Eine Geschichtspolitische Erfolgsgeschichte Im Gegenwind
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Gedenkstätten und Geschichtspolitik – »Beiträge«, Heft 16 75 Detlef Garbe Gedenkstätten in der Bundesrepublik: Eine geschichtspolitische Erfolgsgeschichte im Gegenwind Unter der plakativen Überschrift »Falsche Pri- und Hungerpolitik gehörten, gleichwohl aber orität. Das Holocaust-Gedenken läuft Gefahr, im Rahmen der Stiftung »Erinnerung, Verant- in die zweite Reihe der deutschen Geschichts- wortung und Zukunft« von allen Zahlungen politik zu geraten«1 publizierte die Wochen- ausgeschlossen blieben, erklärt die Bundes- zeitung »Jüdische Allgemeine« am 23. Janu- regierung unumwunden, dass sie eine solche ar 2014 ihren Leitartikel zum Gedenktag für Entschädigung nicht anstrebe.7 Für »Opfer der die Opfer des Nationalsozialismus. Der Autor politischen Verfolgung in der ehemaligen SBZ/ des Leitartikels, Habbo Knoch, damals noch DDR (SED-Opferrente)«8 sieht der Koaliti- Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische onsvertrag hingegen eine Erhöhung der mo- Gedenkstätten, erkannte in dem vergleichs- natlichen Zuwendungen vor. Zur Stärkung der weise ausführlichen Abschnitt »Gedenken und »mahnende[n] Erinnerung an Flucht und Ver- Erinnern, kulturelles Erbe, Baukultur«2 des treibung« wurde die Einführung eines weiteren im Monat zuvor zwischen CDU, CSU und Gedenktages vereinbart,9 allerdings schweigt SPD geschlossenen Koalitionsvertrags einen sich der Koalitionsvertrag wenigstens zu der »geschichtspolitischen Paradigmenwechsel«3. vom Europäischen Parlament betriebenen Ini- Die neue Bundesregierung lege ihr Primat an- tiative zur Einführung des 23. August, des Jah- scheinend nicht mehr auf die Erinnerung an restages des »Hitler-Stalin-Pakts«, als eines die Opfer der nationalsozialistischen Verbre- europaweiten Gedenktages10 aus. chen, sondern auf die Aufarbeitung des SED- Obwohl es hinsichtlich der Forschungsför- Unrechts. derung zur Geschichte des Nationalsozialismus Die Bundesregierung trat dieser Kritik und nach wie vor kein Pendant zur Bundesstiftung der Behauptung, der Koalitionsvertrag bedeute zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gibt, will einen Paradigmenwechsel »entschieden ent- die neue Bundesregierung diese »finanziell gegen«4. In ihrer Antwort vom 1. April 2014 stabilisieren«, die Stiftung »Erinnerung, Ver- auf eine parlamentarische Anfrage der Frakti- antwortung und Zukunft«, die mit den unbe- on »Die Linke« erklärte sie apodiktisch: »Die streitbaren starken Einschränkungen aufgrund Einschätzung von Prof. Dr. Habbo Knoch trifft des niedrigen Zinsniveaus zu kämpfen hat, soll nicht zu.«5 Die weiteren Ausführungen waren eine solche Stabilisierung allerdings nicht er- jedoch nicht dazu angetan, die Zweifel an der fahren. Entgegen der Beteuerung, dass in der Fortführung der geschichtspolitischen Leit- deutschen Erinnerungskultur dem »systemati- linien, die spätestens seit der deutschen Ver- schen Völkermord an den europäischen Juden einigung in das Selbstverständnis der neuen sowie an anderen Völkern und Gruppen […] Bundesrepublik Eingang gefunden haben, zu immer eine außerordentliche Bedeutung zu- beseitigen.6 Obgleich sich die SPD-Fraktion in kommen«11 werde, werden im Koalitionsver- der letzten Legislaturperiode für Leistungen an trag zwar eine Reihe von Gedenk- und Do- die letzten hochbetagten Überlebenden unter kumentationsstätten zur Erinnerung an Sta- den sowjetischen Kriegsgefangenen eingesetzt linismus und SED-Diktatur genannt, die es hatte, die zu den am schwersten betroffenen fortzuentwickeln und – im Fall der zweifellos Opfern nationalsozialistischer Zwangsarbeit wichtigen – Gedenkstätte Geschlossener Ju- 76 Garbe: Gedenkstätten in der Bundesrepublik gendwerkhof Torgau auch neu in die institu- dem findet, was damals schon unter Federfüh- tionelle Förderung des Bundes aufzunehmen rung von Günter Nooke von der CDU/CSU- gelte, doch wird keine einzige Gedenkstätte Fraktion beabsichtigt war, sich politisch aber für Opfer des Nationalsozialismus genannt. nicht durchsetzen ließ. Heute führt die dama- Hier wird jedenfalls keine Notwendigkeit zur lige Opposition, die die Schwerpunkte in der Fortentwicklung gesehen. Die Bundesregie- Geschichtspolitik und Gedenkstättenförderung rung hält trotz steigender Besucherzahlen und anders gewichtet wissen möchte, die Regie- Bedarfe – so die Antwort vom 1. April 2014 rung und gibt die Leitlinien vor. Für den sozi- auf die erwähnte parlamentarische Anfrage – aldemokratischen Koalitionspartner, der in den »die finanzielle und personelle Ausstattung in 1990er-Jahren mit Christina Weiss, Angelika den vom Bund mitgeförderten Gedenkstätten Krüger-Leißner, Siegfried Vergin, Hans-Jo- zu den NS-Verbrechen grundsätzlich für aus- chen Vogel und Bernd Faulenbach die weg- reichend«12. weisende Konzeption zur Stärkung einer wis- Noch mehr als diese Erklärungen der senschaftlich fundierten, zivilgesellschaftlich Großen Koalition – oder genauer die Zustim- getragenen und gegenüber geschichtspoliti- mung der jetzigen SPD-Fraktion zu diesen ge- schen Zugriffen weitgehend unabhängigen Ge- schichtspolitischen Zielsetzungen – irritieren denkstättenarbeit auf den Weg brachte, scheint die weitgehend ausgebliebenen Reaktionen diese Frage nicht (mehr) von Belang zu sein. in der kritischen Fachöffentlichkeit und den Medien. 10 Jahre zuvor, im Jahr 2004, brach Zur Standortbestimmung der bundes- ein Sturm der Entrüstung los, als eine Gruppe deutschen Gedenkstätten 70 Jahre Bundestagsabgeordneter von CDU und CSU um Günter Nooke einen Antrag vorlegte, um nach dem Zweiten Weltkrieg die im Anschluss an die von 1995 bis 1998 Gedenkstätten als historische Orte von Staats- tätige Enquete-Kommission »Überwindung verbrechen, und das gilt sowohl für jene, die der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der den nationalsozialistischen Völkermord the- deutschen Einheit« 1999 parteiübergreifend matisieren, als auch für jene, die an Verbre- entstandene Konzeption des Bundes zur Ge- chen und Unrecht in der SBZ und der DDR denkstättenförderung13 zu revidieren.14 erinnern, zeugen von je ganz konkreten histo- Damals warnte die Bundesbeauftragte für rischen Ereignissen. Sie versuchen, das jewei- Kultur und Medien, Staatsministerin Dr. Chris- lige Geschehen zu dokumentieren, den Opfern tina Weiss, im Bundestag vor einem »Paradig- Namen und Gesicht zu geben, die Hintergründe menwechsel in der Geschichtsbetrachtung« zu erhellen und die Verantwortung der Täterin- durch die beabsichtigte »Gleichsetzung der nen und Täter möglichst exakt zu beschreiben. Opfer des Nationalsozialismus, der Opfer des Im Umgang mit den Stätten nationalso- SED-Regimes und der deutschen Zivilopfer, zialistischer Verbrechen spiegelt sich das je- die Bombenkrieg und Vertreibung zu erlei- weilige gesellschaftliche Bewusstsein, wer- den hatten«15. Sie fügte hinzu: »Ich will noch den Leugnung, Verdrängung, Schuldabwehr, einmal sagen: Auch die zu beargwöhnende aber auch Selbstreflexion, Empathie mit den Gleichsetzung verschiedener Opfergruppen ist Opfern und kritische Auseinandersetzung mit eine Relativierung und alles, was nach Relati- den Folgen des Unrechts offenbar. Bei Betrach- vierung aussieht, nach Relativierung der natio- tung des mittlerweile selbst zur Geschichte nalsozialistischen Verbrechen an den europäi- gewordenen Werdegangs der Gedenkstätten schen Juden, kann dem Ansehen Deutschlands für die Opfer des Nationalsozialismus in der im Ausland nur schaden.«16 Bundesrepublik Deutschland zeigt sich, dass Heute fehlt es an einem solchen Einspruch, die verschiedenen Entwicklungsphasen in en- obwohl sich im Koalitionsvertrag vieles von ger Korrelation mit den jeweiligen politisch- Gedenkstätten und Geschichtspolitik – »Beiträge«, Heft 16 77 gesellschaftlichen Verhältnissen und den vor- erfuhr nach 1990 im vereinigten Deutschland herrschenden Diskursen standen, insbesondere – entgegen anfänglichen Befürchtungen der dem der deutsch-deutschen Systemauseinan- in- und ausländischen Verfolgtenverbände, dersetzung und nach 1989 dem Identitätsdis- dass nunmehr die Gedenkstätten abgewickelt kurs des vereinigten Deutschlands. werden würden – eine weitere Stärkung. Zum Fast sieben Jahrzehnte sind vergangen, seit einen wuchs im Zuge der Neukonzeption der die Streitkräfte der Anti-Hitler-Koalition die ehemaligen Nationalen Mahn- und Gedenk- Vorherrschaft der Nationalsozialisten in Eu- stätten der DDR und der Einrichtung von Ge- ropa brachen, Land um Land von deutscher denkstätten, die an das Unrecht des SED-Re- Besatzung befreiten, das Mordregiment der gimes erinnern, das Bewusstsein dafür, dass SS beendeten und die Lagertore von Ausch- es auch eine gesamtstaatliche Verantwortung witz, Buchenwald und Dachau öffneten. Die für die an die NS-Verbrechen erinnernden Ge- Bilder von der Befreiung der Konzentrati- denkstätten gibt, die nun erstmals auch durch onslager gingen um die Welt. Schilderungen den Bund gefördert wurden.17 Zum anderen ehemaliger Häftlinge, Prozessberichte, Filme verstärkten Fragen nach der nationalen Iden- und auch literarische Auseinandersetzungen tität und nach den Lehren aus der zweifachen folgten. In Deutschland jedoch, das in den Diktaturerfahrung in Deutschland das Interes- ersten Nachkriegsjahren mit der Beseitigung se an den Gedenkstätten. Es entstanden eine der Kriegszerstörungen, der Aufnahme von Reihe neuer Einrichtungen, andere konnten Flüchtlingen und Vertriebenen und mit dem wesentlich erweitert werden. Die insbesonde- Wiederaufbau beschäftigt war, wollten viele re in den alten Bundesländern zunächst von die Berichte der KZ-Überlebenden nicht zur einem bürgerschaftlichen und gesellschafts- Kenntnis nehmen, erinnerten sie sie doch an kritischen Engagement