1. Konzert Sonntag, 11. September 2016 18.00 Uhr Dom zu St. Pölten

”DONA NOBIS PACEM” 1 *DONA NOBIS PACEM*

Johann Sebastian Bach 1685–1750

Messe h-moll, BWV 232 für Soli, Chor, Orchester und Basso continuo

I. Missa (Kyrie, Gloria) II. Symbolum Nicenum III. Sanctus IV. Osanna Benedictus Agnus Dei et Dona nobis pacem

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Nach dem Konzert laden wir Sie herzlich zur Agape mit feinen Weinen vom Weingut Anton Bauer ein.

2 DIE AUSFÜHRENDEN

Miriam Feuersinger Sopran Martina Daxböck Sopran Ida Aldrian Alt Daniel Johannsen Tenor Lukas Kargl Bass

cappella nova graz Domkantorei St. Pölten

L'Orfeo Barockorchester

Leitung: Otto Kargl

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17.00 Uhr Sommerrefektorium Werkeinführung mit Gustav Danzinger (in Zusammenarbeit mit dem Bildungshaus St. Hippolyt) ______

Sendetermin: Ö1 am Sonntag, 25. Dezember 2016 um 11.00 Uhr

Donnerstag, 8. Dezember 2016 um 22.05, Ö1 Extra: Gustav Danzinger im Gespräch mit Otto Kargl über die „h-moll Messe“ von Johann Sebastian Bach. 3 DIE AUSFÜHRENDEN

Die Sopranistin entdeckte bereits als Kind ihre Liebe zum Gesang. Nach umfassender musikalischer Bildung an der Musikschule ihrer Heimatstadt Bregenz begann sie ihre professionelle Gesang- ausbildung am Landeskonservatorium Feldkirch und wechselte anschließend an die Musikhochschule Basel in die Klasse von Kurt Widmer, wo sie ihr Studium mit Auszeichnung abschloss. Ihre große Liebe gilt musikalisch und inhaltlich dem Kantaten- und Passionswerk von Johann Sebastian Bach, was sich auch in ihrer internationalen Konzerttätigkeit widerspiegelt. Seit 2014 initiiert sie gemeinsam mit dem Cellisten Thomas Platzgummer die Reihe „Bachkantaten in Vorarlberg“. Weitere Schwerpunkte ihres musikalischen Schaffens liegen in dem breiten Spektrum der geistlichen Musik vom Barock bis hin zur Spätromantik sowie im Liedbereich. Die Sopranistin arbeitet mit renommierten Musikern wie Rudolf Lutz, Ton Koopman, Vázlav Luks, Peter Kooij, Jörg-Andreas Bötticher und Laurent Gendre zusammen und tritt gemeinsam mit Barockensembles und - orchestern wie dem Freiburger Barockorchester, La Cetra, Les Cornets Noirs, Capricornus Consort Basel, L'Arpa Festante, Il Concerto Viennese, Concerto Stella matutina und Capriccio Basel auf. Ihre aktuelle Solo-CD mit Sopran-Kantaten von Christoph Graupner ist 2014/15 mit mehreren Schallplattenpreisen bedacht worden.

Die Sopranistin Martina Daxböck, geboren und aufgewachsen in Niederösterreich, erhielt ihren ersten Gesangsunterricht am Diözesankonservatorium St. Pölten bei Martina Steffl-Holzbauer. Danach folgte das Studium der Gesangspädagogik an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Wichtige Impulse verdankt die Künstlerin der Teilnahme an Meisterkursen bei Stephan van Dyck, Monika Mauch, Emma Kirkby und Kurt Widmer. Solistisch war sie bisher u. a. beim Festival Musica Sacra in St. Pölten, mit dem Orchester Solamente Naturali in Bratislava oder mit der Company of Music am Stadttheater Wels zu hören. Martina Daxböck ist Mitglied verschiedener Chöre und Ensembles wie der Domkantorei St. Pölten und der Company of Music. Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit wirkt sie als Gesangspädagogin an Musikschulen in Niederösterreich und bei zahlreichen Gesangskursen.

4 Ida Aldrian studierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien bei Karlheinz Hanser und KS Marjana Lipovöek; Meisterkurse besuchte sie u. a. bei Ann Murray, Bernarda Fink, Peter Kooij, Thomas Hampson und Brigitte Fassbaender. Von 2012/13 bis 2014/15 war Ida Aldrian Mitglied im Internationalen Opernstudio der Staatsoper Hamburg; seit der Saison 2015/16 ist sie Ensemblemitglied des Staatstheaters Nürnberg. Gastengagements führten sie an die Staatsoper im Schillertheater Berlin, das Opernhaus Graz und das Theater Magdeburg. Als Konzertsängerin arbeitete Ida Aldrian mit Ensembles wie der Wiener Akademie, dem Concentus Musicus Wien, L'Orfeo Barockorchester und dem norwegischen Ensemble Barokksolistene zusammen. Ihre große Liebe gehört auch dem Lied: Mit Liederabenden war sie z. B. im Wiener und Grazer Musikverein sowie zuletzt im Opernhaus Nürnberg, gemeinsam mit dem Pianisten Helmut Deutsch, zu hören. Ida Aldrian konnte schon in ihrer Jugend zahlreiche Preise für sich gewinnen. 2014 wurde sie mit dem Dr.-Wilhelm-Oberdörffer-Preis der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper ausgezeichnet; beim internationalen Gesangswettbewerb „Stella Maris“ im Mai 2014 ging sie als Preisträgerin der Jury-Wertung hervor.

Der österreichische Tenor Daniel Johannsen gehört zu den gefragten Sängern seiner Generation. Nach einer Ausbildung zum Kirchenmusiker studierte er Gesang bei Margit Klaushofer und Robert Holl in Wien; er war Meisterschüler von Dietrich Fischer-Dieskau (†), Nicolai Gedda sowie und ist Preisträger des Bach-, Schumann-, Mozart- und Wigmore-Hall-Wettbewerbs. Seit seinem Debut 1998 führen ihn Auftritte als Konzert-, Lied- und Opernsänger mit Werken aller Epochen in die großen Musikzentren Europas, Nordamerikas und Japans. Er gastiert bei zahlreichen bedeutenden Festivals (Styriarte Graz, Prager Frühling) und musiziert unter der Leitung namhafter Dirigenten wie Hans-Christoph Rademann und Bertrand de Billy z. B. mit den Wiener Philharmonikern oder dem Gewandhausorchester Leipzig. Auf der Bühne ist der lyrische Tenor, den Engagements etwa an das Münchner Gärtnerplatztheater, die Oper Leipzig oder die Volksoper Wien führten, mit Mozart-Partien, mit Werken des Barock, des 20. Jahrhunderts und der Moderne, aber auch in einigen Operettenrollen zu erleben. Im

5 Liedbereich arbeitet der Sänger u. a. mit den Pianisten Helmut Deutsch und Burkhard Kehring zusammen. Zahlreiche Rundfunk-, Fernseh- sowie preisgekrönte CD-Aufnahmen dokumentieren seine künstlerische Arbeit. In der Saison 2016/17 ist Daniel Johannsen mehrmals zu Gast bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Passionskonzerte führen ihn in die Philharmonien von München und Berlin sowie ins Wiener Konzerthaus. Graham Johnson lud den Sänger in die Londoner Wigmore Hall ein, und Enoch zu Guttenberg verpflichtete ihn für eine USA-Tournee, bei der er erstmals an der New Yorker Carnegie Hall auftreten wird.

Lukas Kargl, Bariton, wurde in der Steiermark geboren. Seine Gesangsausbildung erhielt er bei Leopold Spitzer an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien und schloss sie mit dem ,Master of Music' bei Rudolph Piernay an der Guildhall School of Music in London ab. Er ist Samling Scholar und Britten-Pears Young Artist. Meisterkurse besuchte er bei Sir Thomas Allen, Helmut Deutsch und Christian Gerhaher. Als begeisterter Lied- und Konzertsänger war Lukas Kargl Gast in der Barbican Hall, Cadogan Hall und der Queen Elizabeth Hall in London, in der Berliner Philharmonie, im Wiener Musikverein und am Grand Théâtre de Provence. Er wurde zu bedeutenden Festivals wie BBC Proms, Aldeburgh Easter Festival, Festival van Vlaanderen und Skupina Festival Breûice eingeladen. Am Klavier wurde er von Pianisten wie Graham Johnson, Stephan-Matthias Lademann, Gary Matthewman und Sholto Kynoch begleitet. Zu den Dirigenten, unter denen er aufgetreten ist, zählen William Christie, Laurence Cummings, Christian Curnyn, Karsten Huschke, Marek ätryncl und Antonello Manacorda. Auf der Opernbühne sang Lukas Kargl u. a. beim Glyndebourne Festival, L'Opéra Fabrique Grenoble, bei den Zwingenberger Schlossfestspielen, mit New European Opera und Les Concerts de Poche am Théâtre Saint- Quentin-en-Yvelines. Sein Opernrepertoire umfasst Partien wie die Titelrolle in „Don Giovanni“, Guglielmo („Così fan tutte“), Papageno („Die Zauberflöte“), Dr. Falke („Die Fledermaus“), Herr Fluth („Die Lustigen Weiber von Windsor“), Kilian („Der Freischütz“), Graf („Capriccio“), Escamillo und Dancaïro („Carmen“), Phoebus („The Fairy Queen“) und Polyphemus („Acis and Galatea“). Seit 2005 lebt Lukas Kargl in London.

6 Die cappella nova graz wurde 1983 von Otto Kargl gemeinsam mit Studienkolleginnen und -kollegen gegründet. Das ursprünglich aus acht Mitgliedern bestehende Vokalensemble widmete sich vor allem geistlicher Renaissancemusik, setzte sich aber auch mit der österreichischen Moderne (Werke von Johann Nepomuk David und Anton Heiller) auseinander. Im Laufe des kommenden Jahrzehnts wuchs das Ensemble auf 16 Mitglieder an, und der Schwerpunkt des Repertoires verlagerte sich auf die Musik des 17. Jahrhunderts: Motetten der Bach-Familie, Dietrich Buxtehudes „Membra Jesu Nostri“, „Musicalische Exequien“ von Heinrich Schütz, Psalmen von Claudio Monteverdi u. a. standen im Zentrum, und es entwickelte sich eine intensive Zusammenarbeit mit dem Wiener Gambenconsort Private Musicke. Die gleichzeitige intensive Beschäftigung mit zeitgenössischer Musik ist durch Uraufführungen von Werken von Thomas Daniel Schlee, Bruno Strobl, Beat Furrer, Joanna Wozny, Klaus Lang und Rudolf Jungwirth belegt. Seit 1999 arbeitet der inzwischen aus ca. 20 Mitgliedern bestehende Chor auch mit der Domkantorei St. Pölten zusammen und bringt regelmäßig große geistliche Vokalwerke von Monteverdi, Bach, Händel, Mozart, Haydn, Bruckner und Mendelssohn Bartholdy zur Aufführung, wobei er mit namhaften Instrumentalensembles wie dem L'Orfeo Barockorchester, Solamente Naturali Bratislava und Les Cornets Noirs zusammenarbeitet. Viele dieser Konzerte werden vom ORF im Programm Radio Österreich 1 gesendet. Seit ihrer Gründung konzertiert die cappella nova graz regelmäßig in der Mariahilfer Kirche Graz, der Abtei Seckau und der Domkirche St. Pölten. Das Ensemble ist Gast bei renommierten Musikfestivals wie den Eggenberger Schlosskonzerten in Graz, Musica Sacra Linz, den Oberösterreichischen Stiftskonzerten, dem Festival Musica Sacra St. Pölten, der Brixner Initiative Musik und Kirche, Musica Sacra Piber, den Internationalen Barocktagen Stift Melk, dem Attergauer Kultursommer, dem Carinthischen Sommer, der Trigonale Kärnten, Styria Cantat und im Brucknerhaus Linz. Die Diskografie der cappella nova graz umfasst „Missa de Beata Vergine“ von Palestrina, „Der Baum des Heils“ op. 33 von Thomas Daniel Schlee, Musik der Wiener Hofkapelle (u. a. von Johann Josef Fux und Johann Georg Reutter), „Missa ex B“ von Heinrich Ignaz Franz Biber, Johannes-Passion von Heinrich Schütz und Matthäus-Passion von Johann Theile, die Motetten

7 von Bach und Bruckners Messe e-moll. 1993 war die cappella nova graz Preisträger beim Chorwettbewerb der Union europäischer Rundfunkanstalten (EBU), 1997 wurde ihr der Ferdinand-Grossmann-Preis zuerkannt. Für die Aufführung von Thomas Daniel Schlees Oratorium „und ich sah“ erhielt das Ensemble 2005 bei einem Kultur-Ranking der Tageszeitung „Die Presse“ Gold.

Die Domkantorei St. Pölten wurde 1992 von Domkapellmeister Otto Kargl gegründet. Es handelt sich um ein Spezialensemble, das unter besonderer Bedachtnahme auf Stilsicherheit, Stimmhomogenität, Präzision und Intonation – auch in historischen Stimmungen – geführt wird und sich längst einen Spitzenplatz in der heimischen Chorszene ersungen hat. Die rund zwanzig Mitglieder beschäftigen sich vorwiegend mit Musik bis 1800 sowie mit zeitgenössischer Chorliteratur. Neben dem liturgischen Dienst an der Kathedralkirche zu St. Pölten ist das Ensemble regelmäßig Gast beim Carinthischen Sommer, im Brucknerhaus Linz, beim Festival Musica Sacra, bei der Trigonale Kärnten, im Festspielhaus St. Pölten u. a. Zum Repertoire zählen die A-cappella-Literatur des 16. Jahrhunderts sowie die Kirchenmusik des italienischen und deutschen Frühbarock. Mit dem Ensemble Private Musicke musiziert die Domkantorei Werke wie z. B. die „Musicalischen Exequien“ von Heinrich Schütz oder „Membra Jesu nostri“ von Dieterich Buxtehude; Messen und das Requiem von Johann Kaspar Kerll und Johann Heinrich Schmelzer wurden mit dem Piccolo Concerto Wien realisiert. Gemeinsam mit der cappella nova graz, dem Ensemble Les Cornets Noirs, Solamente Naturali Bratislava und dem L'Orfeo Barockorchester werden seit Ende der 1990-er Jahre die großen Chor-Orchesterwerke erarbeitet, darunter „Vespro della Beata Vergine“ von Claudio Monteverdi, Bachs Johannes- und Matthäus-Passion sowie h-moll-Messe und Händels Oratorien „Messiah“, „Solomon“ und „Joshua“. Das klassische Repertoire ist vertreten durch Mozarts Requiem und c-moll-Messe und Haydns „Die Schöpfung“. Weitere Höhepunkte sind Uraufführungen zeitgenössischer Komponisten wie Christoph Czech, Michael Radulescu und Christian Muthspiel sowie Rundfunk- und CD-Aufnahmen in Zusammenarbeit mit dem ORF, zuletzt die doppelchörigen Motetten von Johann Sebastian Bach, die Messe e-moll

8 von Anton Bruckner und das Oratorium „Joshua“ von Georg Friedrich Händel.

2016 feiert das international erfolgreiche österreichische L'Orfeo Barockorchester mit Sitz in Linz seinen 20. Geburtstag; und in dieser Zeitspanne hat es sich einen festen Platz unter den Ensembles der historischen Aufführungspraxis erobert. Lebendigkeit des Musizierens, Kontinuität und ein Ensemblegeist, der auch große Begeisterung für Neues in sich trägt, sind die Basis, auf der die Orchestergründerin und Dirigentin Michi Gaigg ihre als farbenreich, klangsinnlich wie temperamentvoll beschriebene Handschrift entwickelt. L'Orfeo widmet sich gleichermaßen dem barocken Konzert- und Opernrepertoire. So begeisterte das Ensemble mit Mozarts Singspiel „Die verstellte Gärtnerin“ und der Azione sacra „Betulia liberata“ sowie mit Jean- Philippe Rameaus Actes de ballet „Pigmalion“ und „Anacréon“. Christoph Willibald Glucks und Georg Philipp Telemanns Vertonungen des Orpheus- Mythos kamen ebenso auf die Bühne wie Telemanns im Persien des 18. Jahrhunderts angesiedelte Oper „Miriways“, Joseph Haydns „Die wüste Insel“, Mozarts Singspiel „Zaïde“, Georg Anton Bendas „Romeo und Julie“ und eine Trilogie früher Operneinakter von Gioachino Rossini (darunter „La scala di seta“). Weiters realisierte L'Orfeo mit Götz-Friedrich-Preisträger Benjamin Schad das spartenübergreifende Bühnenprojekt „Die Kunst des Monsieur de Jélyotte“ – Suiten und Arien für Pierre Jélyotte von Jean- Philippe Rameau gemeinsam mit zeitgenössischem Tanz. Das oben erwähnte Singspiel „Die verstellte Gärtnerin“ ist eine von Mozart selbst bearbeitete und kompositorisch erweiterte deutsche Fassung des Dramma giocoso „La finta giardiniera“ (KV 196), das L'Orfeo 2015 auf die Bühne brachte. Stationen in letzter Zeit waren ferner: Salzburger Festspiele, Lucerne Festival, Beethovenfest Bonn, Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, Schwetzinger SWR Festspiele, Intern. Barocktage Stift Melk, Intern. Haydn Festspiele Eisenstadt, Schubertiade Schwarzenberg, Tage Alter Musik Regensburg, EXPO 2015 Mailand, Festival Bach de Lausanne, Kölner Fest für Alte Musik, Palau de la Música Catalana Barcelona, Festkonzert Vatikan (Sixtinische Kapelle), Tourneen nach Frankreich, Spanien, Südafrika und Namibia, Brucknerhaus Linz, Theater an der Wien, Musikverein Wien, Wiener Konzerthaus u. v. m. L'Orfeos umfangreiche Diskografie, darunter einige Opern- und Ersteinspielungen, wurde mehrfach mit bedeutenden Preisen eichnet. Zu

9 ausgezeichnet. Zu den neuesten CD-Einspielungen zählen Mozarts „La betulia liberata“, KV 118, Telemanns Singspiel „Miriways“ (als LIVE- Mitschnitt), „Les Élémens“ von Jean-Féry Rebel und die Suite aus „Castor et Pollux“ von Jean-Philippe Rameau sowie Felix Mendelssohn Bartholdys sinfonisches Frühwerk (Bd. 1) und J. S. Bachs Kantaten für Solosopran mit Dorothee Mields.

Besetzung: Julia Huber-Warzecha, Martin Jopp, Sabine Reiter, Elisabeth Wiesbauer, Martin Kalista, Petra Samhaber, Simone Trefflinger, Daniela Henzinger Violine Lucas Schurig-Breuß, Roswitha Haberl Viola Anja Enderle, Katie Stephens Violoncello Martin Hofinger Kontrabass Erich Traxler Orgel Andreas Sommer, Lisa Keaton-Sommer Flöte Carin van Heerden, Philipp Wagner, Gudrun Waldek Oboe Nikolaus Broda, Makiko Kurabayashi Fagott Stephan Katte Horn Franz Landlinger, Martin Mühringer, Bernhard Mühringer Trompete Rizumu Sugishita Pauke

Otto Kargl wurde in der Gaal (Steiermark) geboren. Seit 1992 ist er Domkapellmeister in St. Pölten, wo er auch am Konservatorium für Kirchenmusik Gregorianik und Chordirigieren unterrichtet, und künstlerischer Leiter des Festival Musica Sacra. Neben seinen Studien an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz absolvierte er Interpretations- und Dirigierseminare bei John Eliot Gardiner, Peter Gülke und Helmuth Rilling. 1983, noch während seiner Studienzeit, kam es zur Gründung der cappella nova graz. Im Mittelpunkt der Arbeit steht seither die intensive Beschäftigung mit der Musik aus dem 16. Jahrhundert, u. a. von Palestrina und Lechner, sowie dem 17. Jahrhundert, z. B. Buxtehudes Membra Jesu nostri und Werken von Heinrich Schütz. 1992 gründete Otto Kargl die Domkantorei St. Pölten. Otto Kargl widmet sich in besonderem Maße auch der Wiederentdeckung vergessener Werke von Biber, Schmelzer, Fux, Theile sowie Schätzen aus dem Altbachischen Archiv. Das von ihm erarbeitete liturgische Repertoire

10 an der Kathedralkirche zu St. Pölten umfasst die Gregorianik, kostbare Raritäten etwa von Johann Heinrich Schmelzer und das Bach'sche Kantatenwerk ebenso wie die klassische Kirchenmusik von Palestrina bis Bruckner. Kompositionsaufträge an junge KomponistInnen wie Franz Danksagmüller, Julia Purgina, Petros Moraitis und Franz Thürauer dokumentieren ein sich stets erneuerndes, lebendiges Repertoire. Seit 1999 arbeiten die cappella nova graz und die Domkantorei St. Pölten regelmäßig erfolgreich zusammen. Zu ihrem gemeinsamen Repertoire gehören Monteverdis Vespro della Beata Vergine, die großen Messen und Oratorien von Händel, Bach, Mozart, Haydn und Bruckner wie auch Werke aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Zu den Repertoire-Höhepunkten zählen außerdem Uraufführungen von Thomas Daniel Schlee, Christoph Czech, Bruno Strobl, Joanna Wozny, Beat Furrer, Franz Thürauer und Klaus Lang. Zu den Instrumentalensembles, mit denen Otto Kargl zusammenarbeitet, zählen Private Musicke, Les Cornets Noirs, Piccolo Concerto Wien, Solamente Naturali Bratislava und das L'Orfeo Barockorchester; als Gastdirigent war er darüber hinaus beim Rundfunkchor Helsinki tätig. In zahlreichen Rundfunk- und CD-Aufnahmen ist Kargls herausragende künstlerische Arbeit dokumentiert; zuletzt erschienen in der ORF-Edition J. S. Bachs Motetten, Bruckners Messe e-moll und Händels Oratorium „Joshua“. Für sein umfassendes Wirken ist Otto Kargl in diesem Jahr mit dem Jakob- Prandtauer-Preis der Landeshauptstadt St. Pölten ausgezeichnet worden.

„DONA NOBIS PACEM“ – GIB UNS FRIEDEN

In den letzten Jahren ist unsere Gesellschaft mit immer größeren Herausforderungen konfrontiert. Menschen fliehen vor Krieg, Zerstörung, Verfolgung, Hunger und Elend zu uns, oftmals unter großen Gefahren, und viele von ihnen erreichen das rettende Ufer nicht. Es sind „Fremde“, sie gehören nicht zu unserem Kulturkreis, viele auch nicht zu unserer Religion. Wie gehen wir mit ihnen um? Verstehen wir ihr Leiden, nehmen wir sie als Schutzsuchende auf und an, bieten wir ihnen ein wenig Wärme und Sicherheit, geben wir ihnen von dem ab, was wir im Übermaß haben? Gleichzeitig versuchen gewaltbereite Terroristen, die ihrer Ansicht nach ungläubige und daher zu zerstörende westliche Welt mit Mord, Gewalt, Terror zu überziehen. Viele unschuldige Menschen sterben dabei. Wie

11 gehen wir damit um? Geben wir pauschalierend „dem Islam“ die Schuld und damit zugleich den unzähligen friedliebend ihren Glauben lebenden Muslim/innen, die bei uns leben oder zu uns flüchten – oder haben wir die Menschen im Blick – und unterscheiden unter ihnen zwischen den „Anständigen“ und den „Unanständigen“, ganz nach der Sichtweise des großen Psychiaters Viktor Frankl, der in den NS-Konzentrationslagern seine ganze Familie verloren hatte und doch ohne Hass blieb, weil ihm der Gedanke an Kollektivschuld fremd war? Unruhe herrscht in der Welt auch durch einen sich selbst überholenden, implodierenden Kapitalismus, in dem nur noch Geld eine Rolle spielt und Leben unwichtig geworden ist – in einem ungeahnten Ausmaß, denn es wird mit den Schätzen der Erde, sogar mit Nahrungsmitteln, frech spekuliert, und an der Börse werden in einer Sekunde Milliarden Dollar verschoben, ohne dass das Geld überhaupt real vorhanden wäre. Wie gehen wir damit um? Was gibt uns Halt in dieser Zeit des Umbruchs, in der Werte verloren gehen, Systeme sich selbst zerstören, Angst vor Terror und Gewalt herrscht – und darüber hinaus auch noch die Naturgewalten angesichts des Klimawandels unsere Existenz bedrohen? Können wir wirklich nur hilflos zuschauen und in Fatalismus verfallen, „es ist eh alles egal“? Oder bleibt uns vielleicht doch ein Hoffnungsschimmer? Ja, diesen Hoffnungsschimmer gibt es. Er heißt: Glauben. Glauben an eine „höhere Instanz“, aus der alles entstanden ist. Ist es nicht so, dass immer aus Chaos Ordnung erwächst – wie es sogar unter dem Mikroskop auf der Zellebene nachweisbar ist – und nie anders herum? Wir wissen doch, dass das Große und das Kleine sich nicht unterscheiden: so ist es nur folgerichtig, zu glauben, dass auch das größte Chaos wieder in Harmonie mündet. Wann das sein wird: das wissen wir nicht. Aber einer weiß es: „Gott“, die ordnende und verbindende Kraft. Wir sind selbst Teil allen Lebens und so auch dieser Kraft – und deshalb haben unsere Gebete um Frieden eine Wirkung, auch wenn wir sie nicht immer unmittelbar erfahren. Eben das ist unsere Aufgabe: die Bitte um Frieden, den Gedanken an Frieden nach außen zu tragen. Genau das tut auch unser Festival „Musica Sacra“: Frieden als Idee, als Atmosphäre, als Gebet zu etablieren und zu verbreiten. Und jeder Zuhörer nimmt den Frieden nach dem Konzert mit: in die Straßenbahn, zu seiner Familie, zu seiner Arbeitsstelle, und gibt ihn weiter an andere Menschen. Johann Sebastian Bach hat seine Überzeugung, dass Frieden überkonfessionell ist und über alle Grenzen hinweg vermittelt werden kann,

12 in seiner Messe h-moll verwirklicht. Er zeigt uns mit seinem epochalen Werk, dass jeder Einzelne von uns die Kraft hat, Frieden zu schaffen und zu verbreiten: denn dem Gläubigen ist bewusst, dass jeder Gedanke sich vervielfältigt – der Gedanke an Hass genau so wie der an Frieden und Gemeinsamkeit. Daher geht er achtsam um mit sich selbst, seinen Mitmenschen, allen Lebewesen, der Natur, der Erde. Wir sind die Schöpfer unseres eigenen Daseins, getragen von der Kraft, die alles ordnet: Gott.

ZUM PROGRAMM

In Bachs gesamtem Schaffen nimmt die Messe h-moll in zweierlei Hinsicht eine Sonderstellung ein: es ist seine einzige vollständige Messe und zugleich seine einzige nicht vom rein evangelischen Glauben geprägte Komposition, mit lateinischem Text. Ein einziges lateinisches Werk inmitten eines wirklich umfangreichen lutherischen Vokalschaffens mutet zunächst ungewöhnlich an: wie konnte der Komponist so etwas schreiben, ohne Konflikte mit der katholischen Kirche zu beschwören? wo nur eineinhalb Jahrhunderte zuvor ein angesehener Komponist wie William Byrd im anglikanischen England anonym katholische Messen publizieren musste, nur um der Verfolgung zu entgehen? Zweifellos hatte die Radikalität der Reformation viel Schaden angerichtet. Dennoch: die Trennung der beiden christlichen Zweige verlief nicht nicht in allen Belangen kompromisslos. So hatte die protestantische Kirche, so sehr sie auch auf die deutsche Sprache in der Gottesdienstordnung Wert legte, nicht ganz mit dem alten Latein gebrochen und einen Teil der Liturgie zu Hochfesten in lateinischer Sprache übernommen – dies aber waren einzelne liturgische Sätze, nicht eine vollständige Messkomposition. Und hier nun wird Bachs Vorgehen auch verständlicher: Messsätze für Festtage im protestantischen Kirchenjahr zu komponieren. Zumindest scheint Bach das Konzept einer vollständigen Messe nicht von Beginn an geplant zu haben, entstanden doch Kyrie, Gloria, Sanctus (ohne Benedictus und Osanna) und Credo zu unterschiedlichen Zeiten. Ob Bach seine Messe überhaupt jemals als ganzes Werk konzipiert hat, oder ob er die einzelnen Sätze in seinen letzten Lebensjahren mehr oder weniger zufällig in zwei Bänden (Band I: Kyrie und Gloria, Band II: Credo, Sanctus, Agnus Dei) zusammengefasst hat, ist in der Forschung nicht ganz geklärt, doch

13 überwiegt heute die Ansicht, er hätte das Konzept einer Einheit zumindest in späteren Jahren bewusst vorgenommen, ungeachtet der Tatsache, dass einige Sätze – Osanna, Benedictus und Agnus Dei – gar nicht in dieser Form im protestantischen Gottesdienst vorkamen: dafür spricht die Verzahnung von Sätzen (das „Gratias“ aus dem Gloria wird im abschließenden „Dona nobis pacem“ wiederverwendet). Wie also ist die Messe entstanden, und was bedeutete sie in ihrer Vollständigkeit? Die einzelnen Teile der Messe wurden in großen zeitlichen Abständen komponiert: zwischen 1724 und 1746/48. Das Sanctus (ohne Benedictus und Osanna) entstand offenbar zuerst: für das Weihnachtsfest 1724 (an diesem hohen Festtag wurde das liturgische „Sanctus“ mehrstimmig und in lateinischer Sprache vorgetragen). Die Entstehungszeit des Credo liegt im Dunkeln; als Anlass wird die Wiedereröffnung der renovierten Thomassschule in Leipzig im Juni 1732 vermutet. Ein Jahr darauf schließlich schrieb Bach Kyrie und Gloria – das waren die einzigen Messsätze, die einen Platz in der sonntäglichen protestantischen Liturgie hatten und als „Missa“ bezeichnet wurden. Anlass für die Entstehung dieser Missa war die Erbhuldigung des neuen Kurfürsten von Sachsen, Friedrich August II. (der als August III. auch König von Polen war), und ihm ist sie auch gewidmet. Es scheint aber, als hätte Bach hier noch etwas anderes im Sinn gehabt, als nur die Widmung: er versah die Widmungsvorrede an den Kurfürsten nämlich mit dem Angebot, weitere Werke für ihn komponieren zu wollen. Nun war August aber Katholik... es muss sich demnach um katholische Werke gehandelt haben, die Bach zu liefern bereit war. Unter diesem Aspekt betrachtet, erhält Bachs Einstellung dem Glauben gegenüber einen ganz anderen Stellenwert: Er, der Protestant, bot einem Katholiken an, katholische Werke zu schreiben – eigentlich unvorstellbar in einer Zeit, die noch weit entfernt war von jedem ökumenischen Gedanken. So lange lag die Reformationszeit auch noch nicht zurück, dass alle Glaubensdifferenzen und damit verbundenen Repressalien vergessen waren. Man kann auch kaum davon ausgehen, dass Bach sich dem Kurfürsten andiente, nur um Aufträge zu erhalten, egal um welche Werke es sich da handeln mochte. Viel wahrscheinlicher ist hier der Gedanke an Überwindung der Kirchenspaltung, an Versöhnung der beiden christlichen Kirchen, um des reinen Glaubens willen. Zur Überbrückung der Gegensätze boten sich Werke an, die die Liturgie beider Kirchenzweige in sich vereinten: Gott steht über allem, und mit dem Glauben an Gott ist die

14 kirchliche Spaltung letztlich nebensächlich oder sogar bedeutungslos. Bachs Idee der Überkonfession macht nun auch das Konzept einer vollständigen Messe verständlich: einer Messe, die sowohl in Teilen („Missa“) in der protestantischen als auch im Ganzen in der katholischen Liturgie aufführbar ist. Dieses Konzept setzte der Komponist schließlich 1746/48 in die Tat um, indem er die Sätze Benedictus und Osanna (zum Sanctus gehörend) und das Agnus Dei samt Dona nobis pacem – die übrigens alle Umarbeitungen älterer Werke sind – gemeinsam mit dem schon vorhandenen Sanctus als zweiten Partiturband der Messe niederschrieb. Die gesamte Partitur gelangte nach Bachs Tod in den Besitz seines Sohnes Carl Philipp Emanuel und geriet in der Folge erst einmal in Vergessenheit – ungeachtet der Tatsache, dass Carl Philipp Emanuel das Credo im Jahre 1786 selbst aufführte (und dazu auch einige Veränderungen an der Instrumentierung vornahm und Interpretationszeichen hinzufügte). Immerhin erreichte die Kunde über die Messe sogar Wien: Joseph Haydn erwarb eine Abschrift der Partitur, ebenso Wiens Kulturförderer par excellence Gottfried van Swieten. Einen neuerlichen Impuls, sich mit Bachs großartigem Kirchenwerk auseinanderzusetzen, gab 1818 der Zürcher Musikgelehrte und Verleger Hans-Georg Nägeli, indem er einen Subskriptionsaufruf veröffentlichte, um die Partitur, die er aus dem Besitz von von Carl Philipp Emanuels Tochter Anna-Amalia erworben hatte, drucken lassen zu können (dies geschah dann allerdings erst Jahre später, 1833 und 1845, in zwei Teilen – unter dem Titel „Hohe Messe“). Nägelis Aufruf, der von der kompositorischen Vollkommenheit der Messe spricht, deren Credo er als „gelöst in einem ewigen Vorbilde [...] als die unmittelbarste Erweckung der Glaubenskraft durch die Wunderkraft der Kunst“ bezeichnete, war letztlich der Auslöser für Beethoven, sich mit seiner Missa Solemnis der Herausforderung zu stellen, ein ähnlich monumentales Musikstück zu schaffen. Im Verlauf des 19. Jahrhunders, im Zuge der wachsenden Bach-Renaissance rund um Carl Friedrich Zelter und die Berliner Singakademie, wurden verschiedentlich Teile der Messe in Berlin und Frankfurt aufgeführt, aber erst 1859 erfolgte die erste vollständige Aufführung, übrigens mit ins Deutsche übersetztem Text, in Leipzig. Mit jeder Darbietung entfernte man sich weiter vom Original – es wurde modifiziert und bearbeitet, uminstrumentiert und sogar hinzukomponiert, je nach Größe der Veranstaltung und vorhandenem Orchester- und Chorapparat. Diese üppige

15 Aufführungstradition, die natürlich eine entsprechende romantisierende Interpretation nach sich zog, sollte bis weit ins letzte Jahrhundert nachwirken... bis sich die ersten Historiker und Musiker auf die Wurzeln der Musik besannen, Originalhandschriften und alte Quellen studierten und davon ausgehend die authentische Besetzung und das originale Klangbild zu rekonstruieren versuchten: ein nicht leichtes Vorhaben, zumindest was die h-moll-Messe betrifft, waren doch Teile der Partitur durch Carl Philipp Emanuels Änderungen nahezu unleserlich geworden. Es erforderte ein regelrechtes Puzzlespiel, um aus den verschiedenen Tinten und Schrifttypen eine zeitliche Ordnung herzustellen und so wieder dem Original nahe zu kommen. In der Folge entstand aus den Forschungen über Alte Musik eine wirkliche „Bewegung“, der es zu verdanken ist, dass heute ein barockes Chorwerk wie Bachs Messe in historischer Auf- führungspraxis, den aktuellen Quellenstudien folgend, mit schlanker Orchester- und Chorbesetzung und dementsprechend entschlackter Interpretation, ein fester Bestandteil des Konzertrepertoires ist. Zur ursprünglichen Besetzung hat es diverse Untersuchungen gegeben; gesichert ist jedoch nur, dass Bach in Leipzig auf maximal 24 Instrumentalisten zurückgreifen konnte – er selbst hatte 1730 beim Leipziger Stadtrat um eine Aufstockung des Musikerapparates angesucht. Adäquat zum Orchester muss der Chor dementsprechend klein gewesen sein, denn er durfte ja in seinen Dimensionen das Orchester nicht übertönen. Aus ihm gingen wohl auch die vier Solisten hervor, wie die Chormitglieder übrigens durchwegs männlich: Sopran und Alt wurden von Knaben gesungen, deren Stimmbruch damals zwischen 16 und 18 Jahren erfolgte. Sie hatten damit auch die erforderliche technische und musikalische Reife für so ein gewichtiges Werk als heutige Buben, die schon mit vielleicht 13 Jahren in den Stimmbruch kommen. Damals war der Einsatz von Frauen bei sakraler Musik ohnehin noch undenkbar, war diese doch an die Kirche gebunden – und die Frau besaß innerhalb der Kirche keinen Stellenwert. Insgesamt wird man annehmen können, dass die Aufführungen der Messsätze zu Lebzeiten von Bach mit 36 bis 40 Musikern ausgekommen sind. Das Ergebnis einer solchen Aufführung war zweifellos eine sehr klar konturierte konzise und auch textdeutliche Interpretation, die mit den Interpretationen der darauffolgenden 200 Jahre tatsächlich kaum etwas zu tun hatte. Es war höchste Zeit gewesen, dass sich die Interessenten für historische Aufführungspraxis mit diesem Thema auseinandersetzten. Wie bereits erwähnt, sind nur etwa ein Drittel der Messabschnitte in der

16 h-moll-Messe Neukompositionen; die anderen Abschnitte hat Bach aus früher geschriebenen Werken rekrutiert, dabei aber durchaus umgearbeitet. Die Verwendung von Parodien – also bereits vorhandenen Werken – ist keinesfalls negativ anzusehen, sondern war zu Bachs Zeit eine gängige Praxis: im Gegensatz zu heute galt ein Musikstück nicht als einmalig und einzigartig, ja, im Gegenteil, es sprach für seine Qualität, wenn es in anderem Zusammenhang noch einmal aufgegriffen wurde. Besonders Stücke, die nur für einen einzigen Anlass komponiert worden sind (etwa Kantaten für einen bestimmten Sonntag oder für einen Huldigungsanlass), erhielten nun noch einmal eine Chance, in anderer Konstellation gehört zu werden. Bei manchen seiner Parodien hatte Bach aber noch eine weitere Absicht: er wollte die Aussage eines Werkes in das neue Musikstück integrieren und damit dessen Aussage mehr Gewicht verleihen. Zum Beispiel fußt das Crucifixus auf dem Eingangschor der Kantate BWV 12, mit dem Text „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen / Angst und Not / ist der Christen Tränenbrot / die das Zeichen Jesu tragen“ – in ihrem eigenen Leid sollen sich die Menschen stets an Christi Leiden am Kreuz erinnern. Das Gratias („Wir sagen dir Dank“) wiederum verwendet den Eingangschor der Kantate BWV 29, „Wir danken dir, Gott, und verkünden deine Wunder“ – ein Dankesgebet in lateinisch und deutsch. Oder das „Agnus Dei“, dessen Melodie der Arie „Ach bleibe doch, mein liebstes Leben“ aus dem Himmelfahrts-Oratorium, BWV 11 entnommen ist: der Mensch möge sich stets auf das Lamm Gottes besinnen, es in seinem Geist festhalten. Hier ist es eindeutig; in vielen anderen Fällen jedoch konnte Bachs Absicht, eine bestimmte Melodie noch einmal zu verwenden, bisher nicht entschlüsselt werden. Es ist aber davon auszugehen, dass er bei allen Parodien etwas Bestimmtes aussagen wollte. Die h-moll-Messe bietet, bedenkt man ihre Entstehungsgeschichte, ein Abbild sämtlicher Schaffensperioden von Bach – gleichzeitig vereint sie alte und neue Stile in sich: Der „stile antico“, die von den Niederländern ausgehende Polyphonie mit Imitation und Fuge, die auch zur Zeit des neuen „stile concertato“ weiterhin die offizielle katholische Liturgie prägte (so im zweiten Kyrie und im Credo), steht neben dem über das Barock bereits hinausweisenden galanten Stil, wie er z. B. im Christe erklingt: und dies alles genial und bruchlos miteinander verzahnt. Bachs h-moll-Messe ist zeitlos – zeitlos wie die Religion, die sie besingt. Religion im Sinne von religio = Rückbesinnung auf des Menschen geistige Heimat. Astrid Schramek

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I. KYRIE

1. Chor Kyrie eleison 2. Duett (Sopran, Alt) Christe eleison 3. Chor Kyrie eleison

Herr, erbarme Dich unser. Christus, erbarme Dich unser. Herr, erbarme Dich unser.

II. GLORIA

4. Chor Gloria in excelsis Deo et in terra pax hominibus bonae voluntatis.

Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen, die guten Willens sind.

5. Arie (Sopran) Laudamus te. Benedicimus te. Adoramus te. Glorificamus te.

Wir loben Dich. Wir preisen Dich. Wir beten Dich an. Wir verherrlichen Dich.

6. Chor Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam.

Wir sagen Dir Dank ob Deiner großen Herrlichkeit.

18 7. Duett (Sopran, Tenor) Domine Deus, Rex coelestis, Deus Pater omnipotens. Domine Fili unigenite, Jesu Christe altissime, Domine Deus, Agnus Dei, Filius Patris.

Herr und Gott, König des Himmels, Gott, allmächtiger Vater! Herr Jesus Christus, eingeborener Sohn! Herr und Gott, Lamm Gottes, Sohn des Vaters!

8. Chor Qui tollis peccata mundi, miserere nobis. Suscipe deprecationem nostram.

Du nimmst hinweg die Sünden der Welt: erbarme Dich unser. Nimm unser Flehen gnädig auf.

9. Arie (Alt) Qui sedes ad dexteram Patris, miserere nobis.

Du sitzest zur Rechten des Vaters: erbarme Dich unser.

10. Arie (Bass) Quoniam tu solus sanctus Tu solus Dominus. Tu solus Altissimus, Jesu Christe.

Denn Du allein bist der Heilige. Du allein der Herr. Du allein der Höchste, Jesus Christus.

11. Chor Cum Sancto Spiritu, in gloria Dei Patris. Amen.

Mit dem Heiligen Geiste, in der Herrlichkeit Gottes des Vaters. Amen.

19 III. CREDO Symbolum Nicenum *)

12. Chor Credo in unum Deum.

Ich glaube an den einen Gott.

13. Chor Patrem omnipotentem, factorem coeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium.

Den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge.

14. Duett (Sopran, Alt) Et in unum Dominum Jesum Christum, Filium Dei unigenitum. Et ex Patre natum omnia saecula. Deum de Deo, lumen de lumine, Deum verum de Deo vero. Genitum, non factum, consubstantialem Patri; per quem omnia facta sunt. Qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis.

Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn. Er ist aus dem Vater geboren vor aller Zeit. Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott. Gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater. Durch Ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und um unsres Heiles willen ist Er vom Himmel herabgestiegen.

15. Chor Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine: Et homo factus est.

Er hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus Maria, der Jungfrau, und ist Mensch geworden.

20 16. Chor Crucifixus etiam pro nobis: sub Pontio Pilato passus, et sepultus est.

Gekreuzigt wurde Er sogar für uns: unter Pontius Pilatus hat Er den Tod erlitten und ist begraben worden.

17. Chor Et resurrexit tertia die, secundum Scripturas. Et ascendit in coelum: sedet ad dexteram Patris. Et iterum venturus est cum gloria, judicare vivos et mortuos: cujus regni non erit finis.

Er ist auferstanden am dritten Tage, gemäß der Schrift. Er ist aufgefahren in den Himmel und sitzet zur Rechten des Vaters. Er wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten über Lebende und Tote: und Seines Reiches wird kein Ende sein.

18. Arie (Bass) Et in Spiritum Sanctum, Dominum et vivificantem: qui ex Patre Filioque procedit. Qui cum Patre et Filio simul adoratur et conglorificatur: qui locutus est per Prophetas. Et unam sanctam catholicam et apostolicam Ecclesiam.

Und [ich glaube] an den Heiligen Geist, den Herrn und Lebensspender, der vom Vater und vom Sohne ausgeht. Der mit dem Vater und dem Sohne zugleich angebetet und verherrlicht wird. Der gesprochen hat durch die Propheten. Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.

19. Chor Confiteor unum baptisma in remissionem peccatorum. Et expecto resurrectionem mortuorum. Et vitam venturi saeculi. Amen.

21 Ich bekenne die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Ich erwarte die Auferstehung der Toten. Und das Leben der zukünftigen Welt. Amen.

IV. SANCTUS

20. Chor Sanctus, Sanctus, Sanctus Dominus Deus Sabaoth. Pleni sunt coeli et terra gloria ejus.

Heilig, Heilig, Heilig Herr, Gott der Heerscharen, Himmel und Erde sind erfüllt von Seiner Herrlichkeit.

21. Chor Osanna in exelsis.

Hosanna in der Höhe!

22. Arie (Tenor) Benedictus qui venit in nomine Domini.

Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!

Chor Osanna in excelsis.

Hosanna in der Höhe!

22 V. AGNUS DIE

23. Arie (Alt) Agnus Dei, qui tollis peccata mundi: miserere nobis. Agnus Dei, qui tollis peccata mundi: miserere nobis.

Lamm Gottes, das Du nimmst hinweg die Sünden der Welt: erbarme Dich unser. Lamm Gottes, das Du nimmst hinweg die Sünden der Welt: erbarme Dich unser.

24. Chor Dona nobis pacem.

Gib uns den Frieden.

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*) Glaubensbekenntnis

23 24 25 26 27 28 29 30 31 MEISTERKONZERTE ST. PÖLTEN 2016/17 Meisterwerke & Raritäten – Weltstars & Junge Meister

Im Herbst startet die Fortsetzung der „Meisterkonzerte“. Drei der Konzerte sind bei Drucklegung terminlich fixiert, die weiteren in Planung:

5. Dezember 2016 – ORCHESTER-SOLISTEN-GALA zum ausklingenden Mozart-Jahr: „Mozart & Kollegen“: Klarinettenkonzert von W. A. Mozart, Gitarrenkonzert von Mauro Giuliani, Trompetenkonzert von Leopold (Vater) Mozart, „Spielzeugsinfonie“ von Joseph Haydn. Böhmische Kammerphilharmonie – Dirigent: Robert Lehrbaumer

12. Februar 2017 – Überraschende Fortsetzung des FASCHINGSKONZERTS der Wiener Virtuosen: „Heiter bis wolkig – die ,Wiener Virtuosen' auf Festspiel-Tournee“

5. März 2017 – Violin-Weltstar MIDORI spielt mit Pianist Ozgür Aydin ein „Best-of“ der Violin-Klavier-Literatur: Strawinsky, „Suite Italienne“; Brahms, Sonate G-Dur op. 78 („Regenlied-Sonate“); Schubert, Sonate (Sonatine) g-Moll D 408; Prokofieff, Melodien op. 35a; Ravel, Sonate.

Die weiteren Gesangs- und Instrumentalabende werden im Detail laufend auf facebook – „Meisterkonzerte St. Pölten“ – und in Folge auf www.klangweile.at/meisterkonzerte angekündigt.

Weitere Infos und Abos unter 02742/333-2601.

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