Eine Rußlandreise Im Jahr 7 Der Oktoberrevolution

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Eine Rußlandreise Im Jahr 7 Der Oktoberrevolution 632 UTOPIE kreativ, H. 201/202 (Juli/August 2007), S. 632-656 KÄTE und HERMANN DUNCKER Eine Rußlandreise im Jahr 7 der Oktoberrevolution Im Frühjahr 1924, sieben Jahre nach der Oktoberrevolution, sind Käte und Hermann Duncker in das für sie »heilige Land«, nach Sowjetrußland, gereist. Sie haben dort, zuerst in Moskau und dann 1 auf der Krim, ca. 3 /2 Monate (Hermann anschließend nochmals 6 Wochen im Kaukasus) verbracht. Von dieser Reise hat sich im Duncker-Nachlaß eine Anzahl höchst unterschiedlicher Dokumente (Briefe, Aufzeichnungen, Notizen, Termine, Adressen) erhalten.1 Es ist sicher nicht nur für den Historiker von Interesse, sich im Jahre 2007, anläßlich des 90. Jahrestages der Oktoberrevolution, mit sol- chen Dokumenten von Zeitgenossen zu beschäftigen, noch dazu, wenn es sich, wie im Fall des hier aufbereiteten Materials, um bis- her unveröffentlichte und auch nicht für eine Veröffentlichung ver- faßte Texte handelt. Käte Duncker hatte es übernommen, den Mitgliedern des engsten Familienkreises systematisch in ausführlichen Briefen über die Vorabdruck aus dem Reise zu berichten.2 Diese Briefe bilden den Hauptteil der folgenden »Jahrhundertbriefwechsel« Dokumentation, die außerdem Briefe bzw. Auszüge aus Briefen zwischen Käte und Her- mann Duncker, den Ruth einschließt, die Käte und Hermann Duncker während des Rußland- und Heinz Deutschland für aufenthaltes gewechselt haben. Die Dokumentation wird ergänzt dietz berlin zur Veröffentli- durch (vorwiegend unveröffentlichte) Texte, die lange Zeit vor der chung vorbereiten. Reise bzw. viele Jahre danach entstanden sind. All diese Texte zusammengenommen vermitteln den Nachgebore- 1 SAPMO-BArch, Berlin, nen einen recht aufschlußreichen Einblick: einerseits in die hoch- NY 4445/1; 149; 157; 233; fliegenden Hoffnungen, die sich für Menschen wie die Dunckers, die 237. Ein Reisetagebuch Hermann Dunckers, das seit Jahrzehnten in der Arbeiterbewegung für die Errichtung einer seine Frau im Brief vom sozialistischen Gesellschaft wirkten, mit den revolutionären Umwäl- 13. Januar 1925 erwähnt, zungen in Rußland verbanden. Anderseits belegen sie aber auch, hat sich hingegen nicht er- daß gerade solche Zeitgenossen die Entwicklung in Sowjetrußland halten. keinesfalls unkritisch-gläubig, sondern vielmehr selbstbewußt-kri- tisch begleiteten. 2 Aus Käte Dunckers Brie- fen ist aus Platzgründen nur Im Wechselbad überbordender Emotionen und rationaler Mei- auf den Brief vom 14. Mai nungsbildung überwog dennoch in der Summe mehr als nur ein Fun- 1924 verzichtet worden. ken Hoffnung. Käte und Hermann Duncker haben vor und nach Kleinere Auslassungen in ihrer Rußlandreise, ungeachtet aller Rückschläge, einschließlich gro- den anderen Briefen betref- ßen persönlichen Leids, stets daran festgehalten und sind dafür ein- fen ausschließlich Fragen getreten, daß die Zukunft der Menschheit nur in einer nachkapitali- zur Situation der Familie in Deutschland, Berichte über stischen, sozialistischen Gesellschaftsordnung gesichert ist. den eigenen Gesundheits- zustand, die Speisefolge, Die Rußlandreise 1924 hat eine lange Vorgeschichte, auf die hier die Zimmerausstattung und nur knapp verwiesen werden kann.3 KÄTE und HERMANN DUNCKER Rußlandreise 633 Käte und Hermann Duncker verfolgten die Entwicklung der revolu- tionären Bewegung in Rußland seit den 90er Jahren des 19. Jahr- hunderts mit großem Interesse und tiefer innerer Anteilnahme. Seit der Jahrhundertwende hatten sie an ihren Wohnorten Leipzig, Dres- den, Stuttgart und Berlin stets engen Kontakt zu russischen Studen- ten und russischen Sozialdemokraten beider Richtungen, wie Briefe, ihre »Russenabende«, Artikel, Vorträge, Polizeiberichte, aber auch Hermann Dunckers Sprachstudien und Übersetzungen belegen. Ei- nige führende Köpfe der späteren Sowjetrepublik hatten vor 1917 bei Dunckers verkehrt, an ihrem »Tisch gesessen«. Besonders intensiv und verbunden mit großen Hoffnungen ver- folgten Käte und Hermann Duncker die Ereignisse in Rußland nach der Februar-4 und erst recht nach der Oktoberrevolution5. Nach sei- ner Freistellung vom Militärdienst und der Eröffnung der Sowjet- russischen Botschaft in Berlin (Frühjahr 1918) hielt Hermann Duncker engen Kontakt zum Botschafter und seinen Mitarbeitern, von denen einige alte Bekannte waren. Seit Sommer 1920, wieder als Wanderlehrer, nunmehr für die KPD, tätig, aber auch bei Kursen für die Zentrale »stürzte« sich Hermann Duncker auf die Geschichte der russischen Revolution.6 Gestützt auf Arbeiten von Bucharin, Dubnow, Lenin, Radek, Sinow- jew und Trotzki, von denen er etliche auch ausführlich in der Partei- presse besprach, ging er dabei »ordentlich ins Geschirr«. Es bereitete ihm »große Freude, [sich] in die russische Revolution hineinzuar- beiten […], lerne doch selbst dabei.«7 In den politisch und wirtschaftlich schwierigen Nachkriegsjahren wurde sogar spontan der Gedanke an eine Übersiedlung der Fami- lie nach Sowjetrußland bzw. eine befristete Ausbildung der beiden Naturschilderungen. Aus Söhne dort erwogen, aber auch wieder verworfen. Doch immer fühl- den wenigen, relativ kurzen 8 barer wurde »die Sehnsucht, nach Rußland zu kommen«. Eine Stu- Briefen von Hermann dienreise dorthin bzw. die Teilnahme an einer der in Petrograd bzw. Duncker an seinen Sohn Moskau stattfindenden internationalen Konferenzen schienen ja auch Karl, wurden, soweit sie zu- durchaus möglich und realisierbar. Um so größer die Enttäuschung, sätzliche Informationen zur als sich diese Hoffnung mehrfach zerschlug: »Wie gerne ich zum in- Reise enthalten, Auszüge in die Dokumentation bzw. in ternationalen Kongreß ginge [III. Kongreß der Komintern], brauche die Anmerkungen aufge- ich Dir nicht zu sagen. Aber ich werde wohl nie mehr nach Rußland nommen. kommen, trotzdem wohl keiner in der Partei sich so lange und so in- tensiv mit Rußland beschäftigt hat!« »[Edwin] Hoernle reist am 3 »Der sozialdemokrati- Dienstag (24. 10. 1922) ab (nach Rußland), da übernehme ich die sche Führer Dr. Duncker, Abt. Bildung. [...] Bittel u. andere, alles nach Rußland [zum IV. Kon- Vorsteher des hiesigen Ar- greß der KI], und ich stehe da wie ein in Gedanken stehengebliebe- beitersekretariats, der, wie 9 festgestellt wurde, viel mit ner Regenschirm! O wie gern wäre ich da!« hier aufhältlichen Russen Sich diesen Wunsch zu erfüllen, war Hermann Duncker jedoch verkehrt, hat mehrfach 1 erst 1 /2 Jahre später vergönnt. Etwa im Herbst/Winter 1923 hatte Übersetzungen aus dem sich Käte Duncker in einem persönlichen Brief an Nikolai Bucharin Russischen ins Deutsche in als stellvertretenden Vorsitzenden des EKKI der KI gewandt und der ›Leipziger Volkszeitung‹ darum gebeten, ihrem von heftigem Bronchialasthma geplagten unter den Anfangsbuchsta- Mann eine Kur in einem sowjetischen Sanatorium zu ermöglichen. ben seines Namens veröf- fentlicht. Diese Artikel betra- Am 12. Januar 1924 schrieb Hermann Duncker aus Berlin an seine fen in der Hauptsache die Frau in Gotha-Siebleben: »Eben erhalte ich beiliegenden Brief sozialdemokratische Bewe- zur Weiterbeförderung. […] Ich habe einen russischen Begleitbrief gung in Rußland, und sie an Krestinski10 herausgenommen (aus dem Brief von Bucharin, den können dem Dr. Duncker 634 KÄTE und HERMANN DUNCKER Rußlandreise nur durch Führer der russi- ich zurück erbitte).11 […] Den russischen Brief von Bucharin an schen Sozialdemokraten zu- Krestinski kann ich nicht entziffern. […] Himmel, wenn Du mit- gegangen sein.« Aus einem könntest!! Das NB. von Bucharin läßt ja so etwas vermuten. O Gott, Bericht der Leiptiger Polizei wäre das alles schön. Aber fürs erste glaube ich noch gar nichts.12 aus dem Jahr 1903, zitiert nach einer Kopie in: NY Nun ist mir auch der Wortlaut Deines Briefes an Bucharin nicht er- 4445/202, Bl. 5. Ausführli- innerlich!« cher dazu u. a.: Heinz Auch in den folgenden Briefen schrieb Hermann Duncker immer Deutschland, Hermann wieder, daß er sich wünsche, die Reise mit Käte gemeinsam unter- Duncker und die russische nehmen zu können: »Höre mal, wenn es möglich wäre und Du mit revolutionäre Bewegung, nach Rußland könntest! Das wäre doch sehr, sehr fein, ach, es wäre Verlag Tribüne Berlin 1964. einfach herrlich. Und wenn Du nicht im Landtag bist, ginge es von 4 In einer Postkarte und in Deiner Seite ja ganz gut! Ach, liebes Herz, wir würden noch mal ei- einem Brief vom 30. April nen Zug Leben nehmen! […] Ach Du Liebes, ich möchte einmal eine 1917 schreibt Käte Duncker Reise mit Dir machen, wo wir so ganz ungestört miteinander plau- an ihren Mann: »Ich hatte dern könnten. Was wir so eingefrachtet haben in ca. 50 Lebens- und [gestern, 29.4., 6 bis 8 Uhr] 25 Ehejahren! Was so Bilanz genannt werden könnte! Und vor allem eine wichtige geschäftliche mit Dir einmal wieder erleben!«13 Besprechung mit Großvater Käte hingegen stand diesen Plänen zuerst recht distanziert bis ab- [Franz Mehring], Ernst [Meyer] und Löwe [Leo Jogi- lehnend gegenüber. Als Abgeordnete des Ende 1923 aufgelösten ches]«, während derer ver- Thüringer Landtages wollte sie sich dem gerade beginnenden Wahl- mutlich das von F. Mehring kampf nicht entziehen, zumal über ihre erneute Kandidatur noch unterzeichnete Grußschrei- nicht endgültig entschieden war14 und ihr im parteiinternen Intri- ben der Spartakusgruppe genspiel vorgeworfen wurde, als Mitglied der KPD-Fraktion zu in- an den Petrograder Arbeiter- aktiv gewesen zu sein. Außerdem bedrückten sie familiäre Sorgen und Soldatenrat und der (um Haushalt und Wohnungstausch, hinsichtlich der Betreuung der Spartakusbrief (Sondernum- mer vom 5. Mai) »Die große Söhne Karl und Wolfgang sowie ihrer Mutter Paula Doell), die
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