Freddie» West, VC, CBE, MC
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Air Commodore «Freddie» West, V.C., C.B.E., M.C. P. R. REID DIPLOMAT ZWISCHEN DEN FRONTEN EIN LEBENSBERICHT Mit 14 Abbildungen VERLAG HUBER & CO. AG, FRAUENFELD Die Übersetzung besorgte Duri Troesch nach der englischen Originalausgabe «Winged Diplomat, The Life Story of Air Commodore Freddie West» (Chatto & Windus, London 1962) 1963 Verlag Huber & Co. AG, Frauenfeld Satz und Druck von Huber & Co. AG, Frauenfeld Umschlagentwurf: Atelier der Werbeagentur Roland Hauert, Zürich Printed in Svritzerland Eingescannt mit OCR-Software ABBYY Fine Reader VORWORT Ich traf Air Commodore Freddie West, Träger des Viktoria- und des Militärkreuzes, gegen Mitte des zweiten Weltkrieges in der Schweiz, wo er seit Kriegsbeginn – mit dem britischen Gesandten und einer Handvoll anderer Gesandtschaftsbeamten – trotz dem vernichtenden Spott seiner deut- schen Gegenspieler, ihren Intrigen und sonstigen Winkelzügen die «Festung» für Grossbritannien hielt. Ich wusste, dass sein Leben bedroht war. Aber während des ganzen Krieges gelang es ihm immer, über den Dingen zu stehen und ihnen eine heitere Seite abzugewinnen. Neugier und Bewun- derung spornten mich an, das Freddie West und sein Wesen umhüllende Geheimnis zu lüften. Ich brauchte fünfzehn Jahre, bis ich sein Vertrauen gewonnen hatte und er mir einen Einblick in sein Leben gestattete. Das so erhaltene Bild habe ich nachfolgend wiederzugeben versucht. Es ist die Lebensgeschichte eines Man- nes, der noch unter uns weilt. Aus diesem Grunde wird der Leser sicher ver- stehen, dass die Weglassung einiger weniger Tatsachen unumgänglich war. P. R. Reid 5 KINDHEIT IN MAILAND Meine Mutter, das sah ich, war tieftraurig. Sie hatte gerade meinen Vater verloren und kleidete sich jetzt ganz schwarz, während sie sonst farbenfrohe Kleider liebte. Jene langen, glänzenden Seidenjupes, die mit Rüschen abgesetzt waren, standen ihr gut. Und mit ihren zartro- sigen Wangen und den grossen dunklen Augen, die unter den breit- randigen Hüten jener Zeit hervorschauten, war meine Mutter eine überaus schöne Frau. Damals glaubte ich allerdings, dass sie jeden Tag einen neuen Hut trug – und alle glichen umgestülpten Blumentöpfen. An meinen Vater kann ich mich nicht erinnern. Aber sehr gut weiss ich noch, wie man mir erzählte, dass irgendwo Krieg war, der Buren- krieg. Und meine Mutter sagte mir, dass auch Daddy ausgezogen sei, um gegen die Buren zu kämpfen. Eines Tages kam meine Mutter mit zerfurchtem und verweintem Gesicht in das Kinderzimmer und be- richtete mir schluchzend, dass die Buren Daddy wahrscheinlich ge- tötet hatten; er werde vermisst. Mummy tat mir leid. Damals – es war 1902 – lebten wir am Princes Square, London W. 2, in einem zweistöckigen, mit grauem Stuck verzierten Haus im Stil der Jahrhundertwende. Mir erschien das Haus gross, mit weiten Räumen und weissen Decken, die von mehreren Reihen geschnitzter Holzbänder eingerahmt waren. Als die Vermisst- meldung meines Vaters bestätigt wurde, beschloss meine Mutter, nach Italien zu ziehen. Meine Mutter war Französin. Bevor sie heiratete, stand ihr der Titel Comtesse Clémence de la Gard de Saignes zu. Ihre Familie stammte aus der Auvergne. Aber warum sollten wir nach Italien 7 gehen? «Ich habe dort eine Schwester», beantwortete sie meine Frage. Ich war als ein englischer Junge aufgewachsen. Meine Mutter hatte mir nie viel über Frankreich oder Italien erzählt. Sie hat das – ich bin sicher – meines Vaters wegen unterlassen, den sie innig geliebt hatte. Als er uns verliess, übertrug sie die ganze Liebe auf mich. Ich war ihr einziges Kind. Meine Eltern hatten 1894 geheiratet, als Vater achtundzwanzig und Mutter achtzehn Jahre alt war. Vater stand im Dienste des East- Lancashire-Regimentes; als dieses Regiment aber ins Ausland verlegt wurde, nahm er seinen Abschied, um bei Mutter bleiben zu können. Dann kam der Burenkrieg, und er meldete sich sofort als Freiwilliger. Erst Jahre danach erfuhr ich, warum wir England verlassen hatten, um nach Mailand zu gehen. In der Familie meines Vaters hatte es einen Zwist gegeben. Er begann, als er eine Ausländerin heiratete, und wurde vertieft, als er seinen Abschied vom Regiment nahm. Nach dem Tode meines Vaters trat eine völlige Entfremdung zwischen sei- ner Familie und meiner Mutter ein. Meine Tante in Italien hiess Mary, und Mutter erzählte mir, sie lebe in einem grossen Kloster als Nonne. Ich stellte mir vor, dass eine Nonne eine unfehlbare und wachsame Kinderfrau sei, die auf das Jesuskind aufpasse; und dass ein Kloster ein Ort sei, den man meiden müsse, weil es dort viel zu viele wachsame Kinderfrauen gab. Als wir in die Wohnung im fünften Stock einzogen, die meine Mutter ganz oben in dem zu jener Zeit höchsten Gebäude von Mai- land, einem Palazzo in der Via Brera, gemietet hatte, trat die kleine, nur etwa einen Meter sechsundfünfzig grosse Adèle in mein Leben. Adèle war das Dienstmädchen meiner Mutter und sollte sich von Zeit zu Zeit auch um mich kümmern. Ich betrachtete sie als Spielkamera- din. Ihre runden schwarzen Augen sagten mir alles, was ich wissen wollte – was hiess, dass ich genau wusste, wie weit ich gehen konnte, wenn ich sie neckte. Ihre Augen waren wie die eines Hundes, eines Pudels, und sie blickten so zärtlich, dass ich Adele deswegen oft neckte. Wenn ich schnell zu ihr sprach, blickten ihre Augen verwirrt und erschrocken. Sie verstand kein Englisch, aber sie wollte mich ver- 8 stehen. Meine Mutter schickte mich oft mit ihr zum Spielen in die nahen öffentlichen Parkanlagen, die fast im Zentrum der Stadt lagen, etwa drei Kilometer vom grossen Bahnhof entfernt. «Du darfst einmal in der Kutsche mit den Ziegen fahren», sagte meine Mutter, «aber benimm dich so, dass die anderen Kinder sehen, wie wohlerzogen ein kleiner englischer Junge ist.» Die offene, hellgelb gestrichene Kutsche mit den vier grossen Rädern bot genug Platz für Adèle und mich. Zwei langhaarige Ziegen mit gebogenen Hörnern waren nebeneinander an langen, mit Metallknöpfen und Glöckchen verzierten Lederriemen vor die Deichsel gespannt. Der Kutscher, ein runzliger alter Mann mit weissem Bart – er war kaum grösser als Adèle – schritt neben den Ziegen her. Er hatte eine Peitsche wie ein Droschkenkutscher, seine Uniform bestand aus einer gelbgrauen Tunika und einer roten Hose; aber erst seine Mütze mit schwarzem Schirm, die einer französischen Offizierskappe glich, verlieh ihm seine volle Würde. Ich erinnere mich nicht mehr an das erste Zusammentreffen mit meiner Tante, aber sehr wohl noch an die Begegnung mit der Mutter Oberin. Schon nach wenigen Minuten sprachen die Erwachsenen angeregt französisch miteinander, während ich es mir auf dem Knie der Ehrwürdigen Mutter bequem machte. Sie plauderten über Weih- nachten und eine Krippe. Die Ehrwürdige Mutter bewunderte meine langen blonden Locken und fuhr ganz entzückt mit ihrer Hand hin- durch. «Würdest du deine Locken dem Jesuskind opfern?» fragte sie mich, und ich sagte: «Nein!» Ihr grosser weisser Brustlatz war genau vor meiner Nase. Ich tupfte ihn an, um zu sehen, wie steif er war. Die Beule, die ich dabei hinterliess, war höchst eindrucksvoll. Und ich machte mich daran, noch mehr solcher Beulen zustande zu bringen. Ich merkte, dass die Grossen mehr an meinem Haar interessiert waren als an mir selbst, und ich hatte recht. Es waren für mich prächtige Minuten, als es abgeschnitten wurde. Selten aber hatte ich meine Mutter so eifrig französisch sprechen hören, wie in dem Augenblick, als wir uns zum Gehen anschickten und bei Licht meine Beulen plötz- lich sichtbar wurden. Ich starrte ganz erschrocken zu ihr hinauf, als sie auf englisch weitersprach und mich ausschimpfte. Ich konnte nicht 9 mehr an mich halten und schluchzte bitterlich. Meine eigene Mutter verstand mich nicht. Ein paar Tage nachdem meine Locken verschwunden waren, wurde ich wieder in das Kloster mitgenommen, gegen das ich nun grosses Misstrauen hegte. Diesmal sollte ich den Kaplan, Monsignore Ratti, kennenlernen. Er war untersetzt, kräftig gebaut und ruhig in seiner Art. Er schien mich auch durch seine goldgeränderte Brille kaum zu bemerken. Zuerst hatte ich Angst, beobachtete ihn aber trotzdem in der Sakristei der Kirche, vorsichtig hinter einem Rock- zipfel meiner Mutter hervorschauend. Mutter Oberin, die uns vorstellte, sagte: «Ich habe eine Über- raschung für Sie, Monsignore, einen kleinen englischen Jungen. Freddie ist unser neuer Zögling und wäre gut geeignet als Messknabe.» Monsignore, plötzlich interessiert, drehte sich um und sah mich an. «Seine Arme sind stark; er kann an Sankt Benedikt das Weihrauch- gefäss tragen», meinte er. Dieses Weihrauchgefäss wurde für mich zu einer glänzenden Unter- haltung. Ich fühlte mich wie Aladin mit der Wunderlampe, wenn sich der blaue Rauch aufwärtsschlängelte und dabei einen fremdarti- gen Duft verbreitete. Das war ein Spass! Ich liebte diesen Geruch und die wogenden Rauchschwaden. Dann und wann rieb ich an dem Weihrauchgefäss, um zu sehen, ob es nicht zufällig doch eine Zauber- lampe sei. Ich bildete mir ein, in dem Rauch Gesichter zu erblicken. Gleichzeitig war ich beeindruckt von der bedeutsamen Aufgabe, die ich auszuführen hatte. Ihre Wichtigkeit wurde von dem scharlach- roten Talar und dem weissen, mit Spitzen versehenen Gewand, das ich hatte anziehen müssen, nachdrücklich unterstrichen. Ich hatte wirklich genügend Gelegenheit, meiner Aufgabe mit Fleiss und Begeisterung nachzukommen; während der Messe füllte ich das Weihrauchgefäss mehrere Male wieder auf und sorgte so für Rauch. Die anderen Messknaben waren italienische Jungen, die sich gegenseitig Verhaltungsmassregeln zuflüsterten; aber da