Entwicklungspolitischer Rundbrief Nr. 17/23 Heike Hänsel Annette Groth

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Entwicklungspolitischer Rundbrief Nr. 17/23 Heike Hänsel Annette Groth Entwicklungspolitischer Rundbrief Nr. 17/23 Heike Hänsel MdB DIE LINKE, Vorsitzende des Unterausschusses Vereinte Nationen, internationale Organisationen und Globalisierung, entwicklungspolitische Sprecherin und Obfrau im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Annette Groth MdB DIE LINKE, menschenrechtspolitische Sprecherin und Obfrau im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Mitglied im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Niema Movassat MdB DIE LINKE, Mitglied im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und im Unterausschuss Gesundheit in Entwicklungsländern Berlin, den 5.7.2012 Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, der Koalition beginnt ihr Entwicklungsminister so langsam peinlich zu werden. Als Dirk Niebel nach dem Staatsstreich im südamerikanischen Paraguay als erster Minister aus der Europäischen Union die Hand des de-facto-Präsidenten schüttelte und damit erhebliche Irritationen bzgl. der deutschen Haltung zum Staatsstreich hervorrief, wollten Koalition und Bundestagspräsident eine Diskussion im Parlament nicht zulassen. Kein Wunder nach den Niebel-Affären um Teppichkauf und Ämterpatronage. Der eigentliche Skandal aber ist Niebels Entwicklungspolitik, in der wirtschaftliche und militärische Erwägun- gen eine immer größere Rolle spielen. Afghanistan ist, vor der Tokio-Konferenz, das erschütterndste Bei- spiel für die zunehmende Instrumentalisierung der deutschen EZ. Heike Hänsel, Annette Groth, Niema Movassat Alexander King, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 1 Inhalt dieser Ausgabe: Teppich & Co.: Dirk Niebels neueste Fehlleistungen (ab S. 3) Rede von Heike Hänsel (13.6.2012): Das Problem ist nicht die Teppichnummer, sondern Niebels Entwick- lungspolitik Befragung der Bundesregeriung durch Niema Movassat und Heike Hänsel (27.6.2012): Niebel schüttelt dem De-facto-Präsidenten in Paraguay als erster europäischer Staatsgast die Hand. Entwicklungszusammenarbeit und Militarisierung (ab S. 7) Rede von Heike Hänsel (14.6.2012): Im Krieg kann es keine Entwicklung geben Rede von Niema Movassat (28.6.2012): Frieden verhandeln – für eine andere Sudanpolitik Pressemitteilung von Niema Movassat (6.7.2012) zur Beantwortung der Kleinen Anfrage „Ziviler und wirt- schaftlicher Aufbau im Sudan und Südsudan“ durch die Bundesregierung Rio+20: Alternativen zur Green Economy (ab S. 11) Rede von Heike Hänsel (14.6.2012): Globale Gerechtigkeit statt grüner Kapitalismus Veranstaltungsbericht (14.6.2012): Globale Gerechtigkeit statt grüner Kapitalismus Veranstaltungsbericht (14.6.2012): Die deutsche Linke und die Entwicklungen in Lateinamerika Gesundheit in Entwicklungsländern (ab S. 17) Rede von Niema Movassat (28.6.2012): Kein Menschenrecht auf Gesundheit ohne globale Umverteilung Rede von Niema Movassat (28.6.2012): HIV/AIDS: Versprechen einhalten statt schöne Reden schreiben Nahrungsmittelspekulation (ab S. 20) Rede von Niema Movassat (28.6.2012): Das Geschäft mit dem Hunger bekämpfen Interview mit Niema Movassat (10.5.2012): Zocken auf Kosten der Ärmsten gehört verboten 2 Teppich & Co.: Dirk Niebels neueste Fehlleistungen Rede, 13.6.2012 Das Problem ist nicht die Teppichnummer, sondern Niebels Entwicklungspolitik Die Teppich-Affäre des Entwicklungsministers war Thema einer aktuellen Stunde im Bundestag. Die entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Heike Hänsel, hat allerdings weit mehr an Dirk Niebel zu kritisieren, als den Teppich-Kauf: Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Niebel, das war ein bisschen sehr kurz. (Paul Lehrieder (CDU/CSU): Aber sehr gehaltvoll!) Ich denke, es gibt dazu noch etwas mehr zu sagen. Ich möchte mich aber auf die sachliche Kritik konzentrie- ren, und diese muss Minister Niebel auch aushalten; denn er gehört nicht zu denjenigen, die sich mit Kritik zurückhalten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist allerdings wahr! Das stimmt!) Ein Minister auf Dienstreise lässt sich in der Deutschen Botschaft in Kabul eine Teppichauswahl vorlegen. Er kauft einen Teppich, und der Geheimdienst schmuggelt ihn am Zoll vorbei nach Deutschland. (Dr. Erik Schweickert (FDP): Vorsicht! - Florian Hahn (CDU/CSU): Das ist nicht sachlich, Frau Kollegin! - Gegenruf des Abg. Niema Movassat (DIE LINKE): Das ist eine Tatsache! Nehmen Sie das mal zur Kenntnis! Das ist Schmuggel!) Diese Nummer wäre eigentlich reif fürs Kabarett, wenn das Ganze nicht in einem so ernsten Umfeld stattfin- den würde. Herr Niebel war nämlich in einer Kriegsregion, wo unter anderem deutsche Soldaten Krieg führen, wo täglich Menschen durch Krieg sterben und wo ein Teppichkauf in meinen Augen eigentlich nicht zu einer Dienstrei- se gehört. (Beifall bei der LINKEN) Wir unterstellen ihm nicht, dass er irgendwelche Zollgebühren sparen und sich persönlich bereichern wollte. Diese Vorwürfe finde ich albern, Herr Niebel. Vielmehr geht es darum, dass Sie in verantwortungsvoller Po- sition ein Gespür dafür haben müssen, was man machen kann und was nicht. Ich finde, dieses Gespür fehlt Ihnen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das haben Sie in meinen Augen schon zu Beginn Ihrer Amtszeit gezeigt, indem Sie mehrfach manchmal auch heute noch mit Bundeswehrkappe in Afrika oder Lateinamerika unterwegs waren. (Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Jetzt kommt die alte Leier!) Dieses Bild ist eines Entwicklungsministers in meinen Augen nicht würdig. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es erinnert an ungute deutsche Zeiten. (Holger Krestel (FDP): Haben Sie ein Problem mit der Bundeswehr, oder wie müssen wir das verstehen?) Das fand ich schon damals ein ganz großes Problem. Es zeigt, dass Ihnen, Herr Niebel, in manchen Berei- 3 chen, die in Ihrer Verantwortung liegen, das Gespür fehlt. (Beifall bei der LINKEN - Patrick Döring (FDP): Ihr Geschmack ist ja Gott sei Dank nicht der Maßstab!) In der Öffentlichkeit kann schnell der Eindruck entstehen, Sie fahren in eine Kriegsregion und am Ende kommt dabei ein Schnäppchenkauf heraus. Ich frage mich auch, ob es die Aufgabe der Deutschen Botschaft ist, eine Teppichauswahl zu organisieren. Auch diese Frage darf man stellen. Dazu, dass keine Kinderarbeit in dem Teppich steckt, gab es nur eine lapidare Bemerkung. Wir fragen natür- lich nach: Wie wollen Sie das eigentlich beweisen, vor allem angesichts des relativ geringen Preises für den großen Teppich? Das sind in meinen Augen ernsthafte Fragen. Der eigentliche Skandal liegt für mich und für die Linke aber nicht in Ihrer Teppichnummer, sondern in Ihrer Entwicklungspolitik. Damit kommen wir zu den zentralen Punkten: Sie setzen auf Außenwirtschaftsförde- rung. Ferner gab es Skandale um merkwürdige Stellenbesetzungen, und in meinen Augen waren auch Per- sonalbesetzungen im Ministerium oft inadäquat. Es geht auch um die sogenannte Fusion der verschiedenen Entwicklungsorganisationen. (Patrick Döring (FDP): Das ist ein großer Erfolg!) In meinen Augen wurde die gute Organisation DED zerschlagen. Sie ist nicht mit ihren Stärken in die soge- nannte Fusion eingeführt worden. Sie haben noch sehr große Baustellen. Auch was Afghanistan angeht, wurden die Entwicklungsorganisationen unter Ihrer Regierung stärker ans Militär gebunden. Leider begann das unter Rot-Grün. Herr Niebel, mir gefällt Ihre oft arrogante Haltung nicht - das habe ich auch schon erlebt - , wenn Sie in Län- dern des Südens unterwegs sind, die nicht Ihren politischen Vorstellungen entsprechen, wie zum Beispiel in Lateinamerika, in Bolivien, in Ecuador, in Nicaragua. (Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Waren Sie dabei? Sie waren doch überhaupt nicht dabei! Was erzählen Sie denn?) Sie treten sehr arrogant auf. Sie haben die Entwicklungszusammenarbeit mit Nicaragua wegen fehlender guter Regierungsführung eingestellt. Dazu sage ich: Das kann nicht sein, Herr Niebel. Dann müssen wir gleiche Maßstäbe anlegen. Ich fordere eine gute Regierungsführung für Deutschland. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Uns ärgert auch das ist eine gravierende Konsequenz dieser einfach auch doofen Teppichdiskussion , dass wir über viele wichtige Dinge in Afghanistan nicht sprechen. Vor einigen Tagen gab es dort ein Erdbeben mit über 80 Toten. Wer weiß davon? (Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Darüber hätte man die Aktuelle Stunde machen müssen! - Zurufe von der FDP) Wer spricht davon? Die Medien nicht. Aber Herr Niebel auch nicht. Es gab Tote durch NATO-Angriffe; es wurden über 18 Zivilisten getötet. Darüber spricht Herr Niebel auch nicht. Ich habe nichts von ihm gehört. (Niema Movassat (DIE LINKE): Zuhören! Eine Tugend!) Wir haben eine säkulare, progressive Partei in Afghanistan, die Solidaritätspartei, die gegen den Krieg kämpft. Gegen diese wurde ein Verbotsverfahren durchgeführt. Wir haben bei der Deutschen Botschaft mehrmals gefragt: Was macht die Bundesregierung? Wie reagieren das Auswärtige Amt und das Entwick- lungsministerium? - Wir haben nichts gehört. Ich frage mich: Wo sind die Prioritäten? (Zuruf von der FDP: Das fragen wir uns bei Ihnen auch! - Holger Krestel (FDP): Sie machen hier eine pillepalle Veranstaltung und halten uns vom Arbeiten ab!) Sie treten mit Teppichaktionen in Afghanistan in Erscheinung, machen aber nicht den Mund auf, wenn Or- 4 ganisationen, die gegen den Krieg und die Warlords in Afghanistan kämpfen, verboten werden sollen. Das sind für mich entscheidende Punkte. Ich sage Ihnen: Herr Niebel, für mich ist der Teppichkauf kein Rück- trittsgrund,
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