Nicholas Goodrick-Clarke

Im Schatten der Schwarzen Sonne

Arische Kulte, Esoterischer Nationalsozialismus und die Politik der Abgrenzung

Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Bossier, Katharina Maier und Michael Siefener 5

Inhalt

Einleitung ...... 7 1. Neonazismus in den USA ...... 21 2. Der britische Nazi-Untergrund ...... 70 3. und das Kaliyuga...... 115 4. Imperium und das Neue ...... 154 5. oder Hitler als Avatar ...... 184 6. Die „Nazi-Mysterien“...... 220 7. Wilhelm Landig und die Esoterische SS ...... 272 8. Nazi-UFOs, die Antarktis und der Aldebaran ...... 310

Bildteil...... 351

9. Miguel Serrano und der Esoterische Hitlerismus ...... 367 10. White Noise und Black Metal...... 402 11. Nazi-Satanismus und der Neue Äon...... 435 12. Christliche Identität und Schöpferkraft ...... 466 13. Rassistisches Nordisches Heidentum ...... 503 14. Der Verschwörungsglaube und die Neue Weltordnung. . .536 Schluss ...... 571 7

Einleitung

Der deutsche Nationalsozialismus hatte einen starken Hang zum Religiösen und Mythischen. Das Dritte Reich wirkte oft wie ein einzi- ger Kult: eine permanente Verklärung der eigenen Macht in kultischen Formen. Dem Weihespielhaften und Quasi-Liturgischen der nazisti- schen Großveranstaltungen stand die außerordentliche Glaubensglut der gewaltigen Massen gegenüber, die bei diesen Gelegenheiten zusammenströmten. Kaum ein Teilnehmer konnte sich der dichten Atmosphäre aus kollektiver Erregung und Hingabe entziehen. Die Na- tionalsozialisten schufen für ihre Zwecke eine Religiosität besonderer Art, eine Religiosität mit dem Hauptbezugspunkt Hitler. Sie speiste sich einmal aus Hitlers eigenem unleugbarem Charisma, aber auch aus der metaphysischen Überhöhung dieser Figur durch andere, dem sogenannten Führerkult, den die Bewegung seit ihren frühesten Jahren eifrig praktizierte und nach ihrem Sieg stetig fortentwickelte. Gottes- dienstartige Massenkundgebungen, Fahnen, heilige Flammen, prozes- sionsähnliche Umzüge, Reden im volkstümlichen Stil fundamentalisti- scher Prediger, litaneihafte Wechselreden zwischen Einzelsprecher und Menge, Gedächtnisfeiern und Trauermärsche – ungeniert wurden dem sakralen Inventar Versatzstücke entlehnt, die sich brauchen ließen, um der Verehrung des Allerhöchsten einen gebührenden rituellen Rahmen zu geben. Das Allerhöchste freilich erblickte man nun in Nation und Rasse, in der Sendung des arischen Deutschtums und im Sieg über dessen Feinde – zuvörderst aber in jenem Mann, der Deutschland vor diesen zu retten angetreten war: , dem braunen Messias. Auch in der nationalsozialistischen Ideologie finden wir zahlreiche Elemente, die eindeutig religiösen Vorstellungswelten entlehnt sind, allerdings hauptsächlich solchen fundamentalistisch-radikaler Aus- richtung, die einem krassen Schwarz-Weiß-Denken huldigen. Nehmen wir etwa den Glauben an eine jüdische Weltverschwörung, der eine bestimmte Bevölkerungsgruppe kurzerhand zum dämonischen Feind stempelt. Der Glaube stützt sich auf eine obskure Textsammlung, die berüchtigten Protokolle der Weisen von Zion; obwohl seriöse Forschung diese Schrift – Erstpublikation in Buchform: Russland, 1905 – längst als Fälschung entlarvt hat, war und ist sie eine Lieblingsquelle der Anti- semiten. Die Nazis bezogen aus ihr jene apokalyptische Dämonologie, 8 Im Schatten der Schwarzen Sonne welche die Juden für alles verantwortlich machte, was ihnen an der modernen Zeit übel erschien: so für Liberalismus und Kommunismus, für den Verfall der Moral und den Schwund der traditionellen Werte. Was immer geschah, betrachtete man durch diese Optik. Die Juden „waren an allem schuld“, natürlich auch am Untergang des alten Vaterlandes im Jahr 1918 und an all den demütigenden Misslichkei- ten seither. Aber Deutschland, versicherten die Nationalsozialisten, werde wiedergeboren in einem neuen Reich, einem „Tausendjährigen Reich“ gar. Apokalyptische Visionen, in denen durchaus Bedroh- liches mitschwang, denn nur ein rassisch reines Deutschland, hieß es, habe die Chance, als Nation dauerhaft zu bestehen. Dies aber sei unmöglich ohne die Ausschaltung der Juden. Alfred Rosenberg, der Chefideologe der NSDAP, war einer der Ersten, der eine deutsche Fassung der Protokolle veröffentlichte. Bei der Erarbeitung einer kon- sistenten nationalsozialistischen „Philosophie“, an der sich Rosenberg in den 20er-Jahren versuchte, kam den Protokollen zentrale Bedeutung zu. Dietrich Eckart, Hitlers Mentor in München, verfocht ebenfalls eine gnostisch-dualistische Weltsicht, die das Judentum als ewigen Gegenspieler der deutschen Nation betrachtete. Hitler selbst hielt an dem Glauben, der Deutsche müsse sich des Juden erwehren, nicht nur ein Leben lang fest, sondern ließ ihn auch auf schreckliche Weise Wirklichkeit werden: im Holocaust. Doch nicht allein die Imagination einer jüdischen Weltverschwörung hatte es schon vor Hitler und den Seinen gegeben. Viele der brau- nen Ideologeme waren keine „Eigengewächse“: nicht die mythische Erwähltheit einer Herrenrasse, nicht das Tausendjährige Reich, nicht das Wirken dämonischer Kräfte hinter den politischen Kulissen. Das „Tausendjährige Reich“ etwa findet sich schon in der Offenbarung des Johannes; und die Erwartung, die gegenwärtige Welt sei zum Unter- gang verdammt und bald werde eine neue, bessere kommen – „Mille- narismus“ oder „Chiliasmus“ genannt – teilten religiöse und politische Fanatiker aller Jahrhunderte, auch jene, welche die Nationalsozialisten zu ihrem Welterlösungswahn inspirierten. Dass sich das Transzendentale trefflich zur nationalen Missionierung nutzen ließe, hatten nämlich kurz zuvor bereits andere erkannt, und die Nazis übernahmen deren Erkenntnisse fast eins zu eins. Wer aber waren diese unmittelbaren Anreger? Dieser Frage bin ich in meinem Buch Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus nachgegangen und habe zu zeigen versucht, dass die Hauptimpulse aus bestimmten Mi- Einleitung 9 lieus deutschnational gesinnter Österreicher kamen, die ihre einschlä- gigen Theorien in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entwickelten; führend dabei: die völkische Bewegung der Ariosophen, der „Bewahrer der arischen Weisheit“. Zur Förderung eines deutschen Identitätsge- fühls unterfütterten diese ihre Konzeptionen mit quasi-religiösen, ja sogar okkulten Ideen. Kein Wunder, sahen sie doch das Deutschtum hauptsächlich von gewissen Spätfolgen der Aufklärung bedroht: dem Liberalismus, dem Laissez-faire-Kapitalismus und dem Autono- miestreben nichtdeutscher Völkerschaften in der Doppelmonarchie, die immer lauter ihre Forderung nach nationaler Selbstbestimmung artikulierten. Das Entstehen großindustrieller Komplexe und neuer Metropolen voller Massenverkehr und Geschäftsleben, die wachsende Bedeutung des Finanzkapitals und das Aufkommen von Gewerkschaf- ten verunsicherten in jener Zeit die traditionell Orientierten stark. Einige mühten sich um geistiges Rüstzeug zur Abwehr, darunter die Ariosophen. Sie meinten das Allheilmittel gegen sämtliche Kräfte zu kennen, die unwillkommenerweise tradierten Status, tradierten Brauch und tradierte politische Autorität in Frage stellten: die Rückbesinnung der Deutschen auf die Zugehörigkeit zu einer überlegenen Rasse. Was man als die eigene Rasse begriff – das „Nordische“, „Germanische“, „Arische“, – wurde verklärt, alle Andersartigen dagegen stigmatisiert, namentlich die Juden, denn in ihnen sah man Urheber und Nutznießer des Liberalismus und der Modernisierung. Zwar haben damals auch seriöse Wissenschaftler – besonders Anthropologen und Eugeniker, deren Disziplinen sich gerade im Aufschwung befanden – bestimmte Menschengruppen und ihr Erbgut abgewertet. So weit indes wie jene völkischen Eiferer mochten sie nicht gehen, zumal diese die Zuordnung bestimmter Eigenschaften zu bestimmten Rassen aus reichlich esoterischen, eben okkulten Quellen herleiteten. Tatsächlich haftete den Ariosophen etwas Sektiererisches an. Dennoch waren ihre Gespinste bald Gedankengut einer Massenorganisation. Das Postulat der Überlegenheit des Ariertums, die Diskriminierung der Juden als Volksschädlinge und der Mythos einer Wiedergeburt Deutschlands in einem Tausendjährigen Reich wurden entscheidende Bauelemente der nationalsozialistischen Ideologie – und erhielten so weltgeschichtliche Bedeutung. Die Sorge Einheimischer, von Fremden an den Rand gedrängt zu werden, ist uns auch aus der Gegenwart geläufig, in der das Phänomen der multiethnischen Gesellschaft massive Probleme aufwirft. 1900 10 Im Schatten der Schwarzen Sonne bildeten die weißen Europäer 35 Prozent der Weltbevölkerung; mitt- lerweile sind es nur noch 10 – eine Folge der sinkenden Geburtenraten unter den Weißen in den hoch entwickelten Industrienationen bei wah- ren demographischen Explosionen in der Dritten Welt; hinzu kommen bessere medizinische Versorgung, bessere sanitäre Bedingungen und die allgemein zunehmende Industrialisierung. Aus den Entwicklungs- ländern strömen massenweise Menschen, die zu Hause wirtschaftlich oder politisch keine Perspektive sehen, in die zuvor mehrheitlich von weißen Europäern und deren Nachfahren besiedelten Staaten. Die fortgeschrittenen Industrienationen absorbieren gezwungenermaßen eine ständig steigende Zahl von Migranten. Die offizielle Politik trägt dem Rechnung und fördert die Integration der Fremden; längst hat sie die Tolerierung rassischer Vielfalt zum Dogma erhoben. In den USA und in den meisten europäischen Ländern verschiebt sich die Bevölkerungsstatistik zuungunsten der Einheimischen. Nicht wenige von ihnen fürchten inzwischen um ihre Identität – ähnlich wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele deutsch empfindende Österreicher die Sorge plagte, dass sie wohl bald im Habsburger-Imperium nichts mehr zu sagen hätten. Vergleichbare Ängste gibt es auch heute; und wieder entladen sie sich in völkischen Ausbrüchen. Die längst vergessen geglaubten Ras- senlehren, die das „Ariertum“ glorifizieren, sind keineswegs mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verschwunden; sie haben überlebt und leben wieder auf, weil eine wachsende Zahl von Menschen in einer mythisierten rassischen Identität etwas erblickt, das ihnen angesichts der Verunsicherungen, denen die moderne Welt sie aussetzt, einen Halt zu geben vermag. Diesem Phänomen widmet sich das vorlie- gende Buch. Gut ein halbes Jahrhundert nach dem Untergang des deutschen Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus in Schimpf und Schande sucht sich wieder eine extreme Rechte politisch Gehör zu verschaffen und bezieht Position gegen die freiheitliche Grundordnung der westlichen Demokratien. Globalisierung, Einwan- derung und Gleichstellungsregeln produzieren Verlierer, die sich dann zunehmend empfänglich für radikale Denkweisen zeigen. Das Buch spürt den teilweise ziemlich entlegenen Quellen der rechtsextremen Ideologie nach und dokumentiert, in welchen Ausformungen sie sich der Öffentlichkeit präsentiert hat und weiter präsentiert – nennen wir nur Arierkult, aristokratisches Neuheidentum und antisemitische Dämonologie; aber auch diverse Rückgriffe auf asiatische Religionen 21

1. Neonazismus in den USA

Der amerikanische Neonazismus darf nicht gleichgesetzt werden mit amerikanischem Nationalismus. Er entstand ja auch nicht auf amerikanischem Boden, sondern ist ein Import, ein exotischer gar. Die amerikanischen Neonazis erheben nicht die eigene Nation zum Idol, sondern paradoxerweise einen internationalen Faktor, nämlich die weiße Rasse. Die Weißen in Amerika, so predigen sie, sollten sich als Brüder aller Weißen auf der Welt verstehen, mit ihnen eine Bewegung bilden und sich global die Vorherrschaft sichern oder zurückerobern. Die Nation, der sie ihren Kampf weihen, ist die weiße Rasse schlechthin und weltweit, weshalb man von „rassischem Nationalismus“ sprechen könnte. An ihrem großen Vorbild Adolf Hitler, in dem sie den verlore- nen Erlöser der westlichen Welt sehen, fasziniert sie gewiss nicht seine Verklärung des Deutschtums, wohl aber ganz allgemein der Gedanke, dass es eine zum Herrschen bestimmte höherwertige Rasse gebe, der sich sämtliche anderen Völkerschaften unterzuordnen hätten; im englischsprachigen Bereich heißt solche Haltung „Supremazismus“ (supremacism, von supremacy, „Überlegenheit“). Herrschen solle in die- ser Welt nach dem großen Krieg aber nicht der Deutsche, sondern der Arier, eine pan-arische Bewegung müsse die Welt kontrollieren - dann freilich mit den USA, nicht Deutschland an der Spitze. Die Wurzeln des amerikanischen Neonazismus reichen zurück bis in die frühen 1950er- Jahre, in die Zeit des beginnenden Kalten Krieges. Zuerst hängte man sich an den kommunistenfeindlichen Diskurs in der amerikanischen Öffentlichkeit und verkündete, Hitler könne doch so übel nicht gewe- sen sein, schließlich habe er wenigstens versucht, die Sowjetunion zu vernichten. Bald stigmatisierte man denn auch die amerikanischen Juden und den Liberalismus mit den alten brachialen Mitteln der Nazi-Agitation als Helfershelfer des Kommunismus. Ihren eigentlichen propagandistischen „Dauerbrenner“ bescherte der radikalen Rechten Amerikas aber erst die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen, die sich seit den frühen 60er-Jahren eine stetig wachsende Öffentlichkeit erkämpfte. Die offizielle Politik sah sich genötigt, die Diskriminierung der Schwarzen mehr und mehr abzubauen. Sie erhielten das Wahlrecht (auch in den Südstaaten) und wurden durch eine stattliche Reihe von Integrations- und Gleichstellungsprogrammen zusätzlich sozial 22 Im Schatten der Schwarzen Sonne gefördert. Grund genug für die amerikanischen Neonazis, ihr Heil im weißen Supremazismus zu suchen. Ähnlich wollten sie die in den 80er-Jahren einsetzende Massenimmigration aus Lateinamerika und anderen Dritte-Welt-Staaten nutzen, indem sie sich kurzerhand zur Fronttruppe im Kampf Amerikas ums Überleben als weiße Nation erklärten. Tatsächlich wird die Bevölkerung der USA ethnisch immer heterogener, und die Regierenden müssen das Kunststück vollbringen, in einer immer vielfältigeren multikulturellen Gesellschaft politischen Zusammenhalt zu stiften. An den Problemen, die dadurch entstehen, setzen die Rechtsradikalen mit ihren esoterischen Mystifikationen an. Diese suggerieren schlicht, die alte weiße Herrlichkeit lasse sich wiederherstellen. Sie sind nichts anderes als der Versuch, die religiösen Mythen des deutschen Nationalsozialismus auf amerikanische Verhält- nisse anzuwenden. Die Reihe derer, welche die ideologische Feinarbeit bei dieser Adaptation leisteten, reicht von (60er-Jahre) bis William Pierce (70er-/80er-Jahre), wobei die „Gedan- ken“ des Letzteren bis in unser neues Jahrhundert herüberwirken. Beginnen wir mit George Lincoln Rockwell, der sich in den 60er- Jahren zum „American Fuehrer“ ausrief. Ihm gebührt der traurige Ruhm, die erste offen hitlerianische Rechtsformation der USA ge- gründet zu haben. Seine schon extravagante Hitler-Verehrung, seine hemmungslosen rassistischen Attacken gegen Juden und Schwarze und nicht zuletzt die Taktik der bewussten Überschreitung allge- mein respektierter Grenzen, des kalkulierten Skandals, mit denen er Aufmerksamkeit für sich und seine Pläne zu erzwingen wusste, sichern ihm einen unbestreitbaren Platz in der Geschichte radikaler Politfolklore. Zuerst hatte Rockwell sein Glück mit rechtsextremen Gruppen traditionellen Zuschnitts versucht. Enttäuscht von deren Misserfolg, entschied er sich für einen anderen Stil. 1959 gründete Rockwell die . Nicht nur der Parteiname schuf einen provokanten Bezug zu den braunen Vorbildern, sondern auch das öffentliche Erscheinungsbild. Ohne Scheu marschierte man in Sturmtruppen auf,schwang Hakenkreuzfahnen und erklärte, die Juden müssten wieder vergast werden. Rockwell sah sich vor ei- ner steilen Karriere. Spätestens 1973, fantasierte er, sei er Präsident. Schwierigkeiten beim Regieren fürchte er nicht, ließ er verlauten, denn sowohl Senat als auch Repräsentantenhaus würden ihn unterstützen; bis dahin hätte seine Partei nämlich längst beide Kammern erobert. Was deren Programmatik betraf, so forderte Rockwell eine Politik, die 1. Neonazismus in den USA 23 den USA den Fortbestand als weiße Nation garantiere. Hinter dieser Zielvorstellung, resümiert in dem Schlagwort white survival („weißes Überleben“), verbarg sich Brachiales, ja Mörderisches, nämlich die Rückumsiedlung der amerikanischen „Neger“ nach Afrika und die Vernichtung der Juden. Sie seien die eigentlichen Feinde der USA, behauptete Rockwell; sie hätten die Aufhebung der Rassenschranken durchgesetzt und Amerika dem nationalen Zerfall und der kulturellen Degeneration preisgegeben. Eine Mischung aus Clownerie und Provokation kennzeichnete Rockwells öffentliche Auftritte. Kurz nach Gründung seiner Partei demonstrierten er und die Seinen regelmäßig vor dem Weißen Haus und trugen Schilder mit aggressiven Sprüchen: „Vergast die jüdischen Sowjetspione“, hieß es da, oder „Kommunismus ist Judenkram“, oder „Nur ein Land des Nahen Ostens hat eine Kommunistische Partei: Israel“. Man quälte sich gar einen matten Reim auf Präsident Eisen- howers Spitznamen ab: „Save Ike from the kikes“ (‚Rettet Ike vor den Itzigs’). 1961 fuhr Rockwell mit einem Propagandagefährt durch die Südstaaten, das er hate bus („Hassbus“) taufte – ein hämischer Konter auf die gegen die Rassentrennung protestierenden „Freiheitsfahrten“ (freedom rides) der Bürgerrechtler – und das ringsum mit Parolen be- malt war, etwa „Ja, wir wollen keine Rassenvermischung“ oder „Wir hassen den Judäo-Kommunismus“. Nicht überall fanden Rockwell und seine Neonazis Beifall; in New Orleans etwa wurden sie gar verhaftet. Man kehrte zurück nach Washington und kurvte dort wieder in einem Bus herum, diesmal mit dem Slogan: „Rockwell hat recht. Wer braucht Nigger?“ In Boston und Philadelphia demonstrierte die Partei vor Kinos, die gerade den Film Exodus zeigten, der bekanntlich von der Massenauswanderung jüdischer Holocaust-Überlebender Ende der 40er-Jahre handelt. Auf den Transparenten stand die Forderung: „Amerika den Weißen – die Gaskammer den Verrätern“. Namentlich Mitte der 60er-Jahre machten Rockwell und seine Nazi Party durch zahllose Protestkundgebungen und Störmaßnahmen von sich reden. Bald hagelte es Strafanzeigen gegen die Sturmtruppler; die Vorwürfe reichten von Rauferei, Herumtreiberei und Körperverletzung bis hin zu Fahnenflucht, Verleumdung und unerlaubtem Waffenbesitz. Wie wird jemand ein amerikanischer Nazi? Welche Komponenten müssen da zusammenkommen? Nehmen wir den Casus Rockwell.1 Bei ihm finden wir eine Melange aus religiöser Überzeugung und Idealis- mus, die sich nicht anders umzusetzen vermag als in einer polterigen 24 Im Schatten der Schwarzen Sonne

Artikulation von Antisemitismus, weißem Supremazismus und Euge- nik. Nun garantiert Poltern ja Aufmerksamkeit. Möglicherweise haben wir hier den Schlüssel: das Bedürfnis, Aufmerksamkeit zu erregen, sich zur Schau zu stellen. In Letzterem verrät sich vielleicht das familiäre Erbe: Beide Eltern arbeiteten am Theater. George Lincoln Rockwell wurde am 9. März 1918 in Bloomington/Illinois geboren. Der Vater, George Lovejoy Rockwell, englisch-schottischer Abstammung, war als „Old Doc Rockwell“ ein gefragter Variété-Komiker, zu sehen auf den führenden Bühnen des Landes, so am Broadway; der Rundfunk verhalf ihm zu weiterer Prominenz. 1915 heiratete er Claire Schade, eine junge Spitzentänzerin deutsch-französischer Herkunft, die damals gemeinsam mit Eltern und Schwester die Variété-Balletttruppe „The Four Schades“ bildete. 1918 bekamen George und Claire ihr erstes Kind, George Lincoln. Neun Jahre später trennte sich das Paar. Der kleine George lebte nach der Scheidung seiner Eltern teils bei der Mutter auf dem Land in Illinois, teils beim Vater in der mondänen Ostküstenstadt Boothbay Harbor/Maine. Der bekannte Mime führte dort ein gastfreies Haus und lud immer wieder bedeutsame Künstler- Kollegen ein, darunter Fred Allen, Benny Goodman und Groucho Marx. Dass die beiden Letzteren Juden waren, störte Rockwell senior offenbar nicht. Rockwell junior erlangte die Hochschulreife im Internat Hebron Academy nahe Lewiston/Maine und studierte ab 1938 an der Brown University in Providence/Rhode Island (Nordwesten der USA), wo er Philosophie und Soziologie belegte. Bald zeigte er sich von den Gesell- schaftswissenschaften abgestoßen; die egalitäre Attitüde, die damals in ihnen obwaltete, und die liberale Haltung der Dozenten passten ihm nicht. Später nannte er den Liberalismus die „schwachbrüstige kleine Schwester“ des Kommunismus. Seine Noten waren nicht unbedingt brillant; dennoch konnte er sich in bescheidenem Rahmen profilieren, und zwar als Grafiker und Illustrator der Campuszeitung Sir Brown. Seine Beiträge reichten von Witzzeichnungen bis zu gewaltschwange- ren Horrorcomics, die vor allem Zerstörung zeigten, namentlich Bom- bardements.2 Der Krieg bot ihm eine willkommene Gelegenheit, den Zwängen des ungeliebten Studiums zu entfliehen. Kurzzeitig ließ er sich von der antideutschen Welle innerhalb der öffentlichen Meinung mitreißen. Den unsicheren, nervösen, fahrigen jungen Mann drängte es zur Aktion. Er meldete sich 1941 zur Navy (der US-Marine), erwarb zusätzlich das Pilotenabzeichen und landete so bei der Seeluftflotte.