„Die Große Solidaritätsshow“ Mit General Reinhardt Kommandiert Im Kosovo Erstmals Ein Deutscher Einen Nato-Kampfeinsatz
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AFP / DPA Britische Soldaten beim Kfor-Einsatz in Mitrovica: „Wir erwarten, töten zu müssen oder getötet zu werden“ BUNDESWEHR „Die große Solidaritätsshow“ Mit General Reinhardt kommandiert im Kosovo erstmals ein Deutscher einen Nato-Kampfeinsatz. Bei der Befriedung des ethnischen Bürgerkriegs prallen in der multinationalen Truppe Vorurteile und alte Klischees aufeinander. Dabei haben auch die Deutschen ihre Rolle gefunden. n seinem Büro in Filmcity, einem gel- Wenn er erklärt, dass die Befriedung des meinschaft gar auf ein zweites Nordirland ben Gebäudekoloss hoch über der Konflikts noch lange nicht in Sicht ist, ringt oder Zypern einstellen, wo seit 1964 Uno- IStadt von Pri∆tina, hängt nirgends die der Kfor-Kommandeur über 44000 Solda- Soldaten stationiert sind. schwarz-rot-goldene Fahne. Den Tisch ten aus 35 Ländern mit der Muttersprache: Erst in der vergangenen Woche erhöhte schmückt ein Karussell mit den Flaggen „Es geht jetzt um … endurance … wie die Nato die Zahl ihrer Soldaten um 1200 – der Nato-Länder. Wo früher Filmbosse die heißt das verdammte Wort in deutsch?“ kein Gedanke also daran, dass die Länder, Produktion der jugoslawischen Herz- „Durchhaltefähigkeit“ sei jetzt gefragt, sagt wie sie es schon jetzt gern täten, ihre Trup- Schmerz-Streifen und Komödien über- er dann, hier im Kosovo müsse „in ande- pen bald wieder abziehen können. Auch wachten, hat die Nato das Hauptquartier ren Zeiträumen“ gedacht werden. Fünf die Deutschen, im Kosovo endgültig als der Kosovo-Friedenstruppe (Kfor) einge- Jahre Einsatz, wie ursprünglich maximal ebenbürtiger Ernstfallpartner der führen- richtet. Und die Regie hat ein deutscher angesetzt, würden den Frieden kaum si- den Nato-Länder angekommen, werden Vier-Sterne-General: Klaus Reinhardt, 59. chern. Womöglich müsse sich die Weltge- wohl noch länger an vorderster Stelle in Der sportlich trainierte Ge- dieser Multi-Kulti-Armee dabei sein. birgsjäger aus Garmisch-Par- Neun Monate nach dem Einmarsch zeigt tenkirchen gilt als besonders sich, dass dort über alle politischen, kultu- stressresistent. Doch der Job rellen und religiösen Unterschiede hinweg der letzten fünf Monate hat eine Truppe zusammenwächst, die von der auch bei dem Mann mit dem gemeinsamen Idee getragen ist, den ethni- eisgrauen Haar und der feinen schen Konflikt zu lösen – auch wenn das Metallrandbrille Spuren hin- nicht ganz ohne Irritationen abgeht. terlassen. Nur wenige Militärs Etwa wenn der griechische Stabsoffizier seines internationalen Stabes nach dem Mittagessen zwei, drei Stunden haben zuletzt pro Nacht mehr lang nicht mehr erscheint, weil dann in sei- als vier, fünf Stunden geschla- nem Land Ruhepause ist. Oder wenn ein fen. Aufruhr in Mitrovica, holländischer Oberstleutnant versucht, kriegslüsterne UÇK-Rebellen Bücher und Computer aus der brennen- in Ost-Kosovo – eine Krise K. MÜLLER den Sporthalle von Pri∆tina zu retten und jagt die andere. General Reinhardt: „Die Nationalität ist mir Wurscht“ ein muslimischer Kamerad anstatt zu hel- 44 der spiegel 12/2000 Deutschland fen plötzlich die Schuhe auszieht, sich auf hardt, habe ihn seinerzeit „nicht ange- legenen Erfahrung: „Wir machen das seit den Boden kniet und 20 Minuten lang be- ekelt“, wie es ihm ein britischer Journalist 25 Jahren, wir wissen, wie das geht.“ tet. Die Kanadier wurden, weil sie wie ser- in den Mund legen wollte. Dann fügt der Die Soldaten sind wie Unteroffizier Matt bische Extremisten lange Bärte tragen – General mit den feinen Antennen für po- Harris, 25, aus Essex mitunter fast noch eine Tradition der Pioniere – von den Al- litische Animositäten nachdenklich hinzu: Kinder, wenn sie zur Armee stoßen. Har- banern als „Tschetniks“ beschimpft. „Aber es bewegt einen.“ ris ist schon seit zehn Jahren dabei. In Mit- Die Bundeswehrsoldaten haben gelernt, Als Historiker, der über das Scheitern rovica rettete er einem Franzosen das Le- mit Witzen zu leben, in denen sie bis heu- von Hitlers Strategie im Zweiten Weltkrieg ben, auf den ein Albaner angelegt hatte. te als hirnlose Pflichterfüller gelten. Diesen promovierte und schon früh einen Teil der Harris schoss knapp neben die Waffe des erzählen die Niederländer besonders gern: Generalstabsausbildung in Amerika absol- Attentäters, der dann flüchtete. Hätte er Ein englischer Oberst befiehlt einem deut- vierte, hat Reinhardt seine Position gefun- dabei auch den Albaner getroffen, wäre er schen und einem niederländischen Solda- den, die er selbstbewusst vertritt. „Ich ent- kaum kritisiert worden. Sein Vorgesetzter ten: „Springt.“ Der Deutsche fragt sofort: schuldige mich nicht für etwas, das ge- sagt: „You take a life to save a life.“ „Wie hoch?“ Der Niederländer dagegen: schah, als ich drei Jahre alt war, aber es be- In der britischen Armee herrsche eben „Wieso?“ schämt mich, was in meinem Land passiert eine weniger skrupulöse Berufsauffassung Der Alltag im Kosovo korrigiert man- ist.“ Dennoch habe jede Generation „ein als bei Verbündeten, die noch nicht so lan- che Stereotype. Zumindest in Reinhardt, Recht auf eine eigene Entwicklung, die ge im aktiven Geschäft sind, erklärt Oberst- so der niederländische Oberst Peter Gor- leutnant Carter: „Unsere rissen, 52, sehe er „nicht den Deutschen, Armee tötet, um bestimm- sondern den erfahrenen Kommandeur“. te Ziele zu erreichen, und Reinhardt, der fünf Sprachen spricht, wir Soldaten rechnen da- darunter Russisch, gilt in der Bundeswehr mit, töten zu müssen oder als einer der brillantesten Köpfe. Zu seinen getötet zu werden. Man Talenten gehören Kommunikationsfreude kann schließlich kein und die Fähigkeit, heikle Themen sofort Omelett braten, ohne da- auf den Punkt zu bringen. Eine multina- bei ein Ei aufzuschlagen.“ tionale Armee bewertet er nicht als politi- Auch Gorrissen, der sches, von Einzelinteressen bestimmtes ranghöchste Niederländer Konglomerat, eher als modernen Betrieb, im Kfor-Stab, hat Unter- in dem die Gesetze des Wettbewerbs herr- schiede im militärischen schen: „Mir ist völlig Wurscht, aus welchem Selbstverständnis ausge- Land jemand kommt, gut muss er sein.“ macht. Ihn irritiert, dass Die konservative „Frankfurter Allge- Deutsche stets eine exakte meine“ nannte seine Berufung einen „ganz K. MÜLLER FOTOS: Definition ihres Verant- normalen Vorgang“. Schließlich führe er US-Fitnesscenter im Kosovo: „Es ist uns egal, wo wir sind“ wortungsbereichs verlang- als Befehlshaber der Al- ten. Dahinter stehe die pa- liierten Landstreitkräfte nische Angst, Fehler zu begehen: „Bei uns Europa Mitte auch in Frie- sind Fehler Lernmomente. “ denszeiten multinationale Wer Gorrissen reden hört, glaubt, die Nie- Kräfte. Doch normal ist, derländer unterhielten eine Hippie-Armee. wenn’s um Krieg und be- Der Oberst lässt sich von seinem Haupt- waffnete Einsätze geht, feldwebel duzen. Profilneurotische Macht- nichts – schon gar nicht für menschen in der Militär-Hierarchie würden die Deutschen. durch „kreative Passivität“ gezähmt, Re- Erstmals seit bald 200 spekt könne nur durch Respekt und nie Jahren, als britische Kano- durch brutalen Drill erzeugt werden: „Die niere 1813 unter dem Revolte der sechziger Jahre hat bei uns in Preußen-General Gebhard der Armee voll durchgeschlagen.“ Leberecht von Blücher in Wie schnell im Militär-Alltag alte Re- der Völkerschlacht von flexe greifen können, zeigte sich, als im Leipzig gegen Napoleon Krisenherd Mitrovica die 900 dort statio- kämpften, würden briti- nierten und überforderten Franzosen von sche Truppen nun wieder 2100 Kfor-Soldaten aus anderen Ländern „vom ehemaligen Feind“ Bundeswehr im Kosovo: „Panische Angst vor Fehlern“ verstärkt wurden, darunter auch eine Bun- befehligt, schrieb die Lon- deswehrkompanie. Als sich die Franzo- doner „Sunday Times“ zu Reinhardts nicht durch Vorurteile aus der früheren sen außer Stande sahen, die Verpflegung Dienstantritt im Oktober. „Völkermord und Geschichte erdrückt werden darf“. der Deutschen mit zu übernehmen, sahen das schreckliche Geheimnis des Deut- „Solange ich das Gefühl habe, es macht die Soldaten offenbar ihre Vorurteile be- schen“, titelte die „Daily Mail“. Sinn, was er sagt, habe ich kein Problem stätigt: Man fand sich gegenseitig arrogant. Eine Fotomontage zeigte Reinhardt sei- mit Kommandeur Reinhardt“, sagt Batail- Die Deutschen erinnerten sich an das eli- tengroß in Uniform neben dem Porträt sei- lonschef Nick Carter, 40, von den Royal täre Gefüge der französischen Armee, in nes Vaters Fritz, einst Staatssekretär im Green Jackets. Carters Vater war als briti- der Offiziere von den Mannschaftsgra- Reichsfinanzministerium, Hitler-treu, in scher Offizier von den Deutschen in der den getrennt speisen und besser verpflegt Nazi-Kluft. Und der „Guardian“ kündigte sächsischen Burg Colditz gefangen gehal- werden. Und die Franzosen glaubten sich ein Reinhardt-Porträt auf der Titelseite an: ten worden. in der Annahme bestätigt, die Deutschen „Die Nazi-Vergangenheit des deutschen Die Briten, die seit 1961 über eine Be- hätten ohnehin stets überzogene An- Nato-Kommandeurs.“ rufsarmee verfügen und bei ihren Einsät- sprüche. Die Entdeckung, dass sein Vater aktives zen viele Tote zu beklagen hatten, lassen Auf höherer Ebene sind ideologische Vor- NSDAP-Mitglied gewesen sei, sagt Rein- gleichzeitig keinen Zweifel an ihrer über- behalte dagegen kaum noch existent. So 48 der spiegel 12/2000 K. MÜLLER Deutsches Kontrollgebiet Prizren: Nichts ist normal, wenn’s um Krieg und bewaffnete Einsätze geht hält Henri Winckler, 52, aus Paris, Berater obgleich die meisten von ihnen schon Jah- gelben Ledersofas bequem. Jeder Soldat des französischen Generals Louis Le Miere re in Deutschland leben. Die Truppe