HERMANN FLESSNER

ERSTE ARBEITEN MIT ZUSE-COMPUTERN

BAND 1

Erste Arbeiten mit Zuse-Computern

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr.-Ing. Horst Zuse

Band 1

Rechnen, Planen und Konstruieren mit Computern

Von Prof. em. Dr.-Ing. Hermann Flessner Universit¨at Hamburg

Mit 166 Abbildungen Prof. em. Dr.-Ing. Hermann Flessner

Geboren 1930 in Hamburg. Nach Abitur 1950 – 1952 Zimmererlehre in Dusseldorf.¨ 1953 – 1957 Studium des Bauingenieurwesens an der Technischen Hochschule Hannover. 1958 – 1962 Statiker undKonstrukteurinderEd.Zublin¨ AG. 1962 Wiss. Mitarbeiter am Institut fur¨ Massivbau der TH Hannover; dort 1964 Lehrauftrag und 1965 Promotion. Ebd. 1966 Professor fur¨ Elektronisches Rechnen im Bauwesen. 1968 – 1978 Professor fur¨ Angewandte Informatik im Ingenieurwesen an der Ruhr-Universit¨at Bochum; 1969 – 70 zwischenzeitlich Gastprofessor am Massachusetts Institute of Technology (M.I.T.), Cambridge, USA. Ab 1978 Ordentl. Professor fur¨ Angewandte Informatik in Naturwissenschaft und Technik an der Universit¨at Hamburg. Dort 1994 Emeritierung, danach beratender Ingenieur.

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Flessner, Hermann: Erste Arbeiten mit ZUSE-Computern, Band 1

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c 2016 H. Flessner, D - 21029 Hamburg 2. Auflage 2017

Herstellung..und Verlag:nBoD – Books on Demand, Norderstedt Text und Umschlaggestaltung: Hermann Flessner ISBN: 978-3-7412-2897-1 V

Geleitwort

Hermann Flessner kenne ich, pr¨aziser gesagt, er kennt mich als 17-j¨ahrigen seit ca. 1962, der von Computern noch nicht sehr viel wusste und schon gar nicht davon, was ein Bauingenieur ist. Aber digital war die Welt fur¨ mich durchaus, denn schon 1957 war ich mit digitalen Relais, R¨ohren, Transistoren usw. in meiner Bude im Haus in Hunfeld¨ ausgestattet und baute damit eine digital gesteuerte M¨arklin-Eisenbahn. Als mein Vater im Jahr 1995 starb, kam Hermann Flessner auf mich zu und sagte: So, Horst, nun bist Du dran. Ich ahnte was er damit sagen wollte und wiegelte energisch ab, denn ich war uberzeugt,¨ dass sich niemand mehr fur¨ das Werk von Konrad Zuse interessieren wird. Fur¨ mich war diese Araabgeschlossen.Aberessollteganzanderskommen.¨

Im Jahr 2016 organisieren der Tagesspiegel und das Zuse-Institut-Berlin (ZIB) große Veran- staltungen in Berlin zum 75sten Jahrestag der Vorfuhrung¨ des am 12. Mai 1941 in der Methfesselstr. 7 in Berlin-Kreuzberg. Warum aber nach 75 Jahren diese Anerkennung von Konrad Zuse weltweit? Nun, als kritischer Sohn habe ich die Architektur der Z3 studiert. Es ist eine sehr elegant konstruierte Maschine mit einer Architektur, die auch noch nach 75 Jahren in PCs, aber auch bei Supercomputern genau so zu finden ist.

Hermann Flessner beschreibt in seinem Buch sehr eindrucksvoll die Wichtigkeit der Zuse Ma- schine bei seinen Forschungsarbeiten. Aber wenn da nicht die Ideen im Kopf des Hermann Flessner gewesen w¨aren, dann h¨atte ihm der Z22-Computer auch nicht geholfen.

Die Maschine Z22 war ein großer Erfolg fur¨ Konrad Zuse und seine Zuse KG, die er 1949 in Neukirchen Kreis Hunfeld¨ grundete.¨ Deutschland war 1949 ein zerst¨ortes Land. Verruckt¨ war die Vision von Konrad Zuse, zu glauben, irgend jemand wurde¨ seine Maschinen/Computer ben¨oti- gen oder gar kaufen wollen. Mehrere Glucksf¨ ¨alle halfen ihm dabei: Glucksfall¨ 1: Die ETH Zurich¨ bestellt die 1949. Glucksfall¨ 2: Remington Rand bestellt 1950 30 Maschinen Z9, den ersten Pipeline Rechner, und das vorbei an den alliierten Kontrollratsgesetzen. Es folgte dann die Relais- Maschine ab 1955. Der R¨ohrenrechner Z22 ab 1957, welcher eine universelle Rechenanlage in R¨ohrentechnik mit Magnettrommelspeicher fur¨ technisch wissenschaftliche Anwendungen war. Der Rechner Z22 war der erste kommerzielle Serien-R¨ohrenrechner in Deutschland. Aber, das Gluck¨ spielte da wieder eine Rolle, es war der 24-j¨ahrige geniale Physiker Lorenz Hanewinkel, der aus demNichtseinezuverl¨assige R¨ohrenmaschine konstruierte und mit seinem Team bei der Zuse KG baute. Die Zuse KG beeinflusste damit nachhaltig die Computerlandschaft an den wissenschaftli- chen Instituten und Hochschulen, und damit auch Hermann Flessner. Dazu kam, dass die Z22 im Vergleich zur Konkurrenz preiswert war, so um 180.000 DM statt 650.000 DM (z.B. IBM 650). Die Z22 wurde u.a. in der Betriebswirtschaft, Bautechnik, Maschinenbau, Elektrotechnik, Kernreak- torbau, Ballistik, Vermessungstechnik, Aerodynamik, Optik und dem Bergbau eingesetzt. VI

Hermann Flessner ist aus meiner Sicht als ein Pionier des Bauwesens zu betrachten, der sehr fruh¨ verstand, mit Hilfe von Computern, hier der Zuse Z22, im Bauingenieurwesen Ideen zu ver- wirklichen, von denen er und seine Kollegen bis dahin nur tr¨aumen konnten. Er hat dies in bewun- dernswerter Weise konsequent realisiert. Zwei Bauingenieure Hermann Flessner und Konrad Zuse befruchteten sich mit ihren Ideen gegenseitig und gaben dadurch wichtige Impulse fur¨ das gesamte Bauingenieurwesen. Aus all diesen Grunden¨ ist das Buch so wichtig und lesenswert.

Berlin, im April 2016 Horst Zuse VII

Vorwort

Zur Zeit der Ver¨offentlichung der beiden Bucher¨ Band 1 und Band 2 mit dem Titel Erste Arbeiten mit ZUSE-Computern waren 75 Jahre vergangen, seit Konrad Zuse seinen Rechenautomaten Z3 einem ausgew¨ahlten Kreis wichtiger Fachleute aus der Deutschen Versuchsanstalt fur¨ Luftfahrt vorgestellt hatte und dabei Proberechnungen erfolgreich ausfuhren¨ konnte. Es war Krieg und das Ereignis spielte sich damals weitgehend vertraulich ab. Die geladenen Besucher haben ihre Teil- nahme am 12. Mai 1941 mit ihrer Unterschrift best¨atigt, nachzulesen in Zuses Buch Der Computer mein Lebenswerk [4] auf Seite 56. Das Datum ist, nach langj¨ahrigen, internationalen Diskussionen in der Runde der Technikhistoriker, als Fertigstellungsdatum des ersten programmgesteuerten und frei programmierbaren, in bin¨arer Gleitpunktrechnung arbeitenden, betriebsf¨ahigen Rechenauto- maten der Welt anerkannt. Nach seiner Rechnerarchitektur entstanden unsere heutigen Computer. Beide Buchb¨ande haben eine l¨angere Entstehungsgeschichte. Der erste Band wurde schon vor- bereitet, als das Archiv des Instituts an der Universit¨at Hamburg, das der Autor in Hamburg gegrundet¨ hatte, nach seinem endgultigen¨ Eintritt in den dienstlichen Ruhestand neu organi- siert wurde. Die Ger¨ate und zeitgeschichtlichen Dokumente wurden in den Teilen, die Konrad Zuse betreffen, den Archiven der Konrad-Zuse-Gesellschaft ubergeben.¨ Letztere sind vor allem das Konrad-Zuse-Museum mit Stadt- und Kreisgeschichte in Hunfeld/Hessen¨ und das ZCOM Zuse- Computer-Museum in Hoyerswerda/Sachsen, odersiewerdenimHausedesAutorsaufbewahrt. Der Zeitraum der Beschreibung in diesem ersten Band erstreckt sich vom Bestehen der ZUSE KG in Bad Hersfeld bis zum Ende des Vertriebs der in ihr entstandenen Rechen- und Zeichenautomaten und deren unmittelbaren Nachfolgeprodukte, als die Firma ZUSE KG von der SIEMENS AG ubernommen¨ worden war. Das Ende dieser Zeitspanne sieht der Autor im Jah- re 1979, nachdem auch bei ihm ein Wechsel von der Ruhr-Universit¨at Bochum an die Universit¨at Hamburg stattgefunden hatte. Das sind nur ca. zwanzig Jahre und ist weitere zwanzig Jahre her. Anschließend vollzog sich ein sehr schneller Wandel in allen Bereichen der Computertechnik. Die Ger¨ate wurden kleiner, kostengunstiger,¨ schneller und vielseitiger einsetzbar. Im Gegensatz dazu wurde die zugeh¨orige Programmierung in einem Maße anspruchvoll und universell verwend- bar, wie man es sich zun¨achst nicht vorstellen konnte, und sie wurde sehr viel teurer. Das ist bis in die Gegenwart so weit gegangen, dass bei der Anschaffung eines informationsverarbeitenden Systems die Software bezahlt wird. Die zugeh¨orige Hardware erh¨alt man oft mehr oder weniger umsonst. In den ersten zwanzig Jahren, von denen oben die Rede war, sind fur¨ Zuse-Anlagen an verschiedenen Stellen neue Anwendungsbereiche erschlossen worden, so auch beim Autor, womit das Feld fur¨ die Umsetzung in nachfolgende Computer-Generationen bereitet worden ist. Hierbei haben die Computernutzer der ersten Zeit meistens partnerschaftlich zusammen gearbeitet und ih- re Erfahrungen ausgetauscht. Aus der Vielzahl der Arbeiten hat der Autor in diesem Band solche herausgesucht und behandelt, an denen er selbst mit seinen Mitarbeitern und außeruniversit¨aren Partnern maßgeblich t¨atig war und die eine gewisse Vorbildfunktion fur¨ Nachfolge-Entwicklungen erfullen¨ k¨onnen. Dabei hat er sich auf Gebiete der Ingenieurt¨atigkeiten beschr¨ankt, vorrangig des Bauwesens. Die Art der Textabfassung mag außergew¨ohnlich erscheinen. Als alleiniger Autor habe ich n¨amlich einerseits versucht, eine allgemein verst¨andliche, autobiografische Formulierung einzuhal- ten. Andererseits habe ich fur¨ einige Kapitel bzw. Abschnitte, die zwar als kurzere¨ Artikel in Fachbuchern¨ und Fachzeitschriften schon ver¨offentlicht oder als Vorlesungsskripte herausgegeben waren, eine vollst¨andige, in formal wissenschaftlichem, entpersonalisiertem Schreibstil verfasste Darstellung gew¨ahlt, in der die W¨orter ich und mich nicht vorkommen. VIII

Fur¨ diesen Druck gibt es weitere Grunde,¨ außer dem Erinnerungsgehalt an die Pers¨onlichkeit Konrad Zuse fur¨ eine breite Offentlichkeit.¨ Es war und ist in meinem Interesse, daß die beschrie- benen Verfahren und Rechenprogramme von den Fachkollegen nicht nur gelesen, sondern auch als Vorlage fur¨ eigene Systeme genutzt werden. Das ist sehr bald auch passiert und es entstand eine lebhafte Diskussion, vor allem bei der Umsetzung in andere, d.h. neuere Programmiersprachen – wobei ich viel gelernt habe. Hinzu kam die weiterhin stattfindende Miniaturisierung. Man benutzt nicht nur PCs, sondern mittlerweile auch Laptops, inzwischen sogar iPADsundubertr¨ ¨agt Software heute direkt uber¨ das Internet oder uber¨ USB-Sticks, CDs sind dabei schon fast uberholt.¨ Auch k¨onnen beide B¨ande als E-Books uber¨ Internet bezogen werden. Wer sich fur¨ die zwangsweise er- scheinenden, umfangreichen Formeln nicht interessiert, m¨oge uber¨ sie einfach hinweglesen. Fur¨ das Verst¨andnis der technikhistorischen Zusammenh¨ange sind die mathematischen Ableitungen nur am Rande von Bedeutung, jedenfalls in diesem Band 1.

A Der Drucksatz wurde mit LTEXfur¨ Windows, dem System Win TEX 2000 erledigt. Fruhere¨ mit Microsoft Word bei Verwendung von PC Paintbrush (*.pcx) oder Windows-Bitmap (*.bmp) hergestellten Zeichnungen wurden auch ubernommen.¨ Allerdings habe ich fur¨ das Kompilieren jener A Abbildungen das neuere Software-Paket graphicx von LTEX eingesetzt, mit dem die Konvertierung in *.pdf-Dateien aller Abbildungen, auch das der Bilder bzw. Fotos, erheblich einfacher und sicherer vonstatten geht. Zusammenfassend sei der eigentliche Zweck dieser Buchver¨offentlichung so beschrieben: Vergleicht man die großen automatischen Rechenanlagen und ihre Rechenprogramme der Grunder-¨ jahre der Informatik mit den Instrumenten der heutigen Zeit, dann treten zweierlei Besonderheiten deutlich hervor, die in zwei Epochen erstaunliche Entwicklungsschube¨ durchlaufen sind: In der 1. Epoche kamen nach Ende des zweiten Weltkrieges in den USA und England, besonders aber durch Konrad Zuse in Deutschland, Entwicklungen der allgemeinen Rechentechnik mit ihren theoretischen Grundlagen zum Durchbruch und fuhrten¨ zu einer erstaunlichen Vollendung. Es ist nicht ubertrieben¨ zu sagen, dass alles, was danach durch in der Offentlichkeit¨ fast unerwartet neue physikalische Erkenntnisse und Entwicklungen folgte – man denke besonders an die Halbleitertechnik – zu ei- ner unvorstellbaren Miniaturisierung fuhrte.¨ Dabei brauchten die schon eingefuhrten¨ Rechnerarchitekturen und Programmsysteme gar nicht erneuert zu werden, sie funk- tionierten auch nach den Regeln der schon l¨anger existierenden Systeme. Die Ger¨ate mit bin¨arer Programmierung von Konrad Zuse boten bereits die Grundlage. In der 2. Epoche blieben zwar die alten Programmier-Strategien, alles verlief aber bedeutend schneller, kostengunstiger,¨ ortsunabh¨angiger und in kleineren Instrumen- ten. Fruher¨ waren es mindestens Kleiderschr¨anke, heute sind es Chips und Universal Serial Bus Memories, kurz USB-Sticks und passen in die Hosentasche. Diese Ent- wicklung geschah in den Jahren ab ungef¨ahr 1990. Die Gesellschaft hat Computer in weltweit kabellos vernetzten Systemen, sprich im Internet, akzeptiert und meint, ohne sie nicht mehr existieren zu k¨onnen.

Die gleichen Programme, die fruher¨ Rechenzeiten von Stunden, manchmal sogar Tagen, fur¨ einen Durchlauf ben¨otigten, erledigen dasselbe heute in Tausendstel von Sekunden. Auch das wird mit der Beschreibung der ersten Arbeiten mit Zuse-Computern in beiden B¨anden gegenubergestellt.¨ Zuse hatte so etwas vorausgesagt, er hat recht behalten.

Hamburg, im April 2016, der Autor INHALTSVERZEICHNIS IX

Inhaltsverzeichnis

Vorwort VII

1 Entwicklungsgeschichte 11 1.1 Die TalbruckeSondern...... ¨ 12 1.2 Anf¨angeimBauwesen...... 13 1.2.1 EinsatzdesRechenautomatenZUSEZ22R...... 15 1.2.2 DerRelais-RechnerZUSEZ11imVermessungswesen...... 16

2Fl¨achenwerte 19 2.1 Herk¨ommlicheVerfahren...... 19 2.1.1 EinheitenundDimensionen...... 20 2.1.2 BegriffeundweitereDefinitionen...... 23 2.1.3 RegelnundkonventionelleFormeln...... 23 2.2Widerstandsmomente...... 34 2.3 Digitale“Berechnungsverfahren...... 36 ” 2.3.1 ZusammenfassendeAufstellung...... 36 2.3.2 Entwicklung der digitalen“Formeln...... 37 ” 2.3.3 Zusammenstellung der digitalen“Formeln...... 57 ” 2.3.4 BeurteilungdesdigitalenVerfahrens...... 59 2.4 Anwendung der Berechnung von Fl¨achenwerten...... 67 2.5Volumenwerte—einekurzeBetrachtung...... 69

3 Ubertragungsverfahren¨ 72 3.1Vorbemerkung...... 72 3.2GrundlagendesVerfahrens...... 74 3.3 Digitales“Verfahren...... 75 ” 3.4CodierungdesProgramms...... 81 3.4.1 DerCode...... 82 3.4.2 Datens¨atzeundErgebnisse...... 86

4 Entwicklungen zum CAD 89 4.1SchiefePlatten...... 89 4.2DasStadttheaterDortmund...... 91 4.3StrakenbeimSchiffsentwurf...... 98 4.4 Nutzung der Sprache ALGOL 60 ...... 103 X INHALTSVERZEICHNIS

4.4.1 Erste Ans¨atze eines Rechnerdialogs uber¨ DACOS ...... 105 4.5InteraktivesRechnenmitComputern...... 107 4.5.1 DasContidrom...... 108 4.5.2 DigitalisierengrafischerDarstellungen...... 114 4.6 InteraktivesKonstruieren...... 116 4.6.1 ZwischenspielamM.I.T.inCambridge,USA...... 120 4.6.2 Entwicklung und erste Eins¨atze des HAROPEN ...... 124 4.6.3 Entwicklung des Interaktiven Konstruktionsplatzes IKP ...... 128 4.7 Praktische Anwendungen des IKP ...... 143 4.7.1 Durchlauftr¨agerausStahlbeton...... 143 4.7.2 Die Forschungsplattform Nordsee“...... 148 ” 4.7.2.1 BerechnungmitMESY...... 149 4.7.2.2 Berechnung des Grundungsk¨ ¨orpers der Plattform...... 155 4.7.2.3 DreidimensionaleGeometrieeingabe...... 163 4.7.3 Hochtief AG — Kuhlwasser-Auslaufbauwerk...... ¨ 172 4.7.4 BrennschneidenvonSchiffsblechen,Nesting...... 176 4.7.5 KranschiffAstrakran...... 178 4.7.6 BemessungimStahl-undSpannbeton...... 181 4.7.7 VerschiedenekleinereProjekte...... 185 4.7.8 ParalleleEntwicklungenundMiniaturisierung...... 187

5 Schlussbemerkungen 195

Literatur 196 11

1 Entwicklungsgeschichte – erste Eins¨atze im Bauwesen

Zu Beginn soll ein kurzer Blick auf die generelle Entwicklung der Computer aus der Sicht des Ver- fassers geworfen werden. Sie fing vor ca. 70 Jahren an und ist aus mehreren Grunden¨ ungew¨ohnlich. Erstens verlaufen die Innovationen in der Rechnertechnologie auch heute noch beispiellos schnell. Die Entwicklungsphasen uberschlagen¨ sich. Das galt schon bei der Markteinfuhrung.¨ Wenn man damals ein Computersystem bestellt hatte, war der gekaufte Typ bei der Auslieferung bereits tech- nisch uberholt.¨ Zweitens ist der Preisverfall im Computermarkt unvergleichlich rasant. Anfangs, so um 1950, zweifelten viele an der Marktf¨ahigkeit der Computerbranche. Auf der ganzen Welt ” wird man h¨ochstens zehn Großrechner ben¨otigen“ prophezeite Thomas J. Watson, der Grunder¨ der Weltfirma IBM. Heute weiß ein jeder, dass das Gegenteil der Fall ist. Man braucht Computer in allen Gr¨oßenordnungen und kann sie heutzutage sogar auf Superm¨arkten kaufen. Dies wurde durch eine parallel laufende Entwicklung in der Miniaturisierung von Schaltkreisen in Halbleitertechnik m¨oglich, die zu unseren heutigen Mikrochips in PC’s und iPad’s gefuhrt¨ hat. Hinzu kommt ein n¨achster wichtiger Aspekt. Die Rechenautomaten sollten anfangs nur eine Hilfe fur¨ umf¨angliche Rechenaufgaben sein, an weitere Nutzungen dachten zun¨achst nur wenige. Dabei ist das allt¨agliche Rechnen inzwischen eine Sache im Hintergrund. Doch ohne Arithmetik im weitesten Sinne kommen die Programmsysteme in allen Anwendungsbereichen nicht aus. Man denke nur an die Computer- grafik, an Prozess-Steuerungen, Datenverwaltungen und Simulationen verschiedener Vorg¨ange, um nur einige zu nennen. Diese allgemein gehaltene Betrachtung soll abgeschlossen werden mit dem Erkennen der Kon- sequenz, dass der Ger¨ateanteil in den Computersystemen im Vergleich zu dem der st¨andig wachsen- den Programme, also der Software, sehr gering geworden ist. Man kauft heute eine Informations- Technik, ein IT-System, das im Wesentlichen aus Software besteht und erh¨alt die Hardware,also die Ger¨ate, mehr oder weniger kostenlos dazu. Ganz ausgepr¨agt gilt dieses heutzutage fur¨ die der Computertechnik, die modernen Mobiltelefone. Schließt man einen neuen Vertrag fur¨ den Tele- fondienst mit einem Lieferanten, neudeutsch Provider ab, bekommt man das Mobiltelefon quasi geschenkt (was mir selbst passiert ist). Es gibt große IT-Konzerne, welche mittlerweile die Her- stellung der Hardware vollst¨andig aufgegeben haben und sich ganz auf die Erstellung der Software konzentrieren. Die zugeh¨orige Hardware wird vorwiegend in Ostasien eingekauft, dort kann man sie (noch) billiger herstellen. Beides wird zum IT-System zusammengefugt¨ und auf dem Markt angeboten. Die Erfindung des Computers hat die Welt ver¨andert, mit ¨ahnlichen gesellschaftlichen Folgen wie die Einfuhrung¨ der Buchdruckkunst im funfzehnten¨ Jahrhundert durch Johann Gensfleich zur Laden, genannt Gutenberg. Der hatte die Erfolge seiner Erfindung sogar noch erleben k¨onnen, so etwas ist aber eine Seltenheit. Denn Epoche machende Erfindungen gelangten in den vergangenen Jahrhunderten meistens erst nach Jahrzehnten zur Anwendungsreife. Bei der Dampfmaschine z.B. dauerte es seit Denis Papin (1713) uber¨ James Watt bis zum wirtschaftlichen Durchbruch und Erfolg durch George Stephenson rund 120 Jahre. Bei den Vorg¨angern der heute allgegenw¨artigen Computer, den ersten Rechenautomaten von Konrad Zuse, hatte es dagegen nur sechs Jahre gedauert. Am 12. Mai 1941 leitete Zuse die Compu- terentwicklung ein, mit seiner Z3, dem ersten programmgesteuerten und frei programmierbaren, in ” bin¨arer halblogarithmischer Rechnung arbeitenden, betriebsf¨ahigen Rechenautomaten der Welt“. Nach dem 2. Weltkrieg konnte Zuse um 1955 eine erste Serie von Relaisrechnern auf den Markt 12 1 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE bringen und einige Jahre sp¨ater die Rechenanlagen ZUSE Z22. Eine solche Anlage kam 1959 als Leihgabe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an das Institut fur¨ Massivbau im Bau- ingenieurwesen an der damaligen Technischen Hochschule Hannover, dessen Leiter Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Zerna war.

1.1 Die Talbrucke¨ Sondern

Erste eigene Erfahrungen bei der Benutzung eines Computers machte ich bei Berechnungen fur¨ die Talbrucke¨ Sondern uber¨ die Biggetalsperre im Sauerland zwischen Olpe und Attendorn, ¨ostlich von K¨oln. Ich war damals junger Statiker in der Niederlassung der großen deutschen Baufirma ED. ZUBLIN¨ AG in Duisburg. Als ich dort nach meiner ersten Zeit in der Industriebau-Abteilung 1960 in die Bruckenbauabteilung¨ versetzt worden war, wurde ich mit der technischen Bearbeitung der Brucke¨ beauftragt, d.h. ich hatte die Statik fur¨ eine neue Spannbetonbrucke¨ zu berechnen, die uber¨ den aufgestauten See der im Bau befindlichen Biggetalsperre fuhren¨ sollte. Die Arbeit war fur¨ mich eine besondere Herausforderung. Es war eine Talbrucke¨ von 274 Metern L¨ange, siehe Abb. 1. Eigentlich war so etwas in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts nichts Besonderes.

Abbildung 1: Die Sonderner Talbrucke¨ kurz nach der Fertigstellung im Sommer 1962. Feldweiten von links: 44 + 47,50 + 47,50 + 47,50 + 47,50 + 40 Meter. Die Bigge ist noch ein kleines Flusschen,¨ siehe im Bild die kleine Brucke¨ rechts unten. Das ¨anderte sich naturlich¨ nach dem Aufstauen des Wassers, dann befindet sich die Wasseroberfl¨ache ca. 4 Meter unter dem Bruckentr¨ ¨ager 1.2 Anf¨ange im Bauwesen 13

Es gab aber ein Problem. Das Angebot hatte ich auch vorzubereiten und auszuarbeiten. Es hatten naturlich¨ auch andere Bauunternehmen ihre Angebote eingereicht, der Wettbewerb war intensiv und in der Firma erwartete eigentlich keiner ernsthaft den Auftrag. Den Erfolg hatte man mir als Neuling auf dem Gebiet auch nicht zugetraut. Die Uberraschung¨ war groß, als ich bei der Submission in Essen den Auftrag entgegennehmen konnte. Jetzt zum Problem, es gab Personalschwierigkeiten. Ich stand mit der Aufgabe der technischen Bearbeitung fast allein. Die Arbeit begann sofort mit vielen Uberstunden.¨ Dann kam die Erl¨osung, so etwas wie ein Deusexmachina. Man schickte mich nach Dortmund in das 1959 neuer¨offnete Rechenburo¨ Rhein-Ruhr“, eine Gemeinschaftsgrundung¨ von großen Firmen wie Krupp, Thyssen, ” Hoesch, Dortmunder Bruckenbau-Union¨ und DEMAG. Die hatten etwas fur¨ uns Neuartiges be- schafft, eine elektronische Rechenanlage X1 von der Fa. N.V. Electrologica aus Amsterdam, eine Riesenmaschine, die bereits nur mit Ringkernspeichern bestuckt¨ war. Dort hatte man schon die Rechenprogramme, die oben erw¨ahnt sind. Die rechenintensiven Bearbeitungsaufgaben konnten dort durchgefuhrt¨ werden, die ersehnten Ergebnisse kamen nach einer Woche. Doch die Ernuchte-¨ rung war groß als ich nach einigen Kontrollrechnungen von Hand feststellen musste, dass fast alles nicht zu gebrauchen war. Die Zahlenrechnungen stimmten zwar, aber die Systeme waren entweder falsch in die Computerdaten ubertragen¨ worden oder die Rechenverfahren waren fur¨ den Brucken-¨ typ nicht geeignet. Nun wurde es hektisch. Fast alles war in der ublichen¨ Arbeitsweise mit Papier, Bleistift und Rechenschieber neu zu berechnen.

Nun, im Jahre 1960, hatte ich aber die gute Gelegenheit durch Vergleiche zu prufen,¨ was die Mathematiker, von denen die Rechenprogramme in Dortmund stammten, nicht richtig oder zumindest ungeschickt entwickelt hatten. Besonders die Berechnung der Querschnittswerte der Bruckentr¨ ¨ager war vollkommen unbrauchbar und musste muhsam¨ von Hand neu gemacht werden.

1.2 Anf¨ange im Bauwesen

Ab ungef¨ahr 1960 gab es auf dem Markt bereits eine Vielfalt von Rechenanlagen in vergleichbarer Gr¨oße zur ZUSE Z22, sie seien hier nicht aufgez¨ahlt, siehe aber [30]. Ein wichtiges Unterschei- dungsmerkmal lag damals auch in den Ger¨aten, mit denen die Daten und Ergebnisse uber¨ Pa- piermedien, n¨amlich Lochkarten und Lochstreifen, genannt Peripherieger¨ate, ein- und ausgegeben wurden – naturlich¨ gab es stets auch angeschlossene Schreibmaschinen, uber¨ welche die Ausgabe unmittelbar lesbar erfolgen konnte. Ohne hier die jeweiligen Vor- und Nachteile der beiden Papier- medien hervorzuheben sei erw¨ahnt, dass die Zuse-Anlagen im Normalfall mit Lochstreifen-Ger¨aten ausgestattet waren. Anlagen von Typ ZUSE Z22 waren in der damaligen Bundesrepublik schon von einigen Bauin- genieur-Buros¨ angeschafft worden und wurden vor allem fur¨ die sehr h¨aufig zu berechnenden Tr¨ager im Hochbau eingesetzt, die auf mehreren Stutzen¨ gelagert sind. Man nennt sie Durchlauftr¨ager, ihre Berechnung erfordert einigen Aufwand, weshalb sich der Einsatz der anfangs immerhin recht teuren Rechenanlagen schon damals rentierte. An der TH Stuttgart wurden auch elektronische Rechenanlagen benutzt, und zwar vorrangig IBM-Anlagen, jedoch gemeinschaftlich von mehreren Firmen, die zum Teil auch außerhalb der Hochschule bestanden. Das Institut fur¨ Massivbau in Hannover war aber das erste in Deutschland, in dem ein Rechenautomat ausschließlich an einem Bauingenieur-Institut betrieben wurde. Das Bild 2 zeigt eine solche Z22 im Minimalausbau, d.h. in Grundausstattung und noch mit einem anfangs gelieferten Blattschreiber mit Streifenloch- und Lesezusatz vom Typ Standard Elektrik Lorenz AG (SEL). 14 1 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE

Auch am von Prof. Herrmann an der TH Braunschweig geleiteten Rechenzentrum gab es schon seit 1957 eine Z22. An ihr entwickelte Prof. Sigurd Falk, Inhaber des Lehrstuhls fur¨ Mecha- nik und Festigkeitslehre, ein Programm im Freiburger Code (Maschinencode) fur¨ die Berechnung von Durchlauftr¨agern nach dem Ubertragungsverfahren,¨ auch Reduktionsverfahren genannt. Es wird ab S. 74 noch genauer beschrieben werden. Hier sei aber schon die Eigenschaft der Methode angedeutet, die sie fur¨ das Programmieren auch heute noch besonders geeignet macht, die Matri- zenrechnung.

Abbildung 2: Die Rechenanlage ZUSE Z22 Im Bild 3 ist, rechts von der mit ihrem Rucken¨ abgebildeten Person, das Bedienungspult der Anlage im Institut fur¨ Massivbau und auf einem Tisch daneben das schnelle Lochstreifen- Leseger¨at und links ein Blattfernschreiber SIEMENS Tsend 100 zu sehen, uber¨ den die Programme gleichzeitig geschrieben und auf Lochstreifen gestanzt und auch die Ergebnisse ausgedruckt wurden. Die Rechenschr¨anke standen im angrenzenden Flur (die Z22 des Instituts war inzwischen zur Z22R erweitert worden). Die Programme wurden zun¨achst noch im Maschinen-Code, dem Freiburger Code (Assembler) geschrieben. Es gab zwar schon h¨oher entwickelte Sprachen, z.B. FORTRAN (Formular Translator) und ab 1960 den an der Universit¨at Mainz entwickelten Compiler der algorithmischen Programmiersprache ALGOL 60 speziell fur¨ Zuseanlagen. Diesen Compiler setzten wir in Hannover aber erst ab 1963 ein. Am Institut waren schon wichtige Programme im Freiburger Code fur¨ die Berechnung von Stabtragwerken und Fl¨achen-Querschnittwerten fertig und st¨andig im Einsatz. Ab 1964 setzte sich das Codieren in ALGOL durch. Das bot eine ganz wesentliche Erleichterung. Auch Nichtprogram- ” mierer“ k¨onnen in ALGOL geschriebene Programme lesen. Sie waren einsetzbar auf Digitalrechnern aller Fabrikate, die einen entsprechenden Ubersetzer¨ (Compiler) gespeichert hatten und einsetzen konnten. Mit der Institutsmaschine Z22R waren alle im Band 2 dieser Buchreihe enthaltenen Re- chenprogramme meiner Dissertation in der Programmiersprache ALGOL 60 von 1963 bis 1965 entwickelt, getestet und schließlich eingesetzt worden. 1.2 Anf¨ange im Bauwesen 15

Ich war nach vierj¨ahriger T¨atigkeit in dem großen deutsch/schweizerischen Bauunternehmen ED. ZUBLIN¨ AG wieder an die Hochschule Hannover zuruckgekehrt,¨ und zwar als Wissenschaftli- cher Mitarbeiter an das vorgenannte Institut fur¨ Massivbau. Meine Aufgabe wurde die Betreuung der Z22R und der damit durchzufuhrenden¨ wissenschaftlichen Arbeiten. Die Berechnungen an dabei zu behandelnden Baukonstruktionen waren typisch fur¨ T¨atigkeiten in Ingenieurburos¨ des Bauwesens. Es ging an dem Institut zwar vorrangig um das eigentliche Rechnen, aber zunehmend auch um Entwicklungen, mit denen die Wirtschaftlichkeit des Computereinsatzes im praktischen Umfeld verbessert werden sollte. Diese Z22R ist inzwischen im ZCOM Zuse-Computermuseum in Hoyerswerda ausgestellt.

1.2.1 Einsatz des Rechenautomaten ZUSE Z22R

Die Anf¨ange eines Einsatzes von digitalen Rechenautomaten im Bauwesen lagen besonders im Vermessungswesen und in statischen Berechnungen an Stabtragwerken wie Durchlauftr¨agern und Stockwerkrahmen. Dabei konnte jedoch von so etwas wie interaktivem Berechnen oder gar Kon- struieren noch keine Rede sein.

Abbildung 3: Bedienraum der Z22R am Institut fur¨ Massivbau 1964

Es wurden fur¨ verschiedene Baufirmen und Ingenieurburos,¨ die in der Hauptsache statische Be- rechnungen fur¨ Hochbauten aufstellten, am Institut bereits auch die staatlich vorgeschriebenen Prufberechnungen¨ mit der Z22R ausgefuhrt.¨ Dabei wurde zunehmend deutlich, dass der Einsatz der immerhin noch sehr teuren ZUSE-Rechenanlage im Vergleich zu den sonst ublichen¨ Berech- nungen von Hand“ nicht immer wirtschaftlich war. Der Herr im Bild 3, der dem Betrachter den ” 1 Rucken¨ zukehrt, war damals Student des Bauingenieurwesens und bei uns studentische Hilfskraft .

1 ... und sp¨ater Mitautor von [33]. 16 1 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE

Er war bereits erfahren im Umgang mit der Z22R und auch anderen Rechenautomaten. Noch nicht ganz so geubt¨ war er in der allgemein ublichen¨ Statik mit Bleistift, Papier und Rechenschieber. Wir beide machten eines Tages einen Vergleich. Ein Durchlauftr¨ager uber¨ sechs Stutzen¨ sollte be- rechnet werden. Ich ubernahm¨ die Handberechnung, er die entsprechende mit dem Computer. Auf Kommando fingen wir beide an. Als ich fertig war, hatte er noch nicht einmal alle Eingabedaten fur¨ das Programm zusammengestellt, die dann noch auf Lochstreifen abgelocht werden mussten. Die Rechnung mit der Z22R ging dann naturlich¨ rasend schnell. Trotzdem war das Ergebnis fur¨ uns beide ernuchternd.¨ Sollte so etwas wirtschaftlich sein, dann musste¨ der ganze Eingabevorgang auf jeden Fall verbessert werden, sagen wir, einfacher ablaufen. Diese Situation war in den Anf¨angen der Daten- bzw. Informationsverarbeitung allgegenw¨artig. Ein kurzer Ruckblick¨ soll dieses sp¨ater noch kurz und knapp deutlich machen. Die Entwicklung programmgesteuerter Rechenanlagen und ihrer Programmiersprachen stan- den in engem Zusammenhang und geschah gleichzeitig. Programme wurden zun¨achst uberwiegend¨ fest verdrahtet und konnten durch die Benutzer nicht ohne weiteres ver¨andert werden. Auch die von Hollerith-Maschinen bekannte Stecktafelprogrammierung erforderte schon bei sehr einfachen Ar- beitsvorg¨angen umfangreiche Vorkehrungen. Mehrfaches Wiederholen gleicher oder nur geringfugig¨ abgewandelter Programme war sehr aufw¨andig, auch die Dateneingabe war ¨ahnlich wie die eigent- liche Programmierung. Eine komprimierte Darstellung der Entwicklung der Programmiersprachen und der M¨oglichkeiten der Dateneingabe bis zum Jahre 1969, unter besonderer Betrachtung ver- schiedener Eingabetechniken, findet man in [33], dort auf den Seiten 5 bis 24; hieraus ist die Tabelle 1 auf S. 104 entnommen. Wir verwendeten anfangs nur die fur¨ die Z22 entwickelte Maschi- nensprache, den Freiburger Code.Ergeh¨ort zu den drei Varianten in der Tabelle 1, unter 3. als Maschinen-orientierte Programmiersprachen bezeichnet. Das Programmieren damit ist außerodent- lich muhselig¨ und fehleranf¨allig. Fertige Programme liefen aber besonders schnell und brauchten relativ wenig Speicherplatz im Rechner. Am Institut fur¨ Massivbau sind aber sehr viele Programme im Freiburger Code fur¨ die unterschiedlichsten wissenschaftlichen Aufgaben geschrieben, getestet und erfolgreich eingesetzt worden, neben den oben schon erw¨ahnten Berechnungen fur¨ die Bauauf- gaben.

1.2.2 Der Relais-Rechner ZUSE Z11 im Vermessungswesen

Als Konrad Zuse nach dem Kriege 1947 im deutschen Alpenvorland mit Harro Stucken das Zuse- ” Ingenieurburo,¨ Hopferau bei Fussen“¨ gegrundet¨ hatte, bemuhte¨ Zuse sich zun¨achst, seine von Berlin ins Allg¨au gerettete Z4 voll funktionsf¨ahig zu machen. Auch Neuentwicklungen wurden in Angriff genommen. Seine Verbindungen zu den Firmen IBM und Remington Rand und weiteren fuhrten¨ zu ersten Erfolgen. Zuse hat diese Zeit mit vielen Entwicklungsepisoden in seinem Buch Der Computer – mein Lebenswerk auf den Seiten 101 bis 118 bis zur Grundung¨ der ZUSE KG 1949 in Neukirchen, zwischen Bad Hersfeld und Fulda gelegen, eindrucksvoll beschrieben [4]. In dieser Zeit benutzte man zwar l¨angst elektronische Bauglieder (wie in der Z22), traute ihnen aber keineunbedingteZuverl¨assigkeit zu. Denn es kam, auch bei meinen Arbeiten an einer Z22 zehn Jahre sp¨ater, immer wieder vor, dass die Maschine stolperte“ weil Elektronenr¨ohren unvermutet ” schlapp machten. Bei den Relais in der ZUSE Z11 kannte man solche Effekte nicht. Sie war eine reine Relais- Maschine (wenn sie auch einige R¨ohren hatte), und galt als wartungsfreundlich und betriebsicher. Dasmachtesiefur¨ die ZUSE KG zu einem Verkaufsschlager. Erste Anwendungsfelder gab es in der optischen Industrie und ab Mitte der 1950er Jahre besonders in der Landesvermessung; denn in der damaligen Bundesregierung Deutschland wurde die Flurbereinigung durchgefuhrt.¨ Dabei ging 1.2 Anf¨ange im Bauwesen 17 es um eine gerechte und zugleich wirtschaftliche Neuverteilung von Grund und Boden in der Land- wirtschaft. Durch Erbteilungen waren die Anbaufl¨achen im Lauf der Jahrhunderte immer mehr zerstuckelt¨ und damit unwirtschaftlich worden. Die Neuverteilung der Felder war in der Bundes- republik Sache der Bundesl¨ander. Das brachte fur¨ die Z11 einen regelrechten Markt. Konrad Zuse hat, wieder in [4] auf den Seiten 119 ff. die Begleitumst¨ande und die Produktion der Z11 ausfuhrlich¨ beschrieben. Die Maschine ist in Abb. 4 gezeigt und kann auch in den ZUSE-Museen in Hunfeld¨ und Hoyerswerde besichtigt werden.

Abbildung 4: Die Relais-Rechenanlage ZUSE Z11 (1955)

Nachstehend wird in den Zeichnungen der Abb. 5 verglichen, wie sich die Optimierung der Fl¨achen nach der Berechnung mit der Z11 auswirkt, am Beispiel einer Gemarkung in der Gemeinde Hunfeld-¨ Mackenzell, gezeichnet mit einem ZUSE-Graphomaten.

Abbildung 5: Graphomat-Zeichnung fur¨ die Flurbereinigung, Quelle: [42], S. 173 18 1 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE 19

2Fl¨achenwerte 1. und 2. Ordnung

2.1 Herk¨ommliche Verfahren

Dieses Buch soll interessierte Leser mit den unterschiedlichsten Vorkenntnissen erreichen, also nicht nur Informatiker und Ingenieure. Deshalb benutze ich nachfolgend speziell eine fur¨ meine fruher-¨ en Vorlesungen (bis 1998) vor Studenten angelegte Strategie; die H¨orer kamen aus verschiedenen Fachgebieten der Naturwissenschaften und der Technik. Weil dieses Vorlesungsskript [28] lange vergriffen ist, entnehme ich daraus fast w¨ortlich den einfuhrenden¨ Teil mit Definitionen und ei- ner Beschreibung von Besonderheiten (Dimensionen). Denn mal musste ich davon ausgehen, dass Informatikbeflissene mit Sachverhalten wom¨oglich gelangweilt werden, die zwar ihnen, nicht aber den Naturwissenschaftlern und Technikern selbstverst¨andlich sind, mal war es umgekehrt. Es soll deutlich werden, dass Verfahren, die besonders fur¨ die Berechnung in Computern aus- zusuchen oder zu entwickeln sind, einer anderen Einsatzstrategie unterliegen als solche, die der Planungs–, Entwurfs– und Berechnungsingenieur auch heute noch uberwiegend¨ in seiner t¨aglichen Praxis verwendet, wenn ihm keine Computer mit geeigneten Rechenprogrammen zur Verfugung¨ stehen. Wir wollen letztere als konventionelle Methoden bezeichnen, die fur¨ Computer geeigneten sollen digitale Methoden genannt werden. Vorweg sei gesagt: bei den konventionellen Methoden ist es im Grunde genommen gleichgultig,¨ in welcher Reihenfolge einzelne Rechenschritte innerhalb einer beliebig komplizierten Rechenaufga- be bearbeitet werden. – (Naturlich¨ gelten immer die arithmetischen Vorrangregeln wie: Multiplika- tion u. Division vor Addition u. Subtraktion etc.) – Man verwendet z. B. spezielle Rechenschemata, oder man benutzt Tabellen, die spaltenweise abgearbeitet“ werden k¨onnen. Zwischenergebnisse ” durfen¨ danach in einer beliebigen Folge in die Endformeln eingesetzt werden. Man schreibt Glei- chungen, bei denen es egal ist, ob man von links nach rechts liest oder umgekehrt. Der zeitliche Ablauf ist im Rechengang also in aller Regel nicht vorgeschrieben. Bei den digitalen Methoden gibt es hingegen grunds¨atzlich keine Gleichungen – auch wenn sie meistens wie solche geschrieben werden, sondern Zuweisungen. Diese laufen dynamisch ab, nicht austauschbar bzw. statisch. Wenn man schreibt: a = b (gesprochen: a gleich b), dann meint man: a ⇐ b (gesprochen: a ergibt sich aus b oder auch b ergibt a); mankannauchschreiben:b ⇒ a . Entscheidend ist die Verarbeitungsrichtung ! Ubrigens¨ hat Konrad Zuse als erster diese Schreibweise, also die Verwendung der richtungsge- bundenen Gleichheitszeichen ⇒ “und ⇐ “ empfohlen und konsequent benutzt, um den beschrie- ” ” benen Sachverhalt hervorzuheben. Daher ruhrt¨ auch das Zuweisungszeichen :=“, es entspricht ” ⇐“. Man mußte bei Eingabeger¨aten, die in den Anf¨angen der Computerei“ benutzt wurden – ” ” das waren Fernschreiber fur¨ Lochstreifen und Lochkartenstanzer fur¨ Lochkarten, mit einer durch die genormten Codes vorgegebenen Menge von Buchstaben, Ziffern und Zeichen auskommen. In seinem Buch Der Computer mein Lebenswerk [3] bzw. [4] und in seinen Arbeiten uber¨ den von ihm entwickelten Plankalkul¨ [5] definiert Zuse u.a.: Der gesamte Ablauf einer Rechnung muß in ” einzelne Rechenpl¨ane (Programme, Unterprogramme) zerlegt werden. Dabei gilt stets: Aus Ein- gangswerten werden Ergebniswerte errechnet. . . .“ (s. [3], S. 120). Da es typisch fur¨ solche Rechenpl¨ane ist, dass in ihnen Rechenabl¨aufe einer genauen Abfolge gehorchen mussen,¨ und da sich wiederholende, gleichartige Recheng¨ange meistens in Rechenschleifen“ abbilden lassen, sind ” 20 2FLACHENWERTE¨

Summenausdrucke,¨ Iterationsverfahren und rekursive Verfahren aus der Mathematik sehr erstre- benswert und typisch fur¨ digitale Methoden. Wir wollen es bei dieser Kurzeinfuhrung¨ bewenden lassen und nur noch etwas Allgemeines zu Berechnungen in Planung und Technik sagen. Seit der Entwicklung der Statik als anerkannte Wissenschaft ab etwa 1750 in Frankreich durch Charles Auguste Coulomb (1736 – 1806) und sp¨ater durch dessen Neffen Louis Marie Henri Navier (1785 – 1836) hatten die anwenden- den Techniker ein Hauptanliegen: wie kann man die aus Erfahrungen, Versuchen und theoreti- schen Uberlegungen¨ herruhrenden¨ Berechnungsverfahren fur¨ Standsicherheitsuntersuchungen von Geb¨auden, Gew¨olben, Brucken¨ etc. so formulieren, dass der mit ihnen verbundene Aufwand fur¨ die zahllosen Rechenarbeiten ertr¨aglich bleibt. Bis heute gilt: uber¨ Anschauung und Erfahrung beeinflußte Rechenans¨atze sind m¨oglichst geschickt so aufzustellen, dass beispielsweise keine zu großen Gleichungssysteme entstehen. Denn deren Aufl¨osungen sind außerordentlich muhsam¨ und fehleranf¨allig, wenn man keine der heute ublichen¨ Computer zur Verfugung¨ hat.

2.1.1 Einheiten und Dimensionen

Dieser Abschnitt uber¨ die Entwicklung und den Gebrauch von Maßeinheiten wurde eingefugt,¨ weil bei der Ausbildung von Informatikern in Hamburg die Erfahrung gemacht werden mußte, dass uber¨ die im Alltag benutzten Einheiten wie Meter, Centimeter, Sekunden hinaus kaum Vorstellun- gen uber¨ die richtige Definition und Verwendung existierten. Schon bei Masse– und Kraftgr¨oßen wurden Gramm [g] und Newton [N] durcheinandergeworfen. Ein Gewicht“ war zweierlei, n¨amlich ” entweder eine Masse oder eine Kraft. Die Bestimmung eines Gewichtes auf zwei Waagschalen mit Gewichtstucken¨ ist ein Massenvergleich, denn Gewichtstucke¨ haben selbst eine Masse, s. [11], S. 72. Bei den Gr¨oßen Arbeit und Leistung herrschen auch meistens falsche Vorstellungen. Ein Informatiker sollte aber wenigstens einmal von den Definitionen der Maßeinheiten Kenntnis genommen haben, vor allem wenn er mit Technikern zusammenarbeiten will. – Wie die Erfahrung gezeigt hat, wird auch Ingenieuren das eine oder andere in der folgenden Kurzdarstellung nicht selbstverst¨andlich sein. Seit Jahrhunderten ist man bemuht,¨ Maßeinheiten fur¨ den gesch¨aftlichen Umgang der Men- schen untereinander so zu vereinheitlichen, dass uberall¨ gleichgroße Verrechnungsgr¨oßen verwen- det werden k¨onnen. Dieses klingt einfach, ja selbstverst¨andlich – ist es aber nicht. Holzh¨andler in Hamburg beispielsweise benutzten noch bis vor 90 Jahren im internationalen Gesch¨aft ca. 30 ver- schiedene L¨angenmaße. Gr¨oßen wie Zoll, Fuß, Rute, Klafter gab es in verschiedenen Varianten, je nach Land oder sogar Region. Beispielsweise war ein Fuß in Hamburg etwas anderes als in Bremen oder in Berlin. In fruher¨ Zeit kamen Definitionen zustande wie die fur¨ eine gemeine Meßrute“ ” nach Jacob Kobel¨ , Frankfurt (Main), 1575. Er bemuhte¨ sich sogar schon um einen statistisch ermittelten Durchschnittswert, Zitat: Es sollen sechtzehen Mann, klein und groß, wie sie ungefehrlich nach einander auß der Kirchen gehen, ein jeder vor den anderen einen Schuh stellen. Dieselbige Lenge ist, und sol seyn, ein gerecht gemeyn Meßrute . Danach war also der Durchschnitts“–Fuß 1/16 der Meßrute. ” Das Meter gab es auch schon l¨anger – dank einem Beschluß der franz¨osischen Nationalver- sammlung im Jahre 1790, etwas gegen die erstaunliche und l¨astige Verschiedenheit der Maße“ zu ” tun. Sie beauftragte am 8. Mai 1790 die Akademie der Wissenschaften, ein weltweit anwendba- res Maß– und Gewichtssystem zu entwickeln. Noch bis vor ca. 35 Jahren wurden durchgreifende