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Neuauflage ISSN 0721-0752

HELMUT CREUTZ Z SÖ Das Geld-Syndrom ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALÖKONOMIE Wege zu einer krisenfreien f Wirtschaftsordnung 495 Seiten, 14 x 22 cm mit Fadenheftung gebunden und Schutzumschlag, zahlreiche Grafiken, Abbildungen und Tabellen. 28,00 € ISBN: 978-3-96230-002-9

Ulrich Kriese 3 Grundsteuerreform: • Warum werden die weltweit vagabundierenden Geld- 2019, das Jahr der Entscheidung ströme immer größer? Daniel Mühlleitner Flächenausweisungszertifikate – • Weshalb reagieren die Kurse an den Aktien- und 9 Vermögensmärkten immer hektischer? Ökonomische Fallstricke und Perspektiven • Warum bekommen die Notenbanken Geldmenge und Kaufkraft nicht in den Griff? Thomas Seltmann 15 Geld mit Ablaufdatum – Wie sich eine Liquiditätsgebühr auf Bargeld • Weshalb müssen wir trotz fortschreitender Umwelt- praktisch realisieren ließe zerstörung jedes Jahr die Leistung unserer Wirtschaft steigern? Beate Bockting 23 Bargeld im Fokus der aktuellen • Warum geht trotz dieser Steigerung die Schere zwischen Geldpolitik Arm und Reich weiter auf? Ferdinand Wenzlaff 44 Robert Eisler und die virtuelle Parallelwährung Vielleicht haben Sie sich das auch schon gefragt, vor allem angesichts der Ereignisse in den letzten zehn Jahren. Johann Walter 55 Zukunft des Bargelds: regionale Helmut Creutz veranschaulicht auf verblüffende und Komplementärwährung? einleuchtende Weise, wie alle diese Fehlentwicklungen Max Danzmann 65 Warum staatliche Währungen privaten mit den Strukturen unseres Geldsystems zusammenhängen Kryptowährungen überlegen sind und bietet sinnvolle und kompetente Reformvorschläge. 75 Personalien - Bücher Die Neuauflage enthält einen der letzten Aufsätze von Helmut Creutz zur Niedrigzinsphase sowie ein Nachwort von Thomas Kubo mit aktualisierten Grafiken.

Verlag Thomas Kubo - Münster | www.thomaskubo.de ZfSÖ 56. Jahrgang 200. Folge Juni 2019 Die letzte Printausgabe. 44 Robert Eisler und die virtuelle Parallelwährung Ferdinand Wenzlaff

Im Zuge der letzten Finanzkrise hat sich eine gebnis ist eine virtuelle Parallelwährung bzw. ein akademische Debatte mit nie dagewesener Of- duales Währungssystem. Allerdings wird in der fenheit gegenüber neuen geldpolitischen Wegen Literatur zur virtuellen Parallelwährung nur die zur Überwindung der Nullzinsgrenze etabliert. Da Idee auf Eisler zurückgeführt, ohne dass Eisler Bargeldhaltung nicht negativ verzinst werden selbst eingehender dargestellt und diskutiert kann, bildet diese eine Hürde für langfristige ne- wird. gative Realzinsen. Die bekannteste Grundrich- Sieht man von einer älteren Publikation von tung zur Überwindung dieser Hürde ist die Ge- Gaitskell ab, gibt es praktisch bisher keine Lite- sell-Geldhaltesteuer, wobei verschiedene Varian- ratur, die sich tiefer mit Eisler als Ökonom aus- ten der „Stempeltechnik“ diskutiert werden. einandersetzt. In diesem Beitrag wird daher an- Die zweite Grundrichtung liegt in der Ab- hand des Studiums der Primärquellen umrissen, schaffung des bisherigen Bargeldes, wobei wie- welche Probleme Eisler in der Weltwirtschafts- der verschiedene technische Varianten möglich krise erkannte und wie er sie lösen wollte. Ob- sind. Während sich die originäre Debatte zur Ab- wohl Eisler selbst gar keine Nullzinsgrenze kann- schaffung des Bargeldes aus anderen Problemfo- te und mit der Parallelwährung andere Ziele ver- kussen jenseits makroökonomischer Fragestellun- folgte, werden wir sehen, wie sich sein Instru- gen speiste – Eindämmung von kriminellen Trans- ment zur Überwindung der Nullzinsgrenze adap- aktionen oder von Steuerflucht –, wird die Bar- tieren lässt. geldabschaffung nun funktional für einen geld- politischen Zweck. 1 Biographische Skizze Im akademischen Diskurs existiert noch eine dritte Grundrichtung zur Etablierung negativer Es gibt keine Biografie zu Robert Eisler, jedoch Realzinsen ohne Stempeltechnik und ohne Bar- spärliche und zum Teil widersprüchliche Hin- geldabschaffung: Die virtuelle Parallelwährung weise aus den Vorwörtern bzw. Publikationen im Sinne von Robert Eisler (1882–1949). Beate Eislers, der wenigen Sekundärliteratur, Lexika- Bockting in diesem Heft beleuchtet die Entwick- Einträgen, Archivnachweisen und Hinweisen aus lung des Diskurses zur Überwindung der Null- Korrespondenzen.2 zinsgrenze, während hier die Eisler-Lösung ver- Robert Eisler wurde 1882 in Wien in eine tieft wird. Wir verdanken es insbesondere dem wohlhabende jüdische Familie mit Fabrikanten- im Nullzinsgrenzendiskurs führenden Willem Bui- und Bankenhintergrund geboren. Er legte 1900 ter, dass wir heute überhaupt über Eisler spre- Matura ab und veröffentlichte bereits 1902 mit chen. Buiter theoretisiert die Trennung der Tausch- „Studien zur Werttheorie“ ein philosophisches, für mittel- und Recheneinheitsfunktion, wobei Miles Ökonomen schwer durchdringbares Traktat, wo- Kimball, Ruchir Agarwal und Ulrich van Suntum mit er sich angeblich schon promoviert hatte.3 die Idee aufgreifen, und Katrin Assenmacher und In jedem Fall promovierte Eisler (das zweite Mal) Signe Krogstrup dann von der Entkopplung von 1905 im Fach Kunstgeschichte in Wien und wur- Bargeld und elektronischen Geld sprechen.1 Er- de nach Absolvierung des Ausbildungskurses und

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Ablegung der Staatsprüfung ordentliches Mit- seinem Wiener Ins- glied am Institut für österreichische Geschichts- titut, sondern zwang forschung an der Universität Wien. Über sein ge- auf österreichischen samtes Leben war er in verschiedenen geistes- Druck auch das Pa- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen wie klas- riser Institut zum sische Archäologie, Kunstgeschichte, Religions- Bedauern von Ein- geschichte, Anthropologie, Astronomie und Öko- stein die Beziehung nomie tätig. Er wird manchmal als Kulturhisto- zu ihm zu lösen.6 Je- riker, Ökonom oder auch als Universalgelehrter, doch erhielt er 1927 meistens jedoch als Religionshistoriker bezeich- eine Gastprofessur net. Eine (vorläufige und nicht systematische) an der Sorbonne für Analyse der wissenschaftlichen Zitationen ver- etwa ein Jahr. Eis- mittelt den Eindruck, dass seine religionswissen- ler hatte genug Mit- schaftlichen Arbeiten (noch) die höchste Beach- tel, sich auch ohne tung in der Wissenschaft finden, da er einige Anstellung noch in interessante aber auch kontroverse Entdeckun- München zu habili- Robert Eisler (Star-Phoenix, Canada; 16. Dezember 1926, S. 16) gen präsentierte. Eine Diskussion der philoso- tieren. phischen, religions- und kulturhistorischen Ar- Während der Depression erschienen dann die beiten übersteigt den Umfang dieses Beitrags reformorientierten Bücher „This Money Maze“ als auch die fachliche Kompetenz des Autors. (1931) und „Stable Money“ (1932) sowie einige Wir fokussieren daher ausschließlich die aktuelle Artikel (Tabelle 1). Obwohl Eisler unter Ökono- Wiederentdeckung von Eisler als Ökonom mit men als Häretiker gilt 7, erhielt er durchaus in- seiner originären Idee der Parallelwährung. ternationale Anerkennung als Experte für Wäh- Er lässt sich 1903 in die Katholische Kirche rungsfragen. Immerhin war er Mitglied der Royal konvertieren und heiratet 1908, wobei es wohl Economic Society und nahm an Meetings der keine Kinder gab. Einige Zeit nach Beendigung Econometric Society in den USA teil.8 In einer seines Kriegsdienstes als Offizier im Ersten Welt- kanadischen Zeitung wurde Eisler als „one of the krieg und zunächst anderen wissenschaftlichen greatest economists in the world“ bezeichnet.9 Arbeiten veröffentlichte Eisler 1924 „Das Geld: Er lehrte zu ökonomischen und monetären The- seine geschichtliche Entstehung und gesell- men in hochschulischen Einrichtungen u. a. in schaftliche Bedeutung“. Es handelte sich um ein Basel, Genf, London, Oxford, , Prag, Wien. Lichtbildlehrbuch zum Einsatz in der Erwachse- Er war wohl der damals erste Ausländer, der vom nenbildung. Die für die Lichtbilder verwendete Finance Committee of the British House of Com- chemische Drucktechnik, ohne Glasfassung geeig- mons zur Erläuterung eines Reformkonzeptes ein- net für den Auflagendruck (Diatypie), hat Eisler geladen wurde. Der zeitgenössischen Presse las- selbst erfunden. sen sich viele Vorträge und Reisen in die USA Albert Einstein schlug Eisler 1925 als Direktor entnehmen, wobei er seine Reform auch vor dem des neuen Pariser Instituts zur Unterstützung Committee of Banking and Currency des amerika- der 1922 gegründeten ’ Inter- nischen Senats im Zuge des Gold Reserve Acts national Committee on Intellectual Cooperation von 1934 vorstellen konnte.10 (die Vorgängerorganisation der UNESCO) vor, wo- Zudem pflegte Eisler ein kaum fassbares Netz- bei Eisler dann stellvertretender Leiter wurde.4 werk mit Politikern, Nationalbankern, Praktikern Der „schon in jungen Jahren einigermaßen selbst- und Ökonomen. Im Buch „Stable Money“ werden herrliche und extravagante“ 5 Robert Eisler wurde seitenweise Personen höherer Ämter benannt, auffällig, weil er gerne unerlaubt Bibliotheks- mit denen er seine Ideen diskutieren und vali- bücher nach Hause nahm. In Udine 1907 nahm dieren konnte, darunter zum Beispiel Irving er eine Urkunde zum Fotografieren nach Hause – Fisher, Friedrich von Hayek, Ralph G. Hawtrey, dies brachte ihm nicht nur ein Hausverbot an Vincent Vickers oder Charles Rist.

Zeitschrift für Sozialökonomie 200/2019 46 Ferdinand Wenzlaff: Robert Eisler und die virtuelle Parallelwährung

1902 • Studien zur Werttheorie. Leipzig: Duncker & Humblot. 1924 • Das Geld – seine geschichtliche Entstehung und gesellschaftliche Bedeutung. München: Diatypie. 1931 • Un Remède Monétaire a la Crise Mondiale du Chômage. Revue d’Économie Politique, Vol. 45(2), S. 333-351. • This Money Maze. London: Search Publishing. 1932 • La monnaie: Cause et Remède de la Crise Économique Mondiale. Paris: Valois. • Stable money: The Remedy for the Economic World Crisis. London: Search Publishing Company. 1933 • Zum Streit um die Indexwährung. Wiener Börsen-Kurier 33. • Zum Problem einer Stabilisierung der Kaufkraft des Geldes. Wiener Börsen-Kurier 35. • Zur Kritik der “Kompensierten Goldwährung” nach Fisher-Keynes. Wiener Börsen-Kurier 37. • Die Gegenbewegung von Gold und Ware und die Goldproduktion unter einem Irving Fisher’schen Währungssystem. Wiener Börsen-Kurier 40+42. • The Case against the Gold Standard. The Manchester Guardian Commercial, June 10 and 17. 1934 • Das Wunder der englischen Konjunktur. Die Wirtschaftspolitik: Halbmonatszeitschrift des Österreichischen Heimatschutzes 4. • Stabilisierung der Kaufkraft des Geldes. Wiener Wirtschafts-Woche, 2. Mai. • Mensch, Maschine und Geldwesen. Wiener Börsen-Kurier 39+41. • Internal Price Stability versus Exchange Stability: A Note on Professor J. H. Jones’s Paper. Journal of the Royal Statistical Society, Vol. 97(3), S. 478-483. 1935 • Zur Kritik der psychologistischen Konjunkturtheorie. Wien: Wiener Börsen-Kurier-Verlag. • Reduce long-term Interest Rates. Economic Forum, Vol. II(4), S. 458-468.

Tabelle 1: Bibliografie ökonomischer Schriften von Robert Eisler

1938 wurde Eisler eine Position als Wilde Lec- 2 Historischer Kontext und turer für Religionswissenschaft an der Oxford ökonomische Grundorientierung University angeboten. Jedoch wurde Eisler nach 2.1 Eislers Kritik am liberalen Zeitgeist dem „“ Österreichs an das Deutsche Reich in die Konzentrationslager Dachau und Eisler erfuhr die Hyperinflation der 1920er Buchenwald deportiert. Als geborener Jude und Jahre und die bald darauffolgende Weltwirt- kritischer Geist hatte er auch noch den anti-natio- schaftskrise. Österreich kämpfte über die ge- nalistischen Vorschlag gemacht, dass sich Öster- samte Zwischenkriegszeit mit sehr hoher Arbeits- reich dem Sterling-Block (ein System fester losigkeit ohne Wirtschaftswachstum.11 Eislers Wechselkurse wie später Bretton Woods) an- Problemstellungen und Reformziele wie Vollbe- schließen solle. Durch internationalen Druck schäftigung, Stabilisierung der Kaufkraft bzw. konnte Eisler jedoch nach 15 Monaten Konzen- Nachfrage sind ganz klar in diesem Kontext zu trationslager 1939 noch vor Kriegsausbruch nach sehen: „Der voll und ganz reale, brutale, nie zu Großbritannien ausreisen. Gesundheitlich ge- vergessende Fakt ist die aktuelle Zahl der Ar- schwächt, forschte er bis an sein Lebensende, beitslosen.“ 12 wobei er sich in Großbritannien wohl nicht mehr Eisler kritisierte den dominierenden Zeitgeist ökonomischen Themen widmete. Robert Eisler eines Laissez-faire Kapitalismus, in dem Reini- starb 1949 in Oxted in der Nähe von London. gungskrisen bitter nötig seien und jede staatli- Weitere biografische Anhaltspunkte gäben das che Intervention die Krise nur verzögern und ver- Eisler-Archiv in London oder auch Veröffentlich- schlimmern würde. Eisler hingegen erkannte früh, ungen bzw. Archive von Personen, mit denen Eis- dass monetäre Mechanismen das Marktgleichge- ler korrespondierte. Dabei wären auch mögliche wicht verhindern. weitere Publikationen in Journalen und Presse Wenn damals eine Politikempfehlung zur Kri- während der Weltwirtschaftskrise zu erfassen. senbekämpfung dominierte, dann die Senkung

Zeitschrift für Sozialökonomie 200/2019 Ferdinand Wenzlaff: Robert Eisler und die virtuelle Parallelwährung 47 der Löhne und öffentlichen Ausgaben. Eisler kri- die Unwirksamkeit alleiniger Geldmengenpolitik tisierte daher, dass mit solcher Austeritätspoli- theoretisierte. Theoriekonform erwirkten die jüng- tik – für die der deutsche Reichskanzler Heinrich sten Notexperimente mit Quantitative Easing Brüning in die Geschichte einging – die Massen- auch kaum expansive Effekte, sondern vielmehr kaufkraft und damit Nachfrage, Beschäftigung Vermögenspreisinflation, weitere Umverteilung sowie Preisniveau noch weiter fallen würden. Der und höhere Verschuldung.13 depressive Effekt sinkender Löhne und der um- Effektive Nachfrage. Eisler versuchte anhand gekehrt expansive Effekt höherer Löhne und von Preisniveauschwankungen die mangelnde staatlicher Konjunkturprogramme werden heute effektive Nachfrage und Arbeitslosigkeit zu er- kaum noch angezweifelt. Eisler sah, dass Lohn- klären. Eine inflationäre Geldpolitik des leichten senkungen die Exporte des Inlands auf Kosten Kredits heize die Produktion und Kapitalakkumu- des Auslands verbessern und entsprechende „beg- lation über die reale Sparquote hinaus an. Dieser gar-thy-neighbor“-Antworten hervorrufen müs- Prozess werde unterstützt vom technischen Fort- sen. Dies bedeutet, dass das Ausland ebenfalls schritt und lasse die (ständig reinvestierten) Ge- Löhne senkt und sich so die Weltwirtschaft in winne steigen, während die Löhne und damit eine Abwärtsspirale begibt; das betrifft ebenso Massenkaufkraft hinterherhinken und somit eine die Errichtung von Zöllen oder Währungsabwer- Nachfragelücke schaffen. Eislers Theorien zur Er- tungen. Zudem problematisierte Eisler den Me- klärung von sind fragwürdig, denn wie chanismus, dass eine Deflation die reale Schul- können in einer Kreditgeldwirtschaft die Preise denlast und die Realzinsen erhöht und so die systematisch steigen, ohne dass die Nominalein- Abwärtsspirale aus sinkender Nachfrage und Bank- kommen steigen? Zudem: Werden wirklich auf rotten verstärkt wird. längere Zeit Gewinne reinvestiert bzw. neue In- vestitionskredite aufgenommen trotz schwacher 2.2 Eislers theoretische Grundlinien Nachfrage? Spekulation und Hortung steht bei Eisler nicht im Zentrum. Wir können dies hier Im Zentrum der Problemwahrnehmung stehen nicht weiter diskutieren, aber den Versuch einer für Eisler der Mangel an Kaufkraft und die Mas- Unterkonsumptionstheorie würdigen sowie die senarbeitslosigkeit. Dies erklärt Eisler mit mone- zentrale Idee der Stabilisierung des Preisniveaus tären Analysen und wird damit zum Zirkulations- und der Massenkaufkraft. theoretiker bzw. monetären Makroökonomen mit Zinstheorie. Eisler erwähnte Gedanken des Fokus auf der Geldpolitik. „Obsterzeugers“ Silvio Gesell im Buch „Das Geld“ Geldpolitik. Eisler analysierte die destrukti- (1924) sehr abfällig.14 Während Eisler zunächst ven Mechanismen der Geldpolitik und des Gold- den Zinssatz im Prinzip nicht weiter problemati- standards vor allem in der Krise. Statt Goldbe- siert, wird im Artikel „Reducelong-term Interest stände zu managen, sollten Zentralbanken Fluk- Rates“ (1935) die später von Maurice Allais for- tuationen des Preisniveaus vermeiden und Preis- mulierte „Goldene Regel“ 15 dargelegt, wonach die niveaustabilität zum Steuerungsprinzip machen. reale Zinsrate nicht die reale Wachstumsrate Auch diese Einsicht hat sich heute in Theorie überschreiten darf. Denn dann wäre der Zinsen- und Praxis durchgesetzt. Dabei widerspricht die dienst nicht aus den laufenden Überschüssen Zielinflation dem Prinzip der Steuerung einer leistbar. Genau dies war aber in der Weltwirt- stabilen Preisniveauentwicklung keineswegs. Zu- schaftskrise der Fall und daher schlug Eisler die dem verband Eisler die Notwendigkeit der Preis- Konversionen von Anleihen mit Zinsschnitten von niveausteuerung mit einem System relativ stabi- 30-50% vor. Dies hat jedoch nichts mit der Li- ler Wechselkurse. Nach dem notgedrungenen Aus- quiditätspräferenztheorie zu tun, sondern Eisler stieg Großbritanniens aus dem Goldstandard im vertrat im Grunde die Wicksellianische natürliche September 1931 befürwortete Eisler die Ausdeh- Kapitalzinstheorie: „Der gleichgewichtige Zins- nung des sogenannten Sterling Blocks. Zur Geld- satz ist eine relativ konstante Größe, hauptsäch- politik ist noch zu sagen, dass Eisler frühzeitig lich bestimmt durch die langfristige Produkti-

Zeitschrift für Sozialökonomie 200/2019 48 Ferdinand Wenzlaff: Robert Eisler und die virtuelle Parallelwährung vitätssteigerung.“ 16 Damit zog Eisler jegliches 3 Eislers Reformkonzeption Konzept einer Liquiditätsprämie – die ja auch erst ab 1936 durch Keynes bekannt wurde – als Eislers Reformprogramm drehte sich um die Zinsbestimmung nicht in Betracht. Da Eisler die Schaffung von Vollbeschäftigung durch Stabili- Nachfrageschwäche insbesondere auf Kaufkraft- sierung der Massenkaufkraft bei gleichzeitiger schwankungen zurückführte, unterstellte er für nationaler und internationaler Preisniveaustabi- eine stabile Kaufkraft eine entsprechend hohe lität. Sein Programm – entwickelt für die London Konsumneigung, welche das Sparangebot immer Economic Conference 1933 und ausführlich ins- knapphalten würde. Folglich fungiert der posi- besondere dargelegt in „Stable Money“ (1932) – tive Zinssatz als legitimer Knappheitsregulator. lässt sich in drei Säulen einteilen: (1) öffent- Eine Liquiditätsprämie als Störfaktor hat hier liche Beschäftigungsprogramme zur Sicherung keinen Platz. Vorschläge für negative Zinsen wa- von Beschäftigung und Massenkaufkraft, (2) ei- ren für ihn daher absurd. ne virtuelle Parallelwährung zur Stabilisierung des Preisniveaus und damit Stabilisierung der 2.3 Eisler als Geldreformer Massenkaufkraft, sowie (3) ein System interna- tionaler gegenseitiger Kredite zur Stabilisierung Eisler arbeitete sehr akademisch und war kein der Wechselkurse und damit der Handelsströme Gesellschaftskritiker. Bei seiner Analyse spielte und nationalen Preisniveaus. etwa die Kritik arbeitsloser Einkommen oder die Ausbeutung und Entfremdung der Arbeitenden 3.1 Öffentliche Beschäftigungs- keine Rolle. Frei von solchen normativen Bezugs- programme punkten ging es ihm nur um die Währungssta- bilität zur Vermeidung von Krisen und Schaffung In Kenntnis der Funktionsmöglichkeiten inner- von allgemeiner Prosperität ohne grundlegende halb des Kreditgeldsystems hat Eisler wie andere Änderung der Institutionen der Marktwirtschaft – progressive Ökonomen in der Weltwirtschafts- ein wahrhaft „kleinbürgerlicher“ Ansatz hätte krise staatliche Beschäftigungsprogramme vor- Marx gesagt. Eisler blieb jedoch nicht im Elfen- geschlagen. Da eine wie in den USA anfänglich beinturm. Seine Problemstellungen und Lösungs- praktizierte Lohnsteuerfinanzierung ja nur Kauf- ideen diskutierte er in Politik und Praxis. Eisler kraft verschieben, aber nicht erhöhen würde, war wie andere Geldreformer von praktischen Zir- müssen die Ausgaben kreditfinanziert sein. Die kulationsproblemen getrieben und suchte nach Idee des Deficit Spending war nicht ganz neu, marktwirtschaftlich konformen Lösungen jenseits aber Eisler forderte es wahrscheinlich erstmals in utopistischer Gesellschaftsreformkonzeptionen. enormem Umfang, wie es dann unter Roosevelt Nur wenige Geldreformer betteten ihre Ideen so mit dem New Deal ab 1936 tatsächlich prakti- stark in den akademischen Forschungsstand ein ziert wurde. Kontroverserweise schlug Eisler be- und erlangten zeitgenössische Anerkennung.17 reits die jüngst in der Krise faktisch praktizierte Man kann behaupten, dass Eisler eine vergleichs- und in der Modern Money Theory (MMT)18 propa- weise sehr komplexe Analyse und entsprechende gierte direkte Notenbankfinanzierung vor. Reformkonzeption vorlegte, da er stets die Me- Eisler ging es jedoch nicht um ein einmaliges chanismen von Wechselkursen und volkswirt- Konjunkturprogramm, sondern er sah dieses In- schaftlichen Bilanzen einer integrierten Weltwirt- strument als Teil eines dauerhaften Reformpa- schaft betrachtete. Meines Wissens gibt es kaum kets unabhängig vom Steueraufkommen und dis- andere Geldreformkonzeptionen, die solche Kom- kretionär einsetzbar, wann immer es nötig sei. plexität verarbeiteten. Eisler brauchte die Beschäftigungsprogramme als Dauerinstrument, weil er in die bis heute viel ge- teilte Denkfalle der technologisch bedingten Ar- beitslosigkeit tappte. Die Widerlegung der These der technologisch bedingten Arbeitslosigkeit

Zeitschrift für Sozialökonomie 200/2019 Ferdinand Wenzlaff: Robert Eisler und die virtuelle Parallelwährung 49 habe ich an anderer Stelle erbracht 19 und wir te Eisler auch einen expansiven „angebotsseiti- widmen uns daher nun den (aus meiner Sicht) gen“ Effekt, wobei der zentrale expansive Me- beiden wichtigeren Säulen. chanismus sicherlich „nachfrageseitig“ über die Hebung und Stabilisierung der Massenkaufkraft 3.2 Parallelwährung läuft. Ähnlich wie die Beschäftigungsprogramme ist Eisler war der Überzeugung, dass Preisniveau- das Instrument Parallelwährung auf Dauer ange- schwankungen bzw. Inflation die Massenkauf- legt, wobei angestrebt wird, dass sich das Preis- kraft destabilisieren und damit auch Krisen er- niveau und der Wechselkurs stabilisieren. Treten klären. Dagegen würde eine stabile Kaufkraft die erneut Ungleichgewichte auf – z.B. durch tech- Nachfrage stabilisieren und damit Arbeitslosig- nologischen Fortschritt oder veränderte Außen- keit und Krisen nachhaltig vermeiden. Auch wenn handelsbeziehungen –, kommt der Wechselkurs- in der Geschichte bereits verschiedene Praktiken anpassungsmechanismus wieder zum Tragen. Wir von rein virtuellen Recheneinheitswährungen verzichten hier auf eine detaillierte Darstellung bekannt sind und Eisler insbesondere von der und Diskussion der praktisch-technischen Umset- Festmark während der deutschen Hyperinflation zung mit dem alleinigen Hinweis, dass Bargeld inspiriert war, leistete er eine sehr originelle damals eine wichtigere Rolle spielte und Eislers und revolutionäre Pionierarbeit.20 Vorstellung der Parallelkreisläufe schwer nach- Eisler schlug neben der existierenden Währung vollziehbar ist. Diese Unklarheiten schmälern je- mit Tauschmittelfunktion (Current Money) eine doch nicht die Idee und wir schauen uns daher zweite Währung als Recheneinheit und Wertauf- die Adaption kontemporärer Ökonomen für die bewahrungsmittel (Contract Money; Banco Mo- heutige Problemstellung „negative Realzinsen“ ney) vor. Löhne und Konsumgüter werden wei- an. Zuvor sei aber noch die dritte Säule vorge- terhin in Current Money bezahlt, wobei die stellt. Preise in Current Money frei inflationieren (oder auch deflationieren) können. Banco Money wird 3.3 Internationale Koordination von der Zentralbank als Buchwährung ohne phy- sische Existenz eingeführt. Darin werden Kredit- Wie erwähnt sticht Eisler durch seine Betrach- verträge geschlossen oder auch größere Bank- tung einer integrierten Weltwirtschaft heraus. transaktionen abgewickelt. Banco Money wird Abschottung und Isolation sind keine Option über eine Warenkorbfixierung inflationsgesichert. und Reformen im nationalen Alleingang wirken Dies kann man sich so vorstellen: Die Zentral- nur eingeschränkt. Wirtschaftspolitik soll koor- bank (oder die Regierung) fixiert einen Stan- diniert werden und Effekte auf Kapitalbewegun- dard-Warenkorb, welcher von einem Standardein- gen, Handel oder Wechselkurse müssen stets be- kommen zum Zeitpunkt 0 gekauft werden kann. achtet werden. Ferner sind nationale Verbesse- Eine Einheit Banco repräsentiert dann einen be- rungen auf Kosten der Nachbarn zu vermeiden, stimmten Anteil am Warenkorb realer Güter. Die die nur Vergeltungsmaßnahmen hervorrufen. Idee ist nun, dass trotz Inflation der gleiche Daher müssen insbesondere die öffentlichen Warenkorb über eine Wechselkursanpassung ge- Ausgabenprogramme koordiniert eingesetzt wer- kauft werden kann. Dabei kann sich der Wechsel- den. Möglichst viele Nationen sollten eine Pa- kurs nicht über den Markt bilden, sondern muss rallelwährung einführen, die dann über mög- anhand der Inflationsrate regelmäßig berechnet lichst feste Wechselkurse miteinander verbunden und publiziert werden. Im Ergebnis schwebte werden. Weiterhin schlug Eisler ein System in- Eisler eine Ausweitung der Konsumnachfrage ternationaler Stabilisierungskredite vor, die dann über eine Reallohnstabilisierung vor. Zudem wür- der Stützung von Wechselkursen und Bekämp- den Publikum und Banken ihre Horte in Current fung von Spekulation dienen können. Zum Ma- Money minimieren und stattdessen in (nicht nagement der Kreditbeziehungen schlug Eisler hortbaren) Banco Money sparen. Damit erwarte- die schon damals existierende Bank für Inter-

Zeitschrift für Sozialökonomie 200/2019 50 Ferdinand Wenzlaff: Robert Eisler und die virtuelle Parallelwährung nationalen Zahlungsausgleich (BIZ) vor. Wir müs- in IWF-Papieren aufgegriffen. Die Isolierung bzw. sen auf eine detaillierte Diskussion verzichten Dekontextualisierung und Weiterentwicklung ei- und halten zunächst fest, dass Eisler eine Ko- ner Teilidee aus einem Gesamtkonzept ist durch- ordination der Fiskal- und Geldpolitik forderte aus legitim, wenn nicht sogar ein ganz ent- und die Selbstbindung der Nationen über Insti- scheidender Mechanismus für den Fortschritt von tutionen und Verträge bzw. Vereinbarungen ab- Ideen. Ähnlich habe ich die Weiterentwicklung sichern wollte. der Gesellschen Idee der Geldhaltesteuer im Kontext des Paradigmas einer endogenen Kredit- 4 Überwindung der Nullzinsgrenze geldökonomie unter expliziter Zurückweisung des seinerzeit bereits überholten theoretischen Fun- Im Grunde ist das Denken Eislers konform daments einer exogenen Tauschgeldökonomie mit den Normen des Negativzinsdiskurses, da er vorgeschlagen.22 Wichtig im Prozess der Dekon- ganz klar Vollbeschäftigung anstrebt, ohne die textualisierung und Ideeadaption bleibt jedoch, konstitutiven Prinzipien einer kreditgeldvermit- dass Autoren keine falschen Ideen zugeschrieben telten Marktökonomie anzugreifen. Die darge- werden. Daher erschien es wichtig, einmal auf- stellte Problemorientierung und entsprechende zuzeigen, was sich Eisler wirklich gedacht hat Reformkonzeption Eislers macht jedoch deutlich, und wie er zu negativen Zinsen stand. Schauen dass Eisler Preisniveau- und damit Kaufkraftni- wir uns nun endlich die Adaption zur virtuellen veauschwankungen fokussierte und dabei nega- Parallelwährung genauer an. tive Zinsen gar nicht in Betracht zog. Ironischer- weise kann aber sein Instrument der Parallel- 4.2 Die virtuelle Parallelwährung währung eben genau für negative Realzinsen adaptiert werden. Gäbe es kein Bargeld, wäre es unproblema- tisch, Geldhaltung mit negativen Zinsen zu be- 4.1 Dekontextualisierung und lasten und so sinkende Realzinsen (bis in den Adaption von Ideen negativen Bereich) auf dem Kapitalmarkt zu er- zeugen. Jetzt bietet aber die Eisler-Lösung eine Der schon weit vor der Finanzkrise mit Geld- Möglichkeit, Bargeld negativ zu verzinsen. Die theorie, sinkenden Zinsen und alternativen Zen- Zentralbank eröffnet eine offizielle virtuelle Pa- tralbankinstrumenten befasste Ökonom Willem rallelwährung (Banco) als Zentralbankgeld und Buiter (vgl. Beate Bockting in diesem Heft) verzinst diese mit einer kontinuierlichen negati- publiziert seit 2004 Papiere, in denen das Kon- ven Rate. Wer der negativen Verzinsung durch zept der Trennung von Recheneinheits- und Flucht in Bargeldwährung (€) entkommen will, Tauschmittelfunktion mittels einer virtuellen wird mit unausweichlichen Marktprozessen kon- Parallelwährung Eisler zugeschrieben wird. Buiter frontiert: Verkäufer werden €-Zahlungen nur ge- verdankt den Hinweis auf Eisler einem Kommen- gen einen Diskont annehmen, damit die €-Zah- tar von Stephen J. Davies, der selbst auch mit lung einer Zahlung in Banco gleichgestellt ist. dieser Idee zur Überwindung der Nullzinsgrenze Ebenso werden Banken die Zinsen auf €-Gut- arbeitete.21 haben absenken, bis die Refinanzierungskosten Jedoch hat Buiter seine Idee bereits verfolgt von €-Einlagen denen von Banco-Einlagen ent- und es ist daher völlig legitim und gerecht, dass sprechen. Vermögensbesitzer müssen dies hin- Eisler als Vordenker der virtuellen Parallelwäh- nehmen. Es wird sich also über die Marktpro- rung zitiert wird, wobei Eislers eigentliche In- zesse ein Wechselkurs zwischen Banco und € tention gar nicht diskutiert wird. Immerhin wür- etablieren. In den Worten von Buiter lässt sich den wir sonst Eisler gar nicht kennen und nicht so ein fallender Terminpreis (der Preis in der Zu- über ihn reden können. Buiters Eisler-Lösung kunft) von € etablieren, was einer negativen wurde bisher insbesondere von Kimball, van Verzinsung gleichkommt. Anders als bei Eisler Suntum, aber auch von Rogoff und letztens auch kann sich der Wechselkurs frei entwickeln. Die

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Zentralbank muss lediglich die negative Zinsrate 5 Fazit und Ausblick von Banco-Guthaben bestimmen und verfährt ansonsten wie bisher (d.h. sie steuert weiterhin Wir verdanken es Ökonomen wie Buiter, Kim- das Preisniveau, bestimmt die Refinanzierungs- ball, Rogoff, van Suntum und anderen, Robert sätze usw.). Eisler in den Diskurs zur Überwindung der Null- Rogoff bringt gut auf den Punkt, dass die heu- zinsgrenze und Schaffung langfristiger negativer tige Differenzierung von Zentralbankgeld und Realzinsen für eine gleichgewichtige vollbeschäf- Giralgeld ja im Prinzip schon ein Parallelwäh- tigte Ökonomie gebracht zu haben. Jedoch ist rungssystem ist, nur dass Zentralbanken immer gar nicht weiter bekannt, über welche ökonomi- einen 1:1 Wechselkurs garantieren.23 Damit wäre schen Probleme Eisler eigentlich gedacht hat noch genauer zu überlegen, ob die heutige Welt und welche Reformen er vorschlug. auch ohne Einführung einer Parallelwährung in Zunächst wissen wir jetzt, dass Eisler kein ent- eine Eisler-Welt transformierbar wäre. Wäre es scheidendes Problem in der Hortbarkeit des Bar- möglich, dass die Zentralbank den Rücklauf von geldes sah und sich der Theorie eines langfristi- Banknoten diskontiert? Gäbe es ein Emissions- gen natürlichen positiven Kapitalzinses aufgrund datum auf den Noten, könnte sich der Diskont der Produktivitätssteigerung anschloss. In der Li- auf Zahlungen und Nominalvermögen übertragen, teratur zur Überwindung der Nullzinsgrenze wird wenn Banken die Noten nur gegen Diskontab- diese Information kaum transportiert 24, wenn- schlag annehmen? Vorerst soll es bei dieser gleich die Adaption der Parallelwährung für ei- knappen Darstellung bleiben, wobei viele Fragen nen neuen Zweck legitim und zielführend ist. auch bezüglich der praktisch-technischen Um- Ferner ist die Parallelwährung bei Eisler nur ein setzung ohnehin noch nicht ausdiskutiert sind. Baustein eines Drei-Säulen-Reformprogramms. Jedoch soll noch ein möglicher Einwand aus- Die erste Säule ist bekannt als keynesianische geräumt werden: Man könnte einwenden, dass antizyklische Fiskalpolitik. Dennoch erscheint es Hortung in € lohnend sei, weil man ja zum Zeit- nicht ganz passend, Eisler als Vorläufer des Key- punkt der Zahlung oder des Umtauschs in Banco nesianismus zu fassen. Ohne hier auf die keyne- dem Bargeld nicht ansieht, ob es nur für kurze sianische Bestimmung eines Unterbeschäftigungs- Zeit oder einen längeren Zeitraum gehortet wur- gleichgewichtes durch die beiden Variablen Zins- de: der Abschlag über den Wechselkurs ist ja satz (Liquiditätspräferenz-abhängig) sowie mar- derselbe. Dabei darf nicht unterschlagen wer- ginale Sparquote (einkommensabhängig) näher den, dass über den Zeitraum der €-Hortung der einzugehen25, scheinen bei Eisler beide Variab- Banco permanent entwertet und sich daher auch len zur (monetärkeynesianischen) Bestimmung der Wechselkurs des € zum Banco permanent des Unterbeschäftigungsgleichgewichtes unge- verschlechtert. Daher kann man sich mit Hor- nügend klar konzeptualisiert. Eisler problemati- tung in € nicht besserstellen. Dies ist ja ge- sierte die mangelnde Massenkaufkraft, was zu- rade der springende Punkt der adaptierten Eis- nächst keynesianisch klingt. Weiterhin kennt ler-Lösung: Bargeld kann seinen Nominalwert Eisler den Fakt, dass individuelle Sparquoten mit behalten, wird aber kontinuierlich abgewertet, steigendem Einkommen steigen. Bei Eisler aber was am Ende einer negativen Verzinsung im gehen die gesparten Einkommen bzw. die Unter- Sinne der Geldhaltesteuer gleichkommt. Es ver- nehmensprofite jedoch in die Kapitalakkumula- hält sich wie mit einer kontinuierlichen Infla- tion, die sich irgendwann in einer Deflationskri- tion: Der Nominalwert gehorteten Bargeldes se entladen mag. Aber es kann damit für Eisler bleibt gleich, jedoch findet eine zeitkongruente noch keine zu hohe aggregierte Sparquote ge- Entwertung über eine Steigerung des Preisni- ben, die die Nachfrage und damit Investitionen veaus statt. Allerdings gibt es im Eisler-System hemmt, sodass die Ökonomie in einem Unterbe- zwei Preisniveaus: ein theoretisch stabiles Ban- schäftigungsgleichgewicht verharren kann. Ent- co-Preisniveau und ein kontinuierlich steigendes sprechend zog Eisler auch nicht Umverteilung €-Preisniveau. bzw. Steuerpolitik als Maßnahme zur Hebung

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Virtuelle Parallelwährung (VP) Geldhaltesteuer Theorie Recheneinheit Virtuelle Parallelwährung Währung (Zentralbankgeld, (Zentralbankgeld) Bargeld, Buchgeld) Tauschmittel Währung (Bargeld, Buchgeld) Wirkung Funktion Ertragsrate der Bargeldhaltung fällt; Realzinsniveau fällt Inflation Währung: Inflation unvermeidlich Nonflation möglich VP: Nonflation möglich entfällt Bargeld Fällt durch Wechselkurs zur negativ Fällt durch Nominalwertverlust Realwert verzinsten Parallelwährung Bargeld/Nominalwert Bleibt fixiert Fällt anhand Nominalwertverlust Umsetzung Technische Hürden Keine nennenswerten Implementierung Stempeltechnik Kosten (Barcode, elektronisches Bargeld etc.); Lesegeräte, Geldautomaten, Warenautomaten Nicht-technische Auspreisung und Denken in zwei Keine nennenswerten Hürden/ Kosten Währungen erscheint umständlich Maßnahmen Schaffung VP als reine Wahl der „Stempeltechnik“ Zentralbank Recheneinheit negativer Zinssatz VP negativer Zinssatz Währung Marktprozesse Übertragung negativer Zinssatz von entfällt VP auf Währung über Wechselkurs Übertragung negativer Zinssatz auf langfristige Nominalvermögen

Tabelle 2: Virtuelle Parallelwährung und Geldhaltesteuer im Vergleich der Nachfrage in Betracht. Tatsächlich setzt hier negativen Bereich weitergedacht werden muss.27 die globalisierte Welt Schranken. Daher wird im Auf der sicheren Seite sind die aktuellen Forde- postkeynesianischen Lager wohl bis heute Defi- rungen koordinierter Fiskal- und Geldpolitik, wo- cit Spending fokussiert und dabei ebenso die rauf Eisler wiederum schon sehr früh hingewie- Geldpolitik vernachlässigt. Sie wird vernachläs- sen hat. sigt, weil die Integration der zinsbestimmenden Der ursprüngliche Zweck der Parallelwährung Liquiditätspräferenztheorie verbaut wurde und als Eislers zweite Säule ist im Prinzip geheilt, da der Zinssatz in hilfloser Weise als eine politische Zentralbanken heute eine stabile Entwicklung (d.h. außerökonomische) durch die Zentralbank des Preisniveaus als oberste Zielgröße verfolgen exekutierte Variable gefasst wird.26 Van Suntum und auch umsetzen können (wenn da das Pro- hat mit dem Begriff „Keynesianismus 2.0“ darauf blem der Nullzinsgrenze nicht wäre). Im Falle der hingewiesen, dass Keynesianismus als Geldpoli- stabilen Zielinflation bei positivem Realzins müs- tik viel effektiver sein kann und einfach für den sen nur die Nominallöhne an die Inflationsrate

Zeitschrift für Sozialökonomie 200/2019 Ferdinand Wenzlaff: Robert Eisler und die virtuelle Parallelwährung 53 indexiert werden, wobei Gewerkschaften ohnehin 6 Parallelwährung und Inflationsausgleich verfolgen. Es verhält sich wie Geldhaltesteuer mit Proudhons Volksbank, deren Zweck durch das heutige Kreditgeldsystem faktisch verwirk- Abschließend soll noch die Eisler-Adaption licht ist. Ähnlich wie Proudhon übersah Eisler, mit der Geldhaltesteuer von Silvio Gesell ver- dass der Mechanismus der natürlichen Realzins- glichen werden. Zunächst zeigt die zitierte Li- bestimmung durch den Mechanismus der Liqui- teratur eine zweifellos funktionale Äquivalenz: ditätspräferenz überlagert werden kann. Während Beide Lösungen erzwingen über Marktprozesse Proudhon aber gerade ein Fallen des Realzinses fallende Realzinsen, ohne Bargeld aufgeben zu bewirken wollte, unterstellte Eisler ewig steigen- müssen. Freilich bestehen aber Unterschiede in de Bedürfnisse und ewig zunehmende Produk- den notwendigen technischen und sozialen Maß- tivitätssteigerung. Die Adaption der Eislerschen nahmen oder Hürden. Die Aufstellung in Tabelle Parallelwährung als Instrument zur Überwindung 2 statt eines Textes beansprucht keine Vollstän- der Nullzinsgrenze ist ein junger, dynamischer digkeit. und vielversprechenden Diskurs, in welchem zu- künftig sicherlich noch detaillierte Fragen gelöst, Anmerkungen aber auch neue Fragen zutage gefördert werden. 01 Agarwal, R., & Kimball, M. 2015: Breaking through the zero lo- Die dritte Säule umfasst die internationale wer bound. IMF Working Paper 15/224. – Agarwal, R., & Krog- Koordination bzw. die Schaffung von Selbstbin- strup, S. 2019: Cashing in: How to make negative interest rates dung über Institutionen und Vereinbarungen. work. IMFBlog. – Assenmacher, K., & Krogstrup, S. 2015: Mone- tary policy with negative interest rates: Decoupling cash from Trotz Institutionalisierung durch IWF, Weltbank electronic money. IMF Working Paper 18/191. – Buiter, W. H. und EU ist klar, dass Fiskal- und Geldpolitik noch 2005: Overcoming the zero bound on nominal interest rates: Gesell’s currency carry tax vs. Eisler’s parallel virtual currency. zu wenig aktiv koordiniert werden. Allerdings International and Economic Policy, 2(2-3): 189-200. wird Geldpolitik reaktiv über Marktkräfte koor- – Buiter, W. H. 2009: Negative nominal interest rates: Three diniert. Im monetärkeynesianischen Paradigma ways to overcome the zero lower bound. The North American Journal of Economics and Finance, 20(3): 213-238. – Ilgmann, existiert eine Hierarchie der Währungen, die sich C., & Menner, M. 2011: Negative nominal interest rates: History durch Zinsdifferentiale ausdrückt. Harte ver- and current proposals. International Economics and Economic trauensvolle Währungen liefern höhere immate- Policy, 8(4): 383-405. – Kimball, M. S. 2015: Negative policy as conventional . National Institute rielle Liquiditäts- bzw. Sicherheitsprämien, wes- Economic Review, 234(1): 5-14. – Rogoff, K. 2017a: The curse wegen die Schweiz auch Abnehmer für Staatsan- of cash. Princeton: Princeton University Press. – Rogoff, K. leihen mit negativen Zinsen findet. Schwache 2017b: Dealing with monetary paralysis at the zero bound. Journal of Economic Perspectives, 31(3): 47-66. – Van Suntum, Währungen müssen Unsicherheit mit Zinsauf- U., Kaptan, M., & Ilgmann, C. 2011: Reducing the lower bound schlägen kompensieren, was einen Leitzins von on market interest rates. Economic Analysis and Policy, 41(2): 15 % in Uzbekistan erklären kann. Für schwache 133-146. 02 Archiv Bibliographia Judaica. 1998. Eisler, Robert, Lexikon Währungen müssen die Zinsen höher sein, damit deutsch-jüdischer Autoren. Band 6: 193–201. München: Saur. – keine Flucht in Fremdwährungen einsetzt; also Barcley, T. 1931. Foreword. In: Eisler, Robert (1931) This money Nominalvermögen in der heimischen Währung maze. London: Search Publishing. – Boyle, D. 2002. The money changers: Currency reform from Aristotle to E-cash. London: gehalten werden und so Investitionen möglich Earthscan. – Eisler, R. 1934. Statement on the Gold Reserve Act. werden. Damit kommen die Gesell-Steuer oder In: United States Senate (Ed.), Hearings before the Committee die Eisler-Parallelwährung nur für Hartwährun- on Banking and Currency.: 239-246. Washington: Government Printing Office. – Lhotsky, A. 1954. Geschichte des Instituts für gen an der Spitze der Währungshierarchie in Be- Österreichische Geschichtsforschung 1854–1954. Graz: Böhlau.– tracht und sollten koordiniert eingeführt wer- Oxford University Gazette. 1937-8, Vol. LXVIII: 519; 816. – Ox- den. Die Dimension der internationalen Koordi- ford University Registry. 1938. 6/RW/1, file 1. – Senft, G.: Robert Eisler: https://www.wu.ac.at/geschichte/institut/forschung/ nation erscheint in der bisherigen Nullzinsde- virtuelle-ausstellung-freiwirtschaftliche-markierungen/robert- batte eher untergeordnet, sodass Eisler neben eisler/. – Senft, G. 2015: Baupläne für einen alternativen Kapi- der Parallelwährung hiermit einen weiteren wich- talismus? Problematische Ansätze von Arthur Kitson, Clifford H. Douglas und Frederic Soddy. Zeitschrift für Sozialökonomie, 184/ tigen Impuls liefert. 185: 26-43. – Strauss, H. A., Röder, W., Caplan, H., Radvany, E., Möller, H., & Schneider, D. M. 1983: Eisler, Robert, historian,

Zeitschrift für Sozialökonomie 200/2019 54 Ferdinand Wenzlaff: Robert Eisler und die virtuelle Parallelwährung

economist. In: International biographical dictionary of Central 16 Eisler, 1935: S. 466, vom Autor übersetzt. European émigrés. Vol. 2: The arts, sciences, and literature: 252. 17 Wenzlaff, F. 2011: Vorläufer der Geldreform. Zeitschrift für So- München: Saur. – Vickers, V. 1932: Foreword. In: Eisler, Robert zialökonomie, 168/169: 11-17. (1932) Stable money: The remedy for the economic world cri- 18 z.B. Wray, L. R. 1998: Understanding modern money: The key sis. London: Search Publishing Company. Als Beispiel für viele to full employment and price stability. Cheltenham: Edward El- biographische Unsicherheiten behauptet Boyle (2002) neben gar. anderen unbelegten Behauptungen fälschlich, dass Eisler Mit- 19 Wenzlaff, F. 2018: Technischer Fortschritt, Arbeitsfreisetzung begründer der „Stable Money Association“ war. und Schlaraffenland: Kreislauftheoretische Argumente gegen 03 Strauss et al. 1983. Mythen und Irrglauben. Humane Wirtschaft, 2018(4): 10-14. 04 Rowe, D. E. 2018: Einstein on the verge of parting company. Me- 20 Zur Festmark, der Währung Karls des Großen und anderen his- tascience, online first. torischen Beispielen vgl. Einaudi, L. 1953: The theory of ima- 05 Lhotsky, 1956, S. 300. ginary money from Charlemagne to the French Revolution. In: F. 06 Einstein, A. 1926: Brief an Pribram – Bitte um Vermittlung Rocke- C. Lane, & J. C. Riemersma (Eds.), Enterprise and secular chan- feller-Stipendium für Eisler (https://www.kollerauktionen.ch/ ge: 229–261. New York: George Allen and Unwin. – Eisler, R. de/327491-0002——-1178-einstein_-a.-eigenhaendiger-b-11 1932. – Meyer, F. W., & Schüller, A. 1976: Spontane Ordnungen 78_425852.html?RecPos=10). in der Geldwirtschaft und das Inflationsproblem.Tübingen: Mohr 07 Dimand, R. W. 1991: Cranks, heretics and macroeconomics in Siebeck. – van Suntum, U. 2013: A parallel currency proposal for the 1930s. History of Economic Review, 16(1): 11-30. – Gaits- the stronger Euro-states. Münster: CAWM Discussion Paper No. kell, H. T. N. 1933. Four monetary heretics. In: G.D.H. Cole (Ed.), 64. – Von dem Berge, L. 2014: Parallel currencies in historical What everybody wants to know about money. A planned out- perspective. Münster: CAWM Discussion Paper No. 75. line of monetary problems. London: Victor Gollancz. Wie Key- 21 Davies, S. J. 2003: Japan’s deflation and the feasibility of ne- nes zu Eisler stand, erscheint erforschenswert. gative interest rates. Kobe Economic & Business Review, 47: 08 Cowles, A. 1934: The Meetings of the Econometric Society in 93-115. – Davies, S. J. 2004: Comment on Buiter and Panigirt- Philadelphia and Boston, December 1933. Econometrica, 2(2): zoglou. Kobe University: Mimeo. 204-220. 22 Wenzlaff, F. 2010: Vorschlag für ein Paradigma einer Kreditgeld- 09 Cummings, A. C. 1932: Economist has solution to end trade de- wirtschaft und neuen Kredit- und Geldpolitik. Zeitschrift für pression, The Province. Vancoucer, Canada. Sozialökonomie, 164/165: S. 23-29. 10 Eisler, R. 1934: Statement on the Gold Reserve Act. In: United 23 Rogoff, 2017: S. 169. States Senate (Ed.), Hearings before the Committee on Ban- 24 Ilgmann und Menner (2011, S. 12) weisen darauf hin, dass Eis- king and Currency.: 239-246. Washington: Government Printing ler nicht um die Nullzinsgrenze besorgt war. Office. 25 Wenzlaff et. al. 2014. – Wenzlaff, F. & Löscher, A. 2018: Voll- 11 Senft, 2015: S. 23ff. geld – Eine kritische Betrachtung aus (Monetär-)Keynesianischer 12 Eisler, 1932: S. 182, vom Autor übersetzt. Perspektive. In: H. Hagemann, J. Kromphardt, & M. Martebauer 13 Adam, K., & Tzamourani, P. 2016: Distributional consequences (Eds.), Keynes, Geld und Finanzen. Schriften der Keynes-Gesell- of asset price inflation in the euro area. European Economic Re- schaft, Band 11, Marburg: Metropolis, S. 301-328. view, 89: 172-192. 26 Wenzlaff et al. 2014. – Wenzlaff & Löscher 2018. 14 Eisler, 1924: S. 366-69. 27 van Suntum, U. 2009: Economic confidence, negative interest 15 Wenzlaff, F., Kimmich, C., & Richters, O. 2014: Theoretische Zu- rates, and liquidity: Towards Keynesianism 2.0. Münster: CAWM gänge eines Wachstumszwangs in der Geldwirtschaft. Discussion Paper No. 24. University: ZÖSS Discussion Papers No. 45: S. 36.

Für eine global vernetzte Welt ohne wirtschaftliche Fluchtursachen

„Beim Thema der Flüchtingsbewegung wird eine historische Gelegenheit verpasst, die euro- päischen Gesellschaften und ihre Produktions- und Lebensweisen zu überdenken. Es gibt keine klaren Anzeichen dafür, dass Europa bereit wäre, Menschen zu integrieren, die durch Kriege und koloniales Erbe, für die auch die europäischen Länder Verantwortung tragen, gezwungen waren, ihr altes Leben zurückzulassen.“

Prof. Dr. Ulrich Brand & Prof. Dr. Alberto Acosta Radikale Alternativen – Warum man den Kapitalismus nur mit vereinten Kräften überwinden kann. München 2019, S. 69.

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