Folge 48 Vom 01.12.1990

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Folge 48 Vom 01.12.1990 Heute auf Seite 3: Ohne Rücksicht auf das Recht $m tftyrmjMIajt UNABHÄNGIGE WOCHENZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND jah^a„g«.Foige48 1. Dezember 1990 KSÄSÄSSSSÄu- c55240 Gorbatschow: Sein Mythos verblaßt IR fl ^SS^*! Führungsfehler zerrütten Sowjetvölker vollends Nr. 12/D«z. 1990 Diese sowjetische Zeitung erscheinn*WWt In 9 Sprachen und wir_d in 140 Ländern verbreite^ t 5 K | 2,50 DM Mit Sicherheit erweist die dieser Tage an- pers sind, noch administrative Richtlinien elaufene Paket-Winterhilfe für die Völker zu erlassen, die sowohl das Phänomen des fer Sowjetunion, daß das von vielerlei Krei• volkseigentümlichen Beharrungsvermö• sen und aus vielerlei Gründen immer wie• gens als auch die anarchistischen Neigun• der gehätschelte kommunistische Regime gen hinreichend berücksichtigten. nun endgültig mausetot ist, wie auch dieses, Durch das Fehlen eines administrativen daß das deutsche Volk, sonst durchweg als Rahmens sind nur - wieder aus Schwäche? - eine verschworene Gemeinschaft von KZ- die liberalistischen Tendenzen mit all ihren Wächtern mit durchgängig faschistoiden negativen Folgeerscheinungen auszuma• Neigungen gegeißelt, zu fast selbstverständ• chen, die die vollkommen verstörten Sowjet• licher Hilfeleistung für Nachbarvölker be• völker allmählich ins Chaos bringen: Ban• reit ist. denunwesen, Rauschgiftkriminalität und So sehr diese deutsche Haltung zu loben Arbeitsscheue treiben nun die schrillsten ist, sie bewährte sich schon im letzten Jahr• Blüten, der Wechsel vom Kommunismus zu hundert mit „Gold gab ich für Eisen", gele- einem funktionierenden Staatsmodell gentlich der französischen Fremdherrschaft, scheint vollends gescheitert. aber auch später, so sehr muß natürlich der Nun, gleichsam in letzter Sekunde, ver• bitteren Wanrheit ins Gesicht gesehen wer• sucht Gorbatschow sich mehr politische den, daß kein Volk, noch dazu in dieser Grö• Macht als Präsident vom Parlament einräu• ßenordnung, mit Hilfssendungen - die von men zu lassen. Doch Macht wozu? Es liegt Magermilchpulver bis hin zu Dosenfleisch keineswegs ein schlüssiges Konzept vor, aus Staatsreserven reichen -, auch nur eini• auch wenn er vollmundig verkündet: „Jetzt, germaßen hinreichend ernährt werden wo wir steil auf den Weg zur Marktwirt• kann. Barmherzigkeit ist immer nur für den schaft einbiegen", so ist doch dies nur rheto• individuellen Bereich geeignet, geht die rischer Nebel, der verflogen sein wird, noch Hilfe ins Große, dann kann allenfalls diese ehe die gestohlenen Waggons der Staats• Intention den erforderlichen politischen bahn wieder auf ihren Gleisen stehen werden. D*z.M Jen.90 Mal 90 Juli 90 Aug. 90 OM.90 Entschluß unterstützen. Denn man muß nur einen marktwirt• Denn sonst kann sich das fatale Paradox schaftlichen Rundumblick riskieren, um er• Ein Stern sinkt - Sowjetbürger bei Umfragen auf die Feststellung Ich billige voll und ergeben, daß das bedürftige Pflegekind mit nüchtert feststellen zu müssen, daß die so• ganz die Politik Gorbatschows" Liebesgaben erdrückt wird, noch ehe es sei• ziale Marktwirtschaft eigentlich nur in we• nen Willen zum Leben selbst bekunden nigen Ländern tatsächlich funktioniert. konnte. Gilt dies für die Völker der Sowjet• Nimmt man Deutschland beiseite, so sind es Bundestagswahl: union, so gilt dies noch mehr für jenen Mann, neben Frankreich und den Niederlanden dem wir durch unsere deutsche Sache eini- eigentlich nur noch die skandinavischen ermaßen verpflichtet sind: Gorbatschow, Länder, die damit glänzen können. Die Völ• Steht der Sieger bereits fest? Preilich sollte dies uns nicht dazu verführen, ker Rußlands, die sich mit der Revolution den sowjetischen Reformer nun für alle vollends aus dem Zusammenhang europäi• Manchem mag die kaum noch überschau• dürfen. Die rund eine Million Ostdeutschen Zeiten kritiklos durchgehen zu lassen, was scher Traditionen abrupt ausgliederten, bare Kette an „historischen Ereignissen", in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße er in seinem ureigensten Metier, der Politik, können kaum einen 70jährigen Zeitraum die uns dieses Jahr ins Haus stand, inzwi• bleiben hingegen außen vor. versäumt hat. überspringen, um gleicnsam über Nacht schen zu lang geworden sein. Aber es hilft Der Sensationsgehalt der Bundestagswahl Denn im Lichte des zeitlichen Abstandes Anschluß an differenzierte und hochkom• nichts: Am Sonntag kommt noch ein weite• wird aber insbesondere dadurch relativiert, von gut einem Jahr erweist sich nämlich, plizierte Modelle Mitteleuropas des auslau• res Datum hinzu, wenn zum ersten Mal daß der Sieger festzustehen scheint. Zwar wenn wir hier seine deutschlandpolitischen fenden Jahrhunderts übernehmen. Wer dies nach Kriegsende insofern gesamtdeutsch gab es - gerade in den letzten Jahren - faust• Absichten untersuchen, daß er keineswegs dennoch propagiert, ist nur ein hochkaräti• gewählt wird, als daß die Deutschen inner• dicke Überraschungen und nach Stimmen• an eine zügige Wiederherstellung der Ein• ger Falschspieler oder ein freischwebender halb des geschlossenen west- und mittel• auswertungen mehrfach düpierte Mei• heit von West- und Mitteldeutschland ge• Dilettant. Oder Schlimmeres. Peter Fischer deutschen Siedlungsraumes an die Urnen nungsforscher, aber die Chancen des dacht, sondern nur einen sozialistischen sozialdemokratischen Herausforderers Os• Reformkurs für Mitteldeutschland im Sinn Etikettenschwindel: kar Lafontaine sind offenkundig sehr hatte. Erst durch die Dynamik der Ereignis• gering. Der neue Kanzler dürfte der alte sein se überrollt, konnte er aus seiner Not nur und Helmut Kohl heißen - auch wenn die eine Tugend machen - nämlich der Vereini• Ging Mitteldeutschland verloren? Entscheidung tatsächlich erst am Sonntag• gung zuzustimmen. So gesehen, ist er eher abend, wenn die Wahllokale schließen, ein Mann der Schwäche, der politische Vor• Neue Bezeichnung soll den wirklichen Osten vergessen machen gefallen sein wird. stellungen nicht bis zum erfolgreichen Ende Die Rückkehr nach Ostdeutschland erübrigt bürgerliche Zeitungen wie die „Frankfurter zu führen vermag. Nach achtjähriger Kanzlerschaft kann der sich, denn Ostdeutschland kam zu uns. Auf Allgemeine" oder „Die Welt" der neuen Linie CDU-Vorsitzende aber auch eine benei• Vor Jahr und Tag, er ist immerhin schon angepaßt. Letztere allerdings zum erheblichen Kosten Mitteldeutschlands, welches scheinbar denswerte Bilanz präsentieren. Die fünf Jahre im Amt, versäumte er die für wirt• unter Ostdeutschland begraben wurde. Auf Verdruß ihrer Leser, wie empörte Briefe an schaftliche Reformen so bedeutsame Preis• den ersten Blick eine einmalige Wendung der diese Zeitung belegen. Dort wurde die Wieder• Wirtschaft ist gesundet, der Arbeitsmarkt reform einzuführen, sperrte sich dagegen, Geschichte - auf den zweiten einer der größten einführung der richtigen Bezeichnungen nach• entspannt und auch das dritte Drittel der Ge• die landwirtschaftliche Struktur zu verän• Etikettenschwindel aller Zeiten. Indem Mittel• drücklich gefordert. sellschaft urlaubt des Sommers im Süden - dern, wobei er sich insbesondere nicht dafür deutschland plötzlich zum Osten erklärt wur• Die Bundesregierung möchte jetzt offenbar von einem Bruchteil abgesehen und zu• einsetzte, die wieder privat wirtschaften de, sollen die eigentlichen Ostgebiete aus der aus der Sache herauskommen, ohne Farbe be• nächst nur, soweit es die alte Bundes• wollenden Bauern zu unterstützen, die doch Geschichte auch im Sprachgebrauch getilgt kennen zu müssen. Aus diesem Ansinnen ge• republik betrifft. Grundlage jedes gesundenden Volkskör• werden. Die Bundespost machte diese Ge• bar sie die amüsante Abkürzung „FNL" für Ganz anders stellt sich allerdings die Si• schichtsfälschung offiziell, indem sie die Post• Mitteldeutschland. Dabei handelt es sich nicht, tuation in den „FNL" (den fünf neuen leitzahlen seit dem 3. Oktober mit einem „W" wie ein Radiokommentator dieser Tage witzel• für die westdeutschen und einem „O" (= Ost) te, um eine neue afrikanische Befreiungsbewe• Bundesländern - eine von Bürokraten ent• für die mitteldeutschen Städte versehen läßt. gung. Es ist die Kurzform für „Fünf neue wickelte Ersatzbezeichnung für die Aus dem Inhalt Seite Medien sprachen schon vorher von „Ost• Länder". War man froh, die Zeiten hinter sich ehemalige DDR, die nichts weiter ist als der deutschland", nachdem ihnen Formulierun• zu haben, in denen Teile Deutschlands mit Versuch, uns zu suggerieren, Mitteldeutsch• Das Ende des Schlosses 2 gen wie „auf dem Gebiet der ehemaligen ganzen drei Buchstaben abgespeist wurden, land läge plötzlich im Osten). Hier beginnt Alliierter Bombenterror 4 DDR..." bald zu umständlich wurden. Inhalt• konnte Bonn das Fehlen der liebgewordenen die Aufbauarbeit erst. Und noch auf Jahre, Finnischer Winterkrieg 5 lich längst auf Verzichtskurs, gewöhnten sie Abkürzungen offenbar nur kurz verkraften: vielleicht Jahrzehnte wird man ein Wohl- sich und wohl auch viele ihrer Leser und Zu• SBZ, DDR, FNL - die Kontinuität bleibt ge• standsgefälle registrieren müssen. An der Ein kritischer Fabulierer 9 schauer an den neuen, falschen Namen. wahrt. Jugend 10 Lösung dieser Frage wird sich die Politik der Der CSU-Bundestagsabgeordnete Lorenz Doch auch hinter dieser Verrenkung lauert nächsten Regierung prüfen lassen müssen. Wem sollen wir noch glauben? 11 Niegel nahm dieses gezielte Verwirrspiel zum die Gefahr - oder gar die Absicht? - Ost• Doch auch wenn es hier noch zu immen• Das Bartner Land (IV) 12 Anlaß für eine Anfrage an die Bundesregie• deutschland verbal unterzupflügen. Diese Zei• sen Problemen kommen sollte - die Ostpreußen in der Literatur 19 rung. Er regt hierbei an,
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