Wehrpflicht Und Zivildienst

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Wehrpflicht Und Zivildienst APuZAus Politik und Zeitgeschichte 61. Jahrgang · 48/2011 · 28. November 2011 Wehrpflicht und Zivildienst Harald Kujat Das Ende der Wehrpflicht Peter Steinbach Zur Geschichte der Wehrpflicht Berthold Meyer Bundeswehrreform und Parteiendemokratie Wenke Apt Herausforderungen für die Personalgewinnung der Bundeswehr Heiko Biehl · Bastian Giegerich · Alexandra Jonas Aussetzung der Wehrpflicht. Lehren westlicher Partnerstaaten Ines-Jacqueline Werkner Wehrpflicht und Zivildienst – Bestandteile der politischen Kultur? Holger Backhaus-Maul · Stefan Nährlich · Rudolf Speth Der diskrete Charme des neuen Bundesfreiwilligendienstes Jörn Fischer Freiwilligendienste – vom Nutzen des Engagements Editorial Mit der Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 wurde die Bundeswehr nach 55 Jahren zur Freiwilligenarmee. Voran­ gegangen war eine jahrelange, emotional geführte Debatte. Be­ fürworter der Wehrpflicht hatten wiederholt darauf hingewie­ sen, dass es die Wehrpflicht sei, die dafür gesorgt habe, dass die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft verankert geblieben und nicht wie die Reichswehr der Weimarer Republik zum Staat im Staate geworden sei. Kritiker hatten dagegen bemängelt, dass von Wehrgerechtigkeit aufgrund der hohen Ausmusterungs­ quote keine Rede mehr sein könne. Letzten Endes ermöglich­ ten Sparzwänge und die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Bundeswehr die rasche und relativ einvernehmliche Aussetzung der Wehrpflicht. Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist zur Zeit im vollen Gange. Im Oktober wurden die Pläne für Standortschließungen und -verkleinerungen vorgestellt. Eine große Herausforderung liegt in der Rekrutierung von quantitativ und qualitativ ausrei­ chendem Personal. Die Gefahr, dass aus der Bundeswehr eine „Unterschichtenarmee“ werde, wird oft beschworen. Mit Blick auf die Armeen westlicher Partnerstaaten, die zum Teil schon vor Jahrzehnten die Wehrpflicht abgeschafft haben, lassen sich die pessimistischen Vorhersagen aber nur bedingt bestätigen. Die Bundeswehr als Freiwilligenarmee muss nun – wie jeder an­ dere Arbeitgeber auch – Rahmenbedingungen bieten, die es at­ traktiv machen, den Soldatenberuf zu ergreifen. Das Ende des Wehrdienstes zog auch das Ende des Zivildiens­ tes nach sich. Hatten Ersatzdienstleistende in den ersten Jahr­ zehnten nach Einführung der Wehrpflicht häufig noch als „Drü­ ckeberger“ gegolten, so wandelte sich das Bild allmählich zum sympathischen „Zivi“, auf den zahlreiche soziale Einrichtungen kaum mehr verzichten wollten oder konnten. Mit der Einfüh­ rung des Bundesfreiwilligendienstes versucht die Bundesregie­ rung, die entstandene Lücke zu schließen. Dabei gilt es, die un­ terschiedlichen Logiken eines staatlichen Pflichtdienstes, wie es der Zivildienst war, und des freiwilligen zivilgesellschaftlichen Engagements, das durch den Bundesfreiwilligendienst erschlos­ sen werden soll, zu beachten. Anne Seibring Harald Kujat Transformation der NATO war diese Reform auf Kontinuität angelegt. Aus finanziellen Gründen ist sie nach 2002 nicht fortgeführt worden. Ein Reformstau war die Folge. Nun Das Ende der steht die Bundeswehr zum dritten Mal in zwanzig Jahren vor einer Reform, die als völ­ lige Neuausrichtung konzipiert ist. Es geht Wehrpflicht um höhere Leistungsfähigkeit, mehr Effizi­ enz und größere Einsatzrealität. Die Bundes­ wehr soll professioneller, schlagkräftiger, mo­ Essay derner und attraktiver werden. Es geht aber auch um die Frage: Was können wir uns an treitkräfte müssen sich fortlaufend den Sicherheitsvorsorge leisten, was müssen wir Sveränderten außen- und sicherheitspoliti­ uns leisten? Das Bundesministerium der Ver­ schen Verhältnissen anpassen, damit sie auf teidigung erklärte, Ziel der Neuausrichtung neue Herausforderun­ sei es, „die Bundeswehr so aufzustellen, zu Harald Kujat gen und Risiken ange­ finanzieren und auszustatten, dass Deutsch­ Geb. 1942; General a. D. der messen reagieren kön­ land nachhaltig befähigt ist, gemeinsam mit Luftwaffe; 2000 bis 2002 Gene- nen. Dies gilt ins­ seinen Partnern einen gewichtigen militäri­ ralinspekteur der Bundeswehr; besondere seit dem schen Beitrag zur Sicherheit des Landes und 2002 bis 2005 Vorsitzender des Ende des Ost­West­ des Bündnisses sowie zur Sicherung von Frie­ Militärausschusses der NATO. Konflikts, seit sich die den und Stabilität in der Welt zu leisten“. ❙1 gegnerischen Blöcke mit ihren erstarrten Fronten aufgelöst haben. In der Folge hat die Erweiterung der Nordat­ Historischer und lantischen Allianz (NATO), die strategische gesellschaftlicher Bruch Partnerschaft der NATO mit Russland und die Schaffung eines euro­atlantischen Stabili­ Anders als bisher wird diesmal mit der Ausset­ tätsraums durch den Euro-Atlantischen Part­ zung der Wehrpflicht ein historischer und ge­ nerschaftsrat die geopolitische Lage Deutsch­ sellschaftlicher Bruch vollzogen. Wenngleich lands positiv verändert. Wie andere euro­ die Konsolidierung des Bundeshaushalts, zu päische Staaten hat auch Deutschland seine der auch die Bundeswehr einen Beitrag leisten Friedensdividende eingelöst und eine selbst muss, den Anstoß gab, ist das Ende der Wehr­ im historischen Maßstab bemerkenswerte pflicht der eigentlich bestimmende Faktor für Abrüstung vollzogen. die Neuausrichtung der Bundeswehr. Dabei stand als politischer Schachzug die Entschei­ Als größter und wirtschaftlich stärkster dung zur Aussetzung der Wehrpflicht am An­ Staat der Europäischen Union (EU) und als fang des Reformprozesses und ist nicht – wie zweitgrößter Mitgliedsstaat der NATO ist es bei einer aufgaben- und fähigkeitsorientier­ Deutschland jedoch größere außen- und si­ ten Planung eigentlich geboten wäre – dessen cherheitspolitische Gestaltungsmacht zu­ Ergebnis. Die Konsequenzen dieser Vorge­ gewachsen. Unsere Verbündeten erwarten hensweise werden entscheidend dafür sein, daher, dass Deutschland deutlich mehr Ver­ ob die Bundeswehr künftig in der Lage sein antwortung für die Sicherheit Europas und wird, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. die Stabilität weltweit übernimmt. Deutsch­ land wird ein größerer Beitrag als bisher zur Nachdem seit Jahren von den Gegnern der gemeinsamen Sicherheitsvorsorge der NATO Wehrpflicht argumentiert wurde, sie sei si­ und zur politischen und militärischen Durch­ cherheitspolitisch und gesellschaftlich über­ setzung der gemeinsamen Außen- und Si­ holt, bedeutete bereits die Verkürzung des cherheitspolitik der EU abverlangt. Wehrdienstes auf sechs Monate – 2009 bei Im Jahr 2000 begann eine grundlegende ❙1 Reform der Bundeswehr, nachdem sie einige Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.), Sach­ stand zur Neuausrichtung der Bundeswehr. Nationale Jahre zuvor die Auflösung und die Integra­ Interessen wahren – Internationale Verantwortung tion eines Teils der Nationalen Volksarmee übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten, Berlin, der DDR erfolgreich bewältigt hatte. Wie die .21. 9 2 011. APuZ 48/2011 3 der Regierungsbildung beschlossen – prak­ wären, einen substantiellen Beitrag zum Fä­ tisch den Einstieg in den Ausstieg. Der frü­ higkeitsspektrum der Streitkräfte zu leisten. here Verteidigungsminister Karl-Theodor Offensichtlich haben die militärischen Fä­ zu Guttenberg verschärfte den politischen higkeiten der Bundeswehr in den vergange­ Druck zur Aufgabe der Wehrpflicht mit sei­ nen Jahren immer weniger mit den sicher­ ner Argumentation, dass Wehrgerechtigkeit heitspolitischen Herausforderungen Schritt nicht mehr gegeben sei, wenn nur 17 Pro­ gehalten. Eine genauere Betrachtung zeigt zent eines Jahrgangs Wehrdienst leiste­ allerdings, dass dafür nicht die Wehrpflicht, ten. Schließlich wurde die Wehrpflicht nach sondern die jahrelange Unterfinanzierung 55 Jahren zum 1. Juli 2011 ohne eine vertief­ der Streitkräfte verantwortlich ist. te sicherheitspolitische Diskussion der Rah­ menbedingungen sowie der Konsequenzen ausgesetzt. Das Grundgesetz wurde jedoch Neuausrichtung der Bundeswehr: nicht geändert, sodass wohl für den einen Fähigkeitsprofil und Personalbedarf oder anderen Politiker die theoretische Op­ tion einer späteren Reaktivierung, wenn sich Grundsätzlich hat die Neuausrichtung der dies als notwendig erweisen sollte, ausschlag­ Bundeswehr wie jede Streitkräftereform zum gebend für seine Entscheidung war. Ziel, Aufgaben, Fähigkeiten und Mittel mit­ einander in Einklang zu bringen. Die Kern­ Das Argument der Wehrgerechtigkeit wird aufgaben der Bundeswehr leiten sich unmit­ auch weiterhin herangezogen, wenn es gilt, telbar aus dem Grundgesetz ab und umfassen das Ende der Wehrpflicht zu rechtfertigen. den Schutz Deutschlands, die Sicherung von Dass in den Jahren 2000 bis 2010 immer we­ Frieden, Freiheit und Wohlergehen des deut­ niger Wehrpflichtige ihren Dienst ableis­ schen Volkes sowie die Verpflichtungen, die ten mussten, war jedoch keine unabänderli­ sich aus der Mitgliedschaft in einem Bündnis che Entwicklung. Bis zur Bundeswehrreform kollektiver Sicherheit, der NATO, ergeben. des Jahres 2000 sind noch etwa 135 000 junge Alle anderen nationalen und multinationalen Männer eingezogen worden. Mit dem dama­ Aufgaben sind Ableitungen aus diesen beiden ligen Reformkonzept wurde die Möglichkeit Kernaufgaben. der flexiblen Ableistung des Wehrdienstes, einschließlich des freiwilligen zusätzlichen Dem entspricht das Strategische Kon­ Wehrdienstes, geschaffen. Bei durchschnitt­ zept der NATO vom November 2010, das lichen Jahrgangsstärken von 400 000 Wehr­ der Kollektiven Verteidigung höchste Prio­ pflichtigen konnten jährlich etwa 100 000 rität einräumt, noch vor den beiden anderen Wehrpflichtige eingezogen werde. 33 Pro­ Kernaufgaben,
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