Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Geschichtskultur nach Auschwitz

Die Gegenwärtigkeit der Vergangenheit in Deutschland, Österreich und Italien nach 1945 und ihre Auswirkung auf die Erinnerungskultur

Ein transnationaler Vergleich samt regionalgeschichtlichem Fallbeispiel und didaktischer Aufbereitung

Eingereicht bei:

Univ.-Doz. Mag. Dr. Horst Schreiber

Institut für Zeitgeschichte

Eingereicht von:

Friedrich Illmer

Matrikelnummer: 0516438

Studienkennzahl: C313

Innsbruck, April 2014 Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG...... 4 1. FORSCHUNGSINTERESSE ...... 4 2. FORSCHUNGSSTAND ...... 6 3. IDENTITÄT, NATIONALISMUS UND GESCHICHTE ...... 7 3.1. Geschichtsbewusstsein und Identitätsbildung ...... 8 3.1.1. Geschichte stiftet Identität ...... 9 3.1.1.1. Kollektive Identität ...... 10 3.1.2. Identität stiftet Geschichte ...... 11 3.1.2.1. Storia e memoria ...... 12 3.1.2.2. Wissenschaft versus Orientierung...... 14 3.1.2.3. Geschichts(re)konstruktion ...... 15 3.1.3. Fazit: „Kann gestern besser werden?“ ...... 16 3.2. Nationalismus und Geschichtsschreibung ...... 19 3.2.1. Historia et patria ...... 21 3.2.1.1. Geschichte als nationale Botschaft ...... 22 3.2.2. Geschichte als Wissenschaft...... 24 3.2.2.1. Historismus ...... 25 3.2.2.1.1. Kritik am Historismus ...... 27 3.2.2.1.2. Überwindung des Historismus ...... 28 3.2.3. Fazit: Das Ende der Nationalgeschichten?...... 29 4. THESEN UND FORSCHUNGSFRAGEN ...... 29 GESCHICHTE, DIE NICHT VERGEHEN WILL ...... 37 1. DIE „ZWEITE GESCHICHTE“ ...... 37 1.1. „Abschied von der bisherigen Geschichte“ ...... 39 1.1.1. Widerstandsmythos ...... 40 1.1.2. Opfermythos...... 43 1.2. Abrechnung mit der Vergangenheit...... 47 1.2.1. Mē mnēsikakeîn: Amnestie und Amnesie ...... 54 1.3. Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ...... 56 1.3.1. Erinnern um nicht zu vergessen...... 59 1.3.1.1. „Erfundene Erinnerung“: Fiktion des Faktischen ...... 61 1.3.2. Aufbruch und Wiedergeburt der nationalen Mythen ...... 62 1.3.2.1. Tendenzen des Revisionismus ...... 64 1.4. Anerkennung der Vergangenheit ...... 68 1.4.1. Erinnern um zu Vergessen ...... 72 1.4.1.1. Dialogisches Erinnern ...... 74 1.5. Fazit: Vom Stillstand der Geschichte zum „Happy End“ ...... 76 2. GESCHICHTE SCHREIBEN NACH AUSCHWITZ ...... 79 2.1. „Verlust der Geschichte“ ...... 86 2.1.1. Wozu also noch Geschichte? ...... 87 2.1.2. Vergangenheitsbewältigung ...... 89 2.2. Wandel der Geschichtswissenschaft ...... 89 2.2.1. Historische Sozialwissenschaften ...... 90 2 2.2.1. Neue Kulturgeschichte ...... 91 2.2.2. „Zeitgeschichte als Streitgeschichte“ ...... 93 2.2.2.1. „Entsorgung der Vergangenheit“ ...... 96 2.2.2.1.1. Der „Historikerstreit“ ...... 97 2.2.2.1.1. Folgen der „Waldheim-Affäre“ ...... 99 2.2.2.1.2. „Krieg der Erinnerung“...... 101 2.2.2.2. Geschichte und Geschichten im Tauwetter ...... 101 2.3. Fazit: Enten und Kaninchen der Geschichtswissenschaft...... 103 REGIONALGESCHICHTLICHES FALLBEISPIEL ...... 107 1. DIE „ZWEITE GESCHICHTE“ SÜDTIROLS ...... 108 1.1. Südtirol in der „Stunde Null“ ...... 108 1.1.1. Widerstandsmythos ...... 111 1.1.2. Opfermythos...... 112 1.2. Abrechnung mit der Vergangenheit...... 117 1.2.1. „Lei net rogeln!“ ...... 123 1.3. Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ...... 126 1.4. Anerkennung der Vergangenheit ...... 128 1.5. Fazit: „alto adige / alto fragile“ ...... 130 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSWORT ...... 133 1. GESCHICHTSKULTUR IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND ITALIEN NACH 1945 ...... 133 1.1. Die Rolle der Geschichtswissenschaften ...... 136 1.2. Südtiroler Geschichtskultur nach dem Faschismus und Nationalsozialismus als regionalhistorisches Paradebeispiel ...... 138 2. SCHLUSSBETRACHTUNG ...... 139 FACHDIDAKTISCHE AUFBEREITUNG ...... 142 1. GESCHICHTSKULTUR ALS UNTERRICHTSGEGENSTAND ...... 142 1.1. Gedächtnisorte als stumme Zeugen öffentlicher Geschichtskultur ...... 144 1.2. Inhalt und Ziele der didaktischen Aufbereitung ...... 146 2. UNTERRICHTSPLANUNG ...... 150 2.1. Diagnose ...... 152 2.2. Planung ...... 154 2.2.1. Lerninhalte...... 154 2.2.2. Bedingungen ...... 155 2.2.3. Begründungen ...... 155 2.2.4. Lernziele ...... 156 2.2.5. Inszenierungen ...... 156 2.3. Lernwege ...... 156 2.4. Lernsituationen ...... 157 2.5. Reflexion ...... 158 3. STUNDENBILDER ...... 160 4. METHODENBLÄTTER ...... 164 5. UNTERRICHTSMATERIALIEN ...... 174 ABBILDUNGSVERZEICHNIS ...... 181 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS ...... 183

3 EINLEITUNG

„Seit Auschwitz ist noch kein Tag vergangen.“ Martin Walser1

1. FORSCHUNGSINTERESSE

Fast 70 Jahre sind nun seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen und doch scheint sich die Erinnerung an jene Vergangenheit ständig aufs Neue vergegenwärtigen zu müssen. Alle Ver- suche, die Geschichte einfach hinter sich zu lassen, waren letztendlich zum Scheitern verurteilt. „Die Vergangenheit, die nicht vergehen will“ (Ernst Nolte) ist mittlerweile in den Mittelpunkt einer neuen transnationalen Erinnerungskultur2 gerückt, welche die Gegenwärtigkeit der Ver- gangenheit nicht mehr bedauert, sondern sie entschieden begrüßt. Der Weg dorthin war aller- dings ein langer und schwieriger Prozess der Vergangenheitsbewältigung. Diese Entwicklung der Erinnerungskultur in Deutschland, Österreich und Italien nach 1945 zu skizzieren und dadurch konstitutive Merkmale und Mechanismen einer Geschichtskultur3 aufzuzeigen, ist Ziel dieser Studie.

1 Walser (1997), 228. 2 Der Begriff Erinnerungskultur „versucht all jene kulturellen Erinnerungsleistungen von unterschiedli- chen Trägergruppen zu fassen, die in einer Gegenwart durch Bezüge auf die Vergangenheit Sinn bilden und damit Orientierung anbieten. Es handelt sich dabei vorrangig um kollektive Wahrnehmungen, also um eine gruppenförmige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, aber auch um subjektive Wahrnehmun- gen, die nicht primär wissenschaftsorientiert – im Sinn der Erarbeitung geschichtswissenschaftlicher Er- kenntnis –, sondern stärker durch emotionalem Akte und symbolische Praktiken geprägt sind, um Seg- mente der Vergangenheit im öffentlichen und privaten Bewusstsein zu halten.“ Kühberger (2010), 39. 3 Geschichtskultur lässt sich definieren als „praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewußtsein im Leben einer Gesellschaft.“ Rüsen (1994), 213. „Geschichtskultur ist also die durch das Geschichtsbewußt- sein geleistete historische Erinnerung, die eine zeitliche Orientierung der Lebenspraxis in der Form von Richtungsbestimmungen des Handelns und des Selbstverhältnisses seiner Subjekte erfüllt.“ Rüsen (1994), 219. Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur können als zwei Seiten einer Medaille begriffen wer- den: „[A]uf der einen Seite Geschichtsbewusstsein als individuelles Konstrukt, das sich in Internalisie- rungs- und Sozialisationsprozessen aufbaut, auf der anderen Seite Geschichtskultur als kollektives Kon- strukt, das auf dem entgegengesetzten Wege der Externalisierung entsteht und uns in Objektivationen mit dem Anspruch auf Akzeptanz gegenübertritt.“ Schönemann (2000), 44. Das Konzept der Geschichtskultur wurde von der Geschichtsdidaktik seit 1977 entwickelt. Seit 1989 wurde dieses Konzept auch von der Geschichtstheorie aufgegriffen. Das Konzept der Erinnerungskultur hingegen entwickelte sich seit Ende der 1980er Jahre durch die Rezeption von Maurice Halbwachs, Pierre Nora, Jan und Aleida Assmann. Seit Mitte der 1990er Jahre lässt sich eine Koexistenz der beiden Begriffe feststellen, sodass sie lange Zeit sy- nonym verwendet wurden. Seit dem Jahrtausendwechsel allerdings versuchten sich beide Konzeptionen stärker voneinander abzugrenzen, wobei sich der Begriff Erinnerungskultur stärker durchzusetzen scheint. Vgl. Demantowsky (2005), 46f. In der Fachdidaktik hat sich allerdings der Terminus Geschichts-

4 Geschichte, wie wir sie kennen und in der Schule gelernt haben, spiegelt nur zu einem gewissen Teil die tatsächliche Vergangenheit wider. Die Geschichte ist nur eine Abbildung der Vergangen- heit, die den Prozess der „Geschichtswerdung“ (Historisierung) durchlaufen hat. Ausschlagge- bend dafür ist das Geschichtsbewusstsein des Menschen, das den Umgang mit der Vergangen- heit und ihrer Transformation in Geschichte widerspiegelt. Es soll nicht darum gehen, die Ge- schichte als Lüge zu entlarven, sondern vielmehr darum, die komplexen Zusammenhänge und Hintergründe zu beleuchten, welche aus der Vergangenheit Geschichte entstehen lassen. In der Einleitung dieser Arbeit gehe ich daher näher auf die sinnstiftende Funktion der Geschichte für das Individuum und die Nation sowie auf die Rolle der Geschichtsschreibung ein.

Die Abermillionen Toten des Zweiten Weltkriegs, das begangene Unrecht, das durchlittene Leid und der Zusammenbruch der bisherigen Ordnung war für die deutsche, österreichische und ita- lienische Nachkriegsgesellschaft ein derart traumatisches Ereignis, dass die „Bewältigung“ der Vergangenheit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg – mitunter noch während des Krieges – einsetzte und die nationale Erinnerungskultur über Jahrzehnte hinweg nachhaltig prägte. „Der lange Schatten der Vergangenheit“ (Aleida Assmann) reicht bis in die heutige Gegenwart und wurde mittlerweile zu einer eigenen facettenreichen Geschichte, die den Umgang und die Ausei- nandersetzung mit jener traumatischen Vergangenheit erzählt. Sie wurde gleichsam zu einer Geschichte über die Geschichte, zu einer „zweiten Geschichte“ (Peter Reichel). Die Entwicklung dieser „zweiten Geschichte“ in Deutschland, Österreich und Italien nach 1945 bis in die jüngste Zeit hinauf steht im Zentrum dieser Studie. Das Hauptkapitel ist zweigeteilt: Einerseits sollen abrissartig auf die politischen sowie soziokulturellen Veränderungen und andererseits auf die Entwicklung der deutschen, österreichischen und italienischen Geschichtswissenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg eingegangen werden.

Das anschließende Kapitel zur „zweiten Geschichte“ Südtirols soll die komplexen Vorgänge der Historisierung nach 1945 anhand eines regionalgeschichtlichen Fallbeispiels verdeutlichen und auf einer Meso- bzw. Mikroebene aufschlüsseln. Südtirol ist ein gutes Beispiel dafür, wenn es darum geht, die Wirkung der Geschichte auf eine „Nation“ zu verdeutlichen. Südtirol erlebte über 20 Jahre hinweg „zweierlei Faschismen“ (Martha Verdorfer): Auf das ventennio des Fa- schismus folgte eine rund 20-monatige Herrschaft des Nationalsozialismus. Beide Faschismen prägten nachhaltig die Südtiroler Erinnerungskultur. Nicht zuletzt die Option von 1939 stellte eine Zerreißprobe für die Südtiroler Gesellschaft und ihren Zusammenhalt dar, den es nach dem Zweiten Weltkrieg wiederherzustellen galt. Insbesondere der ethnische Konflikt zwischen den

kultur durchgesetzt. Beide Begriffe sind aber auch heute noch nicht systematisch abgrenzbar. Vgl. Oswalt & Pandel (2009), 8. In dieser Studie werden daher beide Begriffe synonymisch verwendet. 5 Sprachgruppen führte nach 1945 zu einem besonderen geschichtskulturellen Umgang mit dem Faschismus einerseits, mit der Option und dem Nationalsozialismus andererseits.

Diese Arbeit beinhaltet abschließend eine fachdidaktische Aufbereitung des Themas für den Geschichtsunterricht. Darin soll ein Unterrichtsprojekt zu vier verschiedenen Denkmälern in Innsbruck vorgestellt werden. Diese „Gedächtnisorte“ spiegeln die unterschiedlichen Facetten der österreichischen Erinnerungskultur zum Nationalsozialismus wider. Dadurch soll den Schü- ler/innen die Komplexität einer Geschichtskultur veranschaulicht werden. Intention der didakti- schen Aufbereitung ist die Entwicklung einer „geschichtskulturellen Kompetenz“ (Hans-Jürgen Pandel), die Schüler/innen dazu befähigen soll, Objektivationen einer Geschichtskultur selbst- ständig zu dekonstruieren, um daraus wiederum Erkenntnisse über das eigene sowie kollektive Geschichtsbewusstsein zu gewinnen und dadurch selbst geschichtskulturell handlungsfähig zu werden. Ziel ist es eine partielle Mündigkeit von einer aufoktroyierten Erinnerungskultur zu erreichen. Junge Menschen sollen ihre eigene Erinnerungskultur entwickeln und gestalten kön- nen, die sich von einer „geliehenen Erinnerung“ (Reinhard Krammer) älterer Generationen er- folgreich emanzipiert hat.

2. FORSCHUNGSSTAND

Die traumatische und lange Zeit verdrängte Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges sowie der nationalsozialistischen und faschistischen totalitären Regime in Deutschland, Österreich und Italien rückte seit den 1980er Jahren vermehrt in Mittelpunkt der geschichtswissenschaftlichen Aufmerksamkeit und ist heute nahezu lückenlos aufgearbeitet worden. Die Zeit vor 1945 war lange Hauptgegenstand der Zeitgeschichteforschung, so rückten seit dem letzten Jahrzehnt ver- mehrt die Nachkriegszeit und die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Mittelpunkt der ge- schichtswissenschaftlichen Beschäftigung. Insbesondere der Umgang mit der eigenen faschisti- schen bzw. nationalsozialistischen Vergangenheit nach 1945 förderte in den letzten Jahren eine Fülle an Publikationen zutage.

Die Beschäftigung mit der „zweiten Geschichte“ erreichte mittlerweile einen sehr hohen wissen- schaftlichen Gehalt, welcher die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nach 1945 auch auf einer Metaebene aufzuschlüsseln versucht. Dabei werden die Grenzen der reinen Geschichtswis- senschaft immer mehr überschritten und durch interdisziplinäre Forschungsansätze erweitert. Dazu zählen u.a. philosophische, soziologische und psychologische Studien, die sich dem Thema auch aus anderen wissenschaftlichen Richtungen annähern. Die Europäisierung und Globalisie- rung der Geschichtswissenschaften führte in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer Internationa- 6 lisierung des Themas, sodass neue Forschungsansätze vermehrt unter transnationalen Ge- schichtspunkten sowie durch eine internationale Zusammenarbeit von Historiker/innen über Landesgrenzen hinaus zu einer Aufsplitterung der einseitig nationalen Geschichtsschreibung führte.

3. IDENTITÄT, NATIONALISMUS UND GESCHICHTE

„Das Problem ist nicht zu wissen, ob die Geschichte einen Sinn hat oder nicht […]. Das Problem ist, zu versuchen, ihr denjenigen Sinn zu geben, der uns richtig erscheint …“ Jean-Paul Sartre4

Auf den ersten Blick scheinen Identität, Nationalismus und Geschichte nicht zwingend etwas gemeinsam miteinander zu haben und doch bedingen sie einander, beeinflussen und beherr- schen sich gegenseitig. Aber was haben sie wirklich miteinander zu tun? – Die Identität, als Kon- strukt5, umfasst Werte und Normen für ein Individuum ebenso wie das die Nationalität6 für eine ganze Personengruppe tut. Geschöpft werden solche Werte und Normen in erster Linie aus der Geschichte, die dem Einzelnen sowie den Vielen Orientierung und Sinn stiftet. Notwenige Vo- raussetzung dafür ist das Geschichtsbewusstsein des Menschen, die Fähigkeit des Erinnerns und des Vergessens, die ihn dazu befähigen, sich selbst im Werden und Vergehen der Zeit bewusst wahrzunehmen. Die Aufgabe der Geschichte ist es daher, dem Menschen Halt zu geben, in einer ständig sich wandelnden Welt, ohne dass er aber von ihrer Übermacht erschlagen werde7: Im-

4 Jean-Paul Sartre zit. n. Rossanda (1975), 157. 5 In der Philosophie ist das Konzept der Identität umstritten, da, physikalisch gesehen, Entitäten sich ei- nem stetigen Wandel vollziehen und daher niemals die Gleichen bleiben. Man könne daher niemals, wie Heraklit sagte, zwei Mal in denselben Fluss steigen. Vgl. Friese (1999), 29f. Ontologisch gesehen ist der Begriff Identität bedeutungslos, was Ludwig Wittgenstein beiläufig im Tractatus logico-philosophicus 5.5303 bemerkte: „Beiläufig gesprochen: Von zwei Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von Einem zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts.“ Wittgenstein (1984), 62. Allerdings wird der Begriff Identität seit den 1940er Jahren vermehrt humanwissenschaftlich verwendet, um subjek- tive Charakteristika des einzelnen zu bestimmten Gruppen sowie deren Merkmale selbst zu erfassen. Vgl. Assmann & Friese (1999), 11f. 6 Nach Max Weber meint der Begriff Nation, dass „gewissen Menschengruppen ein spezifisches Solidari- tätsempfinden anderen gegenüber zuzumuten sei“. Zu diesen spezifischen Merkmalen gehören die Spra- che, Kultur, Sitten, Kommunikation, Religion, das historische Bewusstsein und gemeinsame politische Ziele. Vgl. Alter (1994), 23. 7 Nach Nietzsche sei der Mensch ein historisches Wesen, das nicht mehr vergessen könne und alles nur mehr als ein Werden wahrnehme, sodass er sich selbst in einem Fluss des Werdens zu verlieren drohe. Daher warnte Nietzsche davor, Geschichte im Überfluss zu betreiben; vielmehr solle sie nur insofern be-

7 merhin hat, mit den Worten Walter Benjamins, der „Engel der Geschichte“ stets sein „Antlitz der Vergangenheit zugewendet“, während ein Sturm ihn rücklings „unaufhaltsam in die Zukunft“ treibt und ein „Trümmerhaufen“ vor ihm bis „zum Himmel wächst“. Seine Augen weit aufgeris- sen, starrt er unablässig einer apodiktischen Vergangenheit entgegen – ein Schicksal, welches die Menschheit mit ihm teilt.8

Abb. 1: Paul Klee (1920), Angelus Novus.

3.1. GESCHICHTSBEWUSSTSEIN UND IDENTITÄTSBILDUNG

Jeder Blick in den Spiegel ist ein Blick in die Vergangenheit.

„Wie Blumen ihr Haupt nach der Sonne wenden“, so richtete auch der Mensch seit jeher seinen Blick auf die Vergangenheit, „die am Himmel der Geschichte im Aufgehen ist.“9 Immerzu ver- trieben werden, in dem Maß sie zum Leben und zur Tat diene. Durch eine kritische Historie müsse der Mensch daher hin und wieder „die Kraft haben und von Zeit zu Zeit anwenden, eine Vergangenheit zu zerbrechen und aufzulösen, um leben zu können […].“ Nietzsche (1990), 155–174. 8 Walter Benjamin sah in Paul Klees Bild Angelus Novus, aus dem Jahr 1920, den „Engel der Geschichte“ abgebildet, der durch einen Sturm immer weiter in die Zukunft getrieben werde, während sein Antlitz unablässig auf die Trümmer der Vergangenheit gerichtet sei. Der Sturm, den Benjamin mit dem Fortschritt assoziiert, entferne den Engel immer weiter vom Paradies. Vgl. Benjamin (2007), 133. 9 Frei zit. n. Benjamin (2007), 130f. Im Original: „Wie Blumen ihr Haupt nach der Sonne wenden, so strebt kraft eines Heliotropismus geheimer Art, das Gewesene der Sonne sich zuzuwenden, die am Himmel der Geschichte im Aufgehen ist.“ 8 suchte die Menschheit kraft einer geschichtlichen Hinwendungsliebe ihre Vergangenheit bis zum Ursprung ihrer Existenz auf eine (re)konstruierte Geschichte zurückzuführen, um sich selbst, ihre Kultur, ihren Staat und späterhin auch ihre Nation eine durch Zeit und Raum legitimierte Bedeutung zu verleihen. Die mythologisch-religiösen Erzählungen früher Zivilisationen wichen allmählich natur- und geisteswissenschaftlichen Darstellungen moderner Gesellschaften, die heutzutage auf wissenschaftlichen Forschungsdaten basieren – die Aufgabe zur Welterklärung ist aber nach wie vor dieselbe.10 Gerade der Geschichtsschreibende, damals wie heute, nahm und nimmt bei der Orientierungs- und Identitätsstiftung von Individuen, Gesellschaften, Staaten und Nationen eine tragende Rolle ein, da ihm immer schon die Funktion des Welterklärenden zu- teilwurde:

„Wie die Philosophie nach dem ersten Grunde der Dinge, die Kunst nach dem Ideale der Schönheit, so strebt die Geschichte nach dem Bilde des Menschenschicksals in treuer Wahr- heit, lebendiger Fülle und reinen Klarheit, von einem dergestalt auf den Gegenstand gerichte- ten Gemüth empfunden, daß sich die Ansichten, Gefühle und Anspruche der Persönlichkeit darin verlieren und auflösen. Diese Stimmung hervorzubringen und zu nähren, ist der letzte Zweck des Geschichtschreibers […].“11

Die Darstellung von Geschichte umfasst daher alle Formen, Inhalte und Funktionen kultureller Praktiken, durch die der Mensch seine Vergangenheit deutet, um die Gegenwart verstehen und die Zukunft erwarten zu können. Auf den Punkt gebracht heißt das: „Geschichte ist Sinnbildung über Zeiterfahrung.“12

3.1.1. Geschichte stiftet Identität

„Identität ist nichts anderes als relatives Sein im absoluten Werden.“ Lisz Hirn

Alles unterliegt einem steten Wandel. Der Mensch verändert sich, sowohl physisch als auch psy- chisch, wie auch Zeit und Raum sich verändern. Das Mensch-Sein ist also ein stetes Werden in

10 Vgl. Rüsen (2003), 118–120. 11 Humboldt (1841), 5. 12 Rüsen (2003), 110. Nach Jörn Rüsen bestehe das Geschichtsbewusstsein aus „einer Synthese von Erfah- rungen der Vergangenheit und Erwartungen der Zukunft. In dieser Synthese ist die Vergangenheit gegen- wärtig als eine geistig bewegende Kraft, die mit all den Mächten aufgeladen ist, mit denen sich der menschliche Geist absichtsvoll (in Furcht und Hoffnung) auf Zukunft richtet. Es ist die Kraft der Erinne- rung, die die Züge von Identität ausprägt und die Vergangenheit zur Projektion von Zukunft macht.“ Rüsen (2001), 162. 9 einer ständig sich wandelnden Umgebung – umso mehr benötigt das Individuum eine gewisse Kenntnis seiner selbst. Anhand seiner persönlichen Erlebnisse bildet das Individuum daher in- dividuelle Handlungs- und Lebensorientierungen aus, die ihm Richtung und Halt geben.13 Die personale Identität (lat. identitās, „die Wesenseinheit“14) ist dieser Orientierungsrahmen, in der sich das Individuum seiner selbst versichern kann. Durch einen schnellen Wandel der Lebens- umstände beispielsweise verliert das Individuum diesen Halt und fällt gleichsam außerhalb des Rahmens, in dem es sich bis dahin vergewissern konnte, mehr oder minder idem (derselbe), also mit sich selbst identisch zu sein.15 Es ist daher sehr wichtig sich jeder Zeit seiner selbst bewusst zu sein; Existieren ist an sich ein „Außer-sich-Sein“, ein ex-istere.16

Ein solcher Anker, der Halt gibt, ist die Geschichte: Denn das was der Mensch ist, ist zu einem guten Teil historisch bedingt. Die Geschichte verleiht dem Individuum sein historisches Selbst- verständnis; das Wissen darüber, wer es ist und woher es kommt. Da Geschichte aber nicht nur vom Einzelnen, sondern von Vielen erfahren, bewertet und aufgeschrieben wird, ermöglicht sie als soziokulturelles Produkt bedeutende kommunikative Strategien zur Bildung eines kol- lektiven Bewusstseins.17

3.1.1.1. Kollektive Identität

Identitäten entstehen im Wechselspiel zwischen Einzelnen und Vielen. Das Individuum reflek- tiert seine Beziehungen zu anderen und zurück auf sich selbst. Dabei formt es seine eigene Iden- tität aus einer Vielzahl von Identitäten heraus, der im Wesentlichen auch vergangene Identitäten zugrunde liegen. Ohne den Rückgriff auf Vergangenes, würde sich die Identität einem ständigen Wandel unterziehen und wäre aktuellen Einflüssen hilflos ausgeliefert.18

Individuen und Gesellschaften bedienen sich daher verschiedenster identitätsstiftende Faktoren, wie Geschlecht, Nation, Religion, Region, Befürchtungen, Ängste, Hoffnungen, Sehnsüchte, Werte, Normen, Erfahrungen et cetera, die meist historisch determiniert sind, indem sie von Identitäten

13 Vgl. Jordan (2005), 40. 14 Georges & Georges (1998), Sp. 24. 15 Nach Erik H. Erikson durchlaufe der Mensch in seinem Leben zumindest einmal eine Identitätskrise, nämlich durch eine charakteristische Verunsicherung in der Adoleszenz, die er Adoleszenzkrise nannte. Vgl. Straub (1999), 83–86. 16 Vgl. Peterlini (2012), 228. 17 Vgl. Metzger (2011), 88. 18 Rüsen unterscheidet zwischen einer synchronen und einer diachronen Dimension von Kohärenz (die Kohärenz ist die Beziehung des Selbst zu anderen). Die synchrone Dimension integriere dabei unter- schiedliche Verhältnisse eines individuellen und kollektiven Selbst zu anderen in eine Einheit, in der es sich seiner bewusst ist. Die diachrone Dimension analysiere und reflektiere diese Integration im „Fluß der Zeit“. Vgl. Rüsen (2001), 157. 10 der Vergangenheit vorgelebt wurden. Durch die Tradierung von identitätsstiftenden Sinnbil- dungen im Lauf der Zeit wurde die personale Identität bewusst erweitert und in eine kollektive Identität überführt. Gesellschaften erschaffen so eine kollektive Identität durch die Bildung eines zeitlichen Selbstverständnisses, das Generationen überdauert und dadurch geradezu zur Ewig- keit ausgedehnt und mystifiziert wird. Die Überführung von Identität in einen kollektiven Rah- men ermöglicht somit eine Bewusstseinserweiterung für das Individuum, das über Geburt und Tod des Einzelnen hinausreicht und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfasst.19 „Die An- nahme eines sicheren Ursprungs und der Kontinuität über alle Zeiten hinweg ist vielleicht der innerste Kern der meisten Identitätsentwürfe: ‚Eins sein‘ nicht nur mit sich, sondern auch mit der eigenen Geschichte von den ersten Ursprüngen bis in die Gegenwart.“20

3.1.2. Identität stiftet Geschichte

Geschichtsbewusstsein bedingt Identitätsbildung, aber genauso ist es vice versa. Sie stehen in derart enger Wechselbeziehung zueinander, dass nicht nur Geschichte zu Identität, sondern item Identität zu Geschichte führt. „Was die Vernunft dem Individuo, das ist die Geschichte dem menschlichen Geschlechte.“21 – Wie jedes Individuum seine individuelle Identität durch Selbster- fahrung herausbildete, so schuf auch jede Gruppe ihre kollektive Identität aus dem ihrem eigen- tümlichen historischen Bewusstsein, nebst der dazugehörigen Darstellung von Geschichte.22

Die Vergangenheit stiftet also Identität, indem sie der Gegenwart Orientierung und Sinn verleiht. Retrospektiv verleiht aber auch die Gegenwart der Vergangenheit eine Bedeutung, indem sie aus ihr Sinn und Orientierung ableitet. Darum wird erst jene „Vergangenheit, die der Gegenwart et- was bedeutet, [zu] Geschichte.“23 Erst als „gedeutete gewinnt die Vergangenheit den Status einer Geschichte für die Gegenwart“24. Wenn aber die „Vergangenheit als gedeutete“ und die „Vergan- genheit als gegebene“ nicht mehr zusammenstimmen, sondern vielmehr auseinanderfallen,

19 Vgl. Rüsen (2001), 157–162. 20 Peterlini (2012), 234. 21 Schopenhauer (1994), 571. Nach Arthur Schopenhauer könne der Mensch zwar nicht aus der Geschich- te lernen, aber die Geschichte gebe der Menschheit Herkunft und Tradition durch ein gemeinsames Selbstbewusstsein: „Erst durch die Geschichte wird ein Volk sich seiner selbst vollständig bewußt. […] In diesem Sinne also ist die Geschichte anzusehen als die Vernunft, oder das besonnene Bewußtsein des menschlichen Geschlechts, und vertritt die Stelle eines dem ganzen Geschlechte unmittelbar gemeinsamen Selbstbewußtseins, so daß erst vermöge ihrer dasselbe wirklich zu einem Ganzen, zu einer Menschheit, wird. Dies ist der wahre Wert der Geschichte; und demgemäß beruht das so allgemeine und überwiegende Interesse an ihr hauptsächlich darauf, daß sie eine persönliche Angelegenheit des Menschengeschlechts ist. –“ Schopenhauer (1994), 571f. 22 Vgl. Völkel (2006), 23. 23 Rüsen (2001), 328. 24 Rüsen (2003), 26. 11 „dann wird der Mensch zwischen ihnen zerrissen.“25 Er muss dann „diese Zeiten so zusammen- fügen, besser: als zusammengefügt erleben, erfahren und durch sein Handeln und Leiden auch vollziehen, daß sie eine Zeit sind: seine und zugleich die der Welt.“26

3.1.2.1. Storia e memoria

„Die Erinnerungen verschönen das Leben, aber das Vergessen allein macht es erträglich.“ Honoré de Balzac27

Die Fähigkeit des Erinnerns ist im Wesentlichen kollektiv geprägt und erst seit der Sozialisation ausgebildet worden. Würde das Individuum in völliger Einsamkeit leben, hätte es kein Gedächt- nis. Es ist immer nur der Einzelne, der ein Gedächtnis hat, jedoch wird dieses kollektiv geprägt. Kollektive haben zwar kein Gedächtnis, jedoch haben sie Einfluss auf das Gedächtnis ihrer Mit- glieder. So unterliegt auch die Geschichte dem Bezugsrahmen von Kollektiven, da diese darüber entscheiden, was erinnert und was vergessen werden kann. Man erinnert eben nur, was man kommuniziert. Vergangenheit entsteht ja erst, indem sich Menschen auf sie beziehen; erst durch das Erinnern wird Vergangenheit rekonstruiert28: „Wer nicht weiß, was war, hat nur einen höchst eingeschränkten Sinn für das, was ist und kommen kann. Die menschliche Orientierungs-, Handlungs- und Interaktionsfähigkeit ist abhängig von einem funktionierenden Gedächtnis und Erinnerungsvermögen.“29

Die Erinnerungskultur wird insbesondere durch die jeweilige Generation geprägt, die basierend auf ein gemeinsames zeitliches Bewusstsein die Geschichte über das ihr eigentümliche kommu- nikative Gedächtnis deutet und deren Darstellung schlussendlich in ein kulturelles Gedächtnis30 überführt, um Generationen zu überdauern. Durch synchrone Erfahrungs-, Erinnerungs- und

25 Sigmund Freud untersuchte psychische Traumata anhand von Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, die an Kriegsneurosen litten und in ihren Träumen und Phantasien zum Ursprung ihres Leides zurückkehr- ten, wie zu einer unerledigten Aufgabe. Nach Michael S. Roth sei dies ein Beispiel für eine versuchte In- tegration der Vergangenheit in die Gegenwart, eine Aufarbeitung des traumatischen Erlebnisses, durch deren Bewältigung eine Relativierung der Vergangenheit hervorgerufen werde. Der sog. Historikerstreit etwa wäre ein Beispiel hierfür gewesen. Vgl. Roth (1998), 165–167. 26 Rüsen (2001), 329. 27 Honoré de Balzac zit. n. Markowitsch (2002), 11. 28 Vgl. Assmann (1999), 35–37. 29 Straub (1997), 169. 30 Aleida und Jan Assmann unterteilen das kollektive Gedächtnis in ein kommunikatives und ein kulturelles Gedächtnis. Mit dem kommunikativen Gedächtnis ist ein Generationen-Gedächtnis gemeint, das sich durch ein gemeinsames, zeitliches Bewusstsein einer Generation im Rahmen eines Zeithorizonts von etwa 80 bis 100 Jahren ausbilde. In modernen Zivilisationen könne aber durch die Schriftlichkeit das kommunikative Gedächtnis einer Generation längerfristig in ein kulturelles Gedächtnis überführt werden und somit über- generationelle Dauer erlangen. Vgl. Metzger (2011), 45. 12 Erwartungskonstruktionen bilden Generationen ihre kollektive Identität aus, welche die dia- chrone Wahrnehmung und damit die Sicht auf die Vergangenheit nachhaltig prägt.31

Geschichte und Gedächtnis bedingen daher einander, sind aber dennoch nicht monolithisch, sondern vielmehr als zwei Seiten ein und derselben Medaille anzusehen, wie das Erinnern und Vergessen selbst.32 Während Erinnerung partikulär ist und sich an der persönlichen Lebenswelt orientiert, ist Geschichtsbewusstsein etwas Überindividuelles, das von einer Kulturgemeinschaft ausgeht und gesteuert wird. Beide zusammen, Erinnerung und Geschichtsbewusstsein, konstitu- ieren die Identität eines Menschen. Durch das Einfügen des Individuums in eine Kultur- und Glaubensgemeinschaft werden individuelle Lebenserfahrungen durch historische Sinnbildungen überschritten, um sich erinnernd in eine Gemeinschaft einzufügen.33 Dies führte nicht zuletzt zur Instrumentalisierung der Geschichte: So wurde dem Lauf der Geschichte stets aufgrund von ide- ologischen Motiven ein höheres Telos zugeschrieben, um beispielsweise den Sinn des Lebens religiös oder politisch zu transzendieren.34

Ebenso wichtig wie das Erinnern ist das Vergessen, da es ohne Vergessen kein Erinnern gäbe. „Selbst das Erinnern ist ein Vergessen. Wer etwas erinnert, schließt anderes aus. Wer das eine vergegenwärtigt und präsent hält, kann nicht zugleich an das andere denken.“35 Im Gedächtnis werden nur bestimmte Erinnerungen aufgrund von ausgewählten Relevanzkriterien gespei- chert, da sonst die Gedächtniskapazität ständig ausgelastet wäre; dies verlangt die Ökonomie des Gehirns. Individuen schreiben daher ihre eigene Biographie immer wieder neu, da sie Erin- nerungen, aus denen sie ihre Vergangenheit rekonstruieren, ständig aufs Neue auswählen. Ge- dächtnis orientiert sich also an der Identität, währenddessen sich Geschichte in erster Linie aber an der Wahrheit orientieren sollte.36

31 Vgl. Metzger (2011), 51f. 32 In jeder Erinnerungskultur ist daher kritisch zu hinterfragen: Warum wird was erinnert? Warum wird was vergessen? Und wer erinnert und vergisst was auf welche Weise? Vgl. Sachse & Wolfrum (2008), 13f. 33 Vgl. Rüsen (2003), 117f. 34 Bis ins 19. Jahrhundert versuchten Philosophen dem Geschichtslauf einen Sinn abzuringen. Die letzte große Einflussnahme der Geschichtsphilosophie auf die Geschichtswissenschaft stellte der historische Materialismus von Karl Marx und Friedrich Engels dar. An die Stelle der Geschichtsphilosophie trat die Geschichtstheorie, die nicht mehr nach dem Sinn der Geschichte, sondern nach dem Aufgabenbereich und den methodischen Vorgaben der Geschichtswissenschaft suchte. Dennoch wirkte die Geschichtsphiloso- phie noch lange bis ins 20. Jahrhundert auf das historische Denken ein. Vgl. Jordan (2005), 24f. 35 Straub (1997), 170. 36 Vgl. Cavalli (1997), 456–470. 13 3.1.2.2. Wissenschaft versus Orientierung

Die Geschichtswissenschaft befindet sich im ständigen Antagonismus zwischen objektivem Wis- senschaftsanspruch ihrer Disziplin und menschlichem Orientierungsbedürfnis. Darin liegt die wesentliche Herausforderung der Geschichtswissenschaft: „Einerseits darf sie sich nicht funkti- onalisieren lassen; Geschichtswissenschaft ist keine Politikberatung. Andererseits darf sie auch nicht Wissenschaft im Elfenbeinturm sein; Geschichtswissenschaft übernimmt eine eminente soziale Orientierungsfunktion.“37 Daher liegt der „Ort des Geisteswissenschaftlers […] in der Regel eben genau zwischen dem Philosophenkönig und dem Ethnologen: Die Geisteswissen- schaften befinden sich in relativer Distanz zur Gesellschaft, sind aber ihr Teil und auf sie bezo- gen.“38 Der Geisteswissenschaftler dürfe deshalb „weder zum Pedanten noch zum Phantasten werden.“39 Doch allein schon die Perspektive und die Auswahl des Stoffs folgen individuellen Interessen von Wissenschaftler/innen und wirken sich auf deren Arbeit aus: Das Ende einer Geschichte steht meist schon fest, bevor sie überhaupt geschrieben wurde sowie der Anfang einer Erzählung vorherbestimmt ist durch deren Ende.40 – Die Gegenwart, aus der die Geschichte bewertet und geschrieben wird, bestimmt daher die Sicht auf die Vergangenheit sowie das Ver- gangene alles Zukünftige bestimmt.41

Die Geschichtswissenschaft muss daher immerzu im Spannungsverhältnis zwischen Wahrheits- und Orientierungsanspruch gehalten werden, da sie ansonsten zur einen oder anderen Seite kippen würde. Diese Spannung lässt sich aber nur in ausgewogenen, pluralistischen und mei- nungsfreien Gesellschaften aufrechterhalten, welche der Geschichtsdarstellung sowohl den Wahrheitsanspruch als auch die Orientierungsfunktion gleichermaßen zugestehen.42

37 Jordan (2005), 44. 38 Scholtz (1991), 11. 39 Scholtz (1991), 14. 40 Aristoteles ging in seiner Metaphysik davon aus, dass „das was nach Entstehung nach das Spätere ist, der Form und Wesen nach vielmehr das Frühere ist. So ist ein Mann früher als das Kind und der Mensch frü- her als der Same; denn jenes hat schon die Form, dieses hat sie noch nicht.“ Aristoteles (2008), 265. Das Zitherspiel beispielsweise werde erst ermöglicht durch die Anfertigung einer Zither, doch bestimme und bewirke das Zitherspiel den Bau der Zither und sei deshalb das Erstere und Frühere. Vgl. Scholtz (1991), 311. 41 Mit den Worten George Orwells: “’Who controls the past,' ran the Party slogan, 'controls the future: who controls the present controls the past.’” Orwell (1989), 37. 42 Vgl. Cavalli (1997), 456–470. 14 3.1.2.3. Geschichts(re)konstruktion

Aufgrund ihrer identitätsbildenden Wirkung kann die Geschichte eine eminente soziale und po- litische Bedeutung entfalten. Beitragend dazu ist jedes Jubiläum, Denk- oder Mahnmal, jedes Bild von historischen Ereignissen – einfach jede Tradierung der Vergangenheit, die das Selbstwertge- fühl des Einzelnen sowie das Selbst- und Zusammengehörigkeitsgefühl von Gruppen fördert.43 „Dies ist nicht zuletzt der Grund, warum ‚Geschichte‘ als Schulfach betrieben wird, in dem Kin- dern und Jugendlichen von klein auf Identität vermittelt werden soll.“44

Wie weit bereits der schonungslose Rückgriff auf Geschichte und Tradition mitunter aus politi- schen Gründen betrieben wurde, spiegelt sich in so manchen Traditionen wider, die nicht selten zeitgenössische Konstruktionen statt historische Rekonstruktionen sind: „‘Traditions‘ which appear or claim to be old are often quite recent in origin and sometimes invented.”45 Solche in- vented traditions46 entstanden vielfach im 19. Jahrhundert47 – in einer Sattelzeit48 also, in der politischer und sozioökonomischer Wandel das Leben der Menschen rasant veränderte und nur noch die Geschichte Halt zu geben vermochte. Der Nationalismus löste schließlich eine romanti- sche Verklärung der Vergangenheit aus und förderte nicht selten neue „Traditionen“ zutage.49 „Es ist ein Versuch, sich gleichsam a posteriori eine Vergangenheit zu geben, aus der man stam- men möchte, im Gegensatz zu der, aus der man stammt […].“50

Auch wenn Traditionen daher stets kritisch betrachtet werden müssen, ist der „Kult der Traditi- on und der Widerstand gegen die Tradition […] gleichermaßen unentbehrlich für das gesell- schaftliche Leben“51: „Hätten nicht die neuen Generationen unaufhörlich gegen die ererbte Tra-

43 Vgl. Cavalli (1997), 456. 44 Jordan (2005), 41. 45 Hobsbawm (2003), 1. 46 Der Begriff invented traditions wurde erstmals 1983 durch den von Eric Hobsbawm und Terence Ranger herausgegebenen Sammelband The Invention of Tradition geprägt. Damit gemeint ist „a set of practices, normally governed by overtly or tacitly accepted rules and of a ritual or symbolic nature, which seek to inculcate certain values and norms of behavior by repetition, which automatically implies continuity with the past.“ Hobsbawm (2003), 1. 47 “Societies since the industrial revolution have naturally been obliged to invent, institute or develop new networks of such convention or routine more frequently than previous ones.“ Hobsbawm (2003), 3. 48 Reinhard Koselleck prägte den Begriff der Sattelzeit für eine Epochenschwelle von der Neuzeit zur Mo- derne, die sich etwa von 1750 bis 1870 vollzogen habe. Prägend für diese Zeit der Modernisierung seien der rasante politische, soziale, ökonomische, industrielle und kulturelle Wandel gewesen. Vgl. Koselleck (1972), XV. 49 Bei Trachtenumzügen beispielsweise versichern sich deren Teilnehmer/innen durch ihre traditionell- volkstümliche Kleidung ihrer kulturellen und geschichtlichen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Region und Gruppe. Tatsächlich aber sind viele der heute „traditionellen“ Trachten erst im 19. Jahrhundert einge- führt worden. Vgl. Jordan (2005), 41. 50 Nietzsche (1990), 174. 51 Kolakowski (1970), 1. 15 dition revoltiert, würden wir noch heute in Höhlen leben; wenn die Revolte gegen die ererbte Tradition einmal universell würde, werden wir uns wieder in den Höhlen befinden.“52

Der Mensch braucht zwar „eine gewisse Kenntnis der Vergangenheit“ zur „Vermehrung der Er- kenntnis“ und „zum Zweck des Lebens“, nicht aber zur „Schwächung der Gegenwart, nicht zur Entwurzelung einer lebenskräftigen Zukunft“. Er muss daher selbst wissen, wann es gut für ihn ist historisch und wann unhistorisch zu denken – „jede Vergangenheit aber ist wert verurteilt zu werden“53: „Es ist nicht die Gerechtigkeit, die hier zu Gericht sitzt, es ist noch weniger die Gnade, die hier das Urteil verkündet: sondern das Leben allein, jene dunkle, treibende, unersättlich sich selbst begehrende Macht.“54

In einer immer schneller sich wandelnden Welt, in der das Bedürfnis nach Geschichte und Tradi- tion notwendigerweise stetig zunehmen muss, wird daher ein ausgeglichener Gegensatz zwi- schen Bewahren und Verwerfen derselben immer wichtiger werden.55

3.1.3. Fazit: „Kann gestern besser werden?“

"Der Historiker ist ein rückwärts gekehrter Prophet." Friedrich Schlegel56

Abb. 2: Charles M. Schulz (1979), The Peanuts, Nr. 699.

Die Beschäftigung mit „Gestern“ ist wohl immer ein Stück weit Vergangenheitsbewältigung57. Grund dafür ist die Sehnsucht des Menschen, Vergangenheit und Gegenwart in Eintracht zu

52 Leszek Kolakowski zit. n. Reinisch (1970), VII. 53 Nietzsche (1990), 173. Nietzsche betont, dass es für den Menschen zwar wichtig sei, seine Wurzeln zu kennen, da sie ihm Geborgenheit und Herkunft geben, aber genauso könne er sich in den Wurzeln seiner Vergangenheit verlieren: „Der Mensch hüllt sich in Moderduft“. Das Leben dürfe nicht konserviert werden, denn dann würden die Wurzeln absterben. Vgl. Nietzsche (1990), 171–173. 54 Nietzsche (1990), 173f. 55 Der Philosoph Odo Marquard spricht sich in seinem Essaybuch Zukunft braucht Herkunft (2003) sehr offen für die Identitätsbildung durch Geschichte aus, da der Mensch an etwas „anknüpfen muss“. In einer schnelllebigen Welt brauche er „das Alte“, sonst könne der Mensch „das Neue auch gar nicht als solches erkennen“: „Ohne das Alte können wir das Neue nicht ertragen, heute schon gar nicht, weil wir in einer wandlungsbeschleunigten Welt leben.“ Schmitter & Schreiber (2003), 152. 56 Schlegel (1967), 176. 16 bringen und als Ganzes zu erleben.58 „Wir verleihen den Toten nicht einfach unseren histori- schen Sinn, sondern entwickeln diesen Sinn aus den Vorgaben unserer Welt, in denen sie für uns lebendig sind und wir unsere Lebendigkeit in der Vermittlung mit dieser anderen haben.“59 Da die Beschäftigung mit Geschichte immer nur aus einer Jetztzeit erfolgen kann, liefert sie für den aktuellen zeitlichen Wandel der Lebensverhältnisse wichtige Orientierungshilfen. Sie fügt gleichsam das Bild der Vergangenheit in den jeweils aktuellen kulturellen Orientierungsrahmen der gegenwärtigen Lebenspraxis ein.60 Die Aufgabe des Geschichtsschreibenden ist es daher, „das geschichtlich Gewordene zum Werdenden im Augenblick der Gegenwart in Beziehung zu setzten“61. Er wird gleichsam zum „rückwärts gekehrten Propheten“62 und die Geschichte zum „Gegenstand einer Konstruktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit sondern die von Jetztzeit erfüllt bildet.“63 Darum will die Vergangenheit im Bewusstsein der Menschheit nicht vergehen – daher muss sie sich ständig vergegenwärtigen:

„Es ist merkwürdig mit der Vergangenheit. Sie ist vergangen und doch gegenwärtig. Was ge- schehen ist, ist geschehen, und doch können wir uns dabei nicht beruhigen. Immer wieder neu wird sie vergegenwärtigt, gedeutet, umgedeutet, angeeignet, abgestoßen, entfernt, in die Nähe gerückt, vergöttert, verteufelt, verdinglicht, verflüssigt. Wenn wir sie vergessen, bleibt sie nichtsdestoweniger ein beunruhigender Faktor. Sie vergegenwärtigt sich sogar selber, oft gegen unseren Willen (wenn wir etwas verdrängt haben, was noch umtreibt). Sie kann wie eine Last auf unseren Schultern liegen, die wir gerne abschütteln möchten. Aber wir können es nicht.“64

57 Der Begriff Vergangenheitsbewältigung wird meist in Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus verwendet und impliziert dabei den Wunsch nach Vergessen dieser Vergangenheit sowie das Ziehen eines Schlussstrichs unter diese. Vgl. Rudnick (2007), 275. Allgemein gefasst kann aber festgehalten werden, dass die Vergangenheit, wie auch immer sie aufgefasst wird, ständig bewältigt, verarbeitet oder überwun- den wird, da jede Bewältigung einer Vergangenheit gleichzeitig mit der Bewältigung einer Gegenwart einhergeht. Eine jede Vergangenheitsbewältigung ist daher auf Hinsicht ihrer Motivation kritisch zu hin- terfragen. Vgl. Wodak et al. (1994), 12–17. 58 Golo Mann hob die integrative Funktion der Geschichtsschreibung hervor, die Vergangenheit, Gegen- wart und Zukunft „auf einen Reim zu bringen“. Der Sinn der Geschichte sei demnach „die Gegenwart zu verstehen, vielleicht auch die Zukunft vorauszusagen, das Verwirrende des jüngst Erlebten auf einen Reim zu bringen. Um aber die Gegenwart zu verstehen, wird die ganze Vergangenheit bemüht, wird die ganze Vergangenheit auf die Gegenwart hin ausgerichtet, welche ihre Tochter, aller Zeiten letztes Schicksalskind ist.“ Mann (1961), 11. 59 Rüsen (2003), 38. 60 Vgl. Rüsen (2003), 26. 61 Vgl. Arndt & Zovko (2009), XXXVII. 62 Schlegel (1967), 176. 63 Benjamin (2007), 137. 64 Rüsen (2003), 17. 17 Geschichte wird aus der Gegenwart für die Zukunft geschrieben und daher immer den gegen- wärtigen Wertvorstellungen angepasst.65 Auch wenn Vergangenes der Wahrheit getreu erzählt wird, werden „nicht die Wirklichkeiten selbst hervorgeholt, […] sondern nur Worte, geschöpft aus Bildern, die im Geiste, […] gleichsam Spuren eingedrückt haben.“66 Geschichte unterliegt daher immer einer unbewussten – und manchmal auch einer bewussten – Perspektivierung.67 Diese ist sowohl von individuellen als auch von kollektiv geprägten Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmustern abhängig.68 Daher folgt auch immer die Darstellung von Geschichte in ver- schiedenen Sprachen69, Texten70, Bildern71 und anderen Medien individuell sowie überindividu- ell geprägten Mustern.72

Die Geschichtswissenschaft hat deshalb viele Probleme, die ihr aber wiederum Arbeit, Richtung und Sinn geben.73 Daher ist eine kritische Geschichtswissenschaft nach objektiven wissenschaft- lichen Kriterien sine ira et studio zwingend erforderlich. Aber auch sie muss ständig neu ge- schrieben werden, da die Geschichtsschreibung ein Akt der Gegenwart ist, aus der die Fragen an

65 Rüsen nennt als Beispiel die sog. Meistererzählungen, die für eine bestimmte Zeit für bestimmte Groß- gruppen „eine Vorstellung ihrer Zugehörigkeit, ihrer kollektiven Identität, vermitteln“. Dazu zählen natio- nale Begründungs- und Erfolgsgeschichten, religiöse Heilsgeschichten etc. Vgl. Rüsen (2003), 29f. „Sie [die Meistererzählungen] folgen den zeitgenössischen Ereignissen und reorganisieren das Selbstverständnis der Betroffenen so, daß die neuen Erfahrungen in die kulturellen Orientierungen ihrer Lebenspraxis inte- griert werden.“ Rüsen (2003), 30. 66 Augustinus (2007), 279. Nach Augustinus gebe es daher nur eine „Gegenwart von Vergangenem“: „Denn es sind diese Zeiten als eine Art Dreiheit in der Seele, und anderswo sehe ich sie nicht: und zwar ist da Gegenwart von Vergangenem, nämlich Erinnerung; Gegenwart von Gegenwärtigem, nämlich Augenschein; Gegenwart von Künftigem, nämlich Erwartung.“ Augustinus (2007), 281. 67 Der Historiker Johann Martin Chladenius betonte bereits im 18. Jahrhundert die Wichtigkeit des Sehe- punktes für die historische Erkenntnis. Der Sehepunkt ergebe sich nach Chladenius aus dem Stand, der Stelle und Gemütsverfassung des Geschichtsschreibenden selbst. Geschichte sei deshalb nur dann unpar- teiisch, wenn sie vorsätzlich verdreht werde. Vgl. Chladenius (1990), 13–16. 68 Golo Mann betont den Einfluss des Zeitgeists auf die Geschichtsschreibung: „Einmal ist es so, daß jeder Historiker, jeder der für Mitmenschen und Nachwelt Geschichte schreibt, dies im Zeichen einer vielleicht nur ganz ungefähren, aber doch wirksamen Philosophie tut.“ D.h., dass „der Geist des Historikers – Geist und Wille, kraft dessen er die Tatsachen auswählt, denn es gibt ja immer unendlich viele Tatsachen –, der sie anordnet, bewertet und so etwas Lesbares und Sinnvolles zusammenbringt.“ Mann (1961), 11. 69 Seit den 1960er prägte der linguistic turn eine neue Sicht auf das Verhältnis von Sprache und Wirklich- keit. Die „linguistische Wende“ geht davon aus, dass die Sprache ein „wirklichkeitsgestaltender Faktor“ sei. Durch den linguistic turn wurden daher erstmals „[s]trukturierende Begriffe, normative Vorstellungen und Ordnungsprinzipien“ und ihre Einflüsse auf die Konstitution von Wirklichkeiten kritisch hinterfragt. Vgl. Metzger (2011), 243. 70 Hayden White, ein Vertreter des linguistic turn, geht in seinem Werk Metahistory: The Historical Imagi- nation in Nineteenth Century Europe davon aus, dass auch Historiker/innen sich literarisch- dramaturgischer Erzählstrategien bedienen würden, um „Tatsächlichkeit“, „Wirklichkeit“ bzw. „kausale Notwendigkeit“ zu erzeugen. Vgl. Jordan (2009), 191. 71 Der icon turn versucht in Anlehnung an den linguistic turn Bilder weder als historische Quelle noch als Kunstwerke zu analysieren, sondern die dahinterliegenden Vorstellungen zu erkennen, mit denen die Wirklichkeit damals gedeutet wurde. Vgl. Jordan (2009), 197. 72 Vgl. Hardtwig (2007), 219. 73 Otto Vossler benannte das eigentliche Problem der Geschichtswissenschaft folgendermaßen: „Das ei- gentliche Problem ist nicht ein für allemal ein und dasselbe, sondern es ist jeweils dasjenige Problem, welches das praktische Leben uns stellt. Wir wählen es nicht nach unserem Sinn, nach Laune und Ge- schmack aus wie eine Frucht aus dem bunten Obstkorb, sondern es wird uns vom praktischen Leben ge- stellt, aufgegeben.“ Vossler (1979), 30. 18 die Vergangenheit laufend neu gestellt werden müssen. Somit gilt nach wie vor: „Wissenschaft- lich aber überholt zu werden, ist – es sei wiederholt – nicht nur unser aller Schicksal, sondern unser aller Zweck.“74

3.2. NATIONALISMUS UND GESCHICHTSSCHREIBUNG

„Was ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln. Das ists denn wahrlich oft ein Jammer!“ Johann Wolfgang von Goethe75

Die durch die Französische Revolution in Europa ausgelöste „Demokratisierung der Politik“ führte allmählich zur Bildung moderner Staaten mit unmittelbarer politischer Herrschaft und Verwaltung, die dem bis dato Untertanen als neuen Staatsbürger ein gewisses Mitspracherecht76 einräumten. Die neue politische Herrschaft legitimierte sich nicht mehr selbst von oben, als gött- liche oder dynastisch gegebene Entität, sondern wurde fortan von unten durch die Gunst des wahlberechtigten Bürgers gestützt.77 Die Identifikation mit dem neuen Staat wurde daher zum herrschenden Politparadigma der jungen Nationalstaaten, was sich im Nationalismus und Impe- rialismus widerspiegelte. Der geschichtlich-aufgeladenen Patriotismus wurde zur neuen Bür- ger/innenreligion erhoben78:

„Staaten und Regime hatten allen Grund, einen Staatspatriotismus mit den Gesinnungen und Symbolen der ‚vorgestellten Gemeinschaft‘ nach Kräften zu verstärken, wo immer und wie immer diese entstanden, und sie auf sich selbst zu konzentrieren. […] Denn die Zeit von 1880 bis 1914 war auch die Zeit […] des Imperialismus und der zunehmenden Rivalitäten, die in den Weltkrieg mündeten. Sie alle unterstrichen die Unterschiede zwischen ‚ihnen‘ und ‚uns‘.

74 Weber (2002), 487. Nach Max Weber läge der „Sinn der Wissenschaft“ darin begründet, dass sie durch „neue Fragen“ veralte und überboten werde; darin fände die Wissenschaft ihre „Erfüllung“. Vgl. Weber (2002), 486f. 75 Goethe (2006), V. 577-580. 76 Das Wahlrecht galt im 19. Jahrhundert noch ausschließlich für Männer. Das allgemeine Wahlrecht für Männer wurde in Frankreich 1848 eingeführt; in Großbritannien in zwei Phasen 1867 und 1884; in Ita- lien, Österreich und Skandinavien blieb das Wahlrecht eingeschränkt. In den deutschen Staaten gab es ein nach Klassen organisiertes Wahlsystem. Das allgemeine Wahlrecht wurde erst 1871 im Deutschen Kaiser- reich beschlossen. Frauen durften noch nicht wählen. Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 111f. Daher wird hier auf eine gendergerechte Schreibweise verzichtet. 77 Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 71. 78 Vgl. Hobsbawm (1991), 97–103. 19 Und es gibt kein wirksameres Mittel, die zerstreuten Gruppen ruheloser Völker zusammen- zuschließen, als sie gegen Außenstehende zu vereinigen.“79

„Die grundsätzliche Loyalität des neuen Nationalismus galt paradoxerweise nicht ‚dem Land‘, sondern allein seiner besonderen Auffassung von diesem Land – einer ideologischen Konstruk- tion.“80 So ist auch die Nationalität einer Person als Konstrukt anzusehen – wie auch die Nation selbst bloß ein „geistiges Prinzip“ darstellt81 –, dessen besondere Wirkung darin bestehen soll, künstlich Differenzen zwischen diesen und jenen Gruppen zu schaffen, um schließlich sich selbst von den anderen abzugrenzen:

„Was also die Nationen zu Nationen macht […] das ist nicht die Gemeinsamkeit irgendeines Merkmals, die Gleichheit der Sprache, der Abstammung, des Charakters, der Kultur oder der Unterstellung unter eine gemeinsame Staatsgewalt, sondern umgekehrt: ein System von Vor- stellungen, Wertungen und Normen, ein Welt- und Gesellschaftsbild, und das bedeutet: eine Ideologie, die eine durch irgendeines der erwähnten Merkmale gekennzeichnete Großgruppe ihrer Zusammengehörigkeit bewußt macht und dieser Zusammengehörigkeit einen besonde- ren Wert zuschreibt, mit anderen Worten: diese Grußgruppe integriert und gegen ihre Um- welt abgrenzt.“82

Dem Nationalismus gelang es das Identitätskonzept von Gruppen nach innen ins Unermessliche zu steigern – so behauptet etwa jede Nation die Beste zu sein83 –, um nach außen die Exklusivität der eigenen Nation zu verschärfen. Die Existenz einer Nation kann so durch „ein tägliches Ple- biszit“84 der Bürger/innen zu ihrer Nation und Nationalität legitimiert werden. Auch heute noch, in einem Europa ohne Grenzen, führt die (Nicht-)Zugehörigkeit zu einer Nation nach wie vor zu Ressentiment und Xenophobie – und dies obschon die Nationalität mittlerweile als „kulturelles Artefakt“ angesehen werden könnte.85

79 Hobsbawm (1991), 109. 80 Hobsbawm (1991), 111. 81 Vgl. Renan (1994), 45. 82 Lemberg (1964), 52. 83 Der niederländische Historiker Johan Huizinga nannte den Nationalismus eine „Sucht, dem eigenen Staat vor, über und auf Kosten von anderen Geltung zu verschaffen“. Vgl. Alter (1994), 15. 84 In seiner Rede am 11. März 1882 an der Universität Paris Sorbonne nannte der Historiker Ernest Renan das Dasein der Nation „ein tägliches Plebiszit, wie das Dasein des einzelnen eine andauernde Behauptung des Lebens ist…“ In derselben Rede nahm Renan die Entstehung der Europäischen Union voraus: „Die Nationen sind nichts Ewiges. Sie haben einmal angefangen, sie werden enden. Die europäische Konfödera- tion wird sie wahrscheinlich ablösen.“ Renan (1994), 46. 85 Der linguistic turn seit den 1960er und 1970er Jahren führte dazu, den Nationalgedanken „als einer von Intellektuellen und Politikern geschaffenen, ja sogar ‚erfundenen‘ Gemeinschaft zu popularisieren“, sodass „der Begriff ‚Nation‘ in den letzten Jahren vielfach als ‚kulturelles Artefakt‘ bezeichnet wurde“. Vgl. Hye & Mazohl (2009), 4f. 20 Aber dennoch benötigen – auch jetzt immer noch – Nationen, seien es Staats- oder Kulturnatio- nen86 gleichermaßen, einer historisch-kulturellen Legitimation, da sie eben Konstruktionen ei- ner politischen und/oder religiösen Prägung sind, bei denen sich Personen mehr oder weniger freiwillig zu Gemeinschaften zusammenschlossen. Durch die ideologische Instrumentalisierung der Geschichte werden solche Zusammenschlüsse historisch zu legitimieren versucht, damit sich die Mitglieder/innen einer Nation immer wieder aufs Neue ihrer apodiktischen Schicksalsge- meinschaft versichern können. „Keine Nation ohne Fälschung der eigenen Geschichte“87! Dies gilt insbesondere für das 19. Jahrhundert, als sich der Nationalismus in Europa ausbreite und schließlich zur inneren und äußeren Nationsbildung88 führte.

3.2.1. Historia et patria

„Ohne Zweifel: Herrschaft braucht Herkunft.“ Jan Assmann89

Während die Geschichtsschreibung im 18. Jahrhundert noch universalhistorisch ausgerichtet war, gewann die nationale Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert immer mehr an Einfluss.90 Besonders die Reichs- und Ländergeschichte nahm ab der Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Errichtung zahlreicher regionalhistorischer Vereine und Kommissionen zur Stiftung des Natio- nalgedankens zu.91

86 Eine Staatsnation, wie sich die USA, England oder Frankreich begreifen, ist eine politische Gemeinschaft rechtsgleicher Bürger/innen, unabhängig von sozialer und wirtschaftlicher Stellung, ethnischer Herkunft und religiöser Überzeugung. Die Staatsnation sieht sich als politische Willensgemeinschaft aus mündigen Staatsbürger/innen. Die Kulturnation dagegen, wie in Deutschland und Italien des 19. Jahrhunderts, ist eine vom Staat gegebene, historisch und kulturell bedingte Größe. Die Zugehörigkeit zu einer Kulturnation wurde dem Individuum weitgehend entzogen; vielmehr entschieden Natur und Geschichte über die Zuge- hörigkeit zu einer bestimmten Nation. Vgl. Alter (1994), 26f. 87 Renan zit. n. Hobsbawm (1991), 24. 88 Mit der inneren Nationsbildung ist die „Durchsetzung des nationalen Gedankens in der Bevölkerung“ gemeint, währenddessen sich die äußere Nationenbildung auf die „Entstehung eines Nationalstaates“ be- zieht. Der ähnlich klingende englische Begriff nation-building meint hingegen den „praktischen Aufbau nationalstaatlicher Institutionen“. Jansen & Borggräfe (2007), 28. 89 Assmann (1999), 71. 90 Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 73. Gabriele Clemens unterscheidet zwischen der Universalge- schichte des 18. und der Nationalgeschichte des 19. Jahrhunderts. Aufklärer wie Voltaires, Johann Chris- toph Gatterer und August Ludwig Schlözer schufen aufgrund ihrer kosmopolitischen Einstellung eine universalhistorische Geschichte. Ziel war die Darstellung des Hohen und Ganzen der Weltgeschichte, wel- che die Auflistung bloßer Fakten und Zahlen ausschloss. Abgelöst wurde sie von der Nationalgeschichte, zu deren wichtigsten Vertretern Leopold Ranke, Heinrich Sybel, Johann Gustav Droysen und Heinrich Treitschke zählen. Die Universalgeschichte erlebte um 1900 mit Max Weber und Karl Lamprecht eine Re- naissance. Vgl. Clemens (2009), 75–78. 91 Vgl. Clemens (2009), 94. 21 Die Nationalgeschichtsschreibung gelang nicht zufällig im 19. Jahrhundert zu ihrer vollsten Blü- te, sondern wurde ganz gezielt im Zuge der Restauration forciert, um den status quo ante wie- derherzustellen: Die durch die Französische Revolution ausgelöste Krise, die nahezu alle Regime im ausgehenden 18. Jahrhundert erfasst hatte, führte schließlich zu innerstaatlichen Bestrebun- gen, die abfallenden Untertanen wieder zurück zur Staatlichkeit zu bewegen und zu treuen Bür- ger/innen, Steuerzahler/innen und Wehrpflichtigen zu erziehen.92 Regierungen hatten ein be- trächtliches innenpolitisches Interesse daran, Nationalismus unter ihren Bürger/innen zu schü- ren93:

„Aus naheliegenden Gründen bedienten sich die Staaten eines immer leistungsfähigeren Ap- parats zur Kommunikation mit den Einwohnern – vor allem der Grundschule –, um das Bild und Erbe der ‚Nation‘ zu verbreiten, die Liebe zu ihr einzuimpfen und alle auf das Land und die Fahne einzuschwören […].“94

Durch die Berufung auf die eigene Geschichte sollten identitätsstiftende Elemente ein nationales Pathos erwecken, indem sie an kulturelle Traditionen und entscheidende Zäsuren der eigenen Geschichte erinnern – wie etwa siegreiche und ruhmreich verlorene Schlachten – um dadurch die Bildung eines gemeinsamen Nationalstaates heraufzubeschwören.95 Die Nationalgeschichte wurde daher zum herrschenden Geschichtsparadigma des 19. Jahrhunderts und des histori- schen Bewusstseins überhaupt.

3.2.1.1. Geschichte als nationale Botschaft

Der Nationalismus fördert aktiv ein nationalistisches Bewusstsein, indem es sog. nationalen Nachrichten besondere Aufmerksamkeit beimisst:

„Nationalismus ist eine Geistesverfassung, die ‚nationalen‘ Nachrichten (messages), Erinne- rungen und Vorstellungen einen bevorzugten Platz in der gesellschaftlichen Kommunikation und ein stärkeres Gewicht im Entscheidungsprozeß einräumt. […] Wenn die größere Auf- merksamkeit und das vermehrte Gewicht, das man solchen Mitteilungen beimißt, alle ande- ren Nachrichten, Erinnerungen oder Vorstellungen verdrängt, dann sprechen wir von extre- mem Nationalismus.“96

92 Vgl. Hye & Mazohl (2009), 10f. 93 Vgl. Hobsbawm (1991), 109f. 94 Hobsbawm (1991), 110. 95 Vgl. Heiss (1997a), 5. 96 Deutsch (1972), 204. 22 Die Nationalgeschichte übernahm vielfach die Aufgabe zur Vermittlung solcher nationaler Nach- richten, indem sie die regionale Geschichte preiste und somit eine nationale Einheit heraufbe- schwor. „Nationale Historiographie wurde so nicht selten zu einem integralen Bestandteil einer rückwärtsgewandten Verheißungsideologie.“97 Durch die Konstituierung einer gemeinsamen (re)konstruierte Vergangenheit sollte die Existenz und Kontinuität der Nation bewiesen werden, deren Devise immerzu lauten könnte: „Eadem, sed aliter!“98

Im Fall des extremen Nationalismus wird das „Nationale“ gar zur Religion erhoben, welche die eigentliche Religion verdrängt. „Das Religiöse wird im Nationalen säkularisiert, das Säkulare sakralisiert.“99 Die vom extremen Nationalismus bevorzugten Nachrichten verdrängen dann alle anderen Nachrichten und ziehen ideologisch verschlüsselte oder gar unrichtige Nachrichten den Nachrichten vor, die in anderen Kodes oder Symbolen gehalten sind. Dies führt letztlich zu einer „epistemologischen Katastrophe. Auszehrung und Lähmung des Erkenntnisvermögens sind sei- ne Folgen.“100

Die Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert konnte eine solche epistemologische Katastrophe durch den aufkommenden Nationalismus jedoch nicht verhindern, sondern führte eher selbst zu solchen Katastrophen. So unterstützte die noch junge Geschichts- wissenschaft den Nationalismus aktiv durch eine ausgeprägte Nationalhistoriographie und über- trat dabei vielfach ihren wissenschaftlichen Anspruch.101 Sie war zwar nur ein Helfer in einer Reihe von vielen Helfershelfern, doch beschwor auch die Geschichtswissenschaft ein nationales Bewusstsein herauf, wobei sie keine schöpferische, aber dennoch eine wichtige Funktion zur Stiftung des Nationalstaates einnahm.102

„Die Vertreter dieses neuen Berufsstandes [die Historiker/innen] wiesen zumeist zwei Cha- rakteristiken auf; sie waren stramm nationalistisch gesinnt und konzentrierten sich in der Politik auf die Staatsebene, also auf Diplomatie und Militär, an Sozial- und Kulturgeschichte waren sie hingegen nicht interessiert.“103

97 Hye & Mazohl (2009), 8. 98 Dieser Ausspruch stammt von Schopenhauer: „Die Devise der Geschichte überhaupt müßte lauten: ‚ea- dem, sed aliter‘ (dasselbe, aber auf andere Weise). Hat einer den Herodot gelesen, so hat er in philosophi- scher Absicht schon genug Geschichte studiert. Denn da steht schon alles, was die folgende Weltgeschichte ausmacht: das Treiben, Tun, Leiden und Schicksal des Menschengeschlechts […].–“ Schopenhauer (1994), 570. Schopenhauer ging davon aus, dass sich die menschliche Geschichte im Wesentlichen wiederhole – das einzige, was sich verändere, wären die Ideen. 99 Thomas Nipperdey zit. n. Hye & Mazohl (2009), 7. 100 Deutsch (1972), 204. 101 Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 112. 102 Vgl. Rumpler (2009), 37–41. 103 Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 126. 23 3.2.2. Geschichte als Wissenschaft

Die Entstehung der Geschichtswissenschaften als eigene wissenschaftliche Disziplin im 19. Jahr- hundert ist kein Zufall, sondern hing eng mit den nationalistischen Bewegungen jener Zeit zu- sammen; einer Zeit also, „als nationales Bewußtsein und die Bildung von Nationalstaaten die politische Landkarte Europas von Grund auf veränderten.“104

Abb. 3: Entwicklung der Lehrstuhlinhaber für Geschichte (1804-1970).

Die Institutionalisierung von Geschichtsschreibung im deutschsprachigen Raum ist um 1800 zu konstatieren105 und ging mit der Historisierung106 dieser jungen Geschichtswissenschaft einher. Zwischen 1830 und 1885 wuchs die Anzahl der Lehrstühle für Geschichtswissenschaft in diesem

104 Heiss (1997a), 5. 105 Der Beginn der professionellen Geschichtswissenschaft lässt sich auf die Gründung der Universität Berlin im Jahr 1810 zurückführen. Preußen nahm eine Vorreiterrolle in der Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung ein. In den anderen europäischen Ländern ist die Institutionalisierung der Ge- schichtsschreibung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vonstattengegangen. Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 123–125. 106 Der Historismus ist für die Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert ver- antwortlich. Durch den Historismus wurde die empirische Wissenschaftlichkeit der Naturwissenschaften auf die der Geschichtswissenschaften zu transportieren versucht. Vgl. Welskopp (2008), 146f. 24 Raum von rund 10 auf etwa 80 Lehrstühle, wobei vor allem ab 1855 der größte Anstieg in dieser Zeitspanne zu verzeichnen ist.107

Dies hängt mit der universitären Verankerung und Ausdifferenzierung der Geschichtsschreibung in theoretischer und methodischer Hinsicht zusammen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- hunderts vonstattenging. Damit einhergehend ist die Gründung historischer Zeitschriften und Publikationen nationalgeschichtlicher Gesamtdarstellungen, deren Popularisierung in Schulbü- chern ihren Ausdruck fand.108

Die Geschichtsschreibung nahm seit ihrer Verwissenschaftlichung eine ambivalente Haltung ein: Auf der einen Seite wollte sie sich von jeglichem geschichtsphilosophischen Zwang befreien109 und methodenangeleitete Quellenkritik üben; auf der anderen Seite stellte sich die junge Ge- schichtswissenschaft in den Dienst der Politik und legte ihr Augenmerk vorwiegend auf Natio- nalgeschichte, um die Ausprägung eines nationalen Geschichtsbewusstseins voranzutreiben.110

„Die Geisteswissenschaften haben in der Neuzeit […] ihr Dasein in der Spannung zwischen Wissenschaftsanspruch und außerwissenschaftlicher Prätention: Sie wollten und wollen Wis- senschaften sein – zugleich aber auch der Humanität, der Bildung, dem Identitätsbewußtsein, der privaten und öffentlichen Praxis, der Orientierung in der historischen, in der menschli- chen Welt dienen. Zunächst befanden sich diese Pole weitgehend in Eintracht, gerieten dann aber mehr und mehr in Konflikt, nämlich durch die ‚Verwissenschaftlichung‘ dieser Wissen- schaften, die besonders als ‚Historismus‘ diskutiert wurde.“111

3.2.2.1. Historismus

Der Historismus löste die Aufklärung als führende Geisteshaltung im 19. Jahrhundert ab und prägte eine ausschließlich der Geschichte zugewandten Denkweise, die den raschen Wandel jener Zeit aus ihrem historischen Werden heraus zu begreifen versuchte. „Die Geschichtswissen-

107 Vgl. Weber (1987), 49. 108 Vgl. Metzger (2011), 141–143. 109 Die Geschichtsschreibung wurde zwar verwissenschaftlicht, blieb dennoch aber nicht vor philosophi- schen und metaphysischen Prämissen gefeit. Die noch junge Geschichtswissenschaft bewegte sich grosso modo weiterhin in den Bahnen geschichtsphilosophischer Traditionen des Positivismus, Historismus und Marxismus. Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 114–123. 110 Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 124; Heiss (1997a), 6. 111 Scholtz (1991), 10f. 25 schaft wurde zur Leitwissenschaft des Jahrhunderts. Und sie begann jetzt ihrerseits, den Prozeß der Historisierung des Denkens voranzutreiben.“112

Das historistische Denken begriff die Zeit als „einheitliche und durchgängige Entwicklung eigen- tümlicher menschlicher Lebensformen.“113 Die Auffassung des Historismus war es also, die Ge- schichte im Wesentlichen als eine von den großen Akteuren114 der Weltgeschichte vorangetrie- bene Entwicklung zu begreifen115, ganz nach dem Motto: „Große Männer machen Geschichte!“116 Der Historismus forcierte somit eine einseitige, politgeschichtliche Betrachtungsweise, die durch die Hinwendung zum Nationalismus zudem noch verschärft und bornierter wurde.117

Die nationalistische Tendenz des Historismus bildete sich erst wesentlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts heraus. Bis in die 1850er Jahre prägte der Historismus eine streng empiri- sche, quellenkritische und objektive Geschichtsforschung, welche die Geschichte „forschend zu verstehen“118 und sie in einer narrativen Darstellung heuristisch zu erschließen versuchte.119 Seit dem Zusammenbruch des alten Kaiserreiches 1806 gewann der Historismus jedoch eine innenpolitische Prägung zum Nationalstaat. Vor allem Preußen, als führende Kraft und neuer Kern des Reiches, spielte eine bedeutende Rolle bei der Herausbildung des nationalen Macht- staatsdenkens.120 Aber auch in anderen Ländern entwickelte sich ein aggressiv-nationaler Chau- vinismus, dessen Einfluss auf die Geschichtswissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- derts zu einer historistischen Geschichtsdarstellung nach streng nationalistischer Couleur führ- te.121

Die ausschließliche Fokussierung des Historismus auf die „großen Männer“ und deren Taten führte schließlich dazu, dass gerade im Zeitalter des Nationalismus der aufkommende National-

112 Wittkau (1994), 13. 113 Jaeger & Rüsen (1992), 1. 114 Der Historismus versteht unter den historischen Individuen einen Agens im Sinne einer Einzelperson, einer Personengruppe oder sogar einer ganzen Nation, die nach der historistischen Auffassung wesentlich für den Verlauf der Weltgeschichte verantwortlich wäre. Dieser Geschichtsauffassung steht die Sozial- und Gesellschaftsgeschichte konträr gegenüber, welche die Gesellschaft als Patiens in ihrer jeweiligen histori- schen Situation zu erfassen versucht. Vgl. Jordan (2009), 114–116. 115 Vgl. Jordan (2009), 39f. 116 Frei zit. n. Treitschke (1927), 27. 117 Jacob Burckhardt kritisierte die teleologische Geschichtsauffassung der frühen Geschichtswissenschaft, die noch wesentlich von der Geschichtsphilosophie Hegels geprägt wurde. Es sei falsch, die Vergangenheit an das gegenwärtige Weltbild auszurichten und Urteile über die Vergangenheit zu fällen. Dies bezeichnete er als „umständliches Gepäck öffentlicher Meinung“ und „Stempel der betreffenden Zeitlichkeit“: „Sie sind Todfeinde der wahren geschichtlichen Erkenntnis.“ Vgl. Burckhardt (1990), 127–130. 118 Nach Droysen sei das „Wesen der historischen Methode […] forschend zu verstehen.“ Es gebe nach Droysen drei mögliche wissenschaftliche Methoden: „die spekulative (philosophische oder theologische), die physikalische und die historische“. Ihr Wesen ist: „zu erkennen, zu erklären, zu verstehen“. Vgl. Droy- sen (1990), 92. 119 Vgl. Jaeger & Rüsen (1992), 73f. 120 Vgl. Budde & Freist (2008), 147. 121 Vgl. Jordan (2009), 56–59. 26 staat als dieser große Akteur ins Auge gefasst wurde. Des Weiteren wurde die Nationsbildung als der nächste große Fortschritt in der Menschheitsgeschichte angesehen und daher auch durch den Historismus, der eine geschichtsphilosophisch-teleologische Sicht auf den Lauf der Weltge- schichte implizierte122, geradezu herbeigesehnt und heraufbeschworen. Dies förderte zudem die geschichtliche Darstellung im Geiste des nationalen Pathos.

3.2.2.1.1. Kritik am Historismus

Der Historismus wurde aufgrund seiner völligen Hinwendung zur Vergangenheit kritisiert, da diese Art der Geschichtsschreibung keinen Gegenwartsbezug mehr aufweise.123 Eine Ge- schichtswissenschaft, die nur ihrer selbst willen betrieben werde und nicht aus den Bedürfnis- sen und Erfordernissen der Gegenwart resultiere, sei für die Gegenwart und Zukunft bedeu- tungslos! Die Geschichte würde dann lediglich zu einem „ungeheuren Strom von Geschehnissen, der sich durch die Zeit dahinwälzt.“124 Der Sinn und Nutzen der Historie für das Leben wurde daher zu Recht in Frage gestellt.125

Ein weiterer Kritikpunkt am Historismus war die einseitige Ausrichtung an einer Politik- und Staatsgeschichte der „großen Männer“. Der Geschichtsschreibende des Historismus begnügte sich damit, „einen Kausalnexus von verschiedenen Momenten der Geschichte zu etablieren“, indem er sich die „Abfolge von Begebenheiten durch die Finger laufen [ließ], wie einen Rosen- kranz.“126 Dabei ist die Geschichte eben nicht nur eine „einzige Abfolge von Haupt- und Staatsak- tionen“ von „großen Männern […], die als freischwebende Willensenergien den Weltenlauf auf Bahnen stoßen, die Willkür und Wahnwitz ihnen soufflieren.“127 Dennoch prägte das historisti- sche Denken die Geschichtswissenschaft bis weit ins 20. Jahrhundert herauf, obschon die Ent-

122 Vgl. Iggers (1993), 97. 123 Nietzsche äußerte in seinen Unzeitgemäßen Betrachtungen: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben in erster Linie eine Historismuskritik, ohne aber den Terminus Historismus überhaupt zu ken- nen. Er kritisierte das damalige Bewusstsein und Denken, das sich ganz auf die Geschichte konzentrierte und keinen Gegenwartsbezug aufwies. Vgl. Jaeger & Rüsen (1992), 5f. 124 Max Weber zit. n. Jaeger & Rüsen (1992), 191. 125 Nietzsches Lösung für die Geschichtswissenschaft besteht darin, dass sie überhaupt aufhöre zu existie- ren. Er unterteilt den Dienst der Historie für das Leben in eine monumentale, antiquarische und kritische Historie. Eine rein objektive Geschichtswissenschaft wird dabei aber nicht berücksichtigt. Vgl. Wittkau (1994), 51–53. 126 Benjamin (2007), 139. Benjamin kritisierte den Historismus und setzte ihm den historischen Materia- lismus entgegen. Nach Benjamin begreife der „gute [materialistische] Historiker“ die Geschichte als „Jetzt- zeit“, indem er „Fragen aus der Gegenwart an die Geschichte, als seiner Epoche an die vorangestellte Epo- che, stellt.“ Vgl. Benjamin (2007), 139. 127 Fest (2007), 257. 27 stehung der Sozialwissenschaft um 1900 zu Ansätzen einer Kultur- und Gesellschaftsgeschichte führte.128

3.2.2.1.2. Überwindung des Historismus

Die Anwendung der historistischen Denkweise auf nahezu alle Kulturbereiche des menschlichen Lebens, wie Politik, Recht, Wirtschaft, Kunst und Musik, führte zur historischen Relativierung allen Denkens, Wissens und Handelns.129 Mithin brachte dies die Erkenntnis, dass alles Seiende der Vergänglichkeit und zeitlich-relativen Geltung unterläge und daher auch normative Werte wie Ethik und Religion gezwungenermaßen nichts mehr Ewig-Gültiges darstelle:

„Die geschichtswissenschaftliche Erkenntnis stellte neben die Wertkonzepte der Gegenwart die Wertkonzepte der Vergangenheit. Indem sie aber dieses tat, offenbarte sie die nur zeitlich begrenzte Geltung von Werten überhaupt. Die festen Bezugspunkte, an denen man sein Han- deln orientieren konnte, gerieten ins Wanken.“130

Die normativen Werte des 19. Jahrhunderts, die noch sehr stark moraltheologisch geprägt wur- den, wirkten sich immens auf die Sicht der Geschichte und deren Darstellung aus.131 Der durch den Historismus ausgelöste Werterelativismus führte schließlich zur Erkenntnis, dass Wissen- schaft und Weltanschauung einer strikten Trennung bedürfen und dass die Geschichte dennoch zur Werterkenntnis beitragen könne, wenn sie nur aus der „uns umgebende[n] Wirklichkeit des Lebens“ befragt würde.132

128 Vgl. Jordan (2009), 76. 129 Vgl. Wittkau (1994), 13f. 130 Wittkau (1994), 14f. 131 Die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wurde sehr stark von der Geschichtsphilosophie beein- flusst, wie etwa im Lichte einer hegelianischen Heilsgeschichte. Vgl. Angehrn (2004), 22. Nach Droysen beispielsweise verfolge die Geschichte einen bestimmten Sinn, der sich im göttlichen Willen äußere: „Un- ser Glaube giebt uns den Trost, daß eine Gotteshand uns trägt, daß sie die Geschicke leitet, große wie klei- ne. Und die Wissenschaft der Geschichte hat keine größere Aufgabe, als diesen Glauben zu rechtfertigen; darum ist sie Wissenschaft. Sie sieht und findet in jedem wüsten Wellengang eine Richtung, ein Ziel, einen Plan, sie lehrt uns Gottes Wege begreifen und bewundern; sie lehrt uns in deren Verständniß erlauschen, was uns des Weiteren zu erhoffen und zu erstreben obliegt.“ Droysen (1846), 5. 132 Vgl. Wittkau (1994), 143. Nach Annette Wittkau löste Max Weber das Problem des Werterelativismus durch sein Postulat der wissenschaftlichen Wertfreiheit. Nach Weber seien Tatsachenerkenntnis und Wer- terkenntnis in der Wissenschaft strikt zu trennen. Aus den wissenschaftlichen Tatsachenerkenntnissen könne der Forscher „zur Klarheit“ gelangen, indem er diese an seinen Werterkenntnissen misst und Re- chenschaft ablegt. Die Entscheidung aber für ein bestimmtes Wertkonzept müsse jedoch „vom Leben her getroffen werden.“ Vgl. Wittkau (1994), 143. Weber betont, dass Wissenschaftler/innen als Privatmen- schen zwar eine Meinung äußern dürfen, nicht aber als Lehrende und Forschende. Vgl. Weber (1988), 493. 28 3.2.3. Fazit: Das Ende der Nationalgeschichten?

Die Feststellung, dass es keine absolute Wahrheit gibt, ist essentiell für eine pluralistische Ge- schichtswissenschaft, die nur im freien Meinungsaustausch Bestand haben kann. „Politische Un- freiheit und die Verpflichtung des Denkens auf eine deterministische Logik, die zu erkennen glaubt, ‚was die Welt im Innersten zusammenhält‘, machen Geschichtswissenschaft unmög- lich.“133

Dennoch wurden Historismus und Nationalhagiographie noch lange Zeit bis ins 20. Jahrhundert bewusst oder unbewusst weiter betrieben. Daran änderte auch deren Instrumentalisierung durch totalitäre Ideologien des Faschismus, Nationalsozialismus und Bolschewismus nichts. „Für einen unmittelbaren Paradigmenwechsel fehlten sowohl die Inhalte als auch die institutionellen und personellen Voraussetzungen.“134 Viele Geschichtelehrpläne beruhen auch heute noch viel- fach auf deren Grundlage. „Nationalgeschichte wirkt wohl unterschwellig immer noch weiter, auch wenn in der akademischen Geschichtswissenschaft andere wissenschaftliche Zugänge und Fragestellungen an ihre Stelle getreten sind.“135

4. THESEN UND FORSCHUNGSFRAGEN

Die „Bewältigung“ der Vergangenheit nach Millionen von Toten führte in den ehemals national- sozialistischen bzw. faschistischen Staaten Deutschland, Österreich und Italien zu einem beson- deren Umgang mit der eigenen nationalen Geschichte und ist ein Indiz für die komplexen Me- chanismen und Methoden einer Geschichtskultur. Jede Gegenwart macht sich ihre Vergangen- heit so zu Eigen, dass sie für ihre gegenwärtige Situation erträglich und für die Zukunft wieder hoffnungsvoll wird. Da sich die Anforderungen der Gegenwart im Laufe der Zeit verändern, wandelte sich auch das Bild der Vergangenheit. Die Geschichtskultur nach 1945 durchlief daher mehrere Phasen, die typisch für die „Bewältigung“ einer traumatischen Vergangenheit sein kön- nen:

1. Der radikale Bruch mit der unmittelbaren Vergangenheit steht am Anfang einer allge- meinen Geschichtsrevision, die durch eine rigorose Umdeutung und Neuinterpretation der jüngsten Geschichte gekennzeichnet ist. Damit einhergehend werden neue Ge-

133 Jordan (2009), 216. 134 Hye & Mazohl (2009), 11f. 135 Hye & Mazohl (2009), 11. 29 schichtsbilder konstituiert, die sich wesentlich von den unmittelbaren Erfahrungen und Erinnerungen einer breiten Masse abheben und lediglich einen kleinen Ausschnitt der historischen Realität widerspiegeln. Dies führt gleichsam zu einer Verengung und Ver- einfachung der komplexen Vergangenheit auf einzelne subjektive geschichtliche Wahr- nehmungen, die eine allgemeine Auseinandersetzung mit der „unbequemen“ histori- schen Realität ersparen. In der Nachkriegszeit war dies insbesondere die Wahrnehmung als Opfer oder als Widerstandskämpfer. Durch den „Abschied von der bisherigen Ge- schichte“ wird die historische Realität durch eine neue, stark vereinfachte und reduzier- te „Geschichte“ ersetzt. Die unmittelbare Nähe der Vergangenheit erlaubt es allerdings nicht, diese selbst im Bausch und Bogen zu verdrängen, sondern eher, sie durch die Stif- tung einer neuen historischen Realität zu überlagern.

2. Die ständige Konfrontation mit der sich immer wieder vergegenwärtigenden Vergan- genheit führt schließlich zur gänzlichen Verdrängung derselben. Die „Abrechnung mit der Vergangenheit“ stellt gleichsam den Versuch dar, die gesamte jüngste Geschichte un- geschehen zu machen und die noch vorhandenen Erinnerungen an sie auszuradieren. Diese Phase ist durch eine hohe Binnenintegration, Solidarisierung und Geschlossenheit innerhalb der Gesellschaft gekennzeichnet. Mahner an die Vergangenheit werden ausge- grenzt oder selbst an den Pranger gestellt. Die Verdrängung der Vergangenheit ist eine im Lauf der Geschichte zahlreich erprobte Methode der Vergangenheitsbewältigung und geschieht als unbewusster kollektiver Akt, welcher auf die Zukunft ausgerichtet ist. Dadurch soll das erneute Hereinbrechen der Vergangenheit samt ihres Leids in die Ge- genwart unterbunden werden.

3. Die verdränge Vergangenheit muss sich allerdings immer wieder vergegenwärtigen, wie ein unbewältigtes Trauma. Daher folgt eine Phase der ständigen „Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“, die progressive aber auch regressive Elemente beinhaltet. Diese Phase wird begleitet von einer Auseinandersetzung verschiedener Erinnerungen, die durchaus auch synchron und diachron zueinander verlaufen können und allmählich zur Modifikation und Modulation der bisherigen Erinnerungskultur führen. Getragen wird diese Phase der Auseinandersetzung zwischen „heißen“ und „kalten Erinnerungen“ (Claude Lévi-Strauss & Jan Assmann) von verschiedensten Akteur/innen in ihren jewei- ligen Arenen und unterliegt gesellschaftlichen (Generationenwechsel), kulturellen (Pa- radigmenwechsel), wirtschaftlichen (Globalisierung), technischen (Medialisierung) und politischen (Europäisierung, Internationalisierung) Veränderungen. Das Schweigen wird erstmals in Ansätzen von einer jungen Generation, welche das Trauma nicht mehr selbst

30 erlebt hat, gebrochen. Eine ältere Generation der Zeitzeugenschaft allerdings stemmt sich mit aller Kraft gegen den Aufbruch des Schweigens.

4. Es folgt die „Anerkennung der Vergangenheit“, da das „Beschweigen“ bzw. Verdrängen des Traumas nicht mehr opportun bzw. vonnöten ist, weil die in der dritten Phase von- stattengehenden Strukturveränderungen schließlich vollzogen bzw. abgeschlossen wur- den und einen allgemeinen Wandel der Erinnerungskultur evozieren. Währenddessen die Zeitzeugenschaft immer kleiner wird, stellen sich die Nachfahren ihrer historischen Verantwortung, da sie sich nicht mehr unmittelbar für die Verbrechen ihrer Vorfahren schuldig fühlen. Sie brechen nicht nur das Schweigen, sie erklären die Auseinanderset- zung mit dem Thema zur Normalität. Die „Anerkennung der Vergangenheit“ gehört zu einem neuen Selbstverständnis, das es erstmals ermöglicht, die „Last der Vergangenheit“ (Aleida Assmann) zu verinnerlichen und dadurch in einer „positiven“ Form zu „bewälti- gen“. Viele Nationen nutzten das Ende des Kalten Krieges und der geschichtspolitischen „Eiszeit“ dazu, eigene nationale Traumata aufzuarbeiten und ihre Schuld einzugestehen.

5. Die vorerst letzte Phase überwindet die streng nationale Erinnerungskultur entlang der staatlichen Grenzen und überführt das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg, insbesonde- re aber an jene der Schoah, in eine europäische, wenn nicht sogar in eine internationale Erinnerungskultur. Ziel ist dabei nicht eine streng homogenisierte europäische bzw. in- ternationale Geschichte, sondern vielmehr das „dialogische Erinnern“ zwischen den Na- tionen, was zur Abrüstung der nationalen Mythen und zum Zusammenrücken der Staa- ten führt. Dies könnte allerdings neue Geschichtsmythen stiften – wie beispielsweise ei- nen „Europa-Mythos“ –, welche die Vergangenheit nun wirklich zu „bewältigen“ versu- chen.

Die hier vorgestellten fünf Phasen der Erinnerungskultur nach 1945 verlaufen nicht streng ge- trennt, sondern vielmehr fließend ineinander über. Sie geben daher nur eine grobe Richtlinie, die den Wandel der Erinnerungskultur nach dem Zweiten Weltkrieg in mehrere Etappen zu skizzieren versucht, um ihre Entwicklung besser zu veranschaulichen. Da die „langen Schatten der Vergangenheit“ bis in die heutige Gegenwart reichen und die „zweite Geschichte“ noch im- mer nicht abgeschlossen ist, können diese fünf Phasen der Erinnerungskultur nach 1945 keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.

Es gibt keine standardisierte Norm oder Richtschnur für die Entwicklung von Erinnerungskultu- ren. Individuelle Unterschiede zwischen den Nationen führen auch zu individuellen Entwicklun- gen in der jeweiligen Erinnerungskultur. Es gibt daher keine „bessere“ oder „schlechtere“ Erin- nerungskultur. Urteile über die Entwicklung nationaler Erinnerungskulturen werden damit hin-

31 fällig, insofern sie nicht die historische Verantwortung betreffen, der sich alle Nationen irgend- wann einmal stellen müssen.

Die Beziehung zwischen öffentlicher Erinnerungskultur und den Geschichtswissenschaften nach 1945 ist sehr interessant, verrät sie nicht nur den Stellenwert der wissenschaftlichen Disziplin bei der soziokulturellen Konstitution des nationalen Geschichtsbildes, sondern veranschaulicht auch die Dichotomie der Historiker/innen als Angehörige der wissenschaftlichen Eliten sowie als Angehörige des öffentlichen Lebens. Die Entwicklung der Geschichtswissenschaften spiegelt das Spannungsverhältnis geschichtswissenschaftlicher Aufgabenbereiche wider, die sich aus der Orientierungsfunktion für die Öffentlichkeit einerseits und dem Wahrheitsanspruch der Wissen- schaften andererseits ergeben. Folgende Thesen können für die Geschichtswissenschaften in Deutschland, Österreich und Italien nach 1945 festgehalten werden:

 Die Geschichtswissenschaften verharrten auch nach 1945, gerade aufgrund der trauma- tischen Vergangenheit, weitgehend in den Bahnen der konventionellen Nationalge- schichtsschreibung, da alle Aufmerksamkeit, auch jene der Historiker/innen, vorwiegend auf das eigene nationale Trauma gelegt wurde. Die Geschichtswissenschaft konnte sich daher auch nach 1945 nicht in ausreichender Form von einseitig nationalpolitischen Denkmustern lösen und übernahm diese vielfach.

 „Unbequemen“ historischen Themen wird erst dann eine breite geschichtswissenschaft- liche Aufmerksamkeit zuteil, wenn diese opportun sind und dem allgemeinen Zeitgeist entsprechen, da sich die geschichtswissenschaftliche Forschung sehr stark an gegenwär- tigen Wünschen und Interessenlagen der Öffentlichkeit (z.B. Jubiläumsfeierlichkeiten) orientiert. Umgekehrt stoßen kritische historische Studien erst dann auf ein breites öf- fentliches Gehör, wenn eine allgemeine Bereitschaft dazu vorhanden ist. Die Wechselbe- ziehung und das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Öffentlichkeit und Geschichtswissen- schaften sind wesentliche Gründe dafür, warum sich die Aufarbeitung so mancher „hei- ßer Eisen“ der eigenen nationalen Vergangenheit hinausgezögert hat.

 Historiker/innen haben nach einem traumatischen und einschneidenden Erlebnis, wie es der Zweite Weltkrieg eines war, vielfach nicht die Kraft und die nötige objektive, zeitli- che sowie räumliche Distanz, eine Geschichtsschreibung frei von Geschichtsapologetik zu betreiben. Die Geschichtswissenschaft steht nicht außerhalb ihrer Zeit, sondern ist ihr angehörig. Historiker/innen laufen daher ständig Gefahr, durch eine unreflektierte Ge- schichtswissenschaft selbst zur Bildung von Geschichtsmythen beizutragen. Ihnen fehlt gelegentlich die nötige zeitliche und räumliche Distanz zu ihrem Forschungsgegenstand.

32  Aufgrund ihres Expert/innenstatus‘ sehen sich Historiker/innen nach geschichtlichen Umbrüchen dazu auserkoren – insofern sie selbst von der Vergangenheit unbelastet sind – als Meinungsmacher/innen zu fungieren und das öffentliche Geschichtsbild zu beein- flussen. Ihre Intention ist die eines „Friedensstifters“ zwischen Gegenwart und Geschich- te, um die wiederhergestellte Ordnung nach dem Umbruch mit allen Mitteln zu bekräfti- gen. Die Historiker/innen bemühen sich daher die nationale Geschichte so vorteilhaft wie nur möglich darzustellen und jüngste historische Disharmonien, welche die wieder- gewonnene Stabilität zerstören könnten, einfach auszublenden.

 Die Diskontinuität der jüngsten Geschichte evoziert das gesellschaftliche Verlangen nach neuer historischer Sinnbildung und Identitätsstiftung. Die Geschichtswissenschaften nach 1945 halfen durch ihren Rückgriff auf die eigene Nationalgeschichte vielfach dabei, eine nationalgeschichtliche Kontinuität durch eine Re-intensivierung nationaler Identität wiederherzustellen und die Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft erneut mit Sinn und Bedeutung aufzuladen. Eine Geschichtswissenschaft aber, die sich ausschließ- lich in den Dienst gegenwärtiger Interessen stellt, handelt ahistorisch. Dies öffnet der In- strumentalisierung der Geschichte sowie Bildung von Geschichtsmythen Tür und Tor.

 Veränderungen in der Geschichtswissenschaft (neue Historiker/innen, Forschungsan- sätze, Methoden, Paradigmata etc.) sind sehr eng mit allgemeinen Strukturveränderun- gen aus Gesellschaft, Kultur, Politik, Wirtschaft, Technik etc. verbunden. Die Entwicklung der Geschichtswissenschaft ist daher sehr stark auf exogene Einflüsse bezogen. Die ge- schichtswissenschaftlichen Forschungsmethoden verändern sich daher nicht schlagartig durch neue Methoden und Erkenntnisse, sondern durchlaufen eher einen fließenden Wandel, der zu neuen Denkweisen und Arbeitsweisen führt. Die Historiker/innen rea- gierten daher meistens mit Verzögerung auf einen allgemeinen geschichtsmentalen Wandel, der in erster Linie von einer viel dynamischeren Öffentlichkeit initiiert wird.

 Historiker/innen sind nur „Mitstreiter“ im Aushandlungsprozess des (nationalen) Ge- schichtsbildes, das im Wesentlichen von der Öffentlichkeit bestimmt wird, auch wenn die Eliten, insbesondere die Politik, großen Einfluss darauf nehmen können. Eine Erinne- rungskultur wird von vielen Akteur/innen und ihren Arenen beeinflusst. Die Ge- schichtswissenschaft ist ein wichtiger „Player“ in diesem Aushandlungsprozess, der sich aber erst Gehör verschaffen muss. Public Relations werden daher immer wichtiger für Historiker/innen.

 Die Globalisierung führt auch in den Wissenschaften zu einer Steigerung transnationaler geschichtswissenschaftlicher Bezüge und Zusammenarbeit, welche die einseitige Natio- 33 nalhagiographie überwindet. Geschichte wird über Landesgrenzen hinweg geschrieben, was in Europa zweifellos zur Stiftung einer europäischen Identität führen wird. Aller- dings könnte dadurch ein neuerlicher Geschichtsrevisionismus unter dem Vorzeichen eines „paneuropäischen“ Nationalismus entstehen, welcher die Geschichtsschreibung erneut für nationalistische Zwecke instrumentalisiert.

So unterschiedlich auch Deutschland, Österreich und Italien sein mögen, weisen alle drei Staaten große Gemeinsamkeiten in ihrer Geschichtskultur nach 1945 auf. Auch die Geschichtswissen- schaften nahmen, mutatis mutandis, eine ähnliche Entwicklung. Selbst das kleine Südtirol wurde nach 1945 zum Tummelplatz zahlreicher geschichtlicher Mythen, die von jenen der großen Na- tionen kaum abzuweichen scheinen. Der Vergleich offenbart aber auch nationale und regionale Besonderheiten. Im Allgemeinen können aber folgende Thesen zur Geschichtskultur festgehal- ten werden:

 Eine Erinnerungskultur ist, auch wenn sie in erster Linie für eine regionale bzw. nationa- le Personengruppe verbindlich und identitätsstiftend ist, mit anderen Erinnerungskultu- ren vergleichbar. Besonders der Umgang mit einer traumatischen Vergangenheit offen- bart die überindividuelle Beschaffenheit von Erinnerungskulturen. So wurde die Altlas- ten der Vergangenheit nach 1945 in vielen Staaten zu entsorgen versucht. Daraus schlie- ße ich, dass Erinnerungskulturen im Wesentlichen von allgemein gültigen humanpsycho- logischen und neurologischen Reaktionen und Vorgängen geprägt werden. Per se sind solche psychologischen und neurologischen Funktionen nur in einer Einzelperson vor- handen. Eine Erinnerungskultur wird also von einem unbewussten kollektiven Akt vieler Einzelpersonen und ihren psychologischen und neurologischen Vorgängen geprägt und gesteuert.

 Eine Erinnerungskultur ist darauf ausgerichtet, die Vergangenheit mit Sinn und Bedeu- tung zu füllen und sie durch ihre Rezeption und Interpretation in Geschichte zu trans- formieren. Die von einer bestimmten Personengruppe ausgeformte Geschichte stellt gleichsam eine gemeinsame Erzählung oder Biographie dar, welche das Kollektiv zu- sammenschweißt. Einer Erinnerungskultur obliegt damit im hohen Maß eine Sozialisati- onsfunktion.

 Eine Erinnerungskultur wird von einer Vielzahl von Akteur/innen geprägt, die den zivil- gesellschaftlichen Aushandlungsprozess um das nationale Geschichtsbild verhandeln. Er- innerungskulturen unterliegen also sehr stark verschiedensten Interessen und Denk- mustern aus unterschiedlichen Bereichen, Generationen und Ideologien. Eine Erinne- rungskultur kann daher eine Vielzahl von Geschichtsbildern enthalten. Nach traumati- 34 schen Vergangenheiten, die das Zusammenrücken der Gesellschaft evozieren (z.B. nach gemeinsam erlittenem Leid), treten pluralistische Ansichten über die Vergangenheit zu- rück oder werden ausgeblendet, was zu einer Homogenisierung des Geschichtsbildes und der Erinnerungskultur führt.

 Traumatische Vergangenheiten evozieren nicht nur eine Homogenisierung, sondern auch eine Dramatisierung der eigenen Vergangenheit. Insbesondere das eigen erlittene Leid wird in den Vordergrund eines nationalen Geschichtsdramas gestellt, hinter dem andere, „unbequemere“ Geschichtsbilder in den Hintergrund treten. Die Dramatisierung ermöglicht es, die Vergangenheit durch kollektive Trauer zu verarbeiten. Sie führt aller- dings zu einer einseitigen, nationalen und egozentrischen Erinnerungskultur, welche die Geschichte anfällig für Vereinfachungen, Vereinheitlichungen und Verfälschungen macht.

 Das „Beschweigen“ und Verdrängen der Vergangenheit ermöglicht es Erinnerungskultu- ren nach traumatischen Ereignissen das erneute Hereinbrechen der Vergangenheit zu erschweren. Wie ein unbewältigtes Trauma muss sich allerdings die „beschwiegene“ Vergangenheit ständig aufs Neue vergegenwärtigen, bis sie nicht mehr verdrängt wird. Jede Vergangenheit, auch eine wenig traumatischere, muss auf die eine oder andere Wei- se „bewältigt“ werden. In Erinnerungskulturen manifestieren sich psychologische und neurologische Prozesse der Vergangenheitsbewältigung.

Erinnerungskulturen und ihre Dynamiken spiegeln den menschlichen Umgang mit seiner Ver- gangenheit wider. Sie entscheiden darüber, was wie erinnert und was vergessen werden darf. Dabei folgen sie in erster Linie dem Orientierungsbedürfnis der Gesellschaft und nicht dem Wahrheitsanspruch der Wissenschaften. Laut Friedrich Nietzsche solle die Geschichte nur so- weit betrieben werden, insofern sie für das Leben dienlich ist.136 Ich gehe davon aus, dass eine Erinnerungskultur dies unbewusst macht: Sie betreibt und manifestiert Geschichte nur insofern sie für das Leben erträglich ist. Grund dafür sind allzu menschliche Reflexe, die meist unbewusst vonstattengehen und unsere Geschichtskultur konstitutiv prägen.

Die Sicht auf die Vergangenheit, besonders auf jene traumatische Vergangenheit de r Faschismen und des Zweiten Weltkrieges, hat sich seit 1945 zahlreich geändert. Wir sehen uns heute vielfach als eine kritische, aufgeklärte und von der Vergangenheit gänzlich geläuterte Erinnerungskultur, welche die Vergangenheit anerkannt und dadurch schließlich „bewältigt“ hat. Dies bewegt uns

136 Friedrich Nietzsche (1874) kritisiert in seiner Abhandlung Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben die Geschichtswissenschaft, da sie Geschichte im Überfluss betreibe: „Gewiß, wir brauchen die His- torie, aber wir brauchen sie anders, als sie der verwöhnte Müßiggänger im Garten des Wissens braucht […]. Das heißt, wir brauchen sie [die Geschichte] zum Leben und zur Tat, nicht zur bequemen Abkehr vom Leben und von der Tat oder gar zur Beschönigung des selbstsüchtigen Lebens und der feigen und schlech- ten Tat. Nur soweit die Historie dem Leben dient, wollen wir ihr dienen“. Nietzsche (1990), 155. 35 häufig dazu, die Verdrängung der Vergangenheit nach 1945 kritisch und ablehnend zu beurtei- len. Mit Abscheu halten wir uns vor Augen, wie unsere Vorfahren die Vergangenheit verdrängt und verleugnet haben, wie Täter ungestraft davonkamen, wie Opfer unentschädigt vergessen wurden und wie das begangene Unrecht ungesühnt und mit anderen Mitteln fortgeführt wurde. Dürfen wir aber diese Erinnerungskultur retrospektiv verurteilen? Wie steht es um unsere heutige Erinnerungskultur? Ist die „Geschichte, die nicht vergehen will“ nun endgültig vergangen, „bewäl- tigt“ und „Geschichte“ geworden?

36 GESCHICHTE, DIE NICHT VERGEHEN WILL

“I think we agree, the past is over.” George W. Bush137

Die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg stellte die Nachkriegsgesellschaften ver- schiedenster Staaten und Nationen vor große Herausforderungen, deren Bewältigung ein schwerwiegender und langanhaltender Prozess darstellt, der bis dato anhält. Die Erinnerung an den Faschismus, Nationalsozialismus und Bolschewismus, an Holocaust und Euthanasie, an Op- fer und Täter, bilden das ewige Vermächtnis jener Zeit – einer Geschichte, die nicht vergehen will, die nicht vergehen kann! Es ist eine Geschichte, die bis heute wirkt und noch lange nach- wirken wird.

1. DIE „ZWEITE GESCHICHTE“

Die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg, mit Schuld und Verantwortung an Kriegs- verbrechen, Unterdrückung und Leid, bilden nun eine eigene, facettenreiche und jahrzehntelan- ge Geschichte – eine zweite Geschichte138 also: Die Geschichte der Auseinandersetzung mit jener Geschichte. Diese zweite Geschichte dauert auch heute noch an und wird solange nicht abge- schlossen sein, solange die Abermillionen Toten der totalitären, faschistischen Regime und des Zweiten Weltkrieges nicht vergessen werden.

Die zweite Geschichte ist weder eine Geschichte von der Dunkelheit ans Licht noch eine von der Verschwiegenheit zur Aufklärung. Vielmehr wurde sie geprägt von den jeweiligen Interessen der Gegenwart, welche die Vergangenheit auf ihre Art und Weise zu bewältigen versuchten, um die Jetztzeit wieder erträglich und die Zukunft wieder erwartungsvoll zu gestalten. Damit einher ging die wichtige Suche nach einer neuen nationalen Identität, auf deren Basis sich neue politi- sche Verhältnisse legitimieren sollten.139 „In pluralistischen Gesellschaften – und gerade in Transformationsgesellschaften, die den Übergang von der Diktatur zur Demokratie zurücklegen

137 George W. Bush bei einem Treffen mit John McCain im Mai 2000. 138 Peter Reichel bezeichnet in seinem Buch Vergangenheitsbewältigung in Deutschland (2001) die Ausei- nandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der gesamtdeutschen Nachkriegszeit und folgend als die „zweiten Geschichte des Nationalsozialismus“: „Aus der seit Jahrzenten anhaltenden Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur und ihren Gewaltverbrechen ist längst eine eigene, facettenreiche Geschichte gewor- den. Es ist die zweite Geschichte des Nationalsozialismus.“ Reichel (2001), 199. 139 Vgl. Reichel (2001), 199–201. 37 – findet ein permanenter Kampf um Deutung und Diskurshoheit, ein überaus notwendiger Wett- streit der Erinnerungen statt.“140

Die zweite Geschichte wurde so zu einem Schlachtfeld verschiedenster Erinnerungskulturen, die von unterschiedlichen Akteuren in ihren spezifischen Arenen wie Politik, Kunst, Religion, Jour- nalismus, Geschichtsschreibung et al. sowie ihren jeweiligen Interessen, Überzeugungen und Weltbildern geprägt wurde.141 Dies erklärt, warum die Auseinandersetzungen mit der Vergan- genheit – besonders aber mit jener der Zeit- und Nationalgeschichte – im Lauf der Jahrzehnte so viele unterschiedliche Erinnerungskulturen und -narrative hervorgebracht haben, die nicht durchgehend einheitlich und homogen, sondern vielmehr dynamisch und divergent zueinander verliefen.142 Besonders die ersten Jahre des Systemumbruchs wurden geprägt von einer Plurali- tät konkurrierender Geschichtsbilder.143 Bis dato hat sich „kein kohärentes kommunikatives und kulturelles Gedächtnis herausgebildet, sondern ein ‚Mosaik distinkter […] Erinnerungskultu- ren‘.“144 „Insgesamt sind in Europa nach 1945 ‚Kaskaden der Vergangenheit‘ entstanden. Sie ha- ben sich – wenngleich nicht direkt – in einem mehrfachen Wandel der Erinnerungen niederge- schlagen, die damit wiederholt umgeschrieben oder überschrieben worden sind.“145

Da sich die Art des Erinnerns immer noch nicht verfestigt hat, ist die zweite Geschichte auch heute noch nicht abgeschlossen. Erinnerungen sind pluralistisch, zeitlich und räumlich gebun- den, und daher eben stets umstritten. Solange keine einheitliche Erinnerungskultur gefunden wurde, ist eine positive „Bewältigung“ der Vergangenheit zum Scheitern verurteilt. Dies ist der Grund, warum die Geschichte nicht vergehen will und sich ständig aufs Neue vergegenwärtigt muss.

Besonders der Umgang mit der individuellen und kollektiven Schuld und Verantwortung wirkte wie eine schwere „Last der Vergangenheit“146 auf die Nachkriegsgesellschaften, deren sie sich so schnell wie möglich zu entledigen versuchten. So unterschiedlich aber auch diese Last in den jeweiligen nationalen und gesellschaftlichen Kontexten empfunden worden sein mag, lassen sich dennoch – mutatis mutandis – Gemeinsamkeiten im Umgang mit jener traumatischen Vergan- genheit erkennen, deren Ausgangspunkt die Verwerfung und Neuinterpretation der bisherigen Geschichte darstellt.

140 Sachse & Wolfrum (2008), 13. 141 Vgl. Lingen (2009b), 11; Sachse & Wolfrum (2008), 13. 142 Vgl. Bauerkämper (2012), 17. 143 Vgl. Sachse & Wolfrum (2008), 16. 144 Bauerkämper (2012), 17. 145 Bauerkämper (2012), 30. 146 Assmann (2009), 46. 38 1.1. „ABSCHIED VON DER BISHERIGEN GESCHICHTE“

In der zeitgenössischen Wahrnehmung bedeutete das Ende des Zweiten Weltkrieges ein Fanal des Kontinuitätsbruchs und Neubeginns147, die Illusion einer Stunde Null148 und den Abschied von der bisherigen Geschichte149 überhaupt. Das Jahr 1945 wurde zum Wendepunkt der Geschichte verklärt; zunächst im kommunikativen Gedächtnis des Zeitgeists, bildet es auch heute noch ei- nen essentiellen Bestandteil der kulturellen Gedächtnisse jener Nachfahre-Gesellschaften.

Der radikale Bruch mit der eigenen Vergangenheit wurde zur Grundlage für eine Neudefinition nationaler Identität. „Die nationalen Identitäten bildeten sich nach 1945 teilweise neu, da ihr Kern, der Ausgangspunkt vor dem Zweiten Weltkrieg beschädigt wurde und daher ersetzt oder umgedeutet werden musste.“150 Die Frage war nicht, ob man sich von der Geschichte distanzie- ren sollte oder nicht – dies taten alle Nachfolgestaaten des Nationalsozialismus und des Fa- schismus – die Frage lautete vielmehr, wie dies geschehen sollte.151

„Der Horizont ist eng geworden. Man mag nicht hören von Schuld, von Vergangenheit, man ist nicht betroffen von der Weltgeschichte. Man will einfach aufhören zu leiden, will heraus aus dem Elend, will leben, aber nicht nachdenken. Es ist eher eine Stimmung, als ob man nach so furchtbarem Leid gleichsam belohnt, jedenfalls getröstet werden müßte, aber nicht noch mit Schuld beladen werden dürfte.“152

147 Nach Alessandro Cavalli stehe das „Nullpunkt-Muster“ am Anfang der Rekonstruierung des kollektiven Gedächtnisses nach katastrophalen Ereignissen: Das traumatische Ereignis führe zu einem Neubeginn im Leben der betroffenen Gruppe oder Gesellschaft, da das katastrophale Erlebnis als eine große Diskontinui- tät empfunden werde. Durch den Neubeginn werde mit der Vergangenheit abgeschlossen und zugleich eine neue Ära eingeleitet. Der Wendepunkt selbst werde überhöht und als Wiedergeburt gefeiert, was häufig zu einer idealisierten Verklärung der Vergangenheit führe, wodurch eine jede Kultur ihren eigenen Gründungsmythos entwickle. Falls die Vergangenheit als eine Last empfunden wird, werde sie nach Caval- li zu entledigen versucht. Diesen Prozess vergleicht Cavalli mit dem, was die Psychoanalyse unter dem Begriff der Verdrängung versteht. Vgl. Cavalli (1997), 458f. 148 Die „große Geschichtsverdrossenheit der Deutschen“ führte nach Joachim Fest zu einem Ausstieg aus der Geschichte selbst, durch lauter Abschiede und Traditionsbrüche, nebst der Proklamation der „Stunde Null“: „Und so war es nicht eigentlich ein Abschied von der Geschichte, was damals stattfand, sondern ein halb aus Überdruß, halb aus dem Bedürfnis nach Selbstverleugnung unternommener Versuch, überhaupt aus der Geschichte auszutreten und gleichsam nur noch, wie Leberecht Hühnchen, den eigenen Garten zu bestellen.“ Fest (2007), 248f. 149 Unmittelbar gegen Ende des Zweiten Weltkrieges konstatierte Alfred Weber bereits einen Wendepunkt in der abendländischen Geschichte, was er in seinem Buch Abschied von der bisherigen Geschichte (1946) zum Ausdruck brachte: „Wir stehen mit der Katastrophe, die wir durchlebt haben und noch durchleben, für jeden, der etwas Blick hat, deutlich am Ende der bisherigen Art der Geschichte, der Geschichte nämlich, die wesentlich vom Abendland her bestimmt war.“ Weber (1946), 10. 150 Lingen (2009b), 18. 151 Vgl. Hammerstein (2008), 52. 152 Jaspers (1946), 29. 39 Der Gründungsmythos153 diente in den Nachfolgestaaten zur Legitimierung und Stabilisierung neuer politischer Eliten. Die Stiftung neuer Traditionen bzw. Mythen stabilisierte die Gegenwart in strikter Abgrenzung zur Vergangenheit.154 Trotz aller Unterschiede ist in allen belasteten Staaten eine gewisse Externalisierung der Schuld festzustellen.

„Durchgängig sichtbar ist, dass immer wieder in das Schatzkästlein einer vermeintlich „gu- ten“ oder, wo das nur schwer möglich ist, einer „heroischen“ Vergangenheit gegriffen wird, um gegenwärtige Zeiten zu meistern. Geschichtspolitisch rückwärtsgewandte Utopien bieten offenbar Halt in einer eher unübersichtlichen Gegenwart.“155

Im Zuge der zweiten Geschichte bildeten die Nachkriegsgesellschaften daher drei sanktionierte Rollen aus, die den Umgang mit der Vergangenheit nachhaltig prägten und teilweise bis heute Eingang in individuelle und nationale Gedächtnisse gefunden haben:

„die des Siegers, der das Böse überwunden hat, die des Widerstandkämpfers und Märtyrers, der gegen das Böse gekämpft hat, und die des Opfers, der das Böse passiv erlitten hat. Was jenseits dieser Positionen und ihrer Perspektiven liegt, kann gar nicht oder nur sehr schwer zum Gegenstand eines akzeptierten Narrativs werden und wird deshalb auf der offiziellen Ebene ‚vergessen‘.“156

1.1.1. Widerstandsmythos

„Insgesamt haben sich die Erinnerungskulturen in den ersten vier Jahrzehnten nach 1945 in nahezu allen europäischen Staaten auf den Widerstand konzentriert.“157 Besonders jene Staaten, die mit den Nationalsozialisten kollaborierten und/oder selbst Kriegsverbrechen begangen hat- ten, schufen einen nationalen Widerstandsmythos.

Italien beispielsweise verklärte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zur Widerstandsnation schlechthin. „Der Widerstand begründete […] eine wirkungsmächtige nationale Tradition mit eigenen Riten und Symbolen und wurde […] zu einem Mythos stilisiert, der das ganze Land er-

153 Gründungsmythen sind nach Katrin Hammerstein „sinngebende, das staatliche Gemeinwesen fundie- rende Narrative, die einen Zusammenhang zwischen der Deutung der Vergangenheit, dem Verständnis der Gegenwart und den Perspektiven der Zukunft herstellen. Derartige Geschichtsbilder dienen der ‚sozia- len Binnenintegration, der kulturellen Identitätsbildung und der politisch-symbolischen Herrschaftslegi- timierung‘ und bieten so Anhaltspunkte der Orientierung und Handlungsoptionen.“ Hammerstein (2008), 39f. 154 Vgl. Hammerstein (2008), 53. 155 Sachse & Wolfrum (2008), 30. 156 Assmann (2009), 47. 157 Bauerkämper (2012), 20. 40 fasste und lange mit Stolz erfüllte.“158 Der italienische Resistenza-Mythos wurde so zum Grün- dungsmythos der Prima Repubblica159 verklärt, der auch heute noch durch eine memoria condivi- sa160, der positiven Erinnerung an Widerstand und Faschismus gleichermaßen, anhält.161

Sogar Österreich, das den Anschluss an das Deutsche Reich 1938 mit überwältigender Begeiste- rung gefeiert hatte, versuchte in der Zweiten Republik den Ständestaat unter Engelbert Dollfuß als „Bollwerk gegen den Nationalsozialismus“ zu etablieren. Dies führte zu innenpolitischen Auseinandersetzungen um die Rolle des Ständestaates bis weit in die 1980er Jahre.162 Die Eh- rung des österr. Widerstandes hielt sich allerdings in Grenzen und wurde eher abgelehnt. Ledig- lich die Kommunistische Partei Österreichs versuchte eine Erinnerungskultur an den Wider- stand zu stiften. Dies führte aber zur Diskreditierung des Widerstandes, da der Kommunismus mehrheitlich abgelehnt wurde.163 Daher wäre die Errichtung eines Denkmals für Widerstands- kämpfer außerhalb Wiens unmöglich gewesen, währenddessen fast jede Gemeinde ein eigenes Kriegerdenkmal errichtete. Der frühen Zweiten Republik ging es insbesondere darum, einen Opfermythos um die gefallenen österr. Wehrmachtsoldaten zu konstruieren, um die „Ehemali- gen“ der Wehrmacht, die im Nachkriegsösterreich immerhin rund 1,2 Millionen Österreicher ausmachten, lückenlos in die Gesellschaft zu re-integrieren. Immerhin buhlten die Österreichi- sche Volkspartei (ÖVP) und Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) gleichermaßen um die Gunst dieser großen Wählerschaft, die gen Ende der 1940er Jahre als „Minderbelastete“ ein- gestuft und damit wieder zu Wahlberechtigen wurden. Außenpolitisch hingegen spielte der Wi-

158 Woller (2010), 197. 159 Mit dem Ausdruck Prima Repubblica wird in Italien das politische System seit der Gründung der Re- publik Italien im Jahr 1948 bis zum Zusammenbruch der politischen Parteienlandschaft und Führungs- schicht im Jahr 1992 bezeichnet. Auslöser für den großen politischen Wandel, der zum Ende der Prima Repubblica führte, war die Justiz, die im Rahmen umfangreicher juristischer Untersuchungen, die sog. mani pulite, das politische Korruptionsgebäude der sog. tangentopoli aufgeworfen hat. Vgl. Heiss (1998), 130. 160 Im Nachkriegsitalien bildete sich zunächst eine memoria divisa, eine geteilte Erinnerung an Faschismus und Widerstand, die von den jeweiligen politischen Lagern von links und rechts positiv aufgeladen wurde. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der politischen Parteienlandschaft geriet auch der Resistenza-Mythos heftig ins Wanken. Vgl. Steinacher (2012b), 315. Gleichzeitig gelang es den neuen Rechten in Italien den Faschismus wieder salonfähig zu machen. Dies führte in den 1990er Jahren zu einem Wandel in der Erinnerungskultur zu einer memoria condivisa, einer gemeinsamen, positiv kon- notierten Erinnerung an Faschismus und Widerstand. Vgl. Lingen (2009a), 389f. 161 Nach Hans Heiss strahle der Resistenza-Mythos zwar seit den 1990er Jahren keine „mobilisierenden Energien“ mehr auf das staatsbürgerliche Bewusstsein aus, habe aber als herrschendes Paradigma der Nachkriegszeit wesentlich zur Konstitution der Prima Repubblica als eine Nation von Widerstandskämp- fern beigetragen. Die einseitige Untersuchung der italienischen Geschichte auf den Widerstand habe ande- re Bereiche wie die Herrschaftsform und die Tätergruppen des Faschismus vernachlässigt und somit ge- schwächt. Vgl. Heiss (1998), 133f. 162 Die ÖVP versuchte den Ständestaat als Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu glorifizieren und dessen Opfer im Bürgerkrieg auszuklammern, um damit ihre eigenen Wurzeln zu legitimieren. Die SPÖ hingegen kritisierte den Ständestaat unter Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg, da mit ihrem autoritä- ren Regime indirekt der Widerstand gegen den Nationalsozialismus gebrochen worden wäre. Vgl. Bauer- kämper (2012), 216. 163 Vgl. Lehnguth (2013), 64; Uhl (2008), 67f. 41 derstandsstatus Österreichs eine entscheidende Rolle zur eigenen Selbstexkulpation.164 So wur- de beispielsweise der österr. Widerstand durch zahlreiche Dokumente und Nachweise im Rot- Weiß-Rot-Buch165 zu belegen versucht.166

Die österreichische Politik der Nachkriegszeit zeichnete sich durch eine ambivalente Ge- schichtspolitik aus, die innenpolitisch den Opfermythos, außenpolitisch den Widerstandsmythos propagierte167: „Gegenüber den Alliierten waren die Frauen und Männer des Widerstandes die- jenigen, die das eigentliche Österreich verkörperten; gegenüber den Wählerinnen und Wählern hingegen waren Heimkehrer und Bombenopfer diejenigen, die Österreich repräsentierten.“168

Selbst in der BRD wurde der Widerstand gegen den Nationalsozialismus moralisch überhöht. Dadurch sollten die Westintegration in die Staatengemeinschaft und die Wiederaufrüstung so- wie Integration der BRD in die NATO legitimiert werden. Insbesondere die DDR errichtete ihren Gründungsmythos auf dem Fundament des antifaschistischen Widerstandes.169 „Kaum ein Staat hat seine politische Legitimation so stark und so ausschließlich aus dem – omnipräsenten – Gründungsmythos bezogen wie die DDR.“170 Ihre Bürger/innen erklärte sie zum „Volk der Opfer“ des NS-Regimes und zu „Helden des Widerstandskampfes“ gegen den Nationalsozialismus. Die DDR heroisierte den antifaschistischen Widerstand, um dadurch ihre „Befreiung“ vom National- sozialismus durch den Sozialismus zu zelebrieren. Die Niederlage im Zweiten Weltkrieg wurde so zu einem Sieg umgedeutet, um dadurch die Diskontinuität der nationalen Geschichte zu be- wältigen.171 Währenddessen sich die BRD als Nachfolgestaat des Dritten Reiches verstand und die politische Verantwortung für deren Verbrechen auf sich nehmen musste, wurden die DDR- Bürger/innen zu „Sieger der Geschichte“ verklärt. Die DDR externalisierte so ihre Erblast auf die

164 Vgl. Lehnguth (2013), 64–66. 165 Das Rot-Weiß-Rot-Buch (1946) wurde durch ein Schreiben des österr. Außenministers Karl Gruber vom 19. März 1946 initiiert: „Es scheint vom staatspolitischen Standpunkt aus dringend geboten, den ausländischen Regierungen und der Weltöffentlichkeit eine zusammenfassende, mit Dokumenten- und statistischem Material versehene Darstellung der nationalsozialistischen Okkupationspolitik und Okkupa- tionsmethoden zu geben.“ Gruber (2009), 143. Die Notwendigkeit eines solchen Buches formulierte Gru- ber wie folgt: „Zweck dieser Darstellung ist es, die Tatsache zu erhärten, und ihre allgemeine Erkenntnis zu festigen, dass Österreich durch Gewaltmassnahmen und Terror überwältigt und als jeder freien Wil- lensäusserung beraubtes besetztes Gebiet in den Dienst der nationalsozialistischen Aggressions- und Kriegspolitik gezwungen wurde und daher, so wie alle anderen besetzten Staaten, nicht für die Handlun- gen und Auswirkungen dieser Politik verantwortlich gemacht werden kann.“ Gruber (2009), 143f. Das „Rotbuch“ sollte nicht nur die Opferrolle Österreichs unterstreichen, indem es die Moskauer Deklaration von 1943 rezitierte und den österr. Widerstand dokumentierte, sondern insbesondere sollte es eine güns- tigere Verhandlungsbasis in den Friedensverträgen mit den Alliierten schaffen. Vgl. Nachbaur (2009), 13. Laut Ulrich Nachbaur habe das Rot-Weiß-Rot-Buch aber keinen nennenswerten Einfluss auf die Friedens- verhandlungen nehmen können. Vgl. Nachbaur (2009), 104f. 166 Siehe o. V. (1946), 134–164. 167 Der österreichische Politikwissenschaftler Anton Pelinka hat diese Doppelzüngigkeit treffend als ge- schichtspolitischen „double Speak“ bezeichnet. Vgl. Pelinka (1997), 97. 168 Pelinka (2007), 15. 169 Vgl. Bauerkämper (2012), 194. 170 Hammerstein (2008), 42. 171 Vgl. Hammerstein (2008), 41. 42 BRD, indes zelebrierte sie ihre „Befreiung“ durch den Kommunismus.172 Das Ende des Krieges sowie die „Befreiung“ durch die UdSSR wurden alljährlich am 8. Mai am Treptower Ehrenmal in Berlin gefeiert.173

Abb. 4: Eingangstor des Sowjetischen Ehren- Abb. 5: Statue des Sowjetischen Ehrenmals im mals im Treptower Park, Berlin.174 Treptower Park, Berlin.175

1.1.2. Opfermythos

Mit dem Widerstandsmythos einhergehend prägte sich in vielen Staaten ein „heroisches oder traumatisches Opfergedächtnis“ aus, das nicht zuletzt durch nationale und transnationale Opfer- verbände organisiert und befördert wurde, was zu einer „Analogisierung“ des Leidens und somit gleichsam zur Relativierung von Kriegsverbrechen führte.176 Selbst im Nachkriegsdeutschland führten der alliierte Bombenkrieg in der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges und die Externa- lisierung von NS-Verbrechen auf einzelne offenkundig diskreditierte Tätergruppen zur „Selbst- viktimisierung“ einer breiten Öffentlichkeit. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft fühlte sich als doppeltes Opfer: die des Nationalsozialismus einerseits, die des alliierten Bombenkrieges ande-

172 Vgl. Bauerkämper (2012), 111f. 173 Vgl. Hammerstein (2008), 43. 174 Die Inschrift der Pforte lautet: „Ewiger Ruhm den Helden, die für die Freiheit und Unabhängigkeit der sozialistischen Heimat gefallen sind.“ 175 Statue eines russischen Soldaten, der ein gerettetes deutsches Kind auf dem Arm hält und das Haken- kreuz mit seinem Schwert zerschlägt. 176 Vgl. Bauerkämper (2012), 20–23. 43 rerseits.177 Ebenso prägten die beiden Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki in Ja- pan ein nachhaltiges Opferbewusstsein, welche das Täterbewusstsein bereitwillig überlager- te.178

„Diese Tendenzen der Universalisierung, Exotisierung, Externalisierung und des Präsentis- mus im Umgang mit dem Nationalsozialismus gingen mit Schuldabwehr und Opferbewusst- sein einher, die auch in anderen europäischen Staaten die Erinnerung an den Faschismus, Zweiten Weltkrieg und Holocaust kennzeichneten, im Nachkriegsdeutschland aber wegen der weitaus höheren Belastung durch die NS-Verbrechen und den Völkermord besonders ausge- prägt waren.“179

Das zerstörte Deutschland und die Teilung des Landes konstituierten über den Einschnitt des Kriegsendes hinweg eine apodiktische Schicksalsgemeinschaft, die von der Erfahrung des Ver- lusts und Leidens geprägt wurde.180 Die „Selbstviktimisierung“ beförderte die politisch- gesellschaftliche Binnenintegration beider deutschen Staaten.181

Österreich, das bereits in der Moskauer Deklaration182 von 1943 von Seiten der Alliierten zum ersten „Opfer“183 des Nationalsozialismus deklariert wurde, stürzte sich nach Ende des Krieges begierig auf die von den Alliierten angebotene Opfertheorie zur eigenen Selbstexkulpation.184

177 Vgl. Bauerkämper (2012), 200. Trotz der unterschiedlichen Entwicklung der BRD und DDR sind deren Methoden im Umgang mit der Schuld dieselben: Beide Staaten klammerten den Nationalsozialismus aus ihrer Geschichte aus, indem sie die Schuld an den NS-Verbrechen auf einzelne Akteure und Kräfte externa- lisierten. Dies führte zu einer Dämonisierung und Pathologisierung wichtiger ehemaliger NS-Funktionäre als Reflex der Schuldzurückweisung einer breiten Öffentlichkeit. Vgl. Bauerkämper (2012), 191. Gräuelta- ten, welche die Rote Armee beging, wurden in der DDR ausgeklammert, währenddessen Dresden, als In- begriff des amerikanischen Bombenkrieges, überbewertet wurde. Vgl. Bauerkämper (2012), 308. 178 Vgl. Bauerkämper (2012), 26. 179 Bauerkämper (2012), 112. 180 Vgl. Bauerkämper (2012), 299. 181 Vgl. Bauerkämper (2012), 192f. 182 In der Deklaration von Moskau vom 1. November 1943 bestimmten die Regierungen des Vereinigen Königreiches von England, die USA und die Sowjetunion die Nachkriegsregelungen in Europa. Die Dekla- ration diente aber im Wesentlichen zu propagandistischen Zwecken der psychologischen Kriegsführung. Mit ihr sollte der Widerstand in Österreich motiviert und die Nationalsozialisten demoralisiert werden: „Das Ziel der Moskauer Deklaration bestand nicht darin, die konkrete politische Nachkriegsplanung der Alliierten für Österreich festzulegen, sondern sie diente als militärstrategisch motivierte Propagandawaf- fe, um in Österreich Aufstände herbeizuführen.“ Keyserlingk (1997), 18. 183 In der Moskauer Deklaration wurde Österreich aus militärstrategischen Gründen der psychologischen Kriegsführung zum ersten „Opfer“ der NS-Angriffspolitik deklariert. So heißt es in der Deklaration: „The Government of the United Kingdom, the Soviet Union and the United States of America are agreed that Austria, the first free country to fall victim to Hitlerite aggression, shall be liberated from German domina- tion.” Keyserlingk (1988), 207f. 184 Vgl. Lehnguth (2013), 58–60. Die Jahre von 1938 bis 1945 zählten lange Zeit nicht zur österreichischen Nationalgeschichte, sondern wurden bequemerweise der deutschen Geschichte angerechnet und somit aus den österreichischen Schulbüchern ausgeklammert. Vgl. Loitfellner (2009), 169. Österreich suchte nach 1945 nach einer neuen nationalen Identität und vermied daher die offene gesellschaftliche Ausei- nandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Die offenkundig belasteten Nationalsozialisten wurden

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Abb. 6: Kriegerdenkmal in Zirl.185 Abb. 7: Kriegerdenkmal in Arzl (Innsbruck).186

Die im Zweiten Weltkrieg gefallenen österreichischen Soldaten wurden zu „Helden des Vater- lands“ verklärt, die im Krieg einfach nur ihre Pflicht erfüllt hatten.187 „Die Annahme einer ‚unpo- litischen Wehrmacht‘ ermöglichte es, Soldaten einfach als Opfer des NS-Regimes zu sehen.“188

Die Zweite Republik lastete so die NS-Verbrechen den „anderen“ an, „den Deutschen“189 oder einzelnen Tätern. Österreich deklarierte sich auf diese Weise per definitionem selbst zur „un- schuldigen Nation“.190 Das Rot-Weiß-Rot-Buch wurde zum „Manifest“ des österr. Opfermythos;

durch eine schnelle Entnazifizierung ausgegrenzt, währenddessen die breite Masse der ehemaligen NS- Mitglieder reibungslos in die Gesellschaft re-integriert wurde. Vgl. Bauerkämper (2012), 324. 185 Inschrift: „Sie gaben alles, was sie konnten geben. / Die Seele Gott, der Heimat Blut und Leben. / Vorbei sind Mühsal, Not und Tod und Schlacht – / es ist vollbracht.“ Widmung: „Gewidmet in dankbarer Erinne- rung zu Ehren der in beiden Weltkriegen 1914-1918 und 1939-1945 gefallenen Helden. Die Gemeinde Zirl“. 186 Das Kriegerdenkmal in Arzl wurde ursprünglich den Gefallenen des Ersten Weltkrieges und nach 1945 auch jenen des Zweiten Weltkrieges mit folgender Inschrift gewidmet: „Wie sind / die Helden gefallen, / die Starken, / welche Kriegswaffen / getragen!“ 187 Vgl. Lehnguth (2013), 65. 188 Bailer (1998), 122f. 189 Opferzahlungen wies die österreichische Regierung bis in die 1980er Jahren vorwiegend durch den Vorwand der Opferrolle Österreichs auf die BRD, den eigentlichen Rechtsnachfolgestaat des Dritten Rei- ches, zurück. Vgl. Bauerkämper (2012), 141. 190 Die „Proklamation über die Selbstständigkeit Österreichs“ vom 1. Mai 1945 betont ausdrücklich, dass „dem hilflos gewordenen Volke Österreichs“ die „Annexion des Landes“ von „einer nazifaschistischen Minderheit […] aufgezwungen worden ist“. Österreich sei ferner das erste Opfer der „Hitlerschen Aggres- sion“ und der Anschluss werde deshalb für null und nichtig erklärt. Vgl. StGBl Nr. 1/1945. 45 die gesprengten Ketten des Bundesadlers zum Symbol der vermeintlichen „Befreiung“.191 Die Opferthese wurde zum „Dreh- und Angelpunkt“ der österreichischen Vergangenheitspolitik.192 In den 1950er Jahren wurde die beschworene Opferrolle von Seiten der konservativen ÖVP und der katholischen Kirche gar zur „Martyrologie“ dramatisiert.193 „Insgesamt hat der Opfermythos die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit auch in der österreichischen Gesell- schaft lange blockiert oder zumindest verzögert.“194

Die erhebliche Mitschuld der italienischen Nachkriegsgesellschaft an imperialistischen Kriegs- verbrechen des faschistischen Italiens in Ostafrika und in Südosteuropa während des Zweiten Weltkrieges sowie am Holocaust195 und an der Euthanasie wirkte angesichts der deutschen Be- satzungszeit vom September 1943 bis Mai 1945 wie ein „verblassendes Menetekel“.196 Das Op- ferbewusstsein war auch im Nachkriegsitalien unumstritten. Die italienische Opferrolle wurde durch den amerikanischen Bombenkrieg sowie durch den Widerstandskrieg gegen die deutsche Besatzung parteienübergreifend propagiert.197 Angesichts der „ambivalenten Rolle als Sieger und Besiegter des Weltkrieges“ verpasste Italien die Möglichkeit zur Einsicht der eigenen Mit- verantwortung198, sodass die Aufarbeitung der faschistischen Erblast auch heute noch keine kohärent-kritische Erinnerungskultur zutage förderte.

„Eine Sonderrolle haben in der apologetischen Erinnerungskultur Italiens die Südtiroler ein- genommen, die den Nationalsozialismus begrüßt, z. T. die ‚Option‘ nach dem deutsch- italienischen Vertrag vom März 1939 wahrgenommen und ihre Siedlungen in das ‚Dritte Reich‘ verlegt hatten. Ihre Unterstützung für Hitlers Diktatur führten die Südtiroler – darun- ter Politiker und Historiker – weitgehend auf die vorangegangene z. T. rigorose Assimilie- rungspolitik der italienischen Faschisten zurück.“199

191 Vgl. Hammerstein (2008), 45. 192 Vgl. Lehnguth (2013), 68. 193 Vgl. Bauerkämper (2012), 322. 194 Bauerkämper (2012), 325. 195 Insg. wurden etwa 20 % der rund 43.000 italienischen Juden ermordet. Die Faschisten leisteten den Nationalsozialisten tatkräftige Hilfe beim Aufspüren und Deportieren der Juden in Italien. Vgl. Woller (2010), 195. 196 Vgl. Heiss (1998), 134. 197 Vgl. Bauerkämper (2012), 220f. 198 Heiss führt die inneritalienischen gesellschaftlichen und politischen Konflikte in den 1990er Jahren auf die verpasste Aufarbeitung des Faschismus in Italien zurück: „Hätte die erste italienische Demokratie die moralischen Kraft gefunden, eine wesentliche italienische Mitschuld an der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges und am Judenmord anzuerkennen, hätte sie eingesehen, daß ihre Institutionen, ein Großteil ihrer gesellschaftlichen Kräfte durch zwanzig Jahre Faschismus heillos und auf lange Sicht hin korrum- piert waren, so wären ihre Grundlagen wesentlich gefestigter gewesen.“ Heiss (1998), 135. 199 Bauerkämper (2012), 220. 46 1.2. ABRECHNUNG MIT DER VERGANGENHEIT

Die vom Krieg traumatisierten Gesellschaften fügten sich bereitwillig einem „Gründerkonsens“, der zwanghaft das Gedenken an die eigenen Toten zelebrierte, die eigene Opferbereitschaft he- roisierte und den nationalen Widerstand glorifizierte.200 Im gleichen Atemzug musste der „Schutt der Geschichte“ weggeschafft werden, um das Fundament für eine neue Erinnerungskul- tur und nationale Identität legen zu können. Die Schuld und Verantwortung für die jüngste Ge- schichte wurden daher auf einzelne Akteure und Kräfte externalisiert, unterdessen sich das Gros der Gesellschaft davon distanzierte, um eine allgemeine Kollektivschuld201 von sich zu weisen.202 Es folgte ein innergesellschaftlicher Konflikt, der einerseits zur Exklusion einzelner von der Ver- gangenheit behafteter Gruppen – darunter Täter wie Opfer203 –, andererseits zur Inklusion einer anderen gewünschten Gruppe führte.204 Diese Personalisierung und Externalisierung der Schuld auf einzelne Tätergruppen nahm die schwere „Last der Vergangenheit“ von einer ganzen Mittä- tergesellschaft, die sich nun selbst als Opfer jener Kriegsverbrecher und Demagogen deklarierte und sich somit selbstexkulpierte. „Die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im Krieg bzw. in der Diktatur wurde so die Grundlage für die Neudefinition nationaler Identität.“205

Die von den Alliierten auf der Konferenz von Jalta 1945 angekündigte Entnazifizierung206 führte zunächst zu massenhaften Verhaftungen von ehemaligen NS-Aktivisten im besetzten Nach- kriegsdeutschland. Aufgrund der Fülle an Denunziationen wechselten die Alliierten Ende 1946

200 Vgl. Reichel (2001), 203. 201 Die Philosophin Hannah Arendt sprach sich zwar gegen eine allgemeine Kollektivschuld aus, jedoch bejahte sie eine „Kollektivhaftung im politischen Bereich“: „Politisch haftet jede Regierung eines Landes für all das, was durch die Regierung vor ihr zu Recht oder zu Unrecht geschehen ist. Das Recht soll sie fortsetzen und das Unrecht nach Möglichkeit wiedergutmachen. In diesem Sinne zahlen wir allerdings immer für die Sünden der Väter […].“Arendt (1964), 25. 202 Vgl. Bauerkämper (2012), 111f. 203 Desintegrierte Gruppen nach dem Zweiten Weltkrieg waren nicht nur offenkundig diskreditierte Tä- tergruppen, sondern auch Opfer, wie jüdische Flüchtlinge auf der Suche nach einer neuen Heimat. In Ös- terreich beispielsweise waren die jüdischen Displaced Persons nach Kriegsende unerwünschte Personen, da der Antisemitismus in Österreich nach wie vor vorherrschend war. Der österr. Bundespräsident Karl Renner meinte 1946 zur jüdischen Re-integration: "Und selbst wenn es Platz gäbe,... glaube ich nicht, daß Österreich in seiner jetzigen Stimmung Juden noch einmal erlauben würde, diese Familienmonopole auf- zubauen. Sicherlich würden wir es nicht zulassen, daß eine neue jüdische Gemeinde aus Osteuropa hier- her käme und sich hier etablierte, während unsere eigenen Leute Arbeit brauchen." Renner zit. n. Knight (1988), 61. 204 Vgl. Lingen (2009b), 11. 205 Lingen (2009b), 11. 206 Die Entnazifizierung war der unmittelbar nach dem Krieg einsetzende „Versuch der Alliierten, die NS- Ideologie sowie jegliche nationalistischen und militaristischen Einflüsse aus der deutschen Gesellschaft zu entfernen.“ Aufgrund der Fülle von Freisprüchen ist die „Entnazifizierung“ als gescheitert anzusehen: „Insgesamt gilt die Entnazifizierung als gescheiterter Versuch einer politischen Massensäuberung, die auf eine nicht handhabbare Anzahl von Personen angewendet wurde und daher in ihrer Durchführung in den meisten Fällen nicht zu Bestrafungen, sondern zu Freisprüchen führte.“ Meyer (2007b), 18f. 47 vermehrt zu einer Politik der Reeducation207, die wiederum zu zahlreichen Entlastungen von Verdächtigen durch sog. Persilscheine208 führte; lediglich offenkundige Kriegsverbrecher und hochranginge Funktionäre wurden dennoch verurteilt. Ferner führte der Fachkräftemangel da- zu, dass viele ehemalige Nationalsozialisten aufgrund ihrer Fachkompetenzen amnestiert wur- den.209

Die Blockbildung in Ost und West beschleunigte diesen Prozess noch zusehends, sodass die Re- habilitierung und Re-integration ehemals faschistischer oder nationalsozialistischer Staaten in das bipolare Weltbild des Kalten Krieges der Abrechnung mit der Vergangenheit ein jähes Ende bereitete. Die Siegermächte forcierten daher den möglichst rasanten Wiederaufbau der zerstör- ten Länder sowie die vorschnelle Beendigung ihrer Siegerjustiz, um Dissonanzen der Vergan- genheit auszuräumen und neue, nachhaltige Allianzen zu schließen.210 „Der Antagonismus des Kalten Krieges homogenisierte das offizielle Gedächtnis nach der Trennlinie der globalen Ausei- nandersetzung, die besonders Europa teilte. In den jeweiligen Bündnissystemen traten Konflikte zwischen den Regierungen damit zurück.“211

In den späten 1940er Jahren war die Entnazifizierung weitgehend diskreditiert, was sich in ei- ner Schlussstrich-Mentalität212 der Bevölkerung manifestierte, sodass die Entnazifizierung in der BRD bereits 1951 offiziell eingestellt werden konnte.213 Mit der Gründung der BRD 1949 setzte eine „Ära einer systematischen Entlastungs- und Integrationspolitik ein“. Darunter fallen die Amnestiegesetze von 1949214 und 1954215, welche die Entnazifizierung gleichsam rückgängig machten.216 Bis 1958, also 13 Jahre nach Kriegsende, waren alle von Militärgerichten Verurteilen

207 Die Reeducation war eine von den USA entwickelte und von den britischen und französischen Besat- zungsmächten in modifizierter Form übernommene Methode der politischen Umerziehung zur Beseiti- gung des Faschismus und zur Demokratisierung sowie Reorientierung der deutschen Nachkriegsgesell- schaft. Viele Maßnahmen der sog. Umerziehung bzw. Wiedererziehung wurden bereits Ende der 1940er Jahre wieder eingestellt. Vgl. Meyer (2007d), 19f. 208 1946 erließ der alliierte Kontrollrat das sog. Befreiungsgesetz. Nach diesem Gesetz musste jeder voll- jährige Deutsche einen Fragebogen ausfüllen, woraufhin er in fünf Belastungskategorien eingestuft wur- de: 1. Hauptschuldige; 2. Schuldige; 3. Minderbelastete; 4. Mitläufer; 5. Unbelastete Personen (solche Per- sonen, die in den oben genannten Kategorien eingestuft sind und vor einem Gericht ihre Unschuld bewei- sen können). Durch einen sog. Persilschein konnte sich eine belastete Person ihre Unschuld von anderen attestieren lassen. Dies führte zur massenhaften Entlastung vieler vormals belasteter Personen. Vgl. Eitz & Stötzel (2009a), 508f. 209 Vgl. Bauerkämper (2012), 296. 210 Vgl. Bauerkämper (2012), 28f. 211 Bauerkämper (2012), 29. 212 „Das Schlagwort Schlussstrich komprimiert nach 1945 […] die in den verschiedensten Kontexten geäu- ßerte Forderung, die vielschichtigen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen mit der nationalsozi- alistischen Vergangenheit und ihren Folgen zu beenden und eine Epochenzäsur zu etablieren.“ Eitz & Stötzel (2009b), 456. 213 Vgl. Bauerkämper (2012), 121f. 214 Siehe BGBl. 1950 S. 37. 215 Siehe BGBl. 1954 I S. 203. 216 Vgl. Hardtwig (2013), 360. 48 wieder auf freiem Fuß – außer jenen prominenten NS-Tätern der Nürnberger Prozesse217.218 „Der Prozess [der Entnazifizierung] scheiterte aber vorrangig keineswegs an der alliierten Politik, sondern am Unwillen und an den Abwehrreflexen der Deutschen, die ihre Verantwortung leug- neten.“219

Abb. 8: „Habe ich den nicht schon mal gesehen?“ Karikatur aus dem Magazin „“, Februar 1947.

Die DDR führte die Verleugnung der Vergangenheit geradewegs in die Arme des Kommunismus: Sie führte zur „pragmatischen“ Verdrängung und Ersetzung einer totalitären Ideologie durch eine andere, vom Nationalsozialismus zum kommunistischen „Antifaschismus“, nur um nicht mit der „wirklichen Vergangenheit“ konfrontiert zu werden. Die Ostdeutsche Schriftstellerin Christa Wolf fasste es folgendermaßen zusammen:

„Eine kleine Gruppe von Antifaschisten, die das Land regierte [gemeint ist die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands], hat ihr Siegesbewusstsein zu irgendeinem nicht genau zu be- stimmenden Zeitpunkt aus pragmatischen Gründen auf die ganze Bevölkerung übertragen. Die ‚Sieger der Geschichte‘ hörten auf, sich mit ihrer wirklichen Vergangenheit, der der Mit- läufer, der Verführten, der Gläubigen in der Zeit des Nationalsozialismus auseinanderzusetz-

217 Der Nürnberger Prozess war ein vom 20.11.1945 bis 1.10.1946 andauerndes internationales Militärtri- bunal gegen 24 Hauptkriegsverbrecher und sechs Organisationen des Nationalsozialismus in Nürnberg. Vgl. Meyer (2007c), 21. 218 Vgl. Meier (2010), 56f. 219 Bauerkämper (2012), 123. Umfragen der Alliierten ergaben, dass noch im Oktober 1948 60% der Deutschen den Nationalsozialismus für „eine gute Idee [hielten], die schlecht ausgeführt worden war“ und 40% der Auffassung waren, dass „es mehr Gutes als Schlechtes im Nationalsozialismus“ gegeben habe. Vgl. Bauerkämper (2012), 297. 49 ten. […] Ihr untergründig schlechtes Gewissen machte sie ungeeignet, sich den stalinistischen Strukturen und Denkweisen zu widersetzen […].“220

In der DDR wurde die Abrechnung mit der Vergangenheit dazu instrumentalisiert, parteipoliti- sche Interessen der kommunistischen Führung durchzusetzen, wie etwa die Zwangsvereinigung der Kommunistischen und Sozialdemokratischen Partei zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands sowie die Ausschaltung ehemaliger NS-Funktionäre und politischer Gegner des neuen Regimes.221

Tabelle 1: Rechtskräftig verurteilte NS- und Kriegsverbrecher von deutschen Gerichten 1945-1957 (im Drei-Jahres-Rhythmus)222:

Sowjetische Be- Westzonen bzw. Jahr satzungszone BRD bzw. DDR 1945 23 6 1948 1.819 4.549 1951 259 332 1954 44 36 1957 43 1

In Österreich wurde die Entnazifizierung bereits 1947 den staatlichen Behörden übergeben. Nationalsozialistische Verbrechen wurden zwar rigoros durch die sog. Volksgerichte223 verfolgt, jedoch legten viele Täter aufgrund einer Ausnahmeklausel224 Einspruch ein und wurden rück- wirkend amnestiert. Ab 1948 nahm die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen in Öster- reich stark ab.225 Schließlich wurden die Volksgerichte durch den Staatsvertrag von 1955 aufge-

220 Wolf (1989), 22. 221 Vgl. Hammerstein (2008), 42. 222 Zahlen nach Weinke (2006), 54–58. 223 Mit dem § 24 des Verbotsgesetzes (StGBl. Nr. 13 / 1945) wurde das Volksgericht als neuer Gerichtsty- pus geschaffen. Dieses war kein selbstständiges Gericht, sondern eine „Form der Ausübung der Gerichts- barkeit 1. Instanz“. Für das volksgerichtliche Verfahren galten die Vorschriften der Strafprozessordnung. Das Volksgericht per se bestand aus zwei Richter/innen, drei Schöff/innen und einem Schriftführenden. Jede der drei politischen Parteien des Nachkriegsösterreichs (SPÖ, ÖVP, KPÖ) entsandte eine/n Vertre- ter/in als Schöffe oder Schöffin. Die Befugnis der Volksgerichte erstreckte sich lediglich auf die im Ver- bots- und Kriegsverbrechergesetz vorgeschriebenen Gebote und Strafen. Vgl. Kuretsidis-Haider (2006), 40f. 224 Im § 27 des BGBl Nr. 25/1947 heißt es: „Der Bundespräsident kann auf Antrag der zuständigen Bun- desminister Ausnahmen […] von den in besonderen Gesetzen enthaltenen Sühnefolgen in Einzelfällen teilweise oder ganz bewilligen, wenn der Betreffende seine Zugehörigkeit zur NSDAP, zu einem ihrer Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK), zum NS-Soldatenring oder zum NS-Offiziersbund niemals miß- braucht hat […].“ 225 Vgl. Bauerkämper (2012), 297. 50 löst226 und eine allgemeine Amnestie für verurteilte NS-Täter 1957 beschlossen227, welche das Verbotsgesetz von 1945228 und 1947229 weitgehend außer Kraft setzte, die Sühneabgaben ein- stellte und Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst rückwirkend aufhob. Damit erreichte die kalte Amnestie230 in Österreich bereits in den 1950er Jahren ihren Höhepunkt.

Tabelle 2: NS-Strafverfolgung durch österr. Volksgerichte 1945-1955231:

Ermittlungsverfahren insg. 136.829 Einstellungen 75.613 Verteilung der Schuldsprüche: Angeklagte 28.148 Todesstrafe 43 Urteilssprüche 23.477 Lebenslange Haft 27 Schuldsprüche 13.607 10 bis 20 Jahre Haft 279 Freisprüche 9.870 unter 10 Jahren Haft 5.650

Das abrupte Ende der Entnazifizierung durch eine umfangreiche Amnestie in den späten 1940er Jahren sowie die weitgehende Einstellung der justiziellen Verfolgung von NS-Tätern in den 1950er Jahren führten schließlich zum herbeigesehnten Schlussstrich unter die Vergangenheit und zur reibungslosen Re-integration ehemaliger NS-Parteigänger in die österreichische Gesell- schaft. Dies bekräftigte das Unschuldsgefühl sowie die emotionale Schuldabwehr einer ganzen Mittätergesellschaft und führte zur Verdrängung der eigenen austrofaschistischen und national- sozialistischen Vergangenheit.232 Nach Abschluss des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 und der Streichung der Verantwortungs- bzw. Mittäterklausel233 wurde endgültig der Opferstatus der

226 Die Volksgerichte wurden durch ordentliche Gerichte ersetzt. Vgl. BGBl Nr. 285/1955. 227 Die Bestimmungen des Verbotsgesetzes von 1947 (BGBl Nr. 25/1947) wurden 1957 mit Ausnahme des § 3, welcher die Wiederbetätigung der NSDAP betraf, aufgehoben. Vgl. BGBl. Nr. 82/1957. 228 Durch das Verbotsgesetz vom 8. Mai 1945 wurde die NSDAP, ihre Wehrverbände, ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände sowie alle nationalsozialistischen Organisationen und Einrichtungen auf- gelöst und verboten. Vgl. StGBl Nr. 13/1945. 229 Das Verbotsgesetz von 1945 wurde 1947 (BGBl Nr. 25/1947) novelliert. 230 Der Begriff „Kalte Amnestie“ wurde vom israelischen Botschafter Asher Ben-Natan 1969 geprägt und bezeichnet eine gesetzgeberische Fehlleistung in der BRD, die zu einer Verjährung der noch anzuklagen- den NS-Täter in ehemaligen Führungspositionen führte. Die Novellierung des deutschen Strafrechts im Jahr 1968 führte zur Milderung der Höchststrafe bei der Beihilfe zum Mord und damit indirekt auch zur Verkürzung der Verjährungsfrist auf 15 Jahre. Die meisten NS-Täter mussten daher keine rechtlichen Konsequenzen mehr fürchten. Diese peinliche Panne der Bonner Republik war wohl eher ein geschickter Schachzug der Amnestiebefürworter, als bloß reiner Zufall. Vgl. Langer (2007b), 200f. 231 Zahlen nach Weinke (2006), 68. 232 Vgl. Bailer (1998), 124. 233 In der Moskauer Deklaration wurde nicht nur der Opferstatus Österreichs deklariert, sondern Öster- reich trage auch eine gewisse Verantwortung und Mitschuld an den Verbrechen des Dritten Reiches. Diese sog. Verantwortungs- und Mittäterklausel lautete im Original: “Austria is reminded, however, that she has a responsibility which she cannot evade for participation in the war on the side of Hitlerite , and that in the final settlement account will inevitably be taken of her own contribution to her liberation.” Keyserlingk (1988), 207f. 51 Zweiten Republik festgeschrieben und ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen.234 Auf diesem künstlich-fragilen Fundament konnte eine neue österr. Identität errichtet und der Pro- zess der „Reaustrifizierung“ eingeleitet werden, ohne die eine innere Nationsbildung kaum mög- lich gewesen wäre.235

Die De-Faschisierung setzte in Italien bereits nach dem Sturz Mussolinis im Jahr 1943 ein und kostete bis 1946 rund 12.000 Faschisten das Leben. Die Abrechnung mit der Vergangenheit äu- ßerte sich in Italien zunächst durch eine „wilde“ Säuberung (epurazione) der Resistenza und ab 1945 durch außerordentliche Schwurgerichte, die zwar eine rigorose juristische Verfolgung mit drakonischen Strafen236 herbeiführten, deren Tätigkeit aber bereits 1947 abrupt endete.237 „In keinem Land Europas – Frankreich vielleicht ausgenommen – gingen die Gerichte so rasch und so massiv gegen belastete Faschisten vor.“238 Die epurazione wurde vor allem von den Kommu- nisten vorangetrieben, verlor aber mit dem Abzug der alliierten Besatzungsmacht im Dezember 1945 und den Parlamentswahlen im Juni 1946 immer mehr an politischer Legitimation, sodass selbst die Kommunisten von ihr abrückten. Das abrupte Ende der epurazione öffnete „dem Miss- brauch Tür und Tor“ und führte dazu, dass fast alle Sanktionen abgeschwächt oder aufgehoben wurden.239 „Dieser überstürzte Abschluss hat dazu geführt, dass dem Versuch, eine juristische und politische Antwort auf die Verbrechen des Faschismus zu finden, ein kompletter Misserfolg attestiert worden ist.“240 1953 führte schließlich eine allgemeine Amnestie zur Entlastung ehe- maliger Faschisten und somit zum vorläufigen Ende der Strafverfolgung.241

„Die italienische Gesellschaft hatte sich zwar bei Kriegsende einer ‚Roßkur‘ (H. Woller) politi- scher Säuberung unterzogen […]; mit dieser rasch und in vieler Hinsicht radikal durchgezo- genen Aktion und in der Fixierung auf die während der deutschen Besatzung 1943-45 erlitte- nen Opfer wurde aber auch ein Prozeß der Selbstexkulpation eingeleitet, der die Erste Re- publik von Anfang an lähmte.“242

Der italienische Gründungsmythos der Nachkriegszeit verhinderte eine weitere eingehende Auseinandersetzung mit dem Faschismus sowie mit italienischen Kriegsverbrechen im In- und Ausland. „Aus dem italienischen Gründungsmythos entwickelte sich eine Interpretationslinie der

234 Vgl. Albrich (1997), 74. 235 Vgl. Lehnguth (2013), 62. 236 Zwischen 1945 und 1947 haben außerordentliche Schwurgerichte in Italien circa 20.000 bis 30.000 Verfahren gegen belastete Faschisten und Kollaborateure angestrengt; davon wurden an die 1.000 Todes- urteile und mehrere tausend langjährige Haftstrafen verhängt. Vgl. Woller (2010), 218. 237 Vgl. Bauerkämper (2012), 148; Woller (2010), 217f. 238 Woller (2010), 218. 239 Vgl. Woller (2010), 218f. 240 Woller (2010), 219. 241 Vgl. Bauerkämper (2012), 148; Focardi (2006), 556. 242 Heiss (1998), 134f. 52 Kriegsvergangenheit, die den deutschen Achsenpartner dämonisierte und den italienischen Fa- schismus verharmloste.“243 Die Verharmlosung des Faschismus im Nachkriegsitalien ist aber auch auf die Alliierten selbst zurückzuführen, welche die Italiener als brava gente und ihre Ar- mee als „human“ einstuften. Dahinter stand das politische Kalkül Italien wieder zurück zur west- lichen Staatengemeinschaft zu führen.244 Vice versa führte die Westintegration auch dazu, dass von Nationalsozialisten begangene Kriegsverbrechen in Italien245 von den britischen Militärge- richtshöfen sehr milde geahndet wurden. Dies setzte sich insbesondere seit der Gründung der BRD 1949 fort, sodass bis dato in Italien keine Todesurteile für NS-Kriegsverbrechen durch die italienische Justiz verhängt wurden. Insgesamt wurden bis 1965 nur 13 Prozesse gegen 25 NS- Täter geführt, von denen die meisten allerdings bereits nach kurzer Zeit amnestiert wurden. Die italienische Regierung befürchtete eine Welle von Auslieferungsanträgen an Italienern, die im Ausland Kriegsverbrechen begangen hatten, wenn Italien selbst allzu viele solche Anträge an andere Länder richten würde. Dies hemmte eine strafgerichtliche Auseinandersetzung von Kriegsverbrechen in Italien wesentlich. Dort musste sich kaum ein italienischer Kriegsverbre- cher vor Gericht verantworten.246

Die rasch vorangetriebene und noch in den 1940er Jahren weitgehend abgeschlossene Entnazi- fizierung und De-Faschisierung richtete sich zwar in erster Linie gegen offenkundig diskreditier- te Tätergruppen und Kriegsverbrecher, sie richtete sich aber ebenso gegen die Geschichte selbst – sie stellt gleichsam den Versuch dar, die Vergangenheit in ihrer Gesamtheit hinter sich zu las- sen, sie aus der Erinnerung, aus dem Sinn auszulöschen. Da Geschichte sich aber nicht einfach so wegsperren oder ausradieren lässt, wurde diese frühe Phase der zweiten Geschichte geprägt vom kollektiven Schweigen ganzer Gesellschaften, die sich durch eine Schlussstrich-Mentalität manifestierte und die Negation einer allgemeinen Kollektivschuld implizierte. Die „Unfähigkeit zu trauern“247 verhinderte jahrzehntelang eine intensive und reflexive Aufarbeitung der Vergan- genheit und ist auch heute noch im Umgang mit jener Erblast spürbar. So prägte und verzögerte sie nachhaltig die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

243 Lingen (2009a), 395. 244 Vgl. Lingen (2009a), 393. 245 Insg. starben rund 9.200 Menschen durch Vergeltungsmaßnahmen der Wehrmacht im Zuge der sog. Partisanenbekämpfung in Italien. Vgl. Woller (2010), 198. 246 Vgl. Woller (2010), 220f; Focardi (2006), 544–550. Die italienische Armee begingen in Äthiopien, Frankreich, Griechenland, Albanien, in der Sowjetunion und in Jugoslawien Kriegsverbrechen, sodass bereits Ende 1945 rund 450 Auslieferungsanträge aus diesen Staaten an Italien gerichtet wurden. Italien verweigerte aber die Auslieferung, da italienischen Kriegsverbrechern 1946 eine Generalabsolution erteilt wurde. Vgl. Bauerkämper (2012), 144–146. Die UNO suchte insg. rund 1.700 italienische Soldaten wegen Kriegsverbrechen. Vgl. Woller (2010), 220. 247 Margarete und Alexander Mitscherlich attestierten der deutschen Gesellschaft in ihrem Buch Die Unfä- higkeit zu trauern (1967) eine kollektive Verdrängung ihrer NS-Vergangenheit durch das deutsche „Wirt- schaftswunder“ der Nachkriegszeit. Vgl. Mitscherlich & Mitscherlich (2001), 16–19. 53 1.2.1. Mē mnēsikakeîn: Amnestie und Amnesie

„Optima civilis belli defensio oblivio est.“248 Seneca249

403 v. Chr. beschlossen die Athener die Wiederherstellung der Demokratie nach dem Sturz der Tyrannis mit einem Erinnerungsverbot250 zu besiegeln, aus Angst vor einem neuerlichen Bür- gerkrieg. „Das friedliche Zusammenleben war wichtiger als die Gerechtigkeit“251:

„Kein Frieden wird in die verstörte Stadt einkehren, solange die Wunden des nunmehr been- deten Waffengangs ins kollektive Gedächtnis dauerhaft eingebrannt sind. Altes Unrecht er- zeugt nachwachsende Feindschaft. […] Politik, die den Krieg nicht mit anderen Mitteln nur fortsetzt, beginnt mit der Kunst, die Verbrechen der Vorzeit vergessen zu machen.“252

Das Vergessen war in der Antike ein allgemein anerkanntes Heilmittel, um mit der Gewalt, dem Leid und Unrecht der Vergangenheit umzugehen.253 Aus dem antiken Gebot des Vergessens, mē mnēsikakeîn (wörtlich: Erinnere nicht das Schlimme!), sollte späterhin das Wort amnēstia (Nicht-Erinnerung) entstehen.254 Das Vergessen ist eine geschichtlich zahlreich erprobte Metho- de der Konfliktbewältigung und eine bis dato gängige Praxis der Vergangenheitsbewältigung.255

Auch die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde geprägt vom kollektiven Schweigen der Nachkriegsgenerationen, welche die „Last der traumatischen Vergangenheit“ durch das Verges-

248 „Der beste Schutz vor Bürgerkrieg ist das Vergessen.“ 249 Seneca zit. n. Meier (2010), 29. 250 Der Verfassungstext, welcher das Amnestie-Gebot enthielt, ist zwar nicht überliefert, allerdings neh- men einige antike Autoren Bezug auf sie. So sei nach Aristoteles nach dem Sturz der 30 Tyrannen in Athen die „Versöhnung […] unter dem Archonten Eukleides nach folgender Vereinbarung zustande [gekommen]: ‚[…] In Bezug auf die Vergangenheit soll allgemeine Amnestie gelten, außer für die Dreißig, die Zehn, die Elf und die ehemaligen Verwalter des Piräus; und auch diese dürfen nicht verfolgt werden, sofern sie Re- chenschaft ablegen. […]‘.“ Aristoteles (1990), 43f. Xenophon berichtet von einem Eidschwur: „Nachdem sie [die streitenden Athener] den Eidschwur geleistet haben: ‚ich schwöre wahrhaftig, kein Unrecht zu vergel- ten…‘, leben beide Parteien auch jetzt noch unter einer gemeinsamen Verfassung, und das Volk bleibt sei- nem Eide treu.“ Xenophon (1970), 149. 251 Meier (2010), 30. 252 Rauschenbach (1998), 354. 253 Beispielsweise forderte Cicero bereits zwei Tage nach der Ermordung Caesars am 17. März 44 v. Chr. im römischen Senat: „omnem memoriam discordiarum oblivione sempiterna delendam“ (alle Erinnerung an die Zwieträchtigkeiten sei durch ewiges Vergessen zu tilgen). Vgl. Meier (2010), 10. 254 Vgl. Meier (2010), 17f. 255 Beispiele dafür gibt es zahlreiche in der Geschichte: Im Friedensvertrag von Münster-Osnabrück von 1648 zur Beendigung des Dreißigjährigen Krieges heißt es: „perpetua oblivio et amnestia“ (beständiges Vergeben und Vergessen). Vgl. Assmann (2009), 43. Nach dem Zweiten Weltkrieg rief Winston Churchill 1946 in Zürich zu „a blessed act of oblivion“ (einem segenreichen Akt des Vergessens) zwischen den Fein- den auf. Auch nach der Französischen Revolution besiegelte der aus dem Exil zurückkehrende König Ludwig XVIII. die Restauration der französischen Krone durch eine Amnestie. Vgl. Meier (2010), 10f. 54 sen anästhesierte und entsorgte.256 „In der psychischen Dimension wird diese Aufgabe [der Ver- drängung] vom Unbewußten erfüllt; im sozialen Leben ist es das unbeabsichtigte Ergebnis der Entscheidungen einer Vielzahl von Akteuren (Politikern, Journalisten, Schullehrern und Mei- nungsmachern).“257 Seinen Höhepunkt erreichte das kollektive Schweigen in den 1950er und 1960er Jahren258, also nach Abschluss der Entnazifizierung und De-Faschisierung sowie der ri- gorosen strafrechtlichen Verfolgung. Die Vergangenheit wurde aus dem öffentlichen und priva- ten Leben verdrängt und/oder höchstens an getrennten und isolierten Orten abseits des Alltags- lebens musealisiert259.260 Nach dem Schlussstrich hüllten sich die Gesellschaften in kollektives Schweigen und richteten ihr Augenmerk einzig auf eine hoffnungsreiche Zukunft. Ihr Credo lau- tete: „Entscheidend ist nicht, was ‚wir‘ gewesen sind, sondern was ‚wir‘ werden wollen.“261

Die Verdrängung der eigenen Verantwortung erspart Schuldgefühle und entlastet das schlechte Gewissen, setzt aber einen „massiven Kraftaufwand des seelischen Lebens [voraus], durch den emotionale Konflikte an die Schranke ihrer Bewußtwerdung“ gestoßen werden.262 Als „aktives“ und „positives Hemmungsvermögen“ schließt die Verdrängung die „Thüren und Fenster des Bewusstseins zeitweilig […]; von dem Lärm und Kampf […]; ein wenig Stille, ein wenig tabula rasa des Bewusstseins, damit wieder Platz wird für Neues […].“263 Dem Vergessen kann daher durchaus etwas Gutes anhaften, als „Aufrechterhalterin der seelischen Ordnung“. Außerdem gäbe es ohne Vergesslichkeit keine Gegenwart, keinen archimedischen Punkt außerhalb der zeit- lichen Wahrnehmung.264 Das Vergessen einer traumatischen Vergangenheit ist allerdings ohne deren Erinnerung und Aufarbeitung gar nicht möglich, sondern führt vielmehr dazu, dass diese sich immer wieder vergegenwärtigen muss, wie ein unbewältigtes Trauma: Die „Schatten der Vergangenheit“ verblassen nicht – sie werden umso länger, je tiefer die Geschichte zurück- reicht!265

Das „Beschweigen“ der faschistischen und nationalsozialistischen Vergangenheit sowie der ei- genen Verantwortung und Schuld in der Nachkriegszeit waren vielleicht ein notwendiges Übel,

256 Vgl. Assmann (2009), 43. 257 Cavalli (1997), 459. 258 Vgl. Assmann (2009), 43. 259 Der Terminus Musealisierung leitet sich vom Wort „Museum“ ab und dynamisiert den statischen Begriff Museum in etwas Prozesshaftes. Der Begriff ist sehr vielschichtig, grundsätzlich bezeichnet er aber eine bestimmte Umgangsform mit Objekten: „an einem Objekt wird etwas vorgenommen, sein Zustand dadurch verändert“. Objekte werden ihrer ursprünglichen Gebrauchswerte entkleidet und von ihren na- türlichen und sozialen Zusammenhängen isoliert aufbewahrt, gesammelt und präsentiert. Vgl. Sturm (1991), 11f. 260 Vgl. Cavalli (1997), 459. 261 Cavalli (1997), 458f. 262 Vgl. Rauschenbach (1998), 358. 263 Nietzsche (1999), 291. 264 Vgl. Nietzsche (1999), 292. 265 Vgl. Lübbe (2007), 25. 55 um eben mit dieser Vergangenheit und all ihren Schattenseiten weiterleben zu können.266 Letzt- endlich aber war dieses „Beschweigen“ zum Scheitern verurteilt und führte nicht zum intendier- ten kollektiven Vergessen – dazu waren die Gräuel der Vergangenheit zu infernal und die Erin- nerung an sie zu schmerzhaft. Solange eine Auseinandersetzung mit der Geschichte nicht statt- gefunden hatte, konnte die Erinnerung an sie nicht verblassen: „‘[…] nur was nicht aufhört, weh- zutun, bleibt im Gedächtnis‘ – das ist ein Hauptsatz aus der allerältesten (leider auch allerlängs- ten) Psychologie auf Erden.“267

1.3. AUSEINANDERSETZUNG MIT DER VERGANGENHEIT

„Bloße Naturwesen vergessen und fangen von vorn an. Wir aber sind Menschen und werden nimmermehr wahrhaftig, wenn wir nicht vor Augen haben, was getan wurde.“ Karl Jaspers268

In den 1960er Jahren forderte eine neue, junge Generation, die den Zweiten Weltkrieg nicht mehr selbst erlebt hatte, erstmals eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ihrer Eltern.269 Diese Zeit des Sturm und Drangs wurde geprägt von der 68er-Generation270, ei- ner internationalen Protestbewegung, deren Ausgangspunkt die USA bildete. Der Protest dieser jungen Generation richtete sich gegen die der älteren, gegen das „politische und konservative Establishment“, und war Ausdruck eines allgemeinen Generationenkonflikts.271 „Ihre Anspan-

266 Hermann Lübbe geht davon aus, dass das „Beschweigen“ der NS-Vergangenheit im privaten sowie im öffentlichen Bereich die politische Integration der noch jungen Bürgerstaaten erleichterte. Die Wandlung von „Alt-Parteigenossen“ zu „Bundesbürgern“ wäre nicht möglich gewesen, wenn ständig an die Vergan- genheit jedes einzelnen erinnert worden wäre. Vgl. Lübbe (2007), 7f. „Diese gewisse Stille war das sozial- psychologisch und politisch nötige Medium der Verwandlung unserer Nachkriegsbevölkerung in die Bür- gerschaft der Bundesrepublik Deutschland.“ Lübbe (2007), 20. Dennoch sei die NS-Zeit die am besten beleuchtete und untersuchte Zeit. Das „Beschweigen“ sowie die Aufarbeitung des Nationalsozialismus (Lübbe spricht sich für die Historisierung des Nationalsozialismus aus) verhalte sich nach Lübbe komple- mentär zueinander: „Beides gehört zusammen.“ Vgl. Lübbe (2007), 9f. Christian Meier stellt sich in seinem Buch Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns (2010) die Frage, ob „die Wahrheit über die NS-Vergangenheit“ in „den fünfziger Jahren“ der deutschen Nachkriegsgesellschaft wirklich zu- mutbar gewesen wäre? Meier geht davon aus, „daß Untaten größten Stils zumindest so lange zu be- schweigen sind, bis man aus ihrem unmittelbaren Schatten heraus ist. […] Es ist keineswegs auszuschlie- ßen, daß das lange Schweigen die Voraussetzung dafür gewesen ist, daß die Arbeit an der NS- Vergangenheit in den folgenden Jahren zwar immer noch unendlich mühsam, aber letztlich erfolgreich vorgenommen werden konnte.“ Meier (2010), 68f. 267 Nietzsche (1999), 295. 268 Jaspers (1958), 18. 269 Vgl. Lingen (2009b), 16. 270 Die zwischen 1940 und 1950 Geborenen werden unter dem Begriff der „Wirtschaftswundergenerati- on“ zusammengefasst, deren akademischer Teil die 68er-Bewegung ausmachte. Vgl. Lehnguth (2013), 30. 271 Vgl. Bauerkämper (2012), 207. 56 nung und Konzentration galt dem Erlebnis der Gegenwart, der Befreiung aus den Konventionen einer ‚formierten‘ Mittelstandsgesellschaft, […] die Zwänge der Alten, zur Not auch mit Gewalt, zu durchbrechen.“272

Die Studentenproteste der 68er-Bewegung richtete sich zwar gegen das Alte, gegen den „tau- sendjährigen Muff unter den Talaren“; es ging ihnen dabei aber vorrangig nicht um eine allge- meine Revision der Geschichte! Der Generationenkonflikt wurde vielmehr geprägt von konträ- ren Weltansichten, welche die antagonistische und ablehnende Haltung einer jungen Generation gegenüber der älteren zum Ausdruck brachte. Die marxistischen, antikapitalistischen, philoso- phischen, religiösen und teilweise sogar esoterischen Weltansichten der 68er widersprachen radikal denen der Eltern und schufen eine eigene Gegenwart und Zukunft, die sich mehr von der elterlichen Vergangenheit abkoppelte, als diese kritisch zu hinterfragen. Themen wie Antisemi- tismus oder gar Holocaust gehörten daher nicht zum Protest der 68er-Generation.273 Das Thema kam auch deshalb nicht zur Sprache, da es keine Anhaltspunkte für eine Thematisierung gab; weder in der Schule noch im familiären Bereich würde über die Vergangenheit gesprochen.274

Dennoch führten die 68er zu einem „Kulturbruch mit der Vergangenheit, durch den sich im Streit mit der Generation der Eltern deren Vergangenheit in den Vordergrund drängt[e].“275 Die dadurch von der Protestbewegung indirekt provozierte Auseinandersetzung mit der Vergan- genheit führte neuerlich zur Abrechnung mit derselben und zur strafrechtlichen Aufarbeitung noch ungesühnter NS-Straftaten. In der BRD regte besonders der international verfolgte Eich- mann-Prozess276 von 1961 in Jerusalem zu einigen aufsehenerregenden Prozessen, wie etwa dem Frankfurter-Ausschwitz-Prozess277 von 1963 bis 1965 und eine Reihe weiterer Prozesse in den 1970er Jahren, an.278 Auch in Österreich sorgte der Eichmann-Prozess für eine Prozesswelle, allerdings endeten diese mehrheitlich mit Freisprüchen. Von 1956 bis 1975 wurden durch Ge-

272 Große Kracht (2005), 69f. 273 Vgl. Lehnguth (2013), 49f; Große Kracht (2005), 78. 274 Vgl. Lehnguth (2013), 50. 275 Rauschenbach (1998), 363. 276 Der Eichmann-Prozess war ein 1961 „in Jerusalem geführter Prozess des Staates Israel gegen den ehe- maligen SS-Obersturmbannführer und Leiter des Judenreferats im Reichssicherheitshauptamt, Adolf Eichmann, der während des Zweiten Weltkrieges die Deportation von über drei Millionen Juden sowie anderen Opfergruppen in die Konzentrations- und Vernichtungslager organisiert hatte.“ Meyer (2007a), 124. Eichmann wurde 1962 in zweiter Instanz zum Tode durch den Strang verurteilt. Der Prozess per se löste ein internationales Medienereignis aus, besonders in Israel sowie Deutschland und sorgte dafür, „dass der Holocaust Teil des kollektiven Gedächtnisses wurde“. Die Funktion des Prozesses ging also über die der justiziellen Sanktion hinaus: Er trug dazu bei, dass Unrecht am „jüdischen Volk“ bewusst zu ma- chen und „Gleichzeitig die Notwendigkeit der Existenz des Staates Israel als Schutznation aller Juden“ zu unterstreichen. In Deutschland offenbarte der Eichmann-Prozess die Dringlichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung von NS-Tätern. Vgl. Meyer (2007a), 125. 277 Der Frankfurter Auschwitz-Prozess war ein „deutscher Strafprozess gegen Personal des Konzentrations- lagers Auschwitz, der wie kein Ereignis zuvor den Holocaust und die NS-Vernichtungspolitik ins Zentrum der gesellschaftlichen Wahrnehmung [in der BRD] rückte.“ Fischer (2007), 128. 278 Vgl. Bauerkämper (2012), 113. 57 schworenengerichte 39 Urteile wegen NS-Gewaltverbrechen gesprochen, davon 21 Freisprü- che.279 Im Jahr 1976 wurden die letzten Verfahren gegen NS-Täter im Österreich eingestellt.280 Die Banalität des Bösen281 entzog sich letztendlich doch jeglicher menschlichen Vorstellungskraft und strafrechtlicher Verantwortung.

Trotz der zahlreichen Prozesse lehnte die westdeutsche und österreichische Gesellschaft eine Erinnerungskultur, die Hinweise auf Mitwirkung der breiten Öffentlichkeit am Vernichtungs- krieg in den 1960er und 1970er Jahren noch kategorisch ab. Die Schlussstrich-Mentalität blieb bis in die 1980er Jahre das vorherrschende Erinnerungsparadigma.282 Daran änderten auch ein- zelne Strohfeuer, wie etwa die Borodajkewycz-Affäre283 oder die Kreisky-Peter-Wiesenthal- Affäre284, nichts. „Offenbar verstärkte die beginnende Hinwendung zu einer kritischen Erinne- rungskultur am Ende der fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre zugleich die Neigung, NS- Verbrechen aus dem Gedächtnis auszuklammern.“285

279 Vgl. Albrich (1997), 76. 280 Vgl. Lehnguth (2013), 70. 281 Arendt berichtete 1961 vom Eichmann-Prozess und schrieb darüber einen Bericht von der Banalität des Bösen. Unter der Banalität des Bösen verstand Arendt keineswegs, dass die Taten Eichmanns banal gewesen wären. Vielmehr geht es Arendt darum, dass das Denken vor der Banalität des Bösen versage, „weil es keinen tieferen Grund gibt, der reflexiv erfasst werden könne“. Arendt nahm Eichmann als bloßen Bürokraten in SS-Uniform wahr, der nur durch seine „schiere Gedankenlosigkeit“ eine solche unvorstell- bare Grausamkeit begehen konnte. Vgl. Mein (2007), 126f. „Es war gewissermaßen schiere Gedankenlo- sigkeit – etwas, was mit Dummheit keineswegs identisch ist –, die ihn [Eichmann] dafür prädisponierten, zu einem der größten Verbrecher jener Zeit zu werden. […] Daß eine solche Realitätsferne und Gedanken- losigkeit in einem mehr Unheil anrichten können als alle die dem Menschen vielleicht innewohnenden bösen Triebe zusammengenommen, das war in der Tat die Lektion, die man in Jerusalem lernen konnte. Aber es war eine Lektion und weder eine Erklärung des Phänomens noch eine Theorie darüber.“ Arendt (1964), 16. 282 Vgl. Bauerkämper (2012), 208f. 283 Auslöser der Affäre waren die antisemitischen und nazistischen Äußerungen des Wiener Hochschul- professor Taras Borodajkewycz. Bei einer Demonstration gegen Borodajkewycz wurde der österr. Wider- standskämpfer Ernst Kirchweger von einem rechtsradikalen Burschenschaftler getötet. Dies sorgte in Österreich für große Aufregung und rückte verstärkt den österr. Widerstand ins Gedächtnis, der bis dahin nur marginalisiert und diskreditiert wurde. Vgl. Lehnguth (2013), 66. 284 In der Republik Österreich kam es 1975 zu einer heftigen Auseinandersetzung, heute unter dem Begriff Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre subsumiert, zwischen Bundeskanzler Bruno Kreisky und Simon Wiesent- hal um die NS-Vergangenheit von FPÖ-Klubobmann Friedrich Peter. Dieser habe laut Wiesenthal schlim- me Kriegsverbrechen als Mitglied der 1. SS-Infanteriebrigade begangen. Kreisky stellte sich nicht nur schützend vor Peter und forderte pauschal, dass es Zeit sei, „einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen“, sondern attackierte Wiesenthal auf absurde Weise, indem er diesen der Kollaboration mit den Nationalsozialisten beschuldigte. Die scharf geführte Konfrontation blieb aber ohne schwerwiegende poli- tische Folgen, da Wiesenthal kaum Unterstützer finden konnte. Vgl. Albrich (1997), 79f. 285 Bauerkämper (2012), 304. 58 1.3.1. Erinnern um nicht zu vergessen

„Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“ Jüdische Weisheit286

Da der große Generationenwechsel aber erst in den 1980er Jahren vonstattenging, blieb eine nachhaltige Auseinandersetzung mit der elterlichen Vergangenheit in den 1960er und 1970er Jahren zunächst noch aus.287 Dennoch vollzog sich allmählich ein Wandel in der Erinnerungskul- tur, der an die Opfer erinnerte und an die noch lebenden Täter gedachte.288 Dazu zählte etwa Willy Brandts Kniefall von Warschau289 1970 oder in Österreich die Eröffnung der KZ- Gedenkstätte Mauthausen290 im selben Jahr. Ein grundlegender Durchbruch im Erinnerungspa- radigma erfolgte aber erst in den 1980er Jahren. Der Generationenwechsel zu den Enkeln der Kriegsteilnehmer führte erstmals zu einer selbstkritischen Erinnerungskultur, die sich substan- tiell von dem apologetisch gefärbten kommunikativen Gedächtnis der Nachkriegsgesellschaften abhob und das Schweigen über die Vergangenheit sowie die Schlussstrich-Mentalität langsam aber sicher aufbrach.291

Dafür sorgte auch die stetig steigende Macht der Massenmedien – nebst des noch jungen Medi- ums Fernsehen –, welche zunehmend die Funktion der öffentlichen Meinungsbildung übernah- men und deren Einfluss auf politische Themen und Entscheidungen immer mehr an Bedeutung gewann. Die Medialisierung292 der Geschichte sowie die zunehmende Mediokratie293 führten zu einem grundlegenden Wandel in der Diskurs- und Erinnerungskultur.294 Dieser Wandel wäre aber ohne eine gesellschaftliche Veränderung undenkbar gewesen, da sich Rezipienten und Me-

286 Zit. n. Weizsäcker (1994), 45. 287 Vgl. Bauerkämper (2012), 304. 288 Vgl. Lingen (2009b), 16. 289 Der Kniefall von Warschau am 7.12.1970 wurde durch die plötzliche Respektsbekundung des deut- schen Bundeskanzlers für die Opfer des Nationalsozialismus vor dem Mahnmal für die jüdi- schen Opfer des Warschauer Ghetto-Aufstandes von 1943 zu einem historischen Moment. Diese Geste kann als ostentatives Schuldeingeständnis werden und symbolisiert damit „den Beginn eines gewandelten Umgangs […] mit der nationalsozialistischen Vergangenheit“ in der BRD. Vgl. Koch & Lorenz (2007), 189. 290 Das KZ-Mauthausen entwickelte sich zwar in den folgenden Jahren zum zentralen Gedächtnisort der NS-Zeit in Österreich, das Gedenken richtete sich aber mehr auf den nationalen Widerstand, währenddes- sen der Holocaust in Österreich noch völlig ausgeblendet wurde. Vgl. Lehnguth (2013), 67. 291 Vgl. Bauerkämper (2012), 320. 292 Der Begriff Medialisierung meint die zunehmende gesellschaftliche Durchdringung durch die Medien und bezieht sich auf die Interdependenz zwischen Medien- und Gesellschaftsentwicklung. Gesellschaftli- che Entwicklungen bedingen demnach medialen Wandel, sowie medialer Wandel gesellschaftliche Ent- wicklungen beeinflussen. Vgl. Bösch (2009), 47f. 293 Unter einer Mediokratie versteht Thomas Meyer (2001) „eine Form politischer Willensbildung und Entscheidungsfindung, in der die Massenmedien und ihre Kommunikationsregeln eine entscheidende Position im politischen Prozess übernehmen.“ Meyer (2001), 10. 294 Vgl. Große Kracht (2005), 11f. 59 dien interdependent zueinander verhalten. Kulturelle Erzeugnisse sind daher nicht selten Spie- gelbilder der Gesellschaft. So prägte beispielsweise der Heimatfilm die kulturell-ästhetische „Entwirklichung“ der frühen Nachkriegszeit, indem er eine krasse Gegen-Welt zur jüngsten Ver- gangenheit kontrastierte.

Abb. 9: „Der Spiegel“ Nr. 5/1979. Abb. 10: „profil“ Nr. 10/1979.

In den 1960er Jahren setzte schließlich erstmals eine „Politisierung“ des Themas ein und seit dem Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahren eine nachhaltige „Emotionalisierung“ im Umgang mit dem Holocaust.295 „Die neue Erinnerungskultur […] verlagerte den traumatischen Schwerpunkt von der Erinnerung an den zweiten Weltkrieg auf die Erinnerung an den Holo- caust.“296 So löste die Ausstrahlung der amerikanischen TV-Serie Holocaust 1979 in Deutschland und Österreich erstmals große Betroffenheit in der Bevölkerung aus und deckte das mangelhafte und verdrängte Wissen über den Holocaust auf.297 In der BRD sorgte die TV-Serie für einen „emotionalen Durchbruch“ in der Auseinandersetzung mit einer traumatischen und verdrängten Vergangenheit.298 In Österreich führte sie erstmals zu einem breiten öffentlichen Diskurs299 über die Mitschuld Österreichs am Holocaust.300 In Italien hingegen setzte eine Beschäftigung der

295 Reichel (2004) untersuchte die Themen Holocaust und Zweiter Weltkrieg im deutschen Film und Thea- ter bis in die 1990er Jahre. Dabei konstatierte er drei Phasen: (1) die „Entwirklichung“ in den 1940er und 1950er Jahren: Dämonisierung des Nationalsozialismus, Verharmlosung des Vernichtungskrieges; (2) die „Politisierung“ in den 1960er und 1970er Jahren: Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialis- mus als „Tabubruch, Konfrontation der Öffentlichkeit mit dem Judenmord, seinen Tätern und Opfern“; (3) die „Emotionalisierung“ Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre und 1990er Jahre: emotionale Darstel- lung des Holocausts anhand von Mikrogeschichten. Vgl. Reichel (2004), 25. 296 Assmann (2009), 44. 297 Vgl. Reichel (2001), 205. 298 Vgl. Bauerkämper (2012), 316; Reichel (2004), 250–252. 299 Unter anderem in der Zeitschrift „profil“ Nr. 10, 11 und 12 des Jahres 1979. 300 Vgl. Bauerkämper (2012), 324. 60 Öffentlichkeit mit der Schoah erst in den 1990er Jahren ein. Dort weckten erstmals die Filme „Memoria“ und „Schindler’s List“ ein breites öffentliches Interesse am Olocausto.301

Aus der Forderung „Nie wieder Krieg!“, welche die Nachkriegsgeneration geprägt hatte, wurde allmählich das Postulat „Nie wieder Auschwitz!“ geformt.302 Dieser Anspruch wurde von den Nachfahren der Täter erhoben. Es wurde zum Teil ihrer Selbstdefinition, die auf Zukunft und Dauer ausgerichtet ist. Der Holocaust konnte nur durch das gemeinsame Erinnern bewältigt werden.303 Die wiederholte Thematisierung des Holocausts und Nationalsozialismus im media- len Raum trug zur Begründung eines negativen Gründungsmythos bei, der die Generationen der Nachfahren wesentlich prägte. Dieser Mythos implizierte die Abgrenzung von den Verbrechen der elterlichen Generation und die Wiedergeburt als demokratische Gesellschaft, die allmählich auch ihre Verpflichtung für die Überlebenden des Holocaust eingestand. Die Medien, allen voran das Fernsehen, avancierten zu einer tragenden Kraft der Erinnerung, einem eigenen „Ort des Gedächtnisses“, aber auch der „großen Zerstreutheit“.304

1.3.1.1. „Erfundene Erinnerung“: Fiktion des Faktischen

Erinnerung kann auch dann eintreten, wenn nicht mehr einer reellen, sondern vielmehr einer abstrakten Wirklichkeit erinnert wird. „Geschichte ist nicht nur vergangene Wirklichkeit – sie beruht auf dem Bild, das Menschen sich in ihren Köpfen jeweils von ihr machen.“305 Einer Erin- nerung aber, die nunmehr über 60 Jahre zurückliegt, droht eine Verzerrung umso mehr, je wei- ter die Gegenwart voranschreitet. Nach über einem halben Jahrhundert werden jene, die sich noch selbst ein Bild vom Zweiten Weltkrieg machen konnten, immer weniger. Die „Primärerfah- rung“ wird nun durch eine institutionell, politisch und medial erzeugte Erinnerungskultur er- setzt und überlagert. Fiktive multimediale Präsentationen werden zu Repräsentationen des Fak- tischen; sie erzeugen heute derart realistische und authentische Erinnerungs- und Darstellungs- angebote, dass sie eine künstliche Wirklichkeit zu erzeugen in der Lage sind. Die eigentliche Ge- schichte droht dann hinter „Geschichten“ zu verschwinden. Sie kann zur bloßen Inszenierung des Faktischen verkommen, zum Entertainment und aktuellen Modeerscheinung.306 Die Fiktion des Faktischen stellt heute eine neue Gefahr des Geschichtsrevisionismus dar:

301 Vgl. Wetzel (1998), 223–227. 302 Vgl. Bauerkämper (2012), 213; Leggewie & Lang (2011), 17. 303 Vgl. Assmann (2009), 44f. 304 Vgl. Hickethier (2009), 317. 305 Reichel, Schmid & Steinbach (2009a), 20. 306 Vgl. Reichel, Schmid & Steinbach (2009a), 20f. 61 „Das Paradigma des Dokumentarischen wird immer mehr von einem Paradigma des Ästheti- schen überlagert, von einem Primat der Form, die über unsere Aufmerksamkeit für das His- torische entscheidet. Es ist die Darstellungsweise, die das Gefühl der Authentizität verspricht, nicht die Quellenkritik.“307

Die Fiktionalisierung des historischen Geschehens ist daher durchaus kritisch zu betrachten – sie birgt aber auch die Möglichkeit, Geschehnisse für all jene, die sie nicht selbst erlebt haben, „emotional erfahrbar“ zu machen und komplexe Vorgänge der Weltgeschichte, wie etwa den Zweiten Weltkrieg, auf einer Mirkoebene, beispielsweise durch individuelle Lebensgeschichten von Opfern, Tätern, Zuschauern, Mitläufern etc., verständlich und anschaulich aufzuschlüs- seln.308

1.3.2. Aufbruch und Wiedergeburt der nationalen Mythen

Seit den 1980er Jahren haben nationale Mythen in Europa an Bedeutung abgenommen. So hat der Resistenza-Mythos in Italien, Frankreich und Norwegen seit den 1980er Jahren kontinuier- lich an Bedeutung verloren.309 Aber auch in der DDR verlor der Widerstandsmythos umso mehr an Bedeutung, je mehr sich der Kapitalismus im Westen, vor allem aber in der BRD, erfolgreich zeigte und den Kommunismus damit langsam aber sicher aushöhlte. Mit diesem Bedeutungsver- lust verloren die Doktrinen der DDR an Glanz und Ausstrahlungskraft, sodass auch die von ihr ausgegebene Identität als Widerstandsnation an Überzeugungskraft einbüßte.310 Das kommuni- kative Gedächtnis der Bevölkerung und das von der SED propagierte kulturelle Gedächtnis klaff- ten zunehmend auseinander.311

Auch der österreichische Opfermythos geriet spätestens seit der zweiten Hälfte der 1980er Jah- re durch die Affäre Frischenschlager-Reder312 und durch die Waldheim-Affäre313 unaufhaltsam ins

307 Große Kracht (2005), 174f. 308 Vgl. Reichel (2004), 13f. 309 Vgl. Bauerkämper (2012), 23. 310 Vgl. Hammerstein (2008), 43. 311 Vgl. Hammerstein (2008), 55f. 312 Der österreichische Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager (FPÖ) begrüßte den aus italie- nischer Haft zurückkehrenden Kriegsverbrecher Walter Reder, der für die Ermordung von 1800 Men- schen verurteilt und 1985 begnadigt wurde, mit einem Handschlag. Reder trug als Kommandant eine we- sentliche Verantwortung für das Massaker von Marzabotto im Jahr 1944, bei dem circa 770 Menschen ums Leben kamen. Vgl. Woller (2010), 198. Frischenschlager entschuldigte sich zwar öffentlich für seinen Feh- ler, trat aber dennoch nicht zurück. Dies löste eine internationale Medienempörung aus, die allerdings bald wieder abebbte. Vgl. Gehler (1997), 355f. 62 Wanken. In der BRD führten die Bitburg-Affäre314, die Weizsäcker-Rede315 und der Historiker- streit316 zu heftigen Auseinandersetzungen und schließlich zum Durchbruch in der Sensibilisie- rung der eigenen NS-Vergangenheit im kommunikativen Gedächtnis.317 Einerseits führten diese Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit in beiden Ländern allmählich zu einem Umden- ken und zur Annahme eines neuen Geschichtsbildes, welche die Anerkennung von Schuld und Verantwortung für die NS-Vergangenheit nicht mehr stigmatisierte und tabuisierte. „Die Jahre 1985/86 sind deshalb zu Recht als ‚zweiter großer Wendepunkt in der Geschichte der Vergan- genheitsbewältigung […]‘ hervorgehoben worden.“318 Andererseits führte das Lavieren der poli- tischen Parteien in Fragen der nationalsozialistischen und faschistischen Vergangenheit sowie die unbewältigte gesellschaftliche Aufarbeitung der eigenen Geschichte zum Aufschwung der Neuen Rechten319 in den 1990er Jahren.320 Mit ihren revisionistischen und revanchistischen An-

313 Die Kandidatur Kurt Waldheims (ÖVP) für das österr. Präsidentschaftsamt löste 1986 eine internatio- nal heftig geführte Diskussion über dessen NS-Vergangenheit aus und folglich eine allgemeine Kritik über die mangelnde Aufarbeitung der NS-Erblast in Österreich. Währenddessen Waldheim von den internatio- nalen Medien als NS-Täter diskreditiert wurde, fand er im Inland viele Sympathisanten, sodass er trotz alledem die Wahl zum Bundespräsidenten für sich entscheiden konnte. Waldheim bestritt stets eine Mit- gliedschaft in der SA und im NSDStB (Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund). Diese wurde allerdings von einer Historikerkommission 1988 bestätigt sowie eine „konsultative Mitwirkung an Unter- drückungsmaßnahmen“. Eine unmittelbare Mitwirkung an Kriegsverbrechen konnte Waldheim allerdings nicht nachgewiesen werden. Die Waldheim-Affäre führte nicht unmittelbar zu einem Paradigmenwechsel, verhinderte aber eine allgemeine Rückkehr zur apologetischen Opfertheorie Österreichs. Vgl. Gehler (1997), 355–379. 314 Im Jahr 1985 ausgelöste politische und öffentliche Debatte über den Besuch des Soldatenfriedhofs in Bitburg von Bundeskanzler Helmut Kohl und US-Präsident Ronald Reagan zum 40. Jahrestag des Kriegs- endes. Auf dem Friedhof wurden auch Angehörige der Waffen-SS begraben. Obwohl der Besuch des Fried- hofs auf große Kritik über den angemessenen Umgang mit der NS-Vergangenheit stieß, fand er trotzdem mit kleinen Abänderungen statt. Vgl. Röger (2007), 227f. 315 Rede des Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985. Weizsäcker gelang in der Rede ein ganzes Bündel an Gratwanderungen „von Schuldeingeständnissen und Unschuldzugeständnissen an die deutsche Bevölkerung“. Ferner solle laut Weizsäcker der 8. Mai 1945 nicht mehr als Niederlange, sondern als „Tag der Befreiung“ angesehen werden. Die außergewöhnlich lange Rede beschränkte sich inhaltlich auf moralische Aspekte und weniger auf politische Verantwortung. Dennoch markierte die Rede Weizsäckers eine bedeutende „Zäsur im erinnerungspolitischen Diskurs“. Vgl. Beljan & Lorenz (2007), 232–235. 316 Der Historikerstreit war eine im Jahr 1986 von Historiker/innen und Publizist/innen ausgetragene „Mediendebatte um den gesellschaftspolitischen und historiographischen Umgang mit der nationalsozia- listischen Vergangenheit.“ Der Streit wurde durch den Artikel des Berliner Historikers Ernst Nolte in der FAZ Vergangenheit, die nicht vergehen will vom 6.6.1986 ausgelöst. Darin führte Nolte den Holocaust auf die stalinistischen Zwangsarbeiterlager zurück. Der Holocaust wäre demnach „eine Reaktion auf die von den Bolschewiken begangenen Untaten.“ Vgl. Knäpple (2007a), 238. 317 Vgl. Bauerkämper (2012), 316. 318 Bauerkämper (2012), 316. 319 „Unter Neuer Rechte ist eine politische Strömung von Gegenintellektuellen zu verstehen, die seit Mitte der 1960er Jahre versuchen, die politische Kultur in der BRD dahingehend zu verändern, Deutschland nach Auschwitz mit sich selbst zu versöhnen und das als ‚revolutionär‘ vorgestellte Konzept des ‚nationa- len Sozialismus‘ zu rehabilitieren, um völkisch gegen Staat und Universalismus politisch aktiv zu werden.“ Heni (2007), 23f. Nach Clemens Heni definieren sich die Neuen Rechten anhand folgender zehn Punkte: (1) Antiuniversalismus, (2) nationale Identität, (3) die Parole „Volk statt Staat“, (4) Ethnopluralismus, (5) Antiamerikanismus, (6) Antisemitismus, (7) nationaler Sozialismus, (8) das Neuheidnische, (9) die Reha- bilitation der „guten Sache“ des Nationalsozialismus und (10) das Konservativ-Revolutionäre. Vgl. Heni (2007), 24–26. Die Neue Rechte ist spätestens seit den 1960er Jahren ein europäisches, wenn nicht ein internationales Phänomen, welche die „traditionelle extreme Rechte ideologisch und organisatorisch“

63 sichten stellten sie sich klar gegen ein Aufbrechen des bisherigen Erinnerungsnarrativs im Sinne eines negativen Gedächtnisses und spiegelten damit die innere Sehnsucht einer nicht kleinen Bevölkerungsschicht wider, die es bevorzugt, den langen Schatten der Vergangenheit lieber mit neuem Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus entgegenzutreten, als die Schuld und Ver- antwortung der eigenen Geschichte anzuerkennen.

1.3.2.1. Tendenzen des Revisionismus

„Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“ Richard von Weizsäcker321

In Italien verschmolzen die Studentenproteste der 68-Bewegung, die im ganzen Land sehr heftig ausgefallen waren, mit rigorosen Streiks der Arbeiterbewegung und führten zu einem Auf- schwung der Kommunisten, welche durch die Wirtschaftskrise der 1970er Jahre zudem noch an Verve gewannen.322 Dieser Aufschwung sowie der Linksterrorismus der Brigate Rosse323 in den 1970er Jahren, darunter auch die Ermordung Aldo Moros324 1976, und die damit einhergehende strategia della tensione325 führten zur negativen Konnotation des Resistenza-Mythos sowie zur moralischen Aufwertung des Faschismus.326 Insbesondere der Zusammenbruch der italieni- schen Parteienlandschaft in den frühen 1990er Jahren sowie der damit einhergehenden Rechts-

durch eine „neue Generation junger Nationalisten“ zu erneuern versuchte. Die Neue Rechte stand in direk- ter Opposition zur Neuen Linken der Studentenbewegung und ist daher auch als Generationenkonflikt zu bewerten. Ferner koppelten sie sich von den Ideen und Organisationen der Alten Rechten ab. Vgl. Greß, Jaschke & Schönekäs (1990), 352. 320 Vgl. Albrich (1997), 83. 321 Weizsäcker (1994), 44. 322 Vgl. Woller (2010), 298–305. 323 Kommunistische Untergrundorganisation in Italien und in den 1970er und 1970er Jahren für zahlrei- che Entführungen und Morde verantwortlich. 324 Italienischer Politiker sowie zweimaliger italienischer Ministerpräsident. 325 Unter der strategia della tensione („Strategie der Spannung“) versteht man eine gezielte Konzentration terroristischer Anschläge in Italien in den 1970er bis Mitte der 1980er Jahre, deren Hintergründe und Zusammenhänge aber erst durch das Enttarnen der Geheimloge P2 (Propaganda Due) 1981 und der NATO-Geheimorganisation Gladio 1990 erkannt wurden. Diese und andere terroristische Organisationen rechtsextremer Gesinnung, wie etwa die Ordine Nuovo oder die Avanguardia Nazionale, führten mehrere Anschläge durch, um diese den Kommunisten anzulasten. Damit sollte die Machtübernahme der Kommu- nisten in Italien abgewendet werden. Heute ist bekannt, dass die NATO sowie der amerikanische, britische und italienische Geheimdienst diese Attentate organisierten. Vgl. Muzzupappa (2013), 127f; Woller (2010), 307–309. 326 Vgl. Lingen (2009a), 403f. 64 ruck erschütterte das politische Selbstverständnis des Antifaschismus und führte zur Relativie- rung des italienischen Faschismus in der politischen Kultur Italiens,

„wie sie in Deutschland oder Österreich kaum vorstellbar wären. Diese Fortschritte äußern sich inhaltlich (1) in der Historisierung und partiellen Akzeptanz des italienischen Faschis- mus; (2) in einer Abwertung der italienischen Resistenza; (3) im Insistieren auf der Schaffung eines ‚positiven‘ Nationalbewußtseins als eines probaten Gegenmittels gegen die italienische Staatskrise.“327

Durch die nun führenden rechten Parteien von Silvio Berlusconi (Forza Italia), Gianfranco Fini (Alleanza Nazionale) und Umberto Bossi (Lega Nord) wurden der Faschismus wieder salonfähig, Benito Mussolini zum staatsmännischen Vorbild sowie die linken Kräfte im ganzen Land zum Feindbild erklärt.328

„Der Salonfähigkeit oder Verharmlosung, also der De-Faschistisierung des Faschismus folgte Mitte der 90er Jahre eine Welle der Re-Faschistisierung […]. Gemeint ist damit die Forderung nach einer ‚memoria condivisa‘, einer gemeinsam akzeptierten Erinnerung, also der Gleich- wertigkeit persönlicher Lebensentscheidungen aus der Zeit des Bürgerkrieges 1943-45.“329

Trotz dessen konnte der Resistenza-Mythos nicht vollständig vom Neofaschismus überlagert werden, sondern besteht weiterhin in der antifaschistischen Erinnerungskultur des linken La- gers.330 Die Wiederaufnahme der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Kriegsverbrechen in Italien in den 1990er Jahren zeugt vom Bemühen, die Erinnerung an deutsche Massaker und damit zu- gleich den Resistenza-Mythos zu reaktivieren.331 Die antikommunistische Rhetorik konnte sich aber durch Berlusconis Polit- und Medienpopulismus in Italien weitgehend durchsetzen. Der Kampf um das nationale Gedächtnis ist allerdings bis heute noch nicht entschieden und prägt nachhaltig die Sicht auf die eigene Geschichte. Eine kritische Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit blieb daher bis dato noch weitgehend aus.332

„Insgesamt ist die politische Aufarbeitung des italienischen Faschismus, besonders der von den Machthabern begangenen Verbrechen, trotz der umfassenden Epurazione, die in der un- mittelbaren Nachkriegszeit den normativen Bruch mit dem diskreditierten Regime symboli- sierte und die Italiener zur Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit zwang, bis zur Gegenwart unvollständig geblieben. Auf diesen Befund verweist z.B. die offene Verwen-

327 Heiss (1998), 132. 328 Vgl. Woller (2010), 405. 329 Lingen (2009a), 405. 330 Vgl. Bauerkämper (2012), 224. 331 Vgl. Focardi (2006), 565. 332 Vgl. Lingen (2009a), 406. 65 dung faschistischer Symbole in der Öffentlichkeit und an Gebäuden in Rom, aber auch in klei- neren Städten wie Bozen.“333

Auch in Österreich nahmen die Neuen Rechten Einfluss auf das nationale Geschichtsbild. Die Intensivierung zeitgeschichtlicher Forschung in den 1990er Jahren und der vermehrten Behand- lung Österreichs im Nationalsozialismus in den Schulen führten zwar zu einer öffentlichen Sen- sibilisierung des Themas, allerdings versuchten auch hier rechtspopulistische Parteien die Ge- schichte zu entsorgen und/oder den Nationalsozialismus in Österreich zu verharmlosen.334 Be- sonderen Anteil daran hatte der Kurswechsel der Freiheitlichen Partei Österreichs335 (FPÖ) un- ter Jörg Haider. Unter seiner Führung wuchs die Partei zu einem echten Machtfaktor in der ös- terreichischen Innenpolitik heran. Mit einem rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Pro- gramm gelang ihr der Sprung von einer Klein- zu einer Mittelpartei. „Alter Rassismus – Juden als Feindbild – und neuer Rassismus – Ausländer als Feindbild – bilden bis heute einen ungeschrie- benen Teil des Parteiprogramms.“336 Im Windschatten Haiders erfuhr der „rechtsextremistische und neonazistische Rand des politischen Spektrums in Österreich“ einen Aufschwung.337

„Der Aufstieg der FPÖ […] ist zweifellos auch mitverantwortlich für das Lavieren der beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP in Fragen der NS-Vergangenheit – sei es beim Eingeständ- nis der österreichischen Mitschuld oder einer endgültigen Regelung noch ausstehender Ent- schädigungen an jüdische Opfer.“338

Das Erstarken der rechtspopulistischen FPÖ seit Mitte der 1980er Jahre veranschaulichte aber auch den politisch-didaktischen Handlungsbedarf und trug so, entgegen ihrer Intention, zum geschichtspolitischen Neuorientierungsprozess bei.339 So geht der Aufstieg der Grünen zur Par- lamentspartei Mitte der 1980er Jahre mit einem Wandel in der Erinnerungskultur einher. Diese traten seit ihrer Gründung in den 1970er Jahren für eine Aufarbeitung und Anerkennung der

333 Bauerkämper (2012), 227. 334 Vgl. Bailer (1998), 126. 335 Die FPÖ wurde 1955 gegründet. Sie leitete sich aus dem Verband der Unabhängigen (VdU) ab, der sich im Österreich der Nachkriegszeit insbesondere für die Interessen ehemaliger Nationalsozialisten einsetz- te. Die FPÖ stand in der Tradition des deutschnationalen, völkisch-rassistischen Lagers; es setzte sich aber über viele Jahre hinweg der liberale Flügel der Partei durch, bis 1986 der deutschnationale Flügel durch Jörg Haider erneut die Führung übernahm. Der liberale Flügel der FPÖ spaltete sich 1993 ab und schloss sich zum Liberalen Forum (LIF) zusammen. Die Wendung der FPÖ zur Rechtspartei wurde damit endgültig abgeschlossen. 2005 wurde die Partei erneut gespalten: Jörg Haider gründete die neoliberale Abspaltung Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ). Im selben Jahr übernahm Heinz-Christian Strache den Parteivorsitz der FPÖ. Unter seiner Führung setzte sich der völkische und extrem rechte gegen den konservativ-liberalen Flügel der Partei durch. Vgl. Wiegel (2013), 114f. Bei der letzten Nationalratswahl im Jahr 2013 erreichte die FPÖ einen Stimmanteil von 20,6 % mit einem Plus von 3 % zur letzten Nationalratswahl. Vgl. Bundes- ministerium für Inneres (2013). 336 Albrich (1997), 83. 337 Vgl. Albrich (1997), 83. 338 Albrich (1997), 83. 339 Vgl. Lehnguth (2013), 464. 66 österr. Schuld an NS-Verbrechen ein. „Die Grünen wirkten als ‚politischer Arm‘ einer erstarkten kritischen Öffentlichkeit, die die Behebung vergangenheitspolitischer Mängel als eine Frage von Anstand und Moral betrachtete.“340 Während sich die Grünen aus dem Feld der 68er rekrutier- ten, die sich von der Geschichte ihrer Familien erfolgreich distanzieren konnten, wuchsen viele FPÖ-Akteure der Nachkriegsgeneration, wie auch Haider selbst, in einem nationalsozialistisch kompromittierten Elternhaus auf. Ihnen gelang offenbar die Emanzipation von der elterlichen Familiengeschichte nicht, sodass sie die Verteidigung der Kriegsgeneration gegen den Aufbruch dessen Opferstandes einnahmen: „Wir [die Freiheitlichen] bekennen uns dazu, daß jene Genera- tion, die im Zweiten Weltkrieg geglaubt hat, ihre Pflicht zu tun, nicht ständig mit Füßen getreten wird, weil das politische System und menschenverachtende Politiker an der Spitze dieses Sys- tems versagt haben.“341

Abb. 11: Politische Generationen in Österreich des 20. und 21. Jahrhunderts und die von diesen geprägten Erinnerungsnarrative.

Die FPÖ versuchte daher die Schuld und Verantwortung der elterlichen Generation mithilfe ei- ner breiten Opfergleichsetzung zu relativieren, indem sie besonders österr. Gefallene, Internier- te sowie deutschsprachige Vertriebene in den Vordergrund rückten.342 Im gleichen Atemzug

340 Lehnguth (2013), 340. 341 FPÖ-Vorsitzende Jörg Haider (1987) zit. n. Lehnguth (2013), 126. 342 Haider (1996) versuchte einen „deutschnationalen“ Opfermythos zu konstituieren: „Die Schrecken angesichts der fast verhungerten und geschundenen Überlebenden aus den NS-Konzentrationslagern, dann die nach und nach heimkehrenden bis auf die Knochen abgemagerten Kriegsgefangenen, die hun- derttausenden Vertriebenen aus Schlesien, dem Banat, dem Sudetenland.“ Haider (1996), 17. 67 versuchte sie den Anschluss Österreichs ans Dritte Reich im Sinn der deutschnationalen Traditi- on positiv zu konnotieren.343

Rechtsextremismus und -populismus sind inzwischen zu gesamteuropäischen, vielleicht sogar zu globalen Phänomen geworden. „Die FPÖ kann sicherlich als Prototyp des Rechtspopulismus in Europa angesehen werden, war sie doch die erste Partei dieses Typs, die durchschlagende Wahlerfolge zu verzeichnen hatte […].“344 Inzwischen hat sich allerdings einiges geändert: Die „neuen“ Neuen Rechten Europas vollzogen in den letzten Jahren einen „Modernisierungspro- zess“, indem sie nun vermehrt rassistische Ressentiments, „heimisch-soziale Nächstenliebe“ (FPÖ) und antieuropäische Politik propagieren. Der Antisemitismus von damals wurde zum An- tiislamismus von heute sowie die Ideologie des Nationalsozialismus zum „nationalen Sozialis- mus“ umfunktioniert. Offener Antisemitismus und NS-Ideologie sind heute nicht mehr gesell- schaftlich kompatibel und wurden daher durch „moderne“ Feindbilder sowie neuer Ideologien nationalistischer Couleur ausgetauscht. Die „modernisierten Rechten“ distanzieren sich offen vom Faschismus und Nationalsozialismus, um eine Hinwendung zur liberal-demokratisch orien- tierten Mittelschicht zu vollziehen. Im Wesentlichen besteht ihr politisches Programm aber wei- terhin auf dem Prinzip der Exklusion und Werten der Inklusion (z.B. Fremde vs. Heimische, Elite vs. Volk).345 Die Vergangenheitsbewältigung scheint vordergründig allerdings keine Rolle mehr zu spielen.

1.4. ANERKENNUNG DER VERGANGENHEIT

„Ohne Reinigung der Seele keine politische Freiheit.“ Karl Jaspers346

Nach dem Ende des Kalten Krieges begann die Phase der Anerkennung; dies führte zu einem Paradigmenwechsel in Bezug auf Kriegserfahrungen, sodass der Nationalsozialismus allmählich aufgearbeitet und eine kritische Reflexion des nationalen Erinnerungsnarrativs eingeleitet wer- den konnte.347 Mit der Öffnung von Archiven nach dem Kalten Krieg wurden nationale Narrative als Lügen entlarvt und für die Zukunft bedeutungslos gemacht.348 Das Ende des Kalten Krieges bedeutete zugleich ein Auftauen der bisherigen geschichtspolitischen „Eiszeit“ und führte teil-

343 Vgl. Lehnguth (2013), 203. 344 Wiegel (2013), 113. 345 Vgl. Häusler (2013), 156–163. 346 Jaspers (1946), 104. 347 Vgl. Lingen (2009b), 16f. 348 Vgl. Assmann (2009), 47. 68 weise zur Revision der nationalen Geschichtsbilder durch die Universalisierung des Holocaust- Gedenkens im Sinn der Europäisierung und „Kosmopolitisierung“.349 In den 1990er Jahren fand allgemein ein bedeutsamer Wandel in der internationalen Moral statt, der viele Nationen erst- mals veranlasste, ihr in der Vergangenheit begangenes Unrecht einzugestehen und zu entschä- digen.350

„Dadurch erreichte die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eine politische Dimension, die eine Revision bisheriger Muster erzwang und zu starken gesellschaftlichen Auseinander- setzungen führte; im Idealfall führte dies zu einer Neuausrichtung der nationalen Erinne- rung.“351

In der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist nun eine „Normalisierung“ eingetreten, die nicht mehr auf eine „Marginalisierung oder Relativierung“ abzielt, sondern den Umgang mit dem Thema zur Normalität erklärt. Dies hängt auch mit dem „Abschied von der Zeitgenossenschaft“ zusammen; bereits 1998 waren zwei Drittel der Bevölkerung zu jung, um den Nationalsozialis- mus noch selbst erlebt zu haben.352

Aber auch im wiedervereinigten Deutschland blieb die Gedächtnispolitik ambivalent: Einerseits übernahm die Politik und Teile der wirtschaftlichen Eliten die Verantwortung für Opfer des Na- tionalsozialismus durch Entschädigungszahlungen in den 1990er Jahren und nach dem Millen- nium, andererseits zeigte etwa die Wehrmachtausstellung353 von 1995 bis 1999, welche das Bild einer „sauberen“ Wehrmacht vollends widerlegte und die Beteiligung derselben an Kriegsver-

349 Vgl. Lehnguth (2013), 247. 350 Vgl. Barkan (2002), 11f. Elazar Barkan versucht in seinem Buch The Guilt of Nations (2000) aufzuzei- gen, dass die internationale Moral vieler Staaten insbesondere seit dein 1990er Jahren zugenommen und das wiederum zu erstmaligen Entschädigungszahlungen für begangenes Unrecht geführt habe: „Die For- derung, daß Staaten moralisch handeln und ihre eigenen schweren historischen Vergehen anerkennen sollen, ist ein neues Phänomen. Traditionell war die Realpolitik, die Vorstellung, daß Tatsachen und nicht Ideologie und Ethik die Politik bestimmen sollen, in der internationalen Diplomatie vorherrschend. Aber mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges – und ganz besonders nach Beendigung des Kalten Krieges – er- langten Fragen der Moral und Gerechtigkeit zunehmende Beachtung als Fragen der Politik. Und als solche ist der Ruf nach Entschädigung für Opfer der Vergangenheit zu einem festen Bestandteil nationale Politik und internationaler Diplomatie geworden.“ Barkan (2002), 12. 351 Lingen (2009b), 17. 352 Vgl. Große Kracht (2005), 172. 353 Die vom Hamburger Institut für Sozialforschung im März 1995 anlässlich des 50. Jahrestages des Kriegsendes initiierte Wanderausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 lösten anhand bis daher unveröffentlichter Privatphotographien von Wehrmachtsoldaten tiefe Betroffen- heit bei einem breiten, nicht-akademischen Publikum aus. Die Ausstellung führte zum Aufbrechen der Legende von einer „sauberen“ Wehrmacht und provozierte zudem eine gesamtgesellschaftliche Kontro- verse. Die extremen Rechten sahen in der Ausstellung nur lügenhaften Vaterlandsverrat. Eine Demonstra- tion gegen die Wehrmachtsausstellung führte 1997 in München zum größten Neonaziaufmarsch seit Kriegsende. Vgl. Knäpple (2007b), 288f. 69 brechen fotodokumentarisch belegte, das nach wie vor bestehende innergesellschaftliche Kon- fliktpotenzial bei der Anerkennung der Vergangenheit.354

Die Wiedervereinigung Deutschlands beflügelte die erneute Suche nach einer gemeinsamen deutschen Identität sowie Geschichte. Dies führte dazu, dass seit den 1990er Jahren verstärkt an deutsche Opfer der Flucht und Vertreibung sowie des Bombenkrieges gedacht wurden. Die De- batte über deutsche Opfer prägte aber auch schon die Erinnerungskultur des unmittelbaren Nachkriegsdeutschlands und war damit kein erstmaliger Tabubruch. Sie rückte die individuelle Schuld und Verstrickung der Deutschen in der NS-Zeit in den Mittelpunkt eines moralisierenden Auseinandersetzungsprozesses und veranschaulichte in literarischer und (dokumentar- )filmischer Form abstrakte Handlungsdilemmata durch Menschen- und Familienporträts im Dritten Reich. Diese kulturelle Emotionalisierung und Ritualisierung des Gedenkens der eigenen Opfer sowie anderer Opfergruppen des Nationalsozialismus ist nun zur Staatsräson des verein- ten Deutschlands geworden. Die „Aneignung der Toten“ aber, wie sie beispielsweise im Fall des Holocaust Memorials355 in Berlin häufig diskutiert wurde, führte zweifellos zu ihrer Indienst- nahme durch die Politik.356 „Eine Erinnerungskultur, welche die Vergangenheit erneut als Bestä- tigung der Gegenwart in Dienst nimmt, ist aber ahistorisch.“357 So bildete das moderne Deutsch- land ein positives nationales Selbstbild nicht nur auf Basis des „Wirtschaftswunders“ und des demokratischen Selbstverständnisses, sondern auch um den Erinnerungskern des Holocausts heraus. Die Vergangenheitsbewältigung der Deutschen im Umgang mit ihrer Geschichte wird selbst zu einer Erfolgsgeschichte und ist „gewissermaßen zu einem positiven Faktor der Identi- tätskonstruktion avanciert“358. Dies bestätigt die Rede Gerhard Schröders zum 60. Jahrestag der Befreiung der nationalsozialistischen Lager am 10. April 2005:

„Der Tod der Millionen, das Leid der Überlebenden, die Qualen der Opfer - sie begründen un- seren Auftrag, eine bessere Zukunft zu schaffen. Vergangenheit können wir weder ungesche- hen machen, noch wirklich bewältigen. Aber aus der Geschichte, aus der Zeit der tiefsten Schande unseres Landes, können wir wohl lernen: Wir, die Nachgeborenen, die Vertreter ei- nes anderen, eines demokratischen Deutschlands, wir wollen und wir werden nicht zulassen, dass Unrecht und Gewalt, dass Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in unse- rem Land jemals wieder eine Chance bekommen. Die Erinnerung an die Zeit des Nationalso-

354 Vgl. Bauerkämper (2012), 212. 355 2005 eröffnetes zentrales deutsches „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“. In der rund 15- jährigen Planungsphase wurde die Art und Symbolik des Mahnmals ausführlich debattiert. In diesem Zu- sammenhang wurde auch eine Instrumentalisierung durch die Politik befürchtet. Vgl. Langer (2007a), 290f. 356 Vgl. Bauerkämper (2012), 318–320. 357 Bauerkämper (2012), 320. 358 Hammerstein (2008), 51. 70 zialismus, an Krieg, Völkermord und Verbrechen ist Teil unserer nationalen Identität gewor- den. Daraus folgt eine bleibende moralische und politische Verpflichtung.“359

Auch in Österreich haben die Umwälzungen in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre sukzessive zu einer Veränderung der Gedächtnispolitik zur NS-Vergangenheit und zum Zweiten Weltkrieg geführt. Bundespräsident Kurt Waldheim selbst gestand erstmals die partielle Täterrolle der Österreicher ein, als er am Vorabend des 50. Jahrestages des Anschlusses am 10. März 1988 ver- kündete: „Es gab Österreicher, die Opfer, und andere, die Täter waren.“360 Dies war ein erstes Eingeständnis der Teilschuld; grundsätzlich aber wurde die Opferrolle Österreichs damit nicht revidiert, sondern eher cum grano salis zu modifizieren versucht: „Als Staat aber war Österreich das erste Opfer Hitlers. Daran ist nicht zu rütteln.“361 Bundeskanzler Franz Vranitzky führte die neue Opfer-Täter-Doktrin im Wesentlichen fort. In seiner Rede vor dem Nationalrat am 8. Juli 1991 bekannte er öffentlich die Mitverantwortung der Österreicher am Vernichtungskrieg und Holocaust362:

„[Wir Österreicher bekennen uns] zur Mitverantwortung für das Leid, das zwar nicht Öster- reich als Staat, wohl aber Bürger dieses Landes über andere Menschen und Völker gebracht haben. […] Wir bekennen uns zu allen Taten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen; und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen – bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten.“363

Im Mittäterbekenntnis hütete sich Vranitzky aber dennoch vor einer grundsätzlichen Revision der österr. Staatsdoktrin der Opfertheorie, indem er die Opfer des Holocaust in einem Atemzug mit den gefallenen Soldaten im Vernichtungskrieg Hitlers nannte und pauschal zusammenfasste. Dennoch setzte Vranitzky eine innenpolitische Wende in Gang, die 1995 schließlich zur Schaf- fung des „Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus“ führte und somit erstmals österr. Opferzahlungen ermöglichten.364 Vranitzky nutzte die durch die Wald- heim-Affäre ausgelöste Isolation Österreichs durch die Staatengemeinschaft sowie die innenpoli- tische Debatte um die Mitverantwortung am Holocaust zur partiellen Neuausrichtung des Ge- schichtsbildes durch die Mittäterthese. Hiermit führte er Österreich erfolgreich aus der politi- schen Isolation und stellte die Weichen für den EU-Beitritt Österreichs.365 Nach dem Millennium wurde mit der Einrichtung von Opferstiftungen und dem Eingeständnis der Schuld und Verant-

359 Schröder (2005). 360 Waldheim (2008), 642. 361 Waldheim (2008), 642. 362 Vgl. Bauerkämper (2012), 219. 363 Vranitzky (2008), 646f. 364 Vgl. Albrich (1997), 84f. 365 Vgl. Lehnguth (2013), 246f. 71 wortung durch Bundespräsident Heinz Fischer im Jahr 2006 – „Österreicher waren in der Zeit des Nationalsozialismus Opfer, aber auch Täter“ – die Anerkennung der eigenen Vergangenheit weiter vorangetrieben.366 Die Opferrolle Österreichs wurde aber dennoch bis heute fortge- schrieben, wenngleich die „eindimensionale Opfertheorie“ durch eine ambivalente Opfer-Täter- Doktrin ersetzt wurde: „Wir haben uns in einem langen, schmerzvollen Prozess von der eindi- mensionalen Opfertheorie entfernt und zu dem Bekenntnis durchgerungen, dass es in der NS- Zeit in Österreich Opfer und Täter gegeben hat.“367 Zum 75. Jahrestages des Anschlusses368 am 12. März 2013 betonte Fischer erneut die Verantwortung Österreichs an NS-Verbrechen und kriti- sierte zugleich deren späte Aufarbeitung: "Nur gereinigte und sauber gemachte Wunden können ohne Entzündungsgefahr heilen. Und dieses Saubermachen der Wunden, das hat sehr lange auf sich warten lassen."369 Trotz der späten Aufarbeitung der österreichischen NS-Vergangenheit dürfe aber dennoch kein Schlussstrich „unter das was zwischen 1938 und 1945 geschehen ist“, gezogen werden: „Vergessen nein, verzeihen ja.“370

Die Anerkennung der nationalsozialistischen Verbrechen ist auch in Österreich noch nicht zu einem völligen Ende gelangt, wie etliche anachronistische Relikte und Symbole in der gesell- schaftlichen, kulturellen und politischen Erinnerungskultur zeigen. Dennoch weisen kritische Reaktionen auf etwaige „Reaktivierungen der Opferthese“, auf „Gedenkfeiern für ehemalige Wehrmachtsoffiziere“ und anderen Interferenzen der Erinnerungskultur darauf hin, dass sich in Österreich sowie in Deutschland die zentrale Bedeutung der Vergangenheit für das nationale Selbstverständnis allmählich durchgesetzt hat.371

1.4.1. Erinnern um zu Vergessen

„Amnestie ja – Amnesie nein!“ Adam Michnik372

In früheren Kulturen war es das Vergessen, das gesellschaftliche Konflikte stabilisierte. Heute „ist es das Erinnern, das politisch erwünscht ist und einen gesellschaftlichen Gesundungsprozess

366 Vgl. Bauerkämper (2012), 219f. 367 Fischer (2008), 664. 368 Gemeint ist der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich am 12. März 1938 und der damit einhergehenden Eingliederung Österreichs ans Deutsche Reich. 369 Fischer (2013). 370 Fischer (2013). 371 Vgl. Uhl (2008), 85. 372 Adam Michnik zit. n. Leggewie & Lang (2011), 45. 72 nach Konflikten auslösen soll.“373 Erst durch das Erinnern, durch die „Reue und empathische Teilhabe an der Erinnerung der Opfer“ kann die „Last der Vergangenheit“ abgetragen werden; „anschließend ist dann ein Neubeginn möglich und es darf, ja es muss im Sinne der Zukunftsge- winnung gemeinsam vergessen werden.“374 In diesem Fall kann das Erinnern auch zum Verges- sen führen, indem das Erinnern eine „therapeutische, eine läuternde und reinigende Funktion“ übernimmt.375 Eine solche kathartische Wirkung entfaltet das Erinnern aber erst, wenn die Ver- gangenheit nicht mehr verdrängt und/oder verzerrt, sondern erst dann, wenn sie in ihrer gan- zen Tragweite erkannt, anerkannt und „verinnert“ wird. Erinnern in diesem Sinn „heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, dass es zu einem Teil des eigenen Innern wird.“376

„Erst innerhalb eines neuen Rahmens können Erinnerungspraktiken und -rituale einen Pro- zess der Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Vergangenheit einleiten und damit zur deren Anerkennung sowie zur Versöhnung und möglicher Weise auch zum Vergessen im Sin- ne einer gemeinsamen Durcharbeitung und Überwindung der Vergangenheit führen.“377

Vergessen soll aber nicht zur Bewältigung der Vergangenheit führen. Das Bewältigen der Ge- schichte ist ohnehin nicht möglich. „Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie läßt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen.“378 Vielmehr sollen, nach vollständiger Anerkennung von Schuld und Verantwortung für die Vergangenheit, jene Schuldkomplexe überwunden und vergessen werden, die lange Zeit eine Auseinanderset- zung mit der Geschichte und die Anerkennung derselben verhindert haben. „Man muss der Schuld ein Ende setzen, nicht der Erinnerung.“379

Letztendlich besteht aber die größte Gefahr des Erinnerns darin, dass die stetige, schematische und zwanghafte Erinnerung tatsächlich zum Vergessen führen kann, wenn der eigentliche Erin- nerungsgegenstand hinter ritualisierten, programmatischen und mitunter bedeutungslosen Ze- remonien verschwindet und schließlich vergessen wird. Dies führt letztlich zu einer Erinne- rungskultur, die eine „Kultur des Vergessens“ evoziert!380 Robert Musil erkannte diese Dichoto- mie der Erinnerungskultur anhand von Denkmälern und beschrieb diese folgenderweise:

„Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler. Sie werden doch zweifel- los aufgestellt, um gesehen zu werden, ja geradezu, um die Aufmerksamkeit zu erregen; aber

373 Lingen (2009b), 11. 374 Assmann (2009), 46. 375 Vgl. Assmann (2009), 45. 376 Weizsäcker (1994), 41. 377 Assmann (2009), 47. 378 Weizsäcker (1994), 44. 379 Leick (2013), 138. 380 Vgl. Verdorfer (2000), 297. 73 gleichzeitig sind sie durch irgend etwas gegen Aufmerksamkeit imprägniert, und diese rinnt Wassertropfen-auf-Ölbezug-artig an ihnen ab, ohne auch nur einen Augenblick stehenzublei- ben.“381

1.4.1.1. Dialogisches Erinnern

„Eine der wirksamsten Möglichkeiten, der Zukunft eines vereinten Europas, besser gesagt, des wiedervereinigten Europas einen Weg zu bahnen, besteht darin, unsere Vergangenheiten miteinander zu teilen, unser Gedächtnis, unsere bislang getrennten Erinnerungen zu einen.“ Jorge Semprún382

Während in der Nachkriegszeit vor allem nationale Mythen die Sicht auf den Nationalsozialis- mus, Faschismus und den Zweiten Weltkrieg bestimmten, bildeten sich im Lauf der Jahrzehnte vermehrt transnationale Bezüge der Erinnerungskulturen heraus, die heute von „universalisti- schen Wertmaßstäben“ geprägt und beflügelt sind. Dies förderte ein auf den Holocaust bezoge- nen gesamteuropäisches Geschichtsbild, das zur Konstruktion grenzüberschreitender Identitä- ten beitrug und die Demokratie im Sinne der europäischen Wertegemeinschaft stützte.383 Grundsätzlich kann eine gemeinsame Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, Holocaust, Natio- nalsozialismus und Faschismus durch eine „transnationale Erinnerung“ und die „Konstruktion eines paneuropäischen Gedächtnisses“ erreicht werden. Durch die Konstitution einer gemein- samen Erinnerungskultur würden weitere zwischenstaatliche Barrieren und Grenzen abgebaut werden. Allerdings sind die nationalen Bezüge im Umgang mit der Vergangenheit nach wie vor zwischen den einzelnen Staaten sehr gespalten384: „Europa ist ein Schlachtfeld, seine Historio- graphie gleicht einer Schlachtbeschreibung.“385

Das „dialogische Erinnern“ könnte allerdings zu einer Annäherung der Erinnerungskulturen führen und nationale Mythen entsorgen.386 „Die Europäische Integration kann nicht wirklich fortschreiten, solange die monologischen Gedächtnis-Konstruktionen sich weiter verfestigen.“387 Erinnerungen müssen aber dennoch pluralistisch bleiben – falls nicht, würde dies unweigerlich

381 Musil (1978), 62. 382 Jorge Semprún in seiner Rede zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald am 10. April 2005. Semprún (2005). 383 Vgl. Bauerkämper (2012), 20–25. 384 Vgl. Bauerkämper (2012), 392. 385 Leggewie & Lang (2011), 8. 386 Vgl. Winkler (2000b), 657. 387 Assmann (2009), 48. 74 zur Instrumentalisierung der Geschichte und gleichsam zu einem „Europa-Mythos“ führen. Wäh- rend im Westen Europas vor allem die Erinnerung an Auschwitz-Birkenau dominiert, ist es im Osten die an den GULag.388 „Ein ‚europäisches Gedächtnis‘, das auf eine inhaltliche einheitliche Erinnerung zielt, ist in dem Integrationsprozess weder unabdingbar noch ihm förderlich.“389 Eine transnationale Erinnerungskultur geht vielmehr mit einer transnationalen Perspektiven- übernahme einher, als mit einer gemeinsamen Geschichte. Fest steht: Die Geschichte trennt und verbindet Europa zugleich.390

Abb. 12: Die sieben Kreise europäischer Erinnerung.391

Weiter gedacht gehört der Holocaust heute zu einem internationalen Gedächtnis, einem „Welt- Gedächtnis“, und ist nicht mehr nur allein die Sache der Deutschen, sondern vielmehr die Ange- legenheit der gesamten Menschheit.392 Der Stellenwert transnationaler Bezüge in der Erinne- rung ist daher zweifellos gewachsen.393 Die Glokalisierung394 von Gedächtnissen geht mit einer

388 Vgl. Leggewie & Lang (2011), 11. 389 Bauerkämper (2012), 397. 390 Vgl. Bauerkämper (2012), 396–400. 391 Nach Claus Leggewie bilde der Holocaust den Kern und Ausgangspunkt der europäischen Erinnerung als „negativer Gründungsmythos Europas“. Um diesen Kern herum würden noch weitere europäische Erinnerungsnarrative miteinander konkurrieren. Vgl. Leggewie & Lang (2011), 15. 392 Vgl. Assmann (2009), 48. 393 Vgl. Bauerkämper (2012), 27. 394 Glokal ist ein „Ineinanderblenden“ von global und lokal und bezieht sich auf die „Anpassung einer glo- balen Perspektive an lokale Umstände“. Der Gedanke der Glokalisierung ist in seiner ökonomischen Be- deutung eng mit dem Begriff Mikro-Marketing verbunden: „das Zuschneiden von und Werben für Güter und Dienstleistungen auf globaler oder fast-globaler Ebene für zunehmend differenzierte lokale und par-

75 „wechselseitigen Verknüpfung und Aufrasterung allzu einheitlicher Gedächtniskonstruktionen entlang nationaler Grenzen“ einher. Nationale Mythen können so im Widerstreit pluralistischer Erinnerungen durch einen gemeinsamen, glokalen und dialogischen Erinnerungsrahmen aufge- brochen und überwunden werden.395 Das Zusammenrücken der Staaten und Nationen in einer globalisierten Welt führt notwendigerweise immer mehr zu einer transnationalen Erinnerungs- kultur, in der eine gemeinsame wissenschaftliche Sprache sowie Forschungsfragen den „Dialog unter Schwerhörigen“ beenden könnten. „Mit einem Wort: hören wir auf, in alle Ewigkeit von Nationalgeschichte zu Nationalgeschichte zu plaudern, ohne uns zu verstehen.“396

1.5. FAZIT: VOM STILLSTAND DER GESCHICHTE ZUM

„HAPPY END“

„Geschichte treiben, Geschichte lehren bedeutet in Aschen stochern, von denen die einen längst erkaltet, die anderen noch warm sind...“ Lucien Febvre397

Die von der Vergangenheit belasteten Nachkriegsgesellschaften wurden zu kalten Gesellschaf- ten398, welche durch die Methode der kalten Erinnerung399 ihre Geschichte einzufrieren versuch-

tikulare Märkte“. Auf den Punkt gebracht heißt das: Global denken, lokal handeln. Vgl. Robertson (1998), 197f. 395 Vgl. Assmann (2009), 48. 396 Bloch (1994), 159. Der französische Historiker Marc Bloch plädierte bereits 1927 Für eine vergleichen- de Geschichtsbetrachtung der europäischen Gesellschaften. Die vergleichenden Sprachwissenschaften dien- ten ihm dabei zum Vorbild und Anreiz. Deren „ursprüngliches Trachten“ habe sich auf die Bestimmung von Verwandtschaft und Verbindung zwischen den Sprachen gerichtet, um die eigentliche Ursprache her- auszukristallisieren. Letztendlich führte diese vergleichende Methode aber dazu, Unterschiede und Be- sonderheiten der jeweiligen Sprachen herauszufiltern. Bloch spricht sich deshalb für eine vergleichende Geschichtswissenschaft aus, die durch die vergleichende Methode regionale Gemeinsamkeiten und Unter- schiede herausarbeiten könnte. Für eine transnationale Geschichtswissenschaft müssten allerdings eine gemeinsame wissenschaftliche Sprache sowie gemeinsame Fragestellungen gefunden werden. Vgl. Bloch (1994), 149–158. 397 Febvre (1988), 16. 398 Unter kalten Gesellschaften versteht Claude Lévi-Strauss Gesellschaften, die dank ihrer „Institutionen, die sie sich geben, auf gleichsam automatische Weise die Wirkung zu annullieren, die die historischen Faktoren auf ihr Gleichgewicht und ihre Kontinuität haben könnten; […] das Ziel „der ‚kalten‘ Gesellschaf- ten ist es, so zu verfahren, daß die Ordnung der zeitlichen Aufeinanderfolge den Inhalt jedes einzelnen Elements so wenig wie möglich beeinflußt.“ Heiße Gesellschaften dagegen „interiorisieren [verinnerlichen] entschlossen das historische Werden, um es zum Motor ihrer Entwicklung zu machen.“ Lévi-Strauss (1991), 270. 399 Kalte Kulturen sind keine geschichtslose Kulturen, sie „leben nicht in der Vergessenheit von etwas, was ‚heiße‘ Kulturen erinnern, sondern in einer anderen Erinnerung. Um dieser Erinnerung willen muß das

76 ten, um einen strukturellen und gesellschaftlichen Wandel durch das Eindringen von Reminis- zenzen einer unerwünschten Vergangenheit in ihre Kultur zu verhindern.400 Diese in Summe „kalten“ Erinnerungskulturen bedienten sich ebenso auch „heißer“ Erinnerungselemente, indem sie die Geschichte durch eine eigene Mythomotorik401 – also durch die Schaffung eigener Mythen (Gründungs-, Widerstands- und Opfermythos) – umdeuteten und verinnerlichten, um die Ge- schichte wiederum „zum Motor ihrer Entwicklung zu machen“402. Durch die Synergie von kalter und heißer Erinnerung konnten so bisherige gesellschaftliche und politische Verhältnisse retro- spektiv legitimiert und prospektiv gefestigt werden. Die Geschichte als Mythos wurde damit zum „Motor der Entwicklung“ und zum „Fundament der Kontinuität“ zugleich.403 Die Gegenwart pass- te sich ihre Vergangenheit nun so an, dass sie wieder für die Jetztzeit erträglich und für die Zu- kunft hoffnungsvoll wurde. In den weiteren Nachkriegsjahrzehnten wurde die Geschichte wei- terhin durch eine kalte Erinnerung künstlich zu konservieren versucht, um dem Aufbruch der Mythen durch „heiße Erinnerungsfunken“ entgegenzuwirken. Die Geschichte kam dadurch gleichsam zu ihrem Stillstand und wurde durch einen Mythos ersetzt, um eine „ewige Gegen- wart“404 zu schaffen, aus der die Vergangenheit kontrolliert und auf sicheren Abstand gehalten werden konnte. Allerdings sollte sich diese nicht so einfach einfrieren lassen; dafür gab es zu viele gegensätzliche Erinnerungsnarrative, welche die Interferenzen der unterschiedlichen Er- innerungen offenbarten und den Stillstand der Geschichte erfolgreich verhinderten. Umso mehr in den kalten „Aschen der Geschichte“ gestochert wurde, desto häufiger stiegen „heiße Erinne- rungsfunken“ empor. Dafür sorgte nicht zuletzt der gesellschaftliche (Generationenwechsel), kulturelle (Paradigmenwechsel), wirtschaftliche (Globalisierung) und politische (Europäisie- rung, Internationalisierung) Strukturwandel, ohne die der Aufbruch der Nachkriegsmythen nicht möglich gewesen wäre. Schließlich führten diese Veränderungen, die sich seit dem Ende des Kalten Krieges zusehends noch beschleunigten und dynamisierten, selbst zu neuen Mythen, die sich auf positive und negative Masternarrative (z.B. Wirtschaftswunderland vs. Drittes

Eindringen von Geschichte verhindert werden. Dazu dienen die Techniken ‚kalter‘ Erinnerung.“ Assmann (1999), 68. 400 Vgl. Assmann (1999), 68. 401 Die Mythomotorik ist die handlungsorientierende Bedeutung und Kraft eines Mythos für die Gegenwart einer Gruppe in einer bestimmten Situation. Ein Mythos ist nach Jan Assmann „der (vorzugsweise narrati- ve) Bezug auf die Vergangenheit, der von dort Licht auf die Gegenwart und Zukunft fallen läßt.“ Ein My- thos könne ferner „fundierend“ wirken, indem er das Gegenwärtige in das „Licht einer Geschichte“ rückt und es dadurch „sinnvoll, gottgewollt, notwendig und unabänderlich erscheinen läßt“. Ein Mythos könne aber auch „kontrapräsentisch“ wirken, also die „Gegenwart-relativierend“ im Sinne einer „Gegen- Geschichte“. Vgl. Assmann (1999), 78-80.. 402 Lévi-Strauss (1991), 270. 403 Vgl. Assmann (1999), 75. 404 Nach Aleida und Jan Assmann bedienen sich totalitäre Regime einer „ewigen Gegenwart“, um eine kalte Kultur zu schaffen, in der der Machterhalt einfacher gesichert werden könne. Vgl. Assmann (1999), 75. Von dieser „ewigen Gegenwart“ der herrschenden Eliten spricht auch Orwell in seinem Roman 1984: "His- tory has stopped. Nothing exists except an endless present in which the party is always right." Orwell (1989), 162. 77 Reich) gleichermaßen stützen. Die zweite Geschichte, oder zumindest der Mythos von ihr, wurde damit neuerdings zum „Motor der Entwicklung“ gemacht. Schließlich wurde die zweite Geschich- te, die Geschichte der Vergangenheitsbewältigung, selbst zur Erfolgsgeschichte und zum Mythos verklärt. Als neue vorherrschende Meistererzählung schuf es das Bewusstsein, „dass die Bewäl- tigung der Folgen totalitärer Herrschaft, ob faschistischer, nationalsozialistischer oder kommu- nistischer Provenienz, eine wesentliche Bedingung der Möglichkeit ist, […] demokratisch- politische Kulturen zu entwickeln.“405 „Denn es lässt sich belegen, dass Demokratisierungspro- zesse in Übergangsgesellschaften – und das waren nach1945 fast alle europäischen Nationen – ohne kritische Rekapitulation der eigenen Vergangenheit prekär und unvollkommen blieben.“406

Ist damit die zweite Geschichte zu ihrem erfolgreichen Ende gelangt, so wie alle Geschichten laut dem Geschichtstheoretiker Jörn Rüsen nach einem „Happy End“ streben?407 Ist damit die Ver- gangenheit nun wirklich durch deren Auseinandersetzung und Anerkennung vergangen und bewältigt worden? Ist damit die Geschichte, die nicht vergehen will, endgültig vorbei und ver- gangen? – Wenn die „Schrecken der Vergangenheit“ aber unterschiedslos in einem Zeitalter der Extreme408 oder gar in einem „Jahrhundert der Barbarei“409 subsumiert werden, führt dies neu- erlich zur Relativierung und Historisierung der Geschichte.410 Sie würde dann erneut von der Gegenwart abgekoppelt. Die wahre Geschichte droht dann wieder hinter einem Mythos der er- folgreichen Vergangenheitsbewältigung, Modernisierung und Demokratisierung zu verschwin- den, die eine „ewige Gegenwart“ konstituiert und die Geschichte erneut stillstehen lässt. Dabei dürfen die „Schrecken der Vergangenheit“ nicht ins 20. Jahrhundert verbannt werden – vielmehr muss die ständige Gegenwärtigkeit der Vergangenheit wahrgenommen werden!

„Nicht die Geschichte wiederholt sich (was auch ein Mythos ist), sondern: Menschen wiederho- len die Geschichte, wenn sie ihre Handlungsmuster nicht durchschauen und relativieren.“411

405 Fröhlich (2009), 125f. 406 Leggewie & Lang (2011), 45f. 407 Nach Rüsen hätten Geschichten, sowie die Geschichte und deren Darstellung selbst, stets ein „happy end“. Das Streben nach Glück ist eine menschlich-immanente Eigenart, die sich auch auf das historische Denken auswirke und eine „Besserung“ der Vergangenheit bewirke. Mit dem historischen Denken meint Rüsen die Übermittlung der Vergangenheit in die Gegenwart als Geschichte, also die Darstellung von Ge- schichte: „Das historische Denken spielt den Dingen der eigenen Welt die Melodie ihrer historischen Be- deutung vor und bringt sie dadurch zum Tanzen. […] ‘Besser‘ heißt: flüssiger, nicht mehr faktisch bedin- gend, sondern sinnhaft wirkend.“ Rüsen (2003), 33–36. 408 Hobsbawm bezeichnet das „Kurze 20. Jahrhundert“ – gemeint ist die Zeit vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 bis zum Zusammenbruch der UdSSR 1991 – in seiner Retrospektive als Das Zeitalter der Extreme (1995), „weil es ohne Zweifel das mörderischste Jahrhundert von allen war, über die wir Auf- zeichnungen besitzen: mit Kriegszügen von nie gekannten Ausmaßen und von nie dagewesener Häufigkeit und Dauer, unterbrochen nur für kurze Zeit in den zwanziger Jahren, und beherrscht von bis dahin einma- ligen menschlichen Katastrophen, die von diesen Kriegen hervorgerufen worden waren (von den größten Hungerkatastrophen der Geschichte bis hin zum systematischen Genozid).“ Hobsbawm (1999a), 28. 409 Reichel, Schmid & Steinbach (2009b), 414f. 410 Vgl. Fröhlich (2009), 125f. 411 Peterlini (2012), 226. 78 Konflikte, Kriege und Genozide gibt es auch heute noch. Die bittere Wahrheit lautet daher nach wie vor: „Auschwitz war nicht, Auschwitz ist“412!

Abb. 13: Konflikte weltweit von 1945 bis 2013 nach niederer, mittlerer und hoher Intensität.413

2. GESCHICHTE SCHREIBEN NACH AUSCHWITZ

„Geschichte schreiben ist eine Art, sich das Vergangene vom Halse zu schaffen.“ Johann Wolfgang von Goethe414

Auch heute noch stellt das Jahr 1945 im kulturellen Gedächtnis vieler Staaten und Nationen ei- nen entscheidenden Wendepunkt der Geschichte dar. – Trotz allem aber führte diese bedeuten- de Zäsur der Geschichte nicht ad hoc zu einem Wandel innerhalb der Geschichtswissenschaft selbst.415 Diese sowie die öffentliche Debatte über die jüngste Vergangenheit wurden vorwie-

412 Theodor W. Adorno zit. n. Reichel, Schmid & Steinbach (2009b), 415. 413 Die Anzahl gewaltsamer und nicht gewaltsamer Konflikte stieg seit 1945 von 83 auf 414 im Jahr 2013. Besonders die Zahl „high intensity conflicts“ nahm seit dem Zweiten Weltkrieg stetig zu und erreichte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1992 mit 51 Konflikten den höchsten Stand der Aufzeichnun- gen. 2013 waren es immerhin noch 45 „high intensity conflicts“. Vgl. Heidelberger Institut für Internatio- nale Konfliktforschung (2013), 16. 414 Goethe, Johann Wolfgang von 391. 415 Nach Hans Mommsen habe das Jahr 1945 für die Geschichtswissenschaft sowie für die deutsche Ge- schichte „keineswegs eine so tiefgreifende Zäsur [dargestellt], wie das von den Historikern damals emp- funden wurde“. Sein Zwillingsbruder Wolfgang J. Mommsen wiederspricht dem allerdings und meint, dass eine „ehrliche Überprüfung der Traditionen und Ansichten“ stattgefunden habe. Vgl. Schulze (1989), 3.

79 gend von einer Historiker/innengeneration geführt, die schon vor und während des Krieges bestimmend war. Dabei fühlten sich vor allem von der Vergangenheit „unbelastete“ Histori- ker/innen in Italien und Deutschland dazu berufen, in die öffentliche Meinungsbildung einzu- greifen.416 In beiden Ländern übernahmen sie gleichsam die Rolle der „Volkserzieher“. Legiti- miert wurden sie durch das Scheitern der überwundenen Systeme des Faschismus und Natio- nalsozialismus, denen sie nicht unmittelbar angehört hatten. Diese wurden zwar in beiden Län- dern strikt zurückgewiesen, was zu einer Pathologisierung derselben führte, im gleichen Atem- zug aber wurde die Vergangenheit beschönigt, indem der Widerstand überhöht und die Verbre- chen beider Systeme marginalisiert oder schlichtweg beschwiegen wurden.417 Während in Frankreich und Italien vor allem der Widerstand gegen den Faschismus glorifiziert wurde, was gleichsam zu einem Résistance- bzw. Resistenza-Mythos418 führte, entfalteten deutsche Histori- ker/innen eine apologetische Wirkung, indem sie Hitler und seinen Machtapparat pathologisier- ten und dämonisierten sowie den Nationalsozialismus historisch zu erklären versuchten. In Ita- lien wurde zudem der Faschismus mit Hinweis auf die Verbrechen des Nationalsozialismus durch die Historiker/innen zu verharmlosen versucht. Die Glorifizierung des Widerstandes, die Dämonisierung und Pathologisierung des Nationalsozialismus sowie dessen historische Relati- vierung dienten letzten Endes dazu, sich selbst sowie das Gros der Gesellschaft zu entlasten und zu befrieden.419 All dies geschah meist unter dem Deckmantel einer Geschichtsrevision:

Winfried Schulze kommt zu dem Schluss, dass die deutsche Geschichtsschreibung nach 1945 „keinesfalls einen radikalen Umbruch ihrer methodischen Grundorientierung und Leitthemen“ vollzogen habe. Den- noch unterläge sie damals „den Wirkungen einer gesellschaftlichen Umstrukturierungen […], die letztlich tiefer reichten, als es eine vordergründige ‚Revision‘ nach 1945 hätte erreichen können.“ Vgl. Schulze (1989), 37. 416 Die Präsenz von Historiker/innen in den öffentlichen Massenmedien war in Italien und Deutschland sehr hoch, wenngleich diese in Italien weitaus höher war als in Deutschland. Dort führte die Institutionali- sierung des anglo-amerikanischen Pressewesens nach 1945 zur strikten Trennung von Nachricht und Meinung, sodass deutsche Historiker/innen zwar als Expert/innen, weitaus weniger aber als Meinungs- macher/innen fungieren konnten, als dies etwa in Italien der Fall gewesen war. Vgl. Vom Lehn (2012), 314–316. Auch heute noch ist die Trennung von Nachricht und Meinung in der italienischen Medienland- schaft aufgrund der starken Medienkonzentration eher fragwürdig. 417 Vgl. Vom Lehn (2012), 317f. Die Verbrechen wurden insofern ausgeklammert, indem sie wenigen Ein- zelpersonen, wie etwa dem Wachpersonal von Konzentrationslagern, zugeschrieben wurden. Vor allem die Presseberichterstattung über Täterprozesse bemühte sich redlichst, diese als „Monster“ und „Bestien“ darzustellen. Indirekt wurde damit die Schuld an solchen Verbrechen einer breiten Masse abgesprochen. Vgl. Bauerkämper (2012), 114. 418 Nach Hans-Ulrich Wehler akzeptierte die französische „Histoire Contemporaine“ mit „verblüffender Beflissenheit“ die Nachkriegslegende, dass die Franzosen ein Volk von Widerstandskämpfern gegen die deutsche Besatzungsherrschaft gewesen wären. Der dadurch geschaffene „Résistance-Mythos“ wurde lange Zeit nicht hinterfragt. Lediglich ausländische Historiker/innen wiesen auf die ausgedehnte Kollabo- ration des Vichy-Regimes samt dem französischen Antisemitismus hin. Erst rund 40 Jahre später wurde der französische Faschismus durch die einheimische Geschichtswissenschaft aufgearbeitet. Wehler ver- gleicht diese Entwicklung mit dem „Resistenza-Nimbus“ der italienischen Nachkriegsgeschichte. Vgl. Weh- ler (2001), 38f 419 Vom Lehn (2012), 322f. 80 „Der radikale Bruch mit unserer militaristischen Vergangenheit, den wir jetzt auf uns nehmen müssen, führt uns aber auch vor die Frage, was aus unseren geschichtlichen Traditionen überhaupt nun werden wird. Unmöglich und selbstmörderisch wäre es, sie in Bausch und Bo- gen ins Feuer zu werfen und uns als Renegaten zu gebärden. Aber unser herkömmliches Ge- schichtsbild, mit dem wir groß geworden sind, bedarf jetzt allerdings einer gründlichen Revi- sion, um die Werte und Unwerte unserer Geschichte klar voneinander zu unterscheiden.“420

Die Geschichtsrevision diente dabei vornehmlich der Geschichtsrelativierung, sodass etwa deut- sche und japanische Historiker/innen bemüht waren, ihre jüngste Geschichte in einen globalen, universalhistorischen Kontext zu überführen, um die Vergangenheit in einem Zeitalter des Fa- schismus421 aufzulösen und zu historisieren.422 So erklärte etwa Gerhard Ritter in seinem Buch Europa und die deutsche Frage (1948) eine „nüchterne, gründliche, nach beiden Seiten vorur- teilsfreie Revision des herkömmlichen Geschichtsbildes zu einer unmittelbaren politischen Pflicht“423, aber letztendlich instrumentalisierte er den gesamteuropäisch-historischen Kontext dafür, die These eines deutschen Sonderweges424 zu negieren.425 Die frühen Warnungen Karl Jas- pers (1946), sich nicht hinter einer Kollektivschuld zu verstecken und Unrecht nicht mit ande- rem Unrecht aufzurechnen426, wichen historischen Heilsgeschichten:

420 Meinecke (1946), 156f. Meinecke bezeichnete die Machtergreifung Hitlers als „allergrößtes Unglück für Deutschland“ für das „die Deutschen“ die historische Verantwortung trügen. Die Schrift widmet sich aber weniger der Schuldfrage als vielmehr den Gründen für die „deutsche Katastrophe“ selbst. Demnach läge sie im preußischen Militarismus begründet, zeichne aber keinesfalls einen deutschen Sonderweg auf, da es auch in anderen Nachbarländern Vorstufen totalitärer Systeme gegeben habe. Ferner gehöre Hitler eigentlich nicht zu den Deutschen und wäre ihnen immer schon ein „Fremdes und schwer Begreifliches“ gewesen. Vgl. Wippermann (2006), 178–180. 421 Ernst Nolte setzt erstmals die Epoche der Weltkriege mit einer Epoche des Faschismus gleich und nennt dabei folgende Eigenschaften: „das Führerprinzip und der Wille zu einer ‚neuen Welt‘, die Liebe zur Gewalt und das Pathos der Jugendlichkeit, Elitenbewußtsein und Massenwirksamkeit, revolutionäres Feuer und Ehrung der Tradition.“ Nolte (1963), 33. 422 Vgl. Conrad (1999), 305f. 423 Ritter (1948), 8. 424 Die Theorie vom deutschen Sonderweg geht davon aus, dass sich die Entwicklung Deutschlands von anderen großeuropäischen Nationen unterschieden habe, im Sinne einer politischen Abweichung vom Westen. Heute wird diese These von der Wissenschaft überwiegend verneint, da sich die deutsche Ge- schichte im Vergleich zu anderen westeuropäischen Nationen nicht so stark unterscheide und es ohnehin keinen „Normalweg“ für ein Land gebe. Vgl. Winkler (2000a), 1. Nach Heinrich August Winkler gäbe es einen deutschen Sonderweg sowie es viele Sonderwege gebe. Dieser läge demnach in einem „Mythos vom Reich“ begründet, eines vom Mittelalter tief geprägten Landes auf dem Weg in die Moderne: „Nicht der Nationalstaat, sondern der Mythos vom Reich, das mehr sein wollte als ein Nationalstaat, führte in die Selbstzerstörung Deutschlands in den Jahren 1933 bis 1945.“ Vgl. Winkler (2000b), 648–657. 425 Vgl. Cornelißen (2004). Ritter relativierte in dieser Schrift nicht nur den Nationalsozialismus durch den Verweis auf andere totalitäre Systeme, sondern führte die Wurzeln des antidemokratischen Deutschlands letztlich auf die Französische Revolution zurück. Ferner wollte Ritter im Regime Hitlers eine Kopie des russischen Totalitarismus erkennen. Vgl. Wippermann (2006), 187. Nach Wehler habe Ritter eine „klassi- sche Apologetik“ geführt, welche die „entscheidenden Ursachen externalisierte: Sie wurden flink der aus Frankreich stammenden jakobinischen Massendemokratie angelastet“. Vgl. Wehler (2001), 45. 426 Karl Jaspers philosophierte bereits 1946 über Die Schuldfrage der Deutschen. Er formulierte dabei vier Schulddimensionen: (1) die kriminelle, (2) die politische, (3) die moralische und (4) die metaphysische

81 „Der Wunsch [der Historiker/innen], ein Wiedererstarken von nationalsozialistischen und fa- schistischen Tendenzen zu vermeiden und die demokratischen Staatswesen nach 1943/45 zu stabilisieren, trug zur Verzögerung der Beschäftigung mit etlichen Aspekten dieser rechtsext- remen Diktaturen bei.“427

Durch die apologetische Geschichtsschreibung der italienischen und deutschen Historiker/innen der unmittelbaren Nachkriegszeit versuchten sie sich nicht nur selbst, sondern ebenso ihre gan- ze Nation zu exkulpieren. Dazu betrieben sie eine gezielte Geschichtspolitik, die zur gesellschaft- lichen Binnenintegration und Befriedung der Nachkriegsgesellschaften sowie zur Stabilisierung neuer politischer Verhältnisse beitragen sollte. Dies schien ihnen nach dem Zusammenbruch der demokratischen Systeme in der Zwischenkriegszeit nicht nur von Nöten, sondern auch auf Kos- ten einer freien und kritischen Geschichtswissenschaft von größerem Wert gewesen zu sein.428

Die Geschichtswissenschaften per se blieben auch nach 1945 durch einen „selbstgenügsamen Rückzug auf den Traditionalismus“ weitgehend dem Historismus verhaftet, indem sie auf den „konventionellen Bahnen der Politik-, aber auch der Ideengeschichte“ ihre Arbeit ohne Zäsur fortsetzten.429 Ein grundlegender Paradigmenwandel innerhalb der Geschichtswissenschaften nach 1945 konnte nicht vollzogen werden, da es an Nachwuchshistoriker/innen mangelte sowie allgemein die Historiker/innen nach dem Krieg eher dünn gesät waren.430 In Deutschland und Österreich wurden zwar einige Historiker/innen aufgrund der Entnazifizierung entlassen, viele von ihnen wurden aber rehabilitiert und kehrten bereits nach kurzer Unterbrechung in ihre al- ten Ämter zurück. Dies erschwerte nicht nur einen methodischen und theoretischen Paradig- menwandel der Geschichtswissenschaften, sondern hemmte ebenso auch die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.431 Obschon die Archive in Deutschland un-

Schuld. Nach Jaspers aber war kein Deutscher schuldlos. Er forderte die Deutschen selbst auf ihre Schuld- haftigkeit zu überprüfen. Vgl. Herrmann (2007), 44f. So Jaspers: „[Wir Deutschen] wollen die Schuld mög- lichst weitgehend bei uns suchen und nicht in den Dingen und nicht bei den anderen, wollen nicht auswei- chen in die Not. Das folgt aus dem Entschluß zur Umkehr, zum täglichen Besserwerden. Dort stehen wir als einzelne vor Gott, nicht mehr als Deutsche, nicht als Kollektiv.“ Jaspers (1946), 99. 427 Vom Lehn (2012), 327. 428 Marcel vom Lehn geht in seiner Studie (2012) davon aus, dass deutsche und italienische Histori- ker/innen der Nachkriegszeit aufgrund ihrer Erfahrungen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges eine möglichst schnelle gesellschaftliche sowie politische Stabilisierung einleiten wollten und daher auf eine kritische Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit verzichteten: „Historiker verschwiegen Themen nicht aus einer taktischen Haltung heraus, ihre gesellschaftspolitischen Prämissen ergaben sich aus ihren Lebenszusammenhängen.“ Vom Lehn (2012), 324. 429 Vgl. Wehler (2001), 44; Iggers (1993), 55. 430 Siehe Abb. 3: Entwicklung der Lehrstuhlinhaber für Geschichte (1804-1970). Die Besetzung von Ge- schichtelehrstühlen in Österreich und in der BRD war nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der Entnazi- fizierung stark rückläufig geworden, erholte sich aber gen Ende der 1950er Jahre wieder. Ab den 1960er Jahren ist besonders in der BRD ein rigoroser Anstieg an Geschichtelehrstühlen zu verzeichnen, der mit der westdeutschen Bildungspolitik und der Gründung reformorientierter, neuer Universitäten einherging. Vgl. Jordan (2009), 113; Raphael (2003), 217. 431 Vgl. Jordan (2009), 96f; Berger Waldenegg (2003), 149. 82 mittelbar nach Kriegsende geöffnet wurden, um eine Erforschung des Nationalsozialismus zu ermöglichen und bereits 1948 auf Initiative der amerikanischen Besatzungsmacht das „Deutsche Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Zeit“432 in München eingerichtet wurde433, verstummte die westdeutsche Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit auf Jahre hin und schien wie in einem „antihistorischen Affekt“ paralysiert zu sein. In ihren Elfenbeinturm zurück- gezogen, konzentrierte sie sich lieber auf Spezialstudien, die sich weder am Interesse der Öffent- lichkeit orientierten noch das Bild der Vergangenheit veränderten, sondern eher „den Fisch im Wasser zu ersäufen“ versuchten.434 Ihr Hauptaugenmerk legte die frühe deutsche Zeitgeschich- teforschung435 auf das Phänomen „Hitler“. Durch die Dämonisierung und Pathologisierung des Diktators versuchten die Zeithistoriker/innen die „Machtergreifung“ des Nationalsozialismus sowie den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges historisch zu erklären.436

In der österreichischen Geschichtsforschung stellte der Nationalsozialismus lange Zeit ein „gro- ßes Tabu“ dar. Ihr Blick richtete sich vielmehr auf die Habsburgermonarchie und ihre Untersu- chungen schlossen meist mit dem Ende des Ersten Weltkrieges. Die österreichischen Histori- ker/innen versuchten damit einen neuen Kern österreichischer Identität zu finden. Nach 1945 wurde die deutsch-österreichische auf eine rein österreichische Identität umzupolen versucht. Dieser Prozess der „Reaustrifizierung“ ging mit einer „Degermanisierung“ der österreichischen Geschichte und Identität einher, welche der Abwehr von Schuld und Entschädigungszahlungen für die jüngste Vergangenheit dienen sollte.437 Anders als nach dem Ersten Weltkrieg wurden die „negativen Erfahrungen“ des Zeiten Weltkrieges nicht auf Österreich, sondern nun auf Deutsch- land externalisiert:

432 1952 wurde das Institut in „Institut für Zeitgeschichte“, kurz IfZ, umbenannt. Seit 1953 gibt das IfZ die wichtigste zeithistorische Zeitschrift heraus, die „Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte“. Vgl. Schildt (2007), 370f; Metzler (2004), 23. 433 Vgl. Schildt (2007), 370; Metzler (2004), 22f. 434 Vgl. Fest (2007), 249–251. Fest spricht von einer „tiefen Entfremdung von Geschichtsschreibung und Öffentlichkeit“, da den Historiker/innen, nach den Worten Marc Blocks, der „Anteil an Poesie“ fehle. Fest fordert daher die jungen Historiker/innen auf, ihre Schriften wieder in einer mehr literarischen und un- terhaltsameren Form zu verfassen, sodass sie näher an die Öffentlichkeit heranrücken und den Dissens zwischen Universität und Öffentlichkeit überbrücken. Eine Gesellschaft, deren historisches Interesse nicht gestillt werde, laufe Gefahr, irreführenden Geschichtsbildern zu verfallen. „Der Blick in die jüngere Ver- gangenheit lehrt, daß nicht so viel Unglück, so viel Terror und Schrecken heraufbeschworen hat wie fal- sches historisches Bewußtsein.“ Vgl. Fest (2007), 269 435 Wehler stellt der westdeutschen Zeitgeschichteforschung einen sehr positiven Befund aus. Demnach habe die westdeutsche Zeitgeschichteforschung wesentlich dazu beigetragen, dass sich die westdeutsche Gesellschaft ihrer Vergangenheit stellt habe. Ferner habe sie in keinem anderen Land eine derart einfluss- reiche Rolle in der öffentlichen Meinung gespielt. Vgl. Wehler (2001), 52f. Fest hebt ebenso die wichtige Arbeit der Zeitgeschichteforschung in der BRD hervor, allerdings sei bis in die 1970er Jahre eine umfas- sende Arbeit zum Nationalsozialismus ausgeblieben. Vgl. Fest (2007), 254. 436 Vgl. Herbert (2003), 98f. 437 Vgl. Hanisch (2009), 294–296. 83 „In der Ersten Republik begann ein Prozess der Deaustrifizierung, in der Zweiten Republik ein Prozess der Degermanisierung. Die negativen Erfahrungen mit dem Ersten Weltkrieg wurden auf ‚Österreich‘, die Menschheitsverbrechen des Zweiten Weltkrieges auf ‚Deutsch- land‘ projiziert.“438

Der „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich, zweifellos ein einschneidendes Ereignis der österreichischen Geschichte, war lange Zeit nicht Gegenstand der österreichischen Geschichts- wissenschaft der Nachkriegsära.439 In Österreich überwog, sowie in vielen anderen Ländern auch440, die zeitgeschichtliche Forschung zum Widerstand und zu den Opfern des Nationalsozia- lismus.441 Österreichische Historiker/innen stützten damit die Opfer- und Widerstandsdoktrin der „Koalitionsgeschichtsschreibung“442. Die österreichische Zeitgeschichtsschreibung nach 1945 war lange Zeit einer „starken (Partei-)Politisierung ausgesetzt und von ideologischen Be- fangenheiten nicht frei“443.

Auch die italienische Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit wurde lange Zeit von den par- teipolitischen, ideologischen Gegensätzen geprägt.444 Ähnlich wie in Frankreich und Großbritan- nien kam es auch in Italien zu einer starken Verankerung der kommunistisch-marxistischen Geschichtsschreibung an den Universitäten, die in Italien einer besonders stark katholisch inspi- rierten und einer liberal-demokratischen Geschichtsschreibung Paroli bot.445

„Die italienische Geschichtsschreibung zerfiel nach 1945 sehr weitgehend in katholische, der Democrazia Christiana nahestehende und in kommunistische, der Partito Comunista Italiano nahestehende Historiker, jedoch blieb ihr liebstes Streitobjekt das des italienischen National- staats.“446

438 Hanisch (2009), 295. 439 Vgl. Berger Waldenegg (2003), 146–148. 440 In Italien und Deutschland versuchten die Historiker/innen den „unter dem Vorwurf des Verrats ste- hende[n] Widerstand gegen die Diktaturen“ zu überbetonen und zu verherrlichen, um diesen zu einer Grundlage der Nachkriegssysteme zu machen. Vgl. Vom Lehn (2012), 318. Besonders in Italien, das sich zur Widerstandsnation verklärte, versuchten die Historiker/innen die „Relevanz von Widerstand und Antifaschismus als Basis für das republikanische Italien“ zu betonen. Vgl. Gehler (2009), 332. Auch in Frankreich wurden nationale „Mythen gerade in der Geschichte des Widerstands gegen Faschismus und Besatzung“ durch eine Nationalgeschichte konstruiert. Vgl. Berger (2002), 71. 441 Vgl. Hanisch (2008), 151f. 442 Mit „Koalitionsgeschichtsschreibung“ ist die Geschichtspolitik der Großen Koalition (ÖVP und SPÖ) gemeint, die durch die Betonung des österreichischen Opfercharakters sowie des Widerstandes die Zweite Republik auf einer großen österreichischen „Lebenslüge“ aufbaute. Die „Koalitionsgeschichtsschreibung habe „die Gräben in der Geschichte der Ersten Republik verdeckt und Toleranz, Korruption und politische Erstarrung zur Folge gehabt“. Vgl. Weinzierl (2008), 141. 443 Gehler (2009), 338. 444 Vgl. Vom Lehn (2012), 309. 445 Vgl. Berger (2002), 64. 446 Berger (2002), 71. 84 Die Geschichtswissenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg richteten ihren Fokus geradezu aus- schließlich auf eine Nationalgeschichtsschreibung. Hauptgegenstand ihrer Betrachtungen waren Schlüsselereignisse der inneren und äußeren Nationsbildung: In Italien war es das Risorgimento, welche die italienische Geschichtswissenschaft nach 1945 behandelte447, in Österreich die Habs- burgermonarchie, in Frankreich die Französische Revolution448, in der DDR die deutsche Ge- schichte der Bauern- und Arbeiterbewegung449 und in der BRD versuchten Historiker/innen vor allem die „deutsche Katastrophe“ zu erklären, indem sie deren Ursache in der deutschen Natio- nalgeschichte verorteten und diese als Abweichung vom westlichen Normalweg deklarierten.450 Die Thematisierung von Kollaborationen und nationalen Kriegsverbrechen wurden hingegen in der eigenen Nationalgeschichtsschreibung vermieden.451 Des Weiteren repräsentierten Histori- ker/innen damals noch vielfach offen und aktiv politische und ideologische Wertvorstellun- gen452, was sich auf eine kritische Geschichtswissenschaft natürlich verheerend auswirkte und die Genese von nationalen Mythen in der Nachkriegszeit nicht nur Tür und Tor öffnete, sondern diese sogar durch eine geschichtswissenschaftliche Nationalgeschichtsschreibung aktiv bestärk- te.453 Ein Auftauen der nationalen Mythen lässt sich in vielen Ländern erst nach dem Ende des Kalten Krieges feststellen.454 Zwar wurden auch in Deutschland der Nachkriegszeit, besonders aber in der gleichgeschalteten DDR-Historiographie455, nationale Geschichtsmythen konstruiert, doch etablierten sich diese in der BRD ungleich schwieriger als in anderen Ländern, die weitaus weniger von der Vergangenheit belastet waren als der rechtliche Nachfolgestaat des Dritten Reiches. Westdeutsche Historiker/innen hatten daher nach 1945 einen wesentlich schwierige- ren Stand als ihre Kolleg/innen im Ausland. Der endogene Versuch einer Geschichtsrevision basierend auf alten geschichtswissenschaftlichen, ja historistischen Methoden sowie der exoge-

447 Vgl. Gehler (2009), 332. 448 Französische Historiker/innen der Nachkriegszeit hüteten sich davor, die nationalen Verstrickungen mit den Nationalsozialisten zu thematisieren. Stattdessen wurde die Französische Revolution, vor allem von Seiten marxistischer Historiker/innen, zum nationalen Gründungsmythos verklärt. Die Aufarbeitung der französischen Kollaboration setzte erst in den 1990er Jahren ein. Vgl. Völkel (2006), 326f. 449 Vgl. Schepers (2011), 533. 450 Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 244–246; Jordan (2009), 112. 451 Vgl. Vom Lehn (2012), 318; Berger (2002), 71. 452 Vgl. Vom Lehn (2012), 309–316. 453 Vom Lehn geht in seiner Studie (2012) über italienische und westdeutsche Historiker/innen von 1943/45 bis 1960 davon aus, dass diese bewusst auf eine kritische Aufarbeitung der jüngsten nationalen Vergangenheit verzichteten, um aktuelle und künftige politische Verhältnisse nicht zu destabilisieren: „Der Wunsch, die Stabilität des Staates und die Integration der ehemaligen Systemanhänger nicht zu ge- fährden, förderte bei etlichen von ihnen die Haltung, diese historischen Fragen nicht zu behandeln oder zu marginalisieren.“ Vom Lehn (2012), 323f. 454 Vgl. Gehler (2009), 344. 455 Historiker/innen der DDR unterlagen strikten Restriktionen der politischen Führung. Die SED versuch- te durch eine gezielte Geschichtspolitik die Legitimation ihrer Herrschaft zu stützten und ein nationales Identitätsgefühl herauszuarbeiten. Die Geschichtswissenschaft der DDR ist daher in erster Linie als eine Legitimationswissenschaft der herrschenden politischen Klasse zu betrachten. Vgl. Schepers (2011), 529f. 85 ne Einfluss der Siegermächte456 und deren Historiker/innen457 stürzte daher die westdeutsche Geschichtswissenschaft, samt ihrer Glaubwürdigkeit und Autorität, in eine tiefe Krise, was gleichsam zum Verlust der Geschichte458 führen sollte.

2.1. „VERLUST DER GESCHICHTE“

Die Nachkriegszeit der postfaschistischen Länder wurde allgemein geprägt von einer großen kulturellen Verunsicherung und gesellschaftlichen Resignation, gleichsam einer Stimmung des fin de siècle. Nachdem das historistische Denken im 19. Jahrhundert noch zur neuen Leitwissen- schaft aufgestiegen war und den religiösen Glauben als herrschende Bildungsinstitution mehr und mehr ersetzt hatte, verlor die Geschichte nach zwei Weltkriegen allmählich ihren Sinn sowie das Leben selbst für viele Menschen seinen Sinn verloren hatte. Aus Sicht der Historiker/innen war „die erratische und überfordernde Erfahrung des ‚Dritten Reichs‘ und seiner Verbrechen mitverantwortlich für eine allgemeine Geschichtsmüdigkeit und Geschichtsunkenntnis.“459 Der euphemistische Fortschrittsgedanke diskreditierte sich nunmehr selbst, nachdem zwei Welt- kriege die Erkenntnis zutage gefördert hatten, dass „Wissenschaft und Technik nicht Mittel der Befreiung, sondern der Beherrschung von Menschen“ werden können.460 Erst die späten 1960er und insbesondere die 1970er Jahre sollten zu einer Sattelzeit der kulturellen und semantischen Transformation werden:

„Sie können als Zeit gesteigerter Selbstreflexion im Sinne einer Reflexion über die ‚Moderne‘ bezeichnet werden, die sich in gesellschaftlichen Diskursen um die Konsequenzen, Grenzen, Diskontinuitäten, ja Paradoxien der Moderne, um Ressourcenknappheit und Grenzen des Wachstums, zunehmend auch um Umweltkatastrophen und andere ‚Risikodiskurse‘ äu- ßert.“461

456 Der Geschichtsunterricht nach 1945 wurde entweder komplett aus dem Unterricht entfernt (franz. Zone), oder nur sehr spärlich bis zum 19. Jahrhundert hin unterrichtet. Vgl. Schulze (1989), 14. 457 Besonders angloamerikanische Historiker/innen versuchten antidemokratische Traditionen Deutsch- lands herauszuarbeiten. Vgl. Wippermann (2006), 180. 458 Nach Alfred Heuß, Verlust der Geschichte (1959), habe Geschichte ihren Stellenwert als Bildungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg verloren und beschuldigte dafür die moderne Geschichtswissenschaft, da sie nicht mehr ihre identitätsstiftende Funktion erfülle und sich zurückgezogen habe. Dabei könne die Ge- schichte „nicht durch ihre Ignorierung überwunden, sondern, wenn überhaupt, nur durch die Entdeckung ihrer geistigen Fruchtbarkeit“ wieder „eingeholt“ werden. Vgl. Heuss (1995), 2236. Heuß versuchte somit den Nationalsozialismus gleichsam aus der deutschen Geschichte herausfallen zu lassen, indem er be- hauptete, der Nationalsozialismus wäre seit der Sudetenkrise nicht mehr die Geschichte der Deutschen, sondern die Geschichte Hitlers gewesen. Vgl. Schuller (1998), 156. 459 Hardtwig (2013), 363. 460 Vgl. Iggers (1993), 11. 461 Metzger (2011), 239. 86 Dieser soziokulturelle Reflexions- und Transformationsprozess sowie der Verlust der Geschichte als Bildungsmacht veranlassten auch die westdeutsche Geschichtswissenschaft zur kritischen Selbstreflexion ihrer Methoden und Theorien sowie ihrer Aufgaben und Funktionen. Durch die Fragestellung „Wozu noch Geschichte?“ wurde nicht nur ihre wissenschaftliche Disziplin, son- dern der Sinn und Nutzen der Geschichte selbst für eine durch die Vergangenheit geschädigte Nachkriegsgesellschaft in Frage gestellt.

2.1.1. Wozu also noch Geschichte?

Diese Frage stellte sich die westdeutsche Geschichtswissenschaft gegen Ende der 1960er Jahre und brachte darin ihre Sinnkrise zum Ausdruck, in die sie erstmals seit ihrem Bestehen geraten war. Obschon der Historiographie in ihrer Geschichte eine stets wichtige Aufgabe innewohnte, „zu zeigen, wie es eigentlich gewesen“462 ist, um „die menschlichen Werke bei der Nachwelt nicht in Vergessenheit geraten“463 zu lassen und der Geschichtslauf sogar als göttliche Offenbarung sakralisiert wurde464, verlor die Geschichte als res gestae nicht nur ihren Sinn als Heilsverspre- chen, sondern letztendlich auch ihren Zweck als historia rerum gestarum465:

„Die Brüche in der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts, die Brüche in unserer [deut- schen] nationalstaatlichen Tradition – zwei Weltkriege, eine faschistische Diktatur, ein Zu- sammenbruch, und das alles im Erlebnishorizont einer Generation – hatten das Verhältnis der Gesellschaft zu ihrer Vergangenheit und damit auch die Geschichtswissenschaft stark verunsichert […].“466

Friedrich Nietzsches Frage nach dem „Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ wurde als zeitgemäße Betrachtung wieder neu aufgerollt. Mit der Frage nach dem „Wozu noch Geschich-

462 Die Entstehung der modernen Geschichtswissenschaft geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Geschichte wurde erstmals wissenschaftlich, d.h. nach festgelegten Methoden und Theorien betrieben. Einer der Be- gründer dieser jungen Wissenschaft war Leopold von Ranke (1795-1886), demnach die Aufgabe der Ge- schichtswissenschaft war, zu zeigen „wie es eigentlich gewesen“ ist. Nach dieser Auffassung wurde Ge- schichtswissenschaft als daten- und faktenorientierte Erzählung betrieben. Vgl. Jordan (2005), 23. 463 Der „pater historiae“ Herodot leitete seine Historien mit folgender Erklärung ein: „Herodot aus Halikarnaß veröffentlicht hiermit seine Forschung, auf daß die menschlichen Werke bei der Nachwelt nicht in Vergessenheit geraten, und damit große und wunderbare Taten der Griechen und der Barbaren nicht ohne Gedenken bleiben. Vor allem aber soll man erfahren, warum sie gegeneinander zum Kriege schritten.“ Herodot (1977), 7. 464 Hierzu siehe Droysen (1846), 5. 465 Der Geschichtsbegriff ist janusköpfig: Zum einen bezieht sich der Begriff Geschichte als res gestae auf die „Geschäfte“, auf das tatsächlich Geschehene und zum anderen meint Geschichte als historia rerum ge- starum den Bericht über diese Geschehnisse, in der die Bedeutung für die menschliche Selbst- und Welt- deutung entfaltet wird. „Im ersteren Falle geht es um eine Zeitfolge von Ereignissen, im zweiten um deren narrative Repräsentation.“ Vgl. Rüsen (2003), 113. 466 Kocka (1990), 430. 87 te?“ konstatierte die Geschichtswissenschaft der Nachkriegsära ihren Bedeutungsverlust bei einer jungen Generation, deren Reflexion über „Freiheit, Menschenrechte, Revolution und Wi- derstand“ in einem „geschichtslosen Diesseits“ geschah, „nachdem eine ältere Generation aus der erlittenen und verschuldeten Geschichte ausgestiegen war.“467 Dieselbe Frage führte aber ebenso zur Erkenntnis der Geschichtswissenschaft, dass sie in einer modernen, schnelllebigen Welt, die das Verhältnis zur Vergangenheit, zu Tradition und Überlieferung verlor, die wichtige soziale Funktion der Gegenwartsorientierung zu erfüllen habe. Geschichte dürfe daher nicht in der Öffentlichkeit und im Unterricht zurückgedrängt oder im politischen Sinne instrumentali- siert werden.468 Auch wenn sich aus der Geschichte nichts lernen, „nicht sowohl klug (für ein andermal) als weise (für immer) werden“469 lasse, würden an ihre Stelle nur halb verdrängte und unaufgeklärte Erinnerungen treten, die einfach im Namen einer bestimmten Ideologie zu manipulieren wären, was schließlich zu einer politischen Instrumentalisierung von Geschichts- bildern führe.470 Ein „kritisches Erhellen der Geschichte, die ständige Neuüberprüfung und Ent- mythologisierung geglaubter Überlieferung“ durch neue Fragestellungen, „die wir als Menschen unserer Zeit an die Geschichte richten“, stellen daher die unerlässlichen Hauptaufgaben der Ge- schichte als Wissenschaft dar, um „historische Mythen, Rechtfertigungen, Angstträume und Wahngebilde durch bewußtes Wissen zu ersetzen“471. Dazu gehört auch, dass sich die Ge- schichtswissenschaft selbst ständig kritischen Reflexionen unterziehen muss, da sie sonst Gefahr läuft, sich selbst mit ihrem Gegenstand zu verwechseln und eo ipso bloße Geschichten zu gebär- den. Da die Geschichtswissenschaft an der Geschichte mitwirkt, indem sie Geschichte in ein Ge- schichtsbewusstsein transformiert, aus dem die Lebenden handeln und wiederum Gegenwart und Zukunft gestalten, wird die Darstellung von Geschichte immer selbst zu ein Teil der Ge- schichte (werden).472 „Geschichte ist nicht die Rekonstruktion der res gestae, sondern das Spiel der verschiedenen Sichtweisen der historia rerum gestarum.“473

467 Vgl. Nipperdey (1990), 366. 468 Vgl. Kocka (1990), 442f. 469 Burckhardt ging davon aus, dass der Mensch zwar nicht aus der Geschichte lernen, jedoch Erkenntnisse aus ihr gewinnen könne: „Was einst Jubel und Jammer war, muß nun Erkenntnis werden, wie eigentlich auch im Leben des Einzelnen. Damit erhält auch der Satz: Historia vitae magistra einen höheren und zu- gleich bescheideneren Sinn. Wir wollen durch Erfahrung nicht so wohl klug (für ein andermal), als viel- mehr weise (für immer) werden.“ Burckhardt (1990), 126. 470 Vgl. Nipperdey (1990), 369–374. 471 Lüthy (1969), 25–27. 472 Vgl. Lüthy (1969), 30–35. 473 Goertz (2001), 85. 88 2.1.2. Vergangenheitsbewältigung

Der methodisch-rückständigen deutschen Geschichtswissenschaft gelang es zwar in den 1960er Jahren ihre politikgeschichtliche Ausrichtung im Sinne des Historismus allmählich abzuschütteln und sich zunehmend einer sozialwissenschaftlichen Gesellschaftsgeschichte anzunähern474, doch hielt das „Mißbehagen“ der Öffentlichkeit gegenüber dem Geschichtsunterricht in den Schulen und den Geisteswissenschaften an den Universitäten an475, da die Geschichte endgültig ihre an- erkannte Funktion als historia vitae magistra476 verloren hatte. Sie scheiterte an der „uneinlös- baren Forderung“ der Gegenwart, dass „die ‚Geschichte‘ die Vergangenheit […] zu bewältigen habe.“477 „Denn damit sind wir überfordert: die Vergangenheit ist vergangen und als Vergangen- heit nicht mehr zu bewältigen – höchstens in unkritischer Weise zu vergewaltigen.“478 Aber be- sonders dort, wo Geschichte Gefahr läuft, bewältigt zu werden, wird eine kritische Geschichts- wissenschaft mehr denn je notwendig, um eine unkritische Geschichtsrevision zu bewältigen: „Je fragwürdiger die ‚Geschichte schlechthin‘ geworden ist, desto mehr wird die Historie als kriti- sche Wissenschaft legitimiert.“479

2.2. WANDEL DER GESCHICHTSWISSENSCHAFT

Der Rückgang ihrer Geltung hat der Geschichtswissenschaft gut getan, auch wenn sie durch die teilweise radikale studentische Kritik der 68er-Generation nur noch beschleunigt wurde. „Per saldo dürfte aber diese Infragestellung der Geschichtswissenschaft eher anregend und frucht- bringend gewirkt haben.“480 Der Verlust der Geschichte sollte der Geschichtswissenschaft wichti- ge Impulse zu ihrer Neuorientierung verleihen, die ihr in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch nicht gelingen konnte oder wollte.481 Die Infragestellung der Geschichtswissenschaft per se löste eine Diskussion über den Sinn und Nutzen der Historie, über deren Theorien und Methoden aus

474 Vgl. Schulin (1989), 274. 475 Koselleck konstatierte das „Mißbehagen“ der Öffentlichkeit gegenüber dem Geschichtsunterricht in den Schulen, der Geisteswissenschaft an den Universitäten und die „mangelhafte Rückbindung“ der Forschung in die öffentliche Gesellschaft und stellte deshalb in einer Rede auf dem Deutschen Historikertag in Köln am 4. April 1970 öffentlich die Frage: „Wozu noch Historie?“ Vgl. Koselleck (1990), 347. 476 Bei Cicero heißt es: „historia magistra vitae“: Die Geschichte ist die Lehrmeisterin des Lebens. Die Vor- stellung, aus der Geschichte lasse sich lernen, ist auch heute noch ein allgemein weit verbreiteter Gemein- platz. Vgl. Jordan (2005), 39. 477 Vgl. Koselleck (1990), 348. 478 Koselleck (1990), 348. 479 Koselleck (1990), 356. 480 Kocka (1990), 431. 481 Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 244. 89 und führte so schließlich zu einem nachhaltigen Wandel der Geschichtswissenschaft.482 In den 1960er und 1970er Jahren ist rund um den Globus ein Aufschwung der sozialgeschichtlichen Wissenschaft festzustellen.483 „Die Sozialgeschichte war nicht zuletzt so erfolgreich, weil sie von einer politisierten Studentengeneration vielfach begeistert aufgegriffen und als Fortsetzung ih- res gesellschaftskritischen Engagements gedeutet wurde.“484

2.2.1. Historische Sozialwissenschaften

Die Sozialgeschichte, als führendes Geschichtsparadigma, setzte sich in anderen westlichen Län- dern ungleich früher durch, als dies in Westdeutschland der Fall war.485 Der entscheidende Bruch in der westdeutschen Geschichtsschreibung fand erst in den 1960er Jahren statt und wurde von einer jungen Generation von Sozialhistoriker/innen486 getragen, die den Nationalso- zialismus nicht oder nur mehr in ihrer Kindheit oder Jungend erlebt hatten. Ihr Protest richtete sich gegen jene Historiker/innen, die schon vor oder während des Nationalsozialismus im Amt waren und die Vergangenheit durch die Methode des Historismus zu bewältigen versuchten. Die Sozialhistoriker/innen versuchten nun ihrerseits den Historismus zu bewältigen, indem sie ei- nen neuen Methodenkanon der Geschichtswissenschaften etablierten, der auf Interdisziplinari- tät, Methodenpluralismus und Internationalität beruhte.487 „In politischer Hinsicht war die Ablö- sung des Historismus die Revolution des Sozialliberalismus gegen einen veralteten Nationalkon- servatismus.“488 Die Sozialgeschichte489 setzte sich als führendes Geschichtsparadigma seit den 1960er Jahren bis zum Ende der 1980er Jahre durch.490 Das Paradigma des Historismus wurde durch ein anderes ersetzt: durch das der Sozialgeschichte, wobei die sozialhistorischen Refor- men nicht zu einem völlig neuen Bild der Geschichtswissenschaften führten, sondern die traditi- onellen theoretischen und methodischen Prinzipien modifizierten und erweiterten.491 „Die in

482 Vgl. Kocka (1990), 431. 483 Vgl. Raphael (2003), 174. 484 Raphael (2003), 174. 485 Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 244f. 486 Darunter zu nennen sind Sozialhistoriker/innen, die in den 1930er und 1940er Jahren geboren wur- den, wie: Hans-Ulrich Wehler (*1931), Helga Grebing (*1930), Reinhard Rürup (*1934), Wolfgang Schie- der (*1935), Heinrich August Winkler (*1938) und Jürgen Kocka (*1941). Vgl. Metzger (2011), 225. 487 Vgl. Jordan (2009), 96–101. 488 Jordan (2009), 99. 489 Die Sozialgeschichte versucht soziale Prozesse, Strukturen sowie politische Herrschaften anhand empi- rischer Methoden zu erforschen und orientierte sich dabei sehr stark am Werte- und Objektivitätsprinzip Max Webers. Sie richtete ihren Blick nicht auf singuläre Ereignisse, sondern vielmehr auf langfristigen Wandel, der sämtliche Gesellschaftsbereiche beinhaltete. Gestützt auf den Gesellschaftsbegriff von Marx und Weber versuchte sie sich strikt vom Historismus abzugrenzen, der sich vom Nationalsozialismus ver- einnahmen lassen hätte. Vgl. Metzger (2011), 226. 490 Iggers (1993), 9. 491 Vgl. Metzger (2011), 219–224; Jordan (2009), 104–109. 90 der Politischen Geschichte übliche narrative Darstellung wurde als zusammenhangslose ‚Ereig- nisgeschichte‘ kritisiert. Statt Beschreibung wurde Analyse, statt Erzählung argumentative Aus- einandersetzung gefordert.“492 Die historistische Politik- und Ereignisgeschichte wurde durch eine sozialwissenschaftliche Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte ersetzt – grosso modo wurde aber eine Makrogeschichte fortgeführt, welche die politische Geschichte in die historische Sozialwissenschaft integrierte und zu einem ihrer Teilbereiche machte.493

Der Nationalsozialismus war nur indirekt Thema der jungen Sozialhistoriker/innen. Ihre Auf- merksamkeit richteten sie vorwiegend auf die Vorformen und Wurzeln des Nationalsozialismus, die sie im 19. Jahrhundert verorteten. Die Junghistoriker/innen standen vielfach in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zur ihren Doktorvätern und -müttern. Daher widmeten sie sich nicht explizit der Erforschung der NS-Zeit, sondern versuchten vielmehr dessen Entstehungsgeschich- te auf die verpasste bzw. rückständige Modernisierung des Deutschen Kaiserreiches zurückzu- führen.494 Die daraus abgeleitete These des deutschen Sonderweges führte zu einem neuen, erst- mals negativen „Masternarrativ“ deutscher Geschichte in den 1960er Jahren und zu ersten histo- rischen Kontroversen, wie beispielsweise zur Fischer-Kontroverse495.496

2.2.1. Neue Kulturgeschichte

Seit Anfang der 1970er Jahre differenzierte sich die Geschichtswissenschaft weiter aus und for- cierte ihren Blick vermehrt auf eine Alltags-, Gender- und Mentalitätsgeschichte.497 Diese Neue Kulturgeschichte vollbrachte eine „Perspektivenverschiebung von Strukturen der Gesellschaft hin zur individuellen und vergesellschafteten Ebene von Denk- und Lebensweisen“. Als neue Mikrogeschichte widmete sie sich allen Facetten des Einzelnen, Individuellen und Besonderen, durch das wiederum auf das Allgemeine geschlossen werden sollte, wobei sich die Neue Kultur- geschichte als Gegenbewegung zu den historischen Sozialwissenschaften verstand498:

492 Borowsky & Nicolaysen (2007), 534. 493 Vgl. Borowsky & Nicolaysen (2007), 530–536; Iggers (1993), 95. 494 Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 244–247; Jordan (2009), 112. 495 Fritz Fischer (1961) löste mit seinem Buch Griff nach der Weltmacht eine Kontroverse unter Histori- ker/innen aus, welche die Kriegsschuldfrage am Ersten Weltkrieg betraf. Nach Wehler hatte die „leiden- schaftliche Debatte als solche etwas Befreiendes an sich […]“, die „alte Fronten aufbrach, indem er [ge- meint ist Fischer] die Frage nach der Kontinuität vom Kaiserreich bis zum Frühjahr 1945 erneut auf die Tagesordnung setzte.“ Wehler bezeichnet die Fischer-Kontroverse als „große Wasserscheide“ in der Ausei- nandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der westdeutschen Geschichtswissenschaft. Wehler (2001), 51. 496 Vgl. Metzger (2011), 227. 497 Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 254f. 498 Vgl. Metzger (2011), 250f; Jordan (2009), 175. 91 „Im Zentrum steht erstens die Rückkehr des Individuellen, welches in verstärktem und neu- em Ausmaß von unten und innen, mit Blick auf Lebenswelten, auf die Interaktion von Men- schen und häufig auf regionaler und lokaler Untersuchungsebene angegangen wurde. […] In- dem Individuen in ihrem soziokulturellen Milieu untersucht wurden, wurden sie gleichsam zu Repräsentanten einer Gruppe […].“499

Seit den 1990er Jahren ist auch eine weitere Perspektivenverschiebung zum Konstruktivismus zu beobachten.500 Der Neuen Kulturgeschichte liegt der Gedanke zugrunde, dass „die Kultur zu einem Konzept der (reflektierten) Beobachtung zweiter Ordnung macht. Kultur wird damit als Konstruktion von Wirklichkeiten, als Produktion und Vermittlung von Bedeutungen konzeptua- lisiert.“501 Der Konstruktivismus erweiterte die These des linguistic turn von der Sprache auf alle Bereiche der Kultur. Der linguistic turn stellte bereits den Wirklichkeitsbezug der Geschichtswis- senschaft in Frage, so wurde nun die Geschichte selbst als kulturelles Erzeugnis und Konstruk- teurin von Wirklichkeiten entlarvt.502 Dies führte aber nicht neuerlich zu einem Verlust der Ge- schichte, sondern „sollte zu der Erkenntnis führen, daß es nicht die Geschichte, sondern eine Vielfalt von Geschichten gibt.“503 Durch die Vermehrung der Perspektiven gewann die Ge- schichtswissenschaft mehr an Bedeutung, als dass sie verloren hätte. „Das Verhältnis des Histo- rikers zum Gegenstand seiner Forschung ist sehr viel komplizierter geworden […].“504 Dies führ- te zu einer „Erweiterung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Geschichte“, sodass es heute kein eindeutiges Paradigma der Geschichtswissenschaft mehr gibt, „sondern eine Vielfalt von Forschungsstrategien“.505 „Die Vielfalt von Forschungsstrategien und Erkenntnisperspekti- ven im späten 20. Jahrhundert sind ein Gewinn und haben unseren Zugang zur historischen Welt bereichert.“506 So entwickelte sich seit Anfang der 1990er Jahre eine transnationale Geschichts- wissenschaft heraus, welche die Geschichtsschreibung auch länderübergreifend behandelte. Dieser gelang es seit dem Ende des Kalten Krieges erstmals die nationalen Paradigmen zu sprengen und sich einer Welt- und Globalgeschichte zu öffnen. Diese Entwicklung wurde in den letzten Jahren durch eine vergleichende Geschichtswissenschaft komplettiert. Durch transnatio- nale, transregionale und insbesondere globalgeschichtliche Vergleiche können Unterschiede und Gemeinsamkeiten in verschiedenen Ländern festgestellt werden. Die transnationale und verglei-

499 Metzger (2011), 251. 500 Vgl. Metzger (2011), 254f. 501 Metzger (2011), 255. 502 Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 260f. 503 Iggers (1993), 98. 504 Iggers (1993), 101. 505 Vgl. Iggers, Wang & Mukherjee (2013), 340. 506 Iggers (1993), 104f. 92 chende Geschichtswissenschaft half so die „traditionell vorherrschende nationalgeschichtliche Sicht“ der Geschichtswissenschaften „zu durchbrechen und auszuweiten“.507

2.2.2. „Zeitgeschichte als Streitgeschichte“

„Alle Geschichte ist Zeitgeschichte“, sagte Benedetto Croce und warnte damit vor dem Miss- brauch der Geschichte und ihrer Untrennbarkeit von der gegenwärtigen Ideologie und Politik.508 Als „Epoche der Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung“509 weist die Zeitgeschichte den höchsten Aktualitätsgrad auf und steht daher auch am meisten unter Verdacht, Geschichts- missbrauch zu betreiben. Zeitgeschichte wird darum schnell zur Streitgeschichte: Die zeitliche und mitunter räumliche Nähe zu den Dingen verleitet schnell zu einer moralisierenden „Ge- schichtspolitik“, die ethisch-politische Positionen argumentativ-geschichtlich zu bekräftigen versucht.510 Zeithistoriker/innen haben daher die Aufgabe, eine „größtmögliche Objektivität im Erfassen der Tatsachen“ und „keinerlei heißen Eisen“ sowie „leere Räume“ offenzulassen, „in die Legenden sich einzunisten neigen“.511

Obschon die zeitgeschichtliche Beschäftigung in Westdeutschland gen Ende der 1940er Jahre einsetzte und ab 1952 das „Institut für Zeitgeschichte“ in München „die nationalsozialistische Phase mit aller Energie anzugehen“ versprach512, wurde so manches „heiße Eisen“, wie etwa der Holocaust, von der noch jungen Zeitgeschichteforschung kaum oder gar nicht behandelt.513 Das Beschweigen des Holocausts lässt sich auch in der italienischen und österreichischen Zeitge- schichteforschung lange Zeit feststellen.514 Geschichtliche Mythen, wie etwa die der „sauberen“ Wehrmacht oder der „humanen“ italienischen Kriegsführung, wurden erst nach dem Ende des Kalten Krieges grundlegend aufgebrochen.515 Bis in die 1990er Jahre wurden nationale Ge- schichtsbilder bzw. -mythen, aus denen neue oder teilweise neue nationale Identitäten gestiftet werden sollten, einzufrieren versucht. In „jungen oder verspäteten Nationalstaaten (Deutsch- land, Italien, Österreich)“ hingen nationale Identitäten daher besonders stark vom „Intensitäts- grad öffentlicher Debatten über Zeitgeschichte ab“.516 Solche historische Kontroversen nahmen

507 Vgl. Kocka (2011), 94–107. 508 Vgl. Hobsbawm (1999b), 345. 509 Rothfels (1953), 2. 510 Vgl. Jordan (2009), 145; Schildt (2007), 372. 511 Vgl. Rothfels (1953), 8. 512 Vgl. Rothfels (1953), 8. 513 Vgl. Herbert (2003), 98f. 514 Vgl. Klinkhammer (2004), 114; Friedländer (1999), 16f. 515 Vgl. Pollak (2003), 341; Thamer (2003), 172; Bauerkämper (2012), 327f. 516 Vgl. Gehler (2009), 344. 93 aufgrund des cultural turn517 in den Wissenschaften und der gesellschaftlichen und politischen Umstrukturierungen im Lauf der Jahrzehnte stetig zu, da diese Veränderungen unweigerlich zum Aufbruch und zur Modulation bisheriger nationaler Geschichtsbilder und Identitäten führen sollten. In den 1980er Jahren setzte eine Beschleunigung der wirtschaftlichen und kulturellen Globalisierung durch das Abtauen der Ost-West-Spannung ein. Die zunehmende Erinnerung an den Holocaust, die bereits am Ende der 1970er Jahre einsetzte und die Schoah im Laufe der 1980er und 1990er Jahre fest im öffentlichen Geschichtsbewusstsein verankerte, führte allmäh- lich zur Erosion nationaler Mythen gen Ende der 1980er Jahre.518

Nachdem sich die westdeutschen Zeithistoriker/innen in den 1940er und 1950er Jahren noch ausschließlich mit den großen Akteuren und Ereignissen des Nationalsozialismus beschäftigt hatten, führten sie ihre Makrogeschichte in den 1960er und 1970er Jahren fort, indem sie sich auf die Strukturen und Mechanismen des Nationalsozialismus und des Dritten Reiches kon- zentrierten, hinter denen aber konkrete Orte und Taten sowie Opfer und Täter zurücktraten.519 Daher traten „Täter und Opfer als Akteure auch im ‚dynamischen Jahrzehnt‘ der sechziger Jahre allenfalls sporadisch in das Blickfeld der Öffentlichkeit.“520

„Die Anonymisierung der Täter im Zuge des Strukturalismus wirkte so ungewollt als Fortset- zung der Tradition des Täterschutzes, als Vermeidung der Auseinandersetzung mit konkre- ten Menschen, Tätern wie Opfern, – und erschien aus dieser Perspektive nun als bloß umge- kehrte Widerspiegelung der Reduktion der Verantwortungszuweisung auf Hitler.“521

Die Zeitgeschichteforschung setzte in Österreich weitaus später ein als in Westdeutschland. Nach „Jahren des historiographischen Schweigens“ wurde 1966 das erste Zeitgeschichte-Institut in Wien gegründet. Im Unterschied zu Deutschland blieben die Archive in Österreich länger un- ter Verschluss, was eine zeitgeschichtliche Aufarbeitung der NS-Zeit ungleich erschwerte. Erst 1966 wurden die österreichischen Archive zur NS-Zeit teilweise freigegeben und den Histori- ker/innen erstmals zugänglich gemacht. Dennoch war der Zugang zu den Archiven immer noch mit Restriktionen verbunden.522 Trotzdem setzten sich bereits gegen Ende der 1960er Jahre

517 Die kulturale Wende bezeichnet einen Wandel in den Humanwissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die wesentliche Veränderung lag in der Verbindung von Gesellschafts- und Kulturanaly- se, die zu einer Hinwendung zu symbolischen Formen und kulturellen Praktiken als Leitmotive der Sozial- forschung führte. Die kulturale Wende lenkte den Blick vermehrt auf die Wechselwirkungen zwischen scheinbar unzusammenhängenden Alltagserscheinungen und sog. „Zwischen-Räumen“ und führte schließ- lich zur Neubestimmung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses in vielen kulturellen Bereichen. Vgl. Musner, Wunberg & Lutter (2001), 8f. 518 Vgl. Botz (2008a), 598f. 519 Vgl. Herbert (2003), 100f. 520 Bauerkämper (2012), 304. 521 Herbert (2003), 101. 522 Vgl. Berger Waldenegg (2003), 146f. 94 einige österreichische Zeithistoriker/innen523 mit der NS-Zeit in Österreich auseinander. Sie bildeten aber eher die Ausnahme!524 In der Regel befasste sich die österreichische Zeitgeschich- teforschung hingegen kaum mit dem Thema des Nationalsozialismus, das bequemerweise der deutschen Geschichte zugeschrieben wurde, sondern legte ihren Fokus auf die Erste Republik. Besonders die Interpretation des österreichischen Ständestaates sorgte lange Zeit für ausrei- chend historischen Zündstoff. Die kontroversen Meinungen zur Sozialdemokratie auf der einen und zum Ständestaat auf der anderen Seite führten unter österreichischen Historiker/innen lange Zeit zu heftigen Auseinandersetzungen, die zweifellos entlang der parteipolitischen Gren- zen geführt wurden. Über Jahrzehnte hinweg kam so eine objektive Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der österreichischen Zeitgeschichteforschung durch politisch ge- färbte Grabenkämpfe zum Erliegen. Eine konkrete Auseinandersetzung mit der NS-Zeit wurde aber weiterhin vermieden oder stellvertretend auf den Ständestaat abgewälzt.525

Ähnlich war die Situation in Italien: Ideologisch und politisch gefärbte historische Kontroversen zwischen kommunistischen, christdemokratischen und liberalen Historiker/innen um die Deu- tungshoheit über die Entstehungsgeschichte des italienischen Nationalstaates sorgten über Jahrzehnte hinweg für einen geschichtswissenschaftlichen Stellungskrieg, der eine kritische Auf- arbeitung des faschistischen Italien nicht tangierte und lange Zeit lähmte.526 Seit den 1960er Jahren widmete sich die italienische storia contemporanea527 intensiv der Erforschung der itali- enischen Widerstandsbewegung von 1943 bis 1945 und trug damit wesentlich zur Begründung des Resistenza-Mythos bei, währenddessen der Faschismus in der Nationalgeschichte und Ver- brechen der italienischen Besatzungsmacht von den Historiker/innen tabuisiert wurden.528 „Mit der Konzentration auf die Jahre 1943/45 und dem in Italien tobenden Bürgerkrieg (der lange Zeit nur als ‚Befreiungskrieg‘ gelesen werden konnte), ist allerdings auch jahrzehntelang der faschistische Krieg der Jahre 1936/1940-1943 weitgehend überblendet worden.“529

Eine Ausnahme bildete der römische Historiker Renzo De Felice, der durch seine mehrbändige Mussolini-Biographie zwar den Faschismus erstmals näher thematisierte, diesen aber eher in

523 Darunter zu nennen sind etwa Erika Weinzierl, Gerhard Botz und Gustav Spann. Vgl. Pollak (2003), 339. 524 Vgl. Pollak (2003), 338f. 525 Vgl. Berger Waldenegg (2003), 151–157. 526 Vgl. Klinkhammer (2004), 122; Berger (2002), 64–71. 527 Die Institutionalisierung der italienischen Zeitgeschichteforschung setzte zwar in den 1950er Jahren ein, intensivierte sich aber erst nach 1968. Inhaltlich und chronologisch war die italienische Zeitgeschich- te lange Zeit nicht genau definiert, sodass sich ihr Forschungsfeld über das 19. und 20. Jahrhundert er- streckte. Heute beschäftigt sie sich aber vorwiegend mit dem Novecento, dem kurzen 20. Jahrhundert von 1914 bis 1989/91. Vgl. Klinkhammer (2004), 108–111. 528 Vgl. Klinkhammer (2004), 114. 529 Klinkhammer (2004), 114. 95 ein positives Licht rückte, anstatt dessen Schattenseiten zu beleuchten.530 Im Vergleich mit dem Dritten Reich versuchte De Felice eine „strikte Abgrenzung der faschistischen Ideologie, ihres Herrschafts- und Terrorsystem vom Nationalsozialismus“ zu erreichen und damit Mussolinis Italien zu verharmlosen.531 „Der Hinweis auf die schweren Verbrechen Deutschlands war zwei- fellos begründet, aber er blockierte auch jede Aufarbeitung italienischer Verbrechen während des Faschismus.“532 Mussolini wurde von De Felice gar zum Nationalhelden verklärt, der Italien nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Chaos und Bürgerkrieg der 1920er Jahre geführt habe, was ihn schließlich zu einer Gewaltherrschaft nötigte.533 De Felice trug durch seine Geschichtsapolo- getik wesentlich zur Re-Faschisierung Italiens bei, die in den 1960er Jahren ansetzte534 und den Antifaschismus sowie die Resistenza unterminierte.535 „Apologie vermengte sich hier mit Revisi- onismus.“536

2.2.2.1. „Entsorgung der Vergangenheit“

In den 1980er Jahren brachen zeitgeschichtliche Kontroversen in Westdeutschland und in Ös- terreich in größerer Zahl aus als zu einem früheren Zeitpunkt. Die Auseinandersetzung mit der „Last der Vergangenheit“ wurde in diesem Jahrzehnt zu einem Politikum. In der BRD versuche die konservativ-liberale Regierung unter Helmut Kohl eine „geistig-moralische Wende“ herbei- zuführen537, die eine „Entsorgung der Vergangenheit“ nach „bewährtem neokonservativem Re- zept“ verfolgte.538 „Der Versuch, einer Art ‚Bundesrepublikanisierung‘ des Geschichtsbewusst- seins zu forcieren, schien mit dem Versuch einherzugehen, die Bedeutung der NS-Zeit zu relati- vieren.“539 Vor diesem Hintergrund ist der sogenannte Historikerstreit von 1986/87 in West- deutschland zu betrachten.540 Der Historikerstreit führte schließlich dazu, dass auch der Holo-

530 Vgl. Vom Lehn (2012), 326; Gehler 2009 #252: 333f}; Klinkhammer (2004), 115. 531 Vgl. Heiss (1998), 133. 532 Vom Lehn (2012), 326. 533 Vgl. Bauerkämper (2012), 327. 534 Vgl. Lingen (2009a), 404. 535 Vgl. Gehler 2009 #252: 333}. 536 Gehler (2009), 334. 537 Vgl. Steinbach (2009), 162; Große Kracht (2005), 95f. 538 Vgl. Habermas (1985). 539 Steinbach (2009), 162. 540 Nach Christof Dipper geschah die „Entsorgung der deutschen Vergangenheit“ zwischen 1986 und 1991 auf dreierlei Weise: (1) durch die vergleichende Verharmlosung; (2) durch die Wiederbelebung der Prä- ventivkriegsthese gegen Russland; (3) durch die trivialisierende Verwendung der Modernisierungstheo- rie. Vgl. Dipper (1998), 114. 96 caust in den Mittelpunkt zeitgeschichtlicher Forschungen in Westdeutschland rückte und eine „negative Staatsräson der Bundesrepublik“ entstehen ließ.541

2.2.2.1.1. Der „Historikerstreit“

„Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine ‚asiatische‘ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer ‚asiatischen‘ Tat betrachteten? War nicht der ‚Archipel GULag‘ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ‚Klassenmord‘ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ‚Rassenmords‘ der Nationalsozialisten? […] Rührte Auschwitz vielleicht in seinen Ursprüngen aus einer Vergan- genheit her, die nicht vergehen wollte?“542

Ernst Nolte publizierte am 6. Juni 1986 Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und löste damit eine heftige Kontroverse inner- halb der Fachwissenschaft und Öffentlichkeit aus, die den richtigen Umgang mit der nationalso- zialistischen Vergangenheit betraf.543 Nolte behauptete, dass der „‘Archipel GULag‘“ ursprüngli- cher gewesen wäre als Auschwitz und somit der Holocaust auf eine „‘asiatische‘ Tat“ zurückzu- führen sei.544 „Stalins Klassenmord war Hitlers Rassenmord nicht nur zeitlich vorausgegangen, es gab auch einen ‚kausalen Nexus‘ zwischen dem früheren und dem späteren Verbrechen“545. Die dadurch von Nolte erhobene conditio sine qua non des Holocausts führte zweifellos zu des- sen Relativierung und evozierte daher einen heftigen „Streit“ unter Historiker/innen.546 Dieser sogenannte Historikerstreit war weniger genuin wissenschaftlicher Natur als vielmehr eine poli- tisch-moralische Auseinandersetzung zwischen ideologisch-ethisch geprägten, antagonistischen Positionen über die allgemeine Deutungshoheit der Geschichte, wie es sie schon einmal in der

541 Vgl. Herbert (2003), 104–106. 542 Nolte (1987), 45. 543 Nach Winkler ging es Nolte um eine „historische Entlastung Deutschlands im allgemeinen und des deutschen Bürgertums im besonderen.“ Winkler (2007), 145. Götz Aly findet im sog. Historikerstreit einen „sonderbaren Anachronismus“ wieder. Aly kritisiert beide Streitparteien, da beide Positionen „für die deutsche Gegenwart gemütlich“ gewesen seien: „Die eine ist wie maßgeschneidert für die konservativ- nationalen Kreise, die die Roten gerne mit den Braunen gleichsetzen, die andere ist für die Linksliberalen gut, die Begriffe wie ‚Modernisierung‘ oder ‚Rationalität‘ gern positiv besetzen und denen deshalb eine ‚black box Auschwitz‘ allemal lieber ist als ein Völkermord, der sich als herrschaftsrational und ökono- misch kalkuliert erweist und der deshalb die ideologische Fortschrittsgläubigkeit der linken Theorie ins Wanken bringen könnte.“ Aly (1997), 195. 544 Vgl. Nolte (1987), 45. 545 Winkler (2007), 145. 546 Die Kontroverse war geprägt von einer Lagerbildung zwischen den „linksliberal ausgerichteten ‚histo- rischen Sozialwissenschaft‘ und ihren fachlich und hochschulpolitisch konservativ orientierten Gegenspie- lern.“ Große Kracht (2005), 109. 97 Fischer-Kontroverse gegeben hatte.547 Das Besondere des Historikerstreits war allerdings, dass erstmals eine solche Kontroverse in den öffentlichen Massenmedien ausgetragen wurde. „So war der ‚Historikerstreit‘ im Grunde weniger ein Streit unter Historikern, in dem es um die Klärung sachlicher Fragen ging, als vielmehr ein Kampf um die publizistische Deutungshoheit über die jüngste Vergangenheit.“548

„Denn es handelte sich nicht um einen fachwissenschaftlichen Streit, sondern stets um ge- schichtspolitische Argumentation. […] In diesem Streit wurde keine einzige Quelle neu er- schlossen, wurde keine Tatsache der Vergangenheit neu erforscht, sondern es wurde ledig- lich versucht, das gesicherte Bild der Geschichte durch Deutungen, Annotationen und in den Raum gestellte Vermutungen zu verändern […].“549

Die Deutungshoheit über die Geschichte wurde inzwischen von den Massenmedien eingenom- men, welche als gatekeeper550 die Erinnerungskultur seit den 1990er Jahren im Wesentlichen prägen.551 Die Medialisierung der Geschichte führte letztlich dazu, dass die Historiker/innen schließlich ihren Elfenbeinturm verlassen mussten, um sich noch Gehör zu verschaffen; dies geschah allerdings auf Kosten des „wissenschaftlichen Reflexionsgehalts“.552 Der Historikerstreit war daher eher ein Medienereignis und „brachte keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse hervor, war aber wichtig für die politische Kultur der Bundesrepublik“553, da er die Auseinan- dersetzung mit dem Nationalsozialismus weiter vorantrieb und den Umgang mit demselben im höchsten Grad moralisierte. Noltes Versuch einer „Historisierung“ des Holocausts554, der histori- schen Relativierung der Schoah, wurde eine klare Absage erteilt, damit der Holocaust als negati- ves Mahnmal der Geschichte nicht seinen Schrecken verlieren konnte.555 Der Historikerstreit war daher eher ein Kampf um das kommunikative und kulturelle Gedächtnis als eine fachwissen- schaftliche Auseinandersetzung und gilt daher als „Musterbeispiel von Erinnerungskampf und Gedächtnisgeschichte“.556 „Mit anderen Worten: Er war ein Streit zwischen Geschichte und öf-

547 Vgl. Jordan (2009), 217; Große Kracht (2005), 108f. 548 Große Kracht (2005), 108. 549 Steinbach (2009), 161. 550 Das Konzept des gatekeepers wurde von Kurt Lewin (1947, 1951, 1958) entwickelt und von David M. White (1950) auf die Medienwissenschaft angewandt. Demnach sind jene Personen als gatekeeper zu bezeichnen, die innerhalb eines Massenmediums über die Aufnahme bzw. Ablehnung einer potenziellen Kommunikationseinheit (z.B. einer Nachricht) entscheiden können. Vgl. Kunczik & Zipfel (2005), 242. 551 Vgl. Große Kracht (2005), 167–171. 552 Vgl. Große Kracht (2005), 161. 553 Winkler (2007), 171. 554 Der Historiker Martin Broszat forderte ein Jahr vor dem Historikerstreit, 1985, bereits die „Historisie- rung“ des Nationalsozialismus. Nach Klaus Große Kracht habe Broszat aber nicht den Holocaust zu relati- vieren versucht, sondern lediglich eine „wissenschaftliche Professionalisierung im Umgang mit dem Nati- onalsozialismus“ gefordert. Vgl. Große Kracht (2005), 113; Dipper (1998), 114–116. 555 Winkler weist zu Recht darauf hin, dass die Nicht-Relativierung des Holocausts aber auch zur Bagatelli- sierung anderer Genozide führen könne. Vgl. Winkler (2007), 148. 556 Vgl. Berg (2003), 32f. 98 fentlicher Erinnerung, deren Grenzen nicht mehr klar gezogen werden konnten.“557 Nach dem Verlust der Geschichte und nach „Jahren des historiographischen Schweigens“ ist seit den 1980er Jahren ein Anstieg des öffentlichen Interesses an der Vergangenheit zu verzeichnen, was sich durchaus belebend auf die westdeutsche Geschichtswissenschaft auswirkte.558 Im Historiker- streit manifestierte sich das Konfliktpotenzial heißer und kalter Erinnerung.559

Obwohl dieser Streit auch im Ausland verfolgt wurde, blieb der Historikerstreit ein rein inner- deutscher Konflikt. So nahm auch kein/e einzige/r österreichische/r Historiker/in an diesem Streit teil.560 Eine vergleichbare öffentliche, mediale Kontroverse unter Historiker/innen blieb in Österreich aus.561 Dort führte allerdings die öffentliche Debatte um den Politiker Kurt Waldheim zu einem nachhaltigen Wandel innerhalb der Zeitgeschichteforschung.

2.2.2.1.1. Folgen der „Waldheim-Affäre“

Im Alpenland hingegen sorgte erst die Waldheim-Affäre in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre für einen „nicht nur politischen, sondern auch geschichtsmentalen Paradigmenwechsel, der sich damals in ganz Europa durchsetzte und der in Österreich im vollen Ausmaß erst verspätet, etwa um 1995, wirksam wurde.“562 Die Waldheim-Affäre lenkte den Fokus der Zeitgeschichtefor- schung auf die NS-Zeit in Österreich. Das Jahr 1986 markierte daher einen Wendepunkt in der Beschäftigung mit dem Thema.563 Bis dahin wurde die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Österreich eher vom Ausland her, vor allem durch britische und amerikanische Historiker/innen vorangetrieben.564 In den 1980er Jahren nur von den Grünen gefordert565, setzte sich in den 1990er Jahren auch die österreichische Bundesregierung aufgrund ihres „außenpolitischen Neuorientierungsprozesses566 hin zur Europäischen Union“ für eine kritische Auseinanderset- zung mit dem Nationalsozialismus567 ein.568 „Seit den 1980er-Jahren veränderte sich der vergan-

557 Große Kracht (2005), 114. 558 Vgl. Große Kracht (2005), 116. 559 Vgl. Berg (2003), 33. 560 Vgl. Weinzierl (2008), 133. 561 Vgl. Gehler (2009), 340f. 562 Botz (2008a), 597. 563 Vgl. Berger Waldenegg (2003), 161. 564 Vgl. Gehler (2009), 339. 565 Vgl. Lehnguth (2013), 204. 566 Die Mitverantwortungsthese wurde nach dem Kalten Krieg zum „Dreh- und Angelpunkt“ österreichi- scher Geschichtspolitik, die aber keinesfalls eine totale Revision der Opferthese implizieren sollte. Vgl. Lehnguth (2013), 247. 567 1992 äußerte der österreichische Wissenschaftsminister Erhard Busek seine Unzufriedenheit mit der „heimischen Zeitgeschichts-Forschung und -Lehre“. Ausschlaggebend dafür war Jörg Haider, der die Be- schäftigungspolitik des Dritten Reiches als „ordentliche Beschäftigungspolitik“ gelobt hatte. Busek kriti-

99 genheitspolitische und geschichtsmoralische Kontext, die historische Mentalität, aus der heraus jede (auch wissenschaftliche) Geschichtsschreibung erfolgt, grundlegend.“569

Die Waldheim-Affäre führte langsam aber sicher zur Erosion, Aufweichung und Modifikation der bisherigen Opferthese.570 Sie schädigte nicht nur das internationale Ansehen Österreichs, son- dern entlarvte ferner die „großen und kleinen ‚Lebenslügen‘“ der Zweiten Republik und versetz- te somit dem österreichischen Selbstverständnis einen empfindlichen Schlag:

„Mit einem Schlag war 1986 das bisher eher freundliche Österreichbild in sein Gegenteil um- gekippt. Die bisher hingenommenen großen und kleinen ‚Lebenslügen‘ des heutigen Öster- reich werden seither in einem anderen historischen Zusammenhang gesehen. Die offenkun- dig gewordene Verdrängung von Österreichs Nazi-Vergangenheit wird im Ausland manchmal sogar als fortdauerndes Bekenntnis zu Nationalsozialismus und Neonazismus interpretiert, was es in dieser direkten Form allerdings nicht ist.“571

Erst die Waldheim-Affäre lenkte die Aufmerksamkeit der österreichischen Geschichtswissen- schaft auf „Anpassung, Mitwirkung und Täterschaft von Österreicher/innen im NS-System.“572 Bis dahin wurde dieses „heiße Eisen“ der österreichischen Geschichte von den Historiker/innen partout gemieden, bis es schließlich nicht mehr zu vermeiden war.573 Gen Ende der 1980er Jahre rückte das Thema aber in den Mittelpunkt zeitgeschichtlicher Forschungen. Es entstand eine wahre „Flut“ an Publikationen zum Nationalsozialismus in Österreich. Seit den 1990er Jahren ist das Thema in den Medien, Politik, sowie auf der Universität und im Geschichtsunterricht prä- sent. Gedenkstättenarbeit und Oral History erlebten in Österreich einen wahren Boom. Die breite Opferforschung wurde allmählich durch eine Täterforschung komplettiert, wobei diese in den 1990er Jahren noch schwach ausgeprägt war. Erst nach 2005 rückte zunehmend eine Täterfor- schung in den Fokus der zeitgeschichtlichen Untersuchungen.574

sierte darauf die lokale Zeitgeschichteforschung, die lieber unter sich bleibe und es nicht verstehe, nach außen zu drängen. Vgl. Botz (1995), 19. 568 Vgl. Lehnguth (2013), 247. 569 Botz (2008a), 613. 570 Vgl. Gehler (2009), 339; Botz (2008b), 588. 571 Botz (2008b), 93. 572 Gehler (2009), 339. 573 Michael Gehler geht davon aus, dass die starken politischen und ideologischen „Befangenheiten“ öster- reichischer Historiker/innen eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erst dann zuließen als diese „politisch opportun war“: „Geschichtliche Tabus wurden in Österreich erst berührt, als sie un- ausweichlich geworden waren. ‚Heiße‘ Themen nahm man in Angriff, wenn es politisch opportun war. Dies lässt sich beispielsweise für die Debatte um Kurt Waldheim und die krude Diskussion über die ‚Le- benslüge‘ der Zweiten Republik und in diesem Zusammenhang auch mit der ‚Opferthese‘ sagen.“ Gehler (2009), 338. 574 Vgl. Botz (2008a), 613–617. 100 2.2.2.1.2. „Krieg der Erinnerung“

Das Ende des Kalten Krieges führte in Italien zum Bedeutungsverlust des Resistenza-Mythos als nationaler Gründungsmythos, der durch den Zusammenbruch der italienischen Parteienland- schaft in den frühen 1990er Jahren noch beschleunigt wurde. Der Bedeutungsverlust des Resis- tenza-Mythos sowie die Neue Rechte führten in Italien zu einer „Re-Faschistisierung“.575 Seit den 1990er Jahren ist ein „Krieg der Erinnerung“ in Italien entfesselt worden, der zur schleichenden Rehabilitierung der faschistischen Vergangenheit im Zuge eines „Anti-Antifaschismus“ geführte hat. Dabei geht es um die Aufwertung der Republik von Salò und ihrer Anhänger sowie um die Abwertung der Resistenza als antifaschistischer Mythos.576 „Ganz offensichtlich findet hier eine Stellvertreterdiskussion statt, die um den nach wie vor unverarbeiteten dramatischen Krieg kreist, der 1943-45 in Italien tobte.“577 Die Umwertung der nationalen Geschichte wurde seit den 1990er Jahren durch eine Reihe von Journalist/innen und Historiker/innen578 initiiert, die ihre Vergangenheitspolitik ganz gezielt in den Dienst der italienischen Tagespolitik stellten.579 Die italienische Geschichtswissenschaft beschäftigt sich aber seit den 1990er Jahren vermehrt mit den Verbrechen des Faschismus. Sie hat die „rassistische Kriegsführung des italienischen Fa- schismus in Abessinien, die rigorose Besatzungspolitik auf dem Balkan von 1941 bis 1943, den Terror gegenüber der dort und in Nordafrika lebenden Bevölkerung, den Antisemitismus und die Judenverfolgung nachgewiesen.“580 Jedoch ist das Erinnerungsgedächtnis in Italien sehr sub- jektiv geprägt, sodass sich heute immer noch keine offizielle Erinnerungskultur ausprägen konn- te.581

2.2.2.2. Geschichte und Geschichten im Tauwetter

Das Ende des bipolaren Ost-West-Konflikts führte unweigerlich zu Veränderungen bzw. zu An- passungen der Geschichtsbilder, die im Kalten Krieg noch sehr stark auf nationaler Ebene ge- prägt worden waren. So manifestierten etwa der Historikerstreit in Deutschland und die Wald- heim-Affäre in Österreich den Kampf um das sich verändernde kollektive und kommunikative Gedächtnis durch kalte und heiße Erinnerung, der in den 1980er Jahren in vielen Ländern Euro-

575 Vgl. Lingen (2009a), 405. 576 Vgl. Klinkhammer (2004), 125f. 577 Klinkhammer (2004), 123. 578 Darunter zu nennen sind, neben Renzo De Felice, Giovanni Belardelli, Lucio Cafagna, Ernesto Galli della Loggia und Giovanni Sabbatucci. Vgl. Klinkhammer (2004), 122. 579 Vgl. Klinkhammer (2004), 126. 580 Bauerkämper (2012), 327. 581 Vgl. Bauerkämper (2012), 328. 101 pas einen geschichtsmentalen Wandel initiierte und nach dem Ende des Kalten Krieges schließ- lich zum Aufbruch der nationalen Mythen führte.582 Solche „geschichtliche Konflikte“ waren „Symptome einer vor allem die westliche Welt […] erfassende Umwälzung der ‚kollektiven Erin- nerungen‘ und der Geschichtsbilder im Zuge neuer Hegemonien und der fortschreitenden ‚Glo- balisierung‘ am Ende des 20. Jahrhunderts.“583 Nationale Mythen „über die Stärke der Immunität gegenüber dem Faschismus und Nationalsozialismus“ haben seit den 1980er Jahren in vielen Staaten an Bedeutung verloren.584 „Der Kalte Krieg hatte vieles zu Tabuthemen gemacht und zu ‚heißen‘ Gegenständen eingefroren. […] Erst mit den Jahren 1989/90 setzte ein ‚Tauwetter‘ in der Zeitgeschichtsschreibung ein.“585 Im Kalten Krieg überwog größtenteils eine nationale Ge- schichtsschreibung, die strikt entlang der Trennlinie des bipolaren Gegensatzes geschrieben wurde, um Konflikte unter den jeweiligen Bündnispartnern zu vermeiden. Der Umbruch von 1989 und 1991 führte schließlich zu einer bedeutenden Wende in der europäischen Erinne- rungskultur und Geschichtsschreibung, da transnationale Bezüge nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Zusammenbruch der Sowjetunion zunahmen und die Herausbildung mitei- nander vereinbarer, nicht aber einheitlicher, Erinnerungen evozierten, um den Prozess der Eu- ropäisierung voranzutreiben.586 So wurden nationale Mythen in Frankreich587 und Italien588 ins- besondere seit den 1990er Jahren in Frage gestellt sowie der Opfermythos in Österreich teilwei- se aufgebrochen und modifiziert wurde.589 In Deutschland bildete sich eine negative Staatsräson

582 Vgl. Gehler (2009), 344. 583 Botz (2008a), 634f. 584 Vgl. Bauerkämper (2012), 23. 585 Gehler (2009), 344. 586 Vgl. Bauerkämper (2012), 29–31; Berger (2002), 73. 587 Die Französische Revolution wurde in Frankreich zum nationalen Entstehungsmythos stilisiert, wäh- renddessen die französische Kollaboration mit den Nationalsozialisten nicht Thema der Geschichtswis- senschaft war. Vgl. Völkel (2006), 327. Eine öffentliche und geschichtswissenschaftliche Auseinanderset- zung mit der Vichy-Zeit wurde in den 1970er Jahren eingeleitet und kulminierte in den 1990er Jahren. Dies führte nicht nur zum Aufbruch des nationalen Résistance-Mythos, sondern rückte auch den französi- schen Algerienkrieg in den Mittelpunkt eines geschichtlichen Aufarbeitungsprozesses. Vgl. François (2003), 264–266. 588 Das Ende des Kalten Krieges führte in Italien zum Bedeutungsverlust des Resistenza-Mythos als natio- naler Gründungsmythos nach dem Zweiten Weltkrieg, der durch den Zusammenbruch der italienischen Parteienlandschaft in den frühen 1990er Jahren noch beschleunigt wurde. Der Bedeutungsverlust des Resistenza-Mythos sowie die Neue Rechte führten in Italien jedoch zu einer „Re-Faschistisierung“. Vgl. Lin- gen (2009a), 405. Die italienische Geschichtswissenschaft beschäftigt sich seit den 1990er Jahren mit den Verbrechen des Faschismus. Darunter hat sie die „rassistische Kriegsführung des italienischen Faschismus in Abessinien, die rigorose Besatzungspolitik auf dem Balkan von 1941 bis 1943, den Terror gegenüber der dort und in Nordafrika lebenden Bevölkerung, den Antisemitismus und die Judenverfolgung nachge- wiesen.“ Bauerkämper (2012), 327. Jedoch ist das Erinnerungsgedächtnis in Italien sehr subjektiv geprägt, während sich hingegen immer noch keine offizielle Erinnerungskultur ausprägen konnte. Vgl. Bauerkäm- per (2012), 328. Seit den 1990er Jahren ist ein „Krieg der Erinnerung“ in Italien entfesselt worden, der zur schleichenden Rehabilitierung der faschistischen Vergangenheit im Zuge eines „Anti-Antifaschismus“ geführt hat. Dabei geht es um die Aufwertung der Republik von Salò und ihre Anhänger und um die Abwer- tung der Resistenza. Vgl. Klinkhammer (2004), 125f. „Ganz offensichtlich findet hier eine Stellvertreterdis- kussion statt, die um den nach wie vor unverarbeiteten dramatischen Krieg kreist, der 1943-45 in Italien tobte.“ Klinkhammer (2004), 123. 589 Vgl. Lehnguth (2013), 247. 102 rund um den Kern der Holocausterinnerung heraus.590 Generell rückte das Gedenken an die Op- fergruppen des Nationalsozialismus, Faschismus und Bolschewismus in den Vordergrund einer paneuropäischen Erinnerungskultur.591

„Sämtliche geschichtspolitischen Kontroversen zum Zwecke nationaler Identitätsbildung werden zwar noch immer bevorzugt auf der nationalen Spielwiese ausgetragen, doch im aus- gehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert kann der europäische Referenzrahmen nicht mehr völlig ausgeblendet werden.“592

Wie unterschiedlich aber auch heute noch die Erinnerungskulturen im vereinten Europa sein mögen, stellten sich dennoch viele europäische Staaten seit dem Ende des Kalten Krieges ihrer Vergangenheit, sodass die Bedeutung nationaler Mythen kontinuierlich abgenommen hat und sich allmählich ein transnationales und europäisches Geschichtsbewusstsein entwickelte. Eine homogenisierte europäische Geschichtsschreibung würde zwar die nationalen Geschichtspara- digmen überwinden, könnte aber neuerlich zur Instrumentalisierung der Geschichte im Sinne der europäischen Identitätskonstruktion führen.593 Historiker/innen können und sollen daher nicht als „Sinnproduzenten“ fungieren, um nicht aus den „Trümmern der europäischen Ge- schichte“ eine „zukünftige europäische Identität“ heraufzubeschwören.594 „Vielmehr kann es nur darum gehen, dazu beizutragen, das Verständnis der Spielregeln und Dynamiken in Prozessen nationaler Identitätsbildung im Europa der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu vertiefen und ihre ‚Risiken und Nebenwirkungen‘ zu eruieren.“595

2.3. FAZIT: ENTEN UND KANINCHEN DER GESCHICHTS-

WISSENSCHAFT

Es war eigentlich nicht ein Paradigmenwechsel596, der sich in den Geschichtswissenschaften seit 1945 vollzog, sondern vielmehr ein langsam fließender Prozess des Übergangs bzw. der Modifi-

590 Vgl. Herbert (2003), 104–106. 591 Vgl. Leggewie & Lang (2011), 15f; Reichel, Schmid & Steinbach (2009b), 409f. 592 Sachse & Wolfrum (2008), 31. 593 Vgl. Berger (2002), 74. 594 Vgl. Sachse & Wolfrum (2008), 30f. 595 Sachse & Wolfrum (2008), 31. 596 Paradigmata ergeben sich nach Kuhn aus den allgemein vorherrschenden Lehrmeinungen, die aus dem bisherigen menschlichen Wissenstand heraus gewonnen wurden. Normale Wissenschaften stützen sich laut Kuhn auf solche Paradigmata, die „fest auf einer oder mehreren wissenschaftlichen Leistungen der Vergangenheit beruhen“ und immer noch „für nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkann- ten Probleme und Methoden eines Forschungsgebietes bestimmen“. Paradigmata können nach Kuhn nur durch eine „wissenschaftliche Revolution“ überwunden werden und führen dann zu Paradigmenwechsel,

103 kation und Erweiterung geschichtswissenschaftlicher Methoden und Theorien, die im Laufe der Jahrzehnte die Arbeitsweise und -felder der Historiker/innen veränderten.597

Abb. 14: Ente oder Kaninchen?598 Oder etwas anderes?

Die Neustrukturierung der Geschichtswissenschaft erfolgte also nicht aus einem revolutionären Paradigmenwechsel heraus, der den geschichtswissenschaftlichen Kosmos schlagartig erschüt- terte, sondern eher fließend durch einen personellen Wandel durch den Bildungsboom der 1960er und 1970er Jahre, der auch unter Historiker/innen zu einem Generationenwechsel führ- te und allmählich neue geschichtswissenschaftliche Methoden und Theorien etablierte599:

„Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß die Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.“600

Dabei trug dieser schleichende Wandel innerhalb der Geschichtswissenschaften nur bedingt zur Entmystifizierung und Erhellung nationaler Geschichtsbilder bei. Summa summarum spielten exogene Einflüsse aus Gesellschaft, Medien, Politik etc. eine weitaus größere Rolle auf den ge- schichtsmentalen Wandel als genuin endogene Einflüsse der Geschichtswissenschaften. Die zu- welche die Wissenschaftler/innen veranlassen, „die Welt ihres Forschungsgebietes anders zu sehen“. Vgl. Kuhn (1976), 25–27. 597 Nach Lutz Raphael (2003) seien die Geschichtswissenschaften „seit 1880“ jedenfalls „unterhalb der Schwelle paradigmatischer Verbindlichkeit und Verbreitung geblieben“. Die „Pluralität von Ansätzen, ‚Schulen‘ und ‚Konzepten‘“ seien hingegen „im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer größer geworden“. Vgl. Raphael (2003), 16. 598 Thomas S. Kuhn (1976) vergleicht den Paradigmenwechsel einer Wissenschaft mit dem eines „visuellen Gestaltwandels“: „Was in der Welt des Wissenschaftlers vor der [wissenschaftlichen] Revolution Ente waren, sind nachher Kaninchen.“ Kuhn (1976), 123. 599 Vgl. Raphael (2003), 218f. 600 Max Planck zit. n. Kuhn (1976), 162. 104 nehmende Auseinandersetzung mit der beschwiegenen Vergangenheit in den Geschichtswissen- schaften ging schrittweise mit soziokulturellen, moralischen, medialen und politischen Verände- rungen einher und bewegte sich dabei vorwiegend in deren Rahmenbedingungen.601 „Historiker waren dabei nicht die Spielführer, manchmal Moderatoren, manchmal auch nur Stichwortgeben und ‚Entertainer‘.“602

Einerseits zeigte sich im Lauf der zweiten Geschichte, dass geschichtswissenschaftliche For- schungen, die ihrer Zeit voraus waren und gleichsam einen Tabubruch darstellten, erst dann auf eine breite öffentliche, mediale und politische Resonanz stießen, als diese dem geschichtsmenta- le Zeitgeist entsprachen. „Es zeigt sich hier deutlich, daß der Wissensstand einer Gesellschaft nur bedingt mit den Erkenntnissen der scientific community korrespondiert.“603 Andererseits rea- gierten aber auch die Geschichtswissenschaften vielfach erst mit Verzögerung auf einen allge- meinen geschichtsmentalen Wandel, wie er sich seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre in Ös- terreich und Deutschland und insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges in ganz Europa vollzogen hatte. Das öffentliche Geschichtsbewusstsein und die Zeitgeschichteforschung waren stets zwei eng auf einander bezogene Größen, die sich zuzeiten aber in unterschiedlichen Ge- schwindigkeiten entwickelten. Der dabei generierte cultural lag604 zwischen diesen Größen ist aber umso kleiner geworden, je mehr die Aufarbeitung jener traumatischen Vergangenheit vo- ranschritt.

Die zweite Geschichte veranschaulicht sehr deutlich, dass sich das allgemeine Geschichtsbe- wusstsein letztlich aus einer reziproken Beziehung zwischen vielen unterschiedlichen Akteuren und ihren Arenen konstituiert. Es ist „das komplexe Zusammenspiel von verfügbarem histori- schen Wissen mit vorherrschenden politischen und gesellschaftlichen Interessenlagen, das zu dominanten vergangenheitspolitischen Erzählweisen und Perspektiven und gegebenenfalls zu deren Aufbrechen führt.“605

„Erinnerungskultur ist das Ergebnis eines politischen, in erster Linie aber zivilgesellschaftli- chen Aushandlungsprozesses, der auf die Gegenwart wie auf die Zukunft gerichtet ist. Histo-

601 Vgl. Steinbach (2009), 174. 602 Steinbach (2009), 173f. 603 Pollak (2003), 342. 604 Die Theorie der kulturellen Phasenverschiebung wurde von William F. Ogburn in seinem Buch The Hypo- thesis of Cultural Lag (1922) geprägt. „Eine kulturelle Phasenverschiebung findet statt, wenn von zwei miteinander in Beziehung stehenden Kulturelementen das eine sich eher oder in größerem Maße verän- dert als das andere, so daß der Grad der Anpassung zwischen den beiden Elementen geringer wird als zuvor.“ Ogburn (1969), 134. So führte beispielsweise die Weiterentwicklung des Kraftfahrzeuges im Laufe der Zeit zu notwendigen und damit einhergehenden Anpassungen und Erweiterungen der Straßen und Straßennetze. Ogburn unterscheidet zwischen einer unabhängigen (Auto) und einer abhängigen Variable (Straßen und Infrastrukturen), sodass sich die abhängige auf die unabhängige Variable bezieht und sich in einer gewissen Verzögerung zu ihr anpasse bzw. entwickle. Vgl. Ogburn (1969), 134f. 605 Pollak (2003), 342. 105 rikerInnen können versuchen, diesen Aushandlungsprozess zu beeinflussen, aber auch wenn sie sich bewusst heraushalten, stehen sie auf keinen Fall außerhalb der Strömung der Zeit.“606

606 Verdorfer (2011), 382. 106 REGIONALGESCHICHTLICHES FALLBEISPIEL

„Die wahre Geschichte, das sind die kleinen Geschichten. In ihnen lebt und wirkt die Wahrheit.“ Claus Gatterer607

Die heutige Autonome Provinz Bozen – Südtirol blickt auf eine bewegte, aber auch traumatische Vergangenheit zurück. Auf die „Zerreißung“ des Landes nach dem Ersten Weltkrieg folgte die „Zerreißung“ des Volkes durch die Option von 1939608.609 Beide Ereignisse waren wesentlich prägende und traumatische Zäsuren der Geschichte, wobei letztere wohl tiefer schmerzte, da die Option das Zusammengehörigkeitsgefühl der Südtiroler Minderheit sowie deren Selbstver- ständnis und nationale Identität von Grund auf erschütterte. Währenddessen das erste Trauma, die Teilung des Landes Tirol und die anschließende faschistische Repression, die hilflose Opfer- rolle und das schwere Martyrium der Südtiroler/innen versinnbildlichte, manifestierte das zweite Trauma, der innergesellschaftliche Bruch durch Option und NS-Zeit in Südtirol610, einen

607 Claus Gatterer zit. n. Hanifle (2005), 148. 608 Südtirol wurde zu einem nicht unerheblichen Störfaktor der faschistisch-nationalsozialistischen Ach- senpolitik, der durch die Option von 1939 bereinigt werden sollte. Dabei wurden die Südtiroler/innen plötzlich vor eine grausame Wahl gestellt, für oder gegen ihre Heimat zu optieren. Die Option wurde zwar von den Achsenmächten diktiert, doch der „Optionswahlkampf“ wurde aktiv von den Südtiroler/innen mitgetragen und führte schließlich zu einem „ideologischen Bürgerkrieg“, der Opfer und Täter gleicher- maßen hervorbrachte. Vgl. Pallaver (2011), 26. Diskriminierung und Stigmatisierung von Andersdenken- den waren seine Folgen. Die nationalsozialistische Gesinnung vieler Südtiroler/innen trat nun offen zuta- ge. Vgl. Steurer (2011b), 56. Was der Faschismus in 21 Jahren nicht schaffen konnte, erledigte die Option in wenigen Monaten: die Spaltung der Südtiroler Gesellschaft. Fünf Monate des Optionswahlkampfes reichten aus, um eine in ihrem Selbstverständnis geprägte und in sich geschlossene Schicksalsgemein- schaft in Optanten und Dableibern zu spalten. Die Bruchlinie verlief quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und entzweite selbst Freunde und Familie. Schließlich entschieden sich 86% der Südtiro- ler/innen dazu, ihre Heimat zu verkaufen und dem Ruf des Führers „Heim ins Reich“ Folge zu leisten. Von den über 200.000, die sich fürs Gehen entschieden, verließen schließlich 75.000 tatsächlich das Land. Vgl. Kofler & Peterlini (2011), 135f. Ausführliche Einführung zur Option und Umsiedlung in Südtirol siehe Steu- rer (1989). 609 „Die Südtiroler erlebten im Laufe ihrer Geschichte zwei große Traumata. Es handelt sich einmal um die Zerreißung des Landes nach dem Ersten Weltkrieg, weil damit für die Südtiroler eine Wertordnung zu- sammenbrach, die durch die alten Vorurteile gegen den Erbfeind Italien zu kompensieren versucht wurde. […] Zwanzig Jahre nach der Annexion Südtirols an Italien nahm das zweite Trauma seinen Lauf.“ Pallaver (2011), 33. 610 Die Täterrolle vieler Südtiroler/innen wurde schließlich in der nationalsozialistischen Besatzungszeit von 1943 bis 1945 verschärft, als Dissidenten, Dableiber, Italiener, Juden und körperlich oder geistig be- hinderte Personen verfolgt wurden. Aus Unterdrückten wurden Unterdrücker, aus Opfer Täter. Der knapp 20-monatigen nationalsozialistischen Besatzung vielen mehr Südtiroler/innen zum Opfer als in den 21 Jahren der faschistischen Herrschaft zuvor. Vgl. Pallaver (2011), 27. 107 „Stachel der Erinnerung“611, welcher die politisch-ethnische Geschlossenheit der deutschen und ladinischen Sprachgruppe prekär gefährdete und daher nach dem Zweiten Weltkrieg verdrängt und vergessen werden musste.

1. DIE „ZWEITE GESCHICHTE“ SÜDTIROLS

Auch in Südtirol setzte nach dem Zweiten Weltkrieg die Bewältigung der Vergangenheit ein, die aufgrund der politischen und ethnischen Spannungen einen besonderen Verlauf nahm und die traumatische Vergangenheit auf ihre spezifische Art und Weise zu bewältigen bzw. zu instru- mentalisieren versuchte. Die tiefen Wunden innerhalb der Gesellschaft, welche die faschistische und nationalsozialistische Herrschaft, aber auch die Option in Südtirol hinterlassen hatten, wur- den nach dem Zweiten Weltkrieg durch das Einschwören einer erneuten Schicksalsgemeinschaft der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung zu überwinden bzw. zu übertünchen ver- sucht.612 Nach den Zerreißproben der jüngsten Vergangenheit wurde die Option zu einem Tabuthema gemacht.613 Auch in Südtirol entfaltete das Beschweigen und Verdrängen der Ver- gangenheit seine heiltuende Wirkung. Dadurch sollten die Wogen innerhalb der Gesellschaft wieder geglättet und erneut das Einheitsgefühl heraufbeschworen werden, um die Wunden der jüngsten Geschichte vergessen zu machen. Durch die Betonung der eigenen Opfer- und Wider- standsrolle im Faschismus sowie der Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus versuchte sich die Nachkriegsgesellschaft von all ihren Sünden und Fehlentscheidungen in der jüngsten Vergangenheit freizusprechen und einen allgemeinen, politischen und ethnisch ge- schlossenen Neuanfang zu etablieren.

1.1. SÜDTIROL IN DER „STUNDE NULL“

Am 8. Mai 1945, am Tag der Kapitulation des Dritten Reiches, wurde die Südtiroler Volkspartei (SVP) gegründet, die sich offiziell aus Dableibern und Widerstandskämpfern konstituierte, wäh-

611 Verdorfer (2011), 376. „Die Option schmerzt(e) mehr, weil sie im Gegensatz zum Trauma von 1918 nicht von außen gekommen war, sondern selbst gemacht war. Sie äußerte sich dramatischer, physisch, vor allem aber psychisch gewaltsamer, weil es eine Auseinandersetzung unter den ‚Eigenen‘ war. Inner- halb nur weniger Tage war ein zwanzig Jahre lang gepflegtes, zur Norm erhobenes Bewusstsein der ‚Schicksalsgemeinschaft‘ demoliert und zerstört worden.“ Pallaver (2011), 33. 612 Vgl. Pallaver (2011), 34. 613 Vgl. Pallaver (2011), 24. 108 renddessen Optanten und NS-Kollaborateure im Hintergrund der Partei bleiben mussten.614 Dadurch sollte die politische Legitimität der Partei untermauert werden.615 In Wahrheit aber bestand die SVP bei ihrer Gründung zu einem Drittel aus Optanten, „die teilweise nicht unwich- tige politische Funktionen in der NS-Verwaltung Südtirols 1939-1945 innegehabt hatten.“616 Das Fundament der SVP wurde durchaus auf fragilem Boden gebaut, doch „entwickelte die Südtiro- ler Volkspartei unter stetem Druck die Fähigkeit, innere Widersprüche zu verkraften, Gegensät- ze abzufedern und Anforderungen standzuhalten.“617

Durch die „politische Opportunität“ zwischen Optanten und Dableibern sollte die Geschlossen- heit der Südtiroler/innen gegenüber Rom und den Alliierten demonstriert werden, um mit allen Kräften das Recht auf Selbstbestimmung oder zumindest eine Autonomie als Wiedergutma- chung für faschistisches Unrecht einfordern zu können.618 „Das Trauma der Spaltung wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch den ‚Fetischismus der Einheit‘ ersetzt, die ideo- logische Bruchlinie zwischen Befürwortern und Gegnern des Nationalsozialismus wurde von der ‚Ideologie des Volkstumskampfes‘ überlagert.“619 Die jüngste Vergangenheit wurde in den Dienst der politischen Interessen und Zielsetzungen gestellt, um den „Bruderzwist“ zwischen Dablei- bern und Optanten vergessen zu machen.620 „Die Reihen wurden geschlossen, die Gräben zuge- schüttet, der Kampf gegen Rom schweißte die Volksgruppe zusammen. Im nationalen Abwehr- kampf wurde die Vergangenheit großzügig übergangen oder beschönigt.“621 Erich Amonn, Mit- begründer und erster Parteiobmann der SVP, betonte: „Wer sich zur Mitarbeit eignet, soll heran- gezogen werden. Für uns gibt es nicht mehr Optanten oder Nichtoptanten, sondern ausschließ- lich nur mehr Südtiroler“622.

„Der erfolgreiche Appell an die Geschlossenheit der Volksgruppe bildet einen wesentlichen Grund für den politischen Erfolg der Südtiroler Volkspartei. Keine andere (regionale) Partei

614 In der offiziellen Liste der Gründerväter der SVP scheinen lediglich vier Optanten auf, obwohl es ei- gentlich doppelt so viele gewesen waren. Vgl. Mittermair (2000), 196. 615 Gerald Steinacher betont, dass die Gründung einer deutschen Partei in anderen Ländern nach 1945 wohl unmöglich gewesen wäre, hätten sich die Südtiroler/innen nicht auf ihre Widerstandsbewegung in der nationalsozialistischen Besatzungszeit berufen können. Vgl. Steinacher (2011b), 267. 616 Steurer (2000), 56. 617 Heiss (2002), 287. 618 Vgl. Steurer (2011a), 37. Obschon die SVP und Österreich die erneute Einheit Nord- und Südtirols for- derten, lehnten im Juni 1946 die Außenminister der Siegermächte eine Grenzkorrektur ab. Diese Ent- scheidung wurde sicherlich im Angesicht geopolitische Überlegungen getroffen. Vgl. Romeo (2013), 104f. Rolf Steininger bezeichnet daher Südtirol als „erste Opfer des Kalten Krieges“. Vgl. Steininger (2011), 170. Gehler widerspricht dem teilweise, da die Siegermächte bezüglich Südtirol eine eindeutige „West-Ost- Entscheidung“ getroffen hätten, welche auch die Zustimmung der Sowjetunion enthielt: „Südtirol war nicht ‚erstes Opfer des Kalten Krieges‘, wie das Rolf Steininger wiederholt vorgetragen hat, sondern Objekt der Mächte, die sich im Konsens an Kontinuität orientierten.“ Gehler (2012), 327. 619 Pallaver (2011), 29. 620 Vgl. Steurer (2011b), 54. 621 Pallaver (2000), 264. 622 Erich Amonn zit. n. Pallaver (2000), 264. 109 in Europa kann seit 1945 auf eine so lang anhaltende Erfolgsserie zurückblicken wie die SVP. Das im Unterbewusstsein tief verankerte Trauma der Option wurde lange Zeit funktional für die Festigung der politischen Einheit der Sprachgruppe eingesetzt. Die Strategie, die Südtiro- ler Volkspartei als Partei des Südtiroler Volkes darzustellen, führte dazu, dass politischer Dis- sens lange als Verrat am eigenen Volk galt.“623

Der „Fetischismus der Einheit“ ging nicht nur von den politischen Eliten aus, sondern wurde von der großen Mehrheit der Südtiroler Bevölkerung mitgetragen. „Nur wenige ‚Dableiber‘ wider- setzten sich, wenn auch vergeblich, diesem Schulterschluss zwischen Opfern und Tätern.“624 Stimmen, die auch Täter in der Südtiroler Gesellschaft sahen, wie etwa der Widerstandskämpfer Hans Egarter625 oder der Kommunist Silvio Flor, verstummten bereits kurze Zeit nach dem Kriegsende.

Eine wesentliche Rolle bei der Aussöhnung spielte auch die katholische Kirche, die in den turbu- lenten Jahren der Optionszeit und des Zweiten Weltkrieges in Südtirol an Boden verloren hatte und sich nach dem Krieg dafür aussprach, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Sie stellte daher zahlreiche Kriegsdenkmäler und versuchte durch Prozessionen und Wallfahrten die gesell- schaftliche Einheit über den Glauben wiederherzustellen.626

Die doppelte Apologetik der Nachkriegszeit, die sich aus einem Opfer- und Widerstandsmythos konstituierte, ist ein wesentlicher Faktor der Südtiroler Nachkriegspolitik. Die Südtiroler/innen versuchten dadurch nach der Zäsur des Zweiten Weltkrieges einen gesellschaftlichen und politi-

623 Pallaver (2011), 29. 624 Pallaver (2011), 27. 625 Hans Egarter (1909-1966), aus Niederdorf im Pustertal, war Mitbegründer und späterer Leiter des Andreas-Hofer-Bundes (AHB), der sich in der Optionszeit für den Verbleib in der Heimat aussprach. Egar- ter und der AHB kämpften von 1943 bis 1945 aktiv gegen den Nationalsozialismus in Südtirol, um „den Alliierten und der ganzen Welt zu beweisen, daß es in Südtirol nicht nur Nazis gibt, wie behauptet wurde, sondern dass es Tausende gab, die den Nazismus haßten und verurteilten und die ihn unter schwersten Bedingungen bekämpften.“ Egarter (1980), 136. Nach dem Krieg wurde Egarter Mitbegründer der SVP und setzte sich für die politische Säuberung von ehemaligen faschistischen Beamten und NS- Kollaborateure ein. Zudem arbeitete er als Redakteur für die deutschsprachige Tageszeitung Dolomiten. Egarter geriet aber zunehmend ins politische „Abseits“: Der AHB wurde am 15. Oktober 1945 von den Alliieren aufgelöst, ferner distanzierte sich die SVP zunehmend von Egarter, da er sich weiterhin für die strafrechtliche Verfolgung von ehemaligen Faschisten und Nationalsozialisten einsetzte, was nicht der SVP-Politik entsprach. Egarter stellte sich daher vermehrt in den Dienst der Politik und unterstützte den Appell der Versöhnung. Dennoch wurde der AHB als „Drückebergerverein“ in der öffentlichen Meinung diskreditiert und durch ein Gerichtsverfahren von 1949-1951 und 1953/54 zu kriminalisieren versucht, sodass Egarter an den Rand des öffentlichen Lebens gedrängt wurde und auch vor öffentlichen Anfein- dungen nicht verschont blieb. Er wurde zum Bühnenautor, verfiel aber mehr und mehr der Verwahrlo- sung und dem Alkoholismus. Hans Egarter starb am 20. Juni 1966. Vgl. Heiss (2009), 37–55. Steinacher resümiert zur Person Egarter folgendes: „Die Zusammenarbeit mit den Alliierten und sein aktiver Wider- stand haben Egarter für viele Südtiroler auch nach 1945 zum ‚Verräter‘ gemacht. Egarter hat sich dem NS- System verweigert und somit seinen Teil für die Niederlage NS-Europas beigetragen. Dadurch, dass er den Antinazismus einiger Südtiroler bei den Alliierten dokumentierte, hat er viel für den demokratischen Neubeginn seiner Heimat geleistet.“ Steinacher (2011b), 274. 626 Vgl. Verdorfer (2011), 370. 110 schen Neuanfang zu etablieren, der sich auf eine doppelte Apologetik stützte. Dazu wurde die Opferrolle gegenüber dem italienischen Faschismus sowie die Widerstandstätigkeiten gegen den Nationalsozialismus zu betonen versucht.

1.1.1. Widerstandsmythos

In Südtirol hatte es in der Zeit von 1943 bis 1945 einen antinazistischen Widerstand gegeben, dessen Größe allerdings recht klein geblieben war.627 Die deutsche Widerstandsbewegung war aus dem tirolpatriotischen Andreas-Hofer-Bundes628 (AHB) und den Dableibern hervorgegangen, denen sich im Laufe der Zeit auch Optanten anschlossen. Die Widerstandskämpfer stammten einerseits aus dem katholisch-konservativen bäuerlichen und andererseits aus dem bürgerlich- liberalen städtischen Milieu. Der Widerstand ist aber aufgrund des breiten Kollaborationsre- gimes der Deutschen Volksgruppe Südtirol629 (DVS) numerisch klein geblieben. Auch die Kirche unterstützte den Widerstand gegen den Nationalsozialismus nicht direkt, sondern schwankte eher zwischen „Attentismus und Kollaboration“.630

Der Südtiroler Widerstand wurde insbesondere gegenüber den Alliierten und Rom instrumenta- lisiert, um sich selbst vom Verdacht der Kollaboration mit den Nationalsozialisten freizuspre- chen. Insbesondere die SVP instrumentalisierte den Widerstand, um sich nach außen einen anti- nazistischen Anstrich zu geben, währenddessen nach innen die ehemaligen NS-Kollaborateure

627 Der amerikanische Militärgouverneur in Bozen William McBratney stellte dem Südtiroler Widerstand folgendes Zeugnis aus: „In dieser Provinz sind etwa 300 Personen Südtiroler Abstammung, die seit 1939 sehr aktiv im antinazistischen Kampf tätig sind. Während des Krieges arbeiteten sie zusammen mit dem OSS [Office of Strategic Services] und der Leitung des SOE [Special Operations Executive] und versorgten sie so über die Schweiz mit Informationen über die Aktivität der deutschen Armee, die für unsere Sache sehr wertvoll waren.“ McBratney zit. n. Steinacher (2011b), 269. 628 Der Andreas-Hofer-Bund (AHB) wurde am 20. November 1939 von jungen engagierten Dableibern in Bozen gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern zählen unter anderem Friedl Volgger aus Ridnaun, Hans Gasser aus St. Lorenzen, Josef Nock aus Lana, Johann Gamper aus Algund und Hans Egarter aus Nieder- dorf. Der AHB setzte sich im Optionswahlkampf aktiv mit Flugblättern und Vorträgen für das Dableiben ein. Bis 1943 betrieb der AHB eine gezielte Agitation gegen Option und Auswanderung, trat aber seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten von 1943 bis 1945 in den aktiven, militärischen Widerstand. Der AHB unterstützte zudem Desserteuer und andere politisch Verfolgte auf ihrer Flucht und stand mit der österreichischen Widerstandsgruppe „Patria“ sowie dem britischen und französischen Geheimdienst in Kontakt. Der AHB verfolgte von Anfang an die Wiedervereinigung Südtirols mit Österreich und setzte sich auch nach dem Krieg bei den Alliierten dafür ein. Eine Zusammenarbeit mit der italienischen Resis- tenza scheiterte vor und nach dem Krieg aufgrund der unterschiedlichen politischen Zielsetzungen. Nach dem Krieg sprach sich der AHB für die Verfolgung von Nationalsozialisten und Faschisten in Südtirol aus, geriet damit aber mehr und mehr auf das politische Abstellgleis, sodass der Bund bereits am 15. Oktober 1945 von den Alliierten offiziell aufgelöst wurde. Vgl. Steurer (2009), 24–31. 629 Die Deutsche Volksgruppe Südtirol (DVS) ist die Nachfolgeorganisation der AdO unter dem Gauleiter Peter Hofer von 1943 bis 1945. Die Befugnis der DVS wurde auf die Dableiber sowie auf die ladinische Sprachgruppe ausgeweitet. Die DVS garantierte den bruchlosen Übergang und den reibungslosen Aufbau des NS-Systems in Südtirol. Vgl. Pfanzelter (2005), 28. 630 Vgl. Steurer (2000), 53f. 111 und die Ehemaligen der Wehrmacht in die Partei re-integriert wurden. „Aus dem antinazisti- schen Widerstand hervorgegangen zu sein, wurde für Jahrzehnte zum offiziellen Gründungsmy- thos der SVP.“631 Amonn betonte 1947: „Die SVP ist aus der antinazistischen Widerstandsbewe- gung hervorgegangen; die Bildung der Partei und deren sofortige Genehmigung war nur aus diesem Grunde möglich.“632

Die politische Elite Südtirols verwende ähnlich wie die österreichische einen geschichtspoliti- schen „double Speak“, der nach außen den nationalen Widerstand gegen den Nationalsozialis- mus überhöhte, um die neue politische Führung zu legitimieren, nach innen aber eben diesen Widerstand unterminierte, um die vermeintliche Opferrolle vieler Südtiroler/innen nicht zu relativieren – schließlich war die Erinnerung an den Südtiroler Widerstand nicht kompatibel mit der Erinnerung vieler anderer, die in der Wehrmacht gedient hatten: Der Widerstand einer klei- nen Gruppe implizierte die Kollaborationsbereitschaft einer weitaus größeren Gruppe von Süd- tiroler/innen und stellte somit eine wesentliche Gefahr für das nationale Selbstbild als Opferna- tion dar.633 Lediglich in der unmittelbaren Nachkriegszeit diente der Südtiroler Widerstand ge- gen den Nationalsozialismus zur Legitimierung nationaler politischer Interessen und wurde bereits kurze Zeit später, spätestens aber nach dem Pariser Vertrag von 1946, dem Vergessen anheim gegeben und durch die Opfer- und Widerstandsrolle der Südtiroler/innen im italieni- schen Faschismus ersetzt, um die ideologischen Gegensätze der Vergangenheit innerhalb der Südtiroler Minderheit zu verwischen und einen universellen Geschichtsmythos zu konstituieren, welcher die gesamte deutsch- und ladinischsprachige Südtiroler Gesellschaft umfassen konn- te.634 Es ging also „um die Ausformulierung und Etablierung eines bereinigten und konsensfähi- gen kollektiven Gedächtnisses, einer gemeinsamen Geschichtserzählung der SüdtirolerInnen, in der die individuellen Erfahrungen möglichst vieler auch irgendwie aufgehoben werden konn- ten.“635

1.1.2. Opfermythos

In Südtirol setzte unmittelbar nach Kriegsende die Instrumentalisierung der Geschichte ein, die maßgeblich von der politischen Elite vorangetrieben wurde. „Das Argument des erinnerungspo- litischen Diskurses ist letztlich nur eines: Wir waren Opfer!“636 Ziel dieses Entlastungsdiskurses

631 Mock (2009), 33. 632 Erich Amonn zit. n. Steurer, Verdorfer & Pichler (1997), 505. 633 Vgl. Steinacher (2011b), 270. 634 Vgl. Steurer (2009), 20. 635 Verdorfer (2011), 371. 636 Verdorfer (2011), 368. 112 war die Bildung einer neuen nationalen Identität sowie die politische Selbstbehauptung gegen- über Rom. Um nicht die Opferrolle der Südtiroler Gesellschaft relativieren zu müssen, wurde die „indirekte und direkte NS-Herrschaft in Südtirol und die Kollaborationsbereitschaft vieler Südti- rolerInnen radikal ausgeblendet“637:

„Obgleich ein Großteil der politischen Eliten Südtirols eindeutig eine nationalsozialistische Ideologie vertrat oder dieser zumindest nahestand und deshalb massiv fürs Auswandern ein- getreten war, wurde die Option 1945 nach außen undifferenziert als erlebter, kollektiver Schicksalsschlag kommuniziert, den die Südtiroler in einer passiven Rolle hätten über sich ergehen lassen. In der herrschenden Optik galt Südtirol als Opfer zweier Diktaturen, die über das Optionsabkommen einen Störfaktor für die Achsenpolitik beseitigen wollten.“638

Besonders die eigene Aktivität während der Option sowie die Optionsentscheidung für die All- gemeinheit wirkten wie ein „Stachel der Erinnerung“. Insbesondere das Optionsergebnis bedurf- te der politischen und moralischen Legitimation.639 „Die Option gehört als historisches Ereignis zweifellos zu den dramatischen Höhepunkten der Südtiroler Zeitgeschichte.“640 Die wesentliche Mitwirkung und Täterschaft breiter Gesellschaftsschichten an der Umsiedlungspolitik wurde beschwiegen und die Schuld am Optionsergebnis „ausschließlich als Folge der faschistischen Entnationalisierungs- und Unterdrückungspolitik“ gesehen.641 Durch die Externalisierung der Schuld auf externe Mächte des Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus sprachen sich die Südtiroler/innen nach dem Krieg gleichsam selbst von ihren Sünden frei und enthoben sich sämtlicher individueller Verantwortung.642 Umgekehrt deklarierte sich die italienischspra- chige Bevölkerung in Südtirol nach dem Krieg zu Opfern des Nationalsozialismus. So diente in vielen ehemals von deutschen Truppen besetzten Gebieten der Verweis auf die Verbrechen des Nationalsozialismus sowie das eigene erlittene Leid in der Okkupationszeit als willkommene Ablenkung von den eigenen Verstrickungen.643

Auf Grundlage des Opferstatus versuchte die politische Führung eine allgemeine Revision der Option oder zumindest die Widererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft für Optanten zu erwirken, die mit ihrer Option für das Deutsche Reich nach dessen Ende zu Staatenlose gewor- den waren. Daher wurde die Opferthese mit allen Mitteln zu untermauern versucht sowie eine allgemeine Revision des jüngsten Geschichtsbildes angestrengt, welche die Mitwirkung des Völ-

637 Verdorfer (2011), 368. 638 Pallaver (2011), 26. 639 Vgl. Verdorfer (2011), 376. 640 Verdorfer (2011), 376. 641 Vgl. Steurer (2011a), 37. 642 Vgl. Verdorfer (2011), 371. 643 Vgl. Heiss (2013), 123. 113 kischen Kampfring Südtirols644 und der Arbeitsgemeinschaft der Optanten645 bei der Optionsent- scheidung zu relativieren versuchte.646 Die Schuld am Optionsergebnis wurde von Seiten der SVP und der österreichischen Außenpolitik ausschließlich dem italienischen Faschismus ange- lastet.647 „Gegen die mögliche Exekution der Option und für einen Schutzvertrag wurden die eigenen braunen Flecken einfach überdeckt und verdrängt.“648

„Die Deklaration, wonach die SüdtirolerInnen kollektiv als Opfer der beiden faschistischen Diktaturen anzusehen wären, war historisch sicher zum Teil legitim, bildete aber zugleich den Hintergrund, vor dem die Opfer (die Arbeiterbewegung, die Juden, die Euthanasieopfer) ‚vergessen‘ werden konnten.“649

Die Annullierung der Option wurde zum Dreh- und Angelpunkt der frühen Südtiroler Entlas- tungspolitik, um nicht nur den Fortbestand der geschlossenen Südtiroler Minderheit zu garan- tieren, sondern auch, um sich von jeglichem Vorwurf nationalsozialistischer Kollaboration frei- zusprechen.650 Der Opferstatus der Südtiroler/innen hatte schließlich großen Einfluss auf das Gruber-Degasperi-Abkommen651 von 1946 zum Schutz der Südtiroler Minderheit.652 „Mit dem Dekret zur ‚Revision der Optionen der Südtiroler‘ von 1948 ging diese Rechnung schließlich recht großzügig zugunsten Südtirols und der Betroffenen aus.“653

Tatkräftig unterstützt wurde diese Legitimationsstrategie auch von Seiten der Kirche, welche das Optionsergebnis nicht als „Bekenntnis zum Nationalsozialismus“, sondern umgekehrt als

644 Der Völkische Kampfring Südtirols (VKS) wurde bereits am 18. Juni 1933 unter dem Namen Südtiroler Heimatfront gegründet und 1934 in VKS umbenannt. Der VKS war eine illegale Gruppierung völkisch- nationalsozialistisch orientierter Gesinnung unter dem VKS-Führer Peter Hofer. Mitglieder des VKS waren vorwiegend Angestellte, Bauern, Gewerbetreibende, Handwerker und Arbeiter, die nicht älter als 28 Jahre alt waren, was dem VKS ein „Profil ausgeprägter Jugendlichkeit“ verlieh. Durch die gnadenlose Propagan- daagitation gelang es dem VKS die Südtiroler Gesellschaft in der Optionsentscheidung unter massiven kollektiven Druck zu setzten und die Option per se als ideologisches „Bekenntnis zum Führer und Reich“ sowie zur deutschen Volksgruppe zu modifizieren. Vgl. Wedekind (2003), 133f. 645 Die Arbeitsgemeinschaft der Optanten (AdO) ist die Nachfolgeorganisation des illegalen VKS in Südtirol. Die Umbenennung und Legalisierung des VKS wurde von der Amtlichen Deutschen Ein- und Rückwander- stelle (ADERSt) vorgenommen und dieser zunächst unter-, später nebengeordnet. Die AdO war wesentlich für die Errichtung einer deutschen Parallelverwaltung neben den bestehenden italienischen Stellen ver- antwortlich und war somit die Stellvertreter- und Vorfeldorganisation der NSDAP in Südtirol. Vgl. Wede- kind (2003), 134f. 646 Vgl. Verdorfer (2011), 368f. 647 Vgl. Steurer (2011b), 54. 648 Pallaver (2011), 27. 649 Verdorfer (2000), 304. 650 Vgl. Pallaver (2011), 26. 651 Das Abkommen wurde am 5. September 1946 zwischen dem italienischen Ministerpräsident und Au- ßenminister Alcide Degasperi und dem österreichischen Außenminister Karl Gruber unterzeichnet. Das Abkommen ermöglichte die in der Option getroffene Entscheidung für Deutschland zu widerrufen und gewährte eine Autonomie für Südtirol, zum Schutz der deutschen Minderheit. Vgl. Romeo (2013), 105f. 652 Vgl. Pallaver (2011), 25. 653 Pallaver (2011), 26. 114 Folge der faschistischen Südtirolpolitik verstanden haben wollte654 und dabei insbesondere die politische Linie der SVP unterstützte655, wobei sie es aber nicht unterlassen konnte, selbst in das tagespolitische Geschehen einzugreifen und neben der SVP eine Art „Schattenregierung“ zu stel- len. Bis weit in die 1950er Jahre hinein beeinflusste die „Brixner Kurie“ maßgeblich die Füh- rungsriege der SVP. Durch die katholische Verlagsanstalt Athesia konnte die Kirche ferner gro- ßen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung nehmen.656 Allerdings war die Athesia als Da- bleiber-Betrieb bei den Deutschland-Optanten diskreditiert. Chefredakteur Kanonikus Michael Gamper bemühte sich daher um die politisch-soziale Re-integration von Optanten bzw. Natio- nalsozialisten, um eine möglichst hohe Reichweite seiner Tageszeitung Dolomiten zu errei- chen.657 Daher wurde es zum „Kennzeichen der ‚Dolomiten‘-Linie, Ausmaß und Heftigkeit der Options-Konfrontation durch Verschweigen, Verfälschen bzw. euphemisierende Umschreibun- gen nachträglich zu bagatellisieren.“658

Auch im deutschsprachigen Geschichtsunterricht wurde die NS-Zeit in Südtirol vorwiegend mit Freiheiten für die unterdrückte Minderheit verbunden. Die deutschsprachige Geschichtswissen- schaft der Nachkriegszeit reduzierte den italienischen Faschismus vorwiegend auf die repressi- ve Minderheitenpolitik gegenüber den Südtiroler/innen und versuchte so gleichsam jede Eigen- verantwortung bzw. Beteiligung am NS-Regime in Südtirol zu verharmlosen und zu rechtferti- gen. Durch die einseitige Dämonisierung des italienischen Faschismus wurde die Handlungswei- se der Südtiroler Bevölkerung von 1939 bis 1945 durch einen rigorosen Opfermythos zu überla-

654 Vgl. Steurer (2000), 76. 655 Joachim Goller (2008) kommt in seinem Buch über Die Brixner Richtung zum Schluss, dass „die direkte Einmischung der Kirche in die Tagespolitik […] in Südtirol praktisch immer geschadet“ hätte. Dennoch habe sie durch ihre „logistische und finanzielle Unterstützung der jungen SVP“ wesentlich zur Südtiroler Politik beigetragen. Vgl. Goller (2008), 283. 656 Die Einmischung der Kirche in Fragen des politischen Alltags bildete lange Zeit aufgrund des (laizisti- schen) Elitenmangels und aufgrund der traditionell-landesspezifischen Kirchenbindung ein Südtiroler Besonderheit. Mit der Tageszeitung Dolomiten, der auflagenstärksten Zeitung des Landes, und dem Athe- sia-Verlag nahm die Kirche großen Einfluss auf die allgemeine Meinungsbildung. In den ersten Nach- kriegsjahren forcierte die Kirche eine Politik, die sich sehr stark an der Selbstbestimmung orientierte und sich eher schädlich auf die politische Lage Südtirols auswirkte. 1952 änderte sich die Richtung der Brixner Kurie unter dem neuen Bischof Joseph Gargitter, der ein Bischof für alle Sprachgruppen sein wollte. Nach dem Tod Kanonikus Michael Gampers gelang der Athesia-Verlag in weltliche Hände, was einen großen Machtverlust für die Kirche bedeutete. In den 1960er Jahren schrumpfte schließlich der politische Einfluss der Kirche, was auch mit der Modernisierung des Landes einherging. Die politische Elite Südtirols eman- zipierte sich schließlich seit den 1950er Jahren mehr und mehr von klerikalen Einflussnahmen. Vgl. Goller (2008), 279–282. 657 Vgl. Hillebrand (1996), 81. 658 Hillebrand (1996), 81. Bis zu seinem Tod 1956 versuchte Gamper seine Interpretation der Geschichte mittels der Tageszeitung Dolomiten zu popularisieren. Hauptthema war die Option von 1939, für die er das faschistische Italien und insbesondere Ettore Tolomei verantwortlich machte. Die Verantwortlichkeit der Südtiroler/innen selbst wurde allerdings von der Gamperschen Geschichtsdeutung strikt tabuisiert. Daher verlagerte er den Schwerpunkt in seinen Optionsartikeln ausschließlich auf die internationale Machtpolitik. Durch diese Geschichtsverfälschung versuchte Gamper die gesellschaftlichen Risse zu kitten, um den Fortbestand der Südtiroler Minderheit zu garantieren. Gamper fürchtete bei einer gesellschaftli- chen Spaltung die Italianisierung des Landes. Vgl. Hillebrand (1996), 118–123. 115 gern versucht.659 „Vielmehr ging es um die Konstruktion eines bereinigten und homogenen Ge- schichtsbildes, welches zwar politisch opportun sein mochte, aber weder die historische Realität abbildete noch vielen Menschen Anknüpfungspunkte für ihre Erfahrungen bieten konnte.“660

Abb. 15: Kriegerdenkmal in Taisten im Abb. 16: Kriegerdenkmal in St. Peter im Pustertal.661 Ahrntal.662

Auch in Südtirol wurde bereits wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg der Opfermythos auf die Ehemaligen der Wehrmacht übertragen. Die Südtiroler Wehrmachtsoldaten, die fernab ihrer Heimat einen imperialistischen Krieg gekämpft hatten, wurden nach dem Krieg zu „Helden der Heimat“ verklärt. Die Interpretation einer „unpolitischen Wehrmacht“ erlaubte es, die Gefalle- nen lediglich als Opfer eines „heldenhaften“ Todes darzustellen. Wesentlichen Anteil daran hatte der Südtiroler Kriegsopfer- und Frontkämpferverband663 (SKFV), welcher die Errichtung und

659 Vgl. Verdorfer (2000), 300. 660 Verdorfer (2011), 370. 661 Abgebildet werden zwei Wehrmachtssoldaten im Kampfgeschehen. Einer der beiden Soldaten wird dabei tödlich getroffen, fällt zu Boden und wird dabei bereits vom Tod, der hier allegorisch als Men- schenskelett dargestellt wird, aufgefangen, während der zweite Soldat die Szene beobachtet. Im Hinter- grund ist der gekreuzigte Jesus Christus zu sehen. Der Tod des Soldaten wird also mit dem Leid und dem Tod Christi gleichgesetzt. Über diesem Bild steht die Inschrift: „Den toten Helden gewidmet“. Vgl. Heinz (1992), 51. 662 Abgebildet wird ein marschierender Wehrmachtssoldat, der vom „Schnitter Tod“ umarmt wird zu sei- ner Rechten und zu seiner Linken vom Kreuz tragenden Jesus Christus begleitet wird. Die Abbildung evo- ziert die Sakralisierung und Heroisierung des Krieges und des Kriegstodes. Vgl. Heinz (1992), 52f. 663 Der Südtiroler Kriegsopfer- und Frontkämpferverband (SKFV) wurde 1957 gegründet und ging aus dem 1947 gegründeten Südtiroler Heimkehrerverband sowie dem 1955 gegründeten Südtiroler Kriegsopferver- band hervor. Die politische Verflechtung des SKFVs begann bereits in den 1950er Jahren. Silvius Magnago war beispielsweise Ehrenpräsident des Verbandes. Vgl. Heinz (1995), 89–95. 116 Pflege zahlreicher Kriegsdenkmäler in Südtirol organisierte, wobei die Kirche mit Wohlwollen das Friedhofsgelände zur Verfügung stellte. Damit leisteten die Kirche und der SKFV einen we- sentlichen Beitrag zur Beschönigung, Verharmlosung und Verdrängung der Kriegsvergangenheit sowie des Nationalsozialismus in Südtirol.664

Das Gleiche geschah auf italienischer Seite unter anderem durch die Associazione Nazionale Combattenti e Reduci (Nationale Veteranen- und Heimkehrervereinigung), die sich 1946 für die Restaurierung des faschistischen Siegesdenkmals in Bozen einsetzte; oder durch die Associazio- ne Nazionale Alpini (Nationale Vereinigung der Alpini), welche die Wiedererrichtung des Alpini- denkmals in Bruneck 1949 lancierte. Beide Denkmäler sind Symbole des faschistischen und im- perialistischen Italiens sowie der „Verteidigung und Bewahrung der Italianität der Provinz Bo- zen“ und „Signal der Standhaftigkeit gegenüber den Forderungen der deutschsprachigen Min- derheit“.665

1.2. ABRECHNUNG MIT DER VERGANGENHEIT

„Seltsame Grille des Volkes! Es verlangt seine Geschichte aus der Hand des Dichters und nicht aus der Hand des Historikers. Es verlangt nicht den treuen Bericht nackter Tatsachen, sondern jene Tatsachen wieder aufgelöst in die ursprüngliche Poesie, woraus sie hervorgegangen.“ Heinrich Heine über die Tiroler Geschichtskultur666

Die politisch angespannte Lage zwischen den Volksgruppen führte dazu, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Geschichte gleichsam entlang der ethnischen Grenze eingeebnet wurde. Die Ent- nazifizierung auf der einen und die Entfaschisierung auf der anderen Seite gerieten bereits nach wenigen Monaten nach Kriegsende in das Fahrwasser politischer Interessen sowie der „Volks- tumsideologie“. Unmittelbar nach dem Krieg hatten sich der AHB, die SVP und das Comitato di

664 Vgl. Heinz (1995), 77f. Elmar Heinz (1995) untersucht in seinem Buch Die versteinerten Helden zahlrei- che Kriegsdenkmäler in Südtirol und resümiert: „Der allergrößte Teil der Südtiroler Kriegsdenkmäler reduziert die komplexe Vergangenheit und die örtliche, lokale Alltagsgeschichte zu einer ausschließlich auf den Krieg bezogenen Normalität, in der die Soldaten der Weltkriege als Opfer eines im Grunde uner- klärlichen, unergründlichen und gottgewollten Schicksals präsentiert werden.“ Heinz (1995), 80. 665 Vgl. Mezzalira (2013), 142–153. 666 Heine (1865), 239. 117 Liberazione Nazionale667 gleichermaßen für eine politische Säuberung ausgesprochen, doch blieb diese in Südtirol rudimentär beschränkt.668 Das Allied Military Government669 erließ am 11. Juli 1945 die Provinzialverordnung Nr. 8 zur „Suspendierung oder Entlassung nazistischer und faschistischer Amtswalter und Beamter“ in Südtirol. Das Gesetz enthielt allerdings ein Schlupf- loch670, das all jenen, die gegen die nationalsozialistische Besatzung in Südtirol gekämpft hatten oder sich nur aus „Zwang“ der Reppublica di Salò671 angeschlossen hatten, Strafnachlass oder – milderung in Aussicht stellte. Dies stellte gleichsam einen Persilschein für viele ehemalige Fa- schisten dar.672 Viele Faschisten konnten so auch nach 1945 in ihren Ämtern in Südtirol verblei- ben, die mehrheitlich italienisch besetzt blieben.673

Die besondere politische Situation in Südtirol erlaubte es, dass sich Faschisten, die gegen den Nationalsozialismus gekämpft hatten, als Widerstandskämpfer und umgekehrt, dass sich Natio- nalsozialisten als Antifaschisten ausgeben konnten. Faschisten und Nationalsozialisten fühlten sich somit gleichermaßen als Opfer.674 All jene aber, die tatsächlich Opfer und Widerstandkämp- fer waren und auch Täter in der Gesellschaft sahen, wurden schließlich verfolgt, verfemt und letztendlich dem Vergessen anheim gegeben.675

Nachdem die Widerstandskämpfer des AHB auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aktiv weiter gearbeitet und insgesamt 104 Personen676 verhaftet hatten, wurde die Organisation noch im Oktober 1945 von den Alliierten aufgelöst. Die Partisanen hatten sich durch ihre Verhaf- tungsaktionen bei der deutschsprachigen Bevölkerung zusehends unbeliebt gemacht. „Wider- stand gegen die Nazis und Verfolgung von NS-Tätern waren nicht mehr gefragt. Die Vergangen- heit sollte ‚ruhen‘, und alle Kräfte sollten für den Kampf um weitreichende Autonomie und damit

667 Das Nationale Befreiungskomitee (CLN) war eine italienische Widerstandsgruppierung gegen die NS- Besatzung in Italien und wurde 1943 gegründet. 668 Vgl. Pallaver (2000), 260f. 669 Das Allied Military Government (AMG) war die alliierte Militärverwaltung, die von den alliierten Streit- kräften in Südtirol eingesetzt wurde. Die Amerikaner begannen bereits bei der Besetzung des Landes am 4. und 5. Mai 1945 mit der Errichtung einer AMG. Südtirol wurde zunächst in mehrere Verwaltungsbezir- ke aufgeteilt. Vgl. Pfanzelter (2005), 123f. 670 Die Provinzialverordnung Nr. 8 des AMG lehnte sich sehr stark an der Legge Sforza der Regierung Bo- nomi zur Entfaschisierung Italiens an. Die Legge Sforza stellte allerdings einen Strafnachlass oder -milderung für all jene ehemalige Faschisten in Aussicht, die sich im Widerstand gegen die deutsche Be- satzung von 1943 bis 1945 aktiv beteiligten oder sich nur aus Zwang der Rupublik von Salò angeschlossen hatten. Vgl. Pallaver (2000), 257f. 671 Die Repubblica Sociale Italiana (RSI) war eine von 1943 bis 1945 errichteter „Satelitenstaat“ des Drit- ten Reiches in Norditalien unter scheinbarer Führung von Benito Mussolini. Vgl. Wedekind (2003), 99f. 672 Vgl. Pallaver (2000), 256–258. 673 Vgl. Pallaver (2000), 263. 674 Vgl. Pallaver (2000), 266. 675 Siehe Steurer, Verdorfer & Pichler (1997). 676 Der AHB übergab den Alliierten bis zu seiner Auflösung am 15. Oktober 1945 25 „politische Verbre- cher“, 17 SS-Angehörige, 40 Soldaten der Wehrmacht und fünf Schwarzhändler. Vgl. Steinacher (2011b), 268. 118 die Zukunft des Landes gebündelt werden.“677 Schließlich relativierte die Verfolgung von ehema- lige Nationalsozialisten und Faschisten die Opferrolle vieler Südtiroler/innen sowohl auf deut- scher wie auch auf italienischer Seite. Die Gruppe um Egarter blockierte die von der SVP und von der Kirche verordnete strikte Versöhnungspolitik innerhalb der deutschen Sprachgruppe und war daher unerwünscht678:

„Was in anderen Gegenden Westeuropas der Kalte Krieg mitbewirkte, nämlich eine forcierte Einheitsdisziplin gegen neue Gegner, bewirkte in Südtirol die ethnische Frontstellung. Die Einheit der Südtiroler ‚Volksgruppe‘ musste mit allen Mitteln gewahrt bleiben. Kritische Mahner an die tiefe Spaltung der Südtiroler seit der ‚Option‘ waren unerwünscht.“679

Auch auf italienischer Seite war der Südtiroler Widerstand unerwünscht, da dieser die morali- sche Legitimation zur Selbstständigkeit des Landes förderlich gewesen wäre.680 Der Südtiroler Widerstand wurde daher „zwischen zwei gegnerischen Fronten bisweilen ‚erdrückt‘, bei mehre- ren Gelegenheiten instrumentalisiert und am Ende verkannt.“681

„Zum einen hatte der italienische Staat kein Interesse an einem landesweiten Südtiroler Wi- derstand, da dieser als Promotor für Selbstbestimmung und eine Rückkehr zu Österreich ho- hes moralisches Gewicht in die Waagschale legen konnte. Zum anderen hegte in Südtirol nur eine Minderheit Sympathien für eine antinazistische Organisation, die unliebsame Episoden der Vergangenheit aufdecken sollte. Wenn man den Nazis zugejubelt und sie unterstützt hatte – so die landläufige Meinung –, sei dies nur zu verständlich. Mit ihnen sei die deutsche Kultur und die Selbstverwaltung zurückgekehrt, das Joch des Faschismus hingegen abgeschüttelt worden. Grund genug, um sich dankbar an die deutsche Präsenz zu erinnern, vereinzelte ‚Übergriffe‘ nicht überzubewerten und daher die Vergangenheit ruhen zu lassen.“682

Obschon sich Egarter im Laufe der Nachkriegsjahre immer mehr in den Dienst der offiziellen Versöhnungspolitik stellte und die Verfolgung von ehemaligen Faschisten und Nationalsozialis- ten einstellte, kehrten sich die Verhältnisse bereits wenige Jahre nach Kriegsende radikal um: Ehemalige Partisanen, Deserteure und KZ-Häftlinge waren nun immer mehr öffentlichen An-

677 Steinacher (2011b), 273. 678 Vgl. Steinacher (2011b), 268–274. 679 Steinacher (2011b), 276. 680 Auch von den italienischen Behörden wurde die Anerkennung der Widerstandsgruppe des AHB ver- wehrt, da sie nicht wesentlich zur Befreiung beigetragen und eher einen politischen als militärischen Wi- derstand geleistet habe: „Ermittlungen haben erbracht, dass es in Südtirol während der deutschen Besat- zung keine fremdstämmige Widerstandsbewegung gab […]. Unter den fremdstämmigen Soldaten gab es einige, die aus Angst desertierten oder den Wehrdienst verweigerten […], ohne damit zur Befreiung beige- tragen zu haben.“ Bericht über die Situazioni in Alto Adige 1946 der Bozner Präfektur vom 31. Juli 1946 an das italienische Außenministerium zit. n. Romeo (2011), 290. 681 Romeo (2011), 282. 682 Heiss (2009), 44. 119 feindungen ausgesetzt und wurden aus der Gesellschaft sowie Politik ausgegrenzt, währenddes- sen ehemalige Nationalsozialisten und Faschisten re-integriert wurden. Die Opfer des National- sozialismus wurden zu Verrätern, die Täter zu Helden des Heimatkampfes. Die Widerstands- gruppe des AHB wurde sogar zu kriminalisieren versucht: Drei ehemalige Mitstreiter wurden 1946/47 aus ungeklärten Umständen von den Carabinieri erschossen; 1951 wurden 19 ehema- lige Widerstandskämpfer des AHB aus dubiosen Gründen vor Gericht gestellt und schließlich 1953/54 mit Ausnahme von zwei Personen zu teilweise schweren Haftstrafen683 verurteilt. Fer- ner wurde die Erinnerung an den nationalen Widerstand gegen den Nationalsozialismus seit den 1950er Jahren zu diffamieren und aus dem öffentlichen Bewusstsein zu tilgen versucht.684 „Wurde der antinazistische und antifaschistische Widerstand in anderen Regionen und Staaten Europas ein Opfer des beginnenden Kalten Krieges, so in Südtirol vor allem ein Opfer des ethni- schen Konflikts.“685

Abb. 17: Ironie der Geschichte: Hans Egarter hält eine Rede für die „Gefallenen der Heimat“.686

Da in Südtirol eine politische Säuberung erst nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, wurde diese verpasst und fiel dem ethnischen Proporzdenken anheim. Bald übernahmen wieder jene politi- schen Eliten die Macht, die bereits vor 1945 an der Macht waren.687 Während die SVP die ehema-

683 Die längste Haftstrafe erhielt Johann Pircher mit 30 Jahren wegen eines angeblich gegangenen Mordes an einem Wehrmachtsoffizier. 1975 wurde Pircher vom italienischen Staatspräsidenten begnadigt. Vgl. Steurer, Verdorfer & Pichler (1997), 519. 684 Vgl. Hillebrand (2009), 42f. 685 Steurer (2000), 54. 686 Der Leiter des AHB Hans Egarter hielt im September 1946 beim Sandwirt im Passeiertal eine Rede für die „toten Helden der Heimat“ und differenzierte dabei nicht zwischen Opfern und Tätern. Ferner relati- vierte Egarter die Täterrolle vieler Südtiroler/innen indem er meinte: „Sie haben ihre Pflicht getan bis in den Tod. Mehr kann niemand tun.“ Egarter zit. n. Steurer, Verdorfer & Pichler (1997), 531. 687 Vgl. Pallaver (2000), 263. 120 ligen NS-Sympathisanten schluckte, schluckte die Democrazia Cristiana688 (DC) die ehemals fa- schistischen Anhänger:

„Die SVP integrierte ihre Nazis, die DC ihre Faschisten. Dem ‚totalen Krieg‘ bis 1945 folgte in Südtirol nach 1945 der Kalte Krieg des Volkstumskampfes. Im Namen des ethnischen Kon- flikts erteilten die jeweiligen politischen Eliten den ehemaligen Nazis und Faschisten ihres ei- genen Lagers die Generalabsolution.“689

Dies führte schlussendlich dazu, dass nur untere Funktionäre beider Regime verhaftet und an- geklagt wurden, währenddessen höhere Belastete durch Deckung oder Flucht entkamen. „Südti- rol wurde zu einer Art Eldorado für Belastete.“690 Bei der Flucht zahlreicher NS-Täter nach Über- see spielte Südtirol eine äußerst bedeutende Rolle: Viele Südtiroler/innen halfen den verfolgten Nationalsozialisten auf ihrer Flucht Richtung Süden, indem sie diesen Unterschlupf gewährten, Transporte organisierten oder falsche Papiere ausstellten und damit auch gutes Geld verdien- ten.691 Dieses dunkle Kapitel Südtiroler Zeitgeschichte spiegelt die tief verankerte nationalsozia- listische Gesinnung vieler Südtiroler/innen auch nach dem Zweiten Weltkrieg wider:

„Das tief verhaftete Deutsch-Bewusststein [!], das Feindbild ‚des Italieners‘, die nationalsozia- listische Ausrichtung mancher Südtiroler machten das ‚System Südtirol‘ erst möglich. Die Flucht von NS-Tätern, die sich als Optanten ausgaben, ist daher eine spannende, aber auch bedrückende Episode in der Zeitgeschichte Südtirols. Sie verweist auf tiefer gehende Struktu- ren, Denkmuster und Probleme dieses Grenzlandes.“692

Aber auch die italienische epurazione viel dem „ethnischen Proporzdenken zum Opfer“, um die italianità Südtirols nicht zu schwächen.693 Viele ehemalige Faschisten und/oder Kollaborateure des NS-Regimes konnten bald in ihre ehemaligen Ämter zurückkehren. Dies geschah auf italieni- scher Seite schneller, da die ehemaligen NS-Anhänger durch die Option für das Deutsche Reich

688 Die Democrazia Cristiana (DC) war von 1945 bis in die frühen 1990er Jahre eine der führenden politi- schen Parteien Italiens. 689 Pallaver (2000), 267. 690 Pallaver (2000), 263. 691 Steinacher (2008) betont in seinem Buch Nazis auf der Flucht die eminente Rolle Südtirols als Flucht- helfer für zahlreiche Nationalsozialisten. Rund 90% von ihnen entkamen von 1946 bis 1951 über Italien nach Nord- und Südamerika, wobei Südtirol, Rom und Genua wichtige neuralgische Punkte der NS- Fluchthilfe darstellten. Vor allem Südtirol avancierte aufgrund seiner geographischen Lage und des politi- schen Status zu einem „Nazi-Schlupfloch“: Aufgrund des staatsrechtlichen Schwebezustands vieler Südti- roler/innen die für das Reich optiert hatten und damit zu Staatenlosen geworden waren, konnten ehema- lige NS-Täter durch die Beschaffung einer Südtiroler Identität ebenfalls zu Staatenlose avancieren und sich somit ein Reisedokument des Roten Kreuzes erschleichen, was eine ungehinderte Flucht mit falschen Dokumenten ermöglichte. So nahmen etwa Adolf Eichmann und Josef Mengele Südtiroler Identitäten an, um ihre Flucht mittels Reisepapiere des Roten Kreuzes zu ermöglichen; beide erhielten ihre neuen Südti- roler Ausweise von der Gemeinde Tramin. Vgl. Steinacher (2008), 8–13. 692 Steinacher (2011a), 335. 693 Vgl. Pallaver (2000), 265. 121 zu Staatenlosen wurden und damit aus dem öffentlichen Dienst ausgeschlossen wurden.694 Mit der Revision der Optionsentscheidung im Jahr 1948 konnte aber auch dieses Vermächtnis der jüngsten Geschichte erfolgreich revidiert werden. In Italien wurde bereits 1946 eine allgemeine Amnestie für ehemalige Faschisten erlassen und damit die Abrechnung mit der jüngsten Ver- gangenheit zu einem jähen Ende gebracht.695 Laut Günther Pallaver habe die gescheiterte Ab- rechnung mit der Vergangenheit in Südtirol schwere politische Folgen gehabt:

„Die fehlgeschlagene Epurazione und die damit verbundene unbewältigte Vergangenheit in- nerhalb der italienischen Volksgruppe sowie die fehlgeschlagene Entnazifizierung und die damit verbundene unbewältigte Vergangenheit innerhalb der deutschsprachigen Volksgrup- pe hatten zur Folge, daß die Südtirolpolitik nach 1945 unter stark nationalistischen Gesichts- punkten betrieben wurde. […] Beide Nationalismen mündeten in Akte der Gewalt: Auf deutschsprachiger Seite in den Terrorismus, auf italienischsprachiger Seite in die staatliche Repression.“696

Selbst schwer belastete Nationalsozialisten konnten nach dem Krieg in Südtirol Karriere ma- chen. Aufgrund ihres Hintergrundes wurden sie zwar aus dem politischen Leben ausgeschlos- sen, was aber vielfach wiederum zu einer „Ausgrenzung in die Wirtschaft“ bzw. „in den Wohl- stand“ führte. „Die Selbstverständlichkeit, mit der (ehemalige) Nationalsozialisten nach 1945 wieder Karriere machen konnten, ist dennoch frappierend.“697 Ein Paradebeispiel für eine nahe- zu bruchlose Karriere ist Karl Nicolussi-Leck, der 1948 nach Argentinien flüchtete, aber bereits 1953 wieder nach Südtirol zurückkehren konnte, Karriere machte und bis zu seinem Tod im Jahr 2008 als Kunstmäzen breite öffentliche Anerkennung genoss.698 Die zahlreichen Kontakte zu ehemaligen Nationalsozialisten waren für den schnellen wirtschaftlichen Aufstieg Nicolussi- Lecks und vieler anderer nicht unerheblich. „Die Netzwerke aus Weltanschauung, Freundschaf- ten und Geschäftsinteressen funktionierten noch bis in die 1980er Jahre hinein.“699

694 Vgl. Steurer (2000), 56. 695 Vgl. Pallaver (2000), 266. 696 Pallaver (2000), 274. 697 Steinacher (2012a), 282. 698 Bereits als junger Mann engagierte sich Karl Nicolussi-Leck beim Völkischen Kampfring Südtirols und gehörte bald zu den führenden Köpfen der Organisation. 1940 meldete er sich freiwillig zur Waffen-SS und stieg bis zum Hauptsturmführer auf. Nach seiner Freilassung 1947 betätigte sich Nicolussi-Leck als Fluchthelfer in Südtirol und floh dann selbst nach Argentinien, wo er mit anderen geflohenen Nationalso- zialisten eine erfolgreiche Firma gründete und diese bald wieder gewinnbringend an den Mannesmann- Konzern (selbst in Händen von Ehemaligen) verkaufen konnte. 1953 kehrte Nicolussi-Leck nach Südtirol zurück und gründete auch hier mithilfe des Mannesmann-Konzerns verschiedene Firmen für Beregnungs- und Landwirtschaftstechnik. Durch den Verkauf seiner argentinischen Firma konnte sich Nicolussi-Leck eine Villa in der Nähe von Bozen kauften und stattete diese im Laufe der Jahre mit Kunstgegenständen aus. Er engagierte sich ferner im Südtiroler Kulturbereich, gründete das Südtiroler Bildungszentrum und das Museum für Moderne Kunst in Bozen. Vgl. Steinacher (2012a), 272–280. 699 Steinacher (2008), 293. 122 1.2.1. „Lei net rogeln!“

Abb. 18: Karikatur von Peppi Tischler.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Option und die NS-Zeit in Südtirol zum Tabuthema gemacht. Alle Spuren der Vergangenheit, wie etwa das Durchgangslager Bozen700, wurden nach 1945 beseitigt, um unerwünschte Reminiszenzen an jenes dunkle Kapitel der Südtiroler Ge- schichte endgültig dem Vergessen preiszugeben.701 Auch innerhalb der italienischen Sprach- gruppe wurden die Schattenseiten des Faschismus nach dem Krieg dem Vergessen anheimgege- ben. In jenen Jahren bildete sich erstmals eine strikt geteilte und voneinander losgelöste Erinne- rung an die Vergangenheit heraus, welche das kulturelle Gedächtnis an Faschismus und Natio- nalsozialismus in Südtirol auch heute noch prägt und entlang der ethnischen Grenzen segregiert. Beide Gedächtnisse tendieren gleichermaßen zur Verharmlosung und Relativierung der eigenen Geschichte, wobei das kollektive Schweigen die allgemeine Erinnerungskultur auf beiden Seiten über Jahrzehnte hinweg beherrschte.702

„Lei net rogeln!“703 – „Nur nicht herumrühren!“, so lautete die von der neuen politischen Füh- rung ausgegebene Parole. Lag die politische Führung nach dem Zweiten Weltkrieg noch in Hän- den des katholisch-liberalen Bürgertums und der italienischen Bürokraten, so zeichnete sich in

700 Von 1944 bis 1945 gab es ein NS-Durchgangslager in der Reschenstraße 86-90 in Bozen, in dem insge- samt rund 11.000 Menschen interniert und 300 Personen umgebracht wurden. Vgl. Kofler & Peterlini (2011), 141f. Die Baracken des Lagers wurden um 1960 abgerissen und 1970 zur Verbauung freigegeben. In den 1990er Jahren wurde die Geschichte des Durchgangslagers Bozen erstmals wissenschaftlich er- forscht. Alljährlich werden am 27. Januar und 25. April Gedächtnisveranstaltungen und Kranzniederle- gungen durch öffentliche Würdenträger abgehalten. Vgl. Heiss (2013), 120–123. 701 Vgl. Verdorfer (2000), 305. 702 Vgl. Mezzalira (2013), 137f. 703 Diese von Silvius Magnago, Südtiroler Landeshauptmann von 1960 bis 1989, ausgegebene Parole spie- gelte die Geisteshaltung jener Generation im Umgang mit der Vergangenheit wider. „Nur net rogeln“ war das lakonische Statement Magnagos zum fünfzigsten Gedenkjahr an die Option 1989 in der Südtiroler Illustrierten „FF“. Vgl. Steurer, Verdorfer & Pichler (1997), 513. 123 den 1950er Jahren eine Radikalisierung der politischen Kräfte sowohl auf deutscher wie auch auf italienischer Seite ab:

„In den 1950er-Jahren kam es zur Ablösung der liberalen Führungsschicht innerhalb der Minderheit durch eine bäuerlich-radikale, die auch als Wehrmachtsgeneration bezeichnet werden kann. Das waren jene (im wesentlichen Männer), die im Zweiten Weltkrieg vor allem in der Deutschen Wehrmacht, aber auch im italienischen Heer gedient und keine demokrati- sche Sozialisation erlebt hatten und dadurch dem Nationalismus stärker ausgesetzt waren als die Generation vor ihnen. Dasselbe ist bei den italienischen politischen Eliten feststellbar.“704

Die politische Elite Südtirols konstituierte sich nach 1945 mehr oder minder aus denselben Poli- tikern, die auch schon in den zwanziger und dreißiger Jahren tätig gewesen waren. Die Kontinui- tät vieler politischer Karrieren in Südtirol beruhte auf dem kategorischen Einheitswillen, wel- cher die Wunden der Vergangenheit übertünchen sollte. Eine tiefgreifende Zäsur der politischen Eliten nach 1945 gab es daher in Südtirol nicht. Allerdings verzögerte sich die Rückkehr vieler ehemaliger Funktionäre in den öffentlichen Bereich aufgrund der Staatenlosigkeit der Deutsch- land-Optanten und geschah daher erst in den 1950er Jahren.705 So fand auch in Südtirol nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der Verdrängung der eigenen Vergangenheit und dem Diktat der Einheit kein gravierender Elitentausch unter allen drei Sprachgruppen statt.706

„Die auf beiden Seiten starke personelle Kontinuität zwischen den politischen Eliten vor und nach dem Zweiten Weltkrieg hat auf einen Konfliktregelungsmechanismus zurückgegriffen, der stark von der Ideologie der ‚Volksgemeinschaft‘ geprägt war (ist), die sich aus Einstellun- gen, Werten und Verhaltensmustern speist(e), die nicht auf Kooperation unter den Sprach- gruppen, sondern auf Separation ausgerichtet war (ist).“707

Hatte die erste Führungsriege der SVP durchaus noch eine Zusammenarbeit mit den italieni- schen Eliten unterstützt, zelebrierte die neue Führung unter SVP-Obmann und Landeshaupt- mann Silvius Magnago den ethnischen Front- und Überlebenskampf einer kleinen deutsch- und ladinischsprachigen Minderheit. Damit einhergehend fand eine Umdeutung der Vergangenheit statt: Verbrechen der NS-Zeit wurden beschwiegen und Fragen der Wiedergutmachung nicht gestellt – lediglich das eigene schwere Leid im Faschismus wurde dem Leid der Opfer des Natio- nalsozialismus gegenüber- und entgegengestellt.708 Die „‘Volk in Not‘-Ideologie und die Opferrol-

704 Pallaver (2012), 368. 705 Vgl. Mittermair (2000), 169. 706 Vgl. Pallaver (2003), 365. 707 Pallaver (2003), 368. 708 Vgl. Pallaver (2003), 370. 124 le der SüdtirolerInnen bildete die politische zentrale Ausgangsposition für das kollektive Be- wußtsein der ‚Wehrmachtsgeneration‘.“709

Auch die Südtiroler Nachkriegsliteratur der 1950er und 1960er Jahre wurde geprägt vom „lan- gen Schweigen“ über die innergesellschaftliche Spaltung in der Options- und NS-Zeit. Sie diente in erster Linie zur Fortschreibung des nationalen Opfermythos anhand des Heimat- und Trivial- romans.710

„So erweist sich die Literatur der Fünfzigerjahre als ‚permanente Option‘ für die Heimat und zugleich als unterbewusste Umpolung der ehemaligen Entscheidung für die Abwanderung. Andererseits wird gerade durch die Heraufbeschwörung dieser quasi unverrückbaren Hei- matliebe die jüngere Geschichte wiederum verdrängt; sie wird ja nie direkt angesprochen, und immer unwahrscheinlicher und unvorstellbarer werden so die Tatsachen der Jahre des Nazifaschismus.“711

Ebenso war die Geschichtsschreibung zu Südtirol bis in die 1980er Jahre vorwiegend zweigeteilt und wurde strikt entlang der ethnischen Streitparteien geschrieben. Währenddessen etwa der Innsbrucker Historiker Franz Huter die Schuld am Optionsergebnis der faschistischen Repressi- onspolitik in Südtirol anlastete und damit die politische Linie Österreichs sowie der SVP unter- stützte, lag die Schuld an der Umsiedlungspolitik laut dem römischen Historiker Mario Toscano bei den Nationalsozialisten begründet.712

„Die Geschichte Südtirols ist seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in einer großen Zahl um- fangreicher oder schmaler, aufwendig dokumentierter oder agitatorisch verbrämter Publika- tionen behandelt worden. Sie bildeten eine Begleiterscheinung der österreichisch- italienischen Auseinandersetzung um den Charakter und den Umfang der autonomen Rechte der deutschsprachigen Bevölkerung in Südtirol, in der die historische Dimension nur den Le- gitimationsrahmen für diese Forderung, jene Verweigerung, diese oder jene Rechtfertigung sichern sollte.“713

709 Pallaver (1998), 69. 710 Vgl. Foppa (2011), 342. 711 Foppa (2011), 343. 712 Vgl. Steurer (2011a), 37. 713 Stuhlpfarrer (1985), 1. 125 1.3. AUSEINANDERSETZUNG MIT DER VERGANGENHEIT

„Die Gegenwart muß – um der Zukunft willen – reparieren, was die Vergangenheit ruiniert und verpatzt hat.“ Claus Gatterer714

Erst in den späten 1960er Jahren begann eine junge Generation von kritischen Journalisten, be- sonders des Rai-Sender-Bozens, „bohrende Fragen“ zu stellen. Die Debatte um die Option und die NS-Zeit in Südtirol breite sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahren aus und erreichte schließlich zum 50. Jahrestag der Option im Jahr 1989 seinen Höhepunkt durch die Ausstellung Option-Heimat-Opzioni715 in Bozen.716

Seit den späten 1970er Jahren ist in Südtirol ein schleichender Wandel des Geschichtsbewusst- seins feststellbar. Allerdings wurde dieser Wandel anfangs von einer kleinen Gruppe kritischer Intellektueller geprägt und umfasste noch nicht die breite Masse.717 Aber gerade diese neue Ge- neration evozierte mit ihren kritischen Fragen an die Vergangenheit erstmals eine breite öffent- liche Diskussion über die eigene Geschichte und ist „ein Indiz für Dynamik und Öffnung der Süd- tiroler Gesellschaft“. Claus Gatterer nahm dabei mit seinem Buch Schöne Welt, böse Leut von 1969 eine Vorreiterrolle ein.718 „Insgesamt lässt sich von einem beginnenden Modernisierungs- prozess der Südtiroler Gesellschaft sprechen, der seine Auswirkungen auch auf das Geschichts- bild hatte.“719 Ins Rollen gebracht wurde der Stein von der 68er-Generation, die sich nicht mehr von der Vergangenheit belastet fühlte und sich somit vom nationalen Trauma erstmals lösen konnte. Dazu zählte auch eine neue Generation von Historiker/innen, die sich erstmals kritisch mit der eigenen Geschichte auseinandersetzten und dabei auf heftigen Widerstand der Politik und der Zeitzeugenschaft stieß, welche sich die Interpretationshoheit über die Vergangenheit nicht nehmen lassen wollten.720 „Die ‚Opferthese‘ hatte für die politischen Ziele der Südtiroler Volkspartei, aber auch als Integrationskitt der Südtiroler Gesellschaft eine derart zentrale Funk- tion, daß die einflußmächtigen Träger von Politik und Kultur nicht entfernt daran dachten, sie in Frage zu stellen.“721

714 Claus Gatterer zit. n. Hanifle (2005), 240. 715 Siehe Erhard (1989). 716 Vgl. Pallaver (2011), 24. 717 Vgl. Foppa (2011), 344. 718 Vgl. Hanifle (2005), 149. 719 Verdorfer (2011), 372. 720 Vgl. Verdorfer (2011), 372f. 721 Heiss (1997b), 278. 126 In den 1980er Jahren wurde die Option zum Modethema. In diesen Jahren wurde die Südtiroler Gesellschaft von einem breiten Geschichtsdiskurs erfasst. Die Debatte über die eigene Vergan- genheit spitzt sich in diesem Jahrzehnt zu und sorgte für heftige Kontroversen. Darunter zu nen- nen ist etwa ein Statement von Reinhold Messner, der 1981 in einem TV-Interview des italieni- schen Fernsehens den Südtiroler/innen Heimatverrat vorwarf: „Io penso che nessun popolo ha tradito tanto la ‚Heimat‘ come gli altoatesini!“722 „Die Empörung über die Meinung Messners war wohl deshalb so groß, weil damit auch die eigenen Schuldgefühle verdeckt werden sollten.“723 Im selben Jahr sorgte ferner die erstmalige Durchführung der „Sprachgruppenzugehörigkeitser- klärung“724 für Debatten. Gegner dieser Erklärung, wie etwa der Politiker Alexander Langer, ver- glichen den „ethnischen Proporz“ mit der Option von 1939.725 Auch literarisch folgte ein Schlag- abtausch von Dableiber- und Optantenautobiographien in den 1980er Jahren. 1988 veröffent- lichte Franz Thaler mit Unvergessen die erste Autobiographie eines Deserteurs und KZ- Häftlings.726 Mit dem Buch Südtirol zwischen Rom und Berlin 1919-1939 löste der Historiker Leo- pold Steurer bereits in den frühen 1980er Jahren eine breite geschichtswissenschaftliche Kont- roverse aus, die wesentlich zur Aufarbeitung und Anerkennung der nationalsozialistischen Ver- gangenheit Südtirols beitrug. Typisch für diese Kontroverse, die als „Südtirols ‚Historikerstreit‘“ bezeichnet werden kann, waren zwei antagonistische Lager von Historiker/innen, die über die Deutungshoheit des nationalen Geschichtsbildes verhandelten.727

1989 gipfelte schließlich die Debatte über die Option in der Ausstellung Option-Heimat-Opzioni mit rund 30.000 Besucher/innen. Im selben Jahr wurde der zweiteilige Film Verkaufte Heimat von Felix Mitterer und Karin Brandauer im Fernsehen ausgestrahlt. Neue schulische Materialien sowie Vorträge und Diskussionsveranstaltungen in der Öffentlichkeit komplettieren das Gedenk-

722 Reinhold Messner zit. n. Foppa (2011), 345. Messner selbst überliefert seine Aussage folgendermaßen: „Wenn in Südtirol jemand die Heimat verraten hat, dann die Optanten von 1939!“ Messner (1989), 10. Messner habe sich laut eigenen Angaben von der spitzen Bemerkung eines italienischen Journalisten, dass er von einigen Politikern und Kulturträgern des Landes als „Heimatverräter“ bezeichnet werde, provoziert gefühlt und meint dazu: „Ich wollte mir von Leuten, deren ‚Treue zu Deutschland‘ 1939 stärker gewesen war als die ‚Liebe zur Heimat‘, keinen Heimatverrat vorwerfen lassen und drehte den Spieß um.“ Messner (1989), 10. 723 Pallaver (2011), 31. 724 1981 wurde eine Volkszählung durchgeführt, bei der sich die Südtiroler/innen erstmals zu einer der drei Sprachgruppen bekennen mussten. Die Nicht-Bekennung zu einer der drei Sprachgruppen ist dem Verlust einer Reihe von zivilen und sozialen Rechten gekoppelt und führt beispielsweise zum Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst. Vgl. Pallaver (2011), 31. 725 Langer kritisierte die SVP-Politik, welche die „Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung“ von 1981 un- terstützte, um damit das Zusammenleben der Sprachgruppen zu erleichtern. So SVP-Kulturreferent Anton Zelger: „Je klarer wir trennen, desto besser verstehen wir uns.“ Langer sah darin allerdings die Forcierung der ethnischen Trennung durch einen „regelrechten Machtkampf“ und die Fortführung der Option von 1939. Der „Dauerzustand Option“ könne, so Langer, in Südtirol nur dann überwunden werden, wenn die verschiedenen Sprachgruppen miteinander zusammenleben und –arbeiten würden. Vgl. Langer (1989), 211–219. 726 Vgl. Foppa (2011), 347f. 727 Vgl. Steinacher & Pallaver (2006), 55f. 127 jahr 1989. Ferner wurde die geschichtswissenschaftliche Zeitschrift Geschichte und Regi- on/Storia e regione gegründet. All diese Momente markieren einen Wendepunkt im Südtiroler Geschichtsbewusstsein und bezeichnen die zunehmende wissenschaftliche Intensivierung des einstmaligen Tabuthemas sowie dessen Liberalisierung und Entpolitisierung.728 Die Tradition des Schweigens wurde so in den 1980er Jahren erstmals ansatzweise gebrochen.729

1.4. ANERKENNUNG DER VERGANGENHEIT

Seit den 1990er Jahren wurde die Geschichte Südtirols, auch die jüngere Vergangenheit, lücken- los aufgearbeitet. Die Historiker/innen emanzipierten sich erfolgreich von den politischen Idea- len und Zielsetzungen, sodass die Historisierung der Südtiroler Zeitgeschichte erfolgreich voran- schreiten konnte. Der Abschied der Zeitzeugenschaft in den 1990er Jahren und der politische Wandel in der italienischen sowie speziell in der Südtiroler Politik trugen zur erfolgreichen ge- schichtswissenschaftlichen Aufarbeitung der Vergangenheit bei.730

Eine neue politische Generation sorgte in den frühen 1990er Jahren für einen Führungswechsel innerhalb der SVP. Damit kam eine „neue, stark pragmatische und weniger ethnisch geprägte Elite an die Macht“, die den ethnisch geprägten „Volkstumskampf“ der alten Führungsriege mehr und mehr durch eine pragmatisch-überethnische Zusammenarbeit ersetzte.731 Gestärkt vom wirtschaftlichen Aufschwung und Wohlstand der Region, verkörperte der neue Landeshaupt- mann Luis Durnwalder das gestiegene Selbstbewusstsein einer jungen Generation, die sich end- gültig von der „Todesmarsch-Stimmung“ der Ära Magnago liberalisiert hatte.732 Unter vielen italienischsprachigen Südtiroler/innen aber evoziert(e) dieses neu gewonnene Selbstbewusst- sein der deutschsprachigen Bevölkerung, die im Wesentlichen die regionale Politik bestimmt(e) und der italienischen Bevölkerung mehr oder minder distanziert-freundlich begegnet(e), den sog. disagio (Unbehagen).733 Insgesamt stieg aber die Identifikation mit der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol seit dem Zweiten Autonomiestatut von 1972 beständig an. Während die Identifi- kation mit der eigenen Sprachgruppe an Wert verliert, scheint jene mit dem „Territorium“ an Bedeutung zu gewinnen. Der Prozess der Südtiroler „Nationswerdung“ brachte zwar eine schlei-

728 Vgl. Verdorfer (2011), 379f. 729 Vgl. Romeo (2011), 299; Verdorfer (2000), 301. 730 Vgl. Verdorfer (2011), 380f. 731 Vgl. Pallaver (2012), 368. 732 Vgl. Peterlini (2012), 231f. 733 Vgl. Heiss (1997b), 289. 128 chende „Ent-ethnisierung“ mit sich, dennoch ist das politische734 und öffentliche Leben in Südti- rol immer noch stark ethnisch segregiert.735

„Die institutionelle Trennung schlägt sich auch im Alltag nieder, wo es unter den Sprachgrup- pen im Vergleich zu den vorhandenen Möglichkeiten relativ geringe Kontakte gibt. Die soziale Trennung der Sprachgruppen hängt stark vom Bildungsgrad und Beruf ab, ist aber im we- sentlichen eine Folge des Schulsystems, das bereits im Kindergarten die Sprachgruppen trennt und damit auch als Folge des (ethnischen) Sozialisationsprozesses angesehen werden kann.“736

Diese gesellschaftlichen Verhältnisse spiegeln sich auch im öffentlichen Geschichtsbewusstsein wider: Bis heute gibt es keine sprachgruppenübergreifende „Erzählung“ der Südtiroler Geschich- te, sondern eine geteilte Erinnerung wie im restlichen Italien, die aber entlang der ethnischen Grenzen verläuft. So evozieren auch heute noch Toponomastik und Denkmäler in Südtirol un- überwindbare Konflikte zwischen den jeweiligen Sprachgruppen.737 Die „ethnische Versäulung“ (Pallaver) ist ein weiterhin bestehendes Stigma der Südtiroler Gesellschaft, welches die Aner- kennung der Vergangenheit, sei es des Faschismus oder des Nationalsozialismus, weiterhin blo- ckiert. Was anderenorts der Kalte Krieg bewirkte, bewirkte in Südtirol die nationale Fronstel- lung: Die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit wurde massiv erschwert.738

„Was es brauchen würde, ist ein breites Bündnis von Politik und Zivilgesellschaft, das behut- sam, aber beharrlich an der ethnischen Abrüstung der öffentlichen Erinnerungskultur arbei- tet und auch sichtbare Zeichen setzt, wie etwa die Umgestaltung des Siegesdenkmales in ei- nen kulturellen Ort der Begegnung."739

Allerdings ist das Bemühen um die Wechselseitige Anerkennung und Überbrückung der Erinne- rungskultur in Südtirol nach dem Millennium gestiegen. Hier haben vor allem die Südtiroler His- toriker/innen Vorarbeit geleistet, die seit den 1990er Jahren vermehrt in sprachgruppenüber- greifenden Projekten und Zeitschriften mit Kolleg/inn/en anderer Muttersprache zusammenar- bei(te)ten und dabei erste Brücken zum Verständnis der jeweils anderen Memorialkultur schlu- gen. Eine Annäherung in diesem Sinn intendiert auch das neue gemeinsame Geschichtebuch Übergänge und Perspektiven. Grundzüge der Landesgeschichte für alle Südtiroler Schulen, das von Historiker/innen und Pädagog/inn/en aller drei Sprachgruppen erstellt worden ist, um „[ü]ber

734 Mit Ausnahme der Verdi Grüne Vërc sind die politischen Parteien in Südtirol strikt nach Ethnien ge- trennt. Vgl. Pallaver (2012), 370. 735 Vgl. Pallaver (2012), 378f. 736 Pallaver (2012), 362. 737 Vgl. Verdorfer (2011), 382. 738 Vgl. Steinacher (2011a), 336f. 739 Verdorfer (2011), 383. 129 ein gemeinsames Geschichtsbewusstsein […] eine gute Basis für das Zusammenleben der drei Sprachgruppen“ zu schaffen.740 All diese Momente sind Anlass und Chance genug, nun endlich die Vergangenheit in Südtirol ruhen zu lassen und zwar nicht im Sinne der Verdrängung, son- dern im Sinne ihrer gemeinsamen über- und interethnischen Aufarbeitung und Anerkennung.741

1.5. FAZIT: „ALTO ADIGE / ALTO FRAGILE“

alto adige / alto fragile reiseland / durchgangsland / niemandsland zu lange das requiem / als daß die tote erstuende aber die grabreden /geben die leiche nicht preis andreas hofer / laeßt sich / nicht ver(d)erben aber der sarg ist / noch offen ha-ha-hai- / heimatland Norbert Conrad Kaser742

Der Umgang mit dem schweren Erbe der Option, mit Faschismus und Nationalsozialismus, führ- te im Südtirol der Nachkriegszeit zweifellos zur Bildung zahlreicher geschichtlicher Mythen. Die wahre Geschichte wurde auch in Südtirol durch einen Mythos ersetzt, welcher die politische sowie ethnische Geschlossenheit der sprachlichen Minderheit garantieren sollte. Der „Volks- tumskampf“ nahm im Südtirol der Nachkriegszeit eine zentrale Rolle ein, sowohl auf italieni- scher als auch auf deutscher Seite, und homogenisierte gleichsam das Bild der Geschichte ent- lang der ethnischen Grenze. Bis heute existiert in Südtirol nach wie vor eine geteilte Erinnerung an die Vergangenheit: Während die italienische Sprachgruppe die Zeit des Faschismus tendenzi- ell verharmlost und vor allem auf die Unterdrückung und Kollaboration in der Zeit des National- sozialismus hinweist, sieht sich die deutsche Sprachgruppe in erster Linie als Opfer des Fa- schismus, wobei die NS-Zeit in Südtirol ausgeklammert wird. Damit garantiert(e) der Opfermy- thos als konstitutiv identitätsstiftende Meistererzählung für die jeweilige Gruppe eine höchst- mögliche innere Kohäsion und äußere Separation. Die geteilte Erinnerung an die Vergangenheit ist daher zum Symbol der ethnischen Frontstellung in Südtirol geworden. Bis heute ist Südtirol durchzogen von einer selektiven Erinnerung an jene Vergangenheit.743

740 Vgl. Autonome Provinz Bozen Deutsches Bildungsressort Bereich Innovation und Beratung 2011, 1. 741 Vgl. Heiss (2013), 127–131; Mezzalira (2013), 158–160. 742 Kaser (1993), 127. 743 Vgl. Heiss (2013), 125–127; Verdorfer (2000), 298. 130 Die Geschichte ist und bleibt damit auch in Südtirol nach wie vor ein Politikum. Die Aufarbeitung und Anerkennung jener traumatischen Vergangenheit ist damit nach wie vor noch nicht zu ih- rem Ende gelangt. Eine Geschichte also, die auch heute noch nachwirkt und noch lange nachwir- ken wird. Das Land und seine Geschichte sind eng miteinander verbunden. Insbesondere die Zeitgeschichte nimmt eine zentrale Schlüsselposition zum Verständnis und Selbstverständnis dieser kleinen Region südlich des Brenners ein. Tagespolitik und Kultur werden auch heute noch wesentlich von ihr geprägt. „Historische Erinnerung – nicht nur die zeitgeschichtliche – hat in Südtirol eine unselige Tradition der politischen Instrumentalisierung: Immer wieder hat sie ag- gressiven Zwecken gedient, im Sinne einer Abrechnung, einer Selbstbehauptung, einer Verfesti- gung von Feindbildern.“744

Abb. 19: Wahlplakat der SVP.745 Abb. 20: Wahlplakat der La Destra.746

Durch das Festhalten an unreflektierten Geschichtsmythen, an fest eingefahrenen Denkweisen sowie an strikt ethnisch geteilten Erinnerungskulturen wird der Gegenwart auch weiterhin das politische und soziale Klima des 20. Jahrhunderts aufgezwungen werden.747 Solange die ständige Gegenwärtigkeit der Vergangenheit in Südtirol nicht gebrochen wird, wird eine kritische und gemeinsame Aufarbeitung und Anerkennung der Geschichte nicht stattfinden. Was dazu aber bisher mehrheitlich fehlte, war der Mut und die Bereitschaft zur Perspektivenübername! Ob Südtirol (südliches Tirol) oder Alto Adige (oberes Etschland) – das war zu lange der trennende

744 Verdorfer (2011), 366. 745 Im Wahlkampf zu den Landtagswahlen 2013 appellierte die SVP einmal mehr an den Zusammenhalt der Südtiroler/innen deutscher und ladinischer Muttersprache gegen Rom und folgte damit ihrer alther- gebrachten Tradition als Einheitspartei seit über 65 Jahren. 746 Die italienische Rechte plakatiert im Wahlkampf zu den Landtagswahlen 2013 die italianità Südtirols ganz im Sinne der ethnischen Frontstellung. 747 Vgl. Mezzalira (2013), 135. 131 Unterschied: „Entscheidend war immer, von wo aus man das Land betrachtet, von oben oder von unten.“748

748 Melandri (2012), 326. 132 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSWORT

1. GESCHICHTSKULTUR IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND

ITALIEN NACH 1945

Die Aufarbeitung der eigenen nationalsozialistischen bzw. faschistischen Vergangenheit bildet in Deutschland, Österreich und Italien mittlerweile eine eigene facettenreiche und jahrzehntelange Geschichte, die auch heute noch anhält. Diese „zweite Geschichte“ symbolisiert den Kampf um die nationale Erinnerung an die eigene Vergangenheit. Dabei wurde die Erinnerungskultur von vielen unterschiedlichen Akteuren in ihren spezifischen Arenen (Politik, Kunst, Religion, Journa- lismus, Geschichtsschreibung) zu beeinflussen versucht. Seit 1945 bildeten sich daher viele un- terschiedliche und mit einander konkurrierende Geschichtsbilder heraus. Der Prozess einer ein- heitlichen nationalen, transnationalen oder gar europäischen Erinnerungskultur ist auch heute noch nicht zu seinem Abschluss gekommen.

So unterschiedlich auch die Ausgangssituation nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, Ös- terreich und Italien gewesen sein mag, lassen sich dennoch konstitutive Gemeinsamkeiten im Umgang mit der eigenen Geschichte festhalten. Dabei verfolgten all diese verschiedenen Erinne- rungskulturen zunächst dasselbe Ziel: den radikalen Bruch mit der eigenen traumatischen Ver- gangenheit. Dies führte zur grundlegenden Neuinterpretation der jüngsten nationalen Geschich- te; im gleichen Atemzug wurde die traumatische Realität mit allen Mitteln zu verdrängen ver- sucht.

Unmittelbar nach dem Krieg proklamierten die von der jüngsten Vergangenheit traumatisierten Gesellschaften eine markante Zeitenwende, die sich radikal von der bisherigen Geschichte abzu- grenzen versuchte. Die Frage war nicht, ob man sich von der Geschichte distanzieren sollte – das tat man ohnehin –, die Frage lautete vielmehr, wie dies geschehen sollte. Die vollständige oder zumindest partielle Externalisierung der eigenen Verantwortung stand dabei im Vordergrund einer allgemeinen kollektiven Geschichtsrevision.

Besonders jene Staaten, die mit den Nationalsozialisten kollaborierten oder selbst Kriegsverbre- chen begangen hatten, kehrten den nationalen Widerstand hervor, um der eigenen Nation nach außen hin einen antinazistischen bzw. antifaschistischen Anstrich zu verleihen. Besonders Ita-

133 lien und die DDR deklarierten sich nach dem Krieg zu Widerstandsnationen: Die italienische Widerstandsbewegung gegen die nationalsozialistische Besatzungsmacht von 1943 bis 1945 diente nach dem Krieg als Grundlage zur Stiftung einer neuen nationalen Identität, welche das eigene gegangene Unrecht im Faschismus und im Krieg breitwillig überlagerte. Ebenso vollführ- te das DDR-Regime eine rigorose Geschichtsverfälschung, welche die eigene Niederlage im Krieg zu einem Sieg des Widerstandes uminterpretierte.

Eine zentrale Rolle spielte ferner die eigen empfundene Opferrolle im Krieg, durch welche sich die breite Masse der Gesellschaft selbstexkulpierte, währenddessen hingegen die Verantwortung am Krieg, Verbrechen und Leid wenigen einzelnen Akteuren überlassen wurde. Die Dämonisie- rung der ehemaligen Führer stand im krassen Gegensatz zur jüngsten Geschichte und war mit- hin ein Akt der Selbstexkulpation durch eine sich selbst viktimisierende Mittätergesellschaft. Eine besondere Affinität für die Opferrolle zeig(t)en Österreich und Südtirol: Österreich, das den Anschluss an das Dritte Reich 1938 noch begeistert gefeiert hatte, proklamierte sich kurze Zeit später mithilfe der Moskauer Deklaration zur Opfernation schlechthin und kehrte damit die Ge- schichte kurzerhand um. In Südtirol hingegen, diente das eigene Leid im faschistischen ventennio als Legitimationsgrund für die hohe Akzeptanz und Kollaborationsbereitschaft der Südtiro- ler/innen mit dem Nationalsozialismus. Besonders diese Länder waren bedacht, das eigene Leid im höchsten Maß zu dramatisieren oder gar zum nationalen Martyrium hochzustilisieren.

Jeder hatte aber im Krieg auf die eine oder andere Weise Leid erfahren. Der Opfermythos entfal- tete daher eine besonders intensive und integrative Wirkung auf die deutsche, österreichische und italienische Nachkriegsgesellschaft, die als Schicksals- und Opfergesellschaft zu neuer Ein- heit finden konnte. In dieser Hinsicht ist auch die verpasste Entnazifizierung bzw. Entfaschisie- rung in allen drei Ländern zu begreifen, die eine weitere Gemeinsamkeit im Umgang mit der eigenen Geschichte darstellt. Sie spiegelt den Unwillen der Nachkriegsgesellschaft wider, sich mit der eigenen Schuld und Vergangenheit auseinanderzusetzen oder diese anzuerkennen. Die Verfolgung ehemaliger Nationalsozialisten bzw. Faschisten wurde daher bald als Verrat am ei- genen Volk interpretiert. Durch das jähe Ende der Entnazifizierung bzw. Entfaschisierung und zahlreicher Amnestien unmittelbar nach dem Krieg sollte die jüngste Vergangenheit verdrängt werden, um das homogene Weiterleben als Nation zu ermöglichen. Gefördert wurde diese vor- schnelle Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit durch die Alliierten, welche die ehemals faschistischen Staaten so rasch wie möglich in ihren Staatenbund re-integrieren wollten. Der aufkommende Kalte Krieg führte so zu einem äußerst milden Ausgang der Siegerjustiz, sodass Fragen der Schuld und Wiedergutmachung bald kein Thema mehr darstellen sollten.

Unter die Vergangenheit wurde darum ein Schlussstrich gezogen; man wollte nichts mehr wis- sen von ihr und richtete seinen Blick einzig auf eine bessere Zukunft. Das Vergessen und Ver- 134 drängen der jüngsten Vergangenheit prägte die Nachkriegsgesellschaft nachhaltig und sollte das Aufbrechen des Schweigens auch durch spätere Generationen weitgehend erschweren und ver- zögern.

Die 68er-Generation wurde zum Inbegriff des Generationenkonflikts. Ihr ging es aber vorrangig nicht um eine allgemeine Revision des Geschichtsbildes, sondern vielmehr um den Aufbruch bisheriger Konventionen, was sich in einer antagonistischen und ablehnenden Haltung gegen- über den Vätern und Müttern manifestierte. Dies evozierte indirekt die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Elterngeneration sowie ihrer Taten. Trotz einiger Prozesse gegen NS- Täter in Deutschland und Österreich der 1960er und 1970er Jahre, blieb die Schlussstrich- Mentalität das vorherrschende Erinnerungsparadigma.

Erst in den 1980er Jahren erfolgte in Deutschland und Österreich ein grundlegender Wandel in der Erinnerungskultur durch die Generation der Enkel. Ferner sorgte der stetig steigende Ein- fluss der Massenmedien für einen schleichenden Wandel des Erinnerungsparadigmas, das ver- mehrt auf der Fiktionalisierung von historischen Ereignissen beruht. Insbesondere das Holo- caust-Gedenken rückte nun erstmals in den Mittelpunkt einer (trans)nationalen Erinnerungskul- tur, die Italien aber erst mit etwas Verzögerung in den 1990er Jahren erfasste.

Der grundlegende Durchbruch in der Erinnerungskultur erfolgte dabei nicht schlagartig, son- dern vielmehr in Schüben: In Deutschland führte die Bitburg-Affäre, die Weizsäcker-Rede und der Historikerstreit zu einer Erosion des Geschichtsbildes; in Österreich war es insbesondere die Affäre um die NS-Vergangenheit des Politikers Kurt Waldheim, welche die Lebenslüge der ös- terr. Nation erstmals grundlegend ins Wanken brachte. In Italien hingegen führte der Aufbruch des Resistenza-Mythos bereits ab den 1970er Jahren zur moralischen Aufwertung des Faschis- mus, was die Entstehung einer geteilten Erinnerung an die Vergangenheit mit sich brachte, wo- bei die Re-Faschisierung in Italien insbesondere seit den 1990er Jahren durch den Aufschwung der Neuen Rechten fortgesetzt wurde. Aber auch Österreich ist gekennzeichnet vom politischen Geschichtsrevisionismus der Neuen Rechten seit Mitte der 1980er Jahre. Die Rechtsparteien stell(t)en sich entschieden gegen den Aufbruch des nationalen Geschichtsbildes und ver- such(t)en die überwundenen Diktaturen wieder positiv zu konnotieren.

Das Ende des Kalten Krieges führte unweigerlich zum Auftauen ehemaliger Geschichtsmythen in Deutschland, Österreich und Italien. Transnationale Bezüge nahmen seit dem Ende des Kalten Krieges zu, was allmählich zu einer gemeinsamen transnationalen und europäischen Erinne- rungskultur führt(e). Der Kalte Krieg hatte bis dahin viele Themen auf Eis gelegt, die nun im Sin- ne der Europäisierung und Kosmopolitisierung in den Vordergrund rückten. Es entstand ferner

135 eine neue internationale Art der Moral, die Nationen dazu veranlasste, vergangenes Unrecht einzugestehen und zu entschädigen.

All diese Momente führten zu einer neuen Art der Erinnerungskultur seit den 1990er Jahren, welche das Erinnern an die Vergangenheit verinnerlichte, um dadurch die Vergangenheit anzu- erkennen und „bewältigen“ zu können. Dies führte allmählich zur Entsorgung der nationalen Mythen sowie auch teilweise zum Aufbruch der einseitigen nationalen Geschichtsschreibung. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und Faschismus ist heute nicht mehr nur die Aufgabe jener Nachfahrestaaten, sondern obliegt einer gesamteuropäischen, wenn nicht sogar einer in- ternationalen Geschichtskultur.

Die Geschichte der Vergangenheitsbewältigung droht heute selbst zu einem Mythos der Erfolgs- geschichte zu verkommen, welche die Vergangenheit nun wirklich zu bewältigen und in das 20. Jahrhundert zu verbannen versucht. Dabei muss auch jetzt noch die ständige Gegenwärtigkeit der Vergangenheit wahrgenommen werden. Die Zahl internationaler Konflikte hat seit dem En- de des Zweiten Weltkrieges nicht etwa abgenommen, sie hat sich seit 1945 fast verfünffacht.

1.1. DIE ROLLE DER GESCHICHTSWISSENSCHAFTEN

Die Geschichtswissenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, Österreich und Ita- lien entwickelten sich in ähnlicher Weise wie der gesellschaftliche und politische Prozess der Aufarbeitung in jenen Ländern. Die Historiker/innen versuchten diesen Prozess zwar zu beein- flussen, stellten sich aber selbst vielmehr in den Dienst einer allgemeinen Geschichtsapologetik, anstatt die Verbrechen der jüngsten Zeit aufzuarbeiten. Dadurch unterstützten sie eine nationale Geschichtsschreibung, die den eigenen Opfer- sowie Widerstandsmythos untermauerte und Verbrechen der ehemaligen Systeme marginalisierte oder in einem universalhistorischen Ge- schichtszusammenhang relativierte. Wie andere Meinungsmacher/innen und Akteur/innen des nationalen Geschichtsbildes auch, stellten sich die Historiker/innen vorwiegend in den Dienst der innergesellschaftlichen Binnenintegration und Befriedung. Die Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit richtete ihren Fokus daher fast ausschließlich auf die nationale Geschichts- schreibung.

Die Methoden der Historiker/innen im Umgang mit der traumatischen Vergangenheit weisen in den einzelnen Ländern Gemeinsamkeiten, aber durchaus auch Differenzen auf: In Westdeutsch- land konzentrierte sich die Geschichtswissenschaft vorwiegend auf einzelne Spezialstudien, die nicht wesentlich am Bild der Vergangenheit rüttelten. Die westdeutschen Historiker/innen zo-

136 gen sich gleichsam in ihren Elfenbeinturm zurück und betrieben eine Geschichtswissenschaft, die sich nicht am Interesse der Öffentlichkeit orientierte. In Ostdeutschland fungierte die Ge- schichtswissenschaft in erster Linie als Legitimationswissenschaft des herrschenden kommunis- tischen Regimes und forcierte somit den nationalen Widerstandsmythos der DDR. Auch in Ita- lien betrieben die Historiker/innen eine Geschichtswissenschaft, die dem nationalen Resistenza- Mythos durch zahlreiche Studien in die Hände spielte. Ferner wurde der Faschismus stets in Hinblick auf den Nationalsozialismus zu relativieren und zu verharmlosen versucht. In Öster- reich wurde die NS-Zeit kurzerhand aus der österreichischen Geschichte ausgeklammert und der deutschen Geschichte zugeschrieben. Das nationalsozialistische Österreich zwischen 1938 und 1945 war lange Zeit nicht Thema der einheimischen Geschichtsschreibung.

Die allgemeine Geschichtsverdrossenheit der Nachkriegsgesellschaft führte insbesondere in Deutschland zum Bedeutungsverlust der Geschichtswissenschaften, der durch den Aufschwung der historischen Sozialwissenschaften in den 1960er und 1970er Jahren einen allgemeinen Wandel in der Geschichtswissenschaft einleitete und das bis weit in das 20. Jahrhundert hinein reichende vorherrschende Geschichtsparadigma des Historismus durch eine ausdifferenziertere Neue Kulturgeschichte ablöste.

Auch der Zeitgeschichteforschung, die sich in Deutschland, Österreich und Italien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierte, gelang es nicht, die nationalen Geschichtsmythen nach 1945 aufzubrechen. Die Zeitgeschichteforschung stellte sich selbst lange Zeit in den Dienst poli- tischer Interessen und führte die Grabenkämpfe der Politik auf dem Gebiet der Geschichtswis- senschaften fort.

Erst in den 1980er Jahren evozierte eine junge Generation von Historiker/innen einen partiellen Aufbruch sowie die Auseinandersetzung mit den nationalen Geschichtsmythen und stieß dabei auf heftigen Widerstand der Zeitzeugenschaft sowie älterer Historiker/innen. Beispielhaft dafür ist in Deutschland der Historikerstreit zu nennen, der im Wesentlichen ein Streit um die nationa- le Erinnerungskultur darstellte. In Österreich evozierten die Folgen der Waldheim-Affäre eine intensive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs, sodass eine Flut von geschichtswissenschaftlichen Publikationen zum Thema wesentlich zur Erosion der großen österreichischen „Lebenslüge“ beitragen konnte. In Italien geschah die Aufarbeitung faschistischer Verbrechen erst nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der italienischen Parteienlandschaft. Bis heute bildete sich allerdings noch keine einheitliche italie- nische Erinnerungskultur heraus, sondern zwei parallel zueinander verlaufende Erinnerungen an den Widerstand einerseits und an den Faschismus andererseits.

137 Das Ende des Kalten Krieges öffnete auch die Geschichtsschreibung, sodass transnationale Bezü- ge in den Geschichtswissenschaften in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen haben. Das Primat der Nationalgeschichte wird mehr und mehr durch die der transnationalen bzw. europäi- schen Geschichtsschreibung verdrängt werden. Die Geschichtswissenschaft sollte sich aber da- vor hüten, sich erneut durch einen Nationalismus in Form eines „Pan-Nationalismus“ europäi- scher Prägung zur Stiftung einer europäischen Identität instrumentalisieren zu lassen.

Die Geschichtswissenschaften nach 1945 vollzogen einen langsam fließenden Prozess des Über- gangs, der mit den soziokulturellen und politischen Veränderungen einherging. Dabei nahmen exogene Einflüsse aus Politik, Gesellschaft, Medien etc. einen weitaus größeren Einfluss auf das Geschichtsbild, als dies die Geschichtswissenschaft per se tun konnte. So reagierte die Ge- schichtswissenschaft nach 1945 vielfach mit Verzögerung auf einen Wandel der Erinnerungskul- tur, der in erster Linie von anderen Faktoren (gesellschaftlicher, politischer, technischer, öko- nomischer Wandel etc.) ausgelöst wurde. Das Abhängigkeitsverhältnis der Geschichtswissen- schaft zur Öffentlichkeit scheint daher größer zu sein als umgekehrt. Der Wissensunterschied zwischen der Öffentlichkeit und der Geschichtswissenschaft ist aber umso kleiner geworden, je weiter die Aufarbeitung der faschistischen bzw. nationalsozialistischen Vergangenheit voran- schritt.

1.2. SÜDTIROLER GESCHICHTSKULTUR NACH DEM FASCHISMUS

UND NATIONALSOZIALISMUS ALS REGIONALHISTORISCHES

PARADEBEISPIEL

Die Vergangenheitsbewältigung in Südtirol nach dem Zweiten Weltkrieg nahm aufgrund der politischen und ethnischen Spannungen einen besonderen Verlauf und ist daher ein Paradebei- spiel für die Wirkungskraft geschichtspolitischer Instrumentalisierung. Die Südtiroler/innen hatten nicht nur den Faschismus überwunden, sondern mit der Option von 1939 wurden sie ferner vor eine traumatische Wahl gestellt, die tiefe Risse in der Gesellschaft hinterließ und nach 1945 übertüncht werden mussten.

Die Südtiroler/innen fügten sich daher nach dem Zweiten Weltkrieg in die Opferrolle ein, um die tiefe Spaltung der Gesellschaft durch die Option von 1939 rückgängig zu machen. Unter dem Appell der Geschlossenheit der Südtiroler Volksgruppe wurde daher so manche böse Erinnerung an die Vergangenheit, wie etwa die NS-Zeit in Südtirol von 1943 bis 1945, breitwillig überlagert. In Südtirol spielte der Widerstandsmythos nur eine nebensächliche Rolle und wurde insbeson- 138 dere in der unmittelbaren Nachkriegszeit für die Legitimierung der neuen politischen Elite nach außen hin hervorgehoben, währenddessen der Widerstand innergesellschaftlich geächtet wur- de. Ähnlich wie in Österreich legitimierte sich die neue politische Führung Südtirols durch die- sen „double Speak“ (Anton Pelinka) nach innen und nach außen.

Die ethnische Spannung unter den Volksgruppen führte in Südtirol dazu, dass kaum eine Entna- zifizierung bzw. De-Faschisierung durchgeführt wurde und ehemalige Faschisten bzw. National- sozialisten auch nach dem Zweiten Weltkrieg in Südtirol Karriere machen konnten. Auf der ei- nen Seite galt es das Deutschtum und auf der anderen Seite die italianità Südtirols zu verteidi- gen. Dies führte dazu, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen faschistischen bzw. nationalsozialistischen Vergangenheit in Südtirol sehr lange hinausgezögert wurde. So herrschte auch in Südtirol lange Zeit das Schweigen über das Geschehene, was sich im öffentli- chen, aber auch im kulturellen, politischen und geschichtswissenschaftlichen Bereich widerspie- gelte. Erst in den 1980er Jahren führte eine junge Generation zum partiellen Aufbruch der Ge- schichtsmythen in Südtirol.

Geschichtswissenschaftlich ist die Geschichte Südtirols und ihrer Schattenseiten seit den 1990er Jahren zwar lückenlos aufgearbeitet worden, dies änderte aber nichts an der Tatsache, dass nach wie vor eine geteilte Erinnerung an die Vergangenheit entlang der ethnischen Sprachgruppen besteht, die sich zuteil auch heute noch in geschichtspolitischen Auseinandersetzungen nieder- schlägt. Solange der „Kalte Krieg“ zwischen den Sprachgruppen nicht überwunden ist, wird sich keine gemeinsame Erinnerungskultur herausbilden können.

2. SCHLUSSBETRACHTUNG

Wir müssen mit jeder Vergangenheit leben lernen; vergessen können wir nicht. Die Erinnerun- gen zwingen uns immer wieder dazu, uns der Vergangenheit zu stellen – wie ein Schatten ver- folgt sie uns auf Schritt und Tritt. Wie wir mit unserer Vergangenheit umgehen, spiegelt unsere Geschichtskultur wider. Gemeint ist eben dieser Prozess, wenn wir Vergangenes in Geschichte transformieren, auch wenn die Vergangenheit eine „unbequeme“ gewesen sein mag. Die Erinne- rungskultur in Deutschland, Österreich und Italien nach 1945 veranschaulicht sehr deutlich, welche enorme Wirkungskraft die Vergangenheit auf uns Menschen entfaltet und wie wir damit umzugehen versuchen. Insbesondere eine „ungeliebte“ Vergangenheit scheint die Abläufe und Mechanismen der menschlichen Geschichtskultur gut zu veranschaulichen.

139 Diese Studie hat gezeigt, dass die Historisierung der Vergangenheit eben nach 1945 ein sehr schwieriger Prozess war, da die Erinnerungen an den Krieg, das Leid und die zahlreich begange- nen menschlichen Untaten durchaus traumatisch waren. Die Vergangenheit wurde daher viel- fach zu verfälschen, verdrängen und schließlich zu vergessen versucht, nur um nicht mit dem wirklich Geschehenem konfrontiert zu werden. Dies förderte zahlreiche geschichtliche Mythen zutage, die zwar nicht die Realität abbildeten, doch diese erfolgreich verdrängten und durch neue Realitäten ersetzten, in denen es sich weitaus besser weiterleben ließ. Aber ist das ver- werflich? Dürfen wir heute aus unserer Zeit und aus unserer Position heraus diese Erinnerungs- kultur verurteilen? Hätten wir es anders gemacht? Würden wir aus der Geschichte unsere Schlüsse ziehen und uns nach einem „dritten Weltkrieg“ anders verhalten? – Ich denke, dass wir weder die Vergangenheit verurteilen dürfen noch hätten wir es anders gemacht. Laut Jacob Burckhardt lasse sich aus der Geschichte nichts lernen, aber aus ihr könne man weise werden.749 Durch sie erkennen wir unsere Gegenwart besser, sie hilft uns dabei, komplexe Vorgänge in un- serer Gegenwart besser zu verstehen. Die Beschäftigung mit der Erinnerungskultur in Deutsch- land, Österreich und Italien nach 1945 veranschaulicht uns die komplexen und dynamischen Prozesse einer Geschichtskultur. Sie offenbart uns, warum wir heute was und wie erinnern, währenddessen wir anderes schon verdrängt und vergessen haben. Es ist daher sehr wichtig, dass wir unser modernes Weltbild samt aller seiner Werte und Normen auf die Vergangenheit anwenden, nicht um die Vergangenheit oder unsere Vorfahren und ihre Erinnerungskultur zu verurteilen, sondern um unseren Werdegang, unsere Gegenwart und schließlich uns selbst bes- ser verstehen zu können.

Geschichtskultur ist darum aber nicht gleich Geschichtsverfälschung! Es ist vielmehr das unbe- wusste Handeln einer Vielzahl von Akteur/innen und ihren menschlich-immanenten Reflexen, die zur Konstruktion von Geschichtsbildern beitragen. Eine Erinnerungskultur ist ein zivilgesell- schaftlicher und immer wieder auch ein politischer Aushandlungsprozess um die eigene natio- nale Geschichte, welche auf die Gegenwart und Zukunft ausgerichtet ist. Historiker/innen neh- men dabei, obgleich sie Expert/innen auf ihrem Gebiet sind, keine höhere Einflussnahme auf die Erinnerungskultur. Vielmehr sind sie ein weiterer „Mitstreiter“ im Kampf um die Erinnerung. Und Geschichte ist ja gerade ein Kampf der Erinnerungen, aus denen zuweilen auch mehrere „Geschichten“ über die Vergangenheit hervorgehen können. Hinter jeder Vergangenheit steckt wohl eine Unzahl von Geschichten, aus der sich im Lauf der Zeit schließlich diese oder jene Ge- schichte herausgebildet hat. Die Geschichtskultur nach 1945 verdeutlicht, wie viele unterschied-

749 Burckhardt ging davon aus, dass der Mensch zwar nicht aus der Geschichte lernen, jedoch Erkenntnisse aus ihr gewinnen könne: „Was einst Jubel und Jammer war, muß nun Erkenntnis werden, wie eigentlich auch im Leben des Einzelnen. Damit erhält auch der Satz: Historia vitae magistra einen höheren und zu- gleich bescheideneren Sinn. Wir wollen durch Erfahrung nicht so wohl klug (für ein andermal), als viel- mehr weise (für immer) werden.“ Burckhardt (1990), 126. 140 liche Geschichten bzw. Mythen es gegeben hat, die zuweilen auch parallel zueinander verliefen und wie sie allmählich durch eine transnationale Erinnerungskultur überwunden werden.

Zeichnet sich damit das Ende der Vergangenheitsbewältigung ab? Ist die „zweite Geschichte“ damit allmählich zu ihrem „Happy End“ gelangt? Eine Vergangenheit kann aber nicht „bewältigt“ werden! Gerade ihre „Bewältigung“ führt immer wieder dazu, dass sie sich immer wieder verge- genwärtigen muss. „Die langen Schatten der Vergangenheit“ umgeben uns auch heute noch; sie haben die Nachwelt bis in die jüngste Gegenwart herauf nachhaltig geprägt. Daher muss auch heute noch die ständige Gegenwärtigkeit der Vergangenheit erkannt und anerkannt werden. Eine moderne Erinnerungskultur, welche die ständige Gegenwärtigkeit der Vergangenheit leug- net, wird blind für die Gegenwart werden und ehemalige menschliche Handlungsmuster aus vergangenen Tagen wiederkehren lassen.

141 FACHDIDAKTISCHE AUFBEREITUNG

Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Theodor W. Adorno750

1. GESCHICHTSKULTUR ALS UNTERRICHTSGEGENSTAND

Im Geschichtsunterricht sollte nicht nur die Vergangenheit kritisch bedacht werden, etwa durch Quellenkritik, sondern auch der Umgang mit ihr in der Gegenwart. Die Geschichtskultur in all ihren Facetten verweist lediglich auf die Geschichte, sie zeigt aber nicht wirklich die Geschichte dahinter. Geschichtskulturelle Objektivationen können uns jederzeit und überall begegnen, seien es Denkmäler in Parks, Gedenktafeln an Häusern, Bilder in Museen, Filme oder Dokumentatio- nen im Fernsehen oder Kino, Texte in Büchern oder im Internet, Theaterstücke oder Living- History-Inszenierungen auf Bühnen oder virtuelle Simulationen in Computerspielen.751 Aber auch jedes Jubiläum, jeder Gedenktag oder Straßenname – einfach alles, was in der Gegenwart an die Vergangenheit erinnert, ist Träger einer bestimmten Erinnerungskultur. Es ist daher wichtig, das Fach „Geschichte“ nicht nur als ein politisches, sondern auch als ein kulturelles Fach zu begreifen.752

Der AHS-Lehrplan für die Oberstufe betont zwar die wichtige Rolle des Geschichtsunterrichts bei der Herstellung von Gegenwartsbezügen753, von der Anwesenheit der Geschichte in der Ge- genwart ist jedoch keine Rede. Die gegenwärtige Geschichtskultur als „Vergangenheitsverge- genwärtigungskultur“ ist anscheinend noch nicht Gegenstand allgemeiner Bildungsziele, dabei hat der Diskurs über Geschichtskultur, Erinnerungsorte, Geschichtspolitik, Vergangenheitsbe- wältigung, Gedächtnisrituale, Geschichtsvermarktung etc. in der Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik schon seit geraumer Zeit breite Aufmerksamkeit gefunden. Nicht nur die

750 Adorno (1970), 92. 751 Vgl. Kühberger (2010), 39. 752 Vgl. Pandel (2009), 29. 753 „Im Unterricht sind die Grundstrukturen und der Strukturwandel der Weltgeschichte und der europäi- schen Geschichte sowie aktuelle Entwicklungen zu vermitteln. Dabei sind zu Geschichte, Gegenwart und politischer Struktur Österreichs ausreichende Bezüge herzustellen.“ Bundesministerium für Bildung und Frauen (2004), 1. 142 Reflexion des eigenen, sondern auch des kollektiven Geschichtsbewusstseins im Geschichtsun- terricht würde Schüler/innen dazu befähigen, sich mit der aktuellen Geschichtskultur kritisch auseinanderzusetzen und an ihr zu partizipieren.754 „Anstatt Schülerinnen und Schüler zu veran- lassen, immer wieder autistisch das eigene Geschichtsbewusstsein zu ‚reflektieren‘, sollten sie in der Geschichtskultur angehalten werden, über das Geschichtsbewusstsein anderer nachzuden- ken.“755 Wie im Lehrplan gefordert, würde die Beschäftigung mit der Geschichtskultur histori- sches und politisches Lernen ineinander fallen lassen und „die Schülerinnen und Schüler zu selbstständigem Urteil, zur Kritikfähigkeit und zur politischen Mündigkeit“ ausbilden.756

Geschichtskulturelle Präsentationen werden aufgrund der zunehmenden Medialisierung der Geschichte stetig zunehmen; deshalb wird es für Schüler/innen immer wichtiger werden, mit diesen geschichtskulturellen Angeboten richtig umgehen zu lernen.757 Schüler/innen benötigen daher eine gewisse „geschichtskulturelle Kompetenz“, die sie dazu befähigt, „sich mit wissen- schaftlichen, rhetorischen, imaginativen, kontrafaktischen und diskursiven Formen gegenwärti- ger Darstellung von Geschichte auseinanderzusetzen.“758 Ziel ist es, „Sinnbildungsangebote der Geschichtskultur“ selbstständig zu dekonstruieren und daraus eigene Schlüsse zu ziehen:

„Ziel von geschichtskultureller Unterweisung ist deshalb Verstehen von Sinn und sinnvoller Verständigung. Es kommt beim Sinnverstehen und Sinnbilden in der Geschichtskultur nicht darauf an den ‚richtigen‘, den ‚objektiven‘ Sinn, den es nicht gibt, in den kulturellen Tatsachen zu finden. Auch der vom Autor gemeinte Sinn ist es nicht, den es aufzuspüren gilt. Es gilt, sich selbst ‚einen Reim‘, eigene Assoziationen und Gedanken auf die kulturellen Tatsachen zu ma- chen. […] Man muss in der Kultur einigermaßen kompetent sein, denn es kommt nicht darauf an, im geschichtskulturellen Sinnbildungsprozess den geschichtswissenschaftlichen For- schungsstand wiederzuentdecken, sondern über ihn hinauszugehen.“759

Historisches und politisches Lernen gehen ineinander über, wenn nach der Klärung dessen, wo- ran erinnert wird und damit die Sinnbildungs- und Orientierungsangebote dekonstruiert wor- den sind, eine Diskussion und Urteilsfindung darüber einsetzt, woran in Zukunft erinnert wer- den soll. „Jede Generation hat das Recht sich in ein je spezifisches Verhältnis zur Vergangenheit zu setzen. Eine von der älteren Generation ‚geliehene Erinnerung‘ ist dafür unbrauchbar.“760 Schüler/innen sollen und müssen aber auch ihre eigene Urteilsfindung wiederum kritisch reflek- tieren können, damit sie verstehen, dass auch sie nicht von hergebrachten zeitlichen und räum-

754 Vgl. Borries (2008), 155. 755 Pandel (2009), 28. 756 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Frauen (2004), 2. 757 Vgl. Kühberger (2010), 39. 758 Pandel (2009), 32. 759 Pandel (2009), 30. 760 Krammer (2005), 20. 143 lichen Einflüssen gefeit sind. Dabei ist es wichtig, dass Urteile nicht als „richtig“ oder „falsch“ ausgegeben werden, sondern dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Meinungen akzeptiert wird.761 „Geschichtsbewusstsein ist Kommunikation mit dem Geschichtsbewusstsein ande- rer.“762

Mit dem Einbezug geschichtskultureller Objektivationen in den Geschichtsunterricht findet in erster Linie keine Wissensvermittlung statt, sondern Kompetenzaufbau. Dazu zählen die

 Wahrnehmungskompetenz, um auf geschichtskulturelle Objektivationen aufmerksam und sensibilisiert zu werden;

 Erschließungskompetenz, um sich mit der geschichtskulturellen Präsentation auseinan- derzusetzen und vernünftig zu befassen;

 Interpretationskompetenz, um die geschichtskulturelle Objektivation in den gesamthisto- rischen Kontext einzuordnen und sie kritisch zu hinterfragen;

 Urteilskompetenz, um aus der geschichtskulturellen Präsentation letztendlich Sinn und Orientierung abzuleiten.

Wer außerdem noch über Darstellungskompetenz verfügt, kann auf eine geschichtskulturelle Objektivation reagieren und selbst einen Beitrag zur Geschichtskultur leisten.763

1.1. GEDÄCHTNISORTE ALS STUMME ZEUGEN ÖFFENTLICHER

GESCHICHTSKULTUR

Andreas Hofer ist zweifellos auch heute noch die Symbolfigur des Tiroler Freiheitskampfes von 1809. Das war aber nicht immer so! Der österreichische Hofhistoriograph Joseph Freiherr von Hormayr veröffentlichte 1817 eine der ersten Hofer-Biographien. Darin zeichnet er ein ganz anderes Hofer-Bild als es sich in der heutigen Geschichtskultur Tirols vorfinden lässt: Hormayr schmälert die Verdienste Hofers im Freiheitskampf anno 1809 zugunsten des „Tyrolischen Ge- sammtwillens“. Hofer habe demnach „gänzliche Unschuld an den großen Erfolgen des Jahres 1809“ gehabt.764 Dies entsprach ganz der offiziellen Haltung des Erzhauses Habsburg in der Res-

761 Vgl. Kühberger (2010), 41f. 762 Pandel (2009), 28. 763 Vgl. Gautschi (2009), 45. 764 Vgl. Hormayr & Hofacker (1817), 5. 144 taurationszeit nach 1815: Wien war lange Zeit nicht daran interessiert, die öffentliche Erinne- rung an Andreas Hofer hochleben zu lassen; vielmehr wollten die Habsburger ihren Verrat an den Tirolern dem Vergessen anheimgeben.765 Die Hochstilisierung Hofers zum Nationalhelden setzte daher erst in den 1880er Jahren ein und führte zu einer Uminterpretation des Freiheits- kämpfers und Rebellen zum kaisertreuen Vaterlandskämpfer, der lediglich für die Beibehaltung der habsburgischen Macht in Tirol gekämpft habe.766 „Durch Hofer konnten die Konservativen ihre Vorstellung von der Geschichte auf die Gesellschaft projizieren und dabei den komplexen Hintergrund des Aufstandes uns seines endgültigen Mißerfolgs ausblenden.“767

Abb. 21: Hofer-Biografie von 1817.768 Abb. 22: Hofer-Denkmal seit 1893.769

765 Vgl. Cole (1998), 34f. So erfolgte die Rückführung der Gebeine Hofers aus Mantua mach Innsbruck nicht etwa auf Befehl Wiens, sondern durch eine Eigeninitiative von Kaiserjägern im Jahr 1823. Die Bei- setzung in der Hofkirche in Innsbruck erfolgte unter keinen großen Feierlichkeiten. Vgl. Cole (1998), 36– 38. 766 Vgl. Steinlechner (2000), 41. 767 Cole (1998), 54. 768 Transkription: „Des Passeyrer Sandwirthes Andreas Hofer Karakter, der beschränkte Kreis seiner An- lagen und Fähigkeiten, die Unbedeutenheit seines früheren Lebens, seine biedere Treue, sein zähes Fest- halten an dem Glauben, an den Satzungen und Rechten der Väter, die fromme Unschuld seines Wandels, und seine gänzliche Unschuld an den großen Erfolgen des Jahres 1809, wo bei er eigentlich keinen thäti- gern und unmittelbarer eingreifenden Antheil hatte, als die Bundeslade bey den Israeliten, und der höl- zerne heilige Antonius, Generalissimus der Portugiesen, wären wohl auf wenigen Seiten erschöpfend ab- gefertigt. – Aber wir haben es hier nicht mit dem einzelnen Gastwirth, Landmann, und Pferdehändler, zu thun, sondern mit dem Repräsentanten des Tyrolischen Gesammtwillens 1809, in jener Epoche des Un- glücks und Ruhms!“ Hormayr & Hofacker (1817), 5. 769 Inschrift des Andreas-Hofer-Denkmals am Berg Isel in Innsbruck: „Für Gott, Kaiser und Vaterland.“ 145 Das Beispiel zum Mythos „Andreas Hofer“ veranschaulicht sehr deutlich, dass sich die Art des Erinnerns einem ständigen Wandel vollzieht und dass dieser nicht nur politisch motiviert ist, sondern insbesondere vom jeweiligen Geschichtsbewusstsein der Zeit gesteuert wird. Um die- sen Wandel der Geschichtskultur nachzuvollziehen, bieten Denkmäler eine hervorragende Grundlage, da sie nicht (nur) die Geschichte selbst, sondern die Rezeption derselben beleuchten. Während die Darstellung Hofers durch Hormayr (Abb. 21) durchaus noch negativ geprägt war, zelebrierte Kaiser Franz Joseph I. bei der Enthüllung des Hofer-Denkmals (Abb. 22) am Berg Isel am 28. September 1893 „die edlste Verkörperung der tirolischen Volksseele“ in der Person An- dreas Hofers, der „in all‘ seinem Handeln keinem andern Gebote als dem unbeugsamer Pflichter- füllung, keinen anderen Gefühlen als jener treuester Liebe zu Kaiser und Vaterland gefolgt ist […]“770.

Denkmäler, als lieux de mémoire771, sind Objektivationen, Indikatoren und Gradmesser einer Erinnerungskultur. Sie sind gleichsam Spiegelbilder der Geschichtskultur und ihre Geschichte verrät, wie und warum sie dazu geworden sind.772 In dieser fachdidaktischen Aufbereitung soll es darum gehen, anhand von Denkmälern nicht nur etwas über die Geschichte, sondern darüber hinaus etwas über die Funktionen und Mechanismen der Geschichtskultur selbst zu erfahren.

1.2. INHALT UND ZIELE DER DIDAKTISCHEN AUFBEREITUNG

Die Entwicklung einer geschichtskulturellen Kompetenz steht im Mittelpunkt der hier vorgestell- ten Unterrichtplanung. Anhand von ausgewählten Gedächtnisorten in Innsbruck, die Inhalt und Thema dieser Studie betreffen, sollen die Schüler/innen ihr angeeignetes historisches Wissen mit den historischen Objektivationen im öffentlichen Raum vergleichen und daraus selbst ihre Schlüsse ziehen, die über das reine geschichtliche Faktenlernen hinausgehen.

Die Gedächtnisorte wurden so ausgewählt, dass sie ein möglichst widersprüchliches Bild der Geschichte widerspiegeln. Dabei soll bewusst die Opfer- und Täterrolle kontrastiert werden, um die facettenreiche Vielfalt einer Erinnerungskultur zu demonstrieren, die sich zuteilen aus der Anerkennung und zuteilen aus der Verdrängung bzw. Verzerrung der Geschichte ergeben hat. Es sollen folgende Gedächtnisorte in Innsbruck mit den Schüler/innen besucht und untersucht werden:

770 Kaiser Franz Joseph I. zit. n. Cole (1998), 51. 771 Der von Pierre Nora geprägte Begriff der lieux de mémoire (Gedächtnisorte) bezieht sich auf „‘Orte‘ – in allen Bedeutungen des Wortes – […] in denen sich das Gedächtnis der Nation […] in besonderem Maße kondensiert, verkörpert oder kristallisiert hat.“ Nora (1990), 7. 772 Vgl. Borries (2008), 203f. 146 Kriegerdenkmal vor dem Hauptgebäude der Uni- versität Innsbruck: Der bedrohlich anmutende Adler wurde 1926 zur Erinnerung an die im Ers- ten Weltkrieg Gefallenen der Universität Inns- bruck errichtet. Der Sockel trägt die Inschrift: "Ehre – Freiheit – Vaterland“. Aufgrund dieser Inschrift sowie der eindeutigen Symbolik gilt das Denkmal auch als „Monument für die Einheit des Landes Tirol“ und der deutschnationalen Gesin- nung. Nach 1945 erinnerte es ferner an die gefal- lenen Universitätsangehörigen im Zweiten Welt- krieg. 1984 wurde eine Gedenktafel für ermorde- ten Christoph Probst, Widerstandskämpfer und Student der Universität Innsbruck, angebracht.

1990 folgte eine zweite Gedenktafel für zwei Ab- solventen der Universität Innsbruck, die in San Abb. 23: Kriegerdenkmal vor dem Salvador aufgrund ihres Einsatzes für Frieden Hauptgebäude der Univ. Innsbruck. und Gerechtigkeit ermordet wurden.773

Euthanasie-Denkmal auf dem Gelände der Univer- sitätsklinik Innsbruck: Das Denkmal „Wider das Vergessen“ wurde 1997 errichtet und soll an die 802 geistig Behinderte und psychisch Kranke aus Nord-, Südtirol und Vorarlberg erinnern, die in Tirol ermordet oder von Tirol aus nach Schloss Hartheim bei Linz und Zwiefalten deportiert wurden.774

Abb. 24: Euthanasie-Denkmal auf dem Gelände der Univ. Klinik.

773 Vgl. Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice 2012. 774 Vgl. Haupt et al. (2004). 147 Pogromdenkmal auf dem Eduard-Wallnöfer-Platz: Eine siebenarmige Menora erinnert an die vier ermordeten Innsbrucker Juden, die in der Pog- romnacht und in deren Gefolge im November 1938 ermordet worden sind. Das Denkmal er- wähnt die Namen der ermordeten Innsbrucker Juden und enthält folgende Inschrift: „… um nicht zu vergessen, dass in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, Reichskristallnacht- Novemberpogrom, jüdische Mitbürger in Inns- bruck ermordet wurden und ihnen viele Kinder, Frauen und Männer in den Tod folgen mussten … um nicht zu vergessen, dass Vorurteile, Hass und Unbesonnenheit zu einer grausamen Spirale der

Gewalt führen können … wurde dieses Mahnmal Abb. 25: Pogromdenkmal auf dem Edu- 1997 errichtet.”775 ard-Wallnöfer-Platz.

Befreiungsdenkmal auf dem Eduard-Wallnöfer- Platz: Das Befreiungsdenkmal wurde auf Initiati- ve der französischen Alliierten zu Ehren der für den Widerstand Gefallenen gebaut und 1948 fer- tiggestellt. Ursprünglich sollte das Denkmal ei- nem Siegestor ähneln, jedoch weist es große Ähn- lichkeiten mit dem Portalbereich des Neuen Landhauses vis-à-vis auf, das als Gauhaus im na- tionalsozialistischen Architekturstil entworfen wurde. Das Denkmal trägt folgende Inschrift: „PRO LIBERTATE AUSTRIAE MORTUIS” (Den für die Freiheit Österreichs Gestorbenen). An den

Abb. 26: Befreiungsdenkmal auf dem Außenseiten links und rechts des Tores wurden Eduard-Wallnöfer-Platz. nach der Umgestaltung des Platzes 2011 207 Namen von Widerstandskämpfern angebracht.776

775 Vgl. Gschnell & Schreiber . 776 Vgl. Schreiber . 148 Lernen an der Geschichtskultur impliziert das historische Lernen auf einer Metaebene: Unser Umgang mit der Geschichte spiegelt unser Geschichtsbewusstsein wider und führt(e) selbst zu Geschichte(n), die, wenn wir aus der Geschichte für unsere Gegenwart lernen wollen, nicht län- ger ignoriert werden sollte(n). Die Geschichte sollte daher nicht wie üblich im Geschichtsunter- richt in einer strikten chronologischen Abfolge rekonstruiert und einstudiert, sondern aus der Gegenwart heraus anhand von geschichtskulturellen Objektivationen dekonstruiert werden. Es sollte also nicht mehr nur darum gehen, was damals geschah, sondern vielmehr auch darum, wie die jeweilige Gegenwart mit ihrer Geschichte umging und wie wir heute mit ihr umgehen. Wer- fen wir also einen Blick auf unsere Geschichtskultur, dann verstehen wir auch, warum wir diese Vergangenheit erinnern oder gar zelebrieren, aber jene bereits vergessen oder verdrängt haben. Anhand der Beschäftigung mit Geschichtskultur lassen sich also weitere Rückschlüsse auf die eigene Vergangenheit ziehen, die auch unsere jeweilige Gegenwart samt ihrer Geschichtskultur verständlicher machen. Der Umgang mit der Vergangenheit ist ein essentieller Bestandteil der Geschichte selbst und sollte daher nicht mehr länger aus dem Unterricht ausgeschlossen wer- den. Schüler/innen sollten vermehrt den Prozess der Geschichtswerdung selbst, also der Histo- risierung, unter die Lupe nehmen und daraus erkennen,

 dass Geschichte stets aus dem Blickwinkel der jeweiligen Gegenwart und dem jeweiligen „Geschichtsempfinden“ (Geschichtsbewusstsein) erinnert wird;

 dass eben darum die Gegenwärtigkeit der Vergangenheit zu jedem Zeitpunkt anerkannt und bewusst gemacht werden muss;

 dass Gedächtnisorte als Objektivationen der Geschichtskultur viel über eben diese Ge- schichtskultur verraten;

 dass Gedächtnisorte nicht frei von geschichtlicher Instrumentalisierung sind, sondern das Geschichtsbewusstsein jener Zeit widerspiegeln, in der sie errichtet wurden und in der sie immer noch anerkannt sind;

 dass Gedächtnisorte auch umstritten sein können, weil es oftmals eine Vielzahl von Erin- nerungsnarrativen gibt, die sich zuzeiten auch widersprechen oder parallel zueinander verlaufen;

 dass Gedächtnisorte aufgrund ihrer Gebundenheit an eine bestimmte Geschichtskultur nichts ewig Gültiges sind, sondern auch geändert, versetzt, ergänzt oder beseitigt wer- den;

149  dass die Geschichtskultur und ihre Objektivationen (z.B. Denkmäler) die Historizität ei- ner bestimmten Nation oder Personengruppe widerspiegeln;

 dass es sich daher lohnt, die eigene Geschichtskultur kritisch zu hinterfragen, um daraus mehr über die Geschichte, die Gegenwart, aber auch über uns selbst, über unsere histori- sche Wahrnehmung (Historizität) zu erfahren.

2. UNTERRICHTSPLANUNG

Bei der Planung dieses Geschichteprojekts zur Geschichtskultur im Unterricht orientiere ich mich an Peter Gautschi (2011). In seinem Buch Geschichte lehren777 empfiehlt Gautschi fünf Schritte zur Planung und Durchführung des Geschichteunterrichts und veranschaulicht diese an einem Baum-Modell:

Abb. 27: Baum-Modell für das Lehren von Geschichte nach Gautschi.

 Diagnose (Wurzel des Baumes) verleihen Standhaftigkeit: Die Lehrperson muss das Ge- schichtsbewusstsein der Schüler/innen ausloten, um sie dort abholen zu können, wo sie

777 Siehe Gautschi (2011). 150 gerade stehen. Nur dann können Inhalte den Schüler/innen gerecht vermittelt werden. Die erste Frage lautet also: Wo stehen meine Schüler/innen?

 Planung (Stamm des Baumes) bündelt Energie und gibt Halt: Der zweite Schritt widmet sich der Unterrichtsplanung en détail. Dabei sollen fünf didaktische Felder berücksichtig werden:

o Lerninhalte: Was lehre ich? Sach- und Sinnzusammenhänge herstellen.

o Bedingungen: Wo, wie lange und womit lehre ich? Rahmenbedingungen schaffen.

o Begründungen: Warum lehre ich das? Gegenwarts-, Zukunfts- oder Lehrplanbe- zug herstellen.

o Lernziele: Was soll erreicht werden? Ziele formulieren.

o Inszenierungen: Wie lehre ich? Lernumgebung inszenieren. Gautschi nennt drei Lernumgebungen:

. Klassenarbeit (Frontalunterricht),

. Planarbeit (Schüler/innen arbeiten selbstständig an vorgefertigte Unter- richtmaterialien),

. Projektarbeit (Schüler/innen stellen selbst Fragen).

 Lernwege (Äste des Baumes) geben dem Unterricht eine eigene Charakteristik: Lehrper- sonen gestalten Lernwege, welche die Schüler/innen in Lerntätigkeiten verwickeln. Lernwege sind Methoden, die einen typischen Ablauf ihrer Ziele, Umsetzung und ihres Ausmaßes betreffen. Sie beschreiben also die Art und Weise, wie Geschichte vermittelt wird. Typische Beispiele sind etwa Referate, Quellenarbeit, Bastelarbeit, Stationenbe- trieb, aber auch Besuche im Museen oder historischer Stätten.

 Lernsituationen (Blüten, Blätter und Früchte des Baumes) geben dem Unterricht Farbe und Aussehen: Eine Unterrichtseinheit selbst setzt sich aus einer Vielzahl von einzelnen Gestaltungselementen zusammen, wie etwa dem Unterrichtsbeginn und -abschluss. Lehrpersonen müssen einzelne Lernsituationen, wie Arbeiten mit Karikaturen, Karten, Videos, Bilder, Zeitleisten, Internet und Quellen, gezielt einsetzen, um guten Unterricht zu gestalten.

151  Reflexion (Energiequelle des Baumes) ermöglich die professionelle Weiterentwicklung des Geschichteunterrichts: Nach getaner Arbeit folgt das Nachdenken über das Geschich- telernen. Für Schüler/innen bedeutet das ihren Lerngewinn festzuhalten, etwa durch Re- flexionsblätter, Lerntagebücher, Zettel- oder Plakatwände. Für Lehrpersonen gilt es, die eigenen Leistungen festzustellen oder sich von den Schüler/innen und evtl. von anderen Lehrpersonen evaluieren zu lassen. Die Reflexion ist ein wichtiger Prozess des Geschich- telernens.

2.1. DIAGNOSE

Um die komplexen Intentionen einer Erinnerungskultur zu verstehen, benötigen Schüler/innen neben einem breiten historischen Wissen ein hohes Maß an Geschichtsbewusstsein und Dekon- struktionskompetenz:

 Schüler/innen müssen über Temporalbewusstsein verfügen, damit sie die Zeit des Erin- nerungsgegenstandes, also die der NS-Zeit in Österreich, die Zeit des Erinnerns, also die Nachkriegszeit und insbesondere jene des Denkmalbaus und die Zeit des hier und jetzt, also die Gegenwart, voneinander unterscheiden, trennen und ordnen können. Ein gewis- ses Zeitverständnis und Zeitbewusstsein ist Voraussetzung dafür, dass Schüler/innen historische Ereignisse und Entwicklungen zeitlich einordnen können und daher im Um- gang mit Gedächtnisorten unerlässlich.

 Ein gewisses Maß an Raumbewusstsein hilft den Schüler/innen von ihrer aktuellen loka- len Position zu abstrahieren. Damals waren die Grenzen noch anders: Österreich war ein Teil des Dritten Reiches. Ein geschichtliches Raumbewusstsein ist also Voraussetzung dafür, dass Schüler/innen verstehen, was ihre Position, z.B. Innsbruck, mit dem Dritten Reich und dem Holocaust, z.B. Auschwitz, miteinander zu tun haben. Das Raumbewusst- sein hilft Schüler/innen auch dabei, die Position von Gedächtnisorten kritisch zu hinter- fragen. Warum wurde beispielsweise das Euthanasie-Denkmal auf dem Gelände der Uni- versitätsklinik errichtet?

 Das Identitätsbewusstsein von Schüler/innen sollte einigermaßen fortgeschritten sein, damit Schüler/innen eigene Meinungen und Positionen zum Thema beziehen können und nicht bloß die Haltung der Lehrperson übernehmen. Das Lernen an Geschichtskultur evoziert ja gerade die Einnahme eines kritischen Standpunktes zur Gesellschaft und ih- rem Umgang mit der Geschichte. Kontroverse Themen der Zeitgeschichte bieten sich da-

152 her besonders gut an, das Identitätsbewusstsein von Schüler/innen zu fördern. Gerade Gedächtnisorte lösen häufig Kontroversen um die Geschichte aus.

 Politisches Bewusstsein ist auch beim Lernen an der Geschichtskultur wichtig, da politi- sche Verhältnisse konstitutiv eine Erinnerungskultur beeinflussen. Wenn Schüler/innen kein Grundwissen über Politik und Herrschaft verfügen, werden sie auch nicht die kom- plexen geschichtspolitischen Zusammenhänge einer Geschichtskultur nachvollziehen können. Warum stellte sich Österreich beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg als Opfer- und Widerstandsland gleichermaßen dar?

 Schüler/innen müssen über einen gewissen Grad an Historizitätsbewusstsein verfügen, damit sie erkennen, welchen Wert der Geschichte für sie haben kann, nämlich durch sie die Gegenwart deuten und erklären zu können. Ihnen muss bewusst sein, dass Geschich- te nicht etwas Abgeschlossenes oder Totes ist, das mit dem eigenen Leben nicht mehr zu tun hat. Nur wer sich darauf einlässt, die Gegenwärtigkeit der Geschichte zu erkennen und anzuerkennen, wird aus der Geschichte einen Nutzen ziehen können. Dies erklärt auch, warum die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus in Österreich auch nach fast 70 Jahren immer noch so wichtig und unvermeidlich ist.

 Interesse ist eine Grundvoraussetzung für das historische Lernen, aber auch für das Ler- nen überhaupt. Schüler/innen sollten daher ein gewisses Maß an Interesse mitbringen. Dieses Interesse zu wecken und zu fördern, ist allerdings Aufgabe und Ziel des Ge- schichtsunterrichts und der Lehrperson selbst. Auf die Wünsche und Interessen der Schüler/innen einzugehen, ist daher eine wesentliche Aufgabe der Lehrperson und muss schon vorher eingeleitet werden, bevor eine Beschäftigung mit Geschichtskultur statt- finden kann.

 Ein ausgebildetes Wirklichkeitsbewusstsein befähigt Schüler/innen dazu, das Faktische vom Fiktiven zu unterscheiden. Wirklichkeitsbewusstsein hängt sehr eng mit dem indi- viduellen Wissen und Lebenserfahrung zusammen. Historische Quellen und Mythen ge- genüberzustellen, ist eine sehr gute Methode, Wirklichkeitsbewusstsein bei Schü- ler/innen zu entwickeln. Wer aber die Geschichte als „res gestae“ und die Geschichte als „historia rerum gestarum“ nicht voneinander trennen kann, wird auch nichts aus der Ge- schichtskultur lernen können, da er die Geschichte und die Präsentation der Geschichte in für ein und dasselbe hält.

All diese Kompetenzen veranschaulichen, dass das Lernen an der Geschichtskultur einiges an Vorkenntnissen und Geschichtsbewusstsein voraussetzt. Sind Schüler/innen einer solchen Her-

153 ausforderung ausreichend gewachsen? Dies kann immer bezweifelt werden, allerdings sollte der Versuch gewagt werden, da der Ertrag ungemein höher ist, als der des bloßen Faktenlernens. Schüler/innen lernen Kritik und Reflexivität an der Geschichte zu üben, nachdem sie sich ein gewisses Grundwissen über die Geschichte selbst und historische Sinnbildung vollzogen haben. Bodo von Borries (2008) empfiehlt daher von Beginn an Schüler/innen die „Reflexion in, mit und unter der Geschichtserzählung von Anfang an explizit zu vollziehen“.778 Da dies aber noch nicht der Regelfall ist, ist diese didaktische Aufbereitung für die AHS-Oberstufe gedacht. Im AHS- Lehrplan wird die Zeit des Nationalsozialismus und nach 1945 in der 7. und 8. Klasse behan- delt.779 Daher bietet sich eine Behandlung des Themas gen Ende der 7. oder in der 8. Klasse an.

2.2. PLANUNG

2.2.1. Lerninhalte

Hauptgegenstand dieser didaktischen Aufbereitung stellen vier verschiedene Gedächtnisorte in Innsbruck dar, die alle einen direkten Bezug zur NS-Zeit in Österreich haben. Die Schüler/innen sollen ihr erlerntes historisches Wissen auf die Gedächtnisorte anwenden und sie anhand des- sen kritisch hinterfragen. Die Geschichte hinter dem Gedächtnisort, die Geschichte des Gedächt- nisortes selbst und die aktuelle Gegenwärtigkeit des Gedächtnisortes rücken in Mittelpunkt der Betrachtung. Die Gedächtnisorte werden dadurch zum Bezugs- und Ausgangspunkt des histori- schen Lernens selbst. Dabei sollen drei verschiedene Zeitebenen zum Aufschlüsseln des komple- xen Sachverhalts herangezogen werden:

 Geschichte hinter dem Gedächtnisort: An was erinnert der Gedächtnisort? Was, wann, wo geschah damals warum?

 Entstehung des Gedächtnisortes: Wo, wann, warum und wie wurde der Gedächtnisort er- richtet? Wie, warum und wann wurde der Gedächtnisort seit daher genutzt, verändert, kritisiert, erneuert?

 Gegenwart des Gedächtnisortes: Wie ist der Gedächtnisort heute. Was soll deiner Meinung nach mit dem Gedächtnisort passieren. Was soll laut der Gesellschaft, Politik, Experten damit geschehen?

778 Vgl. Borries (2008), 167. 779 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Frauen (2004), 4. 154 2.2.2. Bedingungen

Wo & womit: Auf einer kleinen Exkursion durch die Stadt werden die Gedächtnisorte unter der Führung der Lehrperson erstmals besucht. Die Schüler/innen sollen sich selbst einen ersten Eindruck vom Gedächtnisort machen. In der Klasse werden dann Gruppen gebildet, die je nach Klassengröße aus vier bis fünf Schüler/innen bestehen, die dann eines der vier Denkmäler näher untersuchen. Der Projektunterricht findet je nach Bedürfnissen der Schüler/innen in der Klasse, Bibliothek, im Computerraum oder an anderen Lernorten statt. Die Schüler/innen arbeiten selbstständig an der Ausarbeitung; die Lehrperson steht den Schüler/innen unterstützend zur Seite.

Wie lange: Die Exkursion wird in einer Doppelstunde durchgeführt. Es folgt eine Stunde, in der das Projekt den Schüler/innen vorgestellt und mit den Schüler/innen organisiert wird (Grup- penbildung, Themeneinteilung, Organisation- und Arbeitsplanung). Den Schüler/innen werden acht Doppelstunden zu je 100 Minuten für die Ausarbeitung ihres Themas zur Verfügung ge- stellt. Vier Stunden sollen zur Präsentation der einzelnen Gruppenarbeiten veranschlagt werden. Eine Stunde wird für die abschließende Reflexion und Zielsicherung des Projekts zur Verfügung gestellt. Insgesamt umfasst das Projekt mit vorangehender Exkursion sowie Planung und ab- schließender Reflexion 24 Stunden (1.200 Minuten).

2.2.3. Begründungen

Anhand des Lernens an Geschichtskultur sollen die Schüler/innen eine geschichtskulturelle Kompetenz entwickeln, die sie dazu befähigt, die Präsentation der Geschichte in der Gegenwart kritisch zu reflektieren. Sie sollen verstehen, warum gewisse Geschichte(n) erinnert und warum andere Geschichte(n) nicht erinnert werden. Daraus entwickeln die Schüler/innen im Idealfall eine geschichtskulturelle Handlungskompetenz, die sie dazu befähigen soll, ihre Geschichtskul- tur in Zukunft aktiv mitzugestalten. Geschichte hat dann für Schüler/innen nicht mehr nur bloß eine Gegenwarts-, sondern auch eine Zukunftsbedeutung.

155 2.2.4. Lernziele

Das Hauptzielt dieser Unterrichtsplanung ist das Vermitteln von geschichtskultureller Kompe- tenz. Die Schüler/innen sollen verstehen, dass die Geschichtskultur nicht die eigentliche Ge- schichte als res gestae, sondern die Historizität einer bestimmten Nation oder Personengruppe widerspiegelt. Sie gibt also einen wesentlichen Aufschluss darüber, wie individuelles und kollek- tives Geschichtsbewusstsein funktioniert und welche Be-Deutung die Geschichte für uns in der Gegenwart immer noch hat.

2.2.5. Inszenierungen

Die Inszenierung zielt auf ein 16-stündiges Projekt zur Geschichtskultur anhand von Gedächt- nisorten in Innsbruck ab. Für das forschende Lernen bietet sich ein zeit- sowie regionalge- schichtliches Thema besonders gut an, da Quellen und Informationen ausreichend vorhanden, leicht zugänglich und meistens auch in einer Sprache verfasst sind, die den Schüler/innen zu- gänglich ist. Gegebenenfalls sind auch Zeitzeugen vorhanden. Für die Schüler/innen gilt: Grabe, wo du stehst! Der projektorientierte Unterricht verlangt von Schüler/innen sehr viel Eigeninitia- tive ab. Das Projekt wird durch die Festlegung des Ablaufs und der Ziele von Seiten der Lehrper- son von Beginn an in bestimmte Bahnen gelenkt. Der Projektverlauf selbst wird dann anhand dieser Festlegungen von der Lehrperson evaluiert und gesteuert. Die Schüler/innen können ihre Arbeitswege aber selbstständig planen. Ob sie mit Quellen aus dem Internet, aus Büchern, mit Zeitzeugen oder sonstigen Materialien arbeiten, wird ihnen selbst überlassen. Ebenso verhält es sich mit der abschließenden Präsentation der Gruppenergebnisse: Es können verschiedene Pro- dukte erzeugt werden wie z.B. Plakate und Referate, Ordner, Hefte, Internetseiten, Filme, usw. Abschließend werden die Resultate des Projekts im öffentlichen Raum (im Schulgebäude) aus- gestellt.

2.3. LERNWEGE

Im Rahmen des hier geplanten Projekts zur Geschichtskultur sollen mehrere verschiedene Lernwege eingeschlagen werden. Im Zentrum der didaktischen Vorgangsweise steht jedoch der projektorientierte Unterricht, der die Schüler/innen zu forschendem und handelndem Lernen bewegen soll. Die Schüler/innen lernen an einem konkreten exemplarischen Fallbeispiel der 156 Geschichte. Sie untersuchen Gedächtnisorte in Innsbruck und müssen dabei mehrere For- schungsfragen beantworten, die ihnen die Lehrperson vorgibt. „Mit der Fallmethode sollen die Jugendlichen lernen, selbstständig zu denken und zu urteilen.“780 Dem Projekt vorangestellt wird ein weiterer Lernweg: die Exkursion. Die Schüler/innen sollen Geschichtskultur anhand von ausgewählten Gedächtnisorten in Innsbruck erfahren und erleben.

2.4. LERNSITUATIONEN

Die Schüler/innen schaffen im projektorientierten Unterricht viele Lernsituationen selbst, da sie Materialien und Informationen selbstständig suchen und auswerten müssen. Im projektorien- tierten Unterricht sollte es zu vielen einzelnen Lernsituationen kommen, welche die Schü- ler/innen durch die Auswahl ihrer Arbeitsweise selbst bestimmen können.

Zu Beginn des Projekts soll eine Exkursion durchgeführt werden, welche die Schüler/innen zu verschiedenen Gedächtnisorten in Innsbruck führt. Die Schüler/innen sollen sich einen ersten Eindruck und ein eigenes Bild von diesen Gedächtnisorten machen, daher werden sie ohne Vor- bereitung von Seiten der Lehrperson mit den Gedächtnisorten konfrontiert. Sie sollen zunächst den Gedächtnisort schweigend betrachten und erforschen (Methode „stummes Museum“). Erste Eindrücke, Gefühle und Haltungen zu den Gedächtnisorten werden durch die Methode „Blitz- licht“ eingefangen. Die Lehrperson gibt eine kurze Rückmeldung, nennt dabei Namen und Inten- tion des Gedächtnisortes. Anschließend sollen die Schülerinnen ihre Gedanken zum jeweiligen Gedächtnisort auf Papier festhalten. Dann geht es weiter zum nächsten Gedächtnisort. Insgesamt werden vier Gedächtnisorte in Innsbruck besucht.

Nachdem die Exkursion durchgeführt wurde, wird diese in der Klasse durch die Methode „Heiße Kartoffel“ reflektiert. Dann wird den Schüler/innen das angestrebte Projekt von Seiten der Lehrperson erklärt. Die Schüler/innen erhalten einen Projektplan mit gezielten Anweisungen der Lehrperson. Drei Fragestellungen werden dabei in den Mittelpunkt des handlungsorientier- ten Unterrichts gestellt. Die Schüler/innen sollen dann durch die Methode „Süße Grüppchen“ in Gruppen zusammenfinden und sich für einen Gedächtnisort entscheiden, den sie untersuchen möchten.

Die Schüler/innen arbeiten in den nächsten acht Doppelstunden an ihrem Projekt. Sie dürfen dabei ihre Vorgehensweise selbst bestimmen. Die Lehrperson überprüft den Fortschritt der ein- zelnen Gruppen, steht mit Rat und Tat zur Seite und schreitet bei Problemen im Arbeitsprozess

780 Gautschi (2011), 101. 157 ein. Gen Ende der Doppelstunde sollen sich alle Schüler/innen wieder im Klassenraum einfin- den, damit der Arbeitsprozess reflektiert wird. Durch die Methode „Lernjournal“ sollen die Schü- ler/innen ihren Arbeitsprozess protokollieren und kurz im Plenum vorstellen. Die Lehrperson und die Schüler/innen können sich durch diese Reflexion vergewissern, ob das Projekt in den gewünschten Bahnen verläuft; es findet sozusagen eine Leistungsüberprüfung statt.

Der Projektplan gibt weitere Lernsituationen vor:

 Interview: Die Schüler/innen sollen im Laufe des Projekts Interviews in der Öffentlichkeit zu dem jeweiligen Gedächtnisort durchführen. Dadurch sollen die Schüler/innen ihre ei- genen Informationen und Quellen schaffen und nicht bloß aus Büchern oder dem Inter- net rezitieren (Methode „Interview“).

 Präsentation: Die Schüler/innen sollen ihre Arbeitsergebnisse auf einem Medium ihrer Wahl darstellen und der Öffentlichkeit präsentieren. Die Schüler/innen sollen lernen, ih- re Leistungen zu veranschaulichen. Die Objektivationen werden von Seiten der Schü- ler/innen im Klassenverband präsentiert.

 Denkmal: Ferner sollen sie den Gedächtnisort nach eigenen Wünschen und Vorstellungen umgestalten und darstellen (Methode „Denkmal“). Den Schüler/innen ist es selbst über- lassen, wie sie ihre Vorstellungen objektivieren wollen, sei es als Zeichnung, als Plastik, als Computergrafik, etc. Die Schüler/innen sollen ihren Ideen und ihrer Kreativität freien Lauf lassen können. Sie sollen selbst über die Gestaltung der Geschichtskultur nachden- ken.

 Portfolio: Zum Abschluss des Projekts soll der Lernfortschritt der Schüler/innen anhand eines Portfolios festgehalten werden (Methode „Portfolio“). Die Schüler/innen sammeln darin alle ihre Arbeitsfortschrittsprotokolle, die sie während des Projekts erstellt haben und halten in einem Abschlussbericht all ihre Lernfortschritte noch einmal fest. Alle ab- solvierte Arbeiten und Leistungen sollen im Portfolio festgehalten werden. Die Schü- ler/innen stellen im Portfolio die Geschichte ihres Lernens dar. Sie ist daher ein wesent- liches Instrument zur Leistungsbeurteilung durch die Lehrperson.

2.5. REFLEXION

In einer eigenen Stunde nach Abschluss des Projekts soll eine Reflexionseinheit durchgeführt werden. In einem Stuhlkreis in der Klasse oder in einem Sitzkreis im Garten der Schule sollen die 158 Schüler/innen von ihren Erlebnissen und Erfahrungen während des Projekts berichten. Dadurch wird der Arbeitsprozess selbst, aber auch der Lernfortschritt reflektiert. Die Schüler/innen sol- len im Gespräch folgende Fragen beantworten:

 Was: Durch welche Schwerpunkte war der Arbeitsprozess gegliedert?

 Wie: Der Verlauf des Arbeitsprozess gestaltete sich wie?

 Mein Lerngewinn: Was habe ich daraus gelernt, was möchte ich festhalten?

 Ich: Was ist mir in Bezug auf mich selbst aufgefallen?

 Die Anderen: Was ist mir in Bezug auf meine Gruppe aufgefallen?

 Die Lehrperson: Was ist mir in Bezug auf die Lehrperson aufgefallen?

Ziel der Reflexion ist es, den abgeschlossenen Arbeitsprozess zu reflektieren, sich selbst und die Lehrperson zu evaluieren und Lernfortschritte festzuhalten. Diese Lernfortschritte selbst sollen auch reflektiert werden, z.B.: Was habe ich über Geschichtskultur gelernt? Daraus soll eine anre- gende Diskussion gestaltet werden, in der die Schüler/innen das Gelernte austauschen und mit- einander reflektieren. Die Reflexion ist sehr wichtig und daher soll ihr ausreichend Zeit einge- räumt werden.

159 3. STUNDENBILDER

1. Eine Doppelstunde (100 Min.): Exkursion

Wie lange? Was? Wie? Warum?

Je nach Distanz zum Gedächtnisort per pe- 20 Min. Anfahrtszeit oder Fußweg zum ersten Gedächtnisort. Grabe, wo du stehst! des, mit dem Bus oder der Straßenbahn. Besuch des Kriegerdenkmals vor dem Hauptgebäude der Univ. Inns- Schüler/innen sollen selbst herausfin- Methode „Stilles Mu- bruck. Das Denkmal wird von den Schüler/innen 5 Min. lang still den, welche Bedeutung das Denkmal hat seum“. begangen. und einen eigenen Zugang finden. 10 Min. 3-5 Min.: Dann werden die Schüler/innen von der Lehrperson aufge- Schüler/innen sollen ihre Eindrücke zum Methode „Einwort- fordert, ihre Eindrücke zum Denkmal mit einem Wort auszudrücken, Gedächtnisort sortieren und zusammen- Blitzlicht“. wie z.B. „Beängstigend“, „Hässlich“ etc. fassen.

5 Min. Fußweg zum zweiten Gedächtnisort. Per pedes.

Besuch des Euthanasie-Denkmals auf dem Gelände der Universitäts- Schüler/innen sollen selbst herausfin- Methode „Stilles Mu- klinik. Das Denkmal wird von den Schüler/innen 5 Min. lang still den, welche Bedeutung das Denkmal hat seum“. begangen. und einen eigenen Zugang finden. 10 Min. 3-5 Min.: Dann werden die Schüler/innen von der Lehrperson aufge- Schüler/innen sollen ihre Eindrücke zum Methode „Einwort- fordert, ihre Eindrücke zum Denkmal mit einem Wort auszudrücken, Gedächtnisort sortieren und zusammen- Blitzlicht“. wie z.B. „Beängstigend“, „Hässlich“ etc. fassen.

20 Min. Fußweg zum dritten und vierten Gedächtnisort. Per pedes. Schüler/innen sollen selbst herausfin- Besuch des Pogromdenkmals auf dem Eduard-Wallnöfer-Platz. Das Methode „Stilles Mu- den, welche Bedeutung das Denkmal hat Denkmal wird von den Schüler/innen 5 Min. lang still begangen. seum“. und einen eigenen Zugang finden. 10 Min. 3-5 Min.: Dann werden die Schüler/innen von der Lehrperson aufge- Schüler/innen sollen ihre Eindrücke zum Methode „Einwort- fordert, ihre Eindrücke zum Denkmal mit einem Wort auszudrücken, Gedächtnisort sortieren und zusammen- Blitzlicht“. wie z.B. „Beängstigend“, „Hässlich“ etc. fassen.

Schüler/innen sollen selbst herausfin- Besuch des Befreiungsdenkmals auf dem Eduard-Wallnöfer-Platz. Methode „Stilles Mu- den, welche Bedeutung das Denkmal hat Das Denkmal wird von den Schüler/innen 5 Min. lang still begangen. seum“. und einen eigenen Zugang finden. 10 Min. 3-5 Min.: Dann werden die Schüler/innen von der Lehrperson aufge- Schüler/innen sollen ihre Eindrücke zum Methode „Einwort- fordert, ihre Eindrücke zum Denkmal mit einem Wort auszudrücken, Gedächtnisort sortieren und zusammen- Blitzlicht“. wie z.B. „Beängstigend“, „Hässlich“ etc. fassen.

Per pedes, mit dem 15 Min. Rückweg zur Schule. Bus oder der Straßen- bahn.

2. Eine Stunde (50 Min.): Vorbesprechung des Projekts „Wie erinnern wir uns? Denkmäler nach 1945 in Innsbruck“

Wie lange? Was? Wie? Warum?

Reflexion der Exkursion durch kurze Wortmeldungen von Seiten der Eindrücke der Exkursion sollen noch Schüler/innen zu den Fragen. Was ist mir von der Exkursion beson- Sitzkreis und Methode 10 Min. einmal vergegenwärtig und ausgetauscht ders im Gedächtnis geblieben? Was hat mir gefallen, nicht gefallen? „Wollknäuel“. werden. Was gibt mir zu denken? Die Lehrperson erklärt das Projekt und teilt dabei einen Projektplan für die Schüler/innen aus, auf dem der Ablauf des Projekts detail- Sitzkreis und Projekt- Den Schüler/innen werden der Ablauf 15 Min. liert beschrieben wird. Weitere Fragen zur Organisation werden plan. des Projekts und dessen Ziele erläutert. geklärt und besprochen.

161 Schüler/innen arbeiten bei Projekten in Schüler/innen bilden Gruppen, die je nach Klassengröße vier bis Methode „Süße Grüpp- Gruppen zusammen, organisieren und 10 Min. fünf Personen umfassen sollte. Die Gruppen entscheiden sich dann chen“. planen selbstständig die Tätigkeiten der für eines der vier Gedächtnisorte. einzelnen Gruppenmitglieder. Die Gruppen erhalten erste Infomaterialien zum Denkmal mit Lite- Schüler/innen lernen sich zu organisie- Schüler/innen erhalten raturhinweisen. Die Gruppen sollen nun ihre Vorgehensweise be- ren und ihre Herangehensweise zu pla- 15 Min. Vorlage zur Organisa- sprechen und protokollieren. Evtl. wird eine Arbeitsteilung festge- nen. Schüler/innen dürfen ihre Kreativi- tion der Projektarbeit. legt. Fragen werden von der Lehrperson beantwortet. tät ausleben.

3. Acht Doppelstunden zu je 100 Min.: Projekt- und Gruppenarbeit

Wie lange? Was? Wie? Warum?

Schüler/innen sollen selbstständiges Methoden „Projektme- Arbeiten erlernen. Sie suchen sich selbst Schüler/innen arbeiten in ihren Gruppen an ihrem Projekt. Die thode: Lernen an his- ihre Wege zum Ziel. Dabei dürfen sie 80 Min. Lehrperson steht als Helfer und Ratgeber zur Seite, beobachtet und torischen Fallbeispie- ganz eigene und kreative Wege einschla- kontrolliert die Arbeitsabläufe. len“, „Meinungsumfra- gen. Schüler/innen sollen über Ge- ge“ und „Denkmal“. schichtskultur nachdenken. Schüler/innen kehren in die Klasse zurück. In Sitzgruppen protokol- Schüler/innen sollen ihren Arbeits- und Methode „Lernproto- 10 Min. lieren sie zusammen ihre heutigen Arbeitsabläufe und ihren Lern- Lernfortschritt reflektieren. Das ist wich- koll“. fortschritt. tig für das Erreichen des Lernzieles. Für die Lehrperson wird der Arbeits- und Schüler/innen präsentieren im Plenum ihre Arbeits- und Lernfort- Lernfortschritt ersichtlich. Die Lehrper- 10 Min. schritte des heutigen Tages und stellen diese ihren Mitschüler/innen Im Plenum. son erhält dadurch einen guten Über- und der Lehrperson vor. blick.

4. Vier Stunden zu je 50 Min. oder zwei Doppelstunden zu je 100 Min.: Präsentation der Gruppenarbeiten

Wie lange? Was? Wie? Warum?

162 Vortrag der Gruppenmitglieder über den von ihnen gewählten Ge- Schüler/innen lernen ihre Arbeitsergeb- dächtnisort und die Geschichte dahinter. Die Gruppe präsentiert Vortrag mittels eines nisse adäquat zu präsentieren, vor Publi- ferner, die Resultate ihrer Arbeiten, wie z.B. der Meinungsumfrage Mediums nach Wahl 20 Min. kum zu sprechen. Die Schüler/innen er- (Interviews). Die Gruppe stellt des Weiteren vor, wie das Denkmal (Plakat, Film, Power- halten die Möglichkeit, ihre Arbeit vorzu- ihrer Meinung nach gestaltet werden sollte und präsentiert dazu Point etc.). stellen. eine eigene Kreation (Zeichnung, Plastik, Computergrafik etc.). Schüler/innen lernen auf der einen Seite Feedback der Lehrperson und der Schüler/innen zur Form und zum Methode „Heiße Kar- Feedback zu geben und auf der anderen 10 Min. Inhalt der Präsentation (Gestaltung, Inhalt, Verständlichkeit, Spra- toffel“. Seite erhalten sie eine Rückmeldung zu che, Auftreten, Kreativität). ihren Leistungen. Diskussion über das vorgestellte Denkmal, über die mögliche Zu- Es wird über die Präsentation von Ge- Diskussion im Sitz- 20 Min. kunft und die gewünschte Zukunft des Denkmals. Schüler/innen schichte im öffentlichen Raum nachge- kreis. bringen ihre Ideen ein. dacht. Die Schüler/innen werden kreativ.

5. Eine Stunde (50 Min.): Reflexion des Projekts

Wie lange? Was? Wie? Warum?

Lehrperson reflektiert zusammen mit den Schüler/innen das abge- Schüler/innen halten ihren Arbeits- und schlossene Projekt. Die Schüler/innen erhalten einen Fragekatalog; Diskussion im Sitz- Lernfortschritt fest und tauschen diese 35 Min. diese sollen dann im Plenum diskutiert und beantwortet werden. kreis. mit den anderen aus. Dient als Vorberei- Wichtige Punkte werden von der Lehrperson an der Tafel festgehal- tung für das Portfolio. ten. Schüler/innen sollen einen Abschlussbericht zu ihrem Arbeits- und Schüler/innen reflektieren die Diskussi- Lernfortschritt während des Projektes verfassen. Dabei sollen sie on, das Projekt und stellen ein Portfolio noch einmal das gesamte Projekt reflektieren und ihren Lerngewinn Abschlussbericht zusammen. Das Portfolio veranschaulicht festhalten. Dabei können sie auf Ideen der vorangegangenen Diskus- 15 Min. schreiben. Methode den Schüler/innen ihren Lernzuwachs sion zurückgreifen. Die Schüler/innen sollen dann all ihre Protokolle „Portfolio“. und schafft einen gelungenen Abschluss. sammeln und mit dem Abschlussbericht ein Portfolio zusammen- Die Lehrperson dient das Portfolio u.a. stellen. Für die Abgabe sollte mindestens eine Woche eingeräumt zur Leistungsbeurteilung. werden.

163 4. METHODENBLÄTTER

Stilles Museum

Wann einsetzbar? Raum: Stärken;

Al Effekt: Dauer: Stärken/ Schüler/innen machen Keine Zeitgebunden- sich Gedanken zum

Bei Bildergalerien, heit. Mindestens aber vorgestellten Objekt, verschiedenen Gegen- Im Klassenzimmer fünf Minuten. überlegen selbst und ständen, Kunst oder (Stühle zur Seite) lassen es auf sich wir- unbekannten histori- oder im Freien. ken. Es ist sehr ruhig schen Gegenständen. und niemand wird

gestört.

ABLAUFBESCHREIBUNG

Einstieg: Die Lehrperson erklärt die Methode „Stilles Museum“, damit später keine Fragen mehr von den

Schüler/innen gestellt werden, welche die Stille stören könnten. Durchführung : Die Schüler/innen begeben sich schweigend zum ausgestellten Objekt oder zu den ausge- stellten Objekten und untersuchen dieses oder diese ohne zu sprechen. Es handelt sich dabei meist um künstlerische oder unbekannte Objekte, die es zu ergründen gilt. Durch diese Methode sollen die Schü- ler/innen einen ersten Einblick gewinnen können und ihre Eindrücke auf sich wirken lassen.

ANWENDUNGSBEISPIELE IN DER SCHULE:  Geschichteexkursion: Denkmalbesichtigung oder andere historische Lokalitäten.  Geschichtsgegenstände: Alte historische Gebrauchs- oder Kunstgegenstände.  Deutsch: Verschiedene literarische Kunstwerke von Schüler/innen werden schweigend gelesen.  Kunst: Eine Bildergalerie wird schweigend besichtigt.  Alle Fächer: Feedbacks in Form von Klebezetteln werden an eine Pinnwand geheftet und schweigend gelesen.

Eigene Erfahrungen: Auf der Universität habe ich diese Methode kennengelernt. Es wurden verschiedene Schriftstücke zu einem Thema an die Wand geheftet. Es handelte sich dabei um Schüler/innentexte. Diese wurden schweigend gelesen. Ich konnte mir so selbst einen ersten Eindruck zum Ausstellungsstück machen. Anschließend wurden diese Texte im Plenum bespro- chen. Jeder hatte also genügend Zeit sich selbst eigene Gedanken zu machen, bevor die Gruppe über die Exponate diskutierte. Einwort-Blitzlicht

Wann einsetzbar? Raum: Stärken; Al Effekt: Dauer: Stärken/ Schüler/innen müssen Je nach Klassengröße ihre Gedanken und

Immer dann, wenn die mindestens fünf Mi- Eindrücke sammeln,

Schüler/innen etwas Überall einsetzbar. nuten. sortieren und wenn Neues erfahren haben. Setzt eine ruhige möglich in ein Wort Also praktisch am Ende Umgebung voraus. ausdrücken. Gibt der jeder Stunde, Referat Stehen oder sitzen im Lehrperson einen ers- etc. einsetzbar. Kreis. ten Einblick.

ABLAUFBE SCHREIBUNG Einstieg : Die Lehrperson erklärt die Methode „Einwort-Blitzlicht“ und gibt evtl. ein Beispiel, um die Me- thode zu verdeutlichen. Es sollte aber nur ein Beispiel gemacht werden, damit die Schüler/innen nicht die

Beis piele der Lehrperson kopieren und ihre eigentlichen Eindrücke verschleiert bleiben. Die Schü- ler/innen sollten stattdessen aufgefordert werden, möglichst spontan und aus dem Bauch heraus zu ant- worten, nicht mit ihrem Verstand.

Durchführung: Die Schüler/innen nennen reihum ein Wort, das ihren Eindruck wiedergibt. Die Einwörter werden von der Lehrperson oder den anderen nicht kommentiert oder hinterfragt. Sollte einer Schülerin oder einem Schüler nichts einfallen, wird etwas abgewartet oder übersprungen.

ANWENDUNGSBEISPIELE IN DER SCHULE:  Alle Fächer: Am Ende einer Stunde, eines Films, eines Buches etc.  Alle Fächer: Als Feedbackmethode.  Geschichte: Bei historischen Gegenständen, die unbekannt sind, oder anderen.  Kunst: Nach der Betrachtung eines Gemäldes oder einer Grafik.

Eigene Erfahrungen:

Ich habe diese Methode auf einer Geschichteexkursion kennengelernt, bei der wir Denkmäler besichtigten. Nachdem wir einen ersten Eindruck vom Denkmal gemacht hatten, sollten wir unsere Eindrücke bzw. unsere Wahrnehmung in einem Wort ausdrücken. Mir fiel das sehr schwer, aber ich denke es ist sehr einfach, wenn man nur auf seinen Bauch hört und nicht nur auf seinen Verstand. Es war interessant, welche Wörter die anderen Student/innen gewählt hatten. Ich bekam dadurch einen ersten Einblick über die Gedanken meiner Kommilitonen.

165 Wollknäuel

Wann einsetzbar? Raum: Stärken; Al Effekt: Dauer: Stärken/

Je nach Klassengröße Schüler/innen sind

Einsetzbar immer dann, mindestens 10 Min. aktiv und aufmerksam, wenn Schüler/innen Sitzkreis. Benötigt da sie sich den Ball kurze Rückmeldungen einen Wollknäuel, zuwerfen. Jeder kommt geben sollen. Ball oder ähnliche einmal zu Wort. Wurfgegenstände.

ABLAUFBESCHREIBUNG

Einstieg : Die Lehrperson stellt Fragen oder einen Diskussionsanlass, schreibt diese evtl. auf und erklärt die Methode „Wollknäuel“. Die Lehrperson wirft dann den Wollknäuel der ersten Schülerin oder dem ersten Schüler zu. Durchführung: Schüler/innen werfen sich gegenseitig einen Wollknäuel, Ball oder anderen Wurfgegen- stände zu, den sie von der Lehrperson erhalten haben. Die Schülerin oder der Schüler mit dem Ball ist aufgefordert zu sprechen. Die Methode ist erst dann fertig, wenn jede Schülerin und jeder Schüler einmal zu Wort gekommen ist.

ANWENDUNGSBEISPIELE IN DER SCHULE:

 Alle Fächer: Am Ende einer Stunde, eines Films, eines Buches etc., um Eindrücke zu sammeln.  Alle Fächer: Als Feedback- und Reflexionsmethode.

Eigene Erfahrungen:

Diese Methode ist ein Klassiker. Ich habe sie schon in zahlreichen Seminaren gesehen. Es ist eine gute Methode, um Feedback oder Eindrücke einzuholen. Außerdem muss man ständig aufmerksam sein, da einem der Ball ständig zu- geworfen werden könnte. Die Methode ist außerdem aktiv und mitunter auch lustig, wenn der Ball daneben oder zu energisch geworfen wird.

166 Projektmethode: Lernen an historischen Fallbeispielen

Wann einsetzbar? Raum: Stärken; Al Effekt: Dauer: Stärken/ Ermöglicht das for- Es sollte viel Zeit schende und handelnde

Bei zeitnahen und regi- Allen Räumen: eingeplant werden. Lernen. Schüler/innen onalen Themen, die für In der Klasse, Compu- Schüler/innen benö- suchen ihre eigenen die Schüler/innen ein- terraum, Bibliothek, tigen meistens mehr Wege und lernen daher fach zugänglich sind, Labor und bei Er- Zeit. Die Zeit variiert viel nachhaltiger. Stärkt damit sie dort graben laubnis auch außer- aber je nach Aufga- zudem die Selbststän- können, wo sie stehen. halb der Schule. benstellung. digkeit.

ABLAUFBESCHREIBUNG

Einstieg : Die Lehrperson erklärt das geplante Projekt. Für die Organisation sollte viel Zeit eingeplant werden. Es ist sehr wichtig den Schüler/innen ausreichend die Ziele des Projekts zu erklären und den Ablauf genau zu strukturieren und zu planen. Dazu teilt die Lehrperson einen Projektplan aus, der Ablauf und Details des Projekts enthält. Die Lehr- person gibt also die Rahmenbedingungen (Thema und Ablauf) sowie die Ziele des Projekts vor. Durchführung: Die Schüler/innen arbeiten beim projektorientierten Unterricht größtenteils selbstständig. Die Lehr- person steht als Helfer und Berater den Schüler/innen zur Seite, denen bei der Ausarbeitung der Projektarbeit große Autonomie eingeräumt wird. Es sollte regelmäßig eine Arbeits- und Leistungsüberprüfung stattfinden, damit sich die

Schüler/innen und die Lehrperson vergewissern können, dass das Projekt in den richtigen Bahnen verläuft.

ANWENDUNGSBEISPIELE IN DER SCHULE:

 Alle Fächer: Fächerübergreifender Unterricht im Rahmen eines gemeinsamen Projekts, Gestaltung einer Home- page, Gestaltung einer Ausstellung, Recherche und Untersuchungen (Interviews, Feldforschung, Quellenarbeiten etc.) außerhalb der Schule.  Geschichte: Projektarbeiten mit historischen Fallbeispielen oder politischen Themen.

Eigene Erfahrungen:

Keine Erfahrungen.

167 Süße Grüppchen

Wann einsetzbar? Raum: Stärken; Al Effekt: Dauer: Stärken/ Das Zufallsprinzip lässt Je nach Klassengröße die Gruppen entstehen.

Einsetzbar ausschließ- ca. 5 Min. Ferner reagieren die lich zur Gruppenbil- Überall einsetzbar. Schüler/innen meist dung. Voraussetzung sind positiv auf Bonbons. Sie verschiedenfarbige werden dadurch für Bonbons. künftige Aufgaben

motiviert.

ABLAUFBESCHREIBUNG

Einstieg : Lehrperson gibt allen Schüler/innen ein Bonbon und weist die Schüler/innen lediglich darauf hin, dass sie ihre Bonbons noch nicht essen dürfen. Im Vorfeld muss die Lehrperson die Bonbons abzählen und je nach gewünschten Gruppen farblich sortieren. Durchführung: Nachdem die Schüler/innen die Bonbons erhalten haben, müssen all jene Schüler/innen eine Gruppe bilden, deren Bonbon die gleiche Farbe hat. Damit lassen sich ohne lange Diskussionen schnell Gruppen bilden, die durch das Zufallsprinzip entstehen. Die Bonbons dürfen, nachdem sich die

Gruppen zusammengefunden haben, gegessen werden.

ANWENDUNGSBEISPIELE IN DER SCHULE:

 Alle Fächer: Zur Bildung von Gruppen.

Eigene Erfahrungen:

Gute Methode zur Bildung von Gruppen. Junge Schüler/innen freuen sich besonders über Bonbons. Diese Reaktivie- ren die Schüler/innen und machen sie wieder munter. Die Bonbonpapiere sollten nach dem Verzehr der Bonbons von einer Schülerin oder einem Schüler eingesammelt werden, da sie ansonsten den Klassenraum verschmutzen.

168 Lernjournal

Wann einsetzbar? Raum: Stärken; Al Effekt: Dauer: Stärken/ Schüler/innen reflek- Je nach Umfang des tieren ihren Arbeits-

Bei längeren Lernpro- Lernjournals; mindes- und Lernprozess re- zessen geeignet. Proto- Kann in der Schule tens aber 10 Minuten. gelmäßig. Schü- kolliert den Leistungs- oder zuhause ge- ler/innen und Lehrper- fortschritt über kurz schrieben werden. sonen können anhand oder lang. Schüler/innen benö- dessen Lernfortschritte

tigen Schreibzeug. prognostizieren.

ABLAUFBESCHREIBUNG

Einstieg : Die Lehrperson erklärt die Methode „Lernjournal“ und gibt evtl. Fragen dazu auf, die in einem

Lernjournal beantwortet werden sollten. Durchführung : Schüler/innen schreiben nach vorgegebener Zeit in ruhiger Atmosphäre ihr eigenes Lern- journal und reflektieren darin ihren gegenwärtigen Arbeits- und Lernfortschritt. Das hat eine positive Wirkung auf die Schüler/innen, da sie sich ihre Leistungen und ihre Entwicklung vor Augen halten kön- nen und ihre Fortschritte aufzeichnen. Der Lehrperson hilft ein Lernjournal bei der Beurteilung.

ANWENDUNGSBEISPIELE IN DER SCHULE:

 Alle Fächer: Zum Reflektieren und Festhalten von Arbeits- und Lernfortschritten.

Eigene Erfahrungen:

Ich habe in meinem Studium jahrelang Lernjournale schreiben müssen, darum habe ich damit sehr viele Erfahrungen sammeln können. Anfangs ist es nicht immer einfach ein Lernjournal zu schreiben, da man schnell dazu verleitet wird, einfach nur eine Faktenaufzählung wiederzugeben. Dabei sollten die eigenen Leistungen selbst in den Mittelpunkt gestellt, diese reflektiert und durch den Vergleich mit früheren Leistungen ein Lernfortschritt festgestellt werden. Dann spiegelt ein Lernjournal die eigene Entwicklung wider und kann in ein Portfolio eingebettet werden.

169 Heiße Kartoffel

Wann einsetzbar? Raum: Stärken; Al Effekt: Dauer: Stärken/

Sehr lustige und aktive Mindestens 5 Min. Feedbackmethode, die Einsetzbar immer dann, große Aufmerksamkeit wenn Schüler/innen Sitzkreis. Benötigt von den Schüler/innen kurze Rückmeldungen eine Kartoffel oder abverlangt. Schü- geben sollen. ähnliche Gegenstän- ler/innen müssen spre- de und eine Stopp- chen, wenn sie die uhr. heiße Kartoffel haben.

ABLAUFBESCHREIBUNG

Einstieg : Die Lehrperson erklärt die Methode „Heiße Kartoffel“ zunächst. Nun stellt sie die Stoppuhr mit einem schrillen Klingelton auf einige Sekunden ein und gibt der ersten Schülerin oder dem ersten Schüler einen kartoffelähnlichen Gegenstand. Durchführung: Die Schüler/innen geben sich die „heiße Kartoffel“ so lange reihum weiter, bis die Stoppuhr klingelt. Dann muss jene Schülerin oder jener Schüler, die/der die „heiße Kartoffel“ gerade hat, sprechen.

ANWENDUNGSBEISPIELE IN DER SCHULE:

 Alle Fächer: Am Ende einer Stunde, eines Films, eines Buches etc., um Eindrücke zu sammeln.  Alle Fächer: Als Feedback- und Reflexionsmethode.

Eigene Erfahrungen:

Ich habe diese Methode selbst in meinem Studium erfahren. Sie ist lustig, da keiner Reden möchte und der herumge- reichte Gegenstand so schnell wie nur möglich weitergegeben wird, wie als wäre es ein heißer Gegenstand. Der Name für diese Methode ist daher sehr zutreffend.

170 Portfolio

Wann einsetzbar? Raum: Stärken; Al Effekt: Dauer: Stärken/

Schüler/innen führen sich Variiert je nach Lern- ihre persönliche Entwick- Bei längeren Lernpro- prozess. Lernfort- lung vor Augen und kön- zessen geeignet. Proto- Kann in der Schule schritte können aber nen diese kreativ- kolliert und veran- oder zuhause ge- bereits innerhalb künstlerisch veranschauli- schaulicht den persön- schrieben werden. weniger Wochen chen. Das Portfolio ist ein lichen Lernprozess. Schüler/innen benö- festgestellt werden. Produkt, an dem Schü- ler/innen meist Freude tigen Schreibzeug. haben.

ABLAUFBESCHREIBUNG

Einstieg : Die Lehrperson erklärt die Methode „Portfolio“ und gibt dazu ein Informationsblatt heraus. Durchführung : Schüler/innen schreiben regelmäßig ein Lernjournal währen ihres Lernprozesses. Nach

Abschluss des Lernprozesses werden alle Lernjournale gesammelt und in ein Portfolio gegeben. Es wird ein Abschlussbericht geschrieben, in dem die Schüler/innen noch einmal ihren gesamten Lernfortschritt reflektieren. Das Portfolio sollte mit persönlichen Noten angereichert und verschönert werden. Das Port- folio dient der Lehrperson zur Leistungsbeurteilung und führt den Schüler/innen noch einmal ihre Ent- wicklung vor Augen.

ANWENDUNGSBEISPIELE IN DER SCHULE:

 Alle Fächer: Zum Reflektieren und Festhalten von Arbeits- und Lernfortschritten.

Eigene Erfahrungen:

In meinem Studium habe ich einige Portfolios geschrieben. Ein Portfolio kann zu einer schönen Sammlung von Lern- fortschritten werden, die im Laufe gemacht wurden. Am Ende hält man oft ein sehr schönes Produkt in Händen mit dem man viel Freude haben kann. Es war immer sehr wichtig für mich, meine Leistungen noch einmal Revue passie- ren zu lassen und Lernfortschritte festzuhalten, die mir sonst nicht aufgefallen wären. Durch das Schreiben selbst wird der Prozess des Lernens weiter vorangetrieben.

171 Meinungsumfrage

Wann einsetzbar? Raum: Stärken; Al Effekt: Dauer: Stärken/

Schüler/innen werden Variierte je nach aktiv wie Forschende und Bei historischen, politi- Umfang der Frage(n). führen eine Feldforschung schen, soziologischen, Umfrage im Schulge- Mindestens 30 Minu- durch. Sie erhalten ferner philosophischen oder bäude, auf der Stra- ten. einen anderen Blick auf ähnlichen Themen, bei ße, im Internet, per das Thema, das nicht nur der die öffentliche Telefon oder E-Mail. von der Lehrperson oder

Meinung interessant ist. vom Schulbuch vorgege- ben ist.

ABLAUFBESCHREIBUNG

Einstieg : Die Lehrperson erklärt die Methode „Meinungsumfrage“ und gibt evtl. Fragebeispiele, welche die

Schüler/innen notieren können. Durchführung : Schüler/innen verlassen die Klasse und sprechen andere Personen auf ein gewisses Thema oder eine gewisse Fragestellung an und machen sich dadurch ein Bild von der Meinung anderer bzw. von der Meinung der Öffentlichkeit. Die Resultate können anschließend im Klassenverband besprochen oder in Forschungsarbeiten, Referaten oder sonstigen Aufgaben eingebracht werden.

ANWENDUNGSBEISPIELE IN DER SCHULE:

 Alle Fächer: Wenn Fragen oder Themen diskutiert werden, zu der jeder eine Antwort geben kann.  Geschichte: Bei Fragen der Politik oder der öffentlichen Denkmalkultur.  Geographie: Fragen zum Umweltschutz oder zur Demographie.  Religion: Fragen zur Religion oder Glaubensfragen.

Eigene Erfahrungen:

Ich habe diese Methode in meiner Lehramtsausbildung kennengelernt. Wir haben den Personen Fragen zur Intelli- genz gestellt, was denn Intelligenz nach Meinung der Befragten sei. Dabei zeigte sich, dass es so viele Meinungen zum Thema gibt, wie Leute befragt wurden. Uns wurde dadurch gut vor Augen geführt, dass es nicht nur eine, sondern eine Vielzahl von Antworten zu einem bestimmten Thema geben kann.

172 Denkmal

Wann einsetzbar? Raum: Stärken; Al Effekt: Dauer: Stärken/

Schüler/innen werden Je nach Größe des selbst kreativ und können Bei Themen, welche die Denkmals sollte mehr sich künstlerisch betäti- öffentliche Erinne- Ausreichend Platz, Zeit gegeben werden. gen. Sie schaffen ein Pro- rungskultur betreffen. Material und Werk- Planung und Bau des dukt, das ihnen Freude Wenn es um die Art und zeuge sollten zur Denkmals können in bereiten sollte. Sie können den richtigen Umgang Verfügung gestellt zwei getrennten Ab- ihre Ideen und Vorstellun- gen künstlerischen Aus- mit Erinnerung geht. werden. schnitten erfolgen. druck verleiehen.

ABLAUFBESCHREIBUNG

Einstieg : Die Lehrperson erklärt die Methode „Denkmal“ und gibt dazu evtl. ein Beispielfoto. Thema des Denkmals kann vorgegeben werden oder auch nicht. Schüler/innen können in Gruppen oder einzeln an einem Denkmal arbeiten. Die dabei benötigten Werkstoffe sollten ihnen zur Verfügung gestellt werden. Es empfiehlt sich eine Zusammenarbeit mit der Lehrperson des Kunstunterrichts. Durchführung : Die Schüler/innen arbeiten zusammen oder alleine an einem Denkmal. Sie sollten das Denkmal zunächst planen und dann bauen. Die dabei verwendeten Materialien können vorgegeben oder den Schüler/innen selbst überlassen werden.

ANWENDUNGSBEISPIELE IN DER SCHULE:  Geschichte: Denkmal gestalten zu einem bestimmten Thema, um die öffentliche Erinnerungskultur zu reflektie- ren.  Kunst: Schüler/innen gestalten künstlerisch ein Denkmal zu einem Thema.  Deutsch: Schüler/innen gestalten ein Denkmal zu einer Romanfigur, z.B.: Werther.  Geschichte: Denkmal gestalten zu einem aktuellen politischen Thema.

Eigene Erfahrungen:

Keine Erfarhungen.

173 5. UNTERRICHTSMATERIALIEN

P ROJEKTPLAN

Name des Projekts: „Wie erinnern wir uns? Denkmäler nach 1945 in Innsbruck“.

Dauer des Projekts: Acht Doppelstunden zu je 100 Minuten (insg. 800 Minuten).

Ziel des Projekts: Eine Auseinandersetzung mit der öffentlichen Geschichtskultur!

Ablauf des Projekts:

 Schüler/innen werden durch die Lehrperson in vier Gruppen eingeteilt.

 Die Gruppenmitglieder entscheiden sich für eines der vier besichtigten Denkmäler: Kriegerdenkmal, Euthanasie-Denkmal, Holocaustdenkmal, Befreiungsdenkmal.

 Jede Gruppe beschäftigt sich selbstständig mit ihrem Denkmal und muss dabei folgende Fragen beantworten:

o Geschichte dahinter: An was erinnert das Denkmal? Was, wann, wo geschah damals warum?

o Entstehung: Wo, wann, warum und wie wurde das Denkmal errichtet? Wie, warum und wann wurde das Denkmal seit daher genutzt, verändert, kritisiert, erneuert?

o Gegenwart und Zukunft: Wie ist das Denkmal heute. Was soll deiner Meinung nach mit dem Denkmal passieren. Was soll laut der Gesellschaft, Politik, Experten damit ge- schehen?

 Jede Gruppe plant und organisiert ihre Arbeitsabläufe selbstständig. Da die Zeit gut ge- nutzt werden sollte, empfiehlt sich eine Arbeitsteilung vorzunehmen, wobei keiner ganz allein arbeiten sollte. Die Arbeitsorganisation soll heute noch erfolgen!!

 Jede Gruppe arbeitet selbstständig und für sich. Informationen und Quellen zur Beant- wortung der Fragen müssen entweder selbst gesucht werden (freie Wahl der Medien:

174 Bücher, Internet, Interviews etc.) oder werden von der Lehrperson bereitgestellt (durch ein Informationsblatt).

 Jede Gruppe muss ein Interview bzw. eine Meinungsumfrage durchführen, bei der die Öffentlichkeit oder wichtige Personen der Öffentlichkeit zum jeweiligen Denkmal Stel- lung beziehen. Dadurch sollte geklärt werden:

o Was wissen die Menschen überhaupt über das Denkmal?

o Warum gibt es dieses Denkmal überhaupt?

o Wie wird das Denkmal geschätzt?

o Was sollte nach Meinung der Befragten damit passieren?

 Jede Gruppe soll das von ihr behandelte Denkmal nach ihren Wünschen und Ideen um- gestalten und eine eigenes Denkmal zum Thema gestalten. Die Form, wie das Denkmal dargestellt wird, obliegt den künstlerischen Vorlieben der Schüler/innen (Plastik, Zeichnung, Computergrafik etc.). Die Eigenkreationen der Denkmäler werden samt ei- ner Infotafel im Schulgebäude ausgestellt.

 20 Min. vor Ende einer jeden Doppelstunde kehren die Schüler/innen in die Klasse zu- rück und schreiben ein Lernjournal zu ihrem jeweiligen Projekttag. Darin soll der Ar- beits- und Lernfortschritt eines jeden Einzelnen festgehalten. Mindestumfang: eine hal- be Seite in 10 Min. Die restlichen 10 Min. werden die Arbeits- und Lernfortschritte im Klassenverband präsentiert.

 Nach den 800 Minuten Projektarbeit muss jede Gruppe eine Präsentation ihrer Ergeb- nisse im Klassenverband halten. Die Wahl des Präsentationsmediums (Plakat, Film, PowerPoint oder Sonstiges) ist den Schüler/innen selbst überlassen. Die Präsentation sollte mindestens 10 Minuten dauern.

 Nachdem alle Präsentationen gehalten wurden, folgt eine Rekapitulation des gesamten Projekts. Die Schüler/innen schreiben ein Abschlussprotokoll, in dem sie ihre Arbeits- und Lernfortschritte im Projekt noch einmal zusammenfassen.

 Alle Lernjournale werden mit dem Abschlussprotokoll in ein Portfolio gegeben, das von den Schüler/innen nach eigenen Wünschen und Vorstellungen kreativ gestaltet werden kann. Das Portfolio soll spätestens eine Woche nach Projektabschluss abgegeben wer- den und ist ein wesentlicher Teilaspekt der Leistungsbeurteilung durch die Lehrperson. 175 G R U P P E 1: KRIEGERDENKMAL

Mitglieder: ______

Arbeitsaufgaben:

 Organisation und Arbeitsteilung planen

 Forschungsfragen beantworten

 Meinungsumfrage oder Interviews durchführen

 Eigenes Denkmal erstellen

 Präsentation erstellen

 Letzte 20 Min. Arbeitsfortschritt protokollieren

Quellen- und Literaturhinweise:

http://www.uibk.ac.at/ipoint/dossiers/uni-im-rueckspiegel/976634.html

http://provinnsbruck.at/geil/rosa-helden-5805/

http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/zeitgeschichte/site/browse.php?arttyp=k&l1=2&l2 =1004&l3=1086&l4=1089

Gabriele Rath, Andrea Sommerauer & Martha Verdorfer (2000) Bozen – Innsbruck: zeitge- schichtliche Stadtrundgänge. Wien: Folio-Verlag. Verfügbar in der Universitäts- und Landes- bibliothek Innsbruck.

Gerhard Oberkofler (2000) Das Innsbrucker Universitätsdenkmal: ein Gebrauchsgegenstand der Professorenwelt. Innsbruck: Haymon-Verlag. Verfügbar in der Universitäts- und Landesbiblio- thek Innsbruck.

Horst Schreiber (2008) Nationalsozialismus und Faschismus in Tirol und Südtirol: Opfer, Täter, Gegner. Innsbruck: Studien-Verlag. Verfügbar in der Universitäts- und Landesbibliothek.

176 G R U P P E 2: E UTHANASIE -D ENKMAL

Mitglieder: ______

Arbeitsaufgaben:

 Organisation und Arbeitsteilung planen

 Forschungsfragen beantworten

 Meinungsumfrage oder Interviews durchführen

 Eigenes Denkmal erstellen

 Präsentation erstellen

 Letzte 20 Min. Arbeitsfortschritt protokollieren

Quellen- und Literaturhinweise:

http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/zeitgeschichte/site/browse.php?arttyp=k&l1=2&l2 =1004&l3=1021&l4=1034

http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/zeitgeschichte/site/browse.php?artiid=1027&artty p=k

http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/zeitgeschichte/site/browse.php?arttyp=k&l1=2&l2 =1098&l3=1109&l4=1114

Horst Schreiber (2008) Nationalsozialismus und Faschismus in Tirol und Südtirol: Opfer, Täter, Gegner. Innsbruck: Studien-Verlag. Verfügbar in der Universitäts- und Landesbibliothek.

Gabriele Rath, Andrea Sommerauer & Martha Verdorfer (2000) Bozen – Innsbruck: zeitge- schichtliche Stadtrundgänge. Wien: Folio-Verlag. Verfügbar in der Universitäts- und Landes- bibliothek Innsbruck.

Christian Smekal, Hartmann Hinterhuber & Ulrich Meise (1997) Wider das Vergessen: psy- chisch Kranke und Behinderte - Opfer nationalsozialistischer Verbrechen; Gedenkschrift der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Innsbruck: Leopold-Franzens-Univ. Innsbruck. Ver- fügbar in der Universitäts- und Landesbibliothek Innsbruck.

177 G R U P P E 3: P OGROMDENKMAL

Mitglieder: ______

Arbeitsaufgaben:

 Organisation und Arbeitsteilung planen

 Forschungsfragen beantworten

 Meinungsumfrage oder Interviews durchführen

 Eigenes Denkmal erstellen

 Präsentation erstellen

 Letzte 20 Min. Arbeitsfortschritt protokollieren

Quellen- und Literaturhinweise:

http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/zeitgeschichte/site/browse.php?arttyp=k&l1=2&l2 =1004&l3=1012&l4=1020&a=1247

http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/zeitgeschichte/site/browse.php?arttyp=k&l1=2&l2 =1004&l3=1012&l4=1015

http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/zeitgeschichte/site/browse.php?arttyp=k&l1=2&l2 =1098&l3=1102&l4=1108

http://www.eduard-wallnoefer-platz.at/pogromdenkmal/pogromdenkmal-ubersicht

http://www.novemberpogrom1938.at/

Horst Schreiber (2008) Nationalsozialismus und Faschismus in Tirol und Südtirol: Opfer, Täter, Gegner. Innsbruck: Studien-Verlag. Verfügbar in der Universitäts- und Landesbibliothek.

Gabriele Rath, Andrea Sommerauer & Martha Verdorfer (2000) Bozen – Innsbruck: zeitge- schichtliche Stadtrundgänge. Wien: Folio-Verlag. Verfügbar in der Universitäts- und Landes- bibliothek Innsbruck.

178 G R U P P E 4: B EFREIUNGSDENKMAL

Mitglieder: ______

Arbeitsaufgaben:

 Organisation und Arbeitsteilung planen

 Forschungsfragen beantworten

 Meinungsumfrage oder Interviews durchfüh- ren

 Eigenes Denkmal erstellen

 Präsentation erstellen

 Letzte 20 Min. Arbeitsfortschritt protokollieren

Quellen- und Literaturhinweise:

http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/zeitgeschichte/site/browse.php?arttyp=k&l1=2&l2 =1004&l3=1046&l4=1049

http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/zeitgeschichte/site/browse.php?arttyp=k&l1=2&l2 =1098&l3=1123&l4=1126#

http://www.horstschreiber.at/texte/befreiungsdenkmal-innsbruck

http://www.eduard-wallnoefer-platz.at/befreiungsdenkmal/befreiungsdenkmal-ubersicht

Christopher Grüner & Martin Achrainer (2011) Den für die Freiheit Österreichs Gestorbenen: das Befreiungsdenkmal und die Erinnerungen; eine Intervention. Innsbruck: Athesia-Tyrolia- Verlag. Verfügbar in der Universitäts- und Landesbibliothek Innsbruck.

Horst Schreiber (2008) Nationalsozialismus und Faschismus in Tirol und Südtirol: Opfer, Täter, Gegner. Innsbruck: Studien-Verlag. Verfügbar in der Universitäts- und Landesbibliothek.

Gabriele Rath, Andrea Sommerauer & Martha Verdorfer (2000) Bozen – Innsbruck: zeitge- schichtliche Stadtrundgänge. Wien: Folio-Verlag. Verfügbar in der Universitäts- und Landes- bibliothek Innsbruck. 179 A RBEITSPLAN

Gruppe: ______Der Arbeitsplan hilft beim Organisieren und Durchführen des Projekts. Insgesamt stehen acht Doppel- stunden zur Ausarbeitung des Projekts zur Verfügung. Die Arbeitsabläufe sollten daher gut ein- und aufge- teilt werden. Daher solltet ihr euch folgende Fragen stellen: Wer? Was? Wie und wie lange? 1. ______2. ______3. ______4. ______5. ______6. ______7. ______8. ______180 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 1: Paul Klee (1920), Angelus Novus...... 8 Quelle: The Israel Museum Jerusalem, http://www.imj.org.il/imagine/collections/item.asp?itemNum=199799, (14.07.2013). Abb. 2: Charles M. Schulz (1979), The Peanuts, Nr. 699...... 16 Quelle: Rüsen, Jörn (2003) Kann gestern besser werden?: Essays zum Bedenken der Geschichte. Berlin: Kulturverl. Kadmos. (Kulturwissenschaftliche Interventionen, 2), 21. Abb. 3: Entwicklung der Lehrstuhlinhaber für Geschichte (1804-1970)...... 24 Quelle: Weber, Wolfgang (1987) Priester der Klio: Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft 1800 - 1970. Zugl.: Augsburg, Univ., Diss., 1982. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Lang. (Europäische Hochschulschriften : Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 216), 47. Abb. 4: Eingangstor des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park, Berlin...... 43 Foto: Friedrich Illmer. Berlin, am 06.05.2013. Abb. 5: Statue des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park, Berlin...... 43 Foto: Friedrich Illmer. Berlin, am 06.05.2013. Abb. 6: Kriegerdenkmal in Zirl...... 45 Foto: Friedrich Illmer. Zirl, am 14.04.2013. Abb. 7: Kriegerdenkmal in Arzl (Innsbruck)...... 45 Foto: Friedrich Illmer. Arzl, am 09.03.2014. Abb. 8: „Habe ich den nicht schon mal gesehen?“ Karikatur aus dem Magazin „DER SPIEGEL“, Februar 1947...... 49 Quelle: spiegel online, „Der Spiegel“ Nr. 7/1947, S. 2, in: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/41121095, (26.03.2014). Abb. 9: „Der Spiegel“ Nr. 5/1979...... 60 Quelle: spiegel online, „Der Spiegel“ Nr. 5/1979, http://wissen.spiegel.de/wissen/titel/SP/1979/5/300/titel.jpg, (09.09.2013). Abb. 10: „profil“ Nr. 10/1979...... 60 Quelle: profil online, Cover-Galerie 1979, http://www.profil.at/prod/560/img/cover/galerie/1979/11.jpg, (04.09.2013). Abb. 11: Politische Generationen in Österreich des 20. und 21. Jahrhunderts und die von diesen geprägten Erinnerungsnarrative...... 67 Quelle: Lehnguth, Cornelius (2013) Waldheim und die Folgen: Der parteipolitische Umgang mit dem Nationalsozialismus in Österreich. Frankfurt am Main: Campus. (Studien zur historischen Sozialwissenschaft, 35), 467. Abb. 12: Die sieben Kreise europäischer Erinnerung...... 75 Quelle: Leggewie, Claus & Lang, Anne (2011) Der Kampf um die europäische Erinnerung: Ein Schlachtfeld wird besichtigt. München: Beck. (Beck'sche Reihe, 1835), 14. Abb. 13: Konflikte weltweit von 1945 bis 2013 nach niederer, mittlerer und hoher Intensität. . 79 Quelle: Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (2013) Conflict Barometer 2013. Heidelberg, 16. URL: http://www.hiik.de/de/downloads/data/downloads_2013/ConflictBarometer2013.pdf (09.03.2014). Abb. 14: Ente oder Kaninchen? Oder etwas anderes? ...... 104 Quelle: Fliegende Blätter, 97.1892, Nr. 2465, S. 147, in: http://digi.ub.uni- heidelberg.de/diglit/fb97/0147, (07.10.2013). Abb. 15: Kriegerdenkmal in Taisten im Pustertal...... 116 Quelle: Heinz, Elmar (1992) Kriegerdenkmäler und Südtiroler Kriegsopfer- und Frontkämpferverband. Diplomarbeit. Universität Innsbruck, 51.

181 Abb. 16: Kriegerdenkmal in St. Peter im Ahrntal...... 116 Quelle: Heinz, Elmar (1992) Kriegerdenkmäler und Südtiroler Kriegsopfer- und Frontkämpferverband. Diplomarbeit. Universität Innsbruck, 53. Abb. 17: Ironie der Geschichte: Hans Egarter hält eine Rede für die „Gefallenen der Heimat“. ..120 Quelle: Hillebrand, Leo (2009) Ausgegrenzt, verdrängt, rehabilitiert: Hans Egarter und der Südtiroler Widerstand in der öffentlichen Wahrnehmung von 1945 bis heute. skolast 54(2), 40–49, 42. URL: http://issuu.com/sh.asus/docs/2009-2/1?e=5517113/6501917 (24.02.2014). Abb. 18: Karikatur von Peppi Tischler...... 123 Quelle: Kucera, Hansjörg (1991) Auf und Ab um Südtirol: Anmerkungen eines Wegbegleiters. Innsbruck: Haymon, 52. Abb. 19: Wahlplakat der SVP...... 131 Quelle: http://diepresse.com/images/uploads/d/a/a/1469866/SDTIROL-WAHL- WAHLPLAKATE_1382981842804568.jpg, (12.03.2014). Abb. 20: Wahlplakat der La Destra...... 131 Quelle: http://www.brennerbasisdemokratie.eu/wp- content/uploads/2013/10/plakat_ladestra.jpg, (12.03.2014). Abb. 21: Hofer-Biografie von 1817...... 145 Quelle: Hormayr, Joseph v. & Hofacker, Karl C. (1817) Geschichte Andreas Hofer's, Sandwirths aus Passeyr, Oberanführers der Tyroler im Kriege von 1809: durchgehends aus Original-Quellen, aus den militairischen Operations-Planen, so wie aus den Papieren Hofer's … und vieler Anderer. Leipzig, Altenburg: Brockhaus, 5. Abb. 22: Hofer-Denkmal seit 1893...... 145 Foto: Friedrich Illmer. Innsbruck, am 04.04.2014. Abb. 23: Kriegerdenkmal vor dem Hauptgebäude der Univ. Innsbruck...... 147 Foto: Friedrich Illmer. Innsbruck, am 04.04.2014. Abb. 24: Euthanasie-Denkmal auf dem Gelände der Univ. Klinik...... 147 Foto: Friedrich Illmer. Innsbruck, am 04.04.2014. Abb. 25: Pogromdenkmal auf dem Eduard-Wallnöfer-Platz...... 148 Foto: Friedrich Illmer. Innsbruck, am 04.04.2014. Abb. 26: Befreiungsdenkmal auf dem Eduard-Wallnöfer-Platz...... 148 Foto: Friedrich Illmer. Innsbruck, am 04.04.2014. Abb. 27: Baum-Modell für das Lehren von Geschichte nach Gautschi...... 150 Quelle: Gautschi, Peter (2011) Geschichte lehren: Lernwege und Lernsituationen für Jugendliche. 4. Aufl. Bern: Schulverlag plus, 9.

182 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

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