen und neugegründete Fanclubs wieder amortisiert. Während f rüher das Management in den Vereinen überschaubar blieb, beschäf tigen die grossen Clubs neben Chef -, Torwart-, Freistoss-, Konditions-, Taktiktrainern einen Stab aus Managern, Psychologen, Medizinern, Pressesprechern und anderen mehr. Die Stadien sind nach den Sponsoren benannt, und es ist vermutlich eine Frage der Zeit, bis auch Eckf ahne und Elf meterpunkt die Namen der Geldgeber tragen. Als Analogie zur Universität zu weit gegrif f en? Denken Sie an die Hörsäle oder Lehrstühle nicht nur in Harvard, die schon heute auf die Namen der Spender verweisen. Oder an das sich ausdif f erenzierende Management an den Universitäten – ganz zu schweigen von dem Einzug der Bildungsökonomie in die Tempel der Erkenntnis. Aber auch im Fussball wie an den Universitäten zeigt sich ein Ef f ekt des «dynamischen Stillstands»: Alle lauf en immer schneller, um auf dem Lauf enden zu bleiben – ohne dass sich die relative Position eines Akteurs dadurch verbessert. Wenn sich alle auf der Tribüne von ihrem Sitzplatz erheben, dann sieht letztlich keiner besser als vorher!

Prof. Dr. Dieter Euler studierte Betriebswirtschafslehre, Wirtschaftspädagogik und Sozialphilosophie in Trier, Köln und London. Seit Oktober 2000 ist er Inhaber des Lehrstuhls für «Educational Management» an der Universität St.Gallen.

Quellen: Davila, A. & Foster, G. (2007). Fútbol Club Barcelona: Globalization Opportunities. Stanford Case SPM-33. Elberse, A. & Dye, T. (2012). Sir Alex Ferguson: Managing Manchester United. HBS case 9-513-051. Elberse, A. & Quelch, J. (2008). Real Madrid Club de Fútbol in 2007: Beyond the Galácticos. HBS Case 9- 508-060. Jenewein, W. (2008). Das Klinsmann-Projekt. Harvard Business Manager. Juni 2008. Martinez-Jerez, F.A. & Martinez de Albornoz, R. (2006). Hala Madrid : Managing Real Madrid Club de Fútbol, the Team of the Century. HBS Case 9-105-013. Sennett, R. (2012). Zusammenarbeit. Hanser: München. Sprenger, R. (2008). Gut aufgestellt. Fußballstrategien für Manager. Campus: Frankfurt.

Macher und Marke dank S-C-H-A-L-K-E

Borussia Dortmunds Meistertrainer Jürgen Klopp erwarb sich im Gegensatz zu Persönlichkeiten wie oder Günter Netzer seinen Marken- und Macherstatus nicht bereits als Spieler, sondern primär in seinen Rollen als Fernsehexperte und Trainer. Von Matthias Brauer

Gebündeltes Temperament an der Seitenlinie: Jürgen Klopp. Bild : Ke ysto ne /Patrick Se e g e r

Während man den ehemaligen Trainer des FC Bayern München, Louis van Gaal, abseits des Fussballplatzes als «Feierbiest» bezeichnete, kann man Jürgen Klopp als «Werbebiest» bezeichnen. Von Werbeagenturen wird er als einer der teuersten Marken im deutschen Sport bewertet. Jürgen Klopp machte Werbung f ür Autos, Brillen, Schirmmützen, Schokoladenriegel, Tapetenkleister und Zwieback. Und leider ungewollt auch indirekt f ür Bunga-Bunga-Partys, indem er einen Werbevertrag mit einer grossen deutschen Versicherungsgruppe abschloss, deren Mitarbeitern vorgeworf en wurde, eine Lustreise nach Bulgarien unternommen zu haben, bei der nach Angaben des «Handelsblatts» eine Therme in ein Freiluf tbordell verwandelt worden sei. Das f rühere Statement der Versicherung, Jürgen Klopp zu engagieren, weil er wie kein anderer f ür die zentralen Werte der Versicherung «Leistung, Respekt, Verantwortung und Spass» stehe, bekam durch die Af f äre eine bizarre Note. Im Weiteren f ungiert Jürgen Klopp als Fair-Trade-Botschaf ter. Man stellt sich also die Frage, ob es überhaupt Produktbereiche gibt, auf die sich das Markenimage des Jürgen Klopp nicht ausweiten lässt.

Unternimmt man einmal den Versuch, die Marken- und Macherqualitäten von Jürgen Klopp zu analysieren, stösst man darauf , dass sich die wesentlichen Eigenschaf ten und Gründe f ür seinen Marken- und Machererf olg in dem aus Sicht der Dortmunder Anhängerschaf t durchaus ambivalent besetzten Akronym S-C-H-A-L-K-E zusammenf assen lassen. Die Anhängerschaf ten von Schalke 04 und Borussia Dortmund verbindet die etwa seit den 1970er-Jahren gepf legte gegenseitige Abneigung. Auf beiden Seiten nimmt man nicht einmal den Namen des Konkurrenten in den Mund. Dortmund wird somit zu «Lüdenscheid- Nord», und aus Schalke wird «Herne-West». Der geneigte Borussia-Dortmund-Fan wird dennoch gebeten weiterzulesen.

S-C-H-A-L-K-E beschreibt in diesem Fall nämlich die f olgenden Eigenschaf ten von Jürgen Klopp:

Sympathisch

Charismatisch Humorvoll

Authentisch

Langf ristorientiert

Kompetent

Emotional

Sympathisch, charismatisch, humorvoll

Jürgen Klopp kommentierte seine Rolle als Sympathieträger einmal wie f olgt: «Of f enbar bin ich nicht wirklich unsympathisch, diesen Eindruck habe ich durchaus auch gewonnen». Diese Antwort of f enbart eine der Qualitäten der Führungspersönlichkeit Klopp; das positive Markenimage von Jürgen Klopp hat viel mit seinem Humor und seinem Hang zur Selbstironie zu tun. Er gilt als der beliebteste Schwabe im Ruhrgebiet, auf grund seiner pointensicheren Art wurde er scherzhaf ter Weise als Nachf olger von Thomas Gottschalk bei «Wetten, dass..?» gehandelt und die Wochenzeitschrif t «Die Zeit» erteilte ihm nach dem Gewinn der Meisterschaf t das zweif elhaf te Lob, dass Jürgen Klopp jetzt beliebter wäre als Günter Jauch. Zudem tätowieren Fans sich das Gesicht von Jürgen Klopp auf den Körper – etwas, was man vorher nur von Harley Davidson kannte.

Es stellt sich also die Frage, was die Gemeinsamkeiten zwischen der Marke Jürgen Klopp und Harley Davidson sind? Ohne Zweif el neigen beide zu zum Teil lärmigen (Wut-)Ausbrüchen. Doch wie auch bei Harley Davidson, scheint es im Fall von Jürgen Klopp vor allem die Identif ikation mit Verein und Auf gaben sowie seine Qualität zur Identitätsstif tung zu sein, die ihm hohe Sympathien einbringt. Kaum ein anderer Trainer scheint sich so mit seinen Clubs zu identif izieren wie Jürgen Klopp. Er prägte den «Karnevalsverein» Mainz 05 und nun Borussia Dortmund.

Identität schaf f t Jürgen Klopp scheinbar vor allem durch ein klares normatives Fundament – eine gemeinsame Wertebasis, auf die sich jeder beruf en, aber vor allem auch auf der jeder in die Pf licht genommen werden kann. Beispielhaf t daf ür ist das Poster an der Baracke am Dortmunder Trainingsgelände, welches mit dem Titel «Das Versprechen» überschrieben ist. Darunter sind die Dinge auf gelistet, die man sich mannschaf tsintern gegenseitig versprochen hat: «Bedingungsloser Einsatz», «Leidenschaf tliche Besessenheit», «Zielstrebigkeit unabhängig von jedem Spielverlauf », «Jeden zu unterstützen», «Sich helf en zu lassen», «Jeder stellt seine Qualität zu 100 Prozent in den Dienst der Mannschaf t» und «Jeder übernimmt Verantwortung.» Dieses «Value Statement» wurde von allen Spielern und dem Trainer unterzeichnet. Der BVB-Sportdirektor Michael Zorc beschrieb Jürgen Klopp auf grund seiner Fähigkeit, Teamgeist zu beschwören und Identif ikation zu stif ten, daher einmal als «Menschenf änger» im positiven Sinne.

Trotz aller Selbstironie und seiner humorigen Art strahlt Jürgen Klopp aber gleichzeitig Autorität aus. In der klassischen Leadership-Literatur werden die Führungsstile von Managern in der Regel immer noch entlang eines Kontinuums beschrieben, was in der Regel von autokratischer Führung bis hin zur delegativen Führung reicht. Im Fall von Jürgen Klopp scheint es aber vielmehr das Wechselspiel von Autorität und «Kumpelhaf tigkeit» entlang des Führungsstilkontinuums zu sein, welches seinen Führungserf olg begründet. Viele sehen in Jürgen Klopp daher die moderne Führungspersönlichkeit, die zeigt, dass Einf ühlungsvermögen und Autorität keine Widersprüche sind. Er gilt als Kumpel und Feldherr zugleich. Das Magazin der Süddeutschen Zeitung schrieb daher einmal tref f end: «Klopps Macht kommt mit einem Lächeln daher».

Authentisch

Authentizität gilt in der Leadership-Forschung als der zentrale Erklärungsf aktor von Führungserf olg. So ist es nicht verwunderlich, dass auch im Fall von Jürgen Klopp dessen Authentizität als wesentliches Erf olgsmerkmal hervorsticht. In seinen Darstellungen, Analysen und letztlich auch in seinen rumpelstilzchenartigen Emotionsausbrüchen wirkt er authentisch. Gestik, Mimik und Sprache, das sogenannte «Kloppo-Deutsch» mit Kernvokabeln wie «Vollgas», «überragend» und «Truppe», erzeugen die besondere Mischung aus bodenständiger, humorvoller und gleichzeitig analytisch sinnvoller Darstellung. Jürgen Klopp verkauf t sich selbst als «Speerspitze von Otto Normalverbraucher» und unterstreicht dies durch markige Sprüche, unprätentiöses Auf treten und lässiges Outf it, was ihm nach eigener Aussage Ehef rau Gabi am Vorabend rausgelegt hat, um «auf der sicheren Seite zu sein». Jürgen Klopp erdet sich damit selber und scheint mit dieser Art den gef ragten Mix von Volksnähe, Leistung, Verantwortung und Humorhaf tigkeit zu verkörpern.

Langfristorientiert

Der sportliche Erf olg von Jürgen Klopp war nicht linear. Nachdem er mit Mainz 05 in den Jahren 2002 und 2003 jeweils als Tabellenvierter der 2. Bundesliga den Auf stieg in die 1. Bundesliga knapp verpasst hatte, verdiente er sich vorerst nur den Titel des «besten Nichtauf steigers aller Zeiten». Nach dem gelungenen Auf stieg mit Mainz in die 1. Bundesliga im Jahr 2004 und einer erf olgreichen Spielzeit 2005/06, in der man sogar im UEFA-Pokal-Wettbewerb vertreten war, stieg Jürgen Klopp mit Mainz 05 aber dann auch wieder in die 2. Bundesliga ab. Bei seiner langjährigen Trainerstation in Mainz war es daher wohl weniger der sof ortige, schnelle Erf olg, sondern vielmehr «die Kunst des stilvollen Scheiterns und Sich-wieder- Berappelns», die Jürgen Klopp zu einer Kultf igur werden liessen.

Bei Mainz 05 operierte Jürgen Klopp mit einem im Vergleich mit anderen Bundesligisten unterdurchschnittlichen Gesamtetat. Die Transf ersituation bei Mainz 05 umschrieb er einmal wie f olgt: «Wir sind immer noch darauf angewiesen, die Spieler anzuruf en. Und wenn wir deren Beratern dann ein Angebot machen, denken die immer, wir wollten sie veräppeln.» Auch bei den hochverschuldeten Dortmundern lag der Etat von Klopp in der Meistersaison bei vergleichsweise niedrigen 35 Millionen Euro. Langf ristiges Denken – vielleicht auch teilweise erzwungen durch die f inanziell angeschlagene Situation von Borussia Dortmund – spiegelt sich in der Mannschaf tsstruktur und verf olgten Transf erpolitik wider. Jürgen Klopp setzte zu Beginn seiner Amtszeit mit Mats Hummels und Neven Subotic (damals beide 19) das jüngste Manndecker-Paar der Bundesliga-Historie ein. Mit Kevin Grosskreutz, Marcel Schmelzer, Mario Götze und Sven Bender setzte er konsequent auf Jungprof is. In der zweiten und dritten Saison unter Jürgen Klopp bei Borussia Dortmund standen bis zu sechs Prof is in der Startelf , die 21 Jahre oder jünger waren.

Diese Langf ristigkeit zahlt sich aus. Sie ist jedoch nicht ausschliesslich Jürgen Klopp zuzuschreiben, sondern auch der jeweiligen Vereinsf ührung; sie muss den Kontext schaf f en, um die Umsetzung langf ristiger Vorstellungen trotz vermeintlicher Rückschläge zu ermöglichen. Von daher zeichnet Klopp wohl auch die Fähigkeit aus, gegenüber den Vertretern der jeweiligen Vereinsf ührung Vertrauen in seine Person zu schaf f en. Die wichtigsten Erf olgsbausteine der Dortmunder Mannschaf t sind damit wohl die jugendliche Begeisterungsf ähigkeit, der Teamgeist, die geringere Verletzungsanf älligkeit und hohe Fitness gepaart mit spielerischem Talent und taktischer Disziplin.

Die Vision und der Wille, etwas Langf ristiges auf zubauen sowie die Bereitschaf t, sich auf langf ristiges Denken im kurzf ristig getriebenen Fussballgeschäf t einzulassen, scheint somit ein weiterer wichtiger Erklärungsf aktor f ür den Marken- und Machererf olg von Jürgen Klopp zu sein.

Kompetent

Wie darf jemand, der nicht dreif acher Weltmeister war, versuchen, den deutschen Fussball zu erklären, und wird dann auch noch zum besten Sportexperten gewählt? Sympathie f ür Jürgen Klopp entstand nicht allein auf grund seiner Qualitäten als medienkompatibler Entertainer, sondern auch auf grund des Nachweises von Sachkompetenz. Seine Kritik bringt er als Fernsehexperte stets dosiert, aber dennoch f undiert an. Den Eindruck von Kompetenz erweckt Klopp zudem dadurch, dass er stets unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass er in seiner Arbeit als Fernsehexperte nicht ad-hoc angelesenes Wissen und vorab zurecht gelegte Analysen bemüht, sondern sich schlicht auf seine f undierte, über Jahre gewachsene Expertise als «Branchenkenner» verlassen kann.

Als Trainer wird Jürgen Klopp entsprechend seiner analytischen Kompetenz und modernen Fussballauf f assung nicht ausschliesslich in die Kategorie «Motivator» gesteckt, sondern gilt als Konzepttrainer. Seine Sachkompetenz zeigte sich auch darin, die Stärken des jungen Kaders bei Borussia Dortmund zu erkennen, die anf angs vor allem in der Leistungsf ähigkeit lag, die dann in eine moderne Philosophie Fussball zu spielen umgesetzt wurde. Diese Form von Tempof ussball setzt auf Philosophie Fussball zu spielen umgesetzt wurde. Diese Form von Tempof ussball setzt auf Komponenten wie gepf legtes Kurzpassspiel, ballorientiertes Verteidigen und schnelles Umschalten zwischen Angrif f und Verteidigung.

Emotional

Jürgen Klopp propagiert Erlebnisf ussball mit viel Emotion, Leidenschaf t und Willen auf der Basis hoher Lauf bereitschaf t und taktischer Disziplin. Er verspricht «Vollgas-Veranstaltungen» und drückte dies einmal wie f olgt aus: «Wenn die Zuschauer Emotionen wollen, du aber Rasenschach anbietest, muss sich einer von beiden ein neues Stadion suchen. 60’000 Dortmunder wollen nicht daumendrehend, dasitzen und ein Fussballspiel erleben. Die wollen Leidenschaf t!» Die Verkörperung und der bewusste Einsatz von Emotionen hat nicht nur spielerisch, sondern auch wirtschaf tlich Wirkung gezeigt. Auf der einen Seite brachten Jürgen Klopp seine Negativemotionen gegenüber Schiedsrichtern und Of f iziellen einige Geldstraf en ein (insgesamt etwa 50‘000 Euro). Auf der anderen Seite erwirtschaf tete Borussia Dortmund in der Meistersaison einen Rekordgewinn. Der Konzern erzielte im Geschäf tsjahr 2010/11 einen Überschuss von 5,4 Millionen Euro bei einem Umsatz von 151,5 Millionen. Zudem konnte man in allen wichtigen Segmenten die Einnahmen steigern. In Vergleich zur Spielzeit 2009/2010 nahm der Konzern im Bereich Werbung und Sponsoring sowie in der Fernsehvermarktung jeweils 11 Millionen Euro mehr ein. Im Spielbetrieb kamen 4,3 Millionen und im Merchandising 5,7 Millionen hinzu. Grösster Einkommensblock war die Werbung, rund 50 Millionen f lossen dadurch insgesamt in die Kassen. Rund 13 Millionen Euro gab es an Transf ererlösen. Der Schuldenberg von 59 Millionen reduzierte sich damit um 3 Millionen. Hinzu kommt, dass die Mannschaf t mit 19 Millionen Euro «Anlagevermögen» relativ konservativ bewertet ist. Auf dem Transf ermarkt schätzt man den Wert des Teams im dreistelligen Millionenbereich ein. Lediglich die BVB Aktie, die im Jahr 2000 zu einem Ausgabepreis von 11 Euro auf den Markt gebracht wurde und heute bei einem Bruchteil notiert, gilt immer noch als der teuerste Fanartikel der Liga.

Abschliessend stellt sich die Frage, inwieweit die Gründe des Erf olgs von Jürgen Klopp auch gleichzeitig auf die Grenzen seines Erf olgs hindeuten. Wie angesprochen, erscheint das positive Markenimage und der Führungserf olg eng mit seiner Führungsstil-Mélange aus Kumpel und Feldherr, seiner Betonung kollektiver, langf ristiger Werte und seiner Emotionalität und Authentizität verbunden zu sein, die sich aus seiner Gestik, Mimik und Sprache ergibt. Die Grenzen der Marke und des Machers scheinen daher auf Kontexte begrenzt zu sein, in denen diese Verhaltensweisen sowohl umsetzbar als auch wirklich authentisch erscheinen. Das Image als «Lust-Malocher» mit lockerem «Kloppo-Slang» und f uchtelnder «Kloppo-Faust» passen ideal zu einem Verein wie Borussia Dortmund, in dem man Wert darauf legt, dass Fussball «gearbeitet» wird und bei dem man nach Aussage von Jürgen Klopp selbst nichts Ehrenrühriges darin sieht, f ür den Erf olg etwas härter arbeiten zu müssen als andere. Es wird daher interessant zu verf olgen sein, ob bei einem ausländischen Verein oder auch bei einem anders gearteten Verein wie etwa dem FC Bayern München, der bereits an Klopp interessiert war, sich dann aber f ür Jürgen Klinsmann als Trainer entschied, der Marken- und Macheref f ekt von Jürgen Klopp sich ähnlich einstellen beziehungsweise f ortbestehen wird.

Matthias Brauer ist Assistenzprofessor für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung des Strategischen Managements. Er arbeitet am Institut für Betriebswirtschaft (IfB-HSG) der Universität St.Gallen.

«Ruhe bewahren!»

Es ist ein schwieriges Unterf angen, einen Schweizer Prof i-Fussballclub sowohl sportlich als auch f inanziell erf olgreich zu f ühren. Der FC St.Gallen hat das in seiner 134-jährigen Geschichte nur allzu of t erf ahren müssen. Die gegenwärtige Vereinsf ührung bemüht sich, den Ostschweizer Traditionsclub auf einem stabileren Kurs zu etablieren. Interview mit Präsident Dölf Früh.

Dolf Früh, Verwaltungsrats-Präsident des FC St.Gallen. Bild e r: St.Galle r Tag b latt (Urs Buche r, Urs Jaud as, Re to Martin)

Herr Früh, haben Sie es je bereut, dass Sie Präsident des FC St.Gallen geworden sind? Dölf Früh:Nein. Für einen Verein zu arbeiten, der über eine solch starke regionale Bedeutung verf ügt, ist f ür alle Beteiligten nicht nur eine grosse, sondern auch eine schöne Herausf orderung.

Was haben Sie als Präsident eines Schweizer Profi-Fussballvereins bisher als grösste Management- Herausforderungen erlebt? Früh:Ruhe zu bewahren! Es ist entscheidend, sich nicht von der Hektik und Emotionalität anstecken zu lassen, welche im Fussball-Business herrschen. Übergeordnetes Ziel ist, den Verein als wirtschaf tlich f unktionierendes und erf olgreiches Unternehmen zu f ühren.

Sie sind ein erfolgreicher Unternehmer. Inwiefern ist es anders, einen Fussballverein zu führen als ein herkömmliches Unternehmen? Früh:Vieles ist sowohl im Sport wie in der Wirtschaf t gleich. Man braucht die richtige Strategie, die richtigen Führungsleute und muss die Mitarbeitenden zu einem f unktionierenden Team zusammenf ügen. Es gilt, die Marktsituation richtig zu beurteilen, neue Geschäf tsf elder zu erschliessen und Produkte zu lief ern, die nachgef ragt werden. Hinzu kommt natürlich die Unwägbarkeit des sportlichen Erf olgs. Das bedeutet, dass wir im Gegensatz zur Wirtschaf t viel schneller ein Fazit ziehen. Nicht erst quartals- oder jahresweise, sondern nach jedem Spiel.

Unterscheidet sich der FC St.Gallen in seinem Management von anderen Schweizer Vereinen wie zum Beispiel dem FC Basel oder dem FC Zürich? Früh:Die zur Verf ügung stehenden f inanziellen Ressourcen haben einen nachweislichen Einf luss auf den sportlichen Erf olg – auch wenn dieser nicht exakt planbar ist. Hier gibt es natürlich grosse Unterschiede. Für einen Club mit beschränkten f inanziellen Mitteln – und dazu zählt der FC St.Gallen wie viele andere auch – kommt einer umsichtigen Führung grosse Bedeutung zu. Langf ristig erf olgreich ist nur, wer Kontinuität schaf f t. Das gilt bei der Besetzung von Führungspositionen wie bei der Zusammensetzung der sportlichen Teams.

Können Schweizer Vereine in ihrem Management zum Beispiel von Bundesliga-Vereinen lernen oder lässt sich das nicht vergleichen? Früh:Von erf olgreichen Unternehmen kann man immer lernen. Was die Prof essionalität der Marktbearbeitung betrif f t, gibt es in Deutschland einige sehr gute Beispiele. Man darf aber nicht vergessen, dass sich die Bundesliga in einem ganz anderen Markt präsentiert. Nehmen Sie als Beispiel den Bereich Social Media: Bei Borussia Dortmund arbeiten allein daf ür über 30 Personen. Das sind ganz andere Dimensionen.

Die letzten zwölf Schweizer Meistertitel gingen allesamt an Vereine aus Basel und Zürich. Kann der FC St.Gallen mit solchen Clubs, die in wirtschaftlich wesentlich stärkeren Regionen zu Hause sind, langfristig überhaupt mithalten? Früh:Ich bin überzeugt, dass der FC St.Gallen nachhaltig eine gute Rolle im Schweizer Fussball spielen wird. Wir entwickeln uns Schritt f ür Schritt. Unser Ziel ist es, uns sportlich in der Super League zu etablieren und als f inanziell solides Unternehmen erf olgreich zu wirtschaf ten.

Ist es in der Schweizer Fussballliga überhaupt möglich, einen Spitzenverein zu betreiben, ohne dass ein Mäzen oder eine Mäzenin reichlich Geld einschiesst? Früh:Es muss möglich sein. Voraussetzung sind prof essionelle Strukturen, die ein solides Wirtschaf ten ermöglichen. Langf ristig kann ein Verein nur dann f unktionieren, wenn nachhaltig gearbeitet wird. Das heisst, Ziele und Ausgaben müssen sich nach den Einnahmen richten.

Wie ist der FC St.Gallen bezüglich wirtschaftlicher Rentabilität unterwegs? Und wie sind die Entwicklungsperspektiven? Der Verein hat ja in seiner Geschichte immer wieder existenzbedrohende Situationen aus finanziellen Gründen erlebt. Früh:Wir werden in dieser Saison eine schwarze Zahl schreiben. Das ist ein schöner Erf olg, doch dürf en wir uns nicht ausruhen. Wenn wir unsere Auf gaben richtig machen, verf ügen wir über sehr gute Perspektiven. Wir müssen die direkte Abhängigkeit vom Sport weiter verringern, indem wir neue Produkte lancieren und beispielsweise die AFG Arena besser vermarkten. Entscheidend ist, unser Marktgebiet noch gezielter zu bearbeiten. Dieses umf asst die gesamte Ostschweiz und bietet damit ein enormes Potential. Wichtig ist: Wir sind auf dem richtigen Weg.

Zusammengefasst: Was sind die Schlüsselfaktoren, damit der FC St.Gallen langfristig ein Spitzenclub in der Schweiz bleibt und das sportliche und finanzielle Wellenbad vergangener Jahre definitiv Geschichte ist? Früh:Wir dürf en uns nicht von der Hektik rundherum anstecken lassen und müssen im Unternehmen weiterhin ruhig und konzentriert arbeiten. Indem wir unsere Einnahmemöglichkeiten mit den erwähnten Massnahmen erhöhen, steigern wir die Rentabilität und haben mehr Mittel, welche wir dem Sport zur Verf ügung stellen können. Eine Schlüsselrolle trägt die Nachwuchsf örderung «FutureChampsOstschweiz». Zusammen mit unseren Partnern investieren wir bewusst viel Zeit und Geld in die Ausbildung der jungen Talente der Region. Dadurch erzielen wir auch eine hohe Breitenwirkung, was zur Festigung der Marke FC St.Gallen f ührt. Und damit schaf f en wir gute Voraussetzungen, den FC St.Gallen sowohl wirtschaf tlich wie auch sportlich zu etablieren.

Interview: Jürg Roggenbauch

Würden mehr Frauen dem Fussball-Management gut tun?

Einige wenige Frauen können das Spiel in der Regel noch nicht massgeblich verändern. Das gilt nicht nur f ür den Fussball, sondern auch sonst f ür die Wirtschaf t. Von Gudrun Sander

Bild : Ke ysto ne /Hanno Ke p p e l

Fussball ist eine Männerdomäne, das wird niemand bestreiten. Auf dem Rasen, im Fussball-Management, bei den Eigentümern und Sponsoren – die Herren sind weitgehend unter sich. Es ist aus wirtschaf tlicher Sicht ein internationales Milliardenrad, das gedreht wird, mit Heldeninszenierungen und Skandalen, die mit jedem globalen Imperium einhergehen. Würde es einen Unterschied machen, wenn mehr Frauen im Fussball-Management aktiv wären? Die Frage ist nicht einf ach zu beantworten. Vermutlich wäre es ein anderes Spiel.

Einige wenige Frauen machen noch keinen Unterschied

Wie auch sonst in der Wirtschaf t, ist es f ür einzelne wenige Frauen schwierig, das Spiel massgeblich zu verändern. Meistens sind die wenigen Frauen in solchen Männerdomänen gezwungen, sich der vorherrschenden, auf männliche Bedürf nisse ausgerichteten Kultur und den tradierten Spielregeln anzupassen. Es kommt nicht selten vor, dass sie dann besser «spielen» als manch männlicher Kollege. Aber sie spielen das gleiche Spiel mit, ohne grosse Veränderungswirkung. Sie sind im Gegenteil einem starken Anpassungsdruck ausgesetzt. Sie sind unter hoher Auf merksamkeit (Token-Phänomen), weil sie als einzige Frau gleichzeitig auch immer f ür ihr Geschlecht stehen (Geschlechterrollen-Spillover-Ef f ekt «typisch Frau»). Insof ern sind sie permanent mit sogenannten Double-Bind-Messages konf rontiert: «Sei gleich wie wir, du bist ja in einer Management-Position wie wir (Männer), sei anders als wir, du bist ja eine Frau.» Das macht es f ür diese wenigen Frauen in männerdominierten Umf eldern of t schwierig, langf ristig erf olgreich zu sein. Die bekannteste und wahrscheinlich erf olgreichste Frau im Fussball-Management ist bisher die Engländerin Karren Brady. Sie ist im Management und in der Direktion von Top-Fussballvereinen in England bekannt geworden und eine der wenigen Ausnahmen.

Zunehmende Perspektivenvielfalt

Möglicherweise könnte es einigen bekannten Fussballvereinen durchaus gut tun, wenn ihre Finanzen, das Marketing oder das Personalmanagement von einer Frau verantwortet würden. Doch nicht, weil Frauen bessere Menschen sind, die eine in Schief lage geratene Branche wieder auf den rechten Weg bringen. Sondern weil durch mehr Diversität andere Perspektiven ins Spiel kommen. Das Gruppendenken einer dominierenden Gruppe wird auf gebrochen.

Auch im Fussball sind die Perspektiven vielf ältiger geworden. Die Fussballwelt ist bunter geworden. Männlichkeitsbilder zum Beispiel sind in Veränderung. So ist heute das Privatleben der Fussballer mehr integriert als f rüher. Die Spielerf rauen sind Teil des Spiels. Sie sind bei Welt- und Europameisterschaf ten mit dabei und werden als wichtig f ür die psychische Balance der Spieler betrachtet. Glamourpärchen, wie zum Beispiel die Beckhams, sind Lieblingsthemen der Medien. Einige erf olgreiche Fussballer haben ebenf alls beruf lich erf olgreiche Frauen an ihrer Seite, die zudem noch Kinder bekommen, wie kürzlich Shakira, Partnerin von Gerard Piqué. Das Privatleben wird nicht mehr so abgetrennt, wie das vielleicht noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Hier vollzieht sich eine ähnliche Entwicklung, wie sonst auch in der Wirtschaf t und in der Gesellschaf t.

Durch die hohe Internationalität in den bekannten Fussballteams, gibt es auch mehr Toleranz, was das Aussehen – insbesondere die Haarpracht – betrif f t. Lange Haare, Haarbänder, Rasta-Zöpf chen, Glatzen etc. Alles ist mittlerweile OK. Auch dass in Schweizer Vereinen zahlreiche Nationalitäten sämtlicher Hautf arben spielen ist «normal» geworden. Hier trägt der Fussball zur Förderung der Diversität und im Sinne eines Diversity-Managements zur besseren Nutzung von Potenzialen bei. Denn auf dem Platz kann jeder sehen, dass sehr gute Leistungen von allen erbracht werden können unabhängig von Herkunf t, Nationalität oder Religion. Die UEFA hat dies erkannt und zum Beispiel mit ihrer Respekt-Kampagne bei der Europameisterschaf t 2012 unterstrichen. Eine Parallele dazu f inden wir auch in der Wirtschaf t: Es irritiert uns wenig, dass 45 Prozent der Geschäf tsleitungsmitglieder und 34 Prozent der Verwaltungsratsmitglieder von Schweizer Firmen heute Ausländer sind (siehe aktueller Schilling-Report).

Homosexualität hingegen bleibt weiterhin ein extremes Tabu-Thema. Die wenigen Fälle von Fussballern, die sich weltweit als homosexuell geoutet haben, können an einer Hand abgezählt werden. Der bekannteste Fall ist Justin Fashanu, der während seiner Fussballkarriere seine sexuelle Orientierung of f engelegt hatte und einige Jahre später dann Selbstmord beging. Und was auch auf f ällt ist, dass es keine Prof i-Senioren-Ligen beziehungsweise Turniere gibt, wie das zum Beispiel im Golf oder im Tennis der Fall ist. Aus Diversity-Perspektive gäbe es – neben dem zentralen Thema der Auf wertung des Frauenf ussballs – also durchaus noch andere Handlungsf elder, die ref lexiv unter die Lupe genommen werden könnten.

Eine andere Kultur, ein anderes Spiel

Was würde sich konkret verändern, wenn die Hälf te des Fussball-Managements von Frauen besetzt wäre? Nun, zu allererst würden wahrscheinlich die Managerlöhne sinken. Sobald Frauen in grösserer Anzahl eine bislang von Männern dominierte Branche erobern, sinkt in der Regel das Prestige und damit auch die Löhne. In der Fachliteratur wird häuf ig von einem «Hase-Igel-Spiel» gesprochen. Wir konnten das bei den Lehrern beobachten, bei den Theologen und aktuell bei der nationalen Politik. Die Mechanismen, die dazu f ühren, sind komplex, haben aber viel mit Ungleichwertigkeit zu tun. Wenn in einer Gesellschaf t das, was Frauen tun, weniger wert ist, als das was Männer tun, erf ährt jede Branche, in der der Frauenanteil markant steigt, prestige- und lohnmässig eine Abwertung. Sogar männliche Erf olgstrainer im Frauenf ussball haben Schwierigkeiten, gute Trainerjobs im Männerf ussball zu erhalten. Beispiele sind der Norweger Even Pellerud und der Japaner Norio Sasaki, die im Frauenf ussball zu den erf olgreichsten Trainern aller Zeiten gehören. Sie gehören aber nie zu den Kandidaten f ür attraktive Trainerjobs im Männerf ussball. Das zeigt sehr eindrücklich die Einstellung gegenüber Frauenf ussball, wenn selbst erf olgreiche Männer aus dem Frauenf ussball abgestraf t werden. An eine Trainerin in einem Erstliga- Verein ist da gar nicht zu denken. Zwar gibt es zahlreiche Sportarten, wo der Unterschied in der Wertigkeit nicht so gross oder sogar ausgeglichen ist. Nur dort werden eben auch geringere Löhne gezahlt.

Ob es weitere Veränderungen gäbe, bleibt spekulativ. Würde mehr oder anders in die Nachwuchsf örderung investiert, würde eine andere Investitionspolitik praktiziert, gäbe es mehr Transparenz bei den Gehältern des Managements und gäbe es vielleicht weniger Heldeninszenierungen? Ich weiss es nicht. Was ich weiss: Es wäre def initiv ein anderes Spiel. Voraussetzung f ür mehr Frauen im Fussball-Management und im Management allgemein ist und bleibt jedoch eine gleichwertige Anerkennung der Leistungen von Frauen und ein ref lexiver Umgang mit dem «Anders sein». Gudrun Sander, Dr. oec. HSG, ist Director for Diversity and Management Programs an der Executive School of Management, Technology and Law der Universität St.Gallen (ES-HSG). Sie ist Projektleiterin und Dozentin an der HSG und an der ZHAW, Leiterin Wissenstransfer eines nationalen Forschungsprogrammes des Schweizerischen Nationalfonds und Unternehmerin.

Literatur: Müller, Catherine / Sander, Gudrun (2011): Innovativ führen mit Diversity-Kompetenz. Vielfalt als Chance. 2. Auflage. Bern: Haupt.

Women onside: The changing face of English football management

Women have entered a last bastion of male dominance: English f ootball. Delia Smith, Karren Brady and Carolyn Radf ord have changed the pereception of women in f ootball's boardrooms. By Graham Wray

Brought fresh ideas: Carolyn Radford (left), Karren Brady (centre) and Delia Smith. Pho to s: Mirro rp ix, MTFC

The huge gender imbalance in today’s boardrooms has been well documented. In Britain just 7.8% of companies have f emale directors; in America the f igure is 11.4%. Indeed a recent report f ound that even the Middle East is more progressive: around a third of f amily run businesses in the Gulf have at least one woman director.

So it’s something of a surprise that English f ootball, one of the traditional last bastions of male dominance, is showing the beginnings of a cultural shif t with women currently running three high prof ile f ootball clubs.

In 1996, English television cook and author, Delia Smith, became the joint majority shareholder of current Premier League side Norwich City. When Delia took over the struggling “Canaries”, women were absent f rom f ootball boardrooms unless they were bringing in the tea. Yet Delia’s determination and business acumen helped stabilise the precarious predicament the club f ound itself in.

At the time, Norwich weren’t in the f inancially lucrative Premier League, so Smith had the f oresight and vision to develop of f -f ield revenue streams, such as Canary Catering, to boost f inances. The result was the dramatic turnaround of a business that was saddled with debt and haemorrhaging cash due to previous poor f inancial management. The change in f ortunes even saw Smith recognised at The Institute f or Turnaround’s prestigious Annual Awards. The of f -f ield transf ormation in Norwich City’s f inancial situation was mirrored on the pitch with the team achieving successive promotions back to the Premier League in 2004.

Left school at 18 and eschewed university

Karren Brady’s boardroom success at Birmingham City and subsequently West Ham United proved even more spectacular. When Brady became managing director of Birmingham City, the club was in administration; yet f our years later it was f loated on the stock market, valued at £25m. She is now vice- chairman of Premier League side West Ham United and holds a string of directorships. Brady’s story is remarkable. The daughter of a self -made businessman and an Italian housewif e, she grew up in north London and attended a convent boarding school. But realising that independence meant earning her own money, Brady lef t school at 18, eschewed university and took a job at global advertising agency Saatchi & Saatchi. Struggling to make ends meet she moved to London radio station LBC selling adverts f or a notoriously unpopular late night slot and hit upon the idea of persuading publisher David Sullivan to advertise his Sport newspapers. She sat in reception at his of f ices until he agreed to give her f ive minutes to make her pitch. Brady made him an of f er he couldn’t ref use – if he advertised and his sales didn’t go up, he wouldn’t have to pay. Sullivan agreed and within six months was spending £2m on radio advertising.

Suitably impressed, Sullivan of f ered Brady a job at his newspaper empire where she again excelled. Within a f ew years the pair were looking f or a new business venture and settled on the then languishing First Division side, Birmingham City.

“...you won’t be able to see them from there”

Remarkably, Sullivan made Brady managing director of Birmingham at the age of just 23. The early months were tough. As a woman, she was excluded f rom the boardroom at other clubs and was regularly asked f or her vital statistics in press conf erences. The f irst time she got on the team bus, one of her players sneered: “I can see your breasts f rom here.” To which Brady f amously replied: “Well, when I sell you to Crewe you won’t be able to see them f rom there.” And she did. (Brady also sold her husband Paul Peschisolido twice when he was a Birmingham City player ‒ making a healthy prof it on him each time!)

But Brady’s f ocus and vision paid of f . When she started at the club it was in administration but by the end of her f irst year it had made a trading prof it. Within just a f ew years the club made an overall prof it f or the f irst time, and in 1997 the club f loated on the stock market, valued at £25m, making Brady the youngest managing director of a UK public company.

During her tenure at Birmingham City, the average gate rose f rom 6,000 to more than 30,000 thanks to Brady’s innovations – such as the “Kids a Quid” ticket of f er, f amily nights and supporter benef its. The club became a rare beast in Premier League f ootball – a debt-f ree, prof it-making f ootball club. In 2009 the club that was bought f or £700,000 was sold f or £82m. Tellingly, by the time she lef t, 75% of senior management at the club were women.

In January 2010 she took over as vice chairman at London Championship club West Ham United af ter its purchase by Sullivan and his business partner David Gold. She admits that it was like joining a men-only country club. The f irst thing she did was to literally break down barriers by tearing down of f ice walls and creating a light, open-plan of f ice buzzing with people.

A pragmatic two-pronged business plan was implemented, initially stabilising the business and then generating increased revenue by promoting the global brand. A key part of that plan is f or the club to move into the nearby Olympic Stadium in East London, home of the London Olympics, a challenging process that Brady has worked tirelessly on over the last f ew years, resulting in the club being named pref erred bidders f or the venue on a 99 year lease.

Thanks to the Brady f actor, English f ootball is likely to see more women in its top ranks soon. Since her arrival at West Ham, 50% of the senior management team at the club is f emale with Brady believing that companies should have to explain the lack of women on their boards in their annual reports. She also conf idently predicts a number of f emale bosses are on track to head Premier League clubs in the f uture.

English football’s youngest CEO

One such rising star, looking Premier League bound, is Carolyn Radf ord, currently Chief Executive of Blue Square Premier League side Mansf ield Town.

When her husband John Radf ord bought the club in 2011, he immediately installed Carolyn, 29, as English f ootball’s youngest CEO. With a degree in politics and a background in law working f or f ashion houses Gucci and Bulgari, Radf ord brings a vibrant, f resh approach to the business of f ootball. Under Radf ord’s stewardship, non-league Mansf ield Town is run like a Football League club. Players are f ull-time, the club has a f lourishing youth academy and has bought its stadium back f rom the previous owner. A small school that of f ers education and guidance to children expelled f rom local schools has even been opened at the club. It’s all part of Radf ord’s plan to engage the club more with the local community, including businesses and supporters in order to maximise both goodwill and revenue.

In January this year, the club also received a f inancial and PR boost with an FA Cup run that culminated in a narrow home def eat to Premier League giants and f ive times European Cup winners, Liverpool. While the FA Cup run boosted f inances in excess of £200,000, Radf ord insists that the long term f inancial f uture of the club will be underpinned by the continued investment in the club’s youth system – a welcome and ref reshing alternative to the unsustainable prolif ic spending of Premier League clubs.

With the majority of English f ootball clubs struggling f inancially in the current climate, all three clubs with women at the helm are burgeoning both on and of f the f ield. Delia Smith, Karren Brady and Carolyn Radf ord have brought vibrancy, f resh ideas and no small amount of business insight to their respective clubs. And more importantly, changed f orever the perception of women in f ootball’s boardrooms.

Graham Wray is an English football journalist and author. He writes for numerous newspapers and specialist sports titles in the UK.

Abseitsregeln: Kenne ich

Fussball ist salonf ähig geworden – in der Welt der Frauen genauso wie in jener der Akademiker. Unerreicht bleibt die poetische Kraf t eines Spiels im Stadion, trotz der vielf ältigen kulturellen Werke, die aus dem Zusammenrücken von Ball und Geist hervorgegangen sind. Von Yvette Sánchez

Die Autorin als Fussball-Reiseleiterin, 1979 in England. Co mb o : Ste p hanie Bränd li

Während meines Studiums arbeitete ich nebenbei als Reiseleiterin. So f ührte ich 1979 eine Gruppe von dreissig Männern auf eine Fussballreise nach Manchester und Liverpool an den englischen Cup. Ja, ich kannte die Abseitsregel. Damals war es längst um mich geschehen, denn schon als Teenager hatte ich bei Spielen des FC Basel im alten St. Jakobstadion mitgef iebert. Meine Initiation auf internationalem Parkett erlebte ich mit der brasilianischen Nationalelf und Rivellino anlässlich der WM 1970 in Mexiko.

Ungef ähr so bekennen sich heute Autoren am Anf ang ihrer Fussball-Essays zu einer unbedingten Hingabe an den Königssport. Seit dieser in den Neunzigerjahren salonf ähig wurde, pf legt man auch als Frau und Akademikerin solche Geständnisse zu machen, seine Fussballleidenschaf t of f en und nicht ohne Pathos zu deklarieren. Der Eintritt in die ehemaligen Männerbünde steht uns nunmehr of f en. Davor war die Kluf t zwischen Fussball als Zeitvertreib und Sedativ f ür Unterschichten und seiner intellektualistischen Ablehnung durch bildungsbürgerliche Snobs erheblich, was sich erst in den zwei letzten Jahrzehnten ändern sollte. Ball und Geist rückten zusammen – in Lateinamerika f rüher und unverkrampf ter.

Nach mehreren Merkantilisierungsschüben hat gar der Glamour in die von Stararchitekten erbauten Stadien Einzug gehalten. Man versammelt sich an VIP-Tref f punkten, und auch Fussballspieler garnieren mittlerweile Abzockerlöhne, was ihre Popularität aber keineswegs mindert.

Was die lateinamerikanischen Fussballtalente betrif f t, lässt sich im Zuge des wirtschaf tlichen Auf stiegs Brasiliens eine neue Entwicklung beobachten. Europäische Spitzenclubs schaf f en es – allen horrenden Transf ersummen zum Trotz – nur noch bedingt, die neuen Stars nach Europa zu locken. Denn Brasilien kann sich inzwischen einen Neymar selber leisten und behält ihn auch am liebsten zuhause.

Fussball interkulturell

Auf den Zuschauerrängen trif f t man sich quer durch Gesellschaf tsschichten, Geschlechter, auf dem Spielf eld auch durch alle Nationalitäten. Idealisierungen sind aber f ehl am Platz, denn wie multikulturell die Fussballmannschaf ten vor eindrücklichem Migrationshintergrund auch auf gestellt sein mögen, ein systematisches Diversity Management ist den Grassroots der Fussballstadien noch nicht entwachsen. Xeno- und auch Homophobie bleiben – der Fall Milan hat es eben wieder gezeigt – an der Tagesordnung. Trotz allem sozialen Kitt und all seinem Integrationspotenzial: Im Fussballsport tut interkulturelles Konf liktmanagement f ür Mannschaf ten und Fankurven noch immer Not. Nach wie vor eskaliert Zwietracht, grassiert Diskriminierung; Beleidigungen, Drohungen, Tätlichkeiten, auch Sachbeschädigungen in und um die Stadien sind an der Tagesunordnung und wohl nie endgültig in den Grif f zu bekommen.

Deren Geschichte ist lang. In Zentralamerika beispielsweise kam es 1969 gar zum Fussballkrieg zwischen den Nachbarstaaten El Salvador und Honduras, wobei der Fussball (konkret das überraschende Ausscheiden von Honduras aus der WM 70-Qualif ikationsrunde) ein reiner Vorwand war. Soziale Probleme und Chauvinismus, insbesondere im Zusammenhang mit zahlreichen illegalen Einwanderern aus El Salvador, waren der tatsächliche Grund dieses militärischen Konf likts, der zwar nur hundert Stunden dauern, doch 2100 Todesopf er und 6000 Verletzte f ordern sollte.

Ganz generell wird das Paradox des zelebrierten Nationalismus und der multikulturellen Zusammensetzung von Mannschaf t und Publikum weiter bestehen bleiben.

Erklärungen f ür das Phänomen Fussballleidenschaf t sind schnell zur Hand: Raum f ür Sublimierung von Grenzsituationen in 90 Minuten, Ersatz, Ref ugium, Gemeinschaf tserlebnis, ein zyklisches Übungsf eld f ür existentielle Konf likte und deren Abbau und Zerstreuung. Der allegorische Mikrokosmos Fussball trägt – auch gesamtgesellschaf tliche – Stellvertreterkonf likte aus.

Ruhm oder Versagen des Einzelnen oder des Teams, Misserf olg, Schmerz, Feigheit oder bravouröses Heldentum, intelligente Übersicht oder Durchsetzungsvermögen, Glück und ungerechte Pechsträhnen, die ganze conditio humana überträgt sich auf den Rasen, gepaart mit der Magie wunderlicher Rituale, Nervenkitzel und ästhetischem Genuss. Man darf im Stadion wie vor dem Fernseher f anatisch oder willkürlich sein, die Fassung verlieren, aus der Rolle f allen, lauthals Glücksgef ühle f eiern und das Siegen wie Verlieren verklären.

Fan-Ritual Toilettenspülung

Sportgeschichtlich ist Fussball das Geschenk der englischen herrschenden Klasse, die sich später lieber mit weissen Sportarten wie Cricket oder Tennis verlustieren sollte, an die ruhig zu stellende Working Class. Die kathartische Wirkung des Fussballs wird zudem unterstützt durch das ethnologisch nur als karnavalesk beschreibbare Fanclubverhalten weltlichen Fussballkults: groteske Verkleidungen und Bemalungen der Zuschauer, rhapsodische Fan-Gesänge, dann auch die magischen Spielerbeschwörungen oder die Jubeltechniken inklusive Bannsetzung mittels Spucken. Im Vorf eld der WM in Deutschland versuchte der brasilianischen Schrif tsteller João Ubaldo Ribeiro zu erklären (NZZ Folio, Mai 2006, S. 18), weshalb Brasilien einf ach Weltmeister werden müsse. In einer Anekdote aus seiner Kindheit beschrieb er ganz private rituelle Handlungen und magisches Analogiedenken im Familienverbund, das den Spielverlauf der Nationalmannschaf t durchaus zu beeinf lussen vermochte.

«Mein Vater beispielsweise trug damals, als wir Weltmeisterschaften noch am Radio verfolgten, bei jedem Spiel dieselbe Kleidung, trank immer denselben Whisky, die Flasche und der Eimer mussten stets exakt an derselben Stelle stehen. Wenn die Nationalhymne ertönte, stand er stramm, und jedes Mal, wenn unsere Mannschaft in die Offensive ging, zwang er mich, die Toilettenspülung zu betätigen. Denn einmal, 1958, hatte Brasilien im ersten Spiel gegen Österreich ein Tor geschossen, als ich gerade zufällig auf der Toilette gespült hatte. Seitdem war er der Meinung, wir hätten damit entscheidend zum Sieg beigetragen − nicht nur 1958, sondern auch 1962.»

Unter den Künsten unterhält die Popmusik die engsten Beziehungen zum Fussball. Insbesondere in Brasilien sind die beiden Bereiche untrennbar miteinander verbunden: Wenn Neymar öf f entlich einen Song nachsingt und tanzt, schnellen Popularität und Verkauf szahlen des Musikers, in diesem Fall Michel Teló («Ai se eu te pego»), geradezu in die Höhe. Die WM-Maschinerie wird solche Mechanismen zusätzlich ankurbeln.

(Noch) kein grosser Wurf in der Literatur

In der Fussballliteratur f ällt auf , dass Schrif tstellerInnen in ihren Fiktionen – über den gewohnten nostalgischen Blick in die Fussballjugend hinaus – nicht mit verblüf f endem Einf allsreichtum gesegnet sind. Es wiederholen sich die Motive: Spannung am Elf meterpunkt, Karriereeinbrüche von Fussballern, Fan-Geschichten oder skandalöse Ref -Urteile. Auch wenn es inzwischen zu einem boomenden Zusammenschluss zwischen Fussball und Literatur gekommen ist, bleibt f estzustellen, dass bisher – sogar in der hispanischen Welt – unter den Fussballromanen der grosse Wurf ausgeblieben ist. Der Sport selber schreibt umf assendere Geschichten; ähnliches gilt f ür Theater und Film. Martin Gessmann, Autor einer Philosophie des Fussballs, meint, das Spiel sei ansehnlicher und ästhetischer geworden: «Wir gehen heute zum Fussball, als würden wir ins Theater oder ins Kino gehen.»

Auch ich wende mich nach eingehender Lektüre von zahlreichen Fussball-Texten lieber wieder der poetischen Kraf t eines Spiels im Stadion zu.

Yvette Sánchez ist Professorin für Spanische Sprache und Literatur sowie Direktorin des Centro Latinoamericano-Suizo an der Universität St.Gallen. Im Frühjahrssemster 2013 unterrichtet sie unter anderem das Master-Seminar «Fussball und Literatur».

Vom WM-Triumph zum Desaster im Falkland-Krieg

In seiner langen Geschichte ist der Fussball auch immer wieder zum Spielball der Politik geworden. Die Weltmeisterschaf t von 1978 in Argentinien ist ein besonders abschreckendes Beispiel. Von Jürg Ackermann

Buenos Aires, 1978: Captain Passarella stemmt den Pokal, General Videla (Mitte) freut's. Bild : Ke ysto ne /He inz Ducklau

Die argentinischen Militärs kannten mit politischen Gegnern keine Gnade. Oppositionelle liessen sie auf Todesf lügen über dem Meer abwerf en. Schwangeren Gef angenen nahmen sie nach der Geburt die Babys weg und gaben sie kinderlosen Militär-Familien. Tausende wurden verschleppt, bis zu 30'000 Menschen starben. Nie wurde in der argentinischen Geschichte so viel Blut vergossen wie während der siebenjährigen Militärdiktatur. Nach Jahren der politischen Instabilität verkündeten die Generäle bereits bei der Machtübernahme 1976, dass so viele Menschen (vor allem linke Oppositionelle, Studenten, bewaf f nete Widerstandskämpf er) sterben müssten wie nötig, um die «Sicherheit des Landes» wiederherzustellen.

Höchste Priorität wurde auch der Fussball-WM beigemessen, die Argentinien noch unter der demokratischen Vorgänger-Regierung zugesprochen erhielt. Es gab im 20. Jahrhundert – die Olympischen Spielen 1936 unter der Nazi-Herrschaf t oder die Fussball-WM 1934 im f aschistischen Italien ausgenommen – kaum ein Sportereignis, das derart von der Politik instrumentalisiert wurde, wie die Fussball-Endrunde 1978. Dies war in dieser Intensität nur möglich, weil der sportliche Verlauf alle Erwartungen der Gastgeber erf üllte. Argentinien setzte sich in einem begeisternden Finalspiel 3:1 gegen Holland durch. Ein Land tanzte, war ausser sich. Die Siegesf eiern dauerten tagelang. Den Generälen gelang es, den Fussball und ihre Politik erf olgreich mit den scheinbar verheissungsvollen Zukunf tsperspektiven des Landes zu verlinken. Das Regime kultivierte über den WM-Titel das Bild einer siegreichen und f riedlichen Nation und verschaf f te sich damit neue Popularität. «Es ist ein Geschenk von Gott, dass er uns die Gelegenheit gegeben hat, mit diesem herrlichen Beispiel der Welt zeigen zu können, wozu wir f ähig sind», schrieb die Tageszeitung La Nación. Die Fussballer hätten bewiesen, dass nichts unerreichbar sei, wenn es im Volk einen einhelligen Wunsch gebe.

Getreide für Peru, Tore für Argentinien

Im Moment des Triumphs interessierte es niemanden, dass dem WM-Titel bis heute der Makel der Bestechung anhaf tet. Die Argentinier brauchten im entscheidenden Zwischenrundenspiel gegen das bereits ausgeschiedene Peru einen Sieg mit vier Toren Unterschied. Sie gewannen 6:0. Auch wenn endgültige Beweise f ehlen, gehen die meisten Historiker heute davon aus, dass die Generäle der Finalqualif ikation mit Getreidelief erungen und Millionen-Krediten an Lima nachhalf en. Zu viel stand auf dem Spiel.

Die Junta hatte schon f rüh das Potenzial erkannt, das in einer erf olgreichen Durchf ührung der WM steckte. Sie nahm Hunderte von Millionen Dollar f ür Stadien und neue Inf rastruktur in die Hand und schreckte auch nicht davor zurück, kritische Stimmen wie den anf änglichen WM-OK-Chef Omar Actis rechtzeitig zu eliminieren – weitgehend unbemerkt von der FIFA und einem unkritischen Westen. Der damalige Präsident des Weltf ussballverbandes João Havelange lobte die Militärs in den Himmel und wurde nicht müde, die Freundschaf t zu General Jorge Videla zu bekräf tigen. Ganze Arbeit leistete auch Burson-Marsteller. Das PR-Unternehmen gestaltete im Auf trag der Militärs eine auf wändige Image- Kampagne mit dem Ziel, Stimmen in Europa, welche die desolate Menschenrechtslage kritisierten, den Wind aus den Segeln zu nehmen. «Argentina 78' soll dazu dienen, der Welt ein Land zu zeigen, das dem Bild entspricht, das die Junta entwirf t: Argentinien als grosse Nation, seine Machthaber als die beste aller möglichen Regierungen und seine Bewohner als f riedliebende, arbeitsame, f röhliche Menschen», schrieb die NZZ am 1. Juni 1978. Während im berüchtigten Gef angenenlager ESMA, das unmittelbar neben dem River-Plate-Stadion lag, auch während der Endrunde Hunderte von politischen Gegnern gef oltert und getötet wurden, verkündete General Videla an der Eröf f nungsf eier der Weltöf f entlichkeit die «hehren Absichten» seines Regimes: Die Endrunde sei nichts anderes als «ein Beitrag f ür Frieden und Völkerverbundenheit».

Fussball stiftet Identität im Land

Die Instrumentalisierung f iel auch deshalb auf f ruchtbaren Boden, weil der Fussball in Argentinien schon immer ein wichtiger Pf eiler f ür Zusammengehörigkeit und Identität war. Die Fussball-Begeisterung hatte sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit verbreitet. Viele Einwanderer aus Europa f anden über die lokalen Fussballvereine, die sie zum Teil selber mitbegründeten, ein Stück Identität in ihrer neuen Heimat. Zudem hatten die Politiker schon f rüh entdeckt, dass es f ür sie ein grosser Vorteil sein konnte, wenn sie eine Beziehung zwischen sich, den Fussballclubs und den Fans auf bauten. Dies zeigte sich auch in einer auf f älligen Ämterkumulation: So stand der argentinische Sportminister of t auch dem nationalen Fussballverband vor. Der Fussball wurde damit, je nach Art des herrschenden Regimes, zu einer Stimmen-Beschaf f ungsmaschine, zu einem Förderer der nationalen Identität oder zu einer sozialen Droge, welche die Menschen vom Alltag ablenkte.

Angesichts dieser Popularität überraschte es nicht, dass sich selbst Regime-Gegner über den sehnlichst erwarteten ersten WM-Titel des Landes f reuten. Dieser Widerspruch verkörperte insbesondere auch der damalige argentinische Nationaltrainer Cesar Luis Menotti, der den Erf olg – anders als die Militärs – auf die Tugenden des kreolischen Fussballs wie Kurzpassspiel und Kreativität zurückf ührte und sich nach dem Ende der Diktatur zum Fürsprecher des «linken Fussballs» stilisierte. Den Militärs diente der kettenrauchende Fussballlehrer auch als Feigenblatt: Wenn ein Trainer mit kommunistischem Hintergrund ein derart wichtiges Amt ausübte, konnte es um die Menschen- und Bürgerrechte im Land nicht derart schlecht bestellt sein, wie einzelne kritische Stimmen in Europa suggerierten.

Falkland besiegelt das Ende der Junta

Im Falle der argentinischen Diktatur verwandelte sich die scheinbar erf olgreiche Instrumentalisierung des Fussballs jedoch bald in ihr Gegenteil. Der Traum von Grösse und nationalem Auf bruch, bef euert durch den WM-Titel und die Diskurse der Militärs, wurde zu einem Antrieb f ür f atale politische Visionen. Diese mündeten 1982 in den Falkland-Krieg. Die Generäle hof f ten, dass sie die bröckelnde Unterstützung und die ökonomische Krise, die auch durch die massiven Ausgaben f ür die WM mitverursacht wurde, mit einem ähnlich identitätsstif tenden Projekt wie der Ausrichtung der WM vergessen machen könnten. Doch die «Rückereroberung» der Schaf -Inseln scheiterte kläglich. Die Niederlage im Falkland-Krieg gegen Grossbritannien besiegelte auch das Ende der Junta, die am Tag des WM-Triumphs vier Jahre zuvor ihren grössten Moment erlebt hatte.

Jürg Ackermann ist Blattmacher beim «St.Galler Tagblatt». Er hat eine Dissertation zu «Fussball und nationale Identität in Diktaturen: Spanien, Portugal, Brasilien und Argentinien» verfasst.

«…dann machen Spielregeln keinen Sinn»

Fussball ist f ast weltweit beliebt ‒ und er ist ein Riesengeschäf t. Das birgt auch Verantwortung, sowohl bei den grossen Vereinen als auch bei den internationalen Verbänden wie der FIFA. Um welche Art von Verantwortung handelt es sich dabei und wie wird diese wahrgenommen? Fragen an Thomas Beschorner, Wirtschaf tsethiker an der Universität St.Gallen – und passionierter Fussballer.

Bild : Ke ysto ne /Ale xand e r Vilf Ein Entscheid, der Kopfschütteln in einem grossen Teil der Fussball-Welt auslöste: Die FIFA hat die WM 2022 nach Qatar vergeben.

Herr Beschorner, Fussball ist grundsätzlich Sport und Unterhaltung – aber vor allem auch ein X-Milliarden-Geschäft in aller Welt. Die grossen Fussballverbände und die reichen Vereine, die ausserordentlich viel Geld umsetzen, tragen die auch eine gesellschaftliche Verantwortung? Thomas Beschorner:Fussball ist vor allem Sport und Unterhaltung und erst dann ein Geschäf t – jedenf alls sollte es so ein. Aber Sie haben natürlich Recht, Geld spielt eine grosse Rolle. Prof if ussballer sind gut bezahlte Angestellte, sie werden f ür üppige Summen «transf eriert» – wie man so unschön sagt –, und f ür Übertragungsrechte mit Fernsehanstalten gehen inzwischen Milliardenbeträge über den Tresen. Prof ivereine sind zweif elsohne erwerbswirtschaf tliche Organisationen, und sie haben als solche – wie andere Unternehmen auch – eine Verantwortung in der und f ür die Gesellschaf t. Was sie aber darüber hinausgehend interessant macht ist, dass sie eben nicht nur Unternehmen sind, sondern bei ihnen auch andere als ökonomische Dimensionen eine Rolle spielen.

Was sind das für Dimensionen? Beschorner:Ich denke hier an die Verbindung zum Breitensport, zum Beispiel dem Jugendf ussball, an integrierende Fanprojekte und an Kampagnen f ür mehr Toleranz, Fairness und Integration, um nur einige Beispiele zu nennen. Prof iclubs sind f erner unglaublich starke «Brands», die teilweise sehr stark identitätsstif tend sind, zum Beispiel in bestimmten Regionen. Sie sind bei den Menschen permanent im Gespräch und ihre Aktivitäten und Handlungen können eine wichtige Signalwirkung f ür ökonomische Akteure und die Gesellschaf t insgesamt haben. Insgesamt würde ich sagen, dass Prof if ussballvereine systemisch sowohl in Märkte wie auch in eine Zivilgesellschaf t eingebettet sind. Zurück zur Verantwortung: Fussball macht auch immer mal wieder negative Schlagzeilen. Welche Verantwortung tragen denn Clubs und Verbände, wenn aggressive Zuschauer, aber auch Funktionäre – und in unteren Ligen sogar Spieler – gewalttätig gegen Menschen und Sachen werden? Beschorner:Unter der Annahme einer Vorbildf unktion f ür andere ist dies natürlich kritisch zu sehen. Gewalt und Aggressivität gehören nicht in eine zivilisierte Gesellschaf t und schon gar nicht in den Sport. Es muss immer «zivil» zugehen. Diesen Begrif f ernst genommen bedeutet, sich nicht nur anständig zu verhalten, sondern sich als Bürger aktiv f ür die Gemeinschaf t einzubringen. Hier können Clubs und Verbände noch deutlich mehr tun.

Was genau können sie tun? Beschorner:Hier könnte man sich von der Diskussion zur Corporate Social Responsibility durchaus einiges abgucken. Der erste Hinweis wäre, dass richtig verstandene Unternehmensverantwortung ja keine Spendenethik ist, die man über wohltätige Stif tungen organisiert. Sie ist vielmehr integrativ angelegt. Das heisst soziale und ökologische Verantwortung bezieht sich auf das «Kerngeschäf t». Bezogen auf Fussballclubs könnte sich diese Herangehensweise beispielsweise widerspiegeln in: einem f airem Umgang mit Mitarbeitern (dem gesamten Stab, der Mannschaf t, den Trainern); Rekrutierungspraxen im Allgemeinen und ethische Standards bei der Anwerbung von jungen Talente im Besonderen; verantwortliche Ausbildung der Sportler, die nicht nur Spieler, sondern Menschen sind; ökologische Fragen beim Betreiben der Sportstätten; ethische Standards hinsichtlich der Auswahl von Sponsoren (Werder Bremen und die Hühnerf abrik Wiesenhof waren dazu jüngst in den Schlagzeilen); Null-Toleranz bezüglich Fremdenf eindlichkeiten und Rassismus in Stadien (jüngstes Beispiel gegen Milans Boateng in Italien) oder unter den Spielern (Negativbeispiel: John Terry in England); und so weiter und so f ort... Zusammenf assend gesagt geht es um eine verantwortungsvolle «Club Governance». Eine Club Governance ist f reilich weitergehend eingebettet. Denken Sie beispielsweise an die nicht immer positive Rolle von Spielervermittlern oder an Wettskandale. Auch diese Fragen müssten stärker angepackt werden.

Oberstes Organ der Kicker auf fünf Kontinenten ist der Weltfussballverband FIFA. Sein Präsident Joseph Blatter hat schon mal gesagt, er könnte sich den Friedensnobelpreis für seine Organisation vorstellen. Kann der Fussball tatsächlich eine umfassende friedensstiftende Wirkung haben? Beschorner:Zweif elsohne kann Fussball zur Völkerverständigung beitragen und leidige Vorurteile gegenüber anderen Ländern abbauen. Die grossen Turniere der vergangenen Jahrzehnte haben dies aus meiner Sicht sehr gut gezeigt. Einen Friedensnobelpreis f ür die FIFA würde ich gleichwohl f ür einen Treppenwitz halten, denn daf ür müsste man im eigenen Haus erst einmal tüchtig auf räumen.

Ich denke, Sie spielen damit auch auf die Vergaben von Fussball-Weltmeisterschaften an, die in den vergangenen Jahren für viel Ärger gesorgt haben. Warum nervt sich die Öffentlichkeit so sehr über die Vergabepraxis der FIFA oder zum Beispiel über Wahlen innerhalb der Organisation? Beschorner:Ganz einf ach: Weil Korruption unmoralisch und unf air ist, und das weiss die Gesellschaf t ganz genau. Sie können nicht Spielregeln ‒ wie zum Beispiel Vergaberichtlinien f ür Weltmeisterschaf ten ‒ def inieren und dann diese heimlich während des Spiels zu Gunsten einiger und zu Ungunsten anderer ändern. Dann nämlich machen Spielregeln keinen Sinn – weder im Spiel noch bei der FIFA noch sonst wo.

Der Weltfussballverband schuldet als private Organisation aber doch eigentlich nur sich selber Rechenschaft. Beschorner:Was den rechtlichen Aspekt betrif f t, so müsste man hier einen Juristen f ragen. Moralisch aber gibt es natürlich eine Rechenschaf tspf licht f ür jede Person und jedwede Organisation, was ja auch der Begrif f der Verantwortung ausdrückt. Wir sind f ür die Konsequenzen unseres Handelns verantwortlich, wir müssen dazu Antworten f inden. Besonders vor dem Hintergrund des (selbstf ormulierten) Zwecks der FIFA, nämlich «den Fussball f ortlauf end zu verbessern und weltweit zu verbreiten, wobei der völkerverbindende, erzieherische, kulturelle und humanitäre Stellenwert des Fussballs berücksichtigt werden soll», wäre hier eine besondere Sensibilität f ür solche Fragen notwendig.

...Sensibilität, die sie oft nicht zu haben scheint. Beschorner:Aus meiner Sicht hat die FIFA in jüngster Zeit von einer breiten Öf f entlichkeit zu Recht die gelbe Karte gezeigt bekommen. Ich denke, es war sogar dunkelgelb. Was wäre bei einem Platzverweis passiert? Wenn beispielsweise einige wichtige nationale Verbände auf grund der Vorkommnisse aus der FIFA ausgestiegen wären und mit ihrer eigenen Organisation eine eigene Weltmeisterschaf t veranstaltet hätten? Herr Blatter und Co. haben ein sehr gef ährliches Spiel gespielt und wohl noch nicht so recht, dass Moralität und Glaubwürdigkeit f ür die Existenz der FIFA essenziell wichtig sind.

Sehen Sie die von Herrn Blatter eingerichtete Ethik-Kommission also eher als Feigenblatt? Als Ethiker müsste sie diese Kommission ja schon allein ihres Namens wegen besonders interessieren. Beschorner:Natürlich verf olgt man als Wirtschaf tsethiker solche Einrichtungen mit Interesse. Sie wissen vielleicht, dass der Begrif f «FIFA-Ethikkommission» im Jahr 2010 in der Deutschschweiz zu besonderen Ehren kam...

...kann mich nicht erinnern. Beschorner: Der Begrif f wurde zum «Unwort des Jahres» gekürt. Darüber muss man sich in der Tat nicht wundern, denn zu dieser ersten Kommission gehörten beispielweise Johan Cruyf f , Pelé, Henry Kissinger und Startenor Plácido Domingo; und da f ragt man sich natürlich schon, was das soll. Für eine solche Auf gabe braucht man keine alten weisen Männer, sondern Prof is, die sich mit rechtlichen und ethischen Aspekten und deren Implementierung in einer Organisation auskennen. Mitte 2012 setze die FIFA dann eine neue Kommission unter Leitung des ehemaligen Bundestaatsanwalts Michael Garcia und dem deutschen Richter Hans-Joachim Eckert ein. Man kann nur hof f en, dass jetzt etwas mehr Schwung in die Sache kommt.

In der Schweiz eckt die FIFA auch immer mal wieder mit ihrem Vereinsstatus an. Ist es legitim, dass eine Organisation, die im Jahresschnitt Hunderte Millionen Franken umsetzt, diesen Status besitzt und dadurch unter anderem massive steuerliche Vorteile geniesst? Beschorner:Die gehandelten Summen sind aus meiner Sicht daf ür nicht relevant. Wichtig ist hingegen die Frage, ob der gemeinwohl-orientierte Zweck des Vereins erf üllt wird. Ist dies nicht der Fall oder ist die Organisation von maf iösen Strukturen durchzogen, so wäre der Anspruch auf Steuervorteile in der Tat eingehender zu prüf en.

Interview: Jürg Roggenbauch

Prof. Dr. Thomas Beschorner ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St.Gallen.

Ob Fussball die Welt verbessern kann?

«Magst Du etwas dazu schreiben?» Als die f reundliche Einladung zur Weihnachtszeit hereingeschneit kam, war die im Titel umrissene Fragestellung f ür mich nicht ohne weiteres klar. Ob die Sache ernsthaf t zu bearbeiten sei – oder aber im Stil einer satirischen Glosse? Durchaus ernsthaf t, wurde mir beschieden. Wohlan denn, ernsthaf t! Ich beginne mit grundlegenden Aspekten. Von Christoph Frei

Bild : Pho to case /Niarm

Die Frage nach einem wie auch immer gearteten Nutzen des Fussballs überhaupt zu stellen, ist alles andere als selbstverständlich; noch vor 40 oder 50 Jahren hätte kaum jemand in diese Richtung gedacht. Sowohl das IOC wie die FIFA waren damals in britischer Hand; beide wurden in konservativer Manier im Geiste Pierre de Coubertins gef ührt. Volkswirtschaf tliche Auswertungen oder sozialwissenschaf tliche Untersuchungen am Nexus von Gesellschaf t und Sport gab es nicht. Erst die beschleunigte Kommerzialisierung der 1980er-Jahre weckte die Frage nach dem Nutzen. Im Lichte explodierender Umsätze von Clubs, Verbänden und Föderationen wurden kritische Stimmen laut, rückten steuerliche und regulative Sonderbehandlungen erstmals in den Fokus.

Von welchem Fussball sprechen wir?

Besagte Kommerzialisierung war nicht im luf tleeren Raum entstanden, sondern das Resultat von Anpassungen des weiteren Systems Sport an ein verändertes Umf eld. Die Internationalisierung der Märkte, die Entstehung der Freizeitgesellschaf t, die Ausbildung einer Ökonomie der Auf merksamkeit waren wesentliche Merkmale dieser Entwicklung. In Entsprechung zur f ortschreitenden medialen Vermarktung begann das Geld zu f liessen. Zu den Folgen dieser Kommerzialisierung gehörte die Auf spaltung des Fussballs in zwei Teilbereiche – Breitensport einerseits, Prof isport anderseits.

Beide Bereiche vermögen – natürlich – zur Gesamtwohlf ahrt beizutragen. Weil sie unterschiedlichen f unktionalen Logiken gehorchen, tun sie es allerdings auf verschiedene Weise. Der Fussball, der Steuergelder in die Staatskassen spült, ist in seinem Modus nicht mehr zu vergleichen mit jenem Fussball, den wir alle spielen, um in Bewegung zu bleiben. An Verbindungen zwischen beiden Bereichen f ehlt es dabei nicht. Der Prof isport braucht den Amateursport (noch), dies mit Blick auf den Nachwuchs ebenso wie mit Blick auf Erdung und Glaubwürdigkeit. Umgekehrt prof itieren Tausende von Amateurvereinen von der Attraktivität des Prof isports. Of f en ist, wie lange das so bleiben wird. Über kurz oder lang dürf ten die besten Prof ivereine ausnahmslos ihre eigenen Akademien auf ziehen und Talente im dritten Lebensjahr rekrutieren, sof ern die Kleinen einen Ball nur unf allf rei stoppen. Negative Klammern zwischen Prof i- und Breitensport f inden sich etwa in übertriebenen Leistungsvorstellungen oder im Doping – in Erscheinungen also, die beide Seiten in gleicher Weise belasten. Politische Klammern ergeben sich unter anderem aus der Frage, nach welchem Schlüssel die Auf teilung staatlicher Fördergelder zwischen Breiten- und Spitzensport erf olgen soll.

Ein Spiel mit vielen Gewinnern

In seiner ganzen Bandbreite besehen, ist der Fussball das vielleicht universellste Medium unserer Zeit. Als bekannteste und populärste Sportart der Welt stellt er ein wesentliches Element der Globalisierung. Fussball ist einf ach; in seiner schlichtesten (und schönsten) Form erf ordert er keinerlei Inf rastruktur; anzutref f en ist er überall. In Verbindung mit seiner ganz und gar unpolitischen Natur zeigen solche Attribute auf , dass Fussball in der Tat das Zeug hat, die Welt zu verbessern. Indem er staatlicher Fragmentierung nicht unterworf en bleibt, ist er im Wortsinn grenzenlos: auch daraus schöpf t er verbindende Kraf t. Ein Allesheiler ist f reilich auch der Fussball nicht. Nicht selten erleben wir ihn als Forum von Rassismus und Gewalt.

Was kann der Fussballsport im einzelnen leisten? Aussagekräf tige empirische Studien sind noch immer spärlich, das eine oder andere lässt sich aber f esthalten. Im Kontext einer rein ökonomischen Betrachtung hat McKinsey (2011) gezeigt, dass allein der Bereich des Prof i-Fussballs in Deutschland jährlich eine Wertschöpf ung von mehr als 5 Milliarden Euro generiert und so jeden f ünf hundertsten Euro zum Bruttoinlandprodukt beisteuert. Dem deutschen Staat f liessen daraus jährlich 1,5 Milliarden Euro netto an Steuern und Abgaben zu. Um solche Proportionen f assbar zu machen: damit lassen sich die öf f entlichen Ausgaben f ür die f ünf grössten Universitäten des Landes zusammen f inanzieren. Allein in Deutschland stehen rund 110'000 Stellen im Zusammenhang mit dem prof essionellen Fussball. Dies entspricht rund 70'000 Vollzeitbeschäf tigten.

Ergibt sich ein erkennbarer Mehrwert aus dem Sponsoring oder aus der operationellen Ausrichtung von Kontinental- und Weltmeisterschaf ten? Die zugänglichen Studien zum Thema belegen, dass sich – f inanziell gesehen – weder das eine noch das andere unmittelbar lohnt. Die Tatsache, dass Event- Sponsoring und Durchf ührungen dennoch eine Nachf rage f inden, deutet darauf hin, dass weitere Beweggründe ins Spiel kommen. Ob sportliche Grossereignisse mittel- und längerf ristig halt doch «gute Werbung» f ür einen Standort bedeuten und längerf ristig Investitionen und Touristenströme nach sich ziehen, wird jedenf alls von einer ganzen Vielzahl von Parametern abhängen. Aber selbst wenn die kausale Zurechenbarkeit schwierig bleibt, bleiben viele Firmen im Sponsorengeschäf t aktiv. Das sportbezogene Marketing-Budget von Coca-Cola bewegt sich seit Jahren im mehrstelligen Milliardenbereich. Unverdrossen arbeitet die Firma daran, ihr Produkt systematisch mit positiv konnotierten Sportanlässen zu verbinden. Der Ertrag auf solchen Investitionen ist – wenn überhaupt – nur in langer Frist zu bemessen.

Sinn und Gemeinschaft

Fussball als schöner Zeitvertreib? – Wer ins Stadion geht oder ein Spiel vor dem Bildschirm verf olgt, tut zur gleichen Zeit nichts Dümmeres (es sei denn, man kuschelt mit den Hooligans). Mit jährlich rund 18 Millionen Zuschauern in den Stadien und weiteren 15 Millionen Zuschauern an jedem Wochenende vor dem Fernseher erzielt die Bundesliga eine Resonanz wie kein anderes Freizeitangebot in Deutschland.

Volksgesundheit? – Konkrete Studien mit Bezug auf Fussball gibt es meines Wissens nicht. Angenommen wird seit langem, dass sportliche Betätigung sich positiv auf Gesundheit und also auf die Kosten f ür das Gesundheitswesen auswirkt. Nur so ist die Existenz von Sportministerien, nur so sind masslose Kampagnen rund um das Thema Bewegung zu erklären. Sport mit Gesundheit gleichzusetzen, hat f ür Politiker etwas Unwiderstehliches. Genau genommen, müssten die Kosten aus Sportverletzungen gegen die mutmasslich sinkenden Gesundheitskosten auf gerechnet werden: auch dazu lässt sich noch wenig Verlässliches f inden.

Schliesslich: soziale Kohäsion? – Der Sport im allgemeinen und Fussball im besonderen gehören in der Tat zu den letzten gesellschaf tlichen Foren, die in der Lage sind, einen ideellen Konsens weitgehend unabhängig von der sozialen und intellektuellen Statur des einzelnen herzustellen. Sport ist gesund; unabhängig von der sozialen und intellektuellen Statur des einzelnen herzustellen. Sport ist gesund; Sport f ördert den Zusammenhalt; Sport verbindet über sozio-ökonomische und politische Grenzen hinweg. Solche Aussagen sind heute Teil der Alltagssprache – und sie legen nahe, dass auch dem Fussball als Massen- und Prof isport Nummer 1 eine sinnstif tende Dimension nicht abgesprochen werden kann. Vor dem Hintergrund des f ortgesetzten Bedeutungsverlustes herkömmlicher Quellen normativer Übereinkunf t – sei es die Religion, sei es der national verf asste Staat – sollte diese Dimension nicht leichtf ertig abgetan werden. Je arbeitsteiliger moderne Gesellschaf ten daherkommen und je individueller unsere Lebens- und Freizeitgestaltung dabei wird, umso wichtiger bleiben Rituale, die ‹Gemeinschaf t› spürbar machen. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden Fussballvereine als Keimzellen des Gemeinsinns betrachtet; zu Beginn des 21. Jahrhunderts widersetzt sich der Fussball den vielf ältigen Fragmentierungstendenzen der Zeit noch immer mit beachtlichem Erf olg.

Christoph Frei ist Titularprofessor für Politikwissenschaften mit besonderer Berücksichtigung der Internationalen Beziehungen an der Universität St.Gallen.

Volkswirtschaftliche Bedeutung wie ein mittelgrosses KMU

Ein Forschungsprojekt der Hochschule Luzern untersucht unter anderem die volkswirtschaf tliche Bedeutung von Fussball am Beispiel FC Luzern. Die Prof imannschaf t des Vereins hat in der Saison 2011/12 schweizweit eine Bruttowertschöpf ung von rund 27 Millionen Franken ausgelöst und ein Arbeitsvolumen von 220 Vollzeitstellen geschaf f en. Von Jürg Krummenacher

Nicht nur Unterhaltung, auch ein wirtschaftlicher Faktor: Profifussball am Beispiel FC Luzern. Bild e r: zVg FC Luze rn

Die Bruttowertschöpf ung umf asst den Gesamtwert aller im Zusammenhang mit dem Prof ibetrieb des FC Luzern erbrachten wirtschaf tlichen Leistungen, abzüglich des Werts der Vorleistungen. Gut zwei Drittel der Bruttowertschöpf ung, nämlich rund 21 Millionen Franken, f allen im Kanton Luzern an. Der grösste Teil davon – etwa 80 Prozent – erwächst aus den wirtschaf tlichen Aktivitäten des Clubs. Diese beinhalten hauptsächlich die Löhne der Spieler und der Mitarbeitenden, Abschreibungen und Steuern sowohl des FC Luzern direkt als auch seiner Zulief erunternehmen.

Die Ausgaben, die die Zuschauer zusätzlich zu den Eintritten in der Region Luzern tätigen, etwa f ür Verpf legung, Kauf von Fanartikeln oder Unterkunf t, tragen sechs Prozent zur Wertschöpf ung bei. So wurden im Zusammenhang mit Fussballspielen in der Saison 2011/12 rund 10‘000 Hotelübernachtungen verbucht. Rund zwölf Prozent der Wertschöpf ung f allen bei den Verkehrsbetrieben, beim Catering oder bei der Fernsehproduktion an. Der Wertschöpf ungsanteil, der auf staatliche Akteure (unter anderem Polizeidienstleistungen und Rasenpf lege) zurückzuf ühren ist, beträgt drei Prozent.

160 Vollzeitstellen im Kanton

Diese wirtschaf tlichen Wirkungen entsprechen im Kanton Luzern einem Arbeitsvolumen von 160 Vollzeitstellen. Dazu gehören neben Spielern, Trainern und Mitarbeitenden der «swissporarena» und des FC Luzern auch Mitarbeitende bei den Verkehrsbetrieben, im Catering, im Gastgewerbe, bei der Polizei sowie bei Zulief erbetrieben des FC Luzern. Ausserhalb des Kantons Luzern entstehen durch diese wirtschaf tlichen Ef f ekte weitere 60 Vollzeitäquivalente. Die wirtschaf tlichen Aktivitäten des Prof if ussballclubs Luzern f ühren gesamtschweizerisch zu Steuereinnahmen in der Höhe von 3,4 Millionen Franken (Einkommens-, Unternehmens- und Mehrwertsteuer).

Gesamthaf t betrachtet entspricht die volkswirtschaf tliche Wirkung des Luzerner Prof if ussballclubs der Wirtschaf tsleistung eines mittleren KMU. Zu beachten ist allerdings, dass die wirtschaf tliche Leistung eines Fussballvereins in engem Zusammenhang mit dem sportlichen Erf olg steht, der sich von Jahr zu Jahr stark ändern kann. So kann die Teilnahme an internationalen Wettbewerben (Europa- oder Champions League) zu deutlichen Mehreinnahmen f ühren. In der Studie erf asst wurden nur die 17 Heimspiele des FC Luzern in der Saison 2011/12 in der Schweizer Superleague.

Matchbesucher fühlen sich sicher

Im Rahmen einer Zuschauer-Bef ragung im Stadion und online hat die Hochschule Luzern zudem die Besucherinnen und Besucher von Heimspielen des FCL nach ihrem Sicherheitsempf inden bef ragt. An der Online-Umf rage beteiligten sich rund 2300 Personen, an der Vor-Ort-Bef ragung nahmen 619 Matchbesucherinnen und -besucher teil. Der grösste Teil der Teilnehmer waren Männer im Alter von 20 bis 39 Jahren.

Das Ergebnis f iel sehr positiv aus: Mehr als 99 Prozent der Zuschauer in der «swissporarena» f ühlen sich stets oder meistens sicher. Weniger als 0,5 Prozent gaben an, sich nicht sicher zu f ühlen. Auch auf der Heimreise ist der Anteil der Personen, die sich nicht sicher f ühlen, sehr gering. Dies gilt sowohl f ür männliche als auch f ür weibliche Matchbesucher. Diese Werte entsprechen auch den Ergebnissen der kürzlich durchgef ührten Bef ragungen im St. Jakobpark in Basel und im Stade de Suisse in Bern.

Prof. Dr. h.c. Jürg Krummenacher ist Leiter des Interdisziplinären Schwerpunkts Gesellschaftliche Sicherheit und Sozialversicherungen an der Hochschule Luzern sowie Dozent im Departement Wirtschaft.

«Es gibt viele Trittbrettfahrer»

Renato und Michele Cedrola arbeiten mit ihrer in St.Gallen ansässigen Front Group im Fussball-Business. Sie beraten Spieler, Trainer und Vereine. In Fussballer-Kreisen heissen Leute wie sie Spielervermittler – denen nicht immer der beste Ruf vorauseilt. Die beiden Brüder äussern sich im Interview über ihren jüngsten Transf er, Provisionen, schwarze Schaf e im Geschäf t und horrende Transf ersummen.

Vermitteln und beraten im Fussball-Geschäft: Michele (links) und Renato Cedrola. Bild e r: Hanne s Thalmann

Während der Winterpause haben Sie David Abraham vom spanischen Club Getafe zum deutschen Verein Hoffenheim transferiert. Wie ist dieser Transfer zu Stande gekommen? Renato Cedrola:Dank guter Beziehungen und Networking. Hof f enheim suchte einen starken Def ensivspieler, um die Verteidigung zu stabilisieren. Und David Abraham, unser Mandant, wollte in die Bundesliga. Bereits im Sommer hätte er am liebsten zum Hamburger SV gewechselt. Deshalb hatte dieser Transf er eine gewisse Logik.

Und wie kam die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und David Abraham zu Stande? Renato Cedrola:Als David Abraham noch beim FC Basel spielte, tat Dynamo Moskau gegenüber uns kund, Interesse am Verteidiger zu haben. Aus diesem Grund haben wir Abraham kontaktiert, der uns darauf hin an seinen Bruder verwies. Wir haben mit seinem Bruder Gespräche gef ührt und im Lauf e derer wurden wir gef ragt, ob wir nicht in Zukunf t die Interessen von David Abraham vertreten würden. Es entstand eine Vertrauensbasis. In diesem Business geht es ohnehin darum, Vertrauen auf bauen zu können. Übrigens: David Abraham besass damals bereits einen Vorvertrag mit Getaf e; dieser hatte aber noch unser Vorgänger ausgehandelt.

Die Spielervermittlung ist auch ein Spiel der Entschädigungen. Wie hoch war Ihre Provision? Renato Cedrola:Bezüglich Entschädigung gibt es ein klares FIFA-Reglement. Und juristisch gesehen darf man nur einen Auf traggeber haben, sprich nur von einer Partei entschädigt werden. Dies ist entweder der Mandant, also der Fussballspieler, oder der Verein.

Aber wie hoch sind die Entschädigungen generell? Renato Cedrola:Ganz grundsätzlich ist die Entschädigung verhandelbar. Sie richtet sich nach dem Gehalt des Spielers. Meistens beträgt sie zehn bis zwölf Prozent des Jahres-Bruttolohns.

Aber daran halten sich in diesem Business nicht alle. Michele Cedrola:Gut, je nach Land läuf t es ohnehin anders ab. Ausserdem kommt es auch auf die aktuelle Vertragssituation des Spielers an. Kann er ablösef rei wechseln? Oder muss er aus einem lauf enden Kontrakt gekauf t werden? Solches hat Auswirkungen auf einen Transf er.

Wie würden Sie eigentlich Ihr Geschäft bezeichnen? Viele Ihrer Berufskollegen hören es nicht gerne, wenn Sie als Spielervermittler bezeichnet werden. Renato Cedrola:Ich würde es als Inf ormationsbusiness bezeichnen. Wir geben Wissen weiter. Oder anders ausgedrückt: Wir verschieben Inf ormationen. In unserem Fall ist zu sagen, dass wir auch Vereine beraten.

Nutzen denn die Clubs immer stärker die Beziehungsnetze der FIFA-Agenten? Renato Cedrola:Das kommt auf den jeweiligen Manager des Vereins an. Wir konnten schon mehrmals mit Clubs zusammenarbeiten. Doch das hängt auch vom Vertrauen ab. Denn unser Business ist nicht nur ein Inf ormations- sondern auch ein Vertrauensbusiness.

Bahnt sich irgendwo ein Transfer an, melden sich oft viele Spielervermittler, mit dem Hinweis, der Akteur sei bei Ihnen unter Vertrag… Renato Cedrola:…ja, ja, es gibt viele Trittbrettf ahrer.

Ist das nicht ärgerlich? Michele Cedrola:Das ist in der Tat sehr mühsam. Diese Erf ahrung machten wir wieder einmal beim Transf er von David Abraham zu Hof f enheim. Es gibt Leute im Fussballgeschäf t, die keinen Skrupel haben.

Ihrer Front Group eilt auf dem Markt der Ruf voraus, eine äusserst seriöse Agentur zu sein. Michele Cedrola:Wir bieten nicht einf ach Spieler an, die nicht bei unserer Firma sind. Derzeit stehen bei uns etwa 25 Spieler unter Vertrag. Uns ist nicht die Quantität, sondern die Qualität unserer Beratung wichtig. Wir legen grossen Wert darauf , dass wir unsere Mandanten auch betreuen können. Ab einer gewissen Anzahl ist eine seriöse Beratung doch gar nicht mehr möglich.

Nicht alle in Ihrem Business haben diese Qualitätsansprüche und Seriosität. Stören Sie sich nicht an diesen schwarzen Schafen? Renato Cedrola:Tatsache ist, dass es Vereine gibt, die mit solchen Vermittlern zusammenarbeiten. Würden die Clubs diese schwarzen Schaf e einf ach links liegenlassen, wären diese schnell von der Bildf läche verschwunden.

Zum Teil werden auf dem Transfermarkt horrende Summen für Spieler gezahlt. Manchester City, Paris St- Germain und Chelsea dienen hierfür als Beispiele. Freut Sie das als FIFA-Agenten? Renato Cedrola:Ich sehe es nicht negativ. Schliesslich kommt dank diesen Vereinen auch f risches Geld auf den Markt.

Aber diese Entwicklung macht doch den Fussball kaputt. Renato Cedrola:Klar ist, dass sich auch in dieser Frage am Ende das seriöse Schaf f en auszahlen wird. Für mich ist die Bundesliga das beste Beispiel. Die anderen Ligen sollten sich ein Beispiel an Deutschland nehmen.

Interview: Markus Scherrer

Markus Scherrer war lange Jahre Sportjournalist und später Leiter der Kommunikations- und Medienstelle des FC St.Gallen. Heute ist er Stellvertretender Leiter des Ressorts Ostschweiz beim «St.Galler Tagblatt».

«Das grosse Geld hat mich nicht interessiert»

Tranquillo Barnetta hat mit 27 Jahren eine steile Fussballer-Lauf bahn hinter sich. Der Schalke 04- und Schweizer Nationalspieler hat derzeit einen Marktwert von über 6 Millionen Franken. Trotz des Erf olgs ist der St.Galler mit italienischen Wurzeln bescheiden geblieben. Für das Management seiner Karriere setzt er auf die Familie.

Der St.Galler Tranquillo Barnetta im Dress der Schweizer Nationalmannschaft. Bild e r: Archiv Barne tta

Bereits als Sechsjähriger stand Tranquillo Barnetta beim FC Rotmonten auf dem Rasen. Mit elf wechselte das junge Talent zum FC St.Gallen, als 17-Jähriger startete er dort seine Prof ikarriere. 2004 wurde er von Bayer 04 Leverkusen angeheuert, im selben Jahr begann auch sein Engagement in der Schweizerischen Nationalmannschaf t. Für eine Saison spielte Barnetta bei Hannover 96. 2012 wechselte er von Bayer Leverkusen zum FC Schalke 04.

Herr Barnetta, wer an Fussballerkarrieren und Management denkt, hat meist etwas zwielichtige Spielervermittler vor Augen, die nur auf Kosten der Spieler das grosse Geld machen wollen. Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich im Laufe Ihrer Karriere gemacht? Tranquillo Barnetta:Die Verlockungen beginnen schon f rüh. Bereits um junge Spieler mit Potential wird gebuhlt und da gibt es leider auch immer wieder Manager oder Spielervermittler, die vor allem nur das grosse Geld f ür sich sehen. Es ist nicht einf ach, als 14-Jähriger beziehungsweise als Familie Transf erangeboten und hohen Geldsummen zu widerstehen. Ich war f roh, dass ich damals meine Eltern hatte, die davon nichts wissen wollten und ich zunächst meinen Weg beim FC St.Gallen weitergehen konnte. Zum Glück begegnen einem aber auch Menschen, die Qualität und Erf ahrung mitbringen – und die braucht man als Fussballer insbesondere bei Verträgen. Seit ich 17 bin, habe ich in diesen Fragen zum Glück neben meiner Familie Unterstützung von den Beratern Wolf gang Vöge und Franco Moretti.

War es für Sie als junger Spieler nicht manchmal auch schwierig, dass Ihre Eltern für Sie entschieden haben? Barnetta:Sie haben nicht einf ach über meinen Kopf hinweg entschieden, wir haben uns natürlich ausgetauscht. Zudem hatte ich als 14-Jähriger noch gar nicht den Wunsch von St.Gallen wegzugehen. Ich wollte hier bleiben und meine Ausbildung f ertigmachen. Das grosse Geld hat mich nicht interessiert.

Sie bestreiten als Familie das Management rund um Ihre Karriere. Wie muss man sich das vorstellen? Barnetta:Mein Vater war und ist bei allen Verhandlungen dabei. Dies hat mich auch als junger Spieler davor bewahrt, blauäugig irgendwelchen Versprechungen zu glauben. Als ich dann erf olgreicher wurde, gründeten wir die BaMA Sport GmbH, die u.a. Fan-Artikel über meine Website barnettaf an.chverkauf t. Meine Mutter macht die gesamte Buchhaltung und die Logistik und mein Bruder kümmert sich um die Produkte und die Webseite. Wir sind also ein richtiger Familien-Betrieb.

Und wie managen sie das auch über die Distanz? Barnetta:Wir sind praktisch täglich telef onisch im Kontakt, weil wir einen guten Familienzusammenhalt haben. Da geht es auch nicht immer ums Geschäf t. Meine Eltern sind of t in Deutschland und ich etwa einmal im Monat in St.Gallen, wenn ich beispielsweise f ür die Nationalmannschaf t auf geboten bin. Mein Vater ist selbständig und meine Mutter arbeitet auch in seiner Firma, somit können sie sich glücklicherweise auch die Zeit f ür ihr Fussball-Engagement nehmen.

Sie haben Ihre Website inklusive Fan-Artikel Shop erwähnt. Lässt sich damit gross Geld verdienen oder geht es eher um PR in eigener Sache? Barnetta:Es geht hier nicht um riesige Beträge. Es war vor allem auch f ür meinen Bruder während seines Studiums interessant, so etwas auf zubauen und sich damit f inanzieren zu können. Ziel war es, meinen Fans die Möglichkeit zu geben, an einem Ort Leibchen und andere Fan-Artikel möglichst einf ach bestellen zu können.

Wie wichtig sind eigene Sponsoring-Verträge? Sind sie da frei mit wem sie die abschliessen oder müssen Sie auch Rücksicht auf die Verträge Ihres Clubs nehmen? Barnetta:Etwa bei Ausrüsterverträgen kann es zu Problemen mit den Clubs kommen. Bei Schalke 04 betraf dies etwa Spieler mit Nike-Schuhen. Ich selbst hatte Glück, dass meine Vereine immer mit Adidas spielten. Es ist wichtig, sich klar zu werden, welche Sponsoren man repräsentieren will und wof ür man seinen Namen hergibt: man kann nicht f ür Pepsi- und Coca Cola gleichzeitig «Botschaf ter» sein.

Wenn Sie Ihre gesamten Einnahmen betrachten: Wieviel macht Ihr Lohn bei Schalke 04, Ihre Sponsoring- Verträge etwa mit Audi, Adidas oder Mc Donalds sowie der Verkauf von Fanartikeln aus? Barnetta:Der grösste Teil ist nach wie vor der Lohn. Dann kommen die Sponsoring-Verträge. Aus dem Verkauf der Fan-Artikel beziehe ich keine Einnahmen, das geht an die GmbH meines Bruders.

Ist Ihr Familien-Fussball-Modell eine Ausnahmeerscheinung und ist das bei einer internationalen Karriere wie der Ihren überhaupt noch machbar? Barnetta:Es gibt wohl nicht viele Spieler, die das so wie ich machen. In Deutschland arbeiten viele mit Beraterf irmen, die das gesamte Management übernehmen und daf ür einen Prozentsatz des Lohnes erhalten. Ich glaube unser Familien-Modell mit zusätzlichen externen Beratern hat sich bewährt und ist auch nach wie vor möglich.

Sie habe heute mit 27 Jahren einen Marktwert von über 6 Mio. Schweizer Franken, wie wichtig sind solche Zahlen für Sie persönlich? Barnetta:Überhaupt nicht. Ich habe nicht mal gewusst wie hoch dieser Wert steht. Aber natürlich zeigen solche Zahlen auch, wie erf olgreich man als Spieler ist. Ich bin zwar Teil dieses Geschäf ts aber f ür mich ist es eher etwas suspekt, wenn man Menschen mit solchen Zahlen in Verbindung bringt. Für mich war primär das Fussballerische entscheidend, f ür welchen Club ich mich entschieden habe.

In St.Gallen verband man mit Ihnen neben dem Fussball auch die Beteiligung Ihrer Familie am Asia- Restaurant Punkt. Warum haben Sie auf Ende 2012 Ihren Anteil verkauft? Barnetta:Für meine Familie wurde nach f ünf Jahren der zeitliche Auf wand einf ach zu gross. Für mich war es ein interessanter Einblick in die Gastroszene und eine gute Erf ahrung, aber die grosse Arbeit lag ja bei meiner Familie. Und letztlich ist es ja ein gutes Gef ühl, wenn man ein gutlauf endes Restaurant weitergeben kann.

Wenn Sie auf Ihre erfolgreiche Karriere zurückblicken: Was würden Sie punkto Management anders machen? Barnetta:Ich glaube nichts. Ich kann sehr zuf rieden sein, wie es gelauf en ist. Auch dass ich als Schweizer Fussballer neben dem Fussball soviele Werbeverträge abschliessen durf te.

Welche drei Tipps rund um Management und Fussball würden Sie einem jungen Spieler geben, der heute am Anfang einer Profikarriere steht? Barnetta:Er soll sich gut überlegen, welche Berater er auswählt und darauf achten, bei allen Entscheiden dabei zu sein und sie auch mitzuf ällen, damit er nicht einf ach «verkauf t» wird. Sonst besteht die Gef ahr, dass man mit 21 Jahren schon bei vier bis f ünf Clubs war, was f ür eine Karriere nicht optimal ist. Die f ussballerische Karriere und nicht das grosse Geld sollte im Vordergrund stehen. Wer eine solide Karriere machen kann, der wird auch f inanziell nicht zu kurz kommen.

Interview: Marius Hasenböhler

Wie ein Amateurclub sein Team zusammenstellt

Audio-Beitrag

Grosse Fussballvereine verstärken ihre Teams durch den Einkauf von Spielern, die Millionen kosten. Davon können kleine Clubs wie der St.Galler Verein SC Brühl, der in der dritthöchsten Schweizer Liga spielt, nur träumen. Präsident René Hungerbühler spricht in einem Audio-Beitrag darüber, wie Transf ers hier ablauf en und mit welchen Problemen der vergleichsweise kleine Verein kämpf t.

Tor für Brühl! Jubel im St.Galler Paul-Grüninger-Stadion. Bild e r: zVg SC Brühl

Beitrag: Norina Müller (toxic.fm).

Darlington 0 – Hartlepool 2

In der gef ühlten Urzeit der Personal Computer, da gab es auf unseren geliebten Commodore 64 das erste umf assende Strategiespiel f ür alle Möchtegern-Fussballtrainer: den «Football Manager». Es war schlicht «addictive», das «Strategy Game of the Year» (zirka 1985) und – notabene – «nominated f or the Golden Joystick Award»! Von Dominique Künzle

Co mb o : Ste p hanie Bränd li

«Wir lesen diese Gedichte nicht, weil sie euch f ür den Arbeitsmarkt vorbereiten!», ruf e ich meinen Schülerinnen und Schülern am Gymnasium entgegen und f uchtle mit einem Bündel Blätter, «wir lesen sie, weil sie romantisch sind, nächtlich, gef ährlich. Eine beruf liche Karriere ist nicht das ganze Leben! Ihr seid auch später nicht nur Manager, sondern» – und hier zögere ich einen Moment, gehe dann aber doch in die Vollen – «immer auch Poeten.»

Ich f ühle mich ziemlich gut – rebellisch und gesellschaf tskritisch –, während ich das sage. Die Position eines literarischen, romantischen Aussenseiters zur kalten Businesswelt ist wie geschaf f en f ür einen Philosophen und Deutschlehrer, der es sich durchaus auch zwischendurch mal gönnt, ganz pauschal den «Bankern und Managern» die Schuld an gegenwärtigen Krisen zuzuschieben.

Allerdings ist es in meinem Fall beunruhigend, dass es, nüchtern betrachtet, mit dem Poeten im Herzen des Deutschlehrers nicht so weit her ist. Hinter der romantischen Fassade lauert ein peinliches Geheimnis. Mein 15-jähriges Selbst las keine Gedichte von Joseph von Eichendorf f , und es stand nachts auch nicht sehnsüchtig am of f enen Fenster. Meine eigenen romantischen Erinnerungen beruhen auf – welche schreckliches Paradox – Management. Nächtliches, süchtiges, verborgenes und verbotenes Fussball-Management.

Was für eine Maschine!

Mitte der 1980er Jahre, als ausgebleichte, röhrenf örmige Jeans auf halber Wadenhöhe von weissen Tennissocken abgelöst wurden und die Fernsehkrimis im kokainverschneiten Miami spielten, hatte ich mein ganzes Taschengeld in einen C64 investiert – den bis heute meist verkauf ten Computer aller Zeiten. Was f ür eine Maschine! Die Herstellerf irma Commodore hatte nach ihrem ersten grossen Triumph, dem VC-20, nun ganz gross auf gedreht und ihr neues Kraf tpaket gleich mit 64 Kilobyte Arbeitsspeicher vollgepackt. Das war und ist beeindruckend; bis zum heutigen Tag würden bereits 16'000 solcher Computer reichen, um ein iPhone 5 in Grund und Boden zu rechnen. Jeder einzelne C64 konnte, wie ich es allen vorzeigte, die nicht rechtzeitig aus meinem Zimmer f lüchteten, f arbige Figuren anzeigen und knarrende Töne produzieren. Mit diesen ausserordentlichen Fähigkeiten erschuf dieses Wundergerät auf einen Schlag die neue, bis heute nicht ganz ausgestorbene Jugendkultur der Gamer – und ich war von Anf ang an dabei, ein Gamer der ersten Stunde! Meine Games wurden auf gewöhnlichen Musikkassetten «gekauf t» (kopiert). Es dauerte dermassen lange, ein solches Spiel von einer Kassette hochzuladen ("Load '$', 8" - Loading - Ready - List), dass man während der Ladezeit genügend Zeit hatte, seinen Liebesbrief an Kim Wilde f ertigzuschreiben und zur Post zu bringen. Alle meine Freunde hatten einen C64; ausser diejenigen, die so uncool waren, dass sie auch Knight Rider nicht sehen durf ten und in Gummistief eln Fussball spielten.

Und dann entdeckte ich den Football Manager, ein Spiel f ür Fussballer und Fussballf ans wie mich; verliebt in den Sport, den Kopf voller Ideen und Verbesserungsvorschläge f ür den Lieblingsclub, und ohne die geringste Aussicht, diese Juwelen der Auf stellungs- und Transf erpolitik jemals Helmuth Johannsen vom FC St.Gallen oder auch nur Miro Blazevic von GC of f enbaren zu dürf en. Ein Spiel, das einem ermöglichte, in den Anzug eines englischen Fussballmanagers zu schlüpf en und die Geschicke eines Clubs zu leiten – inklusive, weil man ja ein englischer Manager und nicht nur ein Schweizer Trainer sein durf te, die gesamte Transf erpolitik.

Kenny Dalglish in den Sturm stellen

Das Spiel selbst überraschte mit einem bestechend einf achem Design; im Wesentlichen beschränkte es sich auf grob gepixelte f arbige Buchstaben auf schwarzem Hintergrund. Ähnlich wie heutige Zigarettenpackungen machte es aus seinem Gef ahrenpotential keinen Hehl: "Copyright Addictive Games 1984" war die erste Zeile, die einen begrüsste, sof ern man die Ladezeit überstanden hatte. Dann ein verf ührerisch blinkendes weisses Feld: "Type your name!".

Es f olgte als erster Höhepunkt des Spiels die Wahl des Clubs, die einen direkt ins Fussballparadies und die Hooliganhölle nach England einlud (nur englische Clubs waren spielbar); was f ür eine reizvolle Wahl! Ich liess mir jedes Mal ein paar Minuten Zeit daf ür. Wollte ich endlich mal wieder die Dominanz der Liverpooler Clubs mit Arsenal oder Tottenham durchbrechen? Oder mit Hartlepool von ganz unten auf steigen und am Ende die gepf legten Rasen des Old Traf f ord oder des Goodison Park mit den Grossclubs auf wischen? Selbstverständlich wählte ich, mir selbst zuliebe, die Schwierigkeitsstuf e immer zu tief (schliesslich wollte ich gewinnen), und dann ging es los mit den ersten Spielen (gegen Bury, Darlington und Torquay in der vierten englischen Division). Dann die Transf ers: ein paar Nieten verkauf en; Brian Robson ins Mittelf eld und Kenny Dalglish in den Sturm stellen; notf alls bei der Bank einen kleinen Kredit auf nehmen.

Die Spiele selbst, auf die man als Manager keinen Einf luss nehmen konnte, waren liebevoll animiert und vertont. Nach dem Anpf if f erhob sich ein lautes Rauschen, von dem man nie wusste, ob es ein Programmierf ehler war oder etwas darstellen sollte; dann bewegten sich rote Klötze auf blaue zu; nach ein paar ruckartigen Bewegungen wurde das Rauschen lauter und es erscholl ein greller Pf if f . Of f enbar hatte jemand ein Tor geschossen. Der neue Zwischenstand wurde eingeblendet, gef olgt von Jubel oder halblautem Schimpf en meinerseits, dann schaltete das Bild zurück auf die f arbigen Klötze.

«Immer noch besser als Hasch!»

Ich spielte nächtelang mit dem Football Manager. Ich f ieberte mit, konnte nicht auf hören, dachte, wie jeder Süchtige: «Nur noch diese Saison!», schämte mich, wann immer ich auf die Uhr sah und zuckte zusammen, wenn sich meine Eltern der Tür meines Schlaf zimmers näherten. Schon wir, die erste Generation der Gamer-Teens, wussten, dass wir in den Augen der Gesellschaf t unsere Zeit vergeudeten. Nächtliches Lesen war mindestens OK; hörte man beim Tadel der Eltern genau hin, merkte man, dass sogar Stolz mitschwang. Nicht so beim Football Manager. Diese Sucht wurde vom erwachsenen Bürgertum (= meinen Eltern) allenf alls als Kleineres von möglichen Übeln hingenommen: «Immer noch besser als Hasch!»

Heute erzähle ich meinen Schülerinnen und Schülern, dass Poesie ihre romantische Kraf t der Tatsache verdankt, dass sie unsere eigene Fantasie anrege. Es ist dann diese Vorstellungskraf t, die uns packt, auf weckt und – hof f entlich – am Ende glücklich macht. Darum sind wir auch dann nicht nur Manager, wenn wir Manager sind.

Aber nicht nur poetische Manager sind glücklichere Manager (das sind sie auch!) – auch wir, die Football Manager der 1980er-Jahre, lebten neben der schulischen Realität auch noch in einer emotionalen, f arblich und akustisch halluzinogenen Fantasiewelt. Der Football Manager benötigte, im Gegensatz zur ach-so-tollen Literatur, nicht mal Metaphern und Symbole, um uns zu entf ühren; ein paar Eigennamen und Zahlen reichten. Welch ein Feuerwerk meiner inneren Sinne entf achte der Name «Bryan Robson», kombiniert mit einer blauen Fünf als Masszahl seiner technischen Qualitäten (5 war das Maximum)! Welche grausamen Szenen müssen sich dem Publikum geboten haben, als mein Mittelf eld mit 18er-Stärke das 12er von Crewe vom Platz f egte? Wer schoss die schönsten Tore, wie sehr schämten sich die Spieler von Liverpool, als sie Tabellenletzte wurden, wie herrlich wurden sie in der Presse zerf etzt nach ihrer 0:6 Heimniederlage gegen mein Rochdale!

Man sollte die Nostalgie nie übertreiben. Es ist nicht so, auch wenn mir das jetzt mühelos von der Feder ginge, dass mich der Football Manager zu dem machte, was ich heute bin. Auch sollte man nicht allzu sehr verallgemeinern: Das letzte Mal, als ich einen Blick auf das Geschehen in «Call of Duty: Modern Warf are 3» warf , schien es mir nicht ganz in dem Mass die Fantasie zu bef lügeln, wie das die Gedichte von Novalis tun. Aber vielleicht zeigen meine warmen Erinnerungen an die Nächte der virtuellen Triumphe und Erniedrigungen ja doch, dass es keine grosse Rolle spielt, was wir tun, solange wir uns nur reinsteigern – solange uns die Dinge etwas bedeuten.

Dr. Dominique Kuenzle ist Privatdozent für Philosophie an der Universität Zürich und unterrichtet an den Kantonsschulen Heerbrugg und Wil. Am 3. Februar 2013 diskutierte er in der «Sternstunde Philosophie» des Schweizer Fernsehens über Feminismus und Unterschiede zwischen den Geschlechtern (siehe Videoportal von srf.ch). Seine Fussball-Management-Karriere entwickelt sich seit den 1980er-Jahren nur abwärts; derzeit wird er Saison für Saison von seinen so genannten «Freunden» in online Fantasy-Football- Ligen gedemütigt.