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Nadine Freund Die Verwaltungsjuristin Theanolte Bähnisch (1899–1973) und der Deutsche Frauenring Vom reformorientierten Preußen zur bundesdeutschen Westbindung – eine Wirkungsgeschichte

September 2018, 1152 S., kart., 89,99 € (DE), 978-3-8376-4217-9 E-Book: PDF: 89,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4217-3

Die Regierungspräsidentin Theanolte Bähnisch (1899-1973) spielte im Wiederaufbau Deutschlands nach 1945 eine zentrale Rolle. Das Fundament ihres Engagements lag in ihrer Sozialisation im Geiste des reformorientierten, republikanischen Preußen be- gründet. Nadine Freund legt dar, wie die Präsidentin des Deutschen Frauenrings (DFR) – in Orientierung an der Idee der Überparteilichkeit – versuchte, insbesondere Frauen für die Etablierung einer zweiten deutschen Demokratie zu gewinnen. In ihrer Absicht, dabei ein Bollwerk gegen den Kommunismus zu errichten, wurde sie von deutschen und britischen Eliten aus Politik, Verwaltung, Militär, Erwachsenenbildung und Frau- enbewegung unterstützt.

Nadine Freund (Dr. phil.), geb. 1978, forscht am Institut für Zeitgeschichte in München. Ihre Schwerpunkte bilden Themen der Kultur- und Ideengeschichte, der Verwaltungs- und Unternehmensgeschichte des 20. Jahrhunderts sowie der Erinnerungskultur. Sie war als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel tätig, bevor sie im Auftrag des Regierungspräsidiums Kassel die Geschichte der Behörde im Nationalso- zialismus untersuchte.

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© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Inhalt

1. Einführung in das Thema | 21 1.1 Ein Brief geht nach Hannover | 21 1.2 Posthume Rezeption Theanolte Bähnischs und Forschungsstand | 30 1.3 Eigene Vorarbeiten zum Thema | 41 1.4 Vom ‚Westernisierungs-Ansatz‘ zum biographischen Zugang | 46 1.5 Ziel der Arbeit, zentrale Thesen, Eingrenzung des Gegenstands | 53 1.6 Fragestellung | 56 1.7 Leitende Theorien und Methoden | 60 1.7.1 Antonio Gramscis ‚Hegemonie-Theorie‘ | 60 1.7.2 Diskurstheorie und Begriffsgeschichte | 63 1.7.3 Netzwerkanalyse | 67 1.7.4 Biographie-Theorie | 73 1.7.4.1 Rekonstruktion von Lebenskonstruktion | 73 1.7.4.2 Autobiographische Texte und andere Selbstzeugnisse | 77 1.7.4.3 Biographie und Geschlecht | 80 1.7.4.4 Deutungsgemeinschaften/Erinnerungskartelle | 82 1.8 Inhaltliche Dimensionierung der Arbeit | 85 1.9 Zentrale Literatur | 88 1.10 Quellen | 98 1.11 Aufbau der Arbeit | 104

2. Vom katholischen Münsterland in die Weltmetropole : Sozialisation im Kaiserreich und in der Weimarer Republik | 109 2.1 Kindheit und Jugend zwischen Industrialisierung, National- staatskonsolidierung und Katholizismus (1899 bis 1919) | 109 2.1.1 Aus dem aufstrebenden Beuthen ins ländliche Warendorf | 109 2.1.2 Franz Noltes Engagement für die Mädchenbildung | 116 2.1.3 Darstellung der Eltern-Familien in autobiographischen Texten Bähnischs | 119 2.1.4 Die gestaltende Macht des Glaubens und der Kirche in Theas Jugend | 125 2.1.5 Die Noltes in der Warendorfer Gesellschaft | 130 2.1.6 Die Genese der Entscheidung für das Jura-Studium | 132 2.2 „Es beugt ein brauner Lockenkopf sich übers Corpus Iuris“ – Studium, Gerichts- und Verwaltungsreferendariat (1919-1926) | 134 2.2.1 Jura-Studium in Münster unter unbequemen Bedingungen | 134 2.2.2 Entscheidung gegen das Strafrecht und für die Verwaltung – Viele Anekdoten und wenig faktische Anhaltspunkte | 140 2.2.3 Prostitution als Gegenstand von Verwaltungshandeln: Praktische und theoretische Unternehmungen der Referendarin in Köln und Brauweiler | 147 2.2.3.1 Prostitution als Gefahr für die Volksgesundheit – Die etablierte staatliche Haltung | 147 2.2.3.2 Prostitution als Thema der Frauenbewegung: Fürsorge statt Bestrafung | 149 2.2.3.3 Veränderungen in der Anstalt Brauweiler unter dem Eindruck der Reformgesetze | 153 2.2.3.4 Die Kölner Frauenwohlfahrtspolizei | 155 2.2.3.5 Ziele der Frauenbewegung und der staatlichen Reformpolitik in der Synthese | 158 2.2.3.6 Die Staatsexamensarbeit: Noltes Position zwischen Tradition und Reform | 163 2.3 Beruf, Politik und neue Freundschaften: Die (ersten) Berliner Jahre (1926–1930) | 170 2.3.1 Berufseinstieg im Polizeipräsidium zwischen Politik, Verwaltung und Kultur | 170 2.3.1.1 Kompetenzerweiterung, Modernisierung, Volksnähe: Aufgaben und Reformen der preußischen Polizei | 170 2.3.1.2 Im Zentrum der Macht und der Krise des Staates: Dorothea Nolte als Teil des ‚Bollwerk Preußen‘ | 175 2.3.1.3 „Die[…] Einmaligkeit der Zwanziger Jahre begreift nur der, der das Glück hatte, dabei zu sein“: Die Arbeit in der Theaterabteilung | 180 2.3.1.4 Eine Frau im Männerreich? Die Verwaltungsjuristin in der Kritik | 184 2.3.1.5 Der technische Fortschritt und die Angst des Bürgertums vor Vermassung und Technisierung – Vorboten der späteren Kommunismus-Kritik? | 187 2.3.2 Beste Schwestern: Rückhalt und Freundschaften im Soroptimist-Club | 192 2.3.2.1 Ein Service-Club verspricht Unterstützung für berufstätige Stadtberühmtheiten | 192 2.3.2.2 Theanolte als prominentes Mitglied eines ungewöhnlichen Clubs | 196 2.3.2.3 Selbstverständnis des Clubs und Berufsstruktur seiner Mitglieder | 200 2.3.2.4 Ilse Langner: Eine enge Vertraute Bähnischs aus dem Kreis der Soroptimistinnen | 203 2.3.2.4.1 Frauen auf dem Weg zu neuem Selbstverständnis – Grund- und Stolperstein der Karriere Langners | 203 2.3.2.4.2 Kämpferinnen und kriegsmüde Frauen – Ilse Langner zwischen modernen und antiken Frauengestalten und in der Sicht Theanoltes | 206 2.3.2.4.3 Theanolte in der Darstellung Ilse Langners – im Drama und im Lexikon | 210 2.3.2.5 Netzwerk, Schaubühne, Rekrutierungs- und Vermittlungspool: Die Bedeutung eines nur drei Jahre währenden Zusammenschlusses für seine Mitglieder | 214 2.3.2.5.1 Das Beispiel Lotte Jacobi | 214 2.3.2.5.2 Bähnisch als Anwältin der Ärztinnen | 216 2.3.2.5.3 Der Club als Anlaufstelle und Übungsfeld für Multiplikatorinnen |223 2.3.2.5.4 Zerfall und Wiederaufleben des Clubs in veränderter Zusammensetzung/Schicksale seiner Mitglieder | 224

3 Ehemann, beruflicher Partner und politischer Freund: Albrecht Bähnisch (1900–1944) | 233 3.1 „ganz besonders schöne Jahre“ – Die Bähnischs als Ehe- und Arbeitspaar | 233 3.2 Herkunft und Ausbildung Albrecht Bähnischs | 243 3.2.1 Albrechts Familie: Protestantische Bildungsbürger mit Neigung zum Rechtswesen | 243 3.2.2 Studium der Rechtswissenschaften in Marburg und Berlin | 248 3.2.2.1 Mit Verantwortung beladen und an der Grenze des wissenschaftlichen Ehrgeizes: Albrecht als Regierungsreferendar |253 3.3 Mitarbeit an der Verwaltungsgesetzreform im Preußischen Innenministerium | 258 3.3.1 Neue politische Wege erfordern neues Personal: Glänzende Ausgangsbedingungen im Innenministerium | 258 3.3.2 Ein „heiß erstrebtes Ziel“ – Beamtenrechte der Schutzpolizei | 260 3.3.3 „Gelungenste[s] Reformprojekt“ der preußischen Innenpolitik: Die Neufassung des Polizeiverwaltungsgesetzes | 263 3.3.4 Albrecht Bähnischs schriftliche Beiträge zur Polizei- verwaltungsreform: Gesundheit und Sittlichkeit im Fokus | 269 3.3.5 Berufliche Sozialisation in liberal-sozialen Kreisen – Die Bähnischs im Zirkel preußischer Politik- und Verwaltungseliten | 276 3.3.6 Inhalte von nachhaltiger Wirkung, Kontakte von langfristiger Bedeutung (auch) für Theanolte | 291 3.4 Albrecht Bähnischs Mitarbeit in der ‚Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost‘ (SAG) | 294 3.4.1 Die gespaltene Gesellschaft und die ‚bürgerliche Sozialreform‘ | 294 3.4.1.1 Nächstenliebe, Sozialromantik, Forschergeist? Verschiedene Beweggründe für dasselbe Projekt | 294 3.4.1.2 Sex and Crime. Der Berliner Osten in der bürgerlichen Wahrnehmung | 296 3.4.1.3 Die bürgerliche Sozialreform zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik | 299 3.4.1.4 Selbstverständnis, Zielsetzung, Träger und alltägliche Arbeit des Settlements | 305 3.4.1.5 Albrechts Engagement in der Genese: Zunächst ‚Resident‘, dann ‚Associate‘ | 309 3.4.2 Ein asymmetrisches Projekt von nachhaltiger Wirkung | 312 3.4.2.1 Aktuelle Kritik an der SAG und zeitgenössische Reflexionen – auch Theanolte positioniert sich | 312 3.4.2.2 Zwischen SAG, Verwaltung, Wissenschaft und Erwachsenenbildung – Köpfe in der SAG mit besonderer Bedeutung für die Bähnischs | 318 3.4.2.3 Effekte der SAG-Arbeit über Berlin und die Weimarer Republik hinaus | 324 3.4.2.4 Die SAG als Übungsfeld und Sprungbrett für Albrecht | 327 3.4.2.5 Albrechts Position zwischen Bürgerlicher Sozialreform und dem Sozialstaat 1928 – eine Folge der „Krise [staatlicher] Wohlfahrtsarbeit“? | 331 3.4.2.6 Die Bedeutung der SAG in Theanolte Bähnischs Biographie | 337 3.5 Albrecht Bähnisch setzt sich für die Heimvolkshochschule Dreißigacker ein | 344 3.5.1 Gründer, Pädagogisches Konzept, Zielgruppenorientierung und Gegner | 344 3.5.1.1 Eduard Weitschs Position zwischen zwei Richtungen der Volksbildungsbewegung | 346 3.5.1.2 Vier lebensverändernde Monate? Das Prinzip gemeinsamen Lebens und Lernens | 348 3.5.1.3 Freie Volksbildungsarbeit versus sozialdemokratische Kaderschmiede | 349 3.5.2 Der Aufstieg der Nationalsozialisten und das Ende der Reformpädagogik – Albrecht Bähnisch unterstützt den Verein zur Erhaltung des Volkshochschulheims | 354 3.5.3 Das Erbe der ‚Neuen Leipziger Richtung‘ in der Frauenbildung ab 1945 | 358 3.6 Zusammenschau der Handlungslogik des Ehepaars in der Weimarer Republik; Ausblick auf die daraus resultierenden Rahmenbedingungen für die Zukunft Theanoltes | 361

4 Familienleben und Trennungen, politischer Umbruch und neue berufliche Wege: Von Merseburg über Berlin nach Köln (1930–1945) | 365 4.1 Der Weggang nach Merseburg in der ausgehenden Weimarer Republik | 365 4.1.1 Neue Rollen für Albrecht und Theanolte: Ein blutjunger Landrat und eine politisch informierte Ehefrau und Mutter | 365 4.1.2 „[E]in politisch schwieriger Bezirk“ – Aufstieg und Fall Albrecht Bähnischs | 371 4.1.3 Lieber ein Ende mit Schrecken – Das Ehepaar zwischen Bangen und Hoffen | 380 4.1.4 Ebert wird abgehängt – Merseburg unter neuen Machthabern | 382 4.1.5 Berufsarbeit und Einkommen Theanolte Bähnischs – Zahnkranz im Räderwerk der Demontage und Anlaß zu neuer Hoffnung | 383 4.2 „Wir werden […] unser Leben neu aufbauen“: Zurück in Berlin | 386 4.2.1 Die Anwaltspraxis für Verwaltungsrecht | 386 4.2.2 Zwischen der Neigung zum Rechtswesen und lukrativeren Tätigkeiten in der Privatwirtschaft | 389 4.2.3 Die ‚Gruppe Harnack‘, der ‚Freiheitsverlag‘ und die juristische Vertretung ‚rassisch‘ und politisch Verfolgter | 393 4.2.3.1 War Theanolte Bähnisch eine Widerstandsaktivistin? | 393 4.2.3.2 Bähnisch als Vertraute von Widerstands-Aktivisten | 399 4.2.3.3 Der Widerstand in der Familienerinnerung | 403 4.3 Neue Chancen und Pflichten für den Landrat a. D. – Frustration und Einsamkeit auf der Seite seiner Frau: Das Leben in Köln ab 1935 | 404 4.3.1 Albrechts Karriere in einem ‚kriegswichtigen Unternehmen‘ | 404 4.3.2 Der Prokurist an der Front – und in Gedanken an neuen Ufern | 409 4.3.3 Albrechts ungeliebter Beruf und Theanoltes ungeliebte Erinnerung | 411 4.3.4 „Ich sah dieses Unglück immer so unentrinnbar auf mich zukommen“ – Theanoltes Strategien der Ablenkung und Einkehr | 416 4.3.5 „Ich war gezwungen, meine Kinder stark zu vernachlässigen“: Die Juristin zwischen dem „Dienst an der Allgemeinheit“ und der Rolle als Mutter | 420

5 Eine unbekannte Behörde und ihre populäre Leiterin – Theanolte Bähnisch als Regierungspräsidentin des Bezirks Hannover in den ersten Nachkriegsjahren | 427 5.1 1945 als Chance: Über den Aufbau und den Selbstentwurf Bähnischs als erste deutsche Regierungspräsidentin | 427 5.1.1 „Wir […] möchten Sie besser verwendet sehen, als bisher“ – Die Einladung nach Hannover | 427 5.1.2 Deutsche und britische Personalpolitik in der Provinz Hannover | 431 5.1.3 Entwurf des ‚unternehmerischen Selbst‘ – Darstellung der Vergangenheit im Dienst von Gegenwart und Zukunft | 436 5.2 ‚Frischer Wind‘, aber auch starke Beharrungstendenzen: Bähnischs Sicht auf die Verwaltung, ihre Art der Amtsführung und Außendarstellung | 439 5.2.1 Ein Traditionsamt im Angesicht neuer Herausforderungen | 439 5.2.2 „So menschlich wie möglich“ – Mutmaßungen zur Popularität Theanolte Bähnischs | 441 5.2.3 Eine politische Beamtin als Fürstreiterin für politischen Pluralismus und die Zusammenarbeit mit den Kirchen | 446 5.2.4 Regionales Amt – überregionale Wirkung | 449 5.2.5 Zwischen Unterstützungserwartung und Souveränitätsstreben: Die Kooperation mit der Militärregierung | 450 5.2.6 Bähnischs Engagement für den Einsatz von Frauen in der Verwaltung | 456 5.2.7 Wie gewonnen, so zerronnen? Die Zukunft der Mittelinstanz steht in den Sternen | 459 5.2.7.1 Die Militärregierung holt zum Schlag gegen die deutsche Verwaltungsordnung aus – Diskussion für und wider die Regierungspräsidien | 459 5.2.7.2 Bähnischs Rolle in der Diskussion um die Abschaffung der Mittelinstanz | 465 5.2.7.3 Die Verwendung als Regierungspräsidentin, ein logischer Schritt in der Biographie? | 472 5.3 Noch eine neue Aufgabe: Die Übernahme der Bezirkspolizeileitung | 473 5.3.1 Eine wichtige Etappe im Streben nach Autonomie | 473 5.3.2 Zwischen mißglückter Entnazifizierung und fragwürdigem Desinteresse: Die Kontinuität von ‚Verwaltungseliten‘ aus dem Dritten Reich in der niedersächsischen Polizei | 478 5.3.3 „In gelöster Haltung“ – Bähnisch und die Polizei zwischen Tradition und Reform | 483 5.4 Bildung und ‚Soziales‘: Kernaufgaben der Regierungspräsidentin in der Nachkriegszeit | 487 5.4.1 Der Bezirk Hannover als Drehscheibe der Flüchtlingsströme | 487 5.4.2 (Zweifelhafte) Traditionen und demokratische Aspekte in der Wohlfahrtsarbeit | 493 5.4.3 Die Fürsorge für deutsche ‚Opfergruppen‘, das Beschweigen der Opfer des Nationalsozialismus und die Tradierung von Feindbildern | 498 5.4.4 Professionell, reformorientiert, alleinstehend: Anna Mosolf, Käthe Feuerstack und Katharina Petersen als Verbindungspersonen zwischen Kultusministerium, RP und dem Club deutscher Frauen | 503 5.5 Die niedersächsische Schulreform: Anknüpfen an ‚Weimarer‘ Gepflogenheiten in einem vertrauten Team | 510 5.6 Der Schwerpunkt Jugendfürsorge und -bildung in der Wiederaufbau-Arbeit Bähnischs | 517 5.6.1 Das Jugendflüchtlingslager Poggenhagen | 517 5.6.2 Der Club junger Menschen | 520 5.6.2.1 Wie aus Hitler-Jungen Demokraten werden sollten | 520 5.6.2.2 Orientierung am demokratischen Aufbau statt provokative Aufklärung über die Vergangenheit | 524 5.6.2.3 Rekrutierung des Vorstands, Zusammensetzung und Vernetzung | 527 5.6.2.4 Die ‚Lage der Jugend‘ – (Auch) ein Stellvertreterdiskurs für die Lage der Gesellschaft | 530 5.6.2.5 Bähnischs Club-Gründungen als Trend und Gegen-Trend zugleich | 532

6 Überparteilich, aber nicht unpolitisch: Genese und Arbeit, Mitglieder, Förderer und Gegenspieler von Bähnischs Club deutscher Frauen | 535 6.1 Einführung und Ausblick: Eintreten für die Mitarbeit von Frauen – Die Regierungspräsidentin stellt sich einer (weiteren) großen Herausforderung | 535 6.2 Frauenzusammenschlüsse in Deutschland ab 1945 | 541 6.2.1 „Überleben ist nicht genug“: Hunger und Feminismus nach 1945 | 541 6.2.2 Frauen in der Nachkriegszeit als Forschungsgegenstand zwischen ‚Frauenforschung‘, ‚Bielefelder Schule‘ und ‚Alltagsgeschichte‘ | 543 6.2.3 ‚Überlebenspolitik‘, ‚Frauenpolitik‘ und ‚Politik als Deutungskampf‘ – vielschichtige Zielsetzungen der Organisationen erfordern einen offenen Forschungszugang | 546 6.2.4 Frauen-Zusammenschlüsse als landesweites Phänomen | 549 6.3 Der besondere Fokus auf Frauen in der britischen Militärregierung | 552 6.3.1 Die Umerziehungspolitik der Alliierten | 552 6.3.2 Die Arbeit der britischen Women’s Affairs Officers und eine Instruktion, die auch Bähnisch erreicht haben muß | 554 6.4 Hannover im Zentrum der Aufmerksamkeit: Wer soll die Frauen bilden? | 556 6.4.1 Umworbene Eliten der Frauenbildung – Die niedersächsische Volks- hochschule und die Gründerinnen des ‚Club deutscher Frauen‘ | 556 6.4.2 Fritz Borinskis Konzept der ‚Mitbürgerlichen Bildung‘ und sein Einfluß auf die ‚staatsbürgerliche Frauenbildung‘ Bähnischs | 559 6.4.3 Jeanne Gemmel stellt sich gegen die Volkshochschule und sucht Hilfe in der britischen Frauenbewegung | 565 6.4.4 „We are aiming at nothing less than the changing of German society“: Die Militärregierung, die WGPW und der Wiederaufbau der sozialen Arbeit in Deutschland | 571 6.5 Der ‚Club deutscher Frauen‘ etabliert sich | 581 6.5.1 Die Volkshochschule verliert ihre Hoffnungsträgerinnen für die Frauenbildung an Bähnisch | 581

6.5.2 Ankündigungen und Appelle des Clubs: Menschlichkeit, das Engagement von Frauen im öffentlichen Leben und die Wiedererweckung des nationalen Stolzes | 583 6.5.3 Vom überparteilichen Geist und drei Frontal-Referaten geprägt: Die erste Club-Kundgebung | 588 6.5.3.1 Frauenbewegung und Berufstätigkeit als Alternative zu Partnerschaft und Familie | 589 6.5.3.2 Eine Absage an die Parteiendemokratie? Die Idee des weiblichen Einflusses auf die ‚Gemeinschaft‘ | 592 6.5.3.3 ‚Mütterlichkeit‘ und ‚Friedfertigkeit‘ – Anknüpfen an Schlüsselbegriffe der bürgerlichen Frauenbewegung | 595 6.5.3.4 Anna Mosolfs kulturkritische Analyse der Vergangenheit | 599 6.5.3.5 Elfriede Paul fordert die Abkehr vom Faschismus | 602 6.5.3.6 Trotz organisatorischen Desasters eine vielversprechende Veranstaltung? Die Kundgebung in der Nachlese | 605 6.5.4 Club-Gründung und Gründungsvorstand | 606 6.5.5 Club-Angebote für Mitglieder und Gäste | 612 6.5.5.1 Mehr als eine Gedenkveranstaltung – Der Club erweist Helene Lange die Ehre | 616 6.5.5.2 Mehr Lobbyismus als Bildungsangebote: Die Club-Arbeit in der frühen Phase | 619 6.5.5.3 Die politische Bildungsarbeit nimmt zu – Schlaglichter aus den Jahren 1947 und 1949 | 621 6.5.5.4 Mitgliederinteressen, Einflußmöglichkeiten, (Willens-)Bildungs- prozesse – eine Doppel-Strategie bestimmt das Club-Leben | 626 6.6 Der Club in der Auseinandersetzung mit anderen politischen und gesellschaftlichen Kräften | 629 6.6.1 Nur eine Frauenorganisation unter vielen? Der Club und die ‚Arbeitsgemeinschaft der Frauenverbände‘ in Hannover | 629 6.6.2 Der Umgang des Clubs mit ‚seinen‘ Kommunistinnen | 633 6.6.3 Die Reaktion der ‚Abteilung Frauenkreis‘ in der CDU auf die Club-Arbeit | 634 6.6.4 Elisabeth Selbert (SPD) wird auf die überparteiliche Frauenarbeit aufmerksam | 637 6.7 „Their feud has become legendary“: Die Auseinandersetzung zwischen der SPD-Frauensekretärin Gotthelf und ihrer Genossin Bähnisch | 639 6.7.1 Hannover wird Startpunkt und Hauptschauplatz eines landesweiten Kräftemessens | 639 6.7.2 Vorurteile führender Genossinnen gegen die ‚Überparteilichen‘ und der Ruf nach harten Sanktionen | 645 6.7.3 Schumacher bezieht Stellung, trifft jedoch keine Entscheidung | 648 6.7.4 Ideologischer Eklektizismus oder sozialdemokratische Überzeugung? Ein gemeinsames Ziel, aber zwei verschiedene Wege | 650 6.7.5 Bähnischs Umgang mit dem Nationalsozialismus als Kritikpunkt der Sozialdemokratinnen | 653 6.7.6 Zur Vielschichtigkeit frauenpolitischen Engagements in der SPD | 654 6.7.7 „Ich habe keine Lust, ein zweites 33 zu erleben“: Gefahr durch Infiltration oder durch politische Abstinenz? | 656 6.8 Die Orientierungslosigkeit der Militärregierung in Sachen ‚Frauenfragen‘ und die rettende Hilfe durch ‚Visiting Experts‘ | 658 6.8.1 Jeanne Gemmel bittet erneut die WGPW um Unterstützung | 658 6.8.2 Der ‚Deneke-Norris-Report‘: Ein Kerndokument der britischen Frauen-Re-education-Politik in Deutschland | 662 6.8.2.1 Weichzeichnungen und Vorschuß-Loorbeeren: Deneke empfiehlt die Unterstützung des Clubs deutscher Frauen | 664 6.8.2.2 Hinter den Kulissen: Die Genese des Reports und die Bewertung des Clubs in unveröffentlichten Dokumenten | 666 6.8.2.3 Tips für die Leitung der ‚Arbeitsgemeinschaft der Frauenverbände‘ an Bähnisch | 667 6.8.2.4 „a one man’s show“ – Ämterhäufungen unter dem Vorsitz Bähnischs | 671 6.8.2.5 Abschließende Empfehlungen, ihre Umsetzung und die Erweiterung des Einflusses der WGPW | 671 6.8.2.6 Auch ein Effekt der Hilfe Denekes: Die Regierungspräsidentin als ‚Gate-Keeper‘ zu Kontakten und Auslandsreisen | 674 6.8.2.7 Herrschaft der Verbände? Deneke als Lobbyistin der Frauenbewegung | 676 6.9 Die Reise nach Großbritannien: Auftakt zur internationalen Kooperation in der Frauenbewegung und eine Chance für den Regierungsbezirk Hannover | 678 6.9.1 Kritik an der Mission – Die Political Branch stellt sich gegen die Reise Bähnischs | 679 6.9.2 Der International Council of Women re-etabliert seine Verbindungen nach Deutschland | 680 6.9.3 Die Sorgen des Regierungsbezirks im Gepäck | 685 6.9.4 Selbstdarstellungen und persönliche Stellungnahmen: Die Juristin will Eindruck machen | 690

7 „eine hochwichtige staatspolitische Aufgabe“: Vom Hannoveraner Club zur zonenweit agierenden „Organisation gegen den Demokratischen Frauenbund“ | 695 7.1 Die Frauenbewegung in der SBZ, die Gründung des DFD im März 1947 und die Reaktionen im ‚Westen‘ | 695 7.1.1 Ähnliche Ziele wie der Club, aber andere Vorgaben: Der DFD als Organisation der SED | 695 7.1.2 Die ‚Anwältin der Frauen‘ tritt aktiv den Kommunistinnen entgegen und erntet Beifall von Officer Walker | 699 7.1.3 Die Gründung des DFD als überregionaler Frauenverband in Berlin – unter ‚bürgerlicher‘ Beteiligung | 702 7.1.4 (K)ein Gebot der ersten Stunde: Feminismus und Antikommunismus in der Selbstkonstruktion Bähnischs und in der Organisationsgeschichte des Frauenrings | 706 7.1.5 „Im Osten geht es um eine Vergottung des Kollektivismus“ – (Nicht nur) Bähnischs inhaltliche Abgrenzung zum DFD und zum Kommunismus | 714 7.2 Ein Ausblick: Interzonale Frauen-Konferenzen in Westdeutschland 1947 bis 1949: Meilensteine auf dem Weg zur Re-organisation der Bürgerlichen Frauenbewegung | 723 7.3 Zwischen selbstbewußtem Aufbruch und dem schwierigen Umgang mit der Vergangenheit: Die Konferenz von Bad Boll (20. bis 23. Mai 1947) | 731 7.3.1 Eine andere Besatzungszone, aber ein vertrauter Kreis – Bähnischs Friedensappell an die ‚Frauen am Scheideweg‘ | 731 7.3.2 Ein großer Schritt für die Frauenbewegung oder ein Beitrag zur Restauration traditioneller Geschlechterrollen? Die Bewertung der Konferenz in der Forschung | 736 7.3.3 Vom Umgang mit Nationalsozialistinnen und Kommunistinnen in Bad Boll – Verhinderungs-, Überwindungs- und Vermeidungsstrategien der Regierungspräsidentin | 739 7.3.4 Die Bewertung durch zeitgenössische deutsche und ausländische Beobachter | 745 7.4 Die Tagung von Bad Pyrmont (20. bis 23. Juni 1947) und die Gründung des Frauenrings der britischen Zone durch die Leiterin des Club deutscher Frauen | 750 7.4.1 Politische, pädagogische und philosophische Betrachtungen über die ‚Renaissance des Menschen‘ unter der Schirmherrschaft des Kultusministers | 750 7.4.2 Praktische Ansätze zur Unterstützung leidgeprüfter Bevölkerungsgruppen im Alltag | 759 7.4.3 Die Konstituierung des ‚Frauenrings der britischen Zone‘ – Herbe Enttäuschungen und ein Traditions-Bruch | 765 7.4.4 Entscheidende Statements: Unterstützung des ‚Frauenrings‘ | 773 7.4.4.1 „trotz Frühgeburt, das Kind ist da“ – Die Akzeptanz von Bähnischs „rascher Führung“ in der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung | 773 7.4.4.2 ‚Pyrmont‘ und die Konferenz der Sozialdemokratinnen in Fürth in der Bewertung von Senior Women’s Oficer Ostermann | 775 7.4.4.3 Helena Deneke lobt ‚Pyrmont‘ überschäumend | 779 7.5 Quo vadis Theanolte Bähnisch? Erschöpfung, Zerissenheit und die Suche nach Alternativen zu den etablierten Arbeitsfeldern | 783 7.5.1 Eine ausgebrannte Vorsitzende hegt Fluchtgedanken | 783 7.5.2 Die Zeitschrift ‚Stimme der Frau‘ | 785 7.5.3 Organisation im Nachgang – Der ‚Ring‘ gibt sich einen Vorstand und schärft sein Profil | 792 7.6 „Sie will die Frau im Westen werden“ – Bähnisch, der Frauenring und die Frauenkonferenzen in den Westzonen aus der Sicht von KPD-, SED- und DFD-Funktionärinnen | 795 7.6.1 Ein Mitglied des ‚Club deutscher Frauen‘ wechselt die Fronten | 796 7.6.2 Kooperation angestrebt: Führende Kommunistinnen buhlen um Bähnischs Gunst | 798 7.6.3 Hilfestellung aus der KPD bei der Überwachung westdeutscher Frauenorganisationen durch die SED | 804 7.6.4 Aus nächster Nähe: Empfehlungen aus dem KPD-Bezirk Hannover | 809 7.6.5 Der Frauenring: Wenig Angriffs-, aber viel Reibungsfläche für Kommunistinnen | 812 7.6.6 „Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, daß sie vom Osten nichts hören wollen“: Der gesamtdeutsche Anspruch des DFD und die Haltung Bähnischs | 816 7.7 Frauen-Tagungen in Berlin und zwischen ‚München‘ und ‚London‘: ‚Frieden‘ versus ‚Freiheit‘ und der Bruch zwischen ‚Ost‘ und ‚West‘ | 820 7.7.1 Die DFD-Tagung im Rahmen des ersten ‚Volkskongreß für den Frieden‘ (Dezember 1947) | 820 7.7.2 Die interzonale Tagung der Frauenverbände in Frankfurt (Mai 1948) | 825 7.7.2.1 Umstände und Teilnehmer | 825 7.7.2.2 Staatsbürgerinnen statt Parteipolitikerinnen – Bähnischs Kampfbegriff für ein neues Deutschland prägt die Konferenz | 828 7.7.2.3 Vorsichtige Abkehr von der Rhetorik der Bürgerlichen Frauenbewegung in Hessen – nicht jedoch in Niedersachsen | 834

7.7.2.4 Ein Konzept für eine Schule für staatsbürgerliche Frauenbildung – und eine Bilanz des bisher in der Frauenpolitik Geleisteten | 835 7.8 Rückblick auf den Austausch zwischen Hannover, Berlin, London und Washington: Die deutsche Frauenbewegung ist Chefsache in Großbritannien und Thema in den USA | 840 7.8.1 „I am disappointed that we do not appear to have done anything“ – Britische Spitzenpolitiker zwischen Uninformiertheit und brennender Sorge | 840 7.8.2 Herta Gotthelf kritisiert die Förderung des Frauenrings durch die ‚Bruderpartei‘ | 849 7.8.3 Was ist Politik, was Demokratie? – Bähnisch und die CCG (BE) sind sich einig | 854 7.8.4 „we should […] back the Frauenring under the leadership of Frau Bähnisch“ – General Robertson spricht ein Machtwort | 857 7.8.5 Mehr Kapazitäten für Frauen-Re-education: Veränderungen im britischen Militärapparat | 860 7.8.6 OMGUS gründet eine Women’s Affairs Section und wirbt um Bähnisch | 861

8 Bähnischs wachsende Prominenz in der Außenpolitik und die Entwicklung des Frauenrings zum ‚Deutschen Frauenring‘ | 867 8.1 Binational, international, supranational, aber vor allem europäisch: Bähnisch mehrt ihren Bekanntheitsgrad | 867 8.1.1 Mit der Verantwortung wächst die Arbeitsbelastung | 867 8.1.2 Engagement in der ‚Europäischen Bewegung‘ | 871 8.2 Was wird aus dem Frauenring? Hoffnungen, Enttäuschungen und neue Entwicklungen auf britischer Seite | 884 8.2.1 Leere Kassen, eine unausgewogene Mitgliederstruktur und dennoch förderungswürdig? Erneute Lageanalyse und Entwicklungshilfe für den Ring durch Deneke | 884 8.2.2 Ein objektiverer Blick auf den ‚Ring‘? Stellungnahmen der Regional Women’s Affairs Officers und Vorwürfe durch andere Mitarbeiter/Ratgeber der CCG (BE) | 890 8.2.3 Der Frauenring – nur eine Hoffnung unter vielen überparteilichen Organisationen? | 898 8.2.4 „the methods adopted were undemocratic“ – Die Briten unterstützen die Gründung einer größeren Organisation durch Bähnisch dennoch | 900 8.2.5 Bähnisch und ihr Frauenring als Säule der westalliierten Containment-Politik | 904 8.2.6 Die Regierungspräsidentin als Hoffnungsträgerin in der internationalen Frauenbewegung | 907 8.3 Der zweite Kongreß von Pyrmont und die Gründung des Deutschen Frauenrings (DFR) als Frauenverband für (West-)Deutschland | 910 8.3.1 „Es wird höchste Zeit, daß wir unter ein Dach kommen“ – Ungeduld und große Erwartungen | 910 8.3.2 Eine reibungsvolle Genese: Die Gründungsmitglieder und ihre Verhandlungen über den Vorstand des DFR | 914 8.3.3 Vom Charakter eines überparteilichen Führungs-Komitees und seinem Unbehagen mit den ‚Massen‘ | 927 8.3.4 Die Akzeptanz Bähnischs als neue Führungsfigur (auch) in der ‚Bürgerlichen Frauenbewegung‘ – Schnittstellen und Symbiosen von Eliten-Kontinuitäten | 933 8.3.5 Schwammige Begriffe mit Integrationspotential | 937 8.3.6 Ein Dach ohne Haus – Der DFR erfüllt eine zentrale Erwartung nicht | 942 8.3.7 Die Reaktionen ausländischer Gäste auf ‚Pyrmont II‘ | 948 8.3.8 „Sinn und Aufgaben des Deutschen Frauenrings“ – Bähnischs Rede auf dem Gründungskongreß des DFR | 953 8.3.8.1 Rechte, Pflichten und Chancen dreier Frauengenerationen: Von angeleiteter Sublimation über doppelte Rollen bis zur Umgestaltung der Welt | 953 8.3.8.2 Die ‚gemeinsame Frauenhaltung‘ als Ausdruck von Solidarität im privaten und im öffentlichen Leben | 962 8.3.8.3 „Wir sind alle Deutsche“: Die Aufgaben der Frauen(bewegung) in der Schicksals- und Wiederaufbaugemeinschaft | 965 8.3.9 Die Arbeits-Ausschüsse des DFR – Ein wichtiges Forschungsfeld für eine Organisations-Geschichte | 975 8.4 „Nun begann die eigentliche Arbeit“: Das Wirken des DFR auf Bundes-, Landes- und Ortsebene anhand ausgewählter Beispiele | 982 8.4.1 Die Entwicklung der Landesringe bis 1952 – Schlaglichter | 985 8.4.2 Die Arbeit der Ortsringe an den Beispielen Freiburg und Oldenburg | 989 8.4.3 Die Arbeit des Bundesvorstands, seiner Präsidentin und seiner Ausschüsse | 997 8.5 Bähnisch, der DFR und die Ministerien – Personalpolitik, Zusammenarbeit und die Institutionalisierung von Bewegungszielen | 1006 8.5.1 Die ‚gesamtdeutsche Arbeit‘ des Frauenrings wird Regierungs- und Geheimsache | 1006 8.5.2 Bähnischs personalpolitische Einflußnahme auf das Frauenreferat im Bundesinnenministerium | 1009 8.5.3 Personalpolitik beim ‚Informationsdienst für Frauenfragen‘ | 1014 8.5.4 Das BMI-Frauenreferat zwischen Widersachern und Unterstützern | 1018

8.6 Auf internationaler Mission und am Ende der Kräfte: Eine Entscheidung steht an | 1029 8.6.1 Reisen über Reisen und Krankheiten über Krankheiten | 1029 8.6.2 Auf zu neuen Ufern: Vom Vorsitz des DFR in den Vorstand des ICW | 1033 8.6.3 „bis die Sache steht“ – Bähnisch gründet eine deutsche UN-Liga | 1038 8.7 Epilog | 1041

9 Fazit | 1045

Abkürzungsverzeichnis | 1071

Quellen und Literatur | 1075

1. Einführung in das Thema

1.1 EIN BRIEF GEHT NACH HANNOVER

Köln 1945, am Tag vor Heiligabend. Theanolte Bähnisch1 reflektiert in ihrer von Bomben beschädigten, notdürftig wieder hergerichteten Dachgeschoß-Wohnung schriftlich den Stand ihres privaten, beruflichen und politischen Lebens. Der Emp- fänger ihrer Auslassungen ist kein Geringerer als der spätere SPD-Parteivorsitzende , der von 1933 bis 1943 in verschiedenen Konzentrationslagern in- haftiert gewesen war und im April 1945, noch vor der Kapitulation Deutschlands, von Hannover aus mit dem Wiederaufbau der Sozialdemokratischen Partei begonnen hatte, die von den Nationalsozialisten 1933 verboten worden war. Auf der Funktio- närsversammlung im Oktober desselben Jahres hatte er von den Genossen ‚grünes Licht‘ dafür bekommen, als politischer Beauftragter der Westzonen tätig zu werden.2

1 Es gibt verschiedene Erklärungen zur Frage, warum die geborene Dorothea Nolte ihren Geburtsnamen zum Vornamen hinzuzog und mit dem Nachnamen ihres Mannes kombi- nierte. Ihrem autobiographischen Diktat nach pflegte sie als junges Mädchen die Abkür- zung ihres Vornamens ‚Thea‘ und ihren Nachnamen ‚Nolte‘ in einem Atemzug aufzusa- gen, wenn sie nach ihrem Namen gefragt wurde. Deshalb sei sie für sich schon seit der Schulzeit ‚Theanolte‘ gewesen. Nach der Heirat habe sie ‚Theanolte‘ bleiben wollen, „auch als Frau Bähnisch“. Privatnachlaß Theanolte Bähnisch, Waiblingen, Autobiogra- phisches Diktat o. T., o. J. [1972], Teil I, S. 2, Trotz allem: Fußstapfen meines Lebens. (Da die Seitenzählung im autobiographischen Diktat keiner einheitlichen Logik folgt, werden in den Belegen jeweils die Überschriften mit angegeben.) Auch in einem Artikel des ‚Spiegel‘ ist zu lesen, daß sie nach der Heirat mit Albrecht Bähnisch die Namenfolge ‚Thea Nolte‘ beibehalten wollte, weshalb sie ihren Geburtsnamen zum Vornamen hinzugezogen habe. Vgl.: O. V.: Theanolte Bähnisch, in: Der Spiegel, 01.01.1961, S. 67. Im überlieferten be- ruflichen und privaten Schriftverkehr Bähnischs dominiert die Verwendung des Namens ‚Theanolte‘, amtliche Dokumente sind jedoch auf den Namen ‚Dorothea‘ ausgestellt. 2 Zum Parteivorsitzenden wurde Schumacher im Mai 1946 in Hannover, im Speisesaal der Hanomag, gewählt. Vgl.: Röhrbein, Waldemar: Hannover nach 1945. Landeshauptstadt und Messestadt, in: Mlynek, Klaus/Röhrbein, Waldemar: (Hrsg.): Geschichte der Stadt Hannover, Bd. 2: Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, Hannover 1994, 22 | Theanolte Bähnisch

Der Adressat des Briefs, der Zeitpunkt, zu dem er entsteht und der Inhalt, den er transportiert, machen dieses Schriftstück zu einem Schlüsseldokument, welches tiefe Einblicke in die Vorstellungswelt, die Ziele und die Argumentationsstrategie der zu jener Zeit 46 Jahre alten Verwaltungsjuristin zuläßt. Die Art, auf die sie in ihrem Schreiben Vergangenes und Gegenwärtiges reflektiert sowie Zukünftiges antizipiert, läßt vermuten, daß die mit den Mühlen der Verwaltung vertraute Verfasserin ahnt, daß jenes Schriftstück sorgfältig abgelegt, archiviert und der Nachwelt überliefert werden würde. Die Relevanz dieses Schreibens für ihr eigenes Leben muß ihr und auch ihren Nachfahren bewußt gewesen sein, anders ist es jedenfalls kaum zu erklä- ren, daß ausgerechnet das Schreiben Kurt Schumachers, auf das Bähnisch mit dem hier vorgestellten Brief antwortet, im sehr schmalen Privatnachlaß der Juristin über- liefert ist.3 „Ich warte dauernd auf die Rückkehr meines über 2 Jahre in Rußland vermißten Mannes“, schreibt sie an Schumacher, der als Invalide aus dem Ersten Weltkrieg zu- rückgekehrt und in Folge der KZ-Haft schwer krank war. „Für ihn und die Kinder, die ich zwar zärtlich liebe, aber die letzten Jahre infolge des Bombenkrieges sowie meiner starken, politischen und beruflichen Inanspruchnahme etwas vernachlässigen mußte, habe ich unter schwierigsten Verhältnissen begonnen so etwas wie ein Heim wieder aufzubauen.“4 Theanolte Bähnisch hatte ihre dreizehn und zwölf Jahre alten Kinder erst nach dem Kriegsende in die Kölner Wohnung der Familie zurückgeholt. Während des Krieges hatten Orla-Maria und ihr um ein Jahr jüngerer Bruder Hans- Albrecht zunächst bei ihrer Tante, dann bei Freunden des Ehepaars Bähnisch im Taunus gelebt.5 Mit der ‚Inanspruchnahme‘, die die zweifache Mutter gegenüber Schumacher erwähnt, spielt sie auf etwas an, was sie zu jener Zeit bereits publik zu machen begonnen hatte, nämlich, daß sie sich im Dritten Reich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus engagiert habe und daß sie dabei als Verwaltungsrechtsrätin Personen, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, Beistand geleistet habe. In der Aegidienberger Straße, wo Theanolte Bähnisch Ende 1945 lebte, war auch der 1939 zur Wehrmacht eingezogene sozialdemokratische Landrat a. D. Albrecht Bähnisch während der Kriegsjahre gemeldet.6 Jetzt teilt seine Frau das Schicksal vie- ler Frauen, deren Ehemänner gefallen oder aus der Kriegsgefangenschaft noch nicht zurückgekehrt waren. Auf sich allein gestellt hatte sie nach Kriegsende ihre Tätigkeit als Anwältin für Verwaltungsrecht wieder aufgenommen – was die Zulassung durch

S. 579–800, hier S. 661. Vgl. auch: Loeding, Matthias: Otto Grotewohl contra Kurt Schu- macher. Die Wennigser Konferenz im Oktober 1945, Hamburg 2004. 3 Privatnachlaß Theanolte Bähnisch, Schumacher an Bähnisch, 15.12.1945, Kopie in AddF, SP-01. 4 Ebd. 5 Gespräch mit Orla-Maria Fels, 11.11.2009 sowie DLA, A: Langner, Briefe an sie von Bäh- nisch, Theanolte, 87.5.34. Bähnisch an Langner, 09.01.1945. 6 Darauf deutet ein vermutlich während eines Fronturlaubes verfaßtes Schreiben des Merse- burger Landrats Bähnisch a. D. hin, welches die Kölner Adresse im Briefkopf trägt. LHASA MER, Rep C 48 I a II, Lit 13, Nr. 5, Albrecht Bähnisch an das Reichsministerium des Innern, 17.06.1941. Einführung | 23 die britische Militärregierung, zu deren Besatzungszone Köln zählte, vorausgesetzt hatte. Über ihre Arbeit schreibt sie an Schumacher: „Ich bin mit Leidenschaft Anwäl- tin. Wie ein Spürhund gehe ich einer Sache nach und schleuse sie langsam an vielen Klippen vorbei zum Ziel. Ich bin nicht Juristin, sondern juristische Artistin“7. Da sie ihr Gewerbe „im Umherziehen“ ausübe, bekomme sie interessante Einblicke in die deutsche, englische und amerikanische Bürokratie, fährt sie fort, im Bewußtsein, daß Schumacher ebenfalls auf das Wohlwollen der Militärbehörden angewiesen ist und daß gute Beziehungen zu den Briten und Amerikanern in Geld zu jener Zeit nicht aufzuwiegen sind. Als Sozialdemokratin, die in den späten zwanziger Jahren ihre be- rufliche und gesellschaftliche Heimat unter reformorientierten Politik-, Verwaltungs- und Pädagogikeliten des demokratischen ‚Bollwerk Preußen‘ gefunden hatte, profi- tiert Bähnisch vom eklatanten Mangel an politisch unbelasteten Juristinnen und Juris- ten in Deutschland – offenbar auch finanziell8 – stark. Und doch zieht sie eine beruf- liche Veränderung in Betracht. Sie verspürt den Drang, sich politisch zu engagieren und gibt dem designierten Partei-Vorsitzenden auch gleich Nachhilfe in Sachen Par- tei-Politik. Auf ihre Erfahrungen mit den Militärverwaltungen verweisend, erklärt sie ihm, daß auch die „Partei als Knochengerüst eine Bürokratie“ brauche, „daneben aber bürokratische Außenseiter, die echte Politiker sind“, denn, so fährt sie fort: „Vorwärts getrieben werden die Dinge von Ideenträgern, Persönlichkeiten, die eine starke Ausstrahlung besitzen“9. Solch eine ‚Persönlichkeit‘ – das zeigt auch ihr Be- dürfnis, ihren Lebenslauf10 und ihre Entscheidungsfindungsprozesse in den folgenden Jahren bei vielen Gelegenheiten öffentlich zu verbreiten11 – erkennt sie in sich selbst: „Mir geht es um die Erkenntnis größerer Zusammenhänge und die politische Mitar- beit in einer mir gemäßen Form. Ich will nichts werden, nur etwas sein. Mein Ideal wäre, neben meinem Beruf, sogar mit Hilfe meines Berufes an der politischen Ent- wicklung der Partei mitzuarbeiten.“12 Ihre Zugehörigkeit zur SPD demonstriert sie, indem sie einen Blick zurück wagt, auf die Zeit, in der die NSDAP die Stimmen- mehrheit im Reichstag erlangen konnte: „Wir sind ihnen letztlich 1933 doch nur des-

7 AdSD, Kurt Schumacher, Nr. 126, Theanolte Bähnisch an Kurt Schumacher, 23.12.1945. 8 Privatnachlaß Theanolte Bähnisch, Autobiographisches Diktat o. T., o. D. [1972], Teil II, S. 5. 9 AdSD, Kurt Schumacher, Nr. 126, Theanolte Bähnisch an Kurt Schumacher, 23.12.1945. 10 Der Schweizer Soziologe Martin Kohli bezeichnet den Lebenslauf als Instrument der „mo- ralischen Integration moderner Gesellschaften“. Vgl.: Kohli, Martin: Ruhestand und Mo- ralökonomie, in: Heinemann, Klaus (Hrsg.): Soziologie wirtschaftlichen Handelns, Opla- den 1987, S. 393–416, hier S. 395. 11 Siegfried Kracauer beschreibt, zweifellos überspitzt, den Versuch, durch autobiographi- sches Schreiben eine ‚Persönlichkeit‘ zu werden, als ein bürgerliches Phänomen: Vgl.: Kracauer, Siegfried: Die Biographie als neubürgerliche Kunstform, in: Frankfurter Zeitung, Literaturblatt, 29.06.1930, S. 6. Vgl. auch folgende Interpretation der Kritik Kracauers: Marian, Esther: Jeder Angestellte will eine Persönlichkeit sein. Zu Siegfried Kracauers Bi- ographiekritik, in: Fetz, Bernhard/Huemer, Georg (Hrsg.): Theorie der Biographie. Grund- lagentexte und Kommentar, Berlin 2011, S. 125–131. 12 AdSD, Kurt Schumacher, Nr. 126, Theanolte Bähnisch an Kurt Schumacher, 23.12.1945.

24 | Theanolte Bähnisch halb unterlegen, weil wir die Idee der Demokratie nicht lebendig genug in das Volk hinein getragen haben. Glaubten doch selbst unsere damaligen führenden Politiker mit einer starken Bürokratie und gesunden Sachlichkeit allein die Probleme meistern zu können“,13 analysiert sie und bricht damit gleichzeitig eine Lanze für mehr Bevöl- kerungsnähe in der politischen Agitation der Sozialdemokratie. Aus ihren Worten läßt sich schließen, daß sie durch ihre Partei-Mitarbeit einen Beitrag dazu leisten will, Deutschland nach der zwölf Jahre währenden Diktatur auf den Pfad der Demo- kratie (zurück) zu führen. „Sie sollten politische Strahlungspunkte in den verschiedenen Provinzen aus Leu- ten Ihres Vertrauens bilden, die die örtliche Bürokratie befruchten und beleben“, legt sie Schumacher nah und bietet sich selbst als eine solche Person an: „Ich bilde mir ein, in diesem Rahmen am besten verwertbar zu sein und bin bereit, nicht nur meine ganze Freizeit dafür zu opfern, sondern auch meine Berufstätigkeit gegebenenfalls einzuschränken.“14 So könne sie ihre politische Leidenschaft leben und doch wirt- schaftlich unabhängig bleiben, erklärt die Juristin und ergänzt: „Auf eine äussere Stellung, und wenn es die eines Ministers wäre, kann ich gern verzichten. Mein Selbstbewußtsein hat so etwas nicht nötig.“15 Sie gibt sich überzeugt davon, daß sie, nicht zuletzt aufgrund ihres Geschlechts, in besonderem Maß für eine Vertrauenspo- sition in der Partei geeignet sei: „Ich bewege mich mit den Männern auf der ihnen vertrauten geistigen Ebene mit voller Sicherheit, transponiere aber Geist und Ver- stand in meiner weiblichen Art unter Verzicht auf erotische Mätzchen“, teilt sie Schumacher mit und fügt hinzu „[d]as soll das Geheimnis meiner Erfolge sein.“16 Aus diesen Zeilen an einen der wichtigsten Protagonisten des deutschen Wieder- aufbaus ab 1945 wird deutlich: Theanolte Bähnisch hat Großes vor. Sie sieht Ende 1945 ihre Zeit gekommen, will gehört werden und Einfluß nehmen. Ihre Zukunfts- pläne bringt sie mit dem Wiederaufbau ihres zerstörten Heimatlandes in Einklang. Sie zeigt, daß sie die Zeit, in der sie nun lebt, als eine Chance begreift, nach den Er- fahrungen von ‚Weimar‘ eine neue Demokratie aufzubauen und dafür zu sorgen, daß die Gesellschaft mehrheitlich hinter dieser Staatsform steht. Ob sie voraussieht, daß sie mit Schumacher den späteren Kanzlerkandidaten der Bundesrepublik anspricht, der schließlich um Haaresbreite gegenüber seinem Kontrahenten Adenauer scheitern sollte, ob ihr Engagement zu jener Zeit aus der Überzeugung resultiert, daß die SPD die treibende Kraft im Staat sein müsse, den es unter den Augen der Besatzer aufzu- bauen gilt, sei dahingestellt: Fakt ist, daß die Juristin ihr selbst definiertes berufliches und politisches Entwicklungspotential 1945 in ihre Überlegungen zur politischen Profilierung und zum organisatorischen Wiederaufbau jener Partei einreiht, die ihren Ehemann in der Weimarer Republik stark gefördert hatte und die sie selbst trotz der ‚Doppelverdienerkampagne‘ immerhin bis 1930 als eine von wenigen verheirateten Frauen im gehobenen Verwaltungsdienst gehalten hatte.

13 Ebd. 14 Ebd. 15 Ebd. 16 Ebd. Einführung | 25

Kurt Schumacher erhält den Brief der Verwaltungsrechtsrätin am 31.12.194517, an der Schwelle zum ersten Jahreswechsel in Frieden seit sieben Jahren und damit zu einem Zeitpunkt, der Bähnischs Fähigkeit zur Selbstinszenierung entspricht. Für sie bestand kein Anlaß, gegenüber dem hoch gehandelten Politiker Bescheidenheit wal- ten zu lassen, denn er selbst hatte ihr Mitte Dezember 1945, auf Anregung zweier weiterer Parteigrößen, Adolf Grimme und Hinrich Wilhelm Kopf, deutlich gemacht, daß man es gern sehen würde, wenn sie nach Hannover, in das neue Zentrum der So- zialdemokratie käme.18 Zwei Wochen lang war sie eine Antwort auf Schumachers Frage schuldig geblieben, ob sie die „stärkste politische Vertrauensposition“19 an- nehmen wolle, die in Hannover zu vergeben sei. Kopf, der zu dieser Zeit Oberpräsi- dent der Provinz Hannover war, hatte bereits damit gerechnet, daß er Ministerpräsi- dent eines neu zu gründenden Landes werden würde,20 als er „einen persönlichen Re- ferenten“ suchte, „durch dessen Hand alles in der Provinz bzw. im Lande Hannover zu gehen hat. Wie wäre es damit?“21, hatte Schumacher die Position beworben und hinzugefügt: „Jedenfalls werden Sie aus diesem Brief ersehen, daß wir hier alle für Sie und Ihre Fähigkeiten das größte Interesse haben und Sie positiver verwertet se- hen möchten, als das bisher der Fall ist.“22 ‚Wir‘ – damit waren jene führenden Köp- fe in der Sozialdemokratie gemeint, die sich bis zum Dezember 1945 im Bezirk Han- nover versammelt hatten, allen voran Hinrich Wilhelm Kopf sowie Adolf Grimme23, der preußische Kultusminister a. D., der seit August 1945 als kommissarischer Re-

17 Ebd. So lautet das Datum des Posteingangsstempels. 18 Nach der Konferenz von Wennigsen im Oktober 1945, auf der Schumacher, wie erwähnt, den Auftrag erhalten hatte, „als Beauftragter der Westzonen“ tätig zu werden, war aus dem ‚Büro Schumacher‘ in Hannover die offizielle Parteizentrale der SPD geworden. Der am 15.06.1945 gebildete Zentralausschuß der SPD in Berlin, geleitet von Otto Grotewohl, war fortan nur noch für die Parteiarbeit in der Sowjetischen Besatzungszone zuständig. Vgl.: Loeding: Grotewohl. 19 AddF, SP-01, Kurt Schumacher an Theanolte Bähnisch, 15.12.1945. 20 Hinrich Wilhelm Kopf trat seine Position als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen zum 01.01.1946 an. 1955, am Ende seiner zweiten Amtsperiode zog sich Kopf zunächst aus der Politik zurück, um dann 1957 Innenminister des Landes zu werden und ab 1959 er- neut für zwei Jahre das Amt des Ministerpräsidenten auszuüben. 21 AddF, SP-01, Kurt Schumacher an Theanolte Bähnisch, 15.12.1945. 22 Ebd. 23 Dr. h.c. Adolf Grimme war ab 1924 Oberstudienrat in Hannover, ab 1925 Oberschulrat in Magdeburg. 1928 wurde er zum Ministerialrat im preußischen Kultusministerium ernannt, 1929 war er Vizepräsident des Provinzialschulkollegiums von Berlin und der Mark Bran- denburg. Von 1929 bis 1932 leitete er das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Die Jahre 1942 bis 1945 verbrachte er in Gestapo-Haft wegen Nichtan- zeige eines Vorhabens des Hochverrats. Nach dem zweiten Weltkrieg war er bis 1948 Kul- tusminister des Landes Niedersachsen. Im gleichen Jahr wurde er zum Generaldirektor des neugegründeten Radiosenders NWDR ernannt. Grimme war einer der führenden Köpfe beim Wiederaufbau des deutschen Erwachsenenbildungswesens, auch als Mitherausgeber der Zeitschrift ‚Denkendes Volk – Organ für die Selbstbildung‘.

26 | Theanolte Bähnisch gierungsdirektor der Provinz Hannover mit der Leitung der Abteilung ‚Kultus‘ be- traut war. ‚Positiver‘ – damit spielte Schumacher auf den Umstand an, daß Bähnisch den Großteil ihrer Energien zu jener Zeit nicht in die Politik, sondern in eine privat- wirtschaftliche Tätigkeit steckte. „Grimme kennt Sie noch sehr gut und ist außerordentlich für Sie eingenommen“, deutete sich in Schumachers Brief an, wer die Juristin in den folgenden Jahren maß- geblich unterstützen würde. Daß Schumacher die von Grimme so geschätzte Frau in seinem Brief „Madame“24 genannt und sie gebeten hatte, sich doch direkt an Kopf zu wenden, wenn sie sich zu den verschiedenen Positionen, die man ihr angeboten hatte, „irgendwie positiv einzustellen wünsche[...]“, läßt auf eine gewisse Distanz Schuma- chers zu Bähnisch schließen, die in den folgenden Jahren bestehen bleiben sollte. Gleichzeitig sollte der Parteivorsitzende Bähnischs nonkonformes Verhalten bis zu seinem frühen Tod 1952 nie sanktionieren, obwohl einige Genossen entsprechende Forderungen stellten und Schumacher für seine Forderung nach eiserner Parteidiszip- lin bekannt war. Da der Juristin der Anschluß an die SPD in Köln nicht auf die von ihr gewünsch- te Art geglückt war, dürfte ihr das unverhohlene Interesse an ihrer Person, das ihr aus der zu jener Zeit noch in einer Grauzone operierenden Parteizentrale in Hannover entgegenschlug, geschmeichelt haben. „So oft bin ich noch nie hinter einem Manne hergelaufen“25, beklagt sie sich bei Schumacher über den Vorsitzenden des SPD- Bezirks Obere Rheinprovinz, Robert Görlinger. Sie ist hochgradig unzufrieden mit den Vorschlägen, die Görlinger ihr für eine Mitarbeit in der Partei unterbreitet hat. Denn während sie sich wünscht, daß man sie mit den allgemeinen politischen Ab- sichten der SPD im Bezirk Köln vertraut mache, will Görlinger sie partout für den Wiederaufbau der Frauenarbeit in der Partei gewinnen. Vielleicht hatte er in ihr eine neue Marie Juchacz26 erkannt, vielleicht hatte er der Juristin auch ‚nur‘ die Position einer Bezirkssekretärin mit besonderer Zuständigkeit für ‚Frauenfragen‘ übertragen wollen. Bähnisch tat dem ehemaligen Geschäftsführer der Kölner Arbeiterwohlfahrt (AWO) jedenfalls nicht den Gefallen, sich für seine Idee zu begeistern. „Das liegt mir […] gar nicht“, läßt sie Schumacher wissen und fügt hinzu: „Ich bin Frauen in Massen immer aus dem Weg gegangen“.27 Die Tatsache, daß sie bald eine Frauenor- ganisation leiten würde, die 1951 bereits 50.000 Mitglieder hatte, ist vor dem Hinter- grund dieser Äußerung denkwürdig. Ebenso bemerkenswert ist es, daß sie im glei- chen Brief ein Thema aus der Parteiarbeit anspricht, für das sie sich besonders inte- ressiert. Die Sozialdemokraten hätten die bürgerlichen Parteien „machtmässig“ kaum mehr zu fürchten, führt Bähnisch aus, „den Kommunismus zu schwächen und

24 AddF, SP-01, Kurt Schumacher an Theanolte Bähnisch, 15.12.1945. 25 AdSD, Kurt Schumacher, Nr. 126, Theanolte Bähnisch an Kurt Schumacher, 23.12.1945. 26 war von 1917 bis 1933 die ‚Frauensekretärin‘ der SPD im Parteivorstand gewesen und hatte 1919 die Arbeiterwohlfahrt (AWO) gegründet. Vgl.: Dertinger, Antje: Marie Juchacz, in: Schneider, Dieter (Hrsg.): Sie waren die ersten. Frauen in der Arbeiter- bewegung, Frankfurt a. M. 1988, S. 211–230. 27 AdSD, Kurt Schumacher, Nr. 126, Theanolte Bähnisch an Kurt Schumacher, 23.12.1945. Einführung | 27 ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen“28 ist ihrer Meinung nach die aktuell wich- tigste Aufgabe der SPD. Mit ihren Ausführungen über die kommunistische Bedro- hung will Bähnisch, so scheint es, ihre Fähigkeit und ihren Willen, in größeren Zu- sammenhängen zu denken, zum anderen aber auch ihre Verbundenheit mit der Hal- tung Schumachers demonstrieren. Anders als jener Flügel der SPD, der im ‚Bruder- kampf‘ von SPD und KPD in der Weimarer Republik eine Ursache nationalsozialisti- scher Wahlerfolge erkannt hatte und in der Zukunft mit den Kommunisten zusam- menarbeiten wollte, stellte sich Schumacher entschieden gegen eine solche Koopera- tion.29 Während seiner KZ-Haft hatte er jeglichen Kontakt zu Kommunisten verwei- gert, weil er sie mit für den Aufstieg der Nationalsozialisten verantwortlich machte. Daß Schumacher mit dem „religiösen Sozialismus“, in dem Bähnisch erklärter- maßen die Zukunft des besiegten Staates sieht30, ebenfalls nichts anzufangen wußte, steht auf einem anderen Blatt. Für seine Argumentation gegen den Kommunismus spielte der christliche Glaube – anders als für Bähnisch – keine zentrale Rolle. Dem späteren Parteivorsitzenden, der mit hohen politischen Beamten der Weimarer Re- publik abrechnen wollte und den Kirchen skeptisch gegenüber stand, blieb jedoch nichts anderes übrig, als Bähnischs Kritik an seiner Parteitagsrede, die sich ihrer Meinung nach zu sehr gegen Beamte und andere für die SPD potentiell interessante Wählergruppen richtet, dennoch aufzunehmen.31 Und als die Genossin, weil sie die Hoffnung auf eine Zusammenarbeit der SPD mit den Kirchen hegt, für Schumacher ein Treffen mit Kirchenvertretern arrangiert, läßt er sich darauf ein.32 Darin deutet sich an, daß Bähnisch zu jenen gehört, die die Partei auf den Weg nach ‚Bad Godes- berg‘ bringen, zu einem Parteiprogramm, das den ‚Marxismus‘ nicht mehr länger als Ziel der SPD benennt. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird deutlich werden, daß sich diese Entwicklung nicht allein auf den allgemeinen Trend zur

28 Ebd. 29 Vgl.: Potthoff, Heinrich: Kurt Schumacher. Sozialdemokraten und Kommunisten, in: Do- we, Dieter (Hrsg.): Kurt Schumacher und der „Neubau“ der deutschen Sozialdemokratie nach 1945. Referate und Podiumsdiskussion eines Kolloquiums des Gesprächskreises Ge- schichte der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn am 12./13. Oktober 1995, Bonn 1996, S. 133–150. 30 AdSD, Kurt Schumacher, Nr. 126, Theanolte Bähnisch an Kurt Schumacher, 23.12.1945. 31 AdSD, Kurt Schumacher, Nr. 126, Bähnisch an Schumacher, 11.02.1946. Vgl. dazu: Freund, Nadine: Der Kalte Krieg in der ‚Stimme der Frau‘. Eine Frauenzeitschrift im Kon- text der Westintegration Deutschlands, unveröffentlichte Magisterarbeit, Universität Kas- sel, 2005. 32 Ebd. sowie GStA PK, VI. HA, NL Grimme, Nr. 2517, Kurt Schumacher an Adolf Grimme, 21.03.1946. In ihrem Brief an Schumacher geht es bereits um eine mögliche Zusammen- kunft mit den Pastoren Laurentius Siemer und Eberhard von Welty, im Brief Schumachers an Grimme um ein anvisiertes Treffen mit Siemer in Walberberg bei Vechta. Siemer hatte sich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus engagiert und war deshalb in Gestapo- Haft geraten. Ab 1945 gab er gemeinsam mit Welty die Zeitschrift ‚Neue Ordnung‘ heraus. Siemer versuchte, wie Walter Dirks und Jakob Kaiser, die neu gegründete CDU hinsicht- lich einer stärkeren Orientierung der Partei am Sozialismus zu beeinflussen.

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‚Westernisierung‘33 Deutschlands und Europas mitsamt des jeweiligen Parteien- und Organisationsgeflechts zu jener Zeit zurückführen läßt. Die Basis für jene Entwick- lung lag in den persönlichen Überzeugungen jener begründet, die in der Weimarer Republik, in der Hoffnung, die Visionen des Sozialliberalen Friedrich Naumann um- setzen zu können, Politik in Form großer Koalitionen betrieben hatten oder die – wie das Ehepaar Bähnisch – in jenem Klima politisch sozialisiert worden waren. 1945 knüpften jene Politiker – zu denen unter anderem Adolf Grimme zählte – wiederum an die Vision Naumanns34 und die Erfahrungen, die sie mit ihrer Umsetzung in den Großen Weimarer Koalition sowie in den preußischen Koalitionsregierungen gefun- den hatte, an. Daß die spätere Regierungspräsidentin des Bezirks Hannover in ihrem Brief an Schumacher späterer Stelle doch noch einmal auf die Arbeit mit Frauen zurück- kommt zeigt, daß Görlingers Anliegen nicht ohne Wirkung auf sie geblieben war. Ih- re weiteren Ausführungen zeigen, daß der Gärungsprozeß einer Idee, die sich 1948 in Form der Herausgabe einer Frauenzeitschrift durch Bähnisch manifestierte, schon 1945 in Gang gesetzt war. „Das Problem hat mich […] doch beschäftigt“, schreibt sie, mittlerweile auf der vierten von vier eng beschriebenen Seiten angekommen. „Sollte man nicht eine Zeitschrift für die schaffende Frau herausbringen? Sie liesse sich hier auf die Beine stellen“, spielt sie auf die Rolle Kölns als Medienstadt an und nimmt mit ihrer Wortwahl – bewußt oder unbewußt – auf ein Blatt Bezug, in dem sie selbst einmal einen Artikel veröffentlich hatte: die 1929 bis 1933 von Margarete Kai- ser in Berlin herausgegebene Zeitschrift ‚Die schaffende Frau‘. Daß Bähnisch nicht nur Frauen, sondern auch Jugendliche im Blick hat, wenn sie über Bildungsarbeit nachdenkt, macht sie deutlich, als sie Schumacher gegenüber schließlich ausführt, daß „die Gewinnung der Jugend“ sie momentan besonders be- schäftige. Man dürfe den 20 bis 30-jährigen jedoch „nicht gleich mit einer parteipoli- tischen Richtung“ kommen, sondern müsse dafür Sorge tragen, daß sie „über ihre eigene Erkenntnis, richtig geführt durch politische Aufklärung und gute Bücher, zwangsläufig zum Sozialismus kommen“35. Was sie hier erklärt, nämlich sozialdemo- kratische Überzeugungen durch ,allgemein‘ gehaltene politische Bildungsarbeit in die Köpfe der Menschen bringen zu wollen, das wird vielen Genossen, die eine par- teinahe Form der politischen Bildung bevorzugen, bald sauer aufstoßen. Daß politi- sche Bildungsarbeit für die belesene Frau, die als Bürgerin in den 1920er Jah- ren mit einem sehr breiten kulturellen Angebot konfrontiert gewesen war, ein ebenso

33 Vgl. zum Begriff: Doering-Manteuffel, Anselm: Amerikanisierung und Westernisierung, Version: 1.0, in: Docupedia Zeitgeschichte, 18.01.2011, auf: http://docupedia.de/zg/ Amerikanisierung_und_Westernisierung, am 30.07.2014. 34 Naumann hatte im Kaiserreich die Vision eines politischen Konsenses von demokratischen Parteien, die auf der ideellen Basis des Christentums in einer Großen Koalition zusammen- arbeiten. Naumann, Friedrich: Bassermann und Bebel, in: Berliner Tageblatt, Nr. 503, Morgenausgabe, 04.10.1910. Vgl. auch: Theiner, Peter: Sozialer Liberalismus und deut- sche Weltpolitik. Friedrich Naumann im wilhelminischen Deutschland (1860–1919), Ba- den-Baden 1983, S. 194–217. 35 AdSD, Kurt Schumacher, Nr. 126, Theanolte Bähnisch an Kurt Schumacher, 23.12.1945. Einführung | 29 weit gefaßtes wie für den Aufbau einer stabilen demokratischen Gesellschaft wichti- ges Thema ist – wird aus der Bemerkung deutlich, mit der sie ihren Brief abschließt. Sie wolle auch zum Thema Theater und Kino noch manches sagen, habe aber die Be- fürchtung, daß die knappe Zeit Schumachers ihr weitere Ausführungen verbiete. So faßt sie ihre weit gefaßten Ambitionen mit der Aussage, daß sie „[a]m liebsten […] ein kulturelles Propagandahaus selbst aufziehen“36 wolle, zusammen. Was sie über das Thema Theater zu sagen gehabt hätte, wäre vermutlich interes- sant gewesen – hieß es doch in einem Artikel aus dem Jahr 1929 über das „Fräulein Nolde“, daß es „Berlins Theater“37 regiere. Der Mann, der dem ‚Fräulein Nolde‘ (der Geburtsname Theanolte Bähnischs lautete ‚Dorothea Nolte‘) den Weg in die Theaterabteilung des Berliner Polizeipräsidiums geebnet hatte, war der preußische Innenminister Carl Severing. Dieser hatte Bähnischs Drängen, sie als erste preußi- sche Verwaltungsreferendarin zuzulassen, nach längeren Diskussionen schließlich stattgegeben – so jedenfalls stellt sie es dar – und in der Folgezeit eine Freundschaft zu der jungen Frau entwickelt. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der Thea- nolte Bähnisch 1946 dem designierten SPD-Parteivorsitzenden gegenübertritt, posiert sie auf einem um 1940 entstandenen Photo38 mit dem preußischen Innenminister a. D. Sie hält den Arm des etwas gebrechlich wirkenden Severing umfaßt, Oberkörper und Kopf in seine Richtung geneigt, den Blick fest und lächelnd in die Kamera ge- richtet. Etwa eine Hüftbreite von dem ‚Paar‘, entfernt steht auf dem Bild der Regie- rungsrat des preußischen Innenministeriums a. D., Robert Kempner. Dieser sollte 1945 Chefankläger in den Nürnberger Prozessen werden. Darin, daß sich die Juristin bereits in der Weimarer Republik und offenbar auch während des Drittens Reichs un- ter solch prominenten Personen bewegt hatte, ist ein gewichtiger Grund dafür zu se- hen, daß sie Schumacher gegenüber 1946 ihren Anspruch anmelden konnte, den Wiederaufbau der SPD und der Nation mitzugestalten.

36 Ebd. 37 O. V.: Wer regiert Berlins Theater? Das Regime des Fräulein Nolde, in: Berliner Herold, 22. Jg., Nr. 9, März 1927. 38 Center for Jewish History, Leo Baeck Institute, Robert M. W. Kempner Collection, AR 3977, 891971, Nr. F 2277 [Kempner with Theanolte Baehnisch and Karl Severing, Por- traits Groups (Abb.)], auf: http://access.cjh.org/query.php?term=Baehnisch&qtype=basic &stype=contains&paging=25&dtype=any&repo=all&go=#1, am 05.09.2014. Das Leo Baeck-Institut datiert das Bild auf das Jahr 1940. Weitere Informationen zum Entstehungs- kontext kann das Institut nicht nennen. Schreiben des Leo Baeck-Instituts, Michael Simon- son an Nadine Freund, 14.03.2014. Aus der Bildaufschrift geht hervor, daß das Bild 1946 beschriftet worden sein dürfte, da Bähnisch als Vizepräsidentin einer regionalen Verwal- tungsinstanz bezeichnet wird.

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1.2 POSTHUME REZEPTION THEANOLTE BÄHNISCHS UND FORSCHUNGSSTAND

Schon 1953 erhielt Theanolte Bähnisch für ihre „herausragenden Verdienste“ im Wiederaufbau Niedersachsens und der deutschen Frauenbewegung das große Bun- desverdienstkreuz mit Stern. Als sie 1973 starb, rühmte der Niedersächsische Minis- terpräsident Alfred Kubel die Juristin dafür, daß sie „ihrem Leitbild von einem frei- heitlichen Rechtsstaat und einer sozialen Demokratie […] trotz Verfolgungen und Demütigungen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft […] ein Leben lang treu geblieben“39 sei. Heutzutage ist Theanolte Bähnisch als Persönlichkeit der Zeitgeschichte weitge- hend unbekannt. „Sollte man die kennen?“, „muß ich die kennen?“, „kennt man die?“, oder einfach „Thea – was?“, lautet häufig die Antwort, wenn man erzählt, daß man sich mit jener Person auseinandersetzt. Sicher, man sollte sie kennen. Aber kaum jemand weiß heutzutage von der Verwaltungsjuristin, obwohl sie zu ihrer Zeit in vielen Zusammenhängen präsent war, die bis in die Gegenwart hinein wirksam sind. Dies schlägt sich beispielsweise in der Literatur zur Europäischen Integration Deutschlands nieder: Obwohl Bähnisch ab 1949 als eine Vizepräsidentin des ‚Deut- schen Rates der Europäischen Bewegung‘ fungierte und obwohl sie in den entspre- chenden Quellen in einem Atemzug mit Eugen Kogon, Ernst Friedländer, Walter Dirks, Carlo Schmid und Elly Heuss-Knapp genannt wird, findet ihr Name – anders als jene, die beim Leser aufgrund ihres hohen Bekanntheitsgrades sofort einen aha- Effekt hervorrufen – keinen Eingang in die Publikationen zur Europa-Bewegung und zur Europäischen Integration.40 Da viele Autoren, die Einführungen in ein histori- sches Thema verfassen, nicht ‚ad fontes‘ gehen, sondern sich auf die Zusammenfas- sung bereits erschienener Literatur konzentrieren, reproduziert sich das beschriebene Phänomen stetig. In den Forschungen zur Europa-Bewegung scheint Bähnischs Wir- ken somit in einem ‚Teufelskreis der Nichtrezeption‘ untergegangen zu sein. Daß ihr in Klaus Mlyneks zweibändigem biographischen Lexikon für die Stadt Hannover, wo Bähnisch von 1946 bis 1959 lebte, ein Artikel gewidmet ist, erscheint obligatorisch. Daß der knappe Raum dazu genutzt wird, Stationen des von Bähnisch selbst tradierten Lebenslaufs ungeprüft zu reproduzieren und ihr Engagement in der Frauenbewegung nach 1945 darzustellen, während die zentralen Inhalte ihrer Arbeit als Regierungspräsidentin des Bezirks Hannover im Dunklen bleiben, irritiert je-

39 Nachruf auf Dorothea Bähnisch von Alfred Kubel, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 12.07.1973. 40 Vgl.: Conze, Vanessa: Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwi- schen Reichstradition und Westorientierung (1920–1970), München 2005; Niess, Frank: Die europäische Idee – aus dem Geist des Widerstands, Frankfurt a. M./New York 2002; Loth, Wilfried: Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1937– 1957, Göttingen 1990 sowie Brunn, Gerhard: Die Europäische Einigung von 1945 bis heu- te, Bonn 2004. Einführung | 31 doch.41 Eine ganz ähnliche Behandlung erfährt ihre Person in der vom Autor des er- wähnten Artikels herausgegebenen ‚Geschichte der Stadt Hannover‘. Hier wird die Juristin als eine Frau mit „modischem Chic und aparten Hüten“42 vorgestellt – als ge- be es außer den immer wieder gern zum Besten gegebenen Anekdoten nichts Rele- vantes über sie zu berichten.43 Über ihr immerhin 13 Jahre währendes Handeln als Regierungspräsidentin im Bezirk Hannover erfährt der Leser auch hier kaum etwas. Andere Werke zur Geschichte Niedersachsens reflektieren Bähnischs Arbeit – wie die anderer Regierungspräsidenten im Land – allenfalls in Randbemerkungen.44 Pub- likationen zur Verwaltungsgeschichte in der Britischen Besatzungszone oder im Land Niedersachsen nennen teilweise Bähnischs Namen, führen ihr Engagement je- doch ebenfalls nicht näher aus.45 Daß Forscher, die in den 1980er und 1990er Jahren von offizieller Seite mit der Erforschung der Landesgeschichte betraut waren, Prä- valenzen vor allem in der Arbeiterbewegungs- und Sozialgeschichte setzten – Sub- disziplinen, die dem Genre Biographie eher skeptisch gegenüber traten46 – ist ein Er- klärungsansatz dafür, daß Theanolte Bähnisch trotz ihrer ungewöhnlich langen Amtszeit bisher noch nicht in den Fokus einer wissenschaftlichen Auseinanderset- zung mit der Nachkriegsgeschichte Niedersachsens gerückt ist. Ähnlich stiefmütter- lich wurden auch andere bedeutende Protagonisten der niedersächsischen Zeitge- schichte behandelt, beispielsweise der ‚Landesvater‘ Hinrich Wilhelm Kopf. Daß 2013 die Kopf-Biographie Theresa Nentwigs in der Reihe der ‚Historischen Kom- mission für Niedersachsen und Bremen‘ erschien, zeigt, daß sich die Forschungszu- gänge zur Landesgeschichte zwischenzeitlich viel stärker diversifiziert haben.47 Dies

41 Vgl.: Mlynek, Klaus: Theanolte Bähnisch, in: Böttcher, Dirk u. a. (Hrsg.): Hannoversches Biographisches Lexikon, Hannover 2002, S. 35. 42 Vgl.: Röhrbein: Hannover, S. 654/655. 43 Ganz ähnliche Bemerkungen finden sich auch in folgendem Zeitungs-Artikel: Tasch, Diet- er: Schon 1902 sorgte sich der Präsident um gute Butter, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 17.04.1985. Der letzte Absatz ist Bähnisch gewidmet und lautet: „Bisher gab es nur eine Frau als Regierungspräsident: Dorothea Bähnisch – besser bekannt als Theanolte – Fesche Hüte mit Schleier waren ein Markenzeichen der ebenso hübschen wie klugen und energischen Sozialdemokratin.“ 44 Vgl.: Hucker, Bernd-Ulrich/Schubert, Ernst/Weisbrod, Bernd (Hrsg.): Niedersächsische Geschichte, Göttingen 1997; Weisbrod, Bernd (Hrsg.): Grenzland. Beiträge zur Geschichte der deutsch-deutschen Grenze, Hannover 1993, Hauptmeyer, Carl-Hans: Geschichte Nie- dersachsens, München 2009; Hoffmann, Peter: Kleine Geschichte Niedersachsens, Hanno- ver 2006 und Schnath, Georg (Hrsg.): Geschichte des Landes Niedersachsen, 6. Aufl., Freiburg 1996. 45 Siehe dazu die in Kapitel 1.9 und 5.2.7.1 genannten Titel und Anmerkungen. 46 Siehe dazu Kapitel 1.7.4.1. 47 Der ‚Landesvater‘ war in der SPD aus dem gleichen Grund wie ‚seine‘ Regierungspräsi- dentin nicht sehr wohlgelitten. Beide Personen fielen als ‚konservative Sozialdemokraten‘ auf, die die Nähe zur Partei nicht suchten und mit ihrem Desinteresse an der ‚Parteilinie‘ oft aneckten. Zur Forschung über Kopf bis 2014 vgl.: Nentwig, Teresa: Hinrich Wilhelm Kopf (1893–1961). Ein konservativer Sozialdemokrat, Hannover 2013, S. 29.

32 | Theanolte Bähnisch drückt sich nicht nur im gewählten Genre, sondern auch in der differenzierten Bewer- tung Kopfs durch Nentwig aus. Als zweiter hemmender Faktor für die Erforschung von Bähnischs Wirken ist der Umstand zu werten, daß Behördengeschichte insgesamt nach wie vor ein randständi- ges Dasein fristet. Dazu, daß die Geschichte der niedersächsischen Mittelinstanzen insgesamt noch kaum erforscht ist, dürfte auch beigetragen haben, daß das Land jene Verwaltungsstufe im Jahr 2004 aufgelöst und stattdessen Regierungsvertretungen eingesetzt hat.48 Die meisten jüngeren Studien zur Geschichte von Bezirksregierun- gen in anderen Bundesländern, die auch den Zeitraum nach 1945 thematisieren, sind im Zusammenhang mit Behörden-Jubiläen erschienen49, also im Rahmen einen An- lasses, der in Niedersachsen in den letzten 14 Jahren schlichtweg nicht gegeben war.50 Interesse an der Erforschung von Mittelinstanzen besteht aktuell vor allem in der DDR-Forschung.51 In jüngster Vergangenheit hat sich das Leibnitz-Institut für Regi-

48 Ende 2013 sind die unter der Regierung Wulff eingesetzten Bezirksvertretungen aufgelöst und durch ‚Regionalbeauftragte‘ ersetzt worden. 49 Vgl.: Ost, Peter/Bezirksregierung Münster (Hrsg.): 200 Jahre Bezirksregierung Münster. Rückblick und Perspektive, 2. Aufl., Münster 2003; Siemer, Ernst/Regierungspräsident des Bezirks Detmold (Hrsg.): 175 Jahre alt – Bezirksregierung in Ostwestfalen 1816–1991, Detmold 1991 sowie Feldmann, Reinhard (Hrsg.): 175 Jahre Regierungsbezirk Arnsberg. Streiflichter aus der Geschichte, Arnsberg 1991. Hedwig Schrulles Werk, das nicht im Auf- trag einer Bezirksregierung entstand, setzt sich vornehmlich mit einer Bezirksregierung im Nationalsozialismus auseinander, thematisiert jedoch auch die Nachkriegszeit. Vgl.: Schrulle, Hedwig: Die Bezirksregierungen Münster und Minden/Detmold von 1930 bis 1960, Paderborn 2008. Ähnlich verhält es sich mit dem Sammelband von Dreist, Markus (Hrsg.): Die Düsseldorfer Bezirksregierung zwischen Demokratisierung, Nazifizierung und Entnazifizierung. Eine staatliche Mittelbehörde an der Schnittstelle zwischen Verwaltung und Politik, Essen 2003. 50 Zum 100jährigen Jubiläum der Behörde im Jahr 1985 erschien neben einem Begleitheft zu einer Ausstellung über die Geschichte der Behörde auch ein Aufsatz. Vgl.: Poestges, Diet- er: Die Mittelinstanz im Wandel der Zeit. Zum hundertjährigen Bestehen der Bezirksregie- rung Hannover, Ausstellung im Niedersächsischen Landtag, 16.4.–18.5.1985, Hannover 1985 sowie Faber, Heiko: 100 Jahre Bezirksregierung Hannover, in: Die öffentliche Ver- waltung, 38. Jg. (1985), Heft 23, S. 989–997, hier S. 992–995. Anläßlich der Auflösung des Regierungspräsidiums erschien: Blazek, Mathias: Von der Landdrostey zur Bezirksre- gierung. Die Geschichte der Bezirksregierung Hannover im Spiegel der Verwaltungsre- formen, 2004. 51 Vgl.: Mestrup, Heinz/Gebauer, Ronald: Die thüringischen Bezirke und ihre ersten Sekretä- re, in: Richter, Michael (Hrsg.): Länder, Gaue und Bezirke, Halle 2007, 191–212; Rowell, Jay: Der erste Bezirkssekretär: Zur Scharnierfunktion der Bezirksfürsten, in: Richter: Län- der, S. 213–230 und Niemann, Mario: Zur Kaderpolitik der SED in Sachsen. Die Sekretäre der 1952 gebildeten Bezirksleitungen, Chemnitz, Dresden, Leipzig, in: Richter: Länder 231–254, schließlich: Kurzweg, Christian/Werner, Oliver: SED und Staatsapparat im Be- Einführung | 33 onalentwicklung und Strukturplanung (IRS), an dem derzeit Forschungen zur Rolle der Bezirksregierungen in der Raumordnungsplanung der DDR laufen, vergleichend mit der Rolle von Mittelinstanzen in verschiedenen politischen Systemen in Europa nach 1945 auseinandergesetzt.52 Ob sich hierin eine Trendwende in der Auseinander- setzung mit den ‚unbekannten Behörden‘ ankündigt, bleibt abzuwarten. Über die Ge- schichte der Bezirksregierung Hannover im für mich relevanten Zeitraum existieren ein Aufsatz53 und eine schmale Broschüre54. Letztere ist als Begleitheft zu einer Aus- stellung über die Geschichte des Regierungspräsidiums anläßlich des 100. Jubiläums herausgegeben worden. Die Publikation Mathias Blazeks, welche die Geschichte des Regierungspräsidiums Hannover „von der Landdrostey zur Bezirksregierung“ abbil- den will, enthält über die Amtsjahre Bähnischs nicht einmal zwei Seiten.55 Einen gewissen Bekanntheitsgrad hat sich Theanolte Bähnisch in der sozialde- mokratischen Partei erhalten. Es scheint jedoch, als wolle man sich in diesen Kreisen gar nicht an das ehemalige Parteimitglied erinnern. Meine Frage nach Quellenmateri- al zum Thema ‚Theanolte Bähnisch‘ wurde von Seiten des diensthabenden Mitarbei- ters im Lesesaal des Archivs der sozialen Demokratie in Bonn mit den Worten kom- mentiert: „was wollen sie denn mit der, die war doch gar keine Sozialdemokratin“. Eine Referentin im historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung, die zu jener Zeit an einer Ausstellung und an einem Kalender über Frauen in der Sozial- demokratie arbeitete, antwortete auf meine Frage, ob sie auch eine biographische Skizze Bähnischs mit aufnehmen werde, mit dem Satz „die kommt nicht in meinen Kalender!“ Solchen von offenkundiger Geringschätzung geprägten Aussagen steht der Umstand entgegen, daß sich die SPD Hannover-Stadt auf ihrer Homepage der „großen, durchsetzungsfähigen Sozialdemokratin“ Bähnisch rühmt, zumal sie „Nazi- Gegner“56 verteidigt habe. Ein nunmehr 45 Jahre alter Artikel des SPD-Presse- dienstes aus dem Jahr 1969 vermittelt den Eindruck, als habe es in der Partei durch- aus Tradition, sich zu Bähnisch immerhin in Zusammenhängen zu bekennen, in de- nen es um die Verdienste von SPD-Mitgliedern im Widerstand gegen den National-

zirk. Der Konflikt um den Rat des Bezirkes Leipzig 1958/1959, in: Richter: Länder, S. 255–276. 52 Bahr, Andrea: Tagungsbericht Staatliche Mittelinstanzen in Europa nach 1945 – Macht- konstellationen und Planungskulturen am 22.11.2013 in Berlin, in: H-Soz-u-Kult, 28.03.2014, auf: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=5283, am 29.03.2014. 53 Vgl.: Faber: Bezirksregierung. 54 Vgl.: Poestges: Mittelinstanz. 55 Vgl.: Blazek: Landdrostey. Blazek thematisiert für jenen Zeitraum nur die besonderen Nachkriegsaufgaben, die Veränderungen im Zuschnitt der Abteilungen, die Rückgabe von Kompetenzen (Forsten, Polizei) an das Regierungspräsidium sowie die Einrichtung von Sonderbehörden 1946 – ohne diese jedoch aufzuführen. 56 Vgl.: Pollähne, Lothar: Theanolte Bähnisch, in: 150 Persönlichkeiten der hannoverschen Sozialdemokratie, auf: SPD Stadtverband Hannover, http://spd-hannover-stadt.de/content/ 392037.php, am 13.03.2013.

34 | Theanolte Bähnisch sozialismus geht.57 In SPD-nahen Forschungsarbeiten spielt die Regierungspräsiden- tin kaum eine Rolle. In einer frauengeschichtlichen Publikation der Historikerin Gi- sela Notz taucht Bähnischs Engagement auf, es fristet jedoch ein randständiges Da- sein.58 Im Jahr 2012 legte die Historikerin Karin Gille-Linne im Dietz-Verlag eine Publikation vor, aus der zwar nicht explizit, aber zwischen den Zeilen deutlich wird, warum Bähnisch in ihrer Partei keinen guten ‚Stand‘ hat. Im Buch geht es nämlich um den Konflikt zwischen der SPD-Frauenreferentin Herta Gotthelf und Bähnisch über den Schaden und Nutzen ‚überparteilicher Frauenarbeit‘. Im Zusammenhang mit Elisabeth Selberts Arbeit thematisiert Gille-Linne auch das gern vergessene En- gagement der Regierungspräsidentin für die Durchsetzung des Gleichberechtigungs- artikels im Grundgesetz.59 Die Autorin stellt Bähnischs Arbeit allerdings weitgehend negativ dar, was wiederum mit der umstrittenen Rolle der ehemaligen Präsidentin des Deutschen Frauenringes (DFR) in der Frauenbewegung zusammenhängt. In dieser ist Bähnisch als historische Figur vergleichsweise gut bekannt. Im ‚Deutschen Frauenring‘ bewahrt man seiner Gründungspräsidentin bis in die Gegen- wart ein breitgefächertes Andenken – im Internet, in Form von Vorträgen60, durch Flyer61 und durch die Pflege eines hauseigenen kleinen Archivs. Die Luise-Büchner- Bibliothek des DFR in Darmstadt sammelt Werke zur Frauenbewegung, vor allem auch zum DFR und macht diese der Öffentlichkeit zugänglich. Viele relevante Unter- lagen, darunter diverse Jahrgänge der von Bähnisch herausgegebenen Zeitschrift ‚Stimme der Frau‘ sowie den Nachlaß Gabriele Streckers, die im Frauenring aktiv war, überliefert das Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel (AddF), das auch eigene Forschungsarbeiten durchführt. Im ‚Frauenort Bad Pyrmont‘, den der Landesfrauenrat Niedersachsen in Zusam- menarbeit mit der Historikerin Karin Ehrich gestaltet hat, wird eine ‚FrauenORT-

57 Vgl.: O. V.: Theanolte Bähnisch. Niedersachsens Bevollmächtigte beim Bund verläßt Bonn, o. V., in: SPD Pressedienst P/XIX/72, 15.04.1964, S. 3. Dem unbekannten Autor schien jedes Mittel Recht gewesen zu sein, das Parteimitglied als NS-Gegnerin darzustel- len, denn die im Artikel enthaltene Information „1933 wurde Sie von den Nationalsozialis- ten selbstverständlich entlassen“, entbehrt jeder Grundlage. 58 Vgl. dazu beispielsweise: Notz, Gisela: Frauen in der Mannschaft. Sozialdemokratinnen im Parlamentarischen Rat und im Deutschen Bundestag 1948/49 bis 1957, Bonn 2003. 59 Vgl.: Gille-Linne, Karin: Verdeckte Strategien: Herta Gotthelf, Elisabeth Selbert und die Frauenarbeit der SPD 1945–1949, Bonn 2012. Der Monographie ging ein Aufsatz dersel- ben Autorin voraus, der Bähnisch ebenfalls thematisiert. Vgl.: Gille, Karin: „Kennen Sie Herta Gotthelf?“. Eine Parteifunktionärin im Schatten von Elisabeth Selbert, in: Metis: Zeitschrift für historische Frauen- und Geschlechterforschung, 10. Jg. (2003), Heft 20, S. 48–65. 60 Vgl.: O. V.: 32. Europatag in Bad Pyrmont, auf: http://www.deutscher-frauenring.de/ aktuelles/nachrichten/32.-europatag-in-bad-pyrmont, am 07.04.2014. 61 Vgl.: O. V.: Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland. Von den Wurzeln bis heute, auf: http://www.deutscher-frauenring.de/der-verband/info-werbe-material/flyer/flyer -geschichte-der-frauenbewegung, am 07.04.2014. Einführung | 35

Tour‘ samt Kaffeegedeck auf den Spuren der DFR-Präsidentin.62 Inwiefern dies Bäh- nischs Bekanntheitsgrad vor Ort und allgemein erhöht hat, bliebe zu prüfen. Dasselbe gilt für die mittlerweile fünf nach Bähnisch benannten Straßen, von denen vier auf die Region Hannover und eine auf die Hauptstadt Berlin entfallen. Der Großteil der bisher erschienenen Publikationen, die sich mit Bähnisch ausei- nandersetzen, ist der eng mit der Frauenbewegung verschränkten ‚Historischen Frau- enforschung‘ zuzurechnen. 63 Diese Veröffentlichungen reflektieren im Wesentlichen Bähnischs Rolle als Präsidentin des ‚Deutschen Frauenrings‘ und seiner Vorläuferor- ganisationen sowie ihre Aussagen über die Rolle von Frauen in der Gesellschaft. Ihre Arbeit als Regierungspräsidentin, ihre Eigenschaft als Herausgeberin einer Frauen- zeitschrift und ihre guten Beziehungen zur britischen Militärregierung werden, ob- wohl die beiden zuletzt genannten Aspekte eng mit Bähnischs Engagement in der Frauenbewegung zusammenhingen, darin kaum thematisiert. Alle Aufsätze stellen die Aussagen Bähnischs über ihr Engagement im Widerstand gegen den Nationalso- zialismus als gesicherte Tatsachen dar.64 Zu konstatieren ist, daß den zahlreichen zeitgenössischen Zeitungs- und Zeit- schriften- sowie Lexikonartikeln wenig Forschungsliteratur über Theanolte Bähnisch entgegensteht. Viele der bisher erschienenen Aufsätze über die Regierungspräsiden- tin sind für den wissenschaftlichen Gebrauch unzureichend mit Belegen ausgestattet, sie differenzieren und hinterfragen kaum. Bähnisch wird in den meisten der bisher erschienenen Publikationen entweder stark positiv oder stark negativ bewertet.65 Mit ihrer Lebensgeschichte bis 1945 setzen sich die Aufsätze, wenn überhaupt, nahezu

62 Vgl.: Schmidt, Elke/Bad Pyrmont Tourismus AG (Hrsg.): Die Frauenwelt schaut(e) auf Bad Pyrmont, auf: http://www.frauenorte-niedersachsen.de/files/flyer_theanolte.pdf, am 07.04.2014. Die Texte in der Broschüre stammen von der Historikerin Karin Ehrich. 63 Vgl.: Erich, Karin: Die Mitarbeit der Frau ist überall! Regierungspräsidentin Theanolte Bähnisch. Netzwerkerin für die Frauen, in: Niedersachsen vorwärts, März 2011, S. 5; Flei- scher, Barbara: Immer die erste – Die Juristin Theanolte Bähnisch, in: dies.: Frauen an der Leine. Stadtspaziergang auf den Spuren berühmter Hannoveranerinnen, 2. Aufl., Berlin 2009, S. 105–121; Paulus, Julia: Theanolte Bähnisch, geb. Nolte (1899–1973), in: Pa- schert-Engelke, Christa (Hrsg.): Im Garten der Rosindis. 63 Frauenporträts aus dem Kreis Warendorf, Münster 2008, S. 76/77; Clemens, Bärbel: Wir Frauen müssen ein kluges Herz haben, in: Schröder, Hiltrud: Sophie und Co. Bedeutende Frauen in Hannover, Hannover 2002, S. 201–213; Röwekamp, Marion: „Ich brauchte meinen ganzen Mut.“ Das unkon- ventionelle Leben von Theanolte Bähnisch, in: Happ, Sabine (Hrsg.): „Laßt sie doch den- ken!“100 Jahre Studium für Frauen in Münster, 2. Aufl., Münster 2009, S. 262–268. 64 Dies gilt auch für einen Artikel, den Theanolte Bähnischs Tochter verfaßte. Vgl.: Fels, Or- la-Maria: Theanolte Bähnisch, in: (Hrsg.:) Deutscher Juristinnenbund. Juristinnen in Deutschland. Die Zeit von 1900 bis 1998, 3. Aufl., Baden-Baden 1998, S. 197–200. 65 Vgl. für eine negative Bewertung Bähnischs: Henicz, Barbara/Hirschfeld, Margrit: Der Club deutscher Frauen in Hannover, in: Kuhn, Annette (Hrsg.) Frauen in der deutschen Nachkriegszeit, Bd. 2: Frauenpolitik 1945–1949, Düsseldorf 1986, S. 127–134 sowie dies.: „wenn die Frauen wüßten, was sie könnten, wenn sie wollten“ – zur Gründungsgeschichte des deutschen Frauenrings, in: Kuhn: Nachkriegszeit, Bd. 2, S. 135–156.

36 | Theanolte Bähnisch ausschließlich auf der Grundlage von Selbstdarstellungen Bähnischs und den er- wähnten Zeitungs-, Zeitschriften- und Lexikonartikeln auseinander. Dafür, daß auch von Seiten der Frauenforschung bisher noch kein ausführlicheres Porträt Bähnischs entstand, spielt wohl nicht zuletzt die Distanz der ‚neuen deutschen Frauenbewegung‘66 gegenüber dem Genre ‚Biographie‘ eine Rolle. Die Germanistin Nina von Zimmermann schreibt, daß in der Frauen- und Geschlechterforschung, die in den 1970er Jahren aus der ‚neuen Frauenbewegung‘ heraus entstand, biographi- sche „Texte von Frauen“ und sogar „Texte über Frauen, die der bürgerlichen Frauen- bewegung nahestanden, über einen langen Zeitraum als in einem ‚männlichen Genre‘ verfaßt wahrgenommen wurden […] wenn sie nicht der sich [zu jener Zeit] ent- wickelnden Vorstellung von feministischer Biographik“67 entsprochen hätten. Sie seien deshalb von jener Forschungsrichtung als Forschungsgebiet ausgeblendet wor- den.68 Frauenbiographik – also eine von feministischen Theorien beeinflußte Biogra- phik – werde, so Zimmermann, „in jenen Kreisen“ als ein Instrument angesehen, mit dessen Hilfe „spezifisch gegenwartsorientierte feministische Anliegen anhand der Lebensläufe historischer Frauenfiguren exemplifiziert“69 werden können. Zimmer- manns Statement fand sich auf einer Tagung des Deutschen Historischen Instituts (DHI) für Promotionsstudierende bestätigt. Als ich dort erklärte, es ginge mir nicht in erster Linie darum, das Wirken Bähnischs unter emanzipatorischen Gesichtspunkten darzustellen, schlug mir von Seiten einer anwesenden Professorin, die sich mit dem Sujet Frauengeschichte beschäftigte, blanke Fassungslosigkeit entgegen. Sie zeigte sich entsetzt darüber, daß ich „als Frau“ nicht die von ihr als obligatorisch angese- hene Form des Zugangs zu einer Protagonistin der Frauenbewegung wählte und da- mit – so die Wissenschaftlerin sinngemäß – all das mit Füßen trat, was sie und ihre Mitstreiterinnen aus der Frauenbewegung und der Frauenforschung über Jahrzehnte aufgebaut hätten. Mit den Worten „Sie müssen mir helfen“, wandte sie sich an die anderen anwesenden Professorinnen, welche allesamt ebenfalls Forschungsschwer- punkte in der Frauen-/beziehungsweise Geschlechtergeschichte ausgebildet hatten. Daraufhin änderte sich – noch während meines Vortrags, der sich im Wesentlichen mit antikommunistischen und antislawischen Feindbildern in der von Bähnisch her- ausgegebenen Zeitschrift ‚Stimme der Frau‘ beschäftigte – die Sitzordnung. Ein Ge- spräch am darauffolgenden Abend nahm der Situation im Nachhinein zwar etwas von ihrer Schärfe, die Lektion blieb jedoch folgende: Setzt man sich mit dem Leben einer Frau, noch dazu einer solchen, die sich selbst in der Frauenbewegung engagiert hat, auseinander, so sieht man sich zwangsläufig mit der Erwartung konfrontiert, sich die- ser Herausforderung aus feministischen Beweggründen zu stellen und das Thema entsprechend zu bearbeiten.

66 Der Begriff umschreibt die in den 1960er Jahren einsetzende, mit den Studentenprotesten verknüpfte ‚Welle‘ der Frauenbewegung. 67 Zimmermann, Nina, von: Zu den Wegen der Frauenbiographikforschung, in: dies./Zimmer- mann, Christian von (Hrsg.): Frauenbiographik. Lebensbeschreibungen und Porträts, Tü- bingen 2005, S. 17–32, hier 18/19. 68 Vgl.: ebd. 69 Ebd, S. 21. Einführung | 37

Daß die Gründungspräsidentin des DFR in Kreisen der Frauenbewegung und/oder - forschung entweder als ein ‚Vorbild‘, wenn nicht gar als eine ‚Heldin‘70 dargestellt, oder aber als eine Negativ-Folie71 gezeichnet wird, läßt sich auf die verschiedenen politischen Lager, beziegungsweise Traditionen in der Frauenbewegung zurückfüh- ren. Ute Gerhards Gedanke, daß mit der Distanz, welche die ‚neue‘72 zur ‚alten‘ Frauenbewegung pflegte, auch ein weitreichender „Geschichtsverlust“ der Bewegung einhergegangen ist73, läßt sich nicht von der Hand weisen. Dies dürfte sich auch auf den Umgang mit Theanolte Bähnisch ausgewirkt haben. Auch eine andereExpertin für die Geschichte der Frauenbewegung, Kerstin Wolff, schreibt, daß sich die „auto- nome Frauenbewegung“ zunächst als „geschichtslos“74 empfunden habe, obwohl ihre Forderungen auf denen der ‚ersten‘ Frauenbewegung aufgebaut hätten. Erklären läßt sich die beschriebene Distanz unter anderem dadurch, daß die Traditionen der linken Frauenbewegung in der direkten Nachkriegszeit marginalisiert worden waren – wo- für die ‚neue‘ Frauenbewegung die ‚Bürgerlichen‘ verantwortlich machte. Die 68erinnen suchten ihre Vorbildfiguren bald in der proletarischen Frauenbewegung, vor allem in Rosa Luxemburg und , und bewerteten den Rückgriff der in der direkten Nachkriegszeit dominanten überparteilichen Frauenbewegung auf bür- gerliche Traditionen als Fehlverhalten. Daß die ‚bürgerlichen‘ Frauen sich nicht um Arbeiterfrauen bemüht hätten und so an der historischen Spaltung der Frauenbewe- gung in ‚bürgerliche‘ und ‚proletarische‘ Frauen auch in der Zeit nach 1945 festhal- ten hätten, wurde ebenso zum Vorwurf gegen die ‚Bürgerlichen‘ erhoben wie deren Tendenz, traditionelle Zuschreibungen von ‚Weiblichkeit‘ weitgehend zu wahren.75 Die Mitarbeiterin des Archivs der deutschen Frauenbewegung, Kerstin Wolff, relati- viert den Bruch, den das Aufkommen der ‚neuen Frauenbewegung‘ für viele Frauen bedeutete, in einem aktuelleren Text zur Frauenbewegung in der ‚Neuesten Ge-

70 Entsprechendes scheint auch die Lehrerin einer Hannoveraner Schule ihren Schülerinnen erklärt zu haben. Einige Schülerinnen hatten sich unter mehreren angebotenen ‚Heldinnen‘ Theanolte Bähnisch als Gegenstand für ein Referat ausgesucht und mich im Anschluß an eine Internet-Recherche telefonisch um ergänzende Informationen gebeten. 71 Wie bereits erwähnt ist dies in den beiden regionalgeschichtlichen Aufsätzen über die Ent- stehung des DFR besonders deutlich. Vgl.: Henicz/Hirschfeld: Club sowie dies.: Wenn die Frauen wüßten. 72 Damit meint die Historikerin die in den 1970er Jahren stark gewordene, linke Strömung. 73 Vgl.: Gerhard, Ute: Frauenbewegung, in Roth, Roland/Rucht, Dieter (Hrsg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt a. M./New York 2008, S. 187–217, hier S. 188. Gerhard bezeichnet die Phase, in der Bähnisch in der Frauenbewe- gung aktiv war, als ‚Vorbereitung des Terrains‘ (für die sogenannte ‚Neue Frauenbewe- gung‘). Vgl.: ebd., S. 159. 74 Wolff, Kerstin: Ein Traditionsbruch? Warum sich die autonome Frauenbewegung als ge- schichtslos erlebte, in: dies./Paulus, Julia/Silies, Eva-Maria (Hrsg.): Zeitgeschichte als Ge- schlechtergeschichte. Neue Perspektiven auf die Bundesrepublik. Frankfurt a. M. 2012, S. 257–275. 75 Vgl.: Henicz/Hirschfeld: Frauen sowie dies.: Club.

38 | Theanolte Bähnisch schichte‘.76 Darin, daß das Archiv sich der Erforschung verschiedener Traditionen der Frauenbewegung widmet, deutet sich an, daß sich die Fronten zumindest im Be- reich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Frauenbewegung langsam aufweichen. Der Umstand, daß sich die Gender-Theorie in den geistes- und gesellschaftswis- senschaftlichen Fächern mittlerweile als ein verbreiteter Forschungsansatz etabliert hat und mit wachsender Selbstverständlichkeit auch mit anderen Ansätzen fruchtbar kombiniert wird, hat dazu beigetragen, daß das ‚Schubladen-Denken‘ in Bezug auf die Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Frauen‘ und ‚Frauenbewegung‘ nachgelas- sen hat. Viele Forscher und Forscherinnen stehen diesen Themen allerdings noch immer desinteressiert bis ablehnend gegenüber – was nicht zuletzt mit der beschrie- benen, oftmals stark tendenziösen Auseinandersetzung mit ‚Frauengeschichte‘ zu tun haben dürfte. Auch ich wurde von – meist männlichen – Kollegen mehr als einmal mit den Worten „Sie bearbeiten doch so ein Frauenthema“ angesprochen, womit man mir, wie sich im weiteren Verlauf der Gespräche zeigte, in vielen Fällen bedeu- ten wollte, daß jemand, der sich einem ‚Frauenthema‘ widme, kaum ein ernsthaftes wissenschaftliches Interesse verfolgen könne. Wie der (Selbst-)Zweck einer Subdis- ziplin ‚Geschlechterforschung‘ im weiteren Verlauf des Gesprächs in Frage gestellt wurde, so wurde auch der Einwand, daß die Auseinandersetzung mit vermeintlich reinen ‚Frauenthemen‘ durch eine breitere geschichtswissenschaftliche Kontextuali- sierung meist (auch) Zusammenhänge von allgemeinpolitischer Tragweite zutage fördere, nicht nur einmal mit einer abwehrenden Handbewegung quittiert. Seit den 1990er Jahren haben sich verschiedene Monographien und Aufsätze mit der Rolle des Kalten Krieges für die Entwicklung der deutschen Frauenbewegung in der Nachkriegszeit – und umgekehrt – auseinandergesetzt. In diesen spielt jeweils auch Theanolte Bähnisch eine Rolle. Zu nennen sind die pionierhaften Arbeiten Irene Stoehrs, die ihren Fokus allerdings auf Berlin richtet und Bähnisch, welche von Han- nover aus arbeitete, nur am Rande erwähnt.77 In der Zeitschrift des Archivs der deut- schen Frauenbewegung, ‚Ariadne‘, sind ebenfalls Aufsätze erschienen, die das Aus- einanderbrechen der Frauenbewegung in ‚Ost‘ und ‚West‘ thematisieren.78 Daß sich

76 Vgl.: Wolff: Traditionsbruch. 77 Vgl.: Stoehr, Irene: „Feministischer Antikommunismus“ und weibliche Staatsbürgerschaft in der Gründungsdekade der Bundesrepublik, in: Feministische Studien, 16. Jg. (1998), Heft 1, S. 86–94; dies.: Wiederbewaffnung und Weiblichkeit in Westdeutschland: die 50er Jahre, in: Eifler, Christine: Frauenbündnis Projekt Osnabrück (Hrsg.): Militär – Gewalt – Geschlechterverhältnis. Dokumentation der Vortragsreihe vom Frauenbündnis Osnabrück „350 Jahre Krieg und Frieden – ohne Frauen?“, Osnabrück 1999, S. 96–111 sowie dies.: Friedenspolitik und Kalter Krieg: Frauenverbände im Ost-West-Konflikt, in: Genth, Rena- te: Frauenpolitik und politisches Wirken von Frauen im Berlin der Nachkriegszeit 1945– 1949, Berlin 1996, S. 229–254. 78 Vgl.: Bouillot, Corinne/Schüller, Elke: „Eine machtvolle Frauenorganisation“ – oder: „Der Schwamm, der die Frauen aufsaugen soll.“ Ein deutsch-deutscher Vergleich der Frauenzu- sammenschlüsse in der Nachkriegszeit, in: Ariadne, 10. Jg. (1995), Heft 27, S. 47–55; Bouillot, Corinne: „Im Osten wird stark um die politische Seele der Frau gerungen“. Frau- Einführung | 39 auch diese Aufsätze stark an den Entwicklungen in Berlin orientieren, ist vor allem dem Umstand geschuldet, daß der DFD, die Frauenorganisation der SBZ/DDR, dort ihren Sitz hatte. Die Aufsätze nehmen jedoch auch Vorgänge in verschiedenen Regi- onen Westdeutschlands in den Blick, darunter Bähnischs Arbeit in Hannover. Gleich vier Studien erforschen die Umerziehungs-Arbeit der Alliierten speziell für Frauen in der deutschen Nachkriegszeit und zeigen – je nach Schwerpunktsetzung – deren all- gemeinpolitische Bedeutung im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Erwach- senenbildung in Deutschland79, ihre Funktion als strategischen und auf andere Ver- hältnisse übertragbaren Schwerpunkt von Besatzungspolitik80, ihren Stellenwert in der Politik des Kalten Krieges und des ökonomischen Wiederaufbaus81 von Deutsch- land und für den internationalen Anschluß der deutschen Frauenbewegung82 auf. In diesen Untersuchungen wird jeweils die wichtige Rolle Bähnischs als Gründungsprä- sidentin der westdeutschen Frauenorganisation DFR sowie als bedeutende Partnerin der britischen Militärregierung aufgezeigt. All diese Studien verweisen auch auf den Umstand, daß mit der überparteilichen Frauenbewegung im Westen und dem Streben nach einer von Bähnisch geleiteten Großorganisation ein Kontrapunkt zur Organisa- tion DFD in der SBZ/DDR gesetzt werden sollte. Die Studien thematisieren jeweils einige der für die Entwicklung der Frauenbewegung im Nachkriegsdeutschland we- sentlichen Konferenzen und zeigen, daß Bähnisch auf deren Vorplanung und Ablauf sowie auf die Inhalte und Ergebnisse der Konferenzen maßgeblichen Einfluß ausüb- te. Denise Tscharntke betont in ihrer Studie den starken Führungsanspruch Bähnischs in der Frauenbewegung der Nachkriegszeit und mißt diesem vor dem Hintergrund der ursprünglichen Forderung der Militärregierung, die Frauenbewegung müsse de- mokratisch organisiert sein, einen fragwürden Charakter bei. Daraus, daß die Militär- regierung dennoch nicht von der Unterstützung Bähnischs abließ, leitet Tscharntke ab, daß beide Partner weniger an der Emanzipation und der Demokratisierung von Frauen, sondern stärker an der Abwehr der Kommunistinnen, die Militärregierung zudem von Beginn ihrer Re-education-Arbeit an vor allem auch an der Verwendung

enorganisationen und parteipolitische Strategien in der SBZ und frühen DDR, in: Ariadne, 16. Jg. (2001), Heft 40, S. 46–51. 79 Vgl.: Ziegler, Christl: Lernziel Demokratie. Politische Frauenbildung in der britischen und amerikanischen Besatzungszone 1945–1949, Köln/Weimar/Wien 1997. 80 Vgl.: Stark, John Robert: The overlooked majority: German women in the four Zones of occupied , 1945–1949. A comparative study, Dissertation, Ohio State University, 2003, auf: OhioLINK Electronic Theses and Dissertations Center, https://etd.ohiolink.edu/ ap/10?0::NO:10:P10_ACCESSION_NUM:osu1045174197, am 09.04.2014. 81 Vgl.: Tscharntke, Denise: Re-educating german Women. The work of the Women´s Affairs Section of British Military Government 1946–1951, Frankfurt a. M. 2003. 82 Vgl.: Grundhöfer, Pia: Ausländerinnen reichen die Hand. Britische und amerikanische Frauenpolitik in Deutschland im Rahmen der demokratischen Re-education nach 1945, Hänsel-Hohenhausen 1999, zugl. Diss. Uni 1995. Die Benutzung der 700 Seiten star- ken Dissertation ist beschwerlich, da sie nur auf Microfiche erhältlich ist. Da Grundhöfers Dissertation Mitgrundlage von Tscharntkes Ausführungen war, finden sich die wichtigsten Ergebnisse Grundhöfers in der Dissertation Tscharntkes wieder.

40 | Theanolte Bähnisch von Frauen als Arbeitskräfte interessiert gewesen seien. Die Officers hätten insge- samt, so Tscharntke, eher die Pflichten als die Rechte von Frauen im Blick gehabt.83 Die Erziehungswissenschaftlerin Ziegler richtet ihren – insgesamt weniger kritikge- leiteten – Fokus stärker auf die Inhalte der von der Militärregierung und der überpar- teilichen Frauenbewegung verantworteten ‚staatsbürgerlichen Frauenbildung‘. Tsch- arntke, Ziegler, Starke und Grundhöfer stellen die britische Militärregierung jeweils als Vorreiter in Sachen Frauen-Re-education-Arbeit vor der Amerikanischen Militär- regierung dar. Die jüngste umfangreichere Studie zum Thema Frauen-Re-education/Frauenbe- wegung in der Nachkriegszeit fokussiert – wie die älteren Arbeiten von Rebecca Boehling84 und Hermann-Josef-Rupieper85 – auf die amerikanische Besatzungszone. Die Verfasserin, Marianne Zepp, widmet sich insbesondere der Politik hinter den beiden zentralen Begriffen ‚Mütterlichkeit‘ und ‚Staatsbürgerin‘, mit denen die ‚bür- gerliche Frauenbewegung‘ nach 1945 – an die Vorkriegstraditionen anknüpfend – argumentierte.86 Der Fokus auf die US-Besatzungszone bringt es mit sich, daß die führende Rolle Bähnischs bei der Verbreitung des Begriffs ‚staatsbürgerliche Frau- enbildung‘ von Zepp jedoch nicht thematisiert wird. Dies führt zu einer verzerrten Darstellung der machtpolitischen Realitäten in der Frauenbewegung der Nachkriegs- zeit, ähnlich wie bei Rupieper, der Bähnisch, obwohl sie auch in der US- Besatzungszone die Führung in der Frauenbewegung übernahm, überhaupt nicht als Protagonistin der Bewegung in der Nachkriegszeit erwähnt. Die in den letzten drei Absätzen genannten Studien sind allesamt lesenswert und erkenntnisfördernd in Bezug auf Bähnischs Rolle in der Frauenbewegung, bezie- hungsweise den Kontext der britischen Re-education-Politik, in dem diese sich ent- faltete. Allerdings bringt es die Ausrichtung der genannten Arbeiten auf die Frauen- bewegung und die Militärverwaltung mit sich, daß sie sich in der Auseinanderset- zung mit Bähnisch wesentlich auf ihre Rolle im Aufbau und in der Leitung des Deut- schen Frauenrings konzentrieren. Die anderen Wirkungsgebiete der DFR-Präsidentin werden, abgesehen von Bähnischs Initiative zur Einrichtung einer Schule für staats-

83 Vgl.: Tscharntke: Re-educating, S. 16–18, S. 227–235. 84 Vgl.: Boehling, Rebecca: Geschlechterpolitik in der US-Besatzungszone unter besonderer Berücksichtigung der Kommunalpolitik, in: Clemens, Gabriele (Hrsg.): Kulturpolitik im besetzten Deutschland 1945–1949, Stuttgart 1994, S. 69–82; dies.: „Mütter“ in die Politik: Amerikanische Demokratisierungsbestrebungen nach 1945. Eine Antwort auf Hermann- Josef Rupieper, in: Geschichte und Gesellschaft, 19. Jg. (1993), S. 522–529 und dies.: Die amerikanische Kulturpolitik 1945–1949, in: Junker, Detlef u. a. (Hrsg.): Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945–1990, Bd. 1: 1945–1968, München 2001, S. 592–600. 85 Vgl.: Rupieper, Hermann-Josef: Bringing democracy to the Frauleins. Frauen als Zielgrup- pe der amerikanischen Demokratisierungspolitik 1945–1953, in: Geschichte und Gesell- schaft, 17. Jg. (1991), S. 61–91 sowie ders.: Die Wurzeln der westdeutschen Nachkriegs- demokratie. Der amerikanische Beitrag 1945–1952, Opladen 1993. 86 Vgl.: Zepp, Marianne: Redefining Germany. Reeducation, Staatsbürgerschaft und Frauen- politik im US-amerikanisch besetzten Nachkriegsdeutschland, Göttingen 2007. Einführung | 41 bürgerliche Frauenbildungsarbeit, allenfalls in Randbemerkungen oder Fußnoten thematisiert. Ihr Leben vor 1945 bleibt auch in diesen umfangreicheren Studien na- hezu gänzlich unreflektiert. Dies führt jeweils zu einer Einordnung ihres Handelns, das der Komplexität der Zusammenhänge nicht gerecht werden kann. Die gebotene Zusammenschau zeigt, daß es überfällig ist, sich intensiver mit Theanolte Bähnisch auseinanderzusetzen, um zu einem differenzierteren Bild jener mal gelobten, mal verurteilten, mal übergangenen, mal beschwiegenen Frau zu ge- langen. Daß sie, wie Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf, als eine ‚konservative Sozialdemokratin‘87 bezeichnet wird, daß man der Regierungspräsidentin im ‚Who is who in Lower Saxony‘ der britischen Militärregierung einen „high standard of offi- cial integrity“ bescheinigt und sie gleichzeitig als einen der „most colourful charac- ters of region“ sowie als „sometimes overpowering“88 bezeichnet, macht neugierig auf die Hintergründe, die zu diesen Bewertungen führten. Will man zu ei- nem facettenreicheren Bild Bähnischs gelangen, so ist es naheliegend, nicht nur ihre Rolle im Wiederaufbau der Frauenbewegung – der sich der Löwenanteil der existie- renden Literatur und der publizierten Quellen widmet – in den Blick zu nehmen, sondern ihre verschiedenen Wirkungsgebiete zu betrachten. Dies soll jedoch keines- wegs bedeuten, daß ihr Engagement in der Frauenbewegung nicht für sich genom- men schon Grund genug dafür wäre, sie bekannter zu machen. Daß die Präsidentin des DFR in ihrer Rolle jenseits der Frauenbewegung und -forschung bisher kaum wahrgenommen wird, ist nämlich keineswegs als ‚normal‘ anzusehen. Schließlich haben Personen, die ähnliche Positionen in der organisierten Frauenbewegung be- kleideten und/oder sich über einen langen Zeitraum für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzten, große Popularität erlangt. Dies gilt gleichermaßen für die Ikonen der proletarischen Frauenbewegung Rosa Luxemburg und Clara Zetkin, wie auch für die umstrittene BDF-Vorsitzende Gertrud Bäumer, die SPD-Politikerin und ‚Mutter des Grundgesetzes‘ Elisabeth Selbert sowie für die Begründerin des Magazins ‚Em- ma‘, Alice Schwarzer.

1.3 EIGENE VORARBEITEN ZUM THEMA

Mit dem Handeln Theanolte Bähnischs hat sich die Verfasserin der vorliegenden Ar- beit bereits in Form einer 2005 abgeschlossenen, unveröffentlichten Magisterarbeit auseinandergesetzt. Diese beschäftigt sich, an den 2004 gemeinsam mit Kerstin Wolff publizierten Artikel89 anknüpfend, mit der von Bähnisch ab 1948 herausgege-

87 Vgl.: Pollähne: Bähnisch. 88 Röpcke, Andreas: Who’s Who in Lower Saxony. Ein politisch-biographischer Leitfaden der britischen Besatzungsmacht 1948/49, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesge- schichte, Bd. 55 (1981), S. 243–309, hier S. 258. 89 Freund, Nadine/Wolff, Kerstin: „Um harte Kerne gegen den Kommunismus zu bilden...“ Die staatsbürgerliche Arbeit von Theanolte Bähnisch in der Zeitschrift „Die Stimme der Frau“, in: Ariadne, 19. Jg. (2004), Heft 44, S. 62–69.

42 | Theanolte Bähnisch benen Zeitschrift ‚Stimme der Frau‘90. Ein weiterer Artikel liefert einen Überblick über erste Ergebnisse meiner fortgesetzten Auseinandersetzung mit Bähnisch im Zu- ge der Promotionsarbeit.91 Ein dritter Artikel beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Weiblichkeit, Öffentlichkeit und Privatheit, wie es durch Theanolte Bäh- nisch und anhand ihrer Person dargestellt wurde.92 Ausgangspunkt für meine Auseinandersetzung mit Theanolte Bähnisch, bezie- hungsweise mit der von ihr herausgegebenen Zeitschrift ‚Stimme der Frau‘ war die Überzeugung, daß der Zusammenhang zwischen der alltagskulturellen Dimension des Kalten Krieges, der Frauen-Re-education Arbeit der Westalliierten und der deut- schen Frauenbewegung in der Nachkriegszeit noch nicht hinreichend erforscht war. Zwar lag bereits 2003 die genannte Studie Denise Tscharntkes93 vor, doch war bis 2005 noch nie eine westdeutsche Frauenzeitschrift systematisch hinsichtlich ihres an- tikommunistischen Gehalts in den ersten Nachkriegsjahren untersucht worden. Die Rolle von Frauen-Zeitschriften als prägender Faktor im Kampf um Deutungsmacht zwischen ‚Ost‘ und ‚West‘ ist dementsprechend weitgehend unbekannt. Eine stich- probenartige Untersuchung der ersten Ausgaben der ab Juli 1946 zunächst von An- nemarie Weber, ab November des Jahres dann von Lisbet Pfeiffer herausgebenenen Zeitschrift ‚Die Welt der Frau‘ hat gezeigt, daß die ‚Stimme der Frau‘ in dieser Hin- sicht keineswegs ein Unikat ist. Ihre Untersuchung ist jedoch insofern besonders in- teressant, als die Herausgeberin Bähnisch gleichzeitig eine wichtige Rolle in der Frauenbewegung der Nachkriegszeit spielte. Nachdem zuvor jahrzehntelang vor al- lem quantifizierende, politikwissenschaftliche Studien über den Kalten Krieg vorge- legt wurden, erschienen ab der Jahrtausendwende verstärkt interdisziplinär angelegte Arbeiten über die Nachkriegszeit, die den Einfluß des Kalten Krieges auf die deut- sche Medienlandschaft verdeutlichen.94 Vor dem Hintergrund des gestiegenen Inte- resses an der Auseinandersetzung mit audiovisuellen Medien war jedoch ebenfalls bereits zu jener Zeit eine Schwerpunktverschiebung von der Analyse von Print- medien zugunsten der Analyse von Fernsehen und Kino zu beobachten.95 Die ‚klassi- schen‘ Medien wurden in diesem Zuge eher stiefmütterlich behandelt. Studien zur

90 Freund: Krieg. 91 Freund, Nadine: Theanolte Bähnisch (1899–1973) und ihr Beitrag zum Wiederaufbau Deutschlands im Rahmen der Westorientierung nach 1945, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 80 (2008), S. 403–430. 92 Freund, Nadine: „Mit Hut, Charme und Diplomatie.“ Zum Verhältnis von Weiblichkeit und Öffentlichkeit, Integration und Partizipation in der direkten Nachkriegszeit: Die Regie- rungspräsidentin Theanolte Bähnisch (1899–1973), in: Bussiek, Dagmar/Göbel, Simona (Hrsg.): Kultur, Politik und Öffentlichkeit. Festschrift für Jens Flemming, Kassel 2009, S. 446–464. 93 Vgl.: Tscharntke: Re-educating. 94 Vgl. dazu: Lindenberger, Thomas (Hrsg.): Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bil- der, Resonanzen, Köln 2006. 95 Dies zeigt sich exemplarisch in: Schneider, Irmela/Spangenberg, Peter (Hrsg.): Medienkul- tur der 50er Jahre, Wiesbaden 2002. Trotz des allgemein gehaltenen Titels beschäftigt sich kein einziger der 20 Aufsätze mit Printmedien. Einführung | 43

‚Westernisierung‘96, beziehungsweise ‚Amerikanisierung‘97 und ‚Sowjetisierung‘98 Deutschlands und Europas, zur deutsch-deutschen Geschichte99 und zum Kalten Krieg100, zur Geschichte des Antikommunismus101, zur Propaganda- und Feindbild- forschung102 sowie zur Analyse kulturpolitischer Zeitschriften der Nachkriegszeit103 stellten einen Kernbereich der Literatur dar, die ich zur Analyse der ‚Stimme der Frau‘ in meiner Magisterarbeit verwendete. Arbeiten wie die Gunilla-Friederike Buddes104 und Ina Merkels105 zu Frauenleitbildern in der ost- und westdeutschen Ge-

96 Vgl. insbesondere: Doering-Manteuffel, Anselm: Wie westlich sind die Deutschen? Ame- rikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999. 97 Junker u. a.: USA sowie Trommler, Frank (Hrsg.): Amerika und die Deutschen. Bestands- aufnahme einer 300jährigen Geschichte, Opladen 1986. 98 Vgl.: Jarausch, Konrad Hugo/Siegrist, Hannes (Hrsg.:): Amerikanisierung und Sowjetisie- rung in Deutschland 1945–1970. Frankfurt a. M. 1997. 99 Vgl.: Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945– 1955, Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 19915; Steininger, Rolf: Deutsche Geschichte. Darstellung und Dokumente in vier Bänden, Neuausgabe, Frankfurt a. M. 2002 sowie Schildt, Axel: Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und „Zeitgeist“ in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg 1995. Schildts Studie themati- siert auch den Zeitraum zwischen 1945 und1950. 100 Vgl.: Stöver, Bernd: Rollback: Eine offensive Strategie für den Kalten Krieg, in: Junker: USA, S. 160–168 sowie ders.: Die Befreiung vom Kommunismus. Amerikanische Libe- ration Policy im Kalten Krieg 1947–1991, Böhlau 2002. 101 Vgl.: Stöver, Bernd: Der Kalte Krieg, München 2002 sowie Nolte, Ernst: Deutschland und der Kalte Krieg, München 1974. 102 Vgl.: Jahn, Peter: Rußlandfeindbild und Antikommunismus, in: Quinkert, Babette: „Wir sind die Herren dieses Landes“. Ursachen, Verlauf und Folgen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, Hamburg 2002, S. 223–235; ders.: „... wenn die Kosaken kommen.“ Tradition und Funktion eines deutschen Feindbildes, in: Bleuel, Hans-Peter (Hrsg.): Feindbilder, oder: Wie man Kriege vorbereitet, Göttingen 1985, S. 25–46; Körner, Klaus: „Die rote Gefahr”. Antikommunistische Propaganda in der Bundesrepublik 1950–2000, Hamburg 2003 und Schumacher, Frank: Kalter Krieg und Propaganda. Die USA, der Kampf um die Weltmeinung und die ideelle Westbindung der Bundesrepublik Deutsch- land, 1945–1955, Trier 2000; Sywottek, Arnold: Die Sowjetunion aus westdeutscher Sicht seit 1945, in: Niedhard, Gottfried (Hrsg.): Der Westen und die Sowjetunion. Ein- stellungen und Politik gegenüber der UdSSR in Europa und in den USA seit 1917, Pa- derborn 1983, S. 290–362, hier S. 331/332 und für einen allgemeineren Zugang: Bern- hard, Hans-Michael: Voraussetzungen, Struktur und Funktion von Feindbildern, in: Jahr, Christoph/Mai, Uwe/Roller, Kathrin (Hrsg.): Feindbilder in der deutschen Geschichte. Studien zur Vorurteilsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1994, S. 9–24. 103 Vgl.: Laurien, Ingrid: Politisch-kulturelle Zeitschriften in den Westzonen 1945–1949. Ein Beitrag zur politischen Kultur der Nachkriegszeit, Frankfurt a. M. 1991. 104 Vgl.: Budde, Gunilla-Friederike: „Tüchtige Traktoristinnen“ und „schicke Stenotypistin- nen“. Frauenbilder in den deutschen Nachkriegsgesellschaften – Tendenzen der „Sowjeti- sierung“ und „Amerikanisierung“?, in: Jarausch/Siegrist: Amerikanisierung, S. 243–273;

44 | Theanolte Bähnisch sellschaft, auch in Frauenzeitschriften106 und die bereits erwähnten Arbeiten Irene Stoehrs sowie Corinne Bouillots zur Frontstellung der Frauenbewegung in Ost und West in der Nachkriegszeit bilden eine Art Scharnier zum zweiten Literatur- Schwerpunkt meiner Magisterarbeit: den Studien, die sich mit der Rolle von Frauen in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften107, mit der Geschichte der Frauen- bewegung108, der Frauenzeitschriften109 und der Frauen-Re-education-Arbeit der Alli- ierten beschäftigen110. Ferner erwiesen sich Publikationen zum Pressewesen in der Nachkriegszeit111 als relevant für die meine diskursanalytisch angelegte Untersu- chung112 der Stimme der Frau von 1948 bis 1952. Die Ergebnisse der Analyse lassen sich wie folgt skizzieren: Einer allgemein ho- hen Wertschätzung europäischer, als ‚abendländisch‘ charakterisierter Kultur steht in der Zeitschrift eine deutliche Abwertung des Kommunismus und der Sowjetunion,

dies.: Zwischen den Stühlen. ‚Die Frau von heute‘ und ‚Für Dich‘ in den fünfziger und sechziger Jahren, in: Barck, Simone/Langermann, Martina/Lokatis, Siegfried (Hrsg.): Zwischen „Mosaik“ und „Einheit“. Zeitschriften in der DDR, Berlin 1999, S. 129–137; dies. (Hrsg.): Frauen arbeiten. Weibliche Erwerbstätigkeit in Ost- und Westdeutschland nach 1945, Göttingen 1997. 105 Vgl.: Merkel, Ina: ... und Du, Frau an der Werkbank. Die DDR in den 50er Jahren, Berlin 1990 sowie dies.: Leitbilder und Lebensweisen von Frauen in der DDR, in: Kaelble, Hartmut/Kocka, Jürgen/Zwahr, Hartmut (Hrsg.): Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 359–381. 106 Vgl. dazu auch die Längsschnitt-Analyse der Zeitschrift ‚Brigitte‘: Feldmann-Neubert, Christine: Frauenleitbild im Wandel. Von der „Familienorientierung“ zur „Doppelrolle“, Weinheim 1991. 107 Vgl.: Ruhl, Klaus-Jörg: Frauen in der Nachkriegszeit 1945–1963, München 1998; ders.: Verordnete Unterordnung. Berufstätige Frauen zwischen Wirtschaftswachstum und kon- servativer Ideologie in der Nachkriegszeit (1945–1963), München 1994 und Sachse, Carola: Der Hausarbeitstag. Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in Ost und West 1939–1994, Göttingen 2002. 108 Vgl.: Bouillot/Schüller: Schwamm; Bouillot: Osten; Möding, Nori: Die Stunde der Frau- en? Frauen und Frauenorganisationen des bürgerlichen Lagers, in: Broszat, Mar- tin/Henke, Klaus-Dietmar und Woller, Hans (Hrsg.): Von Stalingrad zur Währungsre- form. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, 3. Aufl., München 1990, S. 619–647 sowie Pawlowski, Rita: Der demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD), in: Genth, Renate (Hrsg.): Frauenpolitik und politisches Wirken von Frauen im Berlin der Nachkriegszeit 1945–1949, Berlin 1996, S. 75–104. 109 Vgl.: Feldmann-Neubert: Frauenleitbild sowie Lott, Sylvia: Die Frauenzeitschriften von Hans Huffzky und John Jahr. Zur Geschichte der deutschen Frauenzeitschrift zwischen 1933 und 1970, Berlin 1984. 110 Vgl.: Tscharntke: Re-educating sowie Ziegler: Lernziel. 111 Vgl.: Koszyk, Kurt: Presse unter alliierter Besatzung, in: Wilke, Jürgen (Hrsg.): Medien- geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Lizenzausgabe der Bundeszentrale für poli- tische Bildung, Bonn 1999, S. 31–58. 112 Siehe dazu auch Kapitel 1.7.3 dieser Arbeit. Einführung | 45 zuweilen auch der Slawen, gegenüber. Zentral für diese Gegenüberstellung ‚Ost‘ ge- gen ‚West‘ sind die in der Zeitschrift umrissenen Diskurse um ‚Weiblichkeit‘ und ‚Mütterlichkeit‘. Hierüber wird greifbar, wie sich die von Bähnisch und ihren Mit- streiterinnen vertretene Forderung, Frauen sollten durch ihre ‚Weiblichkeit‘ auf je- weils individuelle Weise der ‚Versachlichung, Technisierung, Entseelung und Ver- massung‘ der modernen Welt entgegenwirken, gegen die kommunistische Lehre verwenden ließ. Denn jene postulierte – so suggeriert die Zeitschrift grob vereinfacht – als eine wissenschafts- und technikorientierte die Gleichheit der Geschlechter, rief die Frauen in die Fabriken, wollte die wirtschaftliche Sicherung der Bürger nicht durch privat organisierte Fürsorge ‚von Mensch zu Mensch‘, sondern durch staatliche Garantien gewährleistet sehen und propagierte das ‚Kollektiv‘ gegenüber der von Bähnisch verteidigten ‚Freiheit des Individuums‘. Dessen ökonomische Unabhängig- keit und Sicherheit sollte, so legt es die Zeitschrift nah – der Pakt mit den USA ge- währleisten. Von einer kulturellen Orientierung an den Vereinigten Staaten wird hin- gegen eher abgeraten. Es zeigte sich, daß in der Zeitschrift insgesamt stärker für den ‚Westen‘ als gegen den ‚Osten‘ Partei ergriffen wird und daß dies nicht zuletzt über die positive Darstel- lung westeuropäischer Gesellschaften – im Sinne von möglichen Referenzsystemen – stattfindet. Außerdem fällt eine ausgeprägte Wiederaufbaurhetorik in der ‚Stimme der Frau‘ auf. Die Zeitschrift beschwört ihre Leser zum einen, im Sinne einer ‚deut- schen Schicksalsgemeinschaft‘ zusammenzuhalten. Zum anderen ruft sie sie zu einer besonderen Solidarität mit Frauen auch in anderen Ländern auf und wirbt – mit bei- nahe erstaunlich visionärer Gabe – für das, was man Jahre später die ‚Europäische In- tegration‘ nennen sollte. Während die Zeitschrift auf die militärische und ökonomi- sche Protektion des deutschen Wiederaufbaus durch die USA setzt, wird die Staaten- gemeinschaft kulturell als negativ dargestellt – folgt man Axel Schildt, war dies eine in bildungsbürgerlichen Kreisen zu jener Zeit sehr verbreitete Haltung.113 Die Darstellung des ‚Ostens‘ in der Zeitschrift als glaubensfern, unempathisch, nicht selten gar als grausam, vollzieht sich auch über den Fokus auf die ‚deutsche Schicksalsgemeinschaft‘ aus Kriegsgefangenen, Spätheimkehrern, Flüchtlingen und Vertriebenen, Kriegerwitwen und Waisenkindern. Deren Leid wird nicht etwa als Folge deutschen Großmachtstrebens dargestellt, sondern mit dem als ‚unmenschlich‘ charakterisierten Verhalten der Russen auch nach Einstellung der Kriegshandlungen begründet. Das Leiden von Opfern der nationalsozialistischen Politik wird hingegen konsequent beschwiegen – eine zu jener Zeit verbreitete Tendenz114. Der Teil-Diskurs um ‚Weiblichkeit in westlicher Prägung‘ in der ‚Stimme der Frau‘ transportiert die Vorstellung, daß Frauen, wenn sie berufstätig sind, ‚schicke Stenotypistinnen‘ und eben nicht ‚tüchtige Traktoristinnen‘ (Gunilla-Friederike Bud- de) sein sollten. Dieser Diskurs prägt als Leitmotiv die Zeitschriftenberichterstattung und nimmt als ein hochgradig popularisierbares Konstrukt die Funktion eines Bild- raums (Peter Link) ein, der zwischen verschiedenen Diskursen aus den Feldern Poli- tik, Wirtschaft und Kultur vermittelt. ‚Weiblichkeit‘ wird dabei nicht nur als kom-

113 Vgl.: Schildt: Zeiten, S. 414. 114 Siehe Kapitel 5.4.3.

46 | Theanolte Bähnisch plementär zu ‚Männlichkeit‘, sondern auch als mit dem Kommunismus unvereinbar dargestellt. Denn dieser, so suggeriert die ‚Stimme der Frau‘, nötigt Frauen zum Dienst an der Waffe, zu ‚verrohenden Männerarbeiten‘ und zur Abkehr vom christli- chen Glauben. Der Forderung nach rechtlicher Gleichberechtigung für Frauen in Ehe, Familie, Beruf und Politik, auch dem allgemeinen Plädoyer für die Berufstätigkeit von Frau- en, welches die ersten Ausgaben der Zeitschrift prägt, steht – durch die Brille der Gegenwart betrachtet – in der Zeitschrift die Tradierung herkömmlicher Charakter- zuschreibungen der Geschlechter und ein prinzipielles Festhalten am Konzept der Ernährer-Zuverdienerinnen-Ehe entgegen. Mütter sollten, so suggeriert die Zeit- schrift, nicht berufstätig sein. In einem Atemzug wird im Blatt ‚gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ gefordert und das Leben der voll berufstätigen, alleinstehenden Frau als trostlos gezeichnet. Dem wird die offenbar naturgegebene Sehnsucht aller Frauen nach häuslicher Wärme im Kreise einer Familie gegenübergestellt. Ein solches Glück scheint, so der Eindruck des Gesamtbildes vor allem späterer Ausgaben der Zeit- schrift, durch die Annehmlichkeiten, welche die moderne Haushaltsindustrie bietet, komplettiert und durch die Produkte der Mode- und Kosmetikindustrie gekrönt zu werden. Was im ersten Heft der ‚Stimme der Frau‘ zu lesen ist, nämlich, daß das ‚Mondäne‘ für lange Zeit verschwunden sei, scheint 1953 völlig überholt zu sein. Die Zeitschrift verändert ihren Charakter jedoch schon deutlich früher: Bereits nach eini- gen wenigen Ausgaben werden Artikel zu Politik, Wirtschaft, Kultur immer seltener und kürzer, der Hochglanz- und Werbeanteil steigt dagegen bis zum Ende des Unter- suchungszeitraums immer weiter an.

1.4 VOM ‚WESTERNISIERUNGS-ANSATZ‘ ZUM BIOGRAPHISCHEN ZUGANG

Die genannten Studien Anselm Doering-Manteuffels, Frank Trommlers und Detlef Junkers sowie Axel Schildts sind für mich vor allem deshalb richtungsweisend, weil sie nicht auf die ökonomische, militärische und politische Integration Westdeutsch- lands in europäisch-transatlantische Bündnisse fokussieren, sondern stärker kulturel- le, mentalitätsgeschichtliche Aspekte der Anbindung an den ‚Westen‘ erforschen. Von den Autoren wird diese Anbindung/Orientierung als ‚Amerikanisierung‘ (Jun- ker, Trommler) beziehungsweise ‚Westernisierung‘ (Doering-Manteuffel, Angster) bezeichnet. Ich folge den genannten Autoren in der Überzeugung, daß der Kalte Krieg vor allem auch ein ‚Kampf um Deutungsmacht‘ und ein ‚Krieg der Worte‘ war – zumal sich dies auch in der ‚Stimme der Frau‘ niederschlägt. Dies wiederum zeigt, daß Theanolte Bähnisch Anteil an jenem ‚Kampf um Deutungsmacht‘ hatte und lädt dazu ein, zu prüfen, inwiefern dies auch ihre Wirkungsgebiete jenseits der ‚Stimme der Frau‘ betrifft. Ein gern gewähltes Beispiel für die Rolle des ‚Westens‘ im ideologischen Kampf zwischen ‚Ost‘ und ‚West‘ ist der vom CIA finanzierte ‚Congreß of Cultural Free- Einführung | 47 dom‘ (CCF).115 Unter dem Schlagwort ‚Freiheit‘ – dem Begriff, der im Kalten Krieg zum Synonym für die westliche Welt116 avancierte und gleichzeitig anprangern sollte, was das kommunistische System eben nicht verkörpere – organisierte der CCF Kon- gresse und vertrieb Bücher und Zeitschriften. Über den US-amerikanischen Publizis- ten Melvin Lasky gab er die in Deutschland in intellektuellen Kreisen vielgelesene kulturpolitische Zeitschrift ‚Der Monat‘117 heraus. Die ‚Produkte‘ des CCF sollten die Menschenfeindlichkeit, die kulturelle Beschränktheit sowie den ‚totalitären‘ Herrschaftsanspruch des kommunistischen Systems verdeutlichen und diesen Miß- ständen den kulturellen Reichtum und die Vorteile des auf dem Prinzip der ‚Freiheit‘ und der ‚Rechtsstaatlichkeit‘ basierenden politischen und kulturellen Systems der USA gegenüberstellen.118 Der CCF unterhielt ganze 170 Stiftungen, um den Geldge- ber CIA bei seiner kulturpolitischen Arbeit nicht sichtbar werden zu lassen. Seine Arbeit war jedoch nicht darauf ausgerichtet, ein breites Publikum anzusprechen, son- dern konzentrierte sich auf kleinere Kreise von Wissenschaftlern, Künstlern, Schrift- stellern und Politikern – also auf die ‚Chefdenker‘ der im Entstehen begriffenen Re- publik, die als Multiplikatoren wirken konnten.119 Theanolte Bähnisch stand nach- weislich in engerem Kontakt zu mehreren Personen, die dem CCF als Multiplikato- ren und Mitorganisatoren zuarbeiteten.120

115 Sowohl Schildt, als auch Doering-Manteuffel gehen auf den CCF ein. Eine ausführliche Studie über den Congreß liegt ebenfalls vor. Vgl.: Hochgeschwender, Michael: Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen, München 1998. 116 So ein Symbol war beispielsweise die Berliner Zeitung ‚Der Telegraf‘, welcher – so die Expertin Susanne Grebner – „als Gegenpol zur sowjetischen Herrschaft“ betrachtet wur- de. „Während der Blockade trug er hauptsächlich zur moralischen Unterstützung der Be- völkerung bei und rief zum Widerstand gegen die sowjetischen Besatzer auf, was damals gleichbedeutend mit dem Einsatz für die Freiheit war.“ Grebner, Susanne: Der Telegraf. Entstehung einer SPD-nahen Lizenzzeitung in Berlin 1946 bis 1950, Münster 2002, S. 9. Im Westen Berlins wurde die ‚Freie Universität Berlin‘ als Gegenpol zur Humboldt- Universität im Ostsektor gegründet und der Nordwestdeutsche Rundfunk in ‚Sender Frei- es Berlin‘ (SFB) umbenannt. Vgl.: Ebd. Klaus Körner nennt als weiteres Beispiel die ‚Freie Volksbühne‘ und weist darauf hin, daß der DGB das Leben in den USA als „Leben in Freiheit“ bewarb. Vgl.: Körner.: Gefahr, S. 115. 117 Hochgeschwender widmet dem ‚Monat‘ als „Instrument der Re-orientation“ ein ganzes Kapitel: Hochgeschwender: Freiheit, S. 182–198. 118 Die amerikanische Propagandaoffensive, die auch von den amerikanischen Gewerkschaf- ten unterstützt wurde, nachdem die Politik des ‚New Deal‘ sie mit der Regierung ver- söhnt hatte, ist als Antwort auf die ‚Friedenskongresse‘ der kommunistischen Parteien ab 1947 zu verstehen. Die Kommunisten nutzten den großen Zulauf zu den Kongressen in Ost- und Westeuropa sowie in den USA, um vor den Gefahren durch die ‚imperialen Strategien‘ der USA zu warnen. 119 Hochgeschwender: Freiheit, S. 231. 120 Zu diesen Personen zählten Adolf Grimme, Eugen Kogon und Carlo Schmidt. Vgl.: ebd., S. 656–677. Adolf Grimme gehörte sogar zum deutschen Organisationskomitee des ers- ten CCF-Kongresses in Deutschland. Vgl.: Hochgeschwender: Freiheit, S. 224.

48 | Theanolte Bähnisch

Die Einflussnahmeder Westalliierten auf deutsche Politiker, Verbände etc. – über In- stitutionen wie den CCF, aber auch auf direkteren, transparenteren Wegen wie Aus- tauschprogrammen und kulturellen Einrichtungen der Besatzungsländer – unterstütz- te die ohnehin starken antikommunistischen Tendenzen von westdeutschen/bundes- deutschen Parteien und Verbänden. Die in den Nachkriegsjahren immer stärker wer- dende Ausrichtung der westdeutschen Politik auf die Bekämpfung kommunistischer Tendenzen wird von verschiedenen Autoren gar als Basis-121 oder Legitimationsideo- logie122 der Bundesrepublik bezeichnet. Der renommierte Historiker Christoph Kleßmann, der sich sehr verdient darum gemacht hat, daß deutsch-deutsche Ge- schichte heutzutage kaum noch als Parallelgeschichte, sondern viel stärker als Inter- aktionsgeschichte erforscht und dargestellt wird, schreibt über die Formen, welche die antikommunistische Agitation in der BRD annahm: „Insgesamt ging der Anti- kommunismus [...] über die legitime Abwehr kommunistischer Machtansprüche hin- aus, er verselbständigte sich zur Weltanschauung und zu einem sozialen Disziplinie- rungsmittel von beträchtlicher gesellschaftlicher Bedeutung.“123 Insbesondere die Allgegenwärtigkeit des Kalten Krieges in Büchern und Zeitschriften, im Film und im Fernsehen, aber auch in Straßennamen, kurzum: im alltäglichen Sprachgebrauch124 wurde im Einzelfall in ihrer Wirkmacht kaum noch wahrgenommen. Deshalb ist eine Erforschung der Geschichte des Kalten Krieges in Deutschland und der deutschen Westbindung auch als Aspekt der Kulturgeschichte125 besonders spannend. Meine Dissertation soll jedoch nicht so stark auf den Aspekt der ‚Westernisie- rung‘ fokussieren, sondern, in Anbetracht der begrenzten Erklärungskraft der bei der Analyse der ‚Stimme der Frau‘ verfolgten Ansätze für das ‚Gesamtphänomen Bäh- nisch‘ neue Schwerpunkte setzen. Nach Anselm Doering-Manteuffel beschreibt

121 Vgl. beispielsweise: Körner: Gefahr, Buchrücken. 1962 beschloß die Kultusministerkon- ferenz die Sichtweise der Verwandtschaft von Nationalsozialismus und Bolschewismus als Totalitarismen in die Richtlinien für die Behandlung im Unterricht aufzunehmen. Im entsprechenden Dokument heißt es zum Bolschewismus unter anderem: „Im Unterricht über den Bolschewismus ist dem Schüler der weltweite Anspruch und die damit verbun- dene Gefahr für die Menschheit zu zeigen.“ Dieser und andere Auszüge aus dem Doku- ment finden sich in: Pasierbsky, Fritz: Krieg und Frieden in der Sprache, Frankfurt a. M. 1983, Zitat S. 101. 122 Vgl. beispielsweise: Kleßmann: Staatsgründung, S. 257. 123 Ebd. 124 Vgl. dazu: Grebner: Telegraf, passim. 125 Im Unterschied zur Sozialgeschichte, die eher ‚greifbare‘ Verhältnisse und Situationen erforscht, läßt sich Kulturgeschichte als ‚Geschichte von Mentalitäten‘ beschreiben. Eine einheitliche Definition von ‚Kulturgeschichte‘ gibt es jedoch nicht und eine starre Ab- grenzung von ‚Kulturgeschichte‘ zum Spektrum verwandter Forschungsansätze, welche Lamprechts Anregung folgen, Geschichte nicht vom Staat, sondern von der Gesellschaft her zu denken, ist ohnehin nicht sinnvoll. Vgl. dazu: Flemming, Jens: Kulturgeschichte als Integrations- und Leitwissenschaft? Anmerkungen zu Verlauf und Ergebnissen einer deutschen Diskussion, in: Sturma, Dieter(Hrsg.): Kultur und Kulturwissenschaft, Lüne- burg 1991, S. 8–23. Einführung | 49

‚Westernisierung‘ die „konsequente Beeinflussung der westdeutschen publizistischen und akademischen Öffentlichkeit mit dem Ziel einer kritischen Reversion der deut- schen Wendung gegen den westlichen Liberalismus, wie sie im Ersten Weltkrieg vollzogen worden war“126 und „den nahezu simultan verlaufenen Prozess der poli- tisch-ideellen Sozialliberalisierung sozialistischer oder sozialdemokratischer Parteien und Gewerkschaften während des Kalten Kriegs“127, mitsamt „dem Ziel, in der ideel- len Neuordnung der Gesellschaft nach dem Faschismus nun den Kommunismus zu bekämpfen und die sozialistischen Parteien für die politisch und wirtschaftlich libera- le Ordnung des euro-atlantischen Westens einzunehmen.“128 Theanolte Bähnisch, war, wie sich zeigen wird, an beiden von Doering-Manteuffel beschriebenen Phäno- menen beteiligt. Die Dynamiken, die zu jenem Wirken Bähnischs führten, lassen sich jedoch mit dem Westernisierungskonzept – wie es in der Regel angewendet wird – allein nicht erklären. Zwar verweist Doering-Manteuffel darauf, daß der Westernisie- rungsbegriff nicht nur „regionalgeschichtlich – auf konkret eingrenzbare, präzise re- konstruierbare Entwicklungen zwischen 1945 und 1970“ angewendet wird, sondern daß er auch „globalgeschichtlich – auf ideelle Transformationsprozesse seit 1900 be- zogen“ Verwendung findet.129 Dies ist jedoch nur selten der Fall. Viele Studien, die dem Westernisierungs-Konzept folgen, ordnen vorschnell und einseitig Entwicklun- gen in Westdeutschland nach 1945 der allgemeinen ‚Westernsierung‘ zu. Sie berück- sichtigen nicht, daß einige der beschriebenen Tendenzen – vor allem die liberalen Strömungen innerhalb der sozialdemokratischen Partei, welche mit der sozialen Ori- entierung einiger Anhänger liberaler Parteien eine Schnittmenge bildeten – bereits in der Weimarer Republik, beziehungsweise schon im Kaiserreich eingesetzt hatten. Man kann sogar noch einen Schritt weiter gehen und argumentieren, daß diese Ten- denzen in Form der verschiedenen Flügel der Parteien und/oder Bewegungen von Beginn an existent waren. Entsprechende Prägungen vor allem der reform- orientierten preußischen Eliten lassen sich auf den großen Einfluß des von Theanolte Bähnisch verehrten130 sozialliberalen Politikers und Theologen Friedrich Naumann zurückführen. Dieser hatte, wie bereits angerissen, im ausgehenden Kaiserreich die Hoffnung geäußert, das zerklüftete Volk durch einen Zusammenschluß reformorien- tierter Kräfte „von Bebel bis Bassermann“ auf der Basis des Christentums einen zu können.131 Anhänger jener Überzeugungen aus verschiedenen Lagern ermöglichten das Zustandekommen der Großen Weimarer Koalitionen sowie der preußischen Koa-

126 Doering-Manteuffel: Amerikanisierung, 1999, S. 7. 127 Ebd. 128 Ebd., S. 8 129 Doering-Manteuffel verweist auf: Laue, Theodore, von: The World Revolution of West- ernization. The Twentieth Century in Global Perspective, New York/Oxford 1987 sowie auf Latouche, Serge: The Westernization of the World. The Significance, Scope and Limitis of the Drive towards Global Uniformity, Cambridge 1996. Vgl.: Doering- Manteuffel: Amerikanisierung, 1999, S. 7. 130 Gespräch mit Orla-Maria Fels, Waiblingen, 11.11.2009. 131 Naumann, Friedrich: Bassermann und Bebel, in: Berliner Tageblatt, Nr. 503, Morgenaus- gabe, 04.10.1910. Vgl. auch: Theiner: Liberalismus, S. 194–217.

50 | Theanolte Bähnisch litionsregierungen, die als Zusammenschluss zwischen DDP, SPD und Zentrum von 1919 bis 1921 und von 1925 bis 1932 regierten – also auch in jener Zeit, in der Theanolte Bähnisch im Berliner Polizeipräsidium arbeitete. Dieses wiederum stand in engem Austausch mit dem preußischen Innenministerium. Die Effekte jener par- teiübergreifenden Zusammenarbeit reformorientierter Eliten fanden ihren Nieder- schlag nicht nur in den im Hauptteil meiner Arbeit näher ausgeführten staatlichen Reformen, sondern auch in darüberhinausgehenden gesellschaftlichen Reformprojek- ten, deren Behandlung ich an dieser Stelle ebenfalls nicht vorgreifen möchte. 1945 traten einige jener Eliten, die, wie Bähnisch, im ‚Klima‘ der Koalitionsre- gierungen sozialisiert worden waren und dementsprechend für die parteiübergreifen- de Zusammenarbeit besonders offen waren, an, um ihre ‚zweite Chance‘ zu nutzen und ihre Arbeit dort fortzusetzen, wo sie 1932/33 aufzuhören gezwungen waren. Da- bei erhielten sie Unterstützung durch die Westalliierten. Vor allem die britische La- bour-Regierung förderte, sehr zum Leidwesen vieler Sozialdemokraten, nicht vorran- gig die ‚Schwesterpartei‘ SPD. Je mehr sich der Kalte Krieg zuspitze, desto stärker setzten die Briten auf die Etablierung einer pluralen Demokratie unter Ausschluß der Kommunisten, also auf die Zusammenarbeit möglichst vieler gemäßigter Parteien und somit auf die Integration möglichst vieler Bürger in den neuen Staat. Als etwas Neues und als eine Tendenz der ‚Westernisierung‘ mag in der Retro- spektive auch das Verhalten von deutschen Eliten, die bereits in der Weimarer Re- publik aktiv waren, in den Nachkriegsjahren auf internationale Kooperationen zur Durchsetzung ihrer Ziele zu setzen, erscheinen.132 Neu war dieser internationale Aus- tausch in der zweiten deutschen Nachkriegszeit jedoch weder für die ehemals füh- renden Köpfe und ‚Zöglinge‘ der preußischen Verwaltung, die 1945 ihre ‚zweite Chance‘ ergriffen, noch für jene Protagonisten des Wiederaufbaus ab 1945 die bis 1933 in der bürgerlichen Sozialreformbewegung und/oder im Bildungsbereich orga- nisiert waren. Keine Neuheit, sondern vielmehr eine Tradition, deren Fortsetzung die betreffenden Personen nach zwölf Jahren NS-Diktatur herbeisehnten, bedeutete die internationale Kooperation in der konstituierenden Phase der BRD für führende Pro- tagonistinnen der bürgerlichen Frauenbewegung. Denn diese war vor 1933 sogar or- ganisatorisch in die internationale Frauenbewegung eingebunden – woran die briti- sche Militärregierung 1945 anknüpfte, beziehungsweise anknüpfen ließ. Die genann- ten Kreise aus Verwaltung, Erwachsenenbildung und Sozialreform sowie der Frau- enbewegung wiesen starke Schnittmengen auf und waren – nicht zuletzt deshalb – für Bähnischs Biographie und Nachkriegskarriere von zentraler Relevanz. Daß Personen wie Bähnisch 1945 nur teilweise neue Wege einschlugen, zum Teil aber auch reformpolitische Traditionen, nach denen sie bereits in der Weimarer Re- publik gehandelt hatten oder von denen sie beeinflußt worden waren, wiederaufleben ließen, zeigt sich, wenn man die Biographien der betreffenden Akteure systematisch in den Blick nimmt wie es der Historiker Volker Depkat tut. Er analysiert Autobio- graphien deutscher Politiker, welche um 1880 geboren wurden, darunter auch Vorge- setzte, Vertraute und Unterstützer Bähnischs. Er kommt zu dem Ergebnis, daß das

132 Vgl.: Schüler, Anja: Frauenbewegung und soziale Reform. Jane Addams und Alice Sa- lomon im transatlantischen Dialog, 1889–1933, Stuttgart 2004. Einführung | 51

Jahr 1945 für diese Personen jeweils einen tiefgreifenden Einschnitt markierte und als „Zeitenwende“133, welche eine neue Chance bereithielt, empfunden und genutzt wurde. Depkat plädiert auf der Basis seiner Ergebnisse für eine stärkere Berücksich- tigung der Biographien solcher Eliten bei der Erforschung deutscher Nachkriegsge- schichte und dafür „die Nachkriegsentwicklungen in der BRD und der DDR nicht al- lein als Ergebnis von Amerikanisierungs- und Sowjetisierungsanstrengungen sowie als Ergebnis der äußeren Zwänge des Kalten Krieges“134 zu verstehen. Schließlich hätten jene Entwicklungen, so Depkat, „auch in den Lern- und Umorientierungspro- zessen deutscher politischer Eliten, die das gesamte Katastrophenzeitalter des 20. Jahrhunderts biographisch durchmaßen“135, gegründet. Die Zeit von 1933 bis 1945 sei von den von ihm untersuchten Eliten, wenn auch teilweise erst mit Abstand zu je- ner Zeit, als ein erratischer Block wahrgenommen worden.136 Inwiefern tatsächlich ‚Lernprozesse‘ ausschlaggebend für das Verhalten jener Eliten waren oder ob nicht in einigen Fällen vielmehr ‚Bestätigungsprozesse‘ ihren Lauf nahmen, sei dahinge- stellt. Auf diesen und andere Aspekte im Vorgehen und in der Argumentation Dep- kats wird an anderer Stelle zurückzukommen sein. Als einer der besonderen Ver- dienste des Historikers ist jedenfalls zu bewerten, daß er auch Autobiographien sol- cher Politiker untersuchte, die sich nach 1945 für ein Leben in der DDR entschieden. Er analysiert deren Erinnerungen in dieser Hinsicht unvoreingenommen und zeigt damit, daß die Wahrnehmung des Dritten Reichs als ‚Fehler‘ durchaus zu verschie- denen, nachvollziehbar begründeten Wegen für die Zeit nach 1945 führen konnte. Ich möchte, vor dem Hintergrund der Tatsache, daß sich Bähnischs Wirken in den Jahren ab 1945 nicht allein aus dem Kontext jener Zeit überzeugend erklären läßt, Depkats Überzeugung folgen, daß eine zu starke Konzentration auf ‚Westerni- sierungsprozesse‘ bei der Erforschung von Nachkriegsgeschichte den Blick auf die sehr komplexen Zusammenhänge im westdeutschen Wiederaufbau verstellt und daß es ein fruchtbares Unterfangen ist, den Focus auch auf die Biographien jener Akteure zu richten, die sowohl in der Weimarer Republik, als auch in der zweiten deutschen Demokratie wichtige Rollen übernahmen. Die Historikerin und Schülerin Doering- Manteuffels, Prof. Dr. Julia Angster bestätigt in ihrer Dissertation ‚Konsenskapita- lismus und Sozialdemokratie‘ die Thesen Doering-Manteuffels zwar prinzipiell, läßt aber ihre eigene Untersuchung schon um 1900 beginnen.137 Der ‚rechte Flügel‘ der SPD und der Gewerkschaften – so Angster sinngemäß im Jahr 2011 – habe sich schließlich 1945 nicht neu erfunden, sondern zu dieser Zeit an Traditionen der Libe- ralisierung in der Partei und der Gewerkschaft angeknüpft, welche sich bereits in der Weimarer Reichsverfassung und der großen Weimarer Koalition manifestiert hat-

133 Depkat, Volker. Lebenswenden und Zeitenwenden. Deutsche Politiker und die Erfahrun- gen des 20. Jahrhunderts, München 2007, S. 518. 134 Ebd. 135 Ebd. 136 Vgl.: ebd., S. 189. 137 Vgl. auch die Dissertation: Angster, Julia: Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie. Die Westernisierung von SPD und DGB, München 2003.

52 | Theanolte Bähnisch ten.138 Dieses Vorgehen einer ausgewiesenen Expertin auf dem Gebiet der ‚Westerni- sierungsforschung‘ bestärkt mich darin, in meiner Arbeit einen Zwischenweg zwi- schen der Berücksichtigung zweifellos starker ‚Westernisierungstendenzen‘ nach 1945 und der Erforschung der Biographie Bähnischs zu gehen. Die Netzwerke, in denen sich die Juristin vor und nach 1945 bewegte, unterstreichen die Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens: Zum ‚rechten Flügel‘ der SPD, der auf eine breitenwirksam ak- zeptierte Reformpolitik anstelle von ‚revolutionären‘ Veränderungen setzte und durch seinen Kooperationswillen mit anderen Parteien auffiel, gehörte nämlich nicht nur der ‚Chef‘ Bähnischs ab 1946, Hinrich Wilhelm Kopf. Dieser konnte als nieder- sächsischer Ministerpräsident bei seinem Tod 1961 auf eine lange Amtszeit (mit ei- ner Unterbrechung zwischen 1957 und 1959) an der Spitze von Vielparteienkabinet- ten mit einem auffällig breiten politischen Spektrum zurückblicken. Auch einer der entschiedensten und mächtigsten Förderer der Verwaltungsjuristin Bähnisch vor 1945, der bereits erwähnte preußische Innenminister und zeitweilige Reichsinnenmi- nister Carl Severing (SPD, MSPD), der in Preußen Teil verschiedener Koalitionen war, ist diesem politischen Lager zuzuordnen. Severing war 1914 ein vehementer Be- fürworter der Burgfriedenspolitik gewesen, welche die SPD von dem Vorwurf, daß sie ‚vaterlandslose Gesellen‘ seien, befreien sollte. Nicht zuletzt auf sein Betreiben ist es zurückzuführen, daß sich auch das Sammelbecken katholischer Wähler, die Zentrumspartei, an der ersten Weimarer Koalitionsregierung beteiligte.139 Weiter ist zu berücksichtigen, daß Theanolte Bähnisch gerade zu jener Zeit an ihrer juristischen Karriere feilte, als das ‚System Severing‘ dafür sorgte, daß ein Austausch politischer Beamter stattfand, welcher darauf abzielte, Monarchisten nicht nur durch Sozialde- mokraten, sondern auch durch Vertreter anderer demokratischer Parteien zu ersetzen. Diese Politik wurde unter Severings Nachfolger, dem Innenminister Albert Grze- sinski, der zuvor Bähnischs Chef im Polizeipräsidium gewesen war, noch ver- stärkt.140 Auch der Vorgesetzte und selbsterklärte Ziehvater Bähnischs, Ferdinand Friedensburg (DDP, CDU)141, hatte in den 1920er Jahren – als er zunächst Vizepoli- zeipräsident in Berlin und dann Regierungspräsident in Kassel war – in seiner Politik auf eine Sammlung bürgerlicher Parteien gesetzt. 1945 knüpfte er – unter anderem gemeinsam mit Bähnisch in der Europabewegung – an diese Politik an.142 In den 1960er Jahren sondierte Theanolte Bähnisch schließlich gemeinsam mit den weiter rechts stehenden SPD-Politikern Herbert Wehner und Fritz Erler die Möglichkeiten

138 Gespräch mit Prof. Julia Angster am 27.06.2011 an der Universität Kassel. Vgl. auch die o.g. Dissertation. 139 Vgl.: Alexander, Thomas: Carl Severing. Sozialdemokrat aus Westfalen mit preussischen Tugenden, Bielefeld 1992, S. 29 sowie Koszyk, Kurt: Carl Severing, in: Westfälische Le- bensbilder, Band XI, Münster 1975, S. 172–201, hier S. 186. 140 Siehe Kapitel 3.3.5. 141 BArch, N 1114, Nr. 27, Ferdinand Friedensburg an Theanolte Bähnisch, 23.04.1946. 142 Vgl.: Depkat, Volker: Entwürfe politischer Bürgerlichkeit und die Krisensignatur des 20. Jahrhunderts, in: Budde, Gunilla-Friederike/Conze, Eckhardt/Rauh, Cornelia (Hrsg.): Bürgertum nach dem bürgerlichen Zeitalter. Leitbilder und Praxis seit 1945, Göttingen 2010, S. 101–116, hier S. 109/110. Einführung | 53 einer Großen Koalition unter Willy Brandt143, was darauf hindeutet, daß ihre politi- sche Einstellung über Jahrzehnte recht stabil geblieben ist.

1.5 ZIEL DER ARBEIT, ZENTRALE THESEN, EINGRENZUNG DES GEGENSTANDS

Das Ziel meiner Auseinandersetzung mit Theanolte Bähnisch ist es, zu zeigen, daß die heutzutage kaum bekannte Persönlichkeit der Zeitgeschichte im Wiederaufbau und in der Westbindung Westdeutschlands zwischen 1946 und 1952 eine kaum zu überschätzende Rolle gespielt hat. Ich möchte darlegen, daß dafür vor allem auch ih- re Sozialisation bis 1945, ihre Fähigkeit, sich selbst zu darzustellen und der Wille in- und ausländischer Eliten, die auf eine Westbindung Deutschlands hinarbeiteten, Bäh- nisch zu unterstützen, ausschlaggebend waren. In Zusammenarbeit mit mehrheitlich demokratisch gesinnten Eliten aus verschiedenen politischen Lagern, aus der Verwal- tung, der Pädagogik und der Frauenbewegung, die Bähnisch teilweise bereits seit den 1920er Jahren kannten, sowie mit Unterstützung der britischen Militärregierung und der britischen Frauenbewegung, knüpfte sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an parteiübergreifende Initiativen zur Reform von Staat und Gesellschaft an, die ihre Wurzeln teils in der Weimarer Republik, teils im Kaiserreich hatten. Dabei kontinu- ierte und modifizierte sie Diskurse und Strukturen, die sich in jenen Zusammenhän- gen etabliert hatten, auf eine Art, die der Westbindung und -integration Westdeutsch- lands förderlich sein sollte. Dies bedeutete für sie auch, den Kommunismus als un- vereinbar mit den von ihr als ‚westlich‘ definierten, christlichen, humanistischen und liberalen Traditionen der bürgerlichen Frauenbewegung sowie mit ‚Weiblichkeit‘ an sich erscheinen zu lassen. Der Negativ-Formel ‚Kommunismus‘ setzte die Regie- rungspräsidentin ein vereintes Europa als zu erreichendes Ziel entgegen, nicht zu- letzt, weil sie hoffte, ihr im Ausland diskreditiertes Heimatland könne sich mit Hilfe von ‚Europa‘ wieder zu einer wohlhabenden und geachteten Kulturnation entwickeln. Die Erwartung, sie möge zentrale Funktionen in der Nachkriegsgesellschaft über- nehmen, wurde aus verschiedenen Kreisen, deren Interessen teilweise stark differier- ten, an sie herangetragen. Auch ihre Kontrahenten begriffen ihren Einfluß als weit- reichend. Für die Unterstützer wie für die Gegner der Juristin waren in der Auseinan- dersetzung mit Bähnisch vor allem drei Aspekte handlungsleitend: 1. Ihre in der Zeit des Umbruchs proklamierten und gelebten Ziele, Frauen ‚staatsbürgerlich‘ zu bilden, einen parteiübergreifenden Konsens für einen stärkeren Einfluß von Frauen in der Gesellschaft und für die Abwehr des Kommunismus zu er- reichen, Staat und Gesellschaft (wieder) aufzubauen und dafür Sorge zu tragen, daß sich das Land dabei zu einem gleichberechtigten Staat an der Seite anderer, ‚westli- cher‘ Nationen etabliere. Vor allem Vertreter der Britischen Militärregierung gingen davon aus, daß Bähnisch auf die deutsche Gesellschaft im Wiederaufbau integrativ

143 AdSD, Nachlaß Fritz Erler, Nr. 217 A, Bähnisch an Erler, 31.08.1966.

54 | Theanolte Bähnisch wirken144, dabei als zukunftsträchtig bewertete deutsche Traditionen wieder zum Le- ben erwecken könne und durch ihre Unternehmungen Multiplikatoren-Effekte frei- setzen würde. 2. Die Fähigkeit der Juristin, ihr ‚unternehmerisches Selbst‘ (Bröckling) in einer Art zu vermarkten, wie es den politischen und gesellschaftlichen Konstellationen in der zweiten deutschen Nachkriegszeit aus ihrer Sicht zuträglich zu sein schien. 3. Die Bereitschaft verschiedener einflußreicher Eliten im In- und Ausland, sie zu fördern und/oder sie in ihre ‚Erinnerungskartelle‘ (Schaser) und ‚Deutungsgemein- schaften‘ (Depkat) zu integrieren. Ein weiteres Ziel meiner Arbeit leitet sich aus dem Umstand ab, daß Bähnischs Wirken vor 1945 bisher noch kaum erforscht wurde und ihr Wirken ab 1933, wie be- schrieben, bisher kaum Gegenstand objektiver Darstellungen geworden ist. Eine dif- ferenziertere Auseinandersetzung mit ihrer Person und ihren Rollen, den in sie ge- setzten Erwartungen, den mit ihrer Person verbundenen Befürchtungen und den an ihr festgemachten Enttäuschungen ist deshalb notwendig. Neben ihrer Rolle im Wie- deraufbau Deutschlands, in den internationalen Beziehungen des Landes und der Frauenbewegung sollen auch die tradierten Aussagen Bähnischs zu ihrem Engage- ment im Widerstand gegen den Nationalsozialismus einer kritischen Betrachtung un- terzogen werden. Was Bähnischs Wirken im Aufbau der Frauenbewegung angeht, so ist dem Um- stand Rechnung zu tragen, daß die Geschichte des DFR bisher noch kaum erforscht ist. Mit dem Fokus auf die Präsidentin der Organisation sollen deshalb der Aufbau und zumindest ausschnitthaft auch die Arbeit des DFR und seiner Vorgängerorgani- sationen beleuchtet werden. Denn dem Aufbau dieser Organisationen widmete Bäh- nisch in jenen Jahren einen Großteil ihrer Energie. Ihre Biographie ist eng mit dem Aufbau des DFR verbunden, während der DFR wiederum wesentlich vom Einfluß seiner Präsidentin geprägt war. Im Zuge einer solchen Auseinandersetzung soll auch die von der Frauengeschichtsforschung der 1980er Jahre verbreitete Meinung, das Wirken der überparteilichen Frauenbewegung der Nachkriegszeit unter der Führung Theanolte Bähnischs sei eine ‚Emanzipationsbremse‘ gewesen, kritisch hinterfragt werden. Aufgrund der zentralen Rolle, welche die (interzonalen) Frauenkonferenzen zwischen 1946 und 1949 bei der Re-Organisation der bürgerlichen Frauenbewegung durch Theanolte Bähnisch in Deutschland spielten sowie der vergleichsweise guten und vielschichtigen Überlieferung zu jenem Thema sollen insbesondere jene Frauen- Konferenzen ihre Vor- und Nachbereitung und ihre Wahrnehmungen und Bewertun- gen durch Zeitgenossen im Zentrum meiner diesbezüglichen Betrachtungen stehen. Es ist also nicht mein Ziel, mich mit dem Leben und Wirken Bähnischs in seiner Gänze auseinanderzusetzen, sondern ich möchte mich auf die erwähnten Aspekte und den Zeitraum 1899 bis 1952 konzentrieren. Der ‚formativen Phase‘ der Bonner Re- publik, also den Jahren 1945 bis 1952, wird, bedingt durch meine Thesen und meine Fragestellung, ebenso viel Raum zuteilwerden, als den Jahren 1899 bis 1945. Die

144 Darauf deutet die Bewertung Bähnischs im ‚Who is who in Lower Saxony‘, einem Hand- buch der britischen Militärregierung für Niedersachsen hin. Vgl.: Röpcke: Saxony, S. 258. Einführung | 55 zeitliche Beschränkung bis 1952 erklärt sich daraus, daß in diesem Jahr eine segmen- täre Zäsur (Hans Peterr Schwarz) in der Geschichte Deutschlands mit einer ein- schneidenden Veränderung im Leben Bähnischs einhergeht: Die Grundsteine der als formative Phase der BRD beschriebenen Entwicklungen der 1950er Jahre – der Auf- bau der parlamentarischen Demokratie, der sozialen Marktwirtschaft und der politi- schen Integration Westdeutschlands in westeuropäisch-transatlantische Bündnisse sowie die Vertiefung der soziokulturellen Westernisierung145 – wurden in der Besat- zungszeit gelegt. Diese endete 1952 mit der Auflösung der Alliierten Hohen Kom- mission, der Unterzeichnung des Deutschland-Vertrages, welcher die Wiedererlan- gung einer teilweisen Souveränität für Westdeutschland bedeutete sowie dem EVG- Vertrag, der die Westbindung Westdeutschlands festschrieb.146 In das gleiche Jahr fällt auch die Ablehnung der Stalin-Noten. Darin äußerte sich, unabhängig davon, ob Stalins Vorschlag ein ernst zu nehmendes Angebot war oder nicht147, daß man in Westdeutschland, auch aufgrund des Korea-Krieges, nicht mehr daran glaubte, daß ein neutrales, vereintes Deutschland eine realpolitisch sinnvolle Alternative zur öko- nomischen und militärischen Protektion durch die USA und Westeuropa sein könnte. Die Teilung Deutschlands akzeptierte man damit als das ‚kleinere Übel‘. Theanolte Bähnisch legte im gleichen Jahr ihr Amt als Vorsitzende des Deutschen Frauenrings nieder und beendete damit die Hochphase ihres Engagements in der deutschen Frau- enbewegung. Das soll keinesfalls bedeuten, daß das Handeln Bähnischs nach dieser Zeit uninteressant oder irrelevant gewesen wäre. Doch die intensive Zusammenarbeit zwischen der britischen Militärregierung, Theanolte Bähnisch und der deutschen überparteilichen Frauenbewegung war zu jener Zeit beendet, die ‚Zusammenbruch- gesellschaft‘ (Kleßmann) hatte sich stabilisiert, die Weichen ‚Richtung Westen‘ wa- ren gestellt und die ‚Entscheidung für Europa‘ (Depkat/Graglia) war gefallen. Anders als in der Frauenbewegung gab es im Amt als Regierungspräsidentin zu jener Zeit keine solche Zäsur. Doch vor dem Hintergrund der geschilderten Zusam- menhänge veränderte sich in jenem Zeitraum auch der Charakter von Bähnischs Ar- beit in der Verwaltung eines Bundeslandes an der Grenze zur DDR, welches mit ei- nem immensen Zustrom an Flüchtlingen aus den ‚Ostgebieten‘ konfrontiert gewesen war. Dieser Strom war 1952 abgeebbt. Das Lastenausgleichsgesetz war bereits ver- abschiedet, die Umsetzung des 1950 beschlossenen Emsland-Plans148, der auch zu einer Entlastung des Ballungsgebietes Hannover führen sollte, war 1951 auf den Weg

145 Vgl.: Recker, Marie-Luise: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Mün- chen 2009, S. 23. Der für die Erforschung der Kulturgeschichte jener Zeit ausgewiesene Historiker Axel Schildt läßt die „Gründerjahre der BRD“ 1957 enden und die ‚dynami- schen Zeiten‘ 1957/58 einsetzen. Vgl.: Schildt, Axel/Siegfried, Detlef: Deutsche Kultur- geschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart, Bonn 2009. 146 Deshalb werden die beiden Verträge auch als ‚Westverträge‘ bezeichnet. 147 Zu den verschiedenen Positionen vgl.: Loth, Wilfried/Graml, Hermann/Wettig, Gerhard: Die Stalin-Note vom 10. März 1952: neue Quellen und Analysen, München 2002. 148 Der Emsland-Plan sah die Kultivierung des von Ödland und Moor geprägten Emslandes vor. Neue Dörfer und 1250 Neusiedlerhöfe sowie 5000 Nebenerwerbsstellen entstanden bis 1964. Vgl. dazu Hauptmeyer: Geschichte, S. 118.

56 | Theanolte Bähnisch gebracht worden. Die Lage der Flüchtlinge und die Lage der Bevölkerung insgesamt hatten sich bereits spürbar verbessert, auch wenn noch immer viele Wohnungen fehl- ten. Um die Abwanderung ‚ihrer‘ Bevölkerung in die Bundesrepublik einzudämmen, hatte die DDR 1952 eine Grenzsperre eingerichtet. Die deutsche Wirtschaft hatte sich stabilisiert, in der niedersächsischen Landwirtschaft war 1952 sogar erstmals der Stand der Vorkriegsproduktion im Agrarsektor wieder erreicht worden.149 Die Konzentration meiner Arbeit auf die Jahre 1899 bis 1952 ist indes nicht skla- visch zu verstehen. Wo es für die Analyse hilfreich ist, greift die Argumentation über das Jahr 1952 hinaus, andere Aspekte der Untersuchung machen es notwendig, den Blick auf die Zeit vor 1899 zu richten. Im Aufbau meiner Arbeit wird – um die Ori- entierung zu erleichtern und dabei auch verschiedenen Lese(r)interessen gerecht zu werden – eine chronologische Darstellung mit einer thematischen verknüpft.

1.6 FRAGESTELLUNG

Bürgerlichkeit und Rechtsstaatlichkeit, soziale Demokratie und christlicher Glaube, preußische Koalitionsregierungen und Verwaltung sowie die öffentlichkeitswirksame Berufsarbeit von Frauen, das sind die Termini, mit denen sich die Bildungs- und Be- rufsrealität der Verwaltungsjuristin Theanolte Bähnisch in der Weimarer Republik beschreiben läßt. Erwachsenenbildung und Sozialreform gehören ebenfalls zu den Themen, mit denen sie in den 1920er und frühen 1930er Jahren in Kontakt kommt. Die Verbindung jener Ideenhorizonte nach dem Zweiten Weltkrieg mit denen der Bürgerlichen Frauenbewegung, der Europabewegung, des Antikommunismus und der Westintegration prägen das Wirken Bähnischs nach 1945, als sie in ihrer Funkti- on als Leiterin des ‚Deutschen Frauenrings‘ (DFR) und seiner Vorläuferorganisatio- nen die Re-Organisation der überparteilichen Frauenbewegung in Deutschland vo- rantreibt und die ‚staatsbürgerliche Frauenbildung‘ zu ihrer Maxime erhebt. In ihren ersten fünf Amtsjahren als Regierungspräsidentin widmet sie sich primär dem Wie- deraufbau des Bezirks Hannover, übt jedoch weit darüber hinaus reichenden Einfluß aus. Als Vizepräsidentin des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung sucht sie den Schulterschluß mit anderen westeuropäischen Staaten und versucht, die deutsche Gesellschaft auf den Weg Richtung ‚Westen‘ zu bringen. Trennen lassen sich diese verschiedenen Aspekte ihres Wirkens nicht, vielmehr sind sie stark ineinander ver- woben. Wie sich die genannten Dimensionen aufeinander beziehen, welche Soziali- sationserfahrungen und Selbstkonstruktionen Bähnischs (auch) in Bezug auf ihr Le- ben im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im ‚Dritten Reich‘ dabei eine Rolle spielen und wie sich die Bündelung und Zuspitzung ihrer Prägungen und Ideen im Rahmen einer vor allem kulturell wirkmächtigen ‚Westernisierungsarbeit‘ gegen die ‚Rote Gefahr‘ ab 1945 gestaltet, das soll die leitende Fragestellung der vorliegen- den Arbeit sein.

149 Schneider, Karl: Der langsame Abschied vom Agrarland, in: Weisbrod, Bernd (Hrsg.): Von der Währungsreform zum Wirtschaftswunder. Wiederaufbau in Niedersachsen, Hannover 1998, S. 133–160, hier S. 136. Einführung | 57

Vor dem Hintergrund der Breite der Untersuchung ist es notwendig, die Fragestel- lung weiter aufzufächern und zu untergliedern: Biographie vor 1945: Angelehnt an meine Thesen frage ich zunächst danach, welche Sozialisation Theanolte Bähnisch in drei verschiedenen politischen Systemen und zwei Weltkriegen bis 1945 erfuhr. Mich interessiert, wie die Lebensrealität Dorothea Noltes als junges Mädchen aussah. Welche Aspekte aus diesen Zusam- menhängen könnten Bähnischs späteres Engagement in der Verwaltung und in der Frauenbewegung befördert haben? Was läßt sich über jene sagenumwobene Zeit, in der sie die erste Verwaltungsreferendarin Preußens war, herausfinden? Wie gestalte- ten sich ihr Berufsleben sowie ihr gesellschaftliches und privates Leben in der Hauptstadt Berlin? Welche Rolle spielten die Beziehung zu ihrem Ehemann Albrecht Bähnisch, die gemeinsamen Orts- und Berufswechsel sowie das Familienleben für ih- re weitere Entwicklung? Welche wesentlichen Aspekte von Albrecht Bähnischs Bio- graphie, die auch für seine Frau relevant gewesen sein dürften, lassen sich herausar- beiten? Wie ging das Paar mit Albrecht Bähnischs ‚Karriereknick‘ 1932 um und wie gestaltete sich das gemeinsame Leben während des Dritten Reichs? Läßt sich die von Theanolte Bähnisch behauptete und vielfach unkritisch tradierte Rolle im Widerstand belegen und wie sah diese gegebenenfalls aus? Welche Veränderungen traten für die zweifache Mutter ein, als ihr Mann zum Kriegsdienst eingezogen wurde? Aufbruch nach Kriegsende: Wie gestaltete sich das Engagement Theanolte Bäh- nischs nach 1945, vor allem im Wiederaufbau Deutschlands, durch ihr Amt als Re- gierungspräsidentin, bei der Re-Organisation der Frauenbewegung ab 1946 und dar- über hinaus? Läßt ihr breitgefächertes Engagement eine ‚übergreifende Handlungslo- gik‘150 erkennen? Wie ist der immense Karriereschub, den sie nach 1945 erfährt, zu erklären? Welche Sozialisationserfahrungen, welche Selbstkonstruktionen, welche Unterstützer und welche Gegner spielten hierbei eine Rolle? Selbstkonstruktion: Welches ‚unternehmerische Selbst‘151 entwirft die Juristin, besonders, als sie 1945 ihre Chance sieht, beruflich (noch einmal) durchzustarten und sich dabei am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen? Welche Erfahrungen, Fähig- keiten und Überzeugungen stellt sie dabei in den Vordergrund? Was und wie berich- tet sie über ihr Leben in den Jahren bis 1945? Welche Aspekte thematisiert sie nicht? Auf welche Art und auf welchen Wegen ‚vermarktet‘ sie ihr Selbst? Lassen sich Wi- dersprüche in ihrer Argumentation erkennen? Argumentiert sie, unabhängig von Zeit und Raum, immer gleich? Kann ein differenzierteres Bild ihres Lebens in den Jahren 1933 bis 1945 ihre Nachkriegskarriere vielleicht sogar schlüssiger erklären helfen,

150 Zur gebotenen Vorsicht bei einem solchen Ansatz vgl.: Bourdieu, Pierre: Die biographi- sche Illusion, in: Bios, 1/1990, S. 75–81 sowie Kapitel 1.7.4.1. 151 Zum durch den Soziologen Ulrich Bröckling geprägten Begriff vgl.: Bröckling, Ulrich: Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt a. M. 2007. Bröckling weist darauf hin, daß das „unternehmerische Selbst“ im Zuge eines stän- digen Anpassungsdrucks an vermeintliche Erfordernisse von außen immer auch ein „er- schöpftes Selbst“ sei. Bröckling, Ulrich: „Die perfekte Biographie gibt es nicht!“, in: TAZ, 31.12.2009, auf: http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel /?ressort=sw&dig=2009/12/31/a0129, am 04.08.2014.

58 | Theanolte Bähnisch als es die Vorstellung von der „fanatisch antifaschistisch[en]“152 Widerstandaktivis- tin vermag? Welche Rolle spielt der Umstand, daß die Regierungspräsidentin für ih- ren ‚humanen‘ Umgang mit ehemaligen NSDAP-Parteigenossen im Rahmen der Entnazifizierung bekannt wurde153 und daß sie keine Anstrengungen unternahm, sich von Personen wie Gertrud Bäumer und Agnes Miegel sowie von Organisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz, die durch ihre Kollaboration mit dem Regime in Verruf geraten waren, abzugrenzen? Ist der Umstand, daß von Bähnisch herausgegebene ‚Stimme der Frau‘ zu den Verbrechen der Nationalsozialisten nicht Stellung nimmt, deckungsgleich mit dem Verhalten der Herausgeberin der Zeitschrift in anderen Zu- sammenhängen? Netzwerke und strategische Allianzen: Inwiefern betreibt Bähnisch bereits vor 1945 strategische Kontaktpflege? Welche Kontakte (re)aktiviert sie ab 1945? Wer ‚erinnert‘ sich an sie? Wie und wo findet sie neue Partner? In welchen Kreisen lassen sich ihre Förderer, in welchen ihre Widersacher verorten? Welche Gemeinsamkeiten zwischen Bähnisch und ihren Verbündeten und welche Differenzen zu ihren Gegen- spielern sind dafür zentral? Sind die Allianzen, die sie pflegt, stabil oder wechsel- haft? Welche Erwartungen werden an die Verwaltungsjuristin gestellt, welche Hoff- nungen glauben Dritte über eine Zusammenarbeit mit Bähnisch und/oder ihre Unter- stützung verwirklichen zu können? Welche Befürchtungen nähren ihre Widersacher? Welche Bühnen, welche Gelegenheiten ermöglichen ihr, Gehör zu finden und ihre Ideen zu verbreiten? Ziele und Erwartungen: Welchen Beitrag will Theanolte Bähnisch selbst zum Wiederaufbau Deutschlands leisten? Welche Ziele hat sie darüber hinaus, in Bezug auf die Frauenemanzipation und allgemeinpolitisch? Welches Deutschland, welche Gesellschaft, welche Frauen und welche SPD gehören zu ihrer Zukunftsvision? Wen will sie mit ihrer Arbeit ansprechen? Erfüllt sie die von ihr gesetzten Ansprüche? Welche Prinzipien ihres Wirkens lassen sich als über-, welche als untergeordnet be- greifen? Wo tun sich Zielkonflikte auf? Argumentations- und Aktionsstrategien: In welchen Zusammenhängen setzt Bäh- nisch auf Kontinuität, zu welchen Neuerungen ruft sie auf? Wann und wie paßt sie bewährt Erscheinendes an neue Situationen an? Welche Rolle spielen Inhalte, die ihr aus der Weimarer Republik vertraut sind - Verwaltung, Demokratie, rechtsstaatliche Ordnung, bürgerliche Gesellschaft, berufliche Professionalisierung von Frauen, christlicher Glaube und soziale Demokratie – als sie sich ab 1945 weiteren Themen – der organisierten Frauenbewegung und der Europa-Bewegung – widmet? Welche Rolle nehmen diese Themen ein, als sie gegen den Kommunismus kämpft und der

152 BArch, N 1114, Nr. 26, Bähnisch an Friedrich A. Knost, 14.02.1945. Das Schreiben ist ein ‚Persilschein‘ aus der Hand Bähnischs für Knost, der im Reichssippenamt des Berli- ner Inneministeriums tätig war und einen Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen verfaßt hatte. Die Überlieferung in Friedensburgs Nachlaß erklärt sich aus der Tatsache, daß Knost und Friedensburg bis 1932 in Kassel zusammengearbeitet hatten, wo Frie- densburg bis zu seiner Amtsenthebung 1933 Regierungspräsident war. 153 Bähnisch, Theanolte: Theanolte Bähnisch erzählt. Die Entscheidung für Hannover. Als die Flüchtlingszüge rollten, in: Hannoversche Presse, Nr. 299, 23.12.1964. Einführung | 59 deutschen Gesellschaft den Weg Richtung ‚Westen‘ weist? Welche Argumente führt sie gegen den Kommunismus ins Feld? Welche rhetorischen Figuren bemüht sie, welche Bilder vom ‚Westen‘ und vom ‚Osten‘ hilft sie damit aufzubauen und in wel- che Trends und Traditionen reiht sie sich damit ein? Welche Rolle spielen Selbst-, Fremd- und Feindbilder? Argumentiert sie in verschiedenen Wirkungszusammen- hängen ähnlich? Synergie-Effekte und Rollen-Konflikte: Inwiefern sind Synergie-Effekte ihrer verschiedenen Arbeitsinhalte und Rollen – als Verwaltungsjuristin/Regierungspräsi- dentin, als Vorsitzende des Frauenrings, als Vizepräsidentin des Deutschen Rats der Europäischen Bewegung, als Herausgeberin der ‚Stimme der Frau‘ und als Ehefrau und Mutter zu beobachten? Was sagt beispielsweise die Erkenntnis, daß sie Ver- sammlungen ‚ihres‘ Frauenverbandes in den Räumlichkeiten des Regierungspräsidi- ums abhielt und daß ihre Vorzimmerdame die Schriftarbeit für den Verband ‚ehren- amtlich‘ mit erledigte, über die Machtstellung und die Einflußmöglichkeiten Bäh- nischs als Regierungspräsidentin aus? An welchen Punkten treten Arbeits-Inhalte, Rollen-Erfordernisse und Netzwerke zueinander in Konkurrenz? Welche Verände- rungen, Umgewichtungen und gegebenenfalls auch Umbewertungen nimmt Bähnisch im Konfliktfall vor? Welche Rolle spielt der Umstand, daß sie eine Frau ist und eine Frauenorganisation leitet, für ihre Wahrnehmung und Bewertung als Regierungsprä- sidentin? Lage Deutschlands ab 1945 und weltpolitische Ausgangsbedingungen: Wie ist es zu erklären, daß Theanolte Bähnisch, ein Mitglied der SPD, die überparteiliche Frau- enbewegung in Deutschland wiederaufbaut und warum akzeptieren gestandene Pro- tagonistinnen der bürgerlichen Frauenbewegung sie als neue Führungsfigur? Wie ist ihreStellung in der SPD zu beurteilen? Welche Rolle spielt für ihr Wirken der Um- stand, daß Deutschland in der Hochphase ihres Schaffens ein zunächst nicht- und später teilsouveräner, von vier Mächten besetzter Staat ist, der aus dem Ausland arg- wöhnisch beobachtet wird und der gleichzeitig eine wichtige Rolle im Kalten Krieg spielt? Wie gestaltet sich ihr Engagement in der Europabewegung? Was bedeutete dieses Engagement für ihre Arbeit auf anderen Wirkungsfeldern? Stellenwert ihres Wirkens für die Geschichte des deutschen Wiederaufbaus: Wie macht Theanolte Bähnisch in den erwähnten Zusammenhängen und über diese hin- aus ihren Einfluß in den entscheidenden Jahren der Konsolidierung Deutschlands geltend? Welchen Part übernimmt sie im Zusammenspiel von gesellschaftlichem Wiederaufbau, (bürgerlicher) Frauenbewegung, -bildung und -emanzipation, (nieder- sächsischer) Verwaltung, der Eliten-Kontinuität durch verschiedene politische Sy- steme, der westalliierten Besatzungspolitik, des Kalten Krieges, der Westbindung Deutschlands und der deutsch-deutschen Beziehungen? Wie könnte ihre Arbeit vor dem Hintergrund der in jenen Jahren verbreiteten Nöte und Bedürfnisse in der Be- völkerung wahrgenommen worden sein? Regierungspräsidium: Was bedeutete das Amt als Regierungspräsidentin für Bähnisch und mit welchem Selbstverständnis führte sie es aus? Wie positioniert sie sich zur von den Briten angestrebten Demokratisierung der Verwaltung? Welche wa- ren die zentralen Inhalte ihrer Arbeit? Nutzte sie die Möglichkeiten, die ihr das Amt bot, dafür, ihre politischen Überzeugungen durchzusetzen? Wie ging die Regierungs- präsidentin mit ‚NS-belasteten‘ Mitarbeitern um? Ließ sie Frauen im Rahmen ihres Amtes eine besondere Förderung zu Teil werden?

60 | Theanolte Bähnisch

Deutscher Frauenring: Wie vollzog sich der Aufbau des ‚Deutschen Frauenrings‘ und seiner Vorläufer unter Theanolte Bähnisch? Wer unterstützte sie dabei und wer stellte sich gegen sie? Wie schaffte sie es, ihren Einfluß in der Frauenbewegung stetig zu mehren? Welche Hoffnungen, Erwartungen und Enttäuschungen wurden mit ihrer Arbeit verbunden? Was leisteten die von Bähnisch geleiteten Frauenorganisationen für die Frauen in der Region, in der britischen Besatzungszone und in Westdeutsch- land? Welche Ziele steckte sich Bähnisch für ihre Arbeit in der Frauenbewegung? Welche Erfolge und Mißerfolge bei der Umsetzung ihrer Ziele lassen sich konstatie- ren? Spiegelt sich in ihrer Arbeit in der organisierten Frauenbewegung die frauenpo- litische Zielsetzung, welche aus der ‚Stimme der Frau‘ deutlich wird, wieder? Wa- rum legt sie 1952 ihr Amt als Präsidentin des DFR nieder? Kooperation mit den Briten: Die Besatzungsmächte brachten ihre Ideen von De- mokratie, Bildung und Erziehung, von Produktions- und Reproduktionsarbeit, von organisiertem Vereinsleben, von Geschlechterbeziehungen und Familienleben mit in ‚ihre‘ Besatzungszonen und versuchten sich dort und darüber hinaus als kulturelle Mittler, als Anleiter und Vorbilder.154 Wie sich Bähnisch der Britischen Militärregie- rung andiente, wie sie durch diese gefördert wurde und warum die Militärregierung sich so sehr auf die Juristin verließ, auch diese Fragen (die in groben Zügen bereits Denise Tscharntke155 beantwortete) sollen in die Fragestellung meiner Arbeit mit ein- fließen.

1.7 LEITENDE THEORIEN UND METHODEN

1.7.1 Antonio Gramscis ‚Hegemonie-Theorie‘

In der Überzeugung, daß Theanolte Bähnisch mit ihrem Handeln in der Bevölkerung einen Konsens für die Westbindung Deutschlands befördern wollte, möchte ich den Überlegungen des Philosophen und Politikers Antonio Gramsci folgen. Dieser hatte sich in den 1920er und 1930er Jahren vor dem Hintergrund des Aufstiegs des Fa- schismus mit der gesellschaftlichen Struktur Italiens und der Frage, warum es den Kommunisten nicht gelungen war, die Macht im Staat zu übernehmen, auseinander- gesetzt. Er gelangte zu der Überzeugung, daß sich gesellschaftliche Entwicklungen und Machtkonstellationen wesentlich auf die Dominanz konsensfähiger gedanklicher Strömungen zurückführen lassen. Ein wichtiges Mittel der Theoriebildung des Bene- detto-Croce-Schülers stellte die Analyse von Sprache dar. Gramsci untersuchte bei- spielsweise klassische literarische Werke oder Theaterstücke, deren Inhalte weit ver- breitet waren, auf Begrifflichkeiten, denen er eine gesellschafts-stabilisierende Wir- kung im Sinn einer ‚bürgerlichen Gesellschaftsordnung‘ zusprach. Seiner Meinung nach leisten solche Kulturgüter einen Beitrag dazu, daß sich in der Bevölkerung ein Set von Werten und moralischen Empfindungen, politischen Haltungen und Glau- bensüberzeugungen durchsetzt, welches dazu beiträgt, den Status Quo der Machtver-

154 Vgl.: Clemens: Kulturpolitik. 155 Vgl.: Tscharntke: Re-educating.