Kontroversen Der Militärethik & Sicherheitskultur

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Kontroversen Der Militärethik & Sicherheitskultur Ausgabe 2015/1 KontroversenEthik der und Militär Militärethik & Sicherheitskultur Den Gegner retten? Militärärzte und Sanitäter unter Beschuss Hilfe für Verwundete – eine zentrale Pflicht der Menschlichkeit Dr. Paul Bouvier Medizin als Waffe – die Ethik von Winning Hearts and Minds-Einsätzen Dr. Sheena M. Eagan Chamberlin Militärärzte und Sanitäter im Konflikt mit dem Kriegsvölkerrecht Oberstleutnant d. R. Cord von Einem Kameraden zuerst? Militärische vor medizinischer Notwendigkeit Prof. Dr. Michael L. Gross Ethische Spannungen im Einsatz – Erfahrungen von kanadischen Militärärzten Dr. Bryn Williams-Jones, Sonya de Laat, Dr. Matthew Hunt, Christiane Rochon, Ali Okhowat, Dr. Lisa Schwartz, Jill Horning Es geht noch besser! Medizin und die Debatte um Human Enhancement bei Soldaten Dr. Bernhard Koch Von Rollenkonflikten und Verpflichtungen – Militärärzte sind Ärzte Dr. Daniel Messelken Respekt und Distanz – Ärzte ohne Grenzen und das Militär Dr. Ulrike von Pilar, Birthe Redepenning Special: Helfer in Gefahr – neue Herausforderungen in bewaffneten Konflikten Healthcare in Danger – wie aus Helfern Opfer werden Babak Ali Naraghi Neue Werte für Sanitäter? Medizinische Ethik in militärischen Kontexten Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke Erster deutscher Militärpfarrer im Ebola-Gebiet – wer hilft den Helfenden? Andreas-Christian Tübler im Interview mit Gertrud Maria Vaske Die Gefahr der „schiefen Ebene“ – Sanitätspersonal zwischen Medizinethik und militärischem Auftrag Oberfeldarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth Lesen Sie mehr auf www.ethikundmilitaer.de Editorial Zahlreiche Begegnungen mit Militärärzten Die medizinische Ethik ist im hippokratischen und Sanitätern von Hamburg bis Mazar-i- Eid verwurzelt und die nach wie vor promi- Sharif machten mir deutlich, wie drängend nentesten Prinzipien der Medizinethik gehen ethische Fragen in der Militärmedizin sind. auf die Ethiker Tom I. Beauchamp und James Das ernsthafte Ringen um Orientierung in F. Childress zurück. Diese lauten: Respekt einer Zeit, in der sich die Einsatzszenarien vor der Patientenautonomie, das Prinzip, und das Aufgabenprofil der Sanität stark ver- dem Patienten nicht zu schaden, das Pati- ändern, waren der Grund, medizinische Ethik entenwohl und Gerechtigkeit. Daneben gibt in militärischen Kontexten zu einem Schwer- es in der Militärethik zwei zentrale Regeln, punktthema zu machen. die auch im Völkerrecht verankert sind: das Prinzip der Unterscheidung zwischen Kom- Schilderungen aus konkreten Einsatzsituati- battanten und Zivilisten und das Prinzip der onen illustrieren, dass die Regeln des huma- Proportionalität des Gewaltmitteleinsatzes. nitären Völkerrechts oft nicht problemlos in die Praxis umzusetzen sind. Wen behandele Die Brisanz der Themen und die Notwen- ich angesichts knapper Ressourcen zuerst, digkeit eines internationalen Austauschs die eigenen verwundeten Kameraden, wurden auch auf dem Symposium deutlich, die Zivilisten des Einsatzlandes oder den dass das zebis im vergangenen Jahr in der Gegner? Katholischen Akademie in München zu Mili- tärmedizinethik veranstaltete. Über 50 Ärzte, Nach den Genfer Konventionen von 1949 Sanitäter, Militärseelsorger und Offiziere dis- sind alle am Konflikt beteiligten Parteien kutierten mit Experten und in Arbeitsgruppen verpflichtet, dass Kranke und Verletzte „mit anhand konkreter Einsatzszenarien Verhal- Menschlichkeit behandelt und gepflegt wer- tenskodizes, ethische und völkerrechtliche den, ohne jede Benachteiligung aus Gründen Fragen. des Geschlechts, der Rasse, der Staatsan- gehörigkeit, der Religion, der politischen „Den Gegner retten? Militärärzte unter Meinung oder aus irgendeinem ähnlichen Beschuss“ – die dritte Ausgabe des E-Jour- Grunde.“ Militärärzte haben eine Doppelrolle nals bringt unterschiedliche Professionen zwischen zwei Professionen – Arzt und Offi- und Zugänge, Expertise und Erfahrungen zier –, von der jede ihrem eigenen „Code of zusammen. Praktiker und Wissenschaftler, Conduct“ unterliegt: Welchem Code sollen Sanitätspersonal und zivile Helfer vertiefen Militärärzte gerade folgen, dem Ethos ihrer die medizinische, militärische, völkerrechtli- zivilen ärztlichen Kollegen oder dem des che und ethische Debatte. militärischen Bezugssystems? Sollen sie ihre Urteile und Entscheidungen allein auf die So wird in den Beiträgen die Diskussion über Prinzipien einer medizinischen Ethik grün- die „militärische Notwendigkeit“ und die den oder gibt es eine spezifische Ethik, die unparteiische medizinische Versorgung in beiden beruflichen Lebens- und Erfahrungs- bewaffneten Konflikten durch konträre ethi- welten Rechnung trägt? sche Positionen abgebildet. Das aktuelle Thema des Human Enhancement bei Sol- daten, der menschlichen Optimierung, wird Ethik und Militär | Ausgabe 2015/1 2 aufgegriffen und die grundsätzliche Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit zwischen zivilen und mili- tärischen Helfern in Konflikt- und Katastro- pheneinsätzen gestellt. Mein Dank gilt all denen, die mit dieser Aus- gabe unseres E-Journals die wichtige interna- tionale Debatte über medizinethische Fragen in militärischen Kontexten voranbringen. Dafür danke ich den Autoren, den Herausge- bern und nicht zuletzt dem Redaktionsteam. Dr. Veronika Bock Direktorin des zebis Ethik und Militär | Ausgabe 2015/1 3 Hilfe für Verwundete – eine zentrale Pflicht der Menschlichkeit von Dr. Paul Bouvier Ein grundlegendes, oft vernachlässigtes ein wesentlicher Schritt zur Achtung der Men- Problem schenwürde und zur Verhinderung extremer Übergriffe und Gewalt sein. In Zeiten von Krieg und bewaffneten Konflik- ten sind alle Seiten verpflichtet, kampfunfähig In diesem kurzen Artikel1 werden einige ethi- gewordene Verwundete und Kranke sowohl sche Aspekte dieser Verpflichtung erörtert. bei den eigenen Truppen als auch in den Ausgehend von der Pflicht, einer Person in gegnerischen Reihen ohne Unterschied zu Gefahr Hilfe zu leisten, befasst der Artikel sich retten und zu versorgen. Diese Verpflichtung mit der Versorgung verwundeter Kombattan- ist ein zentraler Grundsatz des humanitären ten und Gegner und versucht, Antworten auf Völkerrechts. einige ethische Fragestellungen in diesem Zusammenhang zu geben. Seit einigen Jahren schenken sowohl die Philo- sophie als auch die Rechts- und Politikwissen- Die Pflicht, einem Menschen in Gefahr zu schaften dem Umgang mit Feinden beachtliche helfen Aufmerksamkeit – insbesondere angesichts globaler Bedrohungen und des Terrorismus. Sind wir überhaupt moralisch verpflichtet, Bislang galt das Interesse vor allem dem Fol- einem Menschen in Gefahr zu helfen? Oder ist terverbot und der Suche nach Antworten auf die Hilfeleistung nur eine Nettigkeit, eine Geste den Terrorismus; die Versorgung kranker oder für Menschen, die einfach gern anderen Men- Zurück zum Inhaltsverzeichnis verwundeter Gegner blieb bislang weitgehend schen helfen? Für den Philosophen des chi- unbeachtet, so als handele es sich um eine nesischen Altertums Mengzi (372 – 289 v. Chr.) eher zweitrangige Angelegenheit. Möglicher- oder für Rousseau in der europäischen Neu- weise erscheint diese Aufgabe als so selbst- zeit war die Antwort klar: Einem Menschen verständlich und allgemein akzeptiert, dass in Gefahr Hilfe zu leisten, bedeutet schlicht sie keiner gesonderten Erwähnung bedürfte. und einfach, menschlich zu sein. Mit jeman- Oder vielleicht hofft man, die Erfüllung dieser dem, der sich in einer Notlage befindet, Mit- Pflicht ergäbe sich ganz von selbst durch das gefühl zu haben, erschien diesen Autoren als Verbot der Anwendung extremer Gewalt und vollkommen natürliche und universell gültige Folter. Diese Annahmen greifen jedoch zu kurz. Handlung, die gleichsam den Ursprung jegli- Die Pflicht, Kranke und Verwundete zu retten cher Moral darstellte. Für Rousseau wie auch und zu versorgen, ist keinesfalls zweitrangig. für Mengzi ist das Helfen die erste moralische Sie ist sogar zentraler Bestandteil des huma- Pflicht, aus der sich weitere Pflichten ableiten. nitären Völkerrechts. Zwar wurde dessen Gel- Andere Philosophen sahen dies jedoch auch tung jüngst in verschiedenen Publikationen als problematisch an. Erstens, weil diese über medizinethische Fragen in Konflikten in Pflicht auf Mitgefühl und Emotionen basiert. Frage gestellt. Doch die unparteiische Versor- Immanuel Kant (1785) war der Auffassung, gung verwundeter Gegner könnte durchaus dass die Moralphilosophie auf der Vernunft Ethik und Militär | Ausgabe 2015/1 4 Den Gegner retten? Militärärzte und Sanitäter unter Beschuss aufbauen müsse und aus der Pflicht ein univer- Sicherheit und Gesundheit zu schützen sowie selles ethisches Gesetz erwachsen solle. Wenn die Selbstbestimmung der gefährdeten Person jedoch die Ethik zu einer radikalen Pflicht wird, zu achten und diese nicht gegen ihren Willen ist altruistisches Handeln unmöglich; es sei zu retten. denn, es ließe sich verallgemeinern und würde Vom Nutzen, Leben zu retten zu einem universellen Gesetz. Utilitaristische Ansätze weisen meist auf Eine zweite Problematik besteht darin, dass andere Problemstellungen hin. Die Rettung sich der Hilfeleistende Gefahren, Mühen und von Menschen in Gefahr ist kostspielig und Ausgaben aussetzt, die als über die Verpflich- kann begrenzte Ressourcen von anderen Akti- tung hinausgehend empfunden werden kön- vitäten abziehen, die einen größeren Nutzen nen. Dies ist auch die Position von Beauchamp hätten. McKee und Richardson (2003) definier- und Childress in ihrer Schrift „Principles of ten die Rule of Rescue (Rettungsregel) als den biomedical ethics“ (Prinzipien der biomedi- moralischen Imperativ, „den
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