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SWR2 Feature am Sonntag Ich habe sie geheiratet, weil sie mich gefragt hat Eine Dichterehe: und Von Manuela Reichart

Sendung: Dienstag, 20. Dezember 2016, 14.05 Uhr Redaktion: Walter Filz Produktion: WDR 2015

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Samstag morgen, 10. März 1956. Bitte mach das er kommt, und gib mir die Beweglichkeit & den Mumm, ihm Respekt vor mir einzuflößen, sein Interesse zu wecken, damit ich mich nicht mit lautem oder hysterischem Geschrei auf ihn stürze; ruhig, sanft, locker, Baby, locker. Wahrscheinlich streift er im Moment mit sieben skandinavischen Liebhaberinnen durch die Krokusse in den backs. Und ich sitze wie eine Spinne herum, warte, hier zu Hause; Penelope webt Netze aus Webster und verbrennt Spindeln aus Tourneur. Ach, er ist hier; mein schwarzer Räuber; ach Hunger, Hunger. Ich habe solchen Hunger auf eine große umwerfende, schöpferische, blühende, schwerwiegende Liebe: Hier bin ich; ich warte...

Sprecher 1 (Hughes/ Briefe S. 37)

Sylvia, diese Nacht war voll von Deinem weichen Körper. Der Gedanke daran geht durch mich hindurch wie Brandy.

Wenn Du nicht zu mir nach kommst, werde ich zu Dir nach Cambridge kommen.

Ich bin hier in London bis zum 14.

Musik 1/Swing

Sprecher 1

Ich habe sie geheiratet, weil sie mich gefragt hat -

Eine Dichterehe: Sylvia Plath und Ted Hughes

Feature von Manuela Reichart

Musik 1/Swing reißt abrupt ab 3

Sprecherin 1 (Plath / Briefe nach Hause S. 493

26.September 1962

Liebe Mutter, gestern fuhr ich nach London zu dem Anwalt, eine wirklich qualvolle, aber notwendige Erfahrung. Nicht zu wissen, wo Ted ist, außer dass er in London ist... Ich hoffe, er wird einer außergerichtlichen Regelung zustimmen und mich finanziell unterstützen....

Sprecher 1 (Hughes,Briefe S.213)

Februar 1963

2

Liebe Olwyn,

Montag morgen gegen sechs hat sich Sylvia mit Gas umgebracht. Die Beerdigung ist in Heptonstall nächsten Montag.

Sie hatte mich um Hilfe gebeten, wie sie das so oft getan hat. Ich war der einzige Mensch, der ihr hätte helfen können, und der einzige Mensch, der so abgestumpft war von ihren Zuständen und Forderungen, dass ich nicht erkennen konnte, dass sie Hilfe wirklich brauchte.

Später werde ich ausführlicher schreiben.

Musik 2

Autorin

Sylvia Plath und Ted Hughes: Begonnen hat ihre Liebesgeschichte im Frühling 1956, zu Ende war sie im Winter 1962.

Ein Paar, das aus zwei großartigen Lyrikern, aus zwei höchst komplizierten Individuen bestand. Ein Paar, das den professionellen Anfang gemeinsam erlebte und gestaltete. Ein Paar, das aus Liebe und Leidenschaft zu einander fand. Ein Paar, das dem gemeinsamen Leben nicht standhielt, das nicht zuletzt an den gewöhnlichen Veränderungen scheiterte, die mit der Geburt von Kindern in einer Ehe passieren. 4

Ein Paar, dessen Rollen - auch lange nach dem Tod der beiden - fest zu stehen scheinen: Sylvia Plath hat sich umgebracht, sie ist das Opfer in dieser Liebesgeschichte, er ist der Täter, der sie betrog, der sie in den Tod trieb, der sie allein ließ in ihrer kalten Wohnung, der nicht genug zahlte, sich nicht genug um sie und die Kinder kümmerte, nicht dafür sorgte, dass sie ausreichend Zeit zum Arbeiten hatte.

Aber vielleicht war es auch anders. Sind solche Geschichten nicht immer und grundsätzlich komplizierter? Auch bei weniger komplizierten Menschen als Dichter es sind? Die Plath-Hughes-Ehegeschichte wurde nach ihrem Tod und ihrer Berühmtheit als Lyrikerin jedenfalls zur Projektionsfläche, auf der viele d a s programmatische geschlechtsspezifische Liebesdrama erkannten: Die begabte Frau war zum Schweigen gebracht von und zerbrochen an einer Männerwelt. Der untreue Ted Hughes wurde dabei zweifelsfrei zum Symbol dieser Männerwelt und damit eindeutig zum Schurken. Und er wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich öffentlich zu rechtfertigen. Was hätte er auch sagen oder schreiben sollen?

Sylvia Plath, die ewig junge geniale Dichterin, die sich mit 31 Jahren umbrachte (angeblich gibt es inzwischen 26 Biographien über sie) und Ted Hughes, der 1998 mit 68 Jahren an Krebs starb: eine Dichterehe. Auf die Frage, warum er sie geheiratet habe, hat er einmal geantwortet: 3

Sprecher 1

Weil sie mich gefragt hat.

Musik 3/ Swing (unter folgendem Dialog) 5

Sprecherin 1

Willst Du mich heiraten?

Sprecher 1

Ja, ich will Dich heiraten.

Musik 3

O-Ton Nölle 1

Die Beiden haben sich kennengelernt in den 50er Jahren, als sie als Stipendiatin aus den USA nach Cambridge kam, und er schon ein junger aufstrebender, allerdings noch abseitiger Dichter war, der erste Gedichte in kleinen Zeitschriften publizierte.

Autorin

Karen Nölle, Übersetzerin und Lektorin

O-Ton Nölle Forts.

Und sie kam an und war sehr ehrgeizig. Sie wollte das literarische Cambridge kennenlernen.

O-Ton Bronfen 1

Man muss vielleicht dazu sagen, dass Sylvia Plath eine sehr ambitionierte junge Amerikanerin war, die wollte an der für sie besten Universität studieren. Sie wusste sicherlich, dass sie meinte, sie würde eine große Dichterin werden oder wär bereits schon eine große Dichterin. Ich könnte mir auch vorstellen, es ging ihr durchaus bei der Sache auch darum, irgendwie dort anzukommen.

Autorin

Elisabeth Bronfen, Professorin für Anglistik an der Universität Zürich, Autorin einer Studie zum Werk von Sylvia Plath 6

Forts O-Ton Bronfen 1 4

Es muss eine wahnsinnige Attraktion zwischen beiden zuerst gewesen sein.

Gleichzeitig kommt aber natürlich auch hinzu, Sylvia Plath war ja auch schon vorbelastet mit ihren psychischen Krankheiten, mit ihrem Selbstmordversuch, das heißt also sicherlich psychisch auch sehr labil. Ich könnte mir vorstellen, dass Hughes das nicht wirklich begriffen hat am Anfang und damit sehr schlecht umgehen konnte. Und zugleich war Hughes ein Lebemann, er liebte die Frauen, war sehr verführerisch und seiner Ehefrau dann anschließend auch untreu. Insofern kommen zwei Figuren zusammen, die irgendwie beide und dann ihre Ehe zugleich unter einem sehr schlechten Stern gestanden haben. Das hätte eigentlich nicht halten können, und dass es dann so fatale Folgen hatte, gut, das weiß man natürlich am Anfang nicht, aber man sieht nachträglich eine gewisse Konsequenz darin.

O-Ton Nölle 2 0.41

Sie haben sich auf einem Fest kennengelernt, wo Sylvia Plath auch wieder diejenige war, die das ganze initiiert hat. Eines ihrer Gedichte war schlecht besprochen worden, in dem Band, in dem Ted Hughes auch Gedichte hatte, und da hat sie kurzerhand ein paar Zeilen auswendig gelernt, und als er den Raum betrat, hat sie ihm die aufgesagt, und ihn damit natürlich unendlich für sich gewonnen. Und dann sind sie in ein Zimmer nach nebenan gegangen, und was da genau vorgegangen ist, das wissen wir natürlich nicht, aber dass sie ihn - glaube ich - am Ende gebissen hat, und er ihr einen Ohrring entrissen und mitgenommen hat, und von da an ging es los.

Musik/ Ausschnitt „Sylvia“ 4.50-5.15/ 5.50-6.10

I read your poems

Autorin (auf Musik)

Die Liebesgeschichte zwischen Sylvia Plath und Ted Hughes beginnt also heftig: Am 25.Februar 1956.

Musik/ Ausschnitt „Sylvia“ 6.10-6.18

E: „Sylvia Plath“ 7

Autorin

Das Fest, auf dem sie sich zum ersten Mal trafen, hatte eine angesehene kleine Literaturzeitschrift „St.Botolph’s Review“ ausgerichtet. Die hübsche Sylvia Plath trug rote Schuhe und sorgte überhaupt für Aufsehen – und dann war da eben Ted Hughes.

Am nächsten Tag schreibt sie in ihr Tagebuch...

5

Sprecherin 1 (Sylvia Plath/Tagebücher S.159)

Dann geschah das Schlimmste, dieser große, dunkle, wunderbare Kerl, der einzige, der groß genug war für mich, der sich auf die Frauen stürzte und nach dessen Namen ich mich erkundigt hatte, gleich als ich ins Zimmer trat, ohne dass mir jemand eine Antwort gegeben hätte, kam herüber und schaute mir tief in die Augen und es war Ted Hughes. Ich fing wieder an zu brüllen, etwas über seine Gedichte, und zitierte „most dear unscratchable diamond“, und er schrie zurück, gewaltig mit einer Stimme wie ein Pole „Gefällt’s dir? „, und dann fragte er mich, ob ich Brandy wolle und ich schrie ja, und dann zogen wir uns ins andere Zimmer zurück...., und er goss Brandy in ein Glas, und ich goss ihn dorthin, wo nach meiner letzten Erinnerung einmal mein Mund war.

Wir brüllten wie in einem Sturm..... und ich stampfte auf den Boden, und er stampfte auf den Boden, und dann küßte er mich, Knall, Boing auf den Mund.... Und als er meinen Hals küßte, biß ich ihn heftig und lange in die Wange, und als er aus dem Zimmer ging, lief ihm Blut übers Gesicht.... Und innerlich schrie ich und dachte: Ach, dir geb ich mich zerberstend, im Kampf. Der einzige Mann, seit ich auf der Welt bin, der Richard hinwegfegt.

Also sitze ich hier, ernst, düster, mit einem leicht blutenden Herzen.

Autorin

Ted Hughes war sich sicher: 8

Sprecher 1

Das Schicksal hat mich zu Sylvia Plaths Ehemann bestimmt.

Autorin

Hughes beschäftigte sich mit Astrologie.

Zitat 6/ Ted Hughes /Birthday Letters S. 22/23

(auf Musik/ evt. Jazz v. Joe Lyde)

St. Botolph’s

Unsere Zeitschrift war nichts als eine Ouvertüre

Zu der Nacht und der Party. Ich hatte einen verhängnisvollen Preis

Vorausgesagt: Posperos Buch zufolge

6

Eine planetarische Gewissheit.

Der Konjunktion von Jupiter und Vollmond

Stand Venus gegenüber. EIn verhängnisvoller Preis

Diesem Buch zufolge. Besonders für mich.

Die Konjunktion verfinsterte die Sonne meiner Geburt.

Venus mitten in meinen Himmel gehängt.

Für einen Kommt-Zeit-kommt-Rat-Astrologen – na und?

Die Berührung eines Fledermausflügels mit links exorziert.

Unser Chaucer wär’ mit seinem Dante zu Hause geblieben,

Um den Stand der Sterne genauer zu berechnen.

Er hätte gründlicher nachgedacht. Was sonst? Ich überließ es

Ernsthaften Astrologen, sich um diese Konjunktion zu sorgen,

Die auf meine Sonne traf.

Die auf deinen Geburtsstern, den Mars, traf. Und Chaucer

Hätte auf die heutige Sonne im Fisch gezeigt,

Die auf deinen Aszendenten traf, genau

Gegenüber meinem Neptun, und die

Mitten in meinem zehnten Haus des guten und bösen Ruhms stand.

Ich glaube, unser Chaucer hätte geseufzt.

Er hätte sein sorgenvolles Haupt geschüttelt und uns versichert, 9

Das suns das Sonnensystem an diesem Tag vermählte,

Auch wenn wir es nicht wußten.

Autorin 7

In seinen „Birthday Letters“ - das ist ein Zyklus mit 88 Gedichten, in dem er die Chronik dieser Liebe, dieser Ehe aufgeschrieben und lyrisch verarbeitet hat, veröffentlicht 35 Jahre nach ihrem Tod – erinnert er sich an die erste Begegnung:

Forts. Sprecher 1

Falcon Yard:

Meine Freundin wie eine gespannte Armbrust. Die Schallwellen

Gezerrt und zerrissen von Joe Lydes Jazz. Der Saal

Das sich neigende Deck der Titanic:

Ein Stummfilm mit schmetternder Musik. Plötzlich –

Lucas fädelte es ein – plötzlich du.

Der erste Blick. Der erste Schnappschuss hob dich hervor,

Unveränderbar, stillgestellt im Starren der Kamera.

Größer,

Als du es jemals wieder warst. Wie sie sich so wiegten,

Schienen deine langen, schlanken, amerikanischen Beine

Endlos. Diese auffällige Hand,

DIese langen, graziösen, eleganten Affenfinger.

Und das Gesicht – ein praller Ball aus Freude.

Ich sehe dich dort, deutlicher, wirklicher

Als in all den Jahren im Schatten –

Als hätte ich dich nur dieses eine Mal gesehen, dann nie mehr.

Die offenen, fallenden Haare – dieser strähnige Vorhang

Vor deinem Gesicht, über deiner Narbe. Und dein Gesicht,

8

Ein Gummiball aus Freude

Um den lachenden, grell

Kaminrot geschminkten, wulstigen Mund. Und Deine Augen 10

In dein Gesicht gepresst, ein Meer aus Diamanten,

Unglaublich glänzend, glänzend wie ein Meer aus Tränen,

Die Freudentränen hätten sein können, eine Freudenflut.

Du wolltest mich umhauen.

Mit deinem Temperament. Ich erinnere mich an

Wenig vom Rest des Abends.

Ich verzog mich mit meiner Freundin. Nichts,

Ausser ihrer zischenden Wur in einer Einfahrt

Und meine verblüfften Fragen

An dein blaues Kopftuch in meiner Tasche

Und den anschwellenden Burggraben aus Zahnabdrücken,

Der mein Gesicht für den nächsten Monat brandmarken sollte.

Das Ich darunter für immer.

Sprecherin 1 (Plath (Briefe nach Hause, S.239-242)

Ich habe den stärksten Mann auf der Welt getroffen, er ist Ex-Cambridger, ein großartiger Dichter, dessen Werk ich schon verehrte, bevor ich ihn traf, ein breiter, ungeschlachter, robuster Adam, halb Franzose, halb Ire (und eine gute Portion Yorkshire-Bauerngeschlecht nicht zu vergessen), mit einer Stimme wie der Donner Gottes – ein Sänger, Geschichtenerzähler, Löwe und Weltenbummler, ein ruheloser Vagabund....

Autorin

... schreibt Sylvia Plath im April 1956 an ihre Mutter

9

Sprecherin 1 (Plath (Briefe nach Hause, S.239-242)

Ich muß Dir jetzt etwas erzählen, was über die Maßen kolossal und angsteinjagend ist, und bitte Dich, darüber nachzudenken und mir Deine Gedanken mitzuteilen. Es geht um diesen Mann, diesen Dichter, diesen Ted Hughes. So etwas habe ich noch nie erlebt, Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich ohne jede Einschränkung Gebrauch machen von all meinem 11

Wissen und Lachen und Starksein und Schreiben, von allem, und Du solltest ihn sehen, ihn hören!...

Gesund ist er und riesig groß... und je mehr Gedichte er schreibt, desto mehr Gedichte schreibt er. Er weiß alles über die Lebensgewohnheiten der Tiere und nimmt mich mit zu den Kühen und Blässhühnern. Ich schreibe Gedichte, die besser und stärker sind als alles, was ich zuvor gemacht habe; hier ein kurzes über eine Nacht, in der wir im Mondlischt Eulen gesucht haben:

Faun

Er uhute, mit Hüften wie ein Faun

Aus dem Gehölz, mondglitzernd und sumpfkalt,

Bis alle Eulen im zweigwirren Wald

Schwarz aufflatterte, um um sich zu schauen

Und über den Ruf dieses Mannes zu sinnen..

Kein Laut, außer von trunkenen Rallen,

Die am Flußufer entlang nach Hause schlingern.

Die Sterne wasserversunken, dass Ränge

Von doppelten Sternenaugen erhellen

Die Äste jener dort sitzenden Eulen.

Eine Arena von Augen, gelb,

Beobachtete seine wechselnden Formen,

Sah den Huf aus dem Fuß sich härten, sah Ziegen-

Hörner sprießen. Nahm wahr, wie er erstand, gen Wald 10

Galoppierte in dieser Gott-Gestalt.

Ich bin so voller Gedichte, Tag für Tag; meine Freude redet mit tausend Zungen.... Ich fühle, wie meine Stärke wächst. Ich verehre ihn nicht bloß abgöttisch, ich sehe ihm mitten ins Herz... Ich kenne mich selbst, meine Vitalität, meine Blüte, meine Entfaltung, und ich weiß, dass ich stark genug bin, heil zu bleiben, komme, was da wolle... 12

Ich bejahe diese Tage und diese Art zu leben, denn ich entfalte mich und werde meiner Stärke wegen eine Frau jenseits der Frau sein. Ich habe nie so frohlockt, die Freude, meinen ganzen Witz und meine weibliche Klugheit anwenden zu können, ist eine unsagbare Freude. Was für einen immensen Humor wir haben, was für eine Kraft zu laufen!

Musik

O-Ton 1: S.Plath

The Applicant 1.40

O-Ton 2/ Ted Hughes

Lovesong 2.12

Deutsche Übersetzungen

Sprecherin 1

S.Plath: Der Bewerber/Ariel S.15

Erstens, bist du unsere Art Person?

Trägst du

Ein Glasauge, falsche Zähne oder Krücken, eine Gurt oder einen Haken,

Gummibrüste oder eine Gummischam,

Nähte zu zeigen, es fehlt was? Nein, nein? Aber dann –

Wie können wir dir was geben?

Hör zu weinen auf. 11

Öffne die Hand.

Leer? Leer. Da ist eine Hand,

Sie zu füllen und willens 13

Tassen Tee zu bringen und Kopfschmerzeh wegzumassieren

Und zu tun, was du ihr sagst.

Willst du sie heiraten? sie wird dir – wir garantieren –

Die Augen zudrücken zuletzt

Und zerfließen in Tränen.

Wir machen neue Suppe aus dem Sal.

Ich sehe, du bist splitternackt.

Wär dieser Anzug nicht recht? –

Schwarz und steif, aber sitzt nicht schlecht.

Willst du ihn heiraten? Willst du ihn haben?

Wasserdicht, splitterfest, gibt nicht nach,

Auch nicht bei Feuer und Bomben durchs Dach.

Glaub mir, sie werden dich in ihm begraben.

Nun dien Kopf, verzeih, der ist leer.

Ich habe gerade das Rechte dafür.

Komm, Süße, her aus dem Spind!

Was hälst du davon? Nackt wie Papier zu Beginn

Doch in fünfundzwanzig Jahren wird sie Silber sein,

In fünfzig, Gold.

12

Eine lebende Puppe, allseits zu sehen.

Sie kann nähen, sie kann kochen,

Sie kann sprechen, sprechen, sprechen.

Sie funktioniert. Nichts in Unordnung. Gehbereit.

Du hast ein Loch; sie ist ein Breiumschlag.

Du hast ein Auge; sie ist ein Bild.

Mein Junge, es ist deine letzte Gelegenheit.

Willst du sie heiraten, heiraten, heiraten. 14

Sprecher 1

T.Hughes: Liebeslied/Krähe S. 157

Er liebte sie und sie liebte ihn

Seine Küsse saugten ihr die ganze Vergangenheit und Zukunft aus oder versuchtens

Auf nichts anderes hatte er Lust

Sie biss ihn sie knabberte sie saugte

Sie wollte ihn ganz in sich

Sicher und heil und auf immer und ewig

Die kleinen Schreie beider flatterten in die Gardinen.

Ihre Augen wollten nichts fortlassen

Ihre Blicke nagelten seine Hände fest seine Handgelenke seine Ellbogen

Er fasste sie hart an damit das Leben

Sie nicht verschleppte aus diesem Augenblick 13

Er wollte dass alle Zukunft ende

Er wollte mit ihr in den Armen

Vom Rand dieses Augenblicks abstürzen ins Nichts

Oder Immerwährende oder was da eben war

Sie umarmte ihn mit ungeheurem Druck

Der ihn in ihre Knochen prägte.

Sein Lächeln war das Dachgehäuse eines Feenpalasts

In den die wirkliche Welt nie käme

Ihr Lächeln war ein Spinnenbiss

Also lag er still bis sie sich hungrig fühlte

Seine Worte waren Besatzungsarmeen

Ihre Lachsalven waren versuchte Attentate

Seine Blicke waren Kugeln Rachedolche

Ihre Blicke waren Geister in der Ecke mit fürchterlichen Geheimnissen

Sein Flüstern war Peitsche und Reitstiefel

Ihre Küssen waren Rechtsanwälte, die immerfort schrieben

Seine Liebkosungen waren der letzte Halt eines Schiffbrüchigen

Ihre Liebestricks knackten eiserne Riegel 15

Und beider tiefe Schreie krochen über die Böden

Wie ein Tier, das eine große Falle mitschleppt

Seine Versprechen waren der Knebel des Chirurgen

Ihre Versprechen hoben ihm das Schädeldach ab

14

Sie würde sich eine Brosche draus machen lassen

Seine Schwüre zogen ihr alle Sehnen heraus

Er zeigte ihr wie man einen Liebesknoten machte

Ihre Schwüre steckten seine Augen in Formalin

Hinten in ihrer geheimen Schublade

Beider Schreie blieben in der Wand stecken

Ihre Köpfe fielen in den Schlaf auseinander wie zwei Hälften

Einer gespaltenen Melone, aber Liebe ist schwer zu bremsen

In ihrem verschlungenen Schlaf tauschten sie Arme und Beine aus

In ihren Träumen nahmen sich ihre Gehirne einander als Geißeln

Am Morgen trug einer des andern Gesicht

Musik

O-Ton Bronfen 2 1.30

Man könnte auch sagen, dass Hughes irgendwie auch Schwierigkeiten damit hatte, mit einer Frau zusammen zu sein, die selber Dichterin sein wollte. Darüber ist ja auch von verschiedenen Zeitgenossen, vor allem dem Alvarez, der ja auch ein ganzes Buch über die Frage von literarischem Selbstmord geschrieben hat, und der beschreibt ja diese Szene, wie er Hughes und seine junge Frau besucht, und gar nicht weiß, das ist Sylvia Plath, deren Gedichte er eigentlich auch kennt. Das heißt, da waren sicherlich zwei Lebenswege, die sich gegenseitig so beeinflusst haben, dass natürlich jeder für den anderen eine Hauptrolle in deren Phantasieleben gespielt hat. Und wie stark das der Fall bei Sylvia Plath war, hat Hughes vielleicht auch wirklich erst nachträglich erfahren. Aber andersrum war ja Plath auch eine ganz wichtige Figur im Phantasieeben von Hughes. Das ist ja genau das Problem, wenn zwei Autoren so ambitioniert zusammen kommen und dann natürlich noch dazu schlussendlich 16 eine Form von persönlicher Lyrik schreiben, dass sie das ganze Lebensmaterial um sie herum für das benutzen, was sie machen. Dann ist man natürlich immer die Hauptfigur im Phantasieleben und dann auch im Oeuvre des anderen

O-Ton Nölle 3 0.30

15

Er hat nach ihrem Tod mal gesagt, sie war auch wahnsinnig ehrgeizig und wenn sie morgens nicht soundso viele Stunden zum Schreiben hatte, dann war sie unglücklich und depressed und man konnte kaum mit ihr zusammen leben. Und es kommt nur zwischen den Zeilen vor, dass sie selbstständig alle seine Gedichte getippt hat. Das heißt sie hat geschrieben, den Haushalt gemacht und auch noch seine Sachen abgetippt, aber das war so selbstverständlich, dass das gar nicht zum Thema wurde.

O-Ton Bronfen 4 0.39

Ja natürlich, sie tippt seine Gedichte ab. Sie soll diejenige sein, die, wenn dann Gäste kommen, das Essen vorbereitet hat und die Cocktails, und die die Kinder nicht nur zur Welt bringt, sondern auch auf die Kinder aufpasst, die ihm eine Muse darstellen soll, also durchaus auch – und da denke ich, ist aber auch ein Widerspruch innerhalb der britischen Kultur ein Widerspruch. Das wäre bei den britischen Arbeiterfrauen gar keine Erwartung mehr gewesen,, aber in der Welt, in der Hughes sich dann bewegt, das ist ja das komische, gerade in der Welt der Dichter und Denker haben es die Frauen in den 50er Jahren sehr schwer, sich zu behaupten.

O-Ton Nölle 9 0.33

Man könnte ja auch gut darauf kommen, dass er ein Frauenverbraucher war, denn sie ist ja nicht die einzige Frau in seinem Leben, die gestorben war, sondern sechs Jahre später ist seine Geliebte in den Tod gegangen und hat ihr und sein Kind mitgenommen. Das heißt, da war etwas besonders Zehrendes an den Verhältnissen, die er zu Frauen hatte. Und dass da ein früher Feminismus darauf kommt, schuld ist nur der Mann und Opfer ist die Frau, ist nur logisch. 17

Autorin

Der Opfer/Täter-Rollen entsprechen auch unsere Bilder und Vorstellungen angesichts der Fragen, die mit dem Selbstmord der Dichterin Plath unbeantwortet bleiben: Warum hat sie sich umgebracht? Wie konnte sie das tun? Im Zimmer über der Küche schliefen ihre Kinder. Wie konnte sie sicher sein, dass das Gas nicht durch die abgedichteten Ritzen durchdringen würde? Und: Welche Rolle spielte ihr Ehemann wirklich, „der rauhe Heathcliff-gleiche Dichter Ted Hughes“? Er wurde ihr Testamentsvollstrecker, der ebenso sorglos wie rigide mit ihrem Nachlass umging, der aber auch ihren Ruhm begründete. Der Vergleich mit Heathcliff, dem Helden aus Emily Brontés Roman „Sturmhöhe“ stammt von der Schriftstellerin Erica Jong, die Hughes 1971 bei einer Lesung kennenlernte. Sie war fasziniert von einer erotischen Ausstrahlung. Er sei ein geborener Verführer gewesen, und nur ihre Angst vor Sylvias Geist habe sie vor ihm gerettet.

Sprecherin 2

Um Plaths Wirkung zu erklären, muß man zuerst eine Skizze der damaligen Zeit zeichnen. Für meine Generation (die Mitte der Sechziger das College abschloß - noch bevor die sechziger "The Sixties" wurden), war Dichtkunst eine urmännliche

16

Angelegenheit. Weibliche Dichter gab es nicht auf dem Kritiker-Radar. Es sei denn, um Gegenstand von Hohn und Spott zu werden. Theodore Roethke, ein wunderbarer Dichter, kritisierte die Neigung der Frauen, "sich gegen Gott aufzulehnen". Anatole Broyard, der Schriftsteller und Kritiker, erklärte meinem Schreibseminar in Barnard, wir Frauen würden einfach nicht die Erfahrungen mitbringen, die Schriftsteller erst ausmachten. Weder betranken wir uns in Bars in Pigalle, noch lasen wir Prostituierte in anrüchigen Hotels an der Left Bank auf, noch rannten wir mit den Stieren von Pamplona um die Wette. Wir tranken nicht genug (noch nicht). Wir kotzten nicht auf die Straßen (noch nicht). Unser Leben war festgelegt: Wir waren zum Mutterdasein 18 verdammt. Domestizierte Tiere und künftige Ehefrauen, die wir waren, fuhren wir eben nicht im wild angestrichenen Bus mit Neal Cassady, sangen nicht Blake mit Allan Ginsberg, wilderten nicht unter den Mädchen von Barnard, wie Broyard es tat. Wir waren zu damenhaft.

Wir, die passionierten Schriftsteller der Zukunft, studierten am College - Blake, Keats, Byron, T. S. Eliot, Ezra Pound, Dylan Thomas, W. H. Auden, Theodore Roethke, John Berryman, Robert Browning etc.

Ja, wir wußten auch um die Existenz einer Mrs. Browning, aber hatte die nicht bloß ein einziges, süßliches Gedicht geschrieben? Das war doch: "Wie ich dich liebe? Laß mich zählen wie". Oder etwa nicht? Emily Dickinson versteckte sich in der Butler Library in der so genannten "American Men of Letters"-Reihe. Edna St. Vincent Millay, die wir als Teenager genau studiert hatten, stand nicht auf dem Lehrplan des Barnard College. Dorothy Parker, die wir als Heranwachsende angebetet hatten, war als dichterisches Leichtgewicht verschrien. Die Ära der Suffragetten - die Generation unserer Großmütter - trat zwar gelegentlich als Sozialgeschichte auf, aber meistens versteckte sie sich, genau wie ihre Botschaft – dass nämlich freie Frauen die Welt verändern könnten. Später nannten wir diese Generation die erste Welle, und uns selbst die zweite. Noch mußten wir unsere eigene Welle reiten, um uns selbst als Schriftstellerinnen zu glauben.

Sylvia Plaths außergewöhnliche Stimme stellte die erste Woge dieser Welle dar. Obwohl todgeweiht, triumphierte sie doch. "Kaum eine Frau, sicherlich keine weitere "Dichterin', aber eine dieser... großen klassischen Heldinnen", schrieb Lowell. "Diese Gedichte spielen russisches Roulette mit sechs Patronen in der Trommel." Wir hatten unsere Sappho der Sechziger gefunden - kurz nachdem sie vom leukadischen Fels gesprungen war.“

Musik

Aribert Reiman: Songs for Ariel/Sabine Meyer/Duo Antenata 19

Autorin

Berühmt wurde Sylvia Plath mit dem Gedichtband „ARIEL“. Das Manuskript hatte sie - mit genauen Angaben versehen - auf den Schreibtisch gelegt hatte, bevor sie den 17

Gashahn aufdrehte. Ted Hughes hielt sich nicht an die Vorgaben seiner Frau. Und erst 2004 gab die Tochter Frieda, das ältere der beiden Kinder, „Ariel“ so heraus, wie ihre Mutter das wollte.

Sprecherin 2

Wenn ich je Zweifel hatte, dass der Selbstmord meiner Mutter sie vielmehr als ihr Werk zur feministischen Ikone machte, dann wurden die an jenem Tag im Jahr 2000 zerstört, als diese Plakette an dem Haus in der Fitzroy Road angebracht wurde, jenem Haus, in dem sie nur acht Wochen gelebt, dreizehn Gedichte geschrieben, zwei kranke Kinder betreut, die Wohnung eingerichtet und sich umgebracht hat...

Autorin

Frieda Hughes ist selber Künstlerin. Sie hat – anders als ihr Bruder – die Last der Herkunft und die Übermacht ihrer Eltern überlebt. Ihr Bruder hat sich in einem depressiven Schub auch umgebracht, allerdings erst nach dem Tod des Vaters.

Sprecherin 2

Ich fragte warum man die Plakette, die ja eine Ehrung der Dichterin, eine Verbeugung vor ihrem Werk sein soll, nicht an den Mauern des Hauses am Chalcot Square 3 angebracht hat, wo meine Mutter und mein Vater ihre erste Wohnung hatten, wo sie 21 Monate lebten, wo meine Mutter ihren Roman „Die Glasglocke“ schrieb, wo ihr Band „Der Koloss“ veröffentlicht wurde, wo sie mich zur Welt brachte. Das war ein Ort, an dem sie wirklich gelebt hat, wo sie glücklich und produktiv war – gemeinsam mit meinem Vater.... Aber über diesen Vorschlag herrschte allgemeine Empörung, man wollte das Haus 20 kennzeichnen, in dem sie als alleinerziehende Mutter gewohnt hatte, und als ich erwiderte, dass doch aber die Plaketten mit denen das kulturelle, das dichterische Erbe gekennzeichnet würden, nicht für alleinerziehende Mütter vergeben würden, erwiderte ein Journalist apodiktisch: das ist das Haus, in dem sie gestorben ist.

„Wir haben einen Grabstein., erwiderte ich. Wir brauchen nicht noch einen“.

Autorin

Auf diesem Grabstein in Yorkshire kratzen Plath Verehre oder Verehrerinnen immer wieder den Namen Hughes aus.

Sprecherin 2

Die Kritik an meinem Vater war sogar gegen seinen Besitz des Copyrights der Werke meiner Mutter gerichtet, das ihm nach ihrem Tod zufiel, und das er zum Vorteil von meinem Bruder und mir einsetzte. Dass mein Vater ARIEL herausgegeben hatte,

18 schien für viele den heiligen Selbstmord meiner Mutter zu entweihen – als ob, wie bei irgendeiner Gottheit, alles, was mit ihr zusammenhing, in Schreine gepackt und als wunderbar erhalten werden müßte.... Ich wollte nicht, dass des Todes meiner Mutter gedacht würde, als hätte er einen Preis gewonnen. Ich wollte, dass man ihr Leben feiert.

Musik

Aribert Reiman: Songs for Ariel/Sabine Meyer/Duo Antenata 21

Autorin

Nach der Party, der ersten Begegnung, die mit ihrem Biss in seine Wange endete, entwickelte sich die Liebesgeschichte zwischen Sylvia Plath und Ted Hughes rasant. Es ist die Zeit vor der Pille. Sie hat ein Diaphragma und gefällt sich in der Rolle der Verführerin. Sie ist eine erstaunlich selbstbewusste sinnliche Person.

Der Sex mit Hughes war wohl außerordentlich. Die Beiden sind schnell und heftig verliebt, sie heiraten zwei Monate nach ihrer ersten Begegnung – am 16.Juni 1956. Die Flitterwochen verbringen sie in Spanien.

Danach wohnt sie noch eine Weile in Cambridge, um ihr Examen zu machen, er in London, wo er in einer Filmfirma Geld verdient, später zieht das Paar in eine winzige Londoner Wohnung: Ein „Zimmer für sich allein“ lag für Beide in weiter Ferne. Aber: Beide schreiben. Ted Hughes erster Gedichtband erscheint und gewinnt einen renommierten Preis. Sie dagegen hat Mühe, kämpft gegen eigene Erwartungen und gesteckte Ziele:

Sprecherin 1 (Plath, Tagebuch, S.214/15)

26. Februar 1957, Dienstag. Es ist ungefähr 7Uhr 30. Bin wach seit 3 Uhr 30 tief in der Nacht, Ted nieste dauernd und kämpfte mit einer Erkältung: eisige, graue Dämmerung. Der Verstand unglaublich wach. Müssen Gedichte unterbringen. Visionen von Büchern: Gedichte, Romane. Sind wir dazu prädestiniert, so erfolgreich zu werden, wie ich mir das ausmale? Oder ist es nur ein Wunschtraum?

Montag, 4.März Ich bin blockiert, stecke fest – absoluter Stillstand. Irgend so eine Lähmung des Kopfes hat mich erstarren lassen.....

Ich schreibe nichts. Der Roman oder vielmehr das Pensum von 3-Seiten-pro-Tag ist grässlich. Ich schaffe es nicht. Ich schreibe mit einem stumpfen Bleistift, der an einem ein Kilometer langen Stock befestigt ist, über etwas, das weit hinter dem Horizont liegt. Werde ich diesen Zustand irgendwann durchbrechen können? 22

Autorin

Einen Monat später schreibt Ted Hughes an seine Familie

19

Sprecher 1

Mein Leben ist großartig und wunderbarerweise geheilt von all dem, was vorher war. Die Ehe ist mein Medium. Mein ganzes Glück kommt daher und meine Produktivität, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was für ein glückliches Leben Sylvia und ich haben. Wir arbeiten viel und und gehen das Geschriebene gemeinsam durch, korrigieren jeweils die Arbeit des anderen. Sie ist die beste Kritikerin, die ich je getroffen habe. Sie versteht meine Phantasie vollkommen - und ich die ihre.

Autorin

Das Hauptproblem jener frühen Zeit ist das Geld. Die beiden beschließen nach Amerika zu gehen, dort hat man ihr einen Einjahresvertrag an ihrem alten Smith College angeboten und er bekommt einen Lehrauftrag in Amherst. Sylvias Mutter gibt bei der Ankunft der beiden nicht nur ein großes Gartenfest, sie spendiert ihnen auch eine Woche Honeymoon. Das reine Glück einer leidenschaftlichen Liebe. Auch wenn er produktiver ist als sie. In dem Spielfilm „Sylvia“ - mit Gwyneth Paltrow als Sylvia Plath und Daniel Craig als Ted Hughes - sieht man sie im Meer tollen, er fängt Fische, sie backt unablässig Kuchen und auf seine Frage, warum sie nicht stattdessen schreibe, antwortet sie, andere Ehemänner wären begeistert, wenn ihnen ihre Frau Kuchen backen würde. In Wahrheit ist sie ziemlich verzweifelt über ihre Unproduktivität. Hinzu kommt bald die Befürchtung, schwanger zu sein. Die Angst, dass ihre Pläne ins Wanken geraten könnten: erst unabhängig sein und schreiben, Erfolg als Autorin haben und dann Kinder bekommen. 23

Sprecherin 1 (Plath/Tagebuch )

Noch nie in meinem Leben, außer in diesem tödlichen Sommer und Herbst 1953, habe ich zwei derartig schwarze, letale Wochen durchgemacht, Ich habe kein Wort darüber schreiben können, obwohl es das im Kopf tat. Der Horror, Tag für Tag sicherer, schwanger zu sein. Mir fiel meine wachsende Lässigkeit in Sachen Verhütung wieder ein, so als hätte mir damals nichts passieren können: bäng, bäng, eine Tür nach der anderen schlug unter dem dräuenden Entsetzen zu, das. das weiß ich jetzt. Eine Ende für mich, wahrscheinlich für Ted, für unser Schreiben und unsere potentiell undurchdringliche Zweisamkeit bedeutet hätte.

Autorin

In dieser Lage nimmt sie ihrem Mann alles übel: dass er nicht panisch ist wie sie, dass er sich am Haushalt nicht genug beteiligt. Der Zorn bleibt noch eine Weile, auch als ihre Monatsblutung einsetzt.

Sprecherin 2

Wie tragikomisch ist der Krieg der Geschlechter – in dem die Provokation fast immer daher rührt, dass sich hinter dem kleinen Schutzzaun des Pronomens »wir« sein

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»ich« an ihrem »ich« reibt. Doch es ist ein echter Krieg und deswegen ist die Ehe von Sylvia Plath und Ted Hughes von so nachhaltigem Interesse.

Autorin

Schreibt Diane Middlebrook in ihrer Paarbiographie „Du wolltest Deine Sterne“

Sprecherin 2

Sie waren zu Beginn so leidenschaftlich verliebt, so aufeinander eingestimmt in den Jahren, als sie darum rangen, Künstler zu werden. Und dennoch wurden ihre Unterschiede schließlich unversöhnlich, und ihre Ehe fand das katastrophalste Ende, das durch eigenes Tun denkbar 24 war. Wenn Beziehungen zerbrechen, lassen sich die Bruchlinien meist daran erkennen, wie die Scherben fallen.

Autorin

Bruchlinien sind während ihres zweijährigen Amerika-Aufenthalts erkennbar: ihre manische Eifersucht, seine Untreue. Ted Hughes war ein erfolgreicher veröffentlichter Lyriker, sie in dieser Zeit die Frau an seiner Seite. Seine Studentinnen himmelten ihn an, offenbar eine besonders. Sylvia Plath, die schon vor der Ehe um den erotischen Ruf von Hughes wusste, macht ihm furchtbare Szenen und Vorwürfe, er streitet alles ab. Eine dieser Szenen endet in körperlichen Auseinandersetzungen - und im Bett. Danach scheint alles wieder gut, aber – wie immer in solchen Geschichten – bleibt das Misstrauen, das sich später vervielfachen wird. Ihre Angst, verlassen zu werden, war ein wesentlicher Motor. Ihr Vater starb, als sie acht Jahre alt war. Und Ted Hughes war nicht nur ihr Mann und Geliebter, er war auch Vaterersatz. Sie hadert mit ihrer Vorstellung von Liebe und davon, was und wie eine richtige Frau zu sein hat.

O-Ton Bronfen 10 0.25

Dieser schreckliche Satz, den ich trotzdem wahnsinnig gerne allen meinen Studentinnen gegenüber zitiere, also auf Englisch: Every woman loves a Nazi with his boot in her face. Und das wäre dann etwa auf deutsch: jede Frau will einen Nazi, der ihr seinen Stiefel ins Gesicht presst. Das ist so einer ihrer zentralen Liebessätze.

O-Ton Nölle 4 0.27

Ich glaube, sie wollte in allem die beste sein, aber ich glaube auch ein bisschen, dass es eine 25

Legitimation war für sie. Nur wenn sie auch eine gute Hausfrau und gute Mutter sein konnte, durfte sie eine tolle Schriftstellerin sein. Also sie hätte - glaube ich - nicht den

21

Mut gehabt zu sagen, ich schreibe, alles andere ist mir egal. Ihre Verwirklichung als Frau ging sehr über die traditionellen weiblichen Rollen.

Musik

Autorin

Die Verlängerung ihrer gut bezahlten amerikanischen Lehraufträge lehnen die Beiden ab, sie entscheiden sich gegen Sicherheit und festes Einkommen, gehen zurück nach London (wieder in eine enge, viel zu kleine Wohnung), wählen das freie Schriftstellerleben. Und dass, obwohl Sylvia Plath schwanger ist, gewollt dieses Mal, mehr noch: ersehnt und als es nicht gleich geklappt hatte mit großer Furcht besetzt, sie könne unfruchtbar sein. Ihr Hang zum Drama, zu übertriebenen Szenen bestimmt einmal mehr das Eheleben. Hughes, muss zurechtkommen mit Plath wildem, pessimistischen und depressivem Drang.

Sprecher 1 (Hughes/ Briefe)

Ich akzeptierte ihr Temperament & die daraus folgenden Bedürfnisse als Gegebenheiten, die zu beachten, zu erdulden waren, um die man sich zu kümmern und wenn möglich zu heilen hatte.

Sprecherin 1 ( Plath/ Tagebücher )

Es ist, als würde mein Leben auf magische Weise durch zwei elektrische Ströme angetrieben: einen fröhlich positiven und einen verzweifelt negativen – der, der gerade dran ist, bestimmt und durchflutet mein Leben. 26

Autorin

Am 1. April 1960 wird die Tochter Frieda Rebecca geboren - zu Hause, mit einer indischen Hebamme und einem Arzt, der keine Betäubungsmittel dabei hat. Sylvia Plath ist froh und euphorisch...

Sprecherin 1 (Plath Tagebuch S. 386)

Alles scheint viel ruhiger und friedvoller, seit das Baby da ist.... Ted wird ein Arbeitszimmer und vollkommene Ruhe haben, sobald ich wieder ganz bei Kräften bin und Kind und Haushalt übernehmen kann, Im Moment bin ich darauf angewiesen, das er kocht, einkauft, in den Waschsalon geht, etc., etc., aber dank seiner unschätzbaren Hilfe (die so viel besser ist als die eines Fremden) werde ich schnell zu meinem normalen Leben zurückkehren können.

O-Ton „Sylvia“ 50.20-50.45

Babygeschrei

22

Autorin

Eigentlich ist die Geschichte ab jetzt schnell erzählt, sie steckt voller Klischees, voll erwartbarer und oft gehörter Dramen. Ein Jahr nach der Geburt von Frieda erleidet Sylvia Plath eine Fehlgeburt, und noch ein Jahr später wird ihr zweites Kind, ihr Sohn Nicholas in Devon geboren. Das Verhältnis zwischen Vater und Tochter ist innig. Das Verhältnis zwischen dem Ehepaar wird immer schwieriger. Sie sind im September 1961 aufs Land gezogen, in die Nähe von Dartmoor in ein Dorf dreißig Kilometer von Exeter entfernt. Dort 27 haben sie ein altes, renovierungsbedürftiges Pfarrhaus - Court Green - gekauft mit all ihren Ersparnissen und der finanziellen Unterstützung der beiden Mütter. Die erste Zeit dort ist wunderbar, man fühlt sich angekommen, träumt vom ruhigen Landleben, der Verbindung von Natur und Schreiben, von Besuchern, die am großen Esstisch sitzen und glücklich aufwachsenden Kindern. All die Vorstadtfamilien, die bis heute nur das Beste wollen für ihre Kinder, haben den gleichen Traum. Ted Hughes ist 31 Jahre alt, er schreinert seiner Frau einen Schreibtisch, seiner Tochter eine Spielzeugkiste, er geht auf Versteigerungen, um billige Möbel zu erstehen. Sylvia Plath richtet ein und näht Kissenbezüge, jeder hat nun ein Zimmer für sich allein. Plath schreibt an ihre Mutter, sie habe Ted nie glücklicher gesehen als beim Einzug in ihr neues Zuhause:

Sprecherin 1

Allein zu sehen, wie er diesen Ort genießt und endlich das Leben führt, das er sich wünscht, gibt mir eine nie gekannte Befriedigung.

Autorin

Während Plath Stoffstreife für einen Teppich zu einem Band flicht, liest er ihr Joseph Conrads Romane vor. Sie teilen sich die Arbeit, die Betreuung der Kinder, der Alltag hat sie bald fest im Griff, da bleibt wenig Zeit für einander, für die großen Gefühle, die Leidenschaft, zumal dann, wenn die Arbeit, das Schreiben die eigentliche, die alles überstrahlende Obsession ist. Sie will ein perfektes Heim, schwärmt vom Teppich in ihrem Arbeitszimmer, wähnt sich da angekommen, wo sie schon immer hinwollte (Haus, Kinder, Ehemann, Zeit zum Schreiben) und merkt nicht, dass sie dem Ende nah ist. Er hat viel zu tun in London, bei 28 der BBC, bei seinem Verlag, er ist immer noch der Erfolgreichere in diesem Dichter- Duo. Sie sitzt zu Hause, wartet auf ihn, hadert mit ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, macht ihm Eifersuchtsszenen. Einmal telefoniert er zu lange mit einer BBC- Redakteurin. Sie ist außer sich, zieht das Telefonkabel aus der Wand, zerreißt die Manuskriptseiten, die auf seinem Schreibtisch liegen.

Sprecherin 1 (Plath , Liebesgedichte S.68)

(auf Telefongeräusch legen?)

23

Worte, zufällig am Telefon mitgehört

O Schlamm, Schlamm, wie flüssig! –

Dick wie ausländischer Kaffee und mit lahmem Puls.

Sprich, sprich! Wer ist da? Es st der Gedärmepuls, Liebhaber des Verdaulichen.

Er ist es, der diese Silben abführt.

Was sind das für Wörter, für Wörter?

Sie plumpsen wie Schlamm.

O Gott, wie soll ich je den Telefontisch sauberkriegen?

Sie pressen sich aus der viellöchrigen Hörmuschel, sie suchen nach einem Zuhörer.

Ist er hier? 29

Nun ist der Raum am Zischen. Das Gerät

Zieht seine Tentakel zurück.

Aber der Laich sickert in mein Herz. Er ist furchtbar.

Drecktrichter, Drecktrichter –

Du bist zu groß. Sie müssen dich zurücknehmen!

Autorin

Die Eifersucht und die Angst. Ihre Angst, verlassen zu werden, allein zu sein, sein Bedürfnis nach Freiheit und Abenteuer. Nichts ungewöhnliches, nirgends. Und dann tritt tatsächlich die gefürchtete andere Frau auf: Sie haben Assia Wevill und ihren Mann übers Wochenende eingeladen, die Beiden hatten ihre Londoner Wohnung gemietet, Sylvia Plath mag sie, aber: er verliebt sich in sie, endlich ist da wieder Leidenschaft, kein Kindergebrüll, stattdessen Sex im Hotel, keine praktisch angezogene Ehefrau, stattdessen eine elegante Geliebte. Hier wird die Geschichte zwischen den beiden begabten Dichtern ganz gewöhnlich. Allerdings reagiert Sylvia Plath nicht wie Hughes sich das vielleicht vorgestellt hatte (und wie seine zweite Frau das dann auch tat): Sie akzeptiert nicht das andere, geheime Leben ihres Mannes, der den außerhäuslichen Sex sucht, der Ablenkung braucht und vielleicht auch eine Frau, die weniger anstrengend ist. Eine Weile kann er seine Affäre geheim halten, 24 aber dann eskaliert die Situation, das Telefon klingelt, sie hebt den Hörer ab, erkennt in der verstellten Stimme Assia Wevill, stellt Hughes zur Rede, er gesteht, fährt nach London, sie zündet einen Scheiterhaufen an, in dem sie ihr Glück und ihre Hoffnung verbrennt – und das Manuskript des Romans, an dem sie gerade arbeitet; er sollte eine große, ihre Liebesgeschichte erzählen. 30

Sprecherin 2

Sylvia hatte ein riesiges Feuer am Ende des gepflasterten Hofes gemacht. (Ted war in London.) Ich kümmerte mich in der Küche um die Kinder, als ich merkte, was sich draußen abspielte.

Autorin

Erinnert sich ihre Mutter, die gerade zu Besuch war

Sprecherin 2

Als ich hilflos in der Tür stand, mit dem kleinen Nick auf dem Arm und bemüht, Frieda davon abzuhalten, zu ihrer Mutter zu laufen, sah ich, wie Sylvia in ihrer Wut das dicke Manuskript, die Fortsetzung der Glasglocke, zerriss. Bestürzt brachte ich später das Thema auf diese Zerstörungswut. Sylvia äußerte dazu nur, dass das Manuskript für sie eine Zeit der Freude symbolisiert hätte, die offenbar auf falschem Vertrauen basierte – für sie sei der Held gestorben –, und das sei sein Scheiterhaufen gewesen.

Autorin

Hughes kommt zurück, begleitet seine Frau nach Irland. Sie will das unbedingt: Eine Reise ohne Kinder. Sie wohnen bei einem Schriftstellerfreund, reden über Trennung oder Scheidung, und dann verschwindet Hughes ohne ein Wort des Abschieds, Plath und der Freund nehmen an, er sei fischen oder jagen gefahren. Zu Hause findet sie ein Telegramm ihres Mannes vor: 31

Sprecher 1

Bin in zwei Wochen zurück

Autorin

In Wirklichkeit war Ted Hughes mit Assia Wevill in Spanien. Er sorgte dafür, dass das Telegramm aus London ohne Absender geschickt wurde. Den Rest des Monats sah und hörte Plath nichts von Hughes und hatte keine Ahnung, wo er sich aufhielt; wenn der Plan einer Trennung tatsächlich einvernehmlich war, so gibt es dafür in Plaths Briefen und Gesprächen aus dieser Zeit keinen Anhaltspunkt. Als sie ihrer Mutter über die Abwesenheit und das Schweigen von Hughes berichtet, findet sie dafür eine

25 traurige Formulierung, die sich, als sich der Abstand zwischen ihnen weiter vergrößert, in ihren Briefen ein ums andere Mal wiederholt:

Sprecherin 1

Ted hat uns verlassen.

Autorin

Warum brannte er auf so brutale Weise durch? Kurz nach Plaths Tod schrieb Hughes eine reuevolle Erklärung an Plaths Mutter Aurelia, in der er sich damit verteidigte, dass er vorübergehend unzurechnungsfähig gewesen sei. Seinem Bruder Gerald schreibt er dagegen: 32

Sprecher 1

Wir können doch nicht Körper & Seele opfern für eine sichere Zukunft mit lauter Sesseln und Gardinen.

Autorin

Er flieht vor den – wie er sagt - extremen Besitzansprüchen seiner Frau.

Sie lebt in dem Haus in Devon, er ist in der Stadt, sie schreibt traurige Briefe und die Antworten ihrer Mutter und ihrer Therapeutin aus Amerika sind alle gleich: Trenn Dich, lass Dich scheiden. Sie hält es eine Weile noch aus, alleine auf dem Land, dann zieht sie in die Stadt, ihr Roman „Die Glasglocke“ erscheint ohne große Resonanz, sie sitzt frühmorgens am Tisch und schreibt ihre besten Gedichte, wie im Rausch und mit großer Kraft arbeitet sie, bevor die Kinder aufwachen. Sie findet in London eine Wohnung, renoviert, schreibt an ihre Mutter euphorische Briefe, tritt selbstbewusst auf in den literarischen Kreisen, die sie nun wieder besucht, erzählt allen von Teds Treulosigkeit und der Schlange Assia. Der Winter ist hart, der kälteste seit langer Zeit in London, die Kinder sind krank, sie ist krank, sie hofft wahrscheinlich immer noch auf die Rückkehr ihres Mannes oder vielleicht weiß sie auch, dass sie nur ohne ihn zu ihren großartigen Gedichten durchdringen konnte, dass das Leid ihr die Kraft gegeben hat. Sie weiß das, aber der Trennungsschmerz wird dadurch nicht geringer.

Musik (evt. Beethovens letzte Quartette) 33

Sprecherin 1 Zitat (Plath, Liebesgedichte S. 63)

Für einen vaterlosen Sohn

Bald wird dir eine Abwesenheit bewusst,

Die neben dir aufwächst wie ein Baum, 26

Ein Todesbaum, Farbe dahin, ein australischer

Gummibaum -

Verkahlend, kastriert vom Blitz - eine Täuschung

Und ein Himmel wie ein Schweinehintern, ein äußerster

Mangel an Beachtung.

Aber jetzt hast du keinen Schimmer.

Und ich liebe deine Dummheit,

Ihren blinden Spiegel. Ich schaue hinein

Und finde kein anderes Gesicht als meins, und du findest das komisch.

Es ist gut für mich,

Dass ich dich habe, der meine Nase packt wie eine Leitersprosse.

Eines Tages fasst du vielleicht, was falsch ist.

Die kleinen Schädel, die zerschmetterten blauen Hügel, das gottfürchterliche Schweigen.

Bis dahin ist dein Lächeln gefundenes Geld.

Musik 34

Autorin

Sylvia Plath war traurig und wohl auch am Ende ihrer Kräfte, panisch und voller Angst, dass sie es alleine nicht schaffen würde. Als sie bei einer Freundin, die von ihr bewunderte Doris Lessing trifft, sagt die später über Sylvia Plath, sie sei gezeichnet gewesen von einer

Sprecherin 2 27

weiß glühenden Verzweiflung

Autorin

Ihr Hausarzt verschreibt ihr gegen die depressiven Schübe ein Mittel, über das man später streiten wird, ob es den Selbstmord nicht befördert habe. Ted Hughes kommt vorbei, geht mit Frieda in den Park.

Musik (unter Dialog)

Sprecherin 1

Ich vermisse Dich. so

Sprecher 1

Ich Dich auch.

Sprecherin 1

Bleib.

Sprecher 1

Ich kann nicht 35

Musik

Autorin

Assia Wevill war schwanger, ob Sylvia Plath das wusste oder nicht, darüber hat Ted Hughes keine Auskunft gegeben. Nach dem Selbstmord von Plath ließ das Paar das Kind abtreiben.

O-Ton Bronfen 7 1.34

Also da gibt es natürlich die eine Seite, die Ted Hughes einfach hasst für das tragische Lebensgeschichte seiner Frau, ihn dafür verantwortlich macht und dann sagt, dann ist mir einfach auch egal, was er anschließend geschrieben hat, oder man kann sagen, dass ist natürlich alles sehr unglücklich gewesen, aber wer hat gesagt, dass Dichter auch gute Menschen sein müssen. Und tatsächlich kann man sagen, ich löse das eine von dem anderen ab und schaue das Oeuvre an, und wenn man jetzt diese zwei Oeuvre miteinander vergleicht muss man natürlich sage, das Ted Hughes der unendlich viel komplexere und interessantere ist, aber das sagt man natürlich auch, weil wir gar nicht wissen, was Plath anschließend noch gemacht 28 hätte. Und dann gäbe es noch eine dritte Position, die sagen würde, wie kommt man eigentlich dazu, Ted Hughes diese ganze Schuld zuzuweisen. Der hat einfach nur versucht, sich um eine mehr oder weniger schwierige bis psychisch kranke Frau zu kümmern. Und irgendwann mal konnte er das einfach nicht mehr. Und es ist dann noch immer schwer zu erklären, warum man dann gerade mit einer anderen Frau Ehebruch begehen muss, und das der Plath dann nicht sagen soll usw. usw. Aber irgendwie: wir dürfen ja doch eigentlich – finde ich – moralische, sittliche Werte an unsere Bewertungen an das Oeuvre gewisser Künstler so in den Vordergrund stellen.

Autorin

Sylvia Plath bringt sich um, legt ihren Kopf in den Gasofen, nach dem sie den Kindern Milch und Brote hingestellt, das Fenster im Kinderzimmer geöffnet und die Ritzen der Küchentür verklebt hat, damit das Gas nicht ausströmt. 36

O-Ton Nölle 14 1.08

Es war ja nicht ihr erster Selbstmordversuch, ich neige Diane Middlebrooks Beschreibung zu, dass sie wirklich manisch-depressiv war, denn die manische Phase war ja sozusagen vorher, wenn man sich die Gedichte in ARIEL anguckt und sich vorstellt, dass sie vierzig Tage lang jeden Tag ein solches Werk geschaffen hat, dann ist das kaum anders zu erklären, zumal sie in einer Wohnung saß, in der die Rohre eingefroren waren, sie ihre beiden Kinder zu versorgen hatte. Das hat sie morgens von vier bis sechs gemacht. Das war ihre Schreibphase, und dass sie dann in ein tiefes Loch gefallen ist, aus dem sie leider wirklich gar nicht mehr rauskam, lässt sich auch durch die Krankheit erklären. Ich bin natürlich keine Medizinerin, aber ich kann es mir besser als Krankheit erklären anstatt jetzt zu sagen, da hat sich jemand getrieben oder so was. Da war dieser Bruch in ihrer Persönlichkeit.

Musik

Autorin

Ob sie gefunden werden wollte, ob sie wirklich sterben wollte, ob das falsche Medikament sie in den Tod trieb. Es gibt darauf keine Antworten. Vielleicht war es die plötzlich unaufschiebbare Sucht nach dem Tod, nach der Erfüllung, die - wie ihre Freundin und Kollegin Anne Sexton, mit der sie in Boston immer wieder und manisch über Selbstmord geredet hatte (die sich selber später umbrachte) – wie Anne Sexton es ausdrückt – sie mit ihrem Tod erreichte, der ihr Werk lebendig und unsterblich machte, mit diesen letzten Gedichten, die die Zeit aufheben, wie Sexton es formuliert.

Eine Woche vor ihrem Selbstmord hatte sie an ihre Mutter geschrieben: 37

Sprecherin 1 ( Plath /Briefe nach Hause S. 537)

29

Gerade jetzt brauchen mich die Kinder am meisten, deshalb werde ich versuchen, in den nächsten paar Jahren auch weiterhin morgens zu schreiben, nachmittags mit ihnen zusammen zu sein und abends Freunde zu treffen oder zu lernen und zu lesen....#Ich werde demnächst auf Kosten des nationalen Gesundheitsdienstes zu einer Ärztin gehen, zu der mich mein ausgezeichneter hiesiger Arzt überweisen hat. Ich hoffe, dass mir das hilft, diese schwierige Zeit zu überstehen.

Musik

Sprecher 2 ( Hughes /BIrthday Letters S.190/91)

Leben nach dem Tod

Was kann ich über das Leben

Nach dem Tod sagen, das du nicht weißt?

Die Augen deines Sohnes, die uns mit deiner

Slawischen, asiatischen, epikantischen

Falte verwirrten, aber so

Ganz und gar deine Augen werden sollten, wurden feuchte Diamanten,

Die härteste Materie aus reinstem Schmerz,

Als ich ihn in seinem weißen Hochstuhl fütterte.

Große Hände des Grams wrangen und wrangen 38

Das nasse Gewebe seines Gesichts. Sie wrangen seine Tränen aus.

Aber sein Mund verriet dich – er

Nahm den Löffel an aus meiner körperlosen Hand,

Die aus dem Leben herüberreichte, das dich überlebt hatte.

Tag für Tag wurde seine Schwester

Blasser wegen der Wunde,

30

Die sie nicht sehen, berühren oder fühlen konnte, über die ich

Täglich ihr blaues bretonisches Jäckchen zog.

Musik

Autorin

Kurz bevor sie Ted Hughes kennengelernt hatte, schrieb Sylvia Plath in ihr Tagebuch: „Was ich am meisten fürchte ist der Tod der Phantasie.“ Vielleicht ist das am Ende die Erklärung für den Selbstmord. Sie hatte schwere Schübe in den Tagen vor ihrem Tod, sie nahm Schlafmittel und Antidepressiva, sie hatte vielleicht das Gefühl, ausgeschrieben zu sein. Und sie wusste um das Ende ihrer Ehe. Ihr Hausarzt hat später erklärt, sie sei höchst depressiv gewesen, krank, nicht bei Verstand, und deswegen sei jede Art psychologischer Erklärung unangemessen.

Im Oktober 1962 – da war das Trennungs-Drama schon in vollem Gange – gab Sylvia Plath ein Interview im BBC, in dem sie ihre Freundin Ann Sexton erwähnte und Robert Lowell, die wichtig gewesen seien für ihre Arbeit. Sie klingt selbstbewusst und heiter, ganz bei sich. 39

O-Ton: S.Plath BBC 0.46

Overvoice: Sprecherin 1

Meine Gedichte entstehen unmittelbar aus den sinnlichen und emotionalen Erfahrungen.... Aber ich muss sagen, ich kann nicht mit diesen Herzensschreien sympathisieren, die von nichts anderem inspiriert sind als von einer Nadel oder einem Messer oder was auch immer. Ich glaube, dass man fähig sein sollte, Erfahrungen zu beherrschen und zu bearbeiten, selbst die allerschlimmsten wie Wahnsinn oder gefoltert zu werden, man sollte fähig sein, diese Erfahrungen aus einem aufgeklärten und intelligenten Bewusstsein heraus zu bearbeiten. Ich glaube, dass die persönliche Erfahrung keine verschlossene Kiste oder eine narzisstisch sich selbst bespiegelnde Erfahrung sein sollte.

Musik

„Sylvia“ 1.37.37-1.38

Autorin

Eine schreckliche Geschichte muss zum Schluss noch erzählt werden.

Es geht um die Frau, um derentwillen Ted Hughes Sylvia Plath verließ oder um derentwillen sie ihn vor die Tür setzte, mit der er also eine heftige und dauernde Affäre hatte (am Ende war er mit ihr genauso lange liiert wie mit Sylvia Plath), mit der er nach dem Selbstmord von Plath eine Weile zusammenlebte, nicht zuletzt in der 31

Wohnung, in der sich Sylvia Plath umgebracht hatte, mit der er später eine Tochter hatte. Sie war die Ehefrau eines anderen jungen Lyrikers, eine Schönheit, deutsch- russischer Abstammung, geboren 1927 in , der Vater war Jude, vor den Nazis war die Familie rechtzeitig geflohen. Aufgewachsen ist sie in Tel Aviv. Sie ist für immer in die Literaturgeschichte eingegangen als die böse Rivalin von 40

Plath, als Ursache für deren Selbstmord: Assia Wevill. Eine Freundin von Plath und Hughes hat beschrieben, wie diese strahlende Frau auf dem Land, in Devon, also dort, wo Plath und Hughes sich ein Leben als freie Dichter und unbeschwerte Landbewohner ausgemalt hatten, wie sie dort eine Weile lebte, blass und traurig, wie und dass sie sich stets unter Feinden fühlte, weil alle in ihr den Grund für den Selbstmord von Sylvia Plath sahen. Das gemeinsame Leben funktionierte jedenfalls nicht, sie ging mit der kleinen Tochter zurück nach London. Hughes hatte in der Zeit wohl auch noch andere Affären, etwa mit der Tochter eines Farmers, die er später heiratete, mit der er dann 28 Jahre bis zu seinem Tod verheiratet war, eine junge Krankenschwester, keine Dichterin, im Gegenteil, wie er in einem Brief an einen Freund schrieb: Sie war ganz und gar uninteressiert an Literatur. Aber sie wurde seinen beiden Kindern eine gute Stiefmutter, nahm die späteren Affären ihres Mannes offenbar souverän hin, verwirklichte mit ihm dann auch tatsächlich den Plath-Traum vom Landleben. Seine Freundin Assia aber, jene Frau, die er umworben hatte, die er unbedingt haben oder die ihn unbedingt verführen wollte - die Erinnerungen von Freunden und Bekannten gehen da auseinander -, mit der er nach dem Selbstmord seiner Frau sich scheinbar selbstbewusst in der Öffentlichkeit zeigte, Assia Wevill brachte sich und die gemeinsame vierjährige Tochter um. Im März 1969 drehte sie wie Sylvia Plath sechs Jahre vorher den Gashahn auf. Dem Kind hatte sie einen Schlafmitteltrunk gegeben.

Ted Hughes wurde damals bei Lesungen niedergeschrien, in Australien mußte er einmal eine Veranstaltung abbrechen, weil ein Chor von Zwischenrufern „Mörder“ skandierte, er wurde in Zeitungen beschimpft, publizierte wenig. Er zog sich zurück, lebte auf dem Land, galt als menschenscheu und verweigerte viele Jahre jede Frage nach Sylvia Plath, nach ihrem Tod, nach seinem Privatleben, nach der Geliebten, die sich auch umgebracht 41 hatte. Erst 1996 sagte er zu zwei israelischen Autoren, die eine Biographie über Assia Wevill schreiben wollten:

Sprecher 1

Der Tod meiner ersten Frau hatte eine komplizierte Vorgeschichte und war unvermeidbar. Fast ihr Leben lang war sie auf ihn zugesteuert. Aber Assias Tod war vermeidbar.

Musik

„Sylvia“ 1.42-1-43-50

O-Ton Nölle 8 1.03 32

Ich glaube natürlich, dass der frühe Tod sie sehr zum Gesprächsthema gemacht haben, und dass dadurch ein großes Interesse war, aber vielleicht ist wirklich das Tolle, das beide Dichter wurden, wenn man sich sonst Dichterpaare anguckt, dann ist er wichtig und sie versucht auch ein bisschen. Und die Beiden haben sich ja wirklich gegenseitig gefördert und gefordert. Und haben auch ihre Fantasiewelten gemeinsam ausgelotet und haben auch gemeinsam geschaut, was soll das Verhältnis zwischen unserer Gedankenwelt und dem geschriebene Wort sein, und das heißt, sie haben auch wirklich außerordentlich feine Werke geschaffen. Und das Beides: Also das es da so eine Beziehung gab, die hin und her ging, und beide durften und mussten und dass dann noch so tolle Sahen dabei herauskommen. Das ist das, was sie zu diesem einzigartigen Paar machen.

Musik wieder hoch

Darauf Absage

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