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der todesengel porrigens

ohrförmiger seitling 4 „Angel´s Wing“ Ältere fruchtkörper mit geschwungenem Habitus ähneln engelsflügeln. foto: david rust, Wikimedia Commons i von AndreAs Kunze i engel 4: und Aneta Blaszczyk i Prof . d r. s iegmAr Berndt i

Zu einem traditionellen japani - Alles änderte sich schlagartig im schen Frühstück gehört eine Herbst 2004, als in Japan 50 Vergif - Misosuppe. Das Nationalge - tungsfälle nach dem Verzehr von richt besteht aus Fischsud Fruchtkörpern auftraten, von (Dashi), Sojabohnenpaste denen 15 tödlich endeten ( NAriTA (Miso) und einer Einlage aus 2005). Der Pilz wäre vielleicht gar kleinen Tofustücken, grünen nicht als Ursache erkannt worden Meeresalgen und Frühlingszwie - und in den Fokus der Wissenschaft beln. Je nach Jahreszeit können gerückt, wenn nicht günstige Wit - auch Pilze wie z. B. Shiitake ( Lenti - terungsbedingungen zu einer nula edodes ) darin landen (Wikipe - Massenfruktifikation geführt hät - dia 2011). So verwundert es nicht, ten. Entsprechend oft wurde der dass ANDrEW M. (2010) in der On - Pilz gesammelt und verspeist, line-rezeptesammlung „Wild wodurch die Zahl der Vergif - Mushroom recipes“ eine eigene tungsfälle signifikant in die Höhe Variante mit Sugihiratake zum schnellte. Betroffen waren ausschließ - Besten gibt. Jener Ohrförmige lich Personen mit eingeschränkter Nie - Weißseitling oder kurz Ohrförmi - renfunktion, insbesondere Patienten, die ger Seitling [ Pleurocybella porri - sich regelmäßig einer Hämodialyse-Be - gens (Pers. : Fr.) Singer)] galt lange handlung (sog. Blutwäsche) unterziehen uneingeschränkt als schmackhaf - mussten. Bemerkenswert war zudem die ter Speisepilz und wandert re - lange Zeitspanne von bis zu 4 Wochen gional auch heute noch in die zwischen dem Verzehr der Fruchtkörper Kochtöpfe - selbst in unseren und dem Auftreten der ersten Symptome Breiten wie zum Beispiel im - wer denkt da noch an die zurücklie - Schwarzwald (pers. Mitt. von Walter Pätzold †). gende Pilzmahlzeit?

Der Tintling 2 (2012) Seite 86 zum speisewert siehe text Krankheitsbild des Pleurocybella-syndroms Als Erster in Europa berichtete der Arzt und ehemalige Verbandstoxikologe der Schwei - zerischen Vereine für Pilzkunde (VSVP/ USSM) Dr. med. rENé FlAMMEr (2005) über tödliche Vergiftungen in Japan nach dem Genuss des Ohrförmigen Weißseitlings. Flammer hat das Vergiftungsbild „ Pleurocy - bella -Syndrom“ genannt und die Krank - heitssymptome anhand der japanischen Ver - öffentlichungen über die Vergiftungen, die 2004 vermehrt im Norden Japans auftraten, beschrieben. Der erste bekannt gewordene Vergiftungsfall ereignete sich bereits 1997 und betraf eine 62-jährige nierenkranke und seit 5 Jahren dialysepflichtige Frau, die 8 Tage nach dem Verzehr Ohrförmiger Weißseitlinge er - krankte, Krampfanfälle erlitt, schließlich be - wusstlos wurde und nach 14 Tagen verstarb (ASAHi 2004). Schon damals soll die Erkran - kung in der region Tohoku auf der insel Honsh ū - Japans größte insel - als Zedern- Austernseitlings-Enzephalopathie (cedar oyster agaric-related encephalopathie) be - kannt gewesen sein. Eine weitere Vergiftung vor den endemieartigen Ausbrüchen in 2004 und 2007 betraf 2003 eine 66-jährige 5 Jüngere Exemplare von Pleurocybella porri - dialysepflichtige Frau, die aber überlebte ( ASAHi gens erinnern durch die geschwungenen Hüte 2004). und umgebogenen ränder an Ohrmuscheln. Bei der Endemie im Herbst 2004 in den Präfek - Foto: BEN MiTcHEll , Wikimedia commons, PD turen Akita, Niigata und Yamagata erkrankten 6 in Sojasoße, Mirin und Sake geschmorte nach einem ersten Bericht 45 chronisch Nieren - Sugihiratake als kleine Beilage kranke. Gejyo et al. (2005) werteten die Daten Foto: Ken Wakabayashi von 32 Patienten aus, von denen 24 vor der Ver -

giftung dialysepflichtig waren. Ursachen ihrer Nie - renleiden waren überwie - gend länger bestehende Ent - zündungen und diabetische Erkrankungen der Niere. Die Patienten, 19 Frauen und 13 Männer, waren im Mittel 69,2 ± 10,5 Jahre alt und vor der Vergiftung in stabiler körperli - cher und geistiger Verfassung. Die latenzzeit betrug 1 bis 31 Tage, im Durchschnitt 9 Tage. 30 der Betroffenen wiesen Verwirrtheitszustände und Bewusstseinsstörungen bis

Der Tintling 2 (2012) Seite 87 Die neurologischen Symptome des Pleuro - cybella-Syndroms gehen überwiegend auf Erwei - chungsherde und Schwellungen der Groß - hirn- und Kleinhirnrinde zurück. Grafik: Pearson Scott Fo - resman, Wikimedia commons, PD; Sagittal - schnitt, verändert

Symptome verantwort - lich sind, wird als „akute Enzephalopathie“ be - zeichnet. Bei allen Be - troffenen wurden bakte - rielle und virale zum Koma auf, 25 hatten epileptische Anfälle, infektionen oder Stoffwechselstörungen als Ur - 15 zeigten Muskelzuckungen, 10 hatten Sprach - sache der rätselhaften Erkrankungen ausge - störungen, 8 konnten nicht mehr sicher stehen schlossen, wohingegen der Verzehr von Sugihi - oder gehen, 7 erlitten lähmungen und 2 klagten ratake Tage bis Wochen vor Erkrankungsbeginn über Missempfindungen der Haut. 9 Patienten bei allen Vergifteten erfragt werden konnte. Al - starben infolge von Atemlähmung. Während die lerdings gab es auch Nierenkranke, die trotz Überlebenden oft noch viele Wochen lang unter einem Pilzessen nicht erkrankten. den Vergiftungsfolgen litten, erholten sich Einige im Jahr 2007 kam es bei Nierenkranken in der schon im laufe eines Monats. Über ein Gas - Präfektur Niigata zu weiteren akuten Enzephalo - trointestinales Syndrom mit akuten Magen- pathien nach dem Verzehr von P. porrigens (TA- Darm-Beschwerden , das leitsymptom vieler KATA et al. 2009). Die Präfektur liegt in der re - Pilzvergiftungen, klagte dagegen keiner der Be - gion ch ūbu auf der insel Honsh ū. Bekannt troffenen. wurde die Krankheitsgeschichte eines 65-jähri - Die Symptomatik des Pleurocybella-Syndroms gen nierenkranken Mannes, der seit 3 Monaten begann oft mit Verwirrtheit und dem Unvermö - dialysiert wurde und nach der Pilzmahlzeit ver - gen, sicher zu stehen und zu gehen (Ataxie), be - starb. Dieser Patient hatte massiv gekrampft und gleitet von Muskelzuckungen (Myoklonien und war vor seinem Tod ins Koma gefallen. Sein Ge - Spasmen) sowie Bewusstseinsstörungen bis zum hirn wies zahlreiche kleine Erweichungsherde in Koma. Einige Tage später folgten Krampfanfälle, der Groß- und Kleinhirnrinde, aber auch zysti - die in einem nicht zu beendigendem, oft tödli - sche Erweichungsherde im Putamen auf ( OBArA chen Anfall (Status epilepticus) mündeten. Der et al. 2008). Das Putamen zählt zu den Kernge - Tod trat schließlich nach zentraler Atemlähmung bieten des Großhirns und kontrolliert u.a. Bewe - und Herzversagen ein. Untersuchungen der Ge - gungsabläufe. Nach einem aktualisierten Bericht hirne mittels computer- oder Kernspintomogra - über alle 2004 und 2007 aufgetretenen Vergif - phie (cT bzw. NMr) zeigten bei 5 Patienten eine tungen, die aus 9 Präfekturen gemeldet wurden, allgemeine Hirnschwellung (Hirnödem). Bei erkrankten 59 Menschen von denen 17 starben weiteren Patienten fanden sich entmarkungsbe - (BEUG 2011). infolge einer dringenden Warnung dingte Herde (Demyelinisierung) in der Groß - japanischer Gesundheitsbehörden vor dem Ver - hirnrinde und im Hirnstamm. Auch das Hirn - zehr des Pilzes kam es in den Folgejahren nur strombild (EEG) wies schwere Veränderungen noch zu sporadischen Vergiftungen. auf. Eine Erkrankung mit der geschilderten Symptomatik und den beschriebenen Verände - Auf der spur toxischer substanzen rungen im Gehirn, die für die neurologischen Nachdem sich bei den betroffenen nierenkran -

Der Tintling 2 (2012) Seite 88 ken Patienten der Verzehr Ohrförmiger Weißseit - hirns beeinträchtigen und die akute Enzephalo - linge als wahrscheinlichste Ursache der akuten pathie auslösen. Zu vergleichbaren Ergebnissen Enzephalopathie herauskristallisiert hatte, be - kamen später auch WAKiMOTO et al. (2011), über mühten sich seit 2004 zahlreiche Wissenschaft - die an anderer Stelle noch berichtet wird. ler in Japan um den Nachweis der vermuteten Auf einer weiteren 2006 abgehaltenen Tagung, toxischen Substanz und um deren Wirkungsme - dem „internationalen Symposium der chemie chanismus. So konnten die Mitarbeiter mehrerer von Naturprodukten“ in Kyoto, wurde über die pharmazeutischer Universitätsinstitute mit Entdeckung von 3 neuen neben 9 bekannten einem wässrigen Extrakt aus dem Pilz mittels in - konjugierten langkettigen fettsäuren berichtet, jektionen in die Bauchhöhle bei Mäusen Schock die aus Methanol-Extrakten aus Pleurocybella und Tod nach schwerer Hämolyse (Zerfall der porrigens gewonnen werden konnten ( AMAKUrA Blutzellen) auslösen. Hierfür machten sie eine et al. 2006). im gleichen Jahr wurde nitropropi - hitzelabile, hochmolekulare substanz in dem onsäure in den Fruchtkörpern des Pilzes nach - Auszug verantwortlich ( FUMiEi 2005). gewiesen und als Ursache für die Enzephalopa - Sasaki et al. (2006) isolierten aus getrockneten thie verdächtigt ( OBArA et al. 2006). Fruchtkörpern toxische Vitamin-D-Verbin-dun - Auch glycoproteine oder Protein-Polysaccha - gen, die sie als mögliche Ursache der Enzepha - ride bzw. ihre Abbauprodukte wurden als ur - lopathie propagierten. sächlich für die Erkrankung vermutet (Tomihisa 2006). Auf der 50. Jahrestagung der Japanischen Myko - Andere Wissenschaftler diskutierten, ob Cyanide logischen Gesellschaft in chiba im Juni 2006 oder thiocyanat , die sie in höheren Konzentra - berichteten OHNO et al. über den Nachweis nie - tionen nachgewiesen hatten, mit der Enzephalo - dermolekularer Substanzen aus wässrigen Ex - pathie im Zusammenhang stehen könnten ( Hi- trakten verschiedener in Japan beliebter Speise - rOSHi et al. 2006). pilze. Nur aus Pleurocybella porrigens konnten HASEGAWA et al. (2007) benannten eine konju - sie eine bisher unbekannte instabile Aziridin- gierte Keton-Fettsäure, die sie isoliert hatten und Verbindung (3,3 Dimethylaziridin-2-Karboxyl- deren Strukturaufklärung ihnen gelang, Porri - säure) isolieren, von der sie annahmen, dass gensäure . Diese erwies sich als toxisch gegen diese oder die daraus gebildeten Aminosäuren menschliche Knochenmarkzellen. Auch TAKATA das Transmittersystem des menschlichen Ge - et al. (2009) konnten die Porrigensäure nach - weisen, bezweifelten aber ihre Bedeutung für Bildung einer toxischen (2) und einer atoxi - die Erkrankung. ihnen gelang aus mehrjährigen schen Aminosäure (3) aus der instabilen Vor - stufe Pleurocybellaziridin (1); nach einem Ent - wurf von SiEGMAr BErNDT in Anlehnung an OHNO et al. 2006, KAWAGUcHi et al. 2010 und WAKiMOTO et al. 2011. Zeichnung: „ YiKrAZUUl “ (Wikipedia)

Der Tintling 2 (2012) Seite 89 Aufsammlungen, auch aus Jahren in denen lichen Verursacher der Pleurocybella-porrigens - keine Vergiftungen aufgetreten waren, Saccha - Enzephalopathie vorgestellt und diskutiert. Die ride zu extrahieren. Daraus konnten sie in Fruchtkörper enthalten mit 5,75 mg/ kg eine weiteren Schritten die Sialinsäuren n-Azetyl - hohe Konzentration an Pleurocybellaziridin. neuraminsäure (Neu-Ac) und n-glycolylneura - Feingewebliche Untersuchungen der Gehirne min-säure (Neu-Gc) gewinnen. interessanter - Erkrankter zeigten Entmarkungen als Folge einer weise fanden sie Neu-Ac in allen Schädigung, der die Markscheiden bildenden Aufsammlungen, während sie Neu-Gc nur in Oligodendrogliazellen ( ArAi & K AWAGiSHi 2011). Fruchtkörpern aus den Endemiejahren 2004 und Die Wissenschaftler untersuchten deshalb den 2007 nachweisen konnten. Die Autoren zitieren Einfluss von Pleurocybellaziridin auf Oligoden - die Untersuchungen von UEDA et al. (2006), dass drogliazellen aus rattenhirn mit einem fluori - selbst 5 g/ kg eines heißen Wasserextraktes nor - metrischen Verfahren. Bereits 10 µg/ ml führten malen Mäusen, oral verabreicht, nicht schadet, zum Tod von ca. 60% der Zellen, während 30 während nur 1 g/ kg für niereninsuffiziente Mo - µg/ ml fast 100% aller Zellen abtötete. dellmäuse akut toxisch ist und nahmen an, dass Vermuteter Wirkungsmechanismus Neu-Gc das toxische Agens sein könnte. Diese Aus diesen Untersuchungsergebnissen schlossen Hypothese scheint jedoch wenig überzeugend, die Forscher, dass Pleurocybellaziridin vermut - da die Sialinsäuren als Bestandteil der Zellmem - lich auch die Enzephalopathie mit ihren entmar - bran körpereigene Substanzen sind. Aber auch kungsbedingten läsionen im Gehirn der Betrof - keine der anderen bereits aufgeführten Substan - fenen verursacht. Für die Zellgiftigkeit sei die zen konnte bis dato als Ursache der Vergiftungs - Azaridinstruktur zusammen mit dem Karboxyl - symptomatik überzeugen. rest der Aminosäure verantwortlich. Dann erschien 2010 in „Tetrahedron“ ein Be - Weitgehend einig ist man sich, dass das vermu - richt über den Nachweis von Aminosäuren, die tete Toxin nur über die Niere ausgeschieden auf Hirnzellen toxisch wirken ( KAWAGUcHi et al. wird, so dass nierengesunde Konsumenten keine 2010). Die Autoren hatten bereits im Vorjahr ein Probleme nach dem Genuss von Ohrförmigen Lectin isoliert und charakterisiert, aber keine Be - Weißseitlingen haben. Dagegen können nieren - ziehung zur Enzephalopathie gesehen. Gefrier - kranke, insbesondere dialysepflichtige Patienten getrocknete Fruchtkörper wurden fraktioniert ex - das Toxin nicht ausscheiden, es reichert sich im trahiert, wobei sich die Äthanolfraktion als Körper an, passiert die Blut-Hirn-Schranke und toxisch auf kultivierte Gliazellen aus der Hirn - gelangt schließlich ins Gehirn, wo es die Enze - rinde von Mäusen erwies. Diese Fraktion wurde phalopathie verursacht. weiter aufgetrennt und es konnten 6 Aminosäu - Die Bedeutung des vorbestehenden Nierenlei - ren (Verbindungen 1 - 6) isoliert und ihre Struk - dens als Voraussetzung zu erkranken, konnte im tur ermittelt werden. Die Verbindungen zeigten Tierversuch mit niereninsuffizienten Mäusen de - eine unterschiedliche Toxizität auf die Gliazel - monstriert werden. Natürlich ist bei der Übertra - len. gung von Ergebnissen aus Tierversuchen auf Er - Am wirksamsten war Verbindung 1 (2-Amino-3- krankungen des Menschen Zurückhaltung Ethoxy-3-Methylbutansäure), während Verbin - geboten. Aber der Nachweis der hohen Konzen - dung 6 (3-Amino-2-Hydroxy-3-Methylbutan- tration von Pleurocybellaziridin nur in Frucht - säure) wirkungslos war. körpern von P. porrigens und ihren daraus gebil - Aus dem Strukturvergleich der 6 Aminosäuren deten stabilen toxischen Aminosäuren sowie geht hervor, dass für die Zellgiftigkeit ß-Hydro - ihrer Wirkung auf die Oligodendrogliazellen xyvalin im Aminosäuremolekül erforderlich ist. und schließlich der Nachweis der vorbestehen - Weitere Untersuchungen ( WAKiMOTO et al. 2011) den Nierenkrankheit für die Enzephalopathie ergaben, dass die toxischen Aminosäuren aus hat uns das Verständnis dieser schweren und einem hoch reaktiven Aziridin-Aminosäure-Vor - heimtückischen Pilzvergiftung näher gebracht. läufer gebildet werden, dem Pleurocybellaziri - Fragen bleiben aber offen. So wird vermutet, din (3,3-Dimethylaziridin-2-Karboxylsäure). Zur dass das Toxin nicht in allen Kollektionen und Erinnerung: Die Aziridin-Verbindung hatten nicht in jedem Jahr, auch nicht in jeder region OHNO et al. bereits 2006 auf dem Treffen der Ja - in den Fruchtkörpern in kritischer Menge gebil - panischen Mykologischen Gesellschaft als mög - det wird. TAKATA et al. (2009) konnten nur mit

Der Tintling 2 (2012) Seite 90 Extrakten aus 2004 und 2007 gesam - melten Fruchtkörpern, nicht aber aus Aufsammlungen anderer Jahre, ihre nierenkranken Modellmäuse vergif - ten. Möglicherweise existieren ver - schiedene Sugihiratake-Populatio - nen. So wiesen MATSUMOTO et al. (2005) in Kollektionen aus 13 geo - graphischen regionen Japans 2 ge - netisch unterschiedliche Populatio - nen nach, ohne Beziehung zum Substrat oder zur geographischen Herkunft. steckbrief der Angel’s Wings Der Ohrförmige Weißseitling wächst in der regel büschelig bis dachzie - gelartig übereinander. Die 3 bis 8, in Ausnahmefällen auch bis zu 12 cm großen Fruchtkörper haben keinen 5 Der Ohrförmige Weißseitling besiedelt oder allenfalls einen stummelartigen Stiel. Sie morsche Koniferen an dauerfeuchten und sind zunächst mit dem Scheitel am Substrat an - schattigen Standorten. Foto: Tim Sage, Wiki - geheftet, haben später einen seitlich aufsteigen - media commons, cc-BY-SA-3.0 i den, spatel- bis ohrförmig ausgestreckten Habi - 6 Sporen, Basidien und Hutdeckschicht des tus und sind zuletzt muschelartig geformt. Die Ohrförmigen Weißseitlings (links) im Ver - Farben reichen von opak, weiß über cremeweiß gleich zu den Mikromerkmalen des Austern - bis hin zu schwach gelblichen Tönen im Alter. seitlings ( ostreatus ) lediglich am rand und an der verschmälerten Zeichnung: SiEGMAr BErNDT Anwachsstelle ist die glatte und matte Oberfläche filzig beschaffen. Selbst diese Stellen verkahlen im laufe der Zeit und sind dann velourslederartig strukturiert. Der durchscheinend ge - riefte rand ist anfangs eingerollt, dann flatterig und gelappt. Die ziemlich schmalen, glattschneidigen lamellen stehen dicht gedrängt, gabeln sich stellenweise und laufen an der An - wuchsstelle in einem Punkt zusam - men. Wie der Hut sind sie weißlich, creme bis gelblich gefärbt. Ältere Exemplare sollen bisweilen einen leichten Grünstich zeigen ( BON et al. 2005). Das Sporenpulver ist weiß. Das weißliche, dünne Fleisch hat eine feste und zähe, aber keine gelatinöse 4, aber auch nur 1 oder 2 kugelige bis breit el - Konsistenz. Es riecht und schmeckt unauffällig liptisch-tropfenförmige Sporen heran. Sie sind bis krautig-pilzartig. ( KriEGlSTEiNEr et al. 2001, glatt, haben einen deutlichen Apikulus, aber kei - lUDWiG 2001) nen Keimporus. ihre Maße betragen (4,5) 5–7,5 mikroskopische details (8,5) x 4 – 6 µm und schwanken je nach Anzahl Die lamellentrama ist irregulär aufgebaut und der produzierten Sporen pro Basidie. Der Quo - die Zwischenwände der Hyphen besitzen tient aus länge und Breite liegt zwischen 1,0 Schnallen. An den Basidien reifen überwiegend und 1,3. Unter der Zugabe von Jodlösung bzw.

Der Tintling 2 (2012) Seite 91 Baumwollblau zeigen die farblosen Sporen wird der Pilz überwiegend im Norden des lan - keine Farbreaktion, sind also inamyloid, nicht des an der Westküste gefunden (Mitt. von DEBBiE dextrinoid und acyanophil. Die Zystiden an den ViESS per E-Mail). in Asien sind Fundmeldungen lamellenschneiden entwickeln sich aus china, Japan, Korea und Sibirien bekannt. erst im Alter und können dann Der südlichste Nachweis dürfte ein Fund die Basidien deutlich um bis von der südostasiatischen, zu 50 µm überragen. Sie sind äquatorialen inselkette in - höckerig schlauchförmig, donesien sein (Atlas of keulig oder unregelmäßig knor - living Australia 2002). rig geformt und an der Spitze oft in Südeuropa wird der gegabelt. ( lUDWiG 2001) Ohrförmige Weißseitling Ökologie und Phänologie aus italien und rumänien be - Der Pilz besiedelt dauerhaft durch - richtet. im Nordwesten des feuchtete Nadelholzstämme und - Kontinents kommt er in Nord - stümpfe in der späten Optimalphase west-England, Schottland bis zum Beginn der Finalphase der und auf den Hebriden vor. in Vermorschung. Seltener kommt die Mitteleuropa konnte der Pilz Art auch an dickeren, am Boden lie - in Deutschland, liechten - genden Ästen vor. Häufig ist das stein, der Schweiz, Holz mit Moos überzogen. Der Ohr - Polen ( WilGA 2005), förmige Weißseitling bevorzugt der Slowakei ( MiHál schattig-kühle Standorte in 2011) und Tsche - Bergwäldern ( BON et al. chien (GBiF) nachge - 2005) auf feuchten bis wiesen werden. im Nordos - staunassen, oft vermoorten ten Europas wurde die Art in sowie basen- und nähr - Estland gefunden. Auffal - stoffarmen Böden. in lend bei den nordeuropäi - Nordeuropa kann der Pilz schen Vorkommen ist, dass sich auch in tieferen lagen ge - die Fundpunkte in Fennos - funden werden. in Mittel - kandinavien auf die Küsten - europa kommt die Art regionen konzentrieren überwiegend an Fichte (GBiF). Der Pilz wandert in und Weißtanne vor, in Norwegen an der West - Nordeuropa wechselt sie küste nordwärts bis über 5 an Kiefer. Außerhalb den Polarkreis hinaus. Europas zählen noch wei - Die hand - Dabei steigt die Spezies bis tere Nadelhölzer zum Sub - gemalten, detaillierten Abbildungen 600 m auf, selten mehr als stratspektrum: in Amerika können großformatig im Bildband 1.000 m über NN. in Schweden wächst der Pilz beispiels - des ersten Pilzkompendiums ist das Verbreitungsareal auf weise auch an Hemlock - (lUDWiG 2000) bewundert werden. den Süden des landes be - tannen ( sp.) und in Aquarelle: ErHArD lUDWiG schränkt, wohingegen aus Finn - Japan hauptsächlich an Ja - land und Dänemark nur spärli - panischer Zeder ( Cryptomeria japonica ; siehe che Funde vermeldet werden. ( KriEGlSTEiNEr et „Namen aus Südosteuropa“). Die Fruchtkörper al. 2001) erscheinen von August bis Anfang November, in Deutschland stammen die Funde überwie - bei entsprechend feuchtkühler Witterung schon gend aus dem Süden. Dort hat die submontane ab Ende Juni. ( KriEGlSTEiNEr et al 2001) bis montane Art im Alpenvorland, Bayerischen Verbreitung Wald, Schwarzwald, Thüringer Wald und Harz P. porrigens ist ein Kosmopolit und auf der nörd - (JAHN 1969) ihre Verbreitungsschwerpunkte ( BON lichen Erdhalbkugel verbreitet. Die Art kommt et al. 2005). Dagegen ist der Pilz nördlich des verteilt über den nordamerikanischen Subkonti - 51. Breitengrads mit Ausnahme des Harzes nur nent in den USA und in Kanada vor. in Kanada sehr selten anzutreffen. ( KriEGlSTEiNEr et al 2001)

Der Tintling 2 (2012) Seite 92 4 Der Hut des lun - gen-Seitlings ( Pleuro - tus pulmonarius ) hat eine milchweiße bis milchkaffeebraune Farbe. Anders als beim Austern-Seitling (P. ostreatus ) laufen die lamellen am Stiel nicht bis ganz zur Basis herab. Foto: KlAUS röDDEr

Artabgrenzung Prinzipiell kann der Ohrförmige Weißseit - ling mit allen Arten ver - wechselt werden, die seitlingsartige und weißliche Fruchtkörper essbar ausbilden. Dazu zäh - len insbesondere der lungen-Seitling ( Pleurotus pulmonarius ) und cHriSTiAN HENDriK PErSOON beschrieb den Ohr - helle Formen des Austern-Seitlings ( P. ostreatus ). förmigen Weißseitling erstmals 1796 in den Von den Seitlingen unterscheidet sich der Pilz „Observationes mycologicae“ als Agaricus porri - durch die schon oben beschriebenen, dicht ge - gens . Seither wurde das Basionym sechs Mal drängten und in einem Punkt zusammenlaufen - umkombiniert und die Art einmal mit einem an - den lamellen, sowie im Zweifelsfall durch die deren Epitheton beschrieben. im Jahre 1871 ver - fast runden statt schmal zylindrischen bis frachtete der deutsche Priester, lehrer und Wis - schlank elliptischen (pleurotoiden) Sporen. Der senschaftler PAUl KUMMEr die Art in seine neu Milde Zwergknäueling ( Panellus mitis ) erscheint aufgestellte Gattung Pleurotus . Wenige Jahre im Winterhalbjahr an toten Ästen und Zweigen später beschrieb der finnische Mykologe PETTEr von Nadelbäumen, bleibt aber mit bis zu 3 cm ADOlF KArSTEN (1879) die Gattung Phyllotus und Hutbreite deutlich kleiner. Typisch sind stumme - ordnete ihr das Taxon zu. Die letzte Umkombi - lige, von den lamellen abgesetzte und striege - nation im 19. Jahrhundert erfolgte durch den lig-filzig besetzte Stiele. lUDWiG (2001) nennt deutschen Botaniker cArl ErNST OTTO KUNTZE zudem den Kreide-Muscheling ( Cheimonophyl - (1898) in die Gattung Dendrosarcus . Anschlie - lum candidissimum ) als Verwechslungsmöglich - ßend bescherte cHArlES HOrTON PEcK der Art ein keit. Die seltene Art kommt wie P. porrigens in weiteres Synonym, indem er eine Diagnose montanen lagen vor, ist aber kleiner und wächst unter dem Namen Pleurotus albolanatus veröf - darüber hinaus an laubholz. Auch das Gallert - fentlichte (1918). Doch Agaricus porrigens ist fleischige Stummelfüßchen ( ) durch EliAS MAGNUS FriES ’ „Systema mycologi - kann dem Ohrförmigen Weißseitling ähnlich cum 1“ (1821) sanktioniert. 1947 kombinierte sehen. Mit bis zu 8 cm in der Breite besitzt es in - rOlF SiNGEr Agaricus porrigens in die Gattung nerhalb seiner Gattung die größten Fruchtkör - Pleurocybella um - der aktuell verwendete per. Die Huthaut ist jedoch gelatinös, abziehbar Name. Dann blieb es nur kurz ruhig: Bereits und das Sporenpulver braun gefärbt. 1953 ordneten die beiden französischen Pilzfor - scher rOBErT KÜHNEr und HENri rOMAGNESi die taxonomie Art der Gattung Pleurotellus zu. Die Gattung Der Ohrförmige Weißseitling kann auf eine be - wird jedoch als künstlich angesehen ( WATliNG & wegte taxonomische Vergangenheit zurückbli - GrEGOrY 1989). 1973 rückte SiNGEr von seinem cken. Der Pariser Botaniker und Mykologe früheren Standpunkt ab und verschob das Taxon

Der Tintling 2 (2012) Seite 93 in die Gattung , die er 1944 be - namen aus nordeuropa schrieben hatte. Sowohl der dänische als auch der norwegische Trivialname liefern Hinweise auf die Farbe und namensparade Form der Fruchtkörper. „Kridthat“ besteht aus Der wissenschaftliche Artname setzt sich aus den Wortelementen „kridt“ für „Kreide“ sowie dem Gattungsnamen Pleurocybella und dem „hat“ für „Hut“. Und „Krittøsterssopp“ setzt sich Epitheton porrigens zusammen. Die Wortele - aus „kritt“ ebenfalls für „Kreide“, „øster“ für mente des ersten Namensteils beziehen sich auf „Auster“ und „ssopp“ für „Pilze“ zusammen. im die seitlich angewachsenen Hüte und stammen Schwedischen wird P. porrigens „öronmussling“ aus dem Griechischen: „pleurón“ bedeutet in genannt, was mit „Ohrmuscheling“ zu überset - dem Fall „laterale Seite“ und „kýb ē“ heißt zen ist. Die Finnen heißen den Ohrförmigen „Kopf“ ( WErNEr 1972). Bei „-ella“ handelt es Weißseitling „Korvavinokas“. Auch hier ist mit sich um eine lateinische Verkleinerungsendung. „korva“ der Wortbestandteil für Ohr enthalten. Der zweite Namensteil „ porrigens “ ist mit „sich „Vino“ bedeutet soviel wie „schräg, diagonal, ausstreckend“ zu übersetzen. ( lUDWiG 2001) schief“ und „kas“ steht für „wachsend“.

Als Kosmopolit besitzt der Ohrförmige Weißseit - namen aus mittel- und südosteuropa ling mit seinen auffällig weißlichen und seit - Außer den Volksnamen aus dem englischen und lingsartigen Fruchtkörpern zahlreiche Volksna - französischen Sprachraum haben wir für Mittel - men (WDicT 2012, WilDBUrr 2010). im europa noch weitere länderspezifische Bezeich - französischen Sprachraum wird der Pilz „Pleu - nungen recherchiert. Bei unseren tschechischen rote étalé“ genannt, was so viel wie „Ausgebrei - Nachbarn heißt der Ohrförmige Weißseitling teter Seitling“ bedeutet und von den seitlich am zum Beispiel „Hlíva ušatá“: „hlíva“ ist die Auster Substrat angewachsenen, bald gänzlich ausge - und „ušatá“ steht für ohrig. Die in der Slowakei breiteten Fruchtkörpern herrührt. Ein weiterer gebräuchlichen Namen „hlivu ľa uškatá“ und Volksname ist „Pleurote en oreille“, übersetzt „Hlivec biely“ konnten wir nur zum Teil nach - „Ohr-Seitling“. im Englischen ist der lamellen - vollziehen: „Hlivu“ ist ebenfalls die Auster, pilz unter dem mystisch anmutenden Namen „vec“ dürfte Angelegenheit, Ding, Sache bedeu - „Angel´s Wing“ bekannt, weil die geschwunge - ten und „biely“ heißt weiß. Weitere Volksnamen nen, weißen Fruchtkörper bisweilen an verbild - sind mirdzoš ā karotene (lettisch), kriaukliškoji lichte Engelsflügel erinnern. balt ė (litauisch), Bokówka biała und Żagiew łus - kowata (polnisch), kein speisepilz Zleknjena školjka - rica (slowenisch) und Hegyi laska - gombácska (unga - risch). leider sahen wir uns mangels

Das Gallertflei - schige Stummel - füßchen ( Crepido - tus mollis ) besitzt in seiner Gattung die größten Frucht - körper und kann deshalb im Alter dem Ohrförmigen Weißseitling ähneln. Foto: VOlKEr FÄSSlEr

2 (2012) Seite 94 Sprachkenntnissen außerstande, die Wortele - Verwandtschaft mente zu interpretieren. Wir würden uns des - Ursprünglich stammt der Ohrförmige Weißseit - halb über entsprechende Hinweise geneigter le - ling aus der Familie der ritterlingsverwandten serinnen und leser sehr freuen. (). Heute wird die Gattung häufig den Schwindlingsverwandten (Marasmia - namen aus Asien ceae) zugeordnet. KNUDSEN UND VESTErHOlT in Japan heißt der Ohrförmige Weißseitling „Su - (2008) führen sie in ihrem Schlüsselwerk „Funga gihiratake“ ( スギヒラタケ ; jp.Wikipedia 2012). Nordica“ unter den Borstenkorallenverwandten Der Name besteht aus drei Wortelementen: (Pterulaceae). Der für die Gattung zuständige, „Sugi“ bezeichnet die Japanische Zeder, das in aber inzwischen leider verstorbene Autor Jan Japan bevorzugte Substrat des Pilzes. Bei „hira“ Vesterholt folgt damit DENTiNGErS UND handelt es sich um ein Zählwort für flache, MclAUGHliNS (2006) phylogenetischen Ergebnis - ebene Dinge wie Blätter, Flocken oder Zettel sen. Die beiden Wissenschaftler kamen außer - und „take“ bedeutet schlicht Pilz. Der chinesi - dem zum Schluss, dass P. porrigens verwandt - sche Name 貝形圓孢側耳 (zh.Wikipedia 2011 ) schaftlich einer Gruppe mit dem Weißen charakterisiert neben dem Erscheinungsbild von Hängeröhrchen ( Henningsomyces candidus ) P. porrigens auch ein mikroskopisches Merkmal und dem Orangeseitling ( nidulans ) und lässt sich mit „Muschelförmiger rundspori - angehört, jedoch nur mit mäßiger Sicherheit ger Ohrseitling“ übersetzen: 貝 = Kauri, Mu - (euMP, 61%). schel; 形 = erscheinen, aussehen; Form, Gestalt; Der Ohrförmige Weißseitling wird von vielen 圓 = kreisförmig, rund; 孢 = Spore; 側 = lateral, europäischen Autoren als einzige Art seiner Gat - seitlich und 耳 = Ohr. tung angesehen ( KriEGlSTEiNEr et al. 2001, lUD -

Weiße Exemplare des Milden Zwergknäuelings ( Panellus mitis ) zählen ebenfalls zu den potenziellen Doppelgängern des Ohrförmigen Weißseitlings, haben aber kleinere Fruchtkörper mit kurzen, von den lamellen abgesetzten und striegelig-filzig besetzten Stielen. Foto: SJOErD GrEYDANUS

kein speisepilz Der recht sel - tene Kreide- Muscheling (Cheimono - phyllum can - didissimum ) wächst bevor - zugt in mon - tanen lagen an verschie - denen laub - hölzern. Foto: SAVA KrSTic , Wiki - media com - mons, cc-BY- kein speisepilz SA-3.0 i

WiG 2001, KirK et al. 2008), wohingegen Vester - schlussbetrachtung holt diese Aussage auf die nordischen länder Gemeinhin gilt die japanische Küche durch die Europas eingrenzt ( KNUDSEN & V ESTErHOlT 2008). verwendeten frischen lebensmittel und deren in der Pilz-Taxa-Datenbank MycoBank.org sind fettarme Zubereitung als besonders gesundheits - weitere Pleurocybella -Vertreter enthalten, die fördernd. Sie wird sogar als eine der Ursachen hauptsächlich in südamerikanischen ländern für ein langes leben angesehen ( lUcZAK 2005). wie z.B. Bolivien und Brasilien sowie auf den in - Eine leckere Misosuppe mit Sugihiratake kann seln nahe des amerikanischen Kontinents wie jedoch bei Menschen mit vorbestehender ge - z.B. Hawaii gefunden bzw. von dort beschrie - schädigter Nierenfunktion lebensbedrohliche ben worden sind. Allerdings handelt es sich bei Vergiftungen auslösen. GEJYO et al. (2005), von etlichen Taxa um raithelhuber’sche Umkombi - denen die ausführlichste Beschreibung der Sugi - nationen - die Arbeiten des deutschen Mykolo - hiratake-Enzephalopathie stammt (s.o.), bemer - gen waren in der Vergangenheit schon öfter als ken zum Schluss ihrer Zusammenfassung: kritisch bewertet worden. letztlich dürfte ein ab - „Ärzte in regionen der Erde, in denen der Pilz schließendes Urteil hinsichtlich der Gattungszu - vorkommt und gesammelt wird, sollten diese gehörigkeit ohne molekularbiologische Studien Vergiftungsmöglichkeit kennen.“ Und sie schlie - der betreffenden Arten kaum möglich sein. ßen ihren Artikel mit den Worten: „Mit diesem Bericht ermahnen wir Nierenfachärzte an eine Pilzvergiftung zu den - ken, wenn chronisch nie - renkranke Patienten Be - wusstseinsstörungen und unklare neurologische Symptome aufweisen.“ Diesen Aussagen schlie - ßen wir uns vorbehaltlos

Weißes Hänge-röhr - chen Henningsomyces candidus. Foto: BOlESlAW KUZNiK , Wikimedia commons, cc-BY-SA-3.0 i kein speisepilz

2 (2012) Seite 96 kein speisepilz

Orangeseitling Phyllotopsis nidulans Foto: HAMilTON (ham), Wikimedia commons, cc-BY-SA-3.0 i Nach DENTiNGEr & M clAUGHliN (2006) gehören der Ohrförmige Weißseitling ( P. porrigens ), das Weiße Hänge-röhrchen ( Henningsomyces candidus ) und der Orangeseitling ( Phyllotopsis nidulands ) verwandtschaftlich in dieselbe Familie. an, da der Pilz auch bei uns vorkommt und zum schaffung sind wir den Wikipedianern DOc Verzehr gesammelt wird. Denn wenn ein Nie - TAxON , T HGOiTEr und UKKO zu Dank verpflichtet. renkranker unter den Zeichen einer Encephalo - Unser Dank gilt zudem Eric STriTTMATTEr für pathie, z. B. einem Schlaganfall oder im Status seine Hinweise bezüglich des französischen Tri - epilepticus, stirbt, wer würde dabei schon an vialnamens. Für die recherche ausländischer eine Pilzvergiftung denken, die bereits Wochen Pilznamen sind wir neben ErHArD lUDWiG diver - zurückliegen kann und längst vergessen ist? sen Autoren im World Wide Web sowie zahlrei - Daher raten auch wir allen Pilzsammlern, die chen Online-Übersetzungsdiensten zu Dank sich ihrer Nierenfunktion nicht ganz sicher sind, verpflichtet. DEBBiE ViESS von der Bay Area dringend vom Verzehr des Ohrförmigen Weiß - Mushroom Society gebührt ebenfalls unser seitlings ab, bevor der Pilz weiteren Menschen Dank für ihren Hinweis zur Verbreitung von P. Engelsflügel beschert. porrigens in Kanada. danksagung Literatur: Allen voran danken wir ErHArD lUDWiG , der uns AMAKUrA , Y. et al. (2006): conjugated long-chain zur illustration des Aufsatzes hochauflösende Fatty Acids of Pleurocybella porrigens (P - 236) in - Scans seiner hervorragenden Aquarelle anfer - ternational Symposium on the chemistry of Natu - tigte. Ein Dankeschön geht an Ken Wakabayashi ral products, Kyoto. aus Japan, der uns ein Foto von zubereiteten Pil - ANDrEW M. (2010): Angel Wings Miso Soup. Wild zen zur Verfügung stellte. Für die literaturbe - Mushroom recipes. 9.12.2010. Abgerufen am

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