Leichte Und Komplexe Muse Sex, Macht Und Politik
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Nr. 258 Kultur Mai 2016 Sex, Macht und Politik Leichte und komplexe Muse Musikdramen des 18., 19. und 20. Jahrhunderts Der Cellist Steven Isserlis konzertiert mit dem im Spielplan der Oper Stuttgart Stuttgarter Kammerorchester »Nichts ist es … ein Rausch«: Die vorletzte Pre- angewandt ohne Gröbliches, Lüsternes, Schmie- »Im Banne des Tanzes« heißt das Motto des Edvard Grieg hat keinen Anspruch erhoben, miere der Saison in der Stuttgarter Oper gilt ei- riges zwischen zehn Menschenpaaren. Und Konzerts mit dem Stuttgarter K ammerorchester »zur Klasse eines Bach, Mozart und Beethoven nem Werk zeitgenössischen Musiktheaters mit zwischen allen Gesellschaftsklassen. Stets das am 14. Mai im Hegel-Saal der Liederhalle. Das zu gehören«. Obwohl er schon früh in Leipzig berühmt-berüchtigter Textvorlage. Der »Reigen« Hinübergreifen von einer Schicht zur andern. von Nathalie Chee dirigierte Programm umfasst die damals maßstabsetzende deutsche Schule des belgischen Komponisten Philippe Boesmans, Vorher und Nachher und die Welt steht immer »Zehn frühe Walzer« für Streichorchester von der Kunstmusik an der Quelle studiert hatte, mit Luc Bondys Libretto nach dem skandalträch- noch. Nicht Schmutzereien, sondern Lebens- Arnold Schönberg, Joseph Haydns Konzert für fühlte er sich später nicht mehr zentraleuropäi- tigen Schauspiel Arthur Schnitzlers, hat 1993 aspekte. Auch das Vergängliche des Taumels; Violoncello und Orchester C- Dur mit dem re- scher Sinfonik verpflichtet. Stattdessen strebte am Théâtre la Monnaie in Brüssel seine Urauf- das Komisch-Trübe des Schwindens des Trugs. nommierten englischen Solisten S teven Isserlis er ähnlich wie tschechische und russische Kolle- führung erlebt. Dirigent war damals Sylvain Alles umhaucht von leisem, witzigem Reiz.« (Foto oben) und Edvard Griegs Streichquartett gen seiner Zeit eine »nationale«, von Volkswei- Cambreling – der hiesige GMD wird auch die g-Moll op. 27 in einer Streichorchester fassung. sen und Tanzrhythmen seiner Heimat geprägte Neuproduktion des Werks, das seitdem zwi- Reigen Lange Zeit ist kaum zur Kenntnis genommen Musik an. schen Frankfurt und Nantes, Wien und Amster- von Philippe Boesmans worden, dass Schönberg als kompromissloser Sein Streichquartett g-Moll hat Grieg 1877/1878 dam Erfolge auf der Bühne feierte, in Stuttgart Vorstellungen ab 6. Mai Vertreter einer Kunstmusik, in der jedes Schie- unter dem Eindruck einer persönlichen und dirigieren. Inszeniert wird die Oper von Nicola Karten für Mitglieder 36 bis 79 Euro len auf Publikumswirksamkeit als Qualitätsman- künstlerischen Krise komponiert. Es ist sein ein- Hümpel, die zusammen mit ihrem Bühnenbild- gel verstanden wurde, sich kompositorisch ziges vollendetes und erhaltenes Werk dieser ner Oliver Proske seit ihrem Zyklus »Menschen- Dirne, Soldat, Stubenmäd- gelegent lich gleichwohl im Bereich der soge- Gattung. Nach einer erfolglosen Konzertreise bilder«, von 1999 bis 2005 in den Berliner So- chen, Junger Herr, Junge nannten leichten Muse versucht hat. Dabei hatte sich Grieg in die ländliche Einsamkeit von phiensälen, im Ensemble »Nico and the Naviga- Frau, Der Gatte, Das süße brachte er noch in seinem amerikanischen Exil Lofthus östlich von Bergen zurückgezogen. tors« bei Sprech- und Musiktheater Regie führt. Mädel, Dichter, Sängerin, durchaus auch der Musik seines Tennispartners Dort wollte er sich kompositorisch doch einmal Erst 1920, fast ein Vierteljahrhundert nach der Graf: In zehn Dialogen und Nachbarn George Gershwin Anerkennung der zentraleuropäischen Tradition stellen. Die Entstehung, wurde Arthur Schnitzlers »Reigen« werden die erotischen Be- entgegen. Hütte, in der er damals arbeitete, ist heute ein in Berlin uraufgeführt. Gegen die von Spieß- gegnungen, die Motive Schon in seiner Wiener Zeit hat Schönberg 1921 kleines Museum. bürgern und Nationalkonservativen angefachte und Verhaltensweisen der Philippe Boesmans zur Kassenaufbesserung seines Vereins für Kampagne schrieb der Kritiker Alfred Kerr: ungleichen Paare in ihren m usikalische Privataufführungen mit einigen Stuttgarter Kammerorchester »Schnitzler ist mehr launig als faunig. Er gibt mit ewig gleichen Bedürfnissen und Sehnsüchten Schülern Walzer von Johann Strauß für Kammer- Nathalie Chee (Leitung) nachdenklichem Lächeln den irdischen Humor abgehandelt, mit der Begierde davor und dem ensemble bearbeitet und aufgeführt. Unter Steven Isserlis (Violoncello) der unterirdischen Welt. Reigen heißt hier Liebes- Kater danach: »Nicht einmal ein Rausch«, heu- f rühen, häufig Fragment gebliebenen Stücken 14. Mai, Liederhalle, Hegel-Saal reigen, und Liebe heißt hier nicht platonische, chelt der Gatte seiner Eifersucht heuchelnden Schönbergs, die sich in seinem Nachlass gefun- Karten für Mitglieder 22 bis 46 Euro, sondern … Also: angewandte Liebe. Sie wird Ehefrau vor und beschwört die »Heiligkeit« der den haben, sind auch zehn um 1897 fertigge- Freier Verkauf 28 bis 60 Euro Ehe, wo man nur liebt »wo Reinheit und Wahr- stellte Walzerabschnitte für Streichorchester. Ermäßigte Karten für Schüler und Studenten heit ist«, bevor er in der folgenden Szene das Von den drei bis fünf Konzerten für Violoncello www.kulturgemeinschaft.de »süße Mädel« vernascht. und Orchester, die im Konzertrepertoire vieler oder Telefon 0711 22477-20 Philippe Boesmans gibt den Annäherungen Solisten unter dem Namen von Joseph Haydn und ihrer Mechanik des Werbens und Sich-Ver- liefen, sind nur zwei authentisch. Das Konzert Mit Bedacht ging Grieg die selbstgestellte Auf- weigerns einen irisierenden Rahmen, typisiert Nr. 1 in C-Dur galt lange Zeit als verschollen und gabe einer Verbindung »nationaler« Merkmale die F iguren des »Reigens« mit postmodernem, wurde erst 1961 im Prager Nationalmuseum in mit großdimensionierten Struktur- und Form- z wischen delikat aufgefächerten Klängen und einer nicht autografen Handschrift wieder- prinzipien auf dem Terrain des Streichquartetts lakonischen Chiffren wechselndem musikali- entdeckt. Ver mutlich ist es in den Jahren nach an. Nach Haydn galt dieses Genre als Königs- schem Material. Dazu lässt er das Orchester an 1761 entstanden, da es in ein Verzeichnis disziplin komplexer Gestaltung musikalischer V. den Höhepunkten der Erregung mit dichten e igener Werke von 1765 mit seinem Anfang Ideen jenseits von bloßer Reihung von Teilen zu Clustern auftrumpfen, doch insgesamt ist seine b ereits eingetragen ist. einem längeren Stück. Nach anfänglichen Partitur voll gut singbarem, leicht hörbarem Es- Komponiert hat Haydn das C- Dur-Konzert Schwierigkeiten kam Grieg mit seinem op. 27 prit. Nach »La Passion de Gilles« (1983) und wohl für Joseph Weigl, den Cellisten der von gut voran. Dramatik im Verlauf der vier Sätze »Reigen« hat der 1936 in Tongeren geborene ihm geleiteten Hofkapelle von Esterházy. Wäh- und Entfaltung von Klangfarben lassen das fast Philippe Boesmans noch vier weitere Literatur- rend der erste Satz mit punktierten Rhythmen orchestral gedachte Werk im Nachhinein als opern komponiert: »Wintermärchen« nach und feierlicher Grundstimmung noch an ba- Bindeglied zwischen Schuberts späten Quartet- Shakespeare, »Julie« nach Strindberg, »Yvonne, rocken Vorbildern orientiert scheint, trägt das ten und den Gattungsbeiträgen von Debussy Princesse de Bourgogne« nach Gombrowicz auf den Adagio-Mittelsatz folgende Finale und sogar von Bartók erscheinen. Einen satz- und »Au Monde« nach dem Stück von eher zukunftsweisende Züge. Der Solist hat übergreifenden Zusammenhang hat Grieg Joël Pommerat, sowie eine Neuorchestrierung hier virtuose Passagen in hoher Lage zu spie- durch die Verwendung eines thematischen von Claudio Monteverdis »L’Incoronazione di len, die auf eine effektvolle Steigerung an- Mottos (eine äolische Melodie aus seinem Lied Willi-Bleicher-Straße 20, 70174 Stuttgart Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt E 10933 Kulturgemeinschaft Stuttgart e. Poppea«. Fortsetzung Seite 2 gelegt sind. »Die Fiedler«) hergestellt. Werner M. Grimmel Kultur Mai 2016 Szene 2 Sex, Macht und Politik Fortsetzung von Seite 1 Im En semble der lobte Lucilla war im Februar letzten Jahres eine Stuttgarter Neuinszenierung gibt es mit Matthias veritable musikdramatische Wiederentdeckung Klink als Dichter und Melanie Diener als Sänge- und steht ab 16. Mai wieder auf dem Spielplan. rin, Rebecca von Lipinski als Junge Frau und Gabriele Ferro dirigiert, der das Staatsorchester S ebastian Kohlhepp als Junger Herr einige pro- vom intimen Streichquartett bis zu hochdrama- minente Besetzungen. tischen Tutti klanglich apart variiert, und im Auch in Modest M ussorgskijs »Chowanschtschina« weiträumigen Bühnenbild von Anna Viebrock steht der T enor Matthias Klink, der in dieser agieren wie in der Premierenbesetzung Sophie Spielzeit schon als Herodes in der »Salome« von Marilley in der Hosenrolle des Vologeso, Helene Richard Strauss begeisterte, wieder im Opern- Schneiderman, Sebastian Kohlhepp und Ana haus auf der Bühne. Die Inszenierung der frühe- Durlovski als tragikumwitterte Berenike, die in ren Hausregisseurin Andrea Moses, die sie 2011 ihrer Schattenarie Jommellis Partitur zum atem- am Anhaltischen Theater in Dessau heraus- beraubenden Hörerlebnis macht. brachte, hatte im November 2014 ihre Stuttgar- ter Premiere, nun wird sie am 8. Mai mit fast der Berenike, Königin von Armenien gleichen Besetzung wieder aufgenommen. von Niccolò Jommelli Ab 16. Mai wieder auf dem Spielplan Chowanschtschina Karten für Mitglieder 33 bis 73 Euro von Modest P. Mussorgskij Ab 8. Mai wieder auf dem Spielplan Das Schicksal von Kriegsflüchtlingen und Gefan- Karten für Mitglieder 36 bis 79 Euro genen ist der Ausgangspunkt