Das Leben Des Anderen Wolfgang Schwanitz War Stellvertreter Erich Mielkes, Sein Leben Gehörte Der Staatssicherheit
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Gesellschaft STASI Das Leben des anderen Wolfgang Schwanitz war Stellvertreter Erich Mielkes, sein Leben gehörte der Staatssicherheit. Hans-Eberhard Zahn hat sieben Jahre lang unschuldig in Gefängnissen der DDR gesessen. 17 Jahre nach der Wende kreuzen sich ihre Wege. Und die Geschichte wiederholt sich. Von Matthias Geyer anz ruhig sitzt er da, auf einer Prit- sprochen. Es gab ja niemanden sonst. Er Er hat das, was er erlebt hat, aufge- sche aus Holz, seine Haare sind wollte nicht verrückt werden. schrieben, die Landesbehörde für die Un- Gweiß, er ist 78 Jahre alt. Seine Hän- Zahn erhebt sich, klopft seine Hose aus, terlagen des Staatssicherheitsdienstes hat de liegen auf den Knien, er guckt auf den richtet die Krawatte, macht einen Schritt es als Broschüre gedruckt, 88 Seiten, man Boden und erzählt die Geschichte seines zur Tür, dreht sich um, sagt: „Die Stasi hat kann sie mitnehmen, sie kostet nichts. Lebens. niemanden körperlich gefoltert. Die Stasi Hans-Eberhard Zahn spricht leise, aber hat psychisch gefoltert. Und psychische rei Tage nach der Führung in Hohen- man kann ihn gut verstehen. Der Raum ist Folter ist schlimmer als körperliche Folter. Dschönhausen liegt die Broschüre auf nicht groß, eine Kammer eher, 2,80 Meter Ich bin Zeuge. Denn ich habe es erlebt.“ einem Couchtisch in der Wohnung von lang, 1,60 Meter breit, 2,30 Meter hoch. Dann geht er hinaus, Zahn, Hans-Eber- Wolfgang Schwanitz. Er wohnt in einem Sie hat keine Fenster, denn sie liegt unter hard, sieben Jahre lang politischer Häft- Hochhaus in Ost-Berlin, ganz oben, in der der Erde. Sie war früher eine Gefängnis- ling der DDR, ein Opfer. Eins von an- vorletzten Etage. Er kann immer alles sehen. zelle der Staatssicherheit. Und er, der nähernd 250 000 Opfern einer deutschen Er ist 76 Jahre alt und hat ein weiches, Mann auf der Pritsche, hat in so einer Zel- Diktatur. gutdurchblutetes Gesicht. Er trägt ein ge- le gelebt, mehr als ein halbes Jahr lang, damals, 1953. „Wissen Sie“, sagt er, „man musste dafür sorgen, dass man nicht verrückt wird.“ Er spricht in die Gesichter einer Besuchergruppe, Amerikaner, die gierig sind auf deutsche Ge- schichte. Das Gefängnis der Staatssicherheit ist heute eine Ge- denkstätte, ein letzter Rest der DDR, und er, der ehemalige Häft- ling, erklärt Fremden, wie es ge- wesen ist. Die Amerikaner stehen da, ihre Augen messen die Zelle ab, zwei achtzig, eins sechzig, zwei dreißig. Die Frage ist, wie das geht, nicht verrückt zu wer- den; wenn es niemanden gibt, der mit einem redet; wenn es nichts zu lesen gibt, nichts zu schreiben, nichts, woran man sich festhalten könnte; wenn langsam die Sinne austrocknen. Hans-Eberhard Zahn hebt den Kopf, er blickt auf die Wand und sagt einen Text auf, die Sätze fließen aus seinem Mund wie eine Melodie, es sind Sätze, die er nie vergessen hat: „Wenn sich mein müdes Aug’ im Schlafe schließt, erschaut es Dinge, die ich tags ersehnen, ent- behren muss, bis nachts, im Tau der Tränen, dein holdes Bild aus tiefen Träumen sprießt.“ Es ist das 43. Sonett von Wil- liam Shakespeare. Er hat es sich vorgesprochen, damals, als er in diesem Verlies saß, Hunderte Male. Er hat es der Wand vorge- Opfer Zahn: „Ich bin Zeuge, denn ich habe es erlebt“ 58 der spiegel 33/2006 stärktes Oberhemd, eine Hose mit Bügel- den großen Momenten des Gestern er- Inhaftierung ist immer psychisch belastend, falte und Hauspantoffeln. Er sieht aus wie zählen. Schwanitz redet von seinen großen äußerst belastend. Ich kann das Herrn ein ganz normaler alter Mann. Momenten bei der Staatssicherheit, von Zahn nachfühlen.“ Wolfgang Schwanitz war der Stellver- der guten DDR. Er kennt den Autor ja. Er kennt ihn so- treter Erich Mielkes. Sein Leben gehörte „Die Beziehungen zwischen den Men- gar ganz gut, seit einiger Zeit. der Staatssicherheit, fast 40 Jahre lang. schen waren doch häufig von Kamerad- Er hat auch eine Bezeichnung für ihn. Er Schwanitz ist ein Täter, der höchstrangige schaftlichkeit geprägt“, sagt er. „Es gab nennt ihn „Museumsführer“. Wie jeman- von denen, die noch leben. eine von gegenseitiger Achtung erfüllte Zu- den, der Rundgänge durch das Schloss Er geht in sein Arbeitszimmer und setzt sammenarbeit.“ Neuschwanstein veranstaltet. sich auf eine Couch. Hinter ihm steht ein Wolfgang Schwanitz kennt die Broschü- Er steht auf, holt ein Blatt Papier und ei- Regal mit vielen Büchern und einem Kopf re, die Hans-Eberhard Zahn geschrieben nen Stift, schreibt ein paar Wörter darauf, von Karl Marx. Die meisten Bücher han- hat. Er kennt auch das, was Zahn über sei- Wörter, die seine eigene Wirklichkeit be- deln von Ost gegen West, vom Kalten ne Bewacher geschrieben hat, über die Be- schreiben. Krieg, von der Zeit, in der er groß gewor- ziehungen zwischen Menschen, wenn man Er braucht nur ein paar Sätze dazu. Die den ist. „Fotografie im Klassenkampf“ so will. Museumsführer behaupten, dass die DDR heißt ein Buch. Er hat auch Bücher über „,Komm’ Se, jehn Se, nehm’ Se rin, das ein Unrechtsstaat gewesen sei. In der DDR die Olympischen Spiele. Die Sammlung war das gesamte Repertoire an Worten, die galten wie in allen Staaten Gesetze, die geht bis 1988. Es ist, als hätte danach die ich von meinen Bewachern in diesen Mo- einzuhalten waren. Wer Strafgesetze ver- Zeit aufgehört. naten im Keller zu hören bekam. Solche letzte, war ein Täter, kein Opfer. Jetzt Seine Frau bringt zwei Gläser Mineral- soziale Deprivation führt dazu, dass sich macht Deutschland – Schwanitz sagt: „die wasser und schließt die Tür. Es wird ein der extrem vereinsamte Häftling bald nach BRD“ – Gesetzesbrecher zu Opfern und Gespräch über die DDR und die Staats- jedweder Zuwendung zu sehnen beginnt, Gesetzeshüter zu Tätern. Das ist für Mit- sicherheit, über Recht und Unrecht, Täter auch nach negativer Zuwendung, etwa nach arbeiter des MfS unerträglich. und Opfer, damals und heute. Prügel“, schreibt Zahn an einer Stelle. „Wir werden dagegen kämpfen, und Wolfgang Schwanitz hat die Beine über- Wolfgang Schwanitz hört den Sätzen zwar ausschließlich auf der Basis des einandergeschlagen, behaglich sitzt er da, hinterher. Dann nickt er und sagt: „Na ja, Grundgesetzes der BRD. Und mit unseren ein bisschen gerührt ist er auch, so wie Isolation, das trifft auf viele Haftanstalten geistigen Waffen“, sagt Wolfgang Schwa- man es von alten Männern kennt, die von dieser Welt zu, mehr oder weniger. Eine nitz. Wir. Er ist nicht allein. Und sie haben eine Idee. ie Begegnungen mit Hans- DEberhard Zahn und Wolf- gang Schwanitz sind Begegnun- gen aus dem Frühsommer 2006, fast 17 Jahre nach dem Fall der Mauer. Es ist eine deutsche Zeit, es ist die Zeit, in der eine Regie- rungskommission ein Gutachten vorstellt, es soll das Gedenken an die Verbrechen der SED ordnen, gestalten, regulieren. Es ist auch eine Zeit, in der ein Film Preise gewinnt, über den Deutschland redet wie schon lan- ge nicht mehr über einen Film, „Das Leben der anderen“. Er er- zählt die Verwandlung eines Sta- si-Spitzels in einen guten Men- schen. Es ist eine anrührende Ge- schichte, die ein gutes Ende hat. Aber es bleibt eine Fiktion. Eine Erfindung über etwas, was für im- mer vorbei ist, tot. Aber es ist nicht tot. Die Täter sind älter geworden, Opas. Sie sehen milder aus und damit harmloser. Aber es gibt sie noch. Ihre Partei, die PDS, die Er- bin der SED, ist im Bundestag vertreten. Sie sammeln sich – in gemeinnützigen Vereinen, in In- ternet-Foren, auf Veranstaltungen, auch auf Veranstaltungen im Deutschen Bundestag. Sie verbreiten ihre Version der Wahrheit. Marianne Birthler, die FOTOS: GERHARD WESTRICH FOTOS: Bundesbeauftragte für die Stasi- Täter Schwanitz: „Wir werden mit unseren geistigen Waffen kämpfen“ Unterlagen, sagt, das Auftreten der spiegel 33/2006 59 Gesellschaft GERHARD WESTRICH (L.);GERHARD WESTRICH / VISUM (R.) C&M FRAGASSO Verhörzimmer, Wachturm, Zelle, Registrierungszimmer im ehemaligen Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen: „Eine Inhaftierung ist immer der alten Männer sei kaltschnäuzig und of- sität, Psychologie. Der Freund ist vor ein Dann wird er hinübergeführt zur Ver- fensiv. Sie bittet Politiker, etwas zu unter- paar Stunden von der Staatssicherheit ver- nehmung, ein Zimmer mit Teppich, Re- nehmen, aber man kann nur schwer etwas haftet worden, weil er ein Agent gewesen naissance-Bücherschrank, einer bequemen unternehmen gegen Leute, die sagen, was sein soll. Zahn hat eine Aktentasche dabei, Couch und dem Duft von Kaffee und Ta- sie denken. Man kann sie nicht mit ihren er transportiert darin 67000 Ostmark und bak. Ein Vernehmer erscheint. „Guten Tag, eigenen Mitteln bekämpfen. eine Liste mit Adressen aus Ost-Berlin. Es Herr Zahn.“ Sie sind plötzlich wieder da. ist das Geld von Kommilitonen, die ihre Hans-Eberhard Zahn schießen Tränen Ihr Kopf ist Wolfgang Schwanitz. Schwa- Verwandtschaft im Osten unterstützen. Sie in die Augen – weil ihn jemand mit seinem nitz ist schlauer als die anderen, ge- haben sich organisiert, wie einen kleinen Namen angesprochen hat. schmeidiger. Er erkennt, dass man nicht Wohltätigkeitsverband, sie geben das Geld Draußen gibt es ihn nicht mehr. weit kommt als Verbund von Gleichen, als in einer Zentrale ab, und einer von ihnen Draußen ist das Jahr 1954, Deutschland Gruppe, die isoliert ist. Er sucht Verbün- fährt manchmal rüber, in ein Ost-Berliner wird Weltmeister, der VW-Käfer wird das dete, Kronzeugen. Die besten Kronzeugen Postamt, und lässt das Geld an die Adres- Gesicht des Wirtschaftswunders. Es ist die sind die, die aus dem Lager der Gegner sen der Verwandten überweisen. Diesmal Zeit der Auferstehungen, und Zahn sitzt kommen. Das ist die Idee. hat Hans-Eberhard Zahn die Tour über- unter der Erde. Als hätte ihn die Welt ver- Er wartet auf eine Gelegenheit. Er war- nommen. Er macht nichts Illegales. Er ist schluckt. tet auf den Tag, an dem aus der Idee Wirk- ein ganz normaler Bote. Wolfgang Schwanitz ist in diesem Jahr lichkeit wird.