Staatliche Museen zu Staatliche Kunstsammlungen Bayerische Generaldirektion Staatsgemäldesammlungen

Dr. Matthias Henkel Leiter Presse, Kommunikation, Dr. Stephan Adam Tine Nehler, M.A. Sponsoring Pressesprecher und Leiter Pressereferentin, Leitung Stauffenbergstraße 41 Kommunikation Kommunikation 10785 Berlin Residenzschloss Kunstareal Taschenberg 2 Barer Straße 29 Telefon: + 49 (0)30-266 3231 01067 Dresden 80799 München Telefax: + 49 (0)30-266 3025 E-Mail: Telefon: + 49 (0)351-4914 2643 Telefon: +49(0)89-2380 5118 [email protected] Telefax: +49 (0)351-4914 2366 Telefax: +49(0)89-2380 5125 berlin.de E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] Internet: www.smb.museum Internet: www.skd-dresden.de Internet: www.pinakothek.de

Pressemitteilung

Eröffnung der Ausstellung in Brüssel am 7. März 2007 durch die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel

Brüssel, Palais des Beaux-Arts

„Blicke auf Europa“

Europa und die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts“

8. März bis 20. Mai 2007

Schirmherrin der Ausstellung ist Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. „Blicke auf Europa“ wird im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft unter Vorsitz Deutschlands gezeigt.

Eine Ausstellung der Staatlichen Museen zu Berlin - Stiftung Preußischer Kulturbesitz der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München in Zusammenarbeit mit dem Palais des Beaux-Arts in Brüssel: Paleis voor Schone Kunsten | Palais des Beaux-Arts | Centre for Fine Arts Rue Ravensteinstraat 23 1000 Brussels

Seit dem 1. Januar 2007 hat die Bundesrepublik Deutschland die EU Ratspräsidentschaft inne. Begleitend hierzu präsentiert sich Deutschland mit namhaften Kulturinstitutionen über den gesamten Zeitraum der Ratspräsidentschaft im Palais des Beaux-Arts (BOZAR) in Brüssel. So wird es unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel eine in dieser Form bisher einzigartige Kooperation der drei großen staatlichen Sammlungen Deutschlands geben: Die Staatlichen Museen zu Berlin, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und die Bayerischen Staatsgemälde- sammlungen, München widmen sich mit der gemeinsamen Ausstellung „Blicke auf Europa. Europa und die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts“ den

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verschiedenen Facetten deutscher Kunst im 19. Jahrhundert. Die Ausstellung wird ergänzt um bedeutende Leihgaben weiterer deutscher Häuser. Insgesamt 28 Museen und Sammlungen sind an der Ausstellung beteiligt, die durch die Kulturstiftung des Bundes maßgeblich gefördert wird.

Die Ausstellung spiegelt den gesamteuropäischen Kontext in zwölf Kapiteln . Sie beginnt mit der Wiege der europäischen Kultur: Griechenland, dessen antike Stätten und Mythen von Künstlern wie Karl Friedrich Schinkel und Peter von Hess idealisiert wurden. Weiter geht es nach Italien, dem Reiseziel, das viele deutsche Künstler magisch anzog, etwa Joseph Anton Koch , Friedrich Overbeck und Carl Blechen . Die Wahrnehmung Italiens war wie die keines anderen europäischen Landes durch die Vergangenheit, durch die Geschichte und die Kunst früherer Epochen geprägt. Andere Künstler wie Philipp Otto Runge, Johan Christian Dahl und Caspar David Friedrich erhielten ihre Inspiration durch die Kopenhagener Akademie. Die Ausstellung zeigt auch die Beziehung zur alpinen Bergwelt Österreichs und der Schweiz. Friedrich und Ludwig Richter setzten diese malerisch in überwältigende Landschaften um. Über Böhmen, Russland, Polen, das Baltikum und Spanien geht die europäische Reise weiter nach England. Künstler wie Johann Joseph Friedrich Langenhöffel und Franz Xaver Winterhalter ließen sich auf eine Reise ein, auf der sie den Beginn des gesellschaftlichen Wandels entdeckten und einen ersten Blick auf zukünftige Entwicklungen warfen. Die belgische Historienmalerei prägte viele Künstler nachhaltig. Holland wird von Max Liebermann in faszinierenden Genreszenen zum Inbegriff einer sozialen Utopie stilisiert. Maler wie Carl Spitzweg und Wilhelm Leibl fanden in der Freilichtmalerei Frankreichs ihre Vorbilder. Der Rundgang endet in Berlin mit Adolph Menzel , dem europäischsten Künstler seiner Zeit. Kein Anderer hat die Welt so wahrhaftig beobachtet und dargestellt, wie er – in Berlin, Sachsen, Bayern, und weiteren Orten Europas.

Über 150 Spitzenwerke deutscher Künstler von Caspar David Friedrich bis Adolph Menzel werden in der Ausstellung vereinigt. Das Schaffen dieser Künstler ist untrennbar verbunden mit den künstlerischen, geistigen und gesellschaftlichen Strömungen in den Nationen, Ländern und Regionen Europas, mannigfaltig die Einflüsse und Wechselwirkungen nicht nur der Zeit des 19. Jahrhunderts selbst, sondern ebenso auch vorangegangener geschichtlicher Epochen. Schließlich inspirierte das Erleben der Vielfalt europäischer Landschaften die deutschen Künstler zu Meisterwerken. Die Künste – nicht nur die Bildenden – waren seit jeher europäisch, lange bevor auf politischer Ebene in ähnlicher Tiefe und Intensität eine Gemeinsamkeit, eine Gemeinschaft möglich wurde. Die Entwicklung Europas hin zur heutigen Europäischen Union basiert wesentlich auf diesen gemeinsamen kulturellen Traditionen.

Genau dies will die Ausstellung zeigen: Kein Abbild deutscher Geschichte also, sondern eine in der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts sich ausdrückende europäische Kunst. Wie sahen die Deutschen Europa – was sahen sie, was nahmen sie nicht wahr? Erstmalig werden diese Fragen in einer umfassenden Ausstellung thematisiert. Zugleich werden die Bedeutungsvielfalt und künstlerische Meisterschaft der deutschen Malerei im 19. Jahrhundert dargestellt. Mit "Blicke auf Europa" werden – ganz im Geiste der Europäischen Union – Verbindungslinien zwischen Nationen, Ländern und Regionen nachvollzogen. Eine kulturgeschichtliche Ausstellung und eine Schau großer Kunst gleichermaßen.

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Ausstellungsinformationen www.blicke-auf-europa.de www.bozar.be

Ausstellungsort Palais des Beaux-Arts 23 Rue Ravenstein B – 1000 Brüssel

Datum 08.03.2007 - 20.05.2007

Öffnungszeiten Di bis So 10.00 - 18.00 Uhr Do 10.00 - 21.00 Uhr Mo: auf Anfrage für Gruppen von 150 Personen und mehr

Eintritt € 9,00 Übliche Ermäßigungen

Audioguide € 2,00

Staatliche Museen zu Staatliche Bayerische Berlin Kunstsammlungen Staatsgemäldesammlungen Generaldirektion Dresden

Dr. Matthias Henkel Dr. Stephan Adam Tine Nehler, M.A. Leiter Presse, Pressesprecher und Leiter Pressereferentin, Leitung Kommunikation, Sponsoring Kommunikation Kommunikation Stauffenbergstraße 41 Residenzschloss Kunstareal 10785 Berlin Taschenberg 2 Barer Straße 29 01067 Dresden 80799 München Telefon: + 49 (0)30-266 3231 Telefon: + 49 (0)351-4914 Telefon: +49(0)89-2380 5118 Telefax: + 49 (0)30-266 2643 Telefax: +49(0)89-2380 5125 3025 Telefax: +49 (0)351-4914 E-Mail: [email protected] E-Mail: 2366 Internet: www.pinakothek.de [email protected] E-Mail: presse@skd- berlin.de dresden.de Internet: www.smb.museum Internet: www.skd- dresden.de

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Blicke auf Europa. Europa und die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts

Die zwölf Stationen der Ausstellung

I Das Land der Bildung – Griechenland

II Sehnsucht nach dem Süden – Italien

III Licht des Nordens – Skandinavien

IV Allianzen und Begegnungen - Russland, Polen und das Baltikum

V Landschaften der Nähe – Böhmen und das Riesengebirge

VI Grenzenlose Freiheit - die deutsche Alpenregion, Österreich und die Schweiz

VII Fremde Welten – Spanien

VIII Common Sense – Großbritannien

IX Geschichte als Vorbild – Belgien

X Die bürgerliche Utopie – Holland

XI Civilisation et Peinture – Frankreich

XII Das Auge Europas – Adolph Menzel

Blicke auf Europa. Europa und die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts

Blicke auf Europa – Welches Werk der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts könnte den Obertitel dieser Ausstellung wohl treffender veranschaulichen als Christian Gottlieb Schicks Porträt der Heinrike Dannecker, gemalt 1802 in Stuttgart – ein Bild des Blickens und des Europäischen.

Die schwäbische Residenzstadt war damals eine Residenz unter vielen im politischen und geographischen Flickenteppich ´Teutschland´, das als geeinte Nation noch gar nicht existierte. Am Beginn der von der Französischen Revolution 1789 eingeleiteten Zeitenwende begannen deutsche Künstler, Europa für sich neu zu entdecken – ein Europa der politischen Instabilität zwar, aber zugleich ein Europa neuer geistiger Freiheit und größten künstlerischen Austauschs zwischen den Nationen. In diesem Geiste war auch das Haus von Schicks Freund und Lehrer Johann Heinrich Dannecker, die sog. ´Danneckerei´, Treffpunkt für Künstler, Kunstfreunde und Sammler aus Deutschland und den angrenzenden Ländern. Die offene Gesinnung des Hausherrn spiegelt sich exemplarisch im Porträt seiner

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Ehefrau wider, dessen europäische Dimension sich erst über das genaue Bildstudium und die Kenntnis der Entstehungsumstände erschließt: Der Maler Schick war zuvor in Paris Schüler des Klassizisten Jacques-Louis David, der unter Napoleon zum ´Maler der Revolution´ wurde. Tatsächlich verweist der Farbklang der Kleidung auf die Farben der französischen Trikolore; und ihre Kopfbedeckung erinnert auffällig an die phrygische Mütze, das revolutionäre Freiheitssymbol schlechthin. Die gelassene Haltung der Bürgerin in der Landschaft und der freie, offene Blick drücken ein neues Selbstbewusstsein aus, wie es gleichzeitig die englische Porträtkunst kultivierte. Das als Sitzbank dienende Architekturfragment wiederum verweist auf das damals von Malern und Archäologen gleichermaßen begeistert betriebene Studium antiker Kunst in und aus Griechenland und Italien. Auch Schick ging, wie vor und nach ihm zahllose deutsche Künstler, nach Rom, wo er das Ideal der klassischen Norm weiterverfolgte.

Im Porträt Heinrike Danneckers hat Schick das Ideal gelebten Europäertums mit ungezwungener Natürlichkeit zu einer sympathischen Ikone seiner Epoche umgeformt. Der empfindsame Blick des Modells lädt den Besucher der Ausstellung Blicke auf Europa zum Schauen und Entdecken ein und lässt den Tenor der folgenden zwölf Abteilungen anklingen: Die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts suchte und fand ihr Europa.

I Das Land der Bildung - Griechenland

Wann immer die Deutschen des 19. Jahrhunderts sehnsüchtig auf das antike Griechenland blickten, artikulierten sie darin ihr Ungenügen an der eigenen Zeit. In der Bewunderung griechischer Kunst und Philosophie spiegelte sich das Streben nach eigener Größe und Eigenständigkeit; in der Beschäftigung mit der Geschichte der griechischen Staaten des Altertums drückte sich die Frage nach der Situation innerhalb der zahllosen deutschen Kleinstaaten und nach ihrer Zukunft aus. Bildung und Erziehung, wie Wilhelm von Humboldt sie in der griechischen Kultur erkannte, wurden als Voraussetzung für die Blüte eines jeden modernen Staates begriffen. Die Idealisierung Griechenlands, wie sie mustergültig in Schinkels Gemälde Blick in Griechenlands Blüte zum Ausdruck kommt, war im späten 18. Jahrhundert vorgeprägt worden, etwa durch Johann Joachim Winckelmann, dem Europa die Begründung der modernen Archäologie verdankt, oder Johann Heinrich Voss, der ab 1781 die lange verbindlichen Übersetzungen der homerischen Epen Ilias und Odyssee vorlegte und damit Generationen von Künstlern den gültigen Schlüssel zur griechischen Dichtung und Sagenwelt bereitlegte. Schiller, Goethe, Herder und Lessing trugen die Griechenrezeption und -verehrung weiter. Sie wurde zum Kern der neuhumanistischen Bildung, Ethik und Kultur.

Die wenigsten Künstler, Denker und Dichter bereisten je das damals sehr unterentwickelte Griechenland. Zu den Ausnahmen gehörte der Maler Carl Rottmann, der die historisch aufgeladenen Topographien abbildete. Der bayerische Hofarchitekt Leo von Klenze studierte in situ die archäologischen Überreste der Antike. Die Reisen von Klenze und seinem Malerkollegen Peter von Hess waren zudem durch die dynastische Beziehung der Residenzstadt München zu Otto I. von Bayern motiviert, der 1835 von den Schutzmächten Frankreich, England und Russland als erster König des seit 1830 unabhängigen Staates Griechenland eingesetzt wurde. Das Weiterwirken der deutschen Graekophilie lässt sich über das späte 19. bis ins 20. Jahrhundert hinein verfolgen, etwa in den Gemälden Anselm Feuerbachs.

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II Sehnsucht nach dem Süden - Italien

Die Wahrnehmung Italiens war wie die keines anderen europäischen Landes durch die Geschichte und die Kunst vergangener Epochen geprägt. Italien wurde zur Projektionsfläche eigener Ziele und Wünsche, selbst in der realistisch anmutenden Landschaftsmalerei Carl Blechens. Diese Wahrnehmung war durch historische oder literarische Erinnerungen gesteuert, wie etwa Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums oder die Italienische Reise Goethes. Zentral war die Begegnung mit der Kunst der Antike und der Renaissance. Mit der Bedeutung Roms als Mittelpunkt der katholischen Christenheit war ein weiteres Leitbild gegeben; nicht zufällig wurde die Stadt Raffaels und des Kirchenstaates zur Wirkungsstätte des 1808/1810 begründeten Lukasbundes der nazarenischen Maler um Friedrich Overbeck und Wilhelm von Schadow.

Ebenso wichtig war die Rolle Italiens und insbesondere Roms als Kunstmarkt und Begegnungsstätte gerade für deutsche Künstler, in deren Heimat es aufgrund der politischen Zersplitterung und regionalen Differenzierung kein Zentrum gab, das mit Paris oder London konkurrieren konnte. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Italien mehr und mehr zum Rückzugsort all derer, die sich von der politischen Stagnation in Deutschland oder auch von den neueren Entwicklungen der Kunst abwandten. Um 1860 traten mit den »Deutsch-Römern« um Arnold Böcklin, Anselm Feuerbach und Hans von Marées erneut junge Künstler auf den Plan, die Rom und Florenz zu ihrer Wahlheimat machten. Sie alle verfolgten eine programmatische Neubelebung der Antike und der italienischen Renaissance. Durch die Gestaltung von Themen der klassischen Mythologie bezogen sie eine Gegenposition zur seit der Jahrhundertmitte auf dem Kunstmarkt erfolgreichen Wirklichkeitsmalerei.

Im Fin du siècle setzte sich die Erkenntnis durch, dass Vergangenheit und Gegenwart nicht zu vereinen seien: »Niemand, der in der Gegenwart leben will, kann in Rom leben«, lautete 1882 das polemische Fazit des Kunsthistorikers Herman Riegel. Es blieb in der Italien-Rezeption der Deutschen die Sehnsucht nach vergangener Größe, die letztlich unerfüllbar und vielleicht gerade deshalb für die Kunst so produktiv gewesen ist.

III Licht des Nordens - Skandinavien

Sturmgepeitschte Küstenlandschaften, karge unwirtliche Fjorde, verfallene gotische Kirchen, Runensteine und Hünengräber, abgestorbene Bäume in fahles Nordlicht getaucht,

Nachtstücke - dies sind einige der markanten Versatzstücke, denen der Besucher in den Werken dieser Abteilung begegnet. Die skandinavischen Länder übten in der Zeit um 1800 eine bis dahin ungekannte Anziehungskraft auf die deutschen Künstler aus; sie bildeten gewissermaßen einen Gegenpol zum anderen großen Sehnsuchtsziel der deutschen Malerei - Italien.

Die wohl bedeutendsten Vertreter der romantischen Malerei in Deutschland, Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge, zeigen exemplarisch den Einfluss des Nordens auf die deutsche Kunst: Beide wurden an der pommerschen Ostseeküste geboren, beide wuchsen unter dem Einfluss des Theologen und Dichters Gotthard Ludwig Kosegarten auf, beide absolvierten ihr Studium an der damals berühmten Kopenhagener Akademie, von der auch der Bildhauer Bertel Thorvaldsen, der

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„nordische Phidias“, herkam. Das kulturelle Leben der dänischen Hauptstadt war durch Strömungen der Empfindsamkeit geprägt. Zudem hatten die von dem Schotten James Macpherson als Werk eines gälischen Barden ausgegebenen Gesänge des Ossian in ganz Europa das Interesse für die nordische Vorzeit und Mythologie entfacht: Ossian galt nun als „Homer des Nordens“.

Während der früh verstorbene Philipp Otto Runge in den wenigen Jahren seines Wirkens zum überragenden Figurenmaler der Romantik wurde, verschrieb sich der in der damals schwedischen Hafenstadt Greifswald geborene Friedrich fast ausschließlich der Landschaftsmalerei. In seiner Nachfolge suchten viele Maler aus dem Umfeld der Dresdner Akademie ihre Motive in den nordischen Ländern, etwa Carl Wagner und Ernst Ferdinand Oehme. Prägend für die ´nordische´ Landschaftsmalerei in Deutschland wurde aber vor allem aber der junge Norweger Johan Christian Dahl, der sich 1817 in Dresden niederließ und dem dieses Subgenre wichtige Impulse verdankte. Dahl regte junge deutsche Maler wie Gustav Adolf Boenisch zu eigenen Reisen in die unberührten Regionen seiner Heimat an. In den nordischen Stimmungslandschaften der deutschen Maler zeigt sich das neuartige Naturerlebnis der Romantik, das in bis dahin unbekannter Intensität und geradezu religiöser Ehrfurcht die Landschaft als Abbild des Ursprünglichen begreift, in seiner vielleicht reinsten Form.

IV Allianzen und Begegnungen - Russland, Polen und das Baltikum

Seit der Aufklärung bestand ein intensiver künstlerischer und wissenschaftlicher Austausch zwischen Deutschland, Russland, Polen und den baltischen Ländern. Die dynastischen Beziehungen zwischen den Fürstenhäusern waren hierfür maßgeblich. Der Zusammenschluss Preußens, Österreichs und Russlands zur ›Heiligen Allianz‹ begründete 1815 einen lang anhaltenden politischen Status quo, der durch die Heirat des Großfürsten und späteren Zaren Nikolaus I. mit der preußischen Prinzessin Charlotte (Zarin Alexandra Fjodorowna) 1817 noch gefestigt wurde. Fürstenhöfe wie Württemberg, Mecklenburg-Schwerin und Sachsen-Weimar waren ebenfalls dynastisch mit dem Zarenreich verbunden.

Prominente Russland-Reisende waren die Maler Eduard Gaertner und Franz Krüger sowie der Architekt Leo von Klenze. Die Akademien in Düsseldorf und Berlin stellten Anziehungspunkte für Maler aus osteuropäischen Staaten dar, namentlich aus Polen. Umgekehrt reagierten deutsche Künstler mit Szenen aus der jüngsten polnischen Geschichte auf die im Warschauer Aufstand von 1830 kulminierende Unabhängigkeitsbewegung Polens, die im politisch aufgeheizten Klima des Vormärz auch in Deutschland auf große Solidarität stieß. Ein entscheidendes Bindeglied zwischen Ost und West war die Literatur, von den Nachdichtungen deutscher Lyrik durch den Dichter und Staatsmann Wassili Shukowksi bis zu den Übersetzungen Puschkins, Tolstois und Dostojewskis. Die Begegnung mit der russischen Volksfrömmigkeit inspirierte Rainer Maria Rilke zu den Gedichten des Stunden-Buchs (1905). In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, am Beginn der künstlerischen Moderne, schlossen sich die Russen Alexej Jawlensky und Wassili Kandinsky der 1911 in München gegründeten Künstlergruppe Der Blaue Reiter an, ja waren Motor und Mitbegründer. Arthur Nikisch dirigierte in St. Petersburg, die Tänzerin Anna Pawlowa feierte in der Theatermetropole Berlin Triumphe. Der rege wechselseitige kulturelle Austausch setzte sich über Thomas und Heinrich Mann, Hermann Hesse, Arnold und Stefan Zweig bis hin zu den Plastiken Ernst Barlachs und den Gemälden Robert Sterls fort.

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V Landschaften der Nähe – Böhmen und das Riesengebirge

Nach 1820 wurden die Gegenden Böhmens namentlich für die Dresdner Landschaftsmaler zur frischen Motiv- und Inspirationsquelle: »Warum willst du denn in weiter Ferne suchen, was du in deiner Nähe haben kannst?«, so schreibt Ludwig Richter in seinen Lebenserinnerungen.

Wie für Richter, der im nahe Liegenden und Vertrauten das ihm Gemäße suchte, wie in seinem programmatischen Hauptwerk Die Überfahrt am Schreckenstein und in Wanderer im Riesengebirge, so war bereits um 1800 für den Wahl-Dresdner Caspar David Friedrich die Begegnung mit dem Sachsen geographisch benachbarten Nordböhmen und von essentieller Bedeutung gewesen; er hielt den Zauber dieser unberührten Regionen in weiträumigen Landschaftsbildern fest. Weitere Ziele waren das Riesengebirge und die Sudeten, deren nördlicher Teil zu Schlesien und deren südlicher Teil zu Böhmen gehört. Der mit Friedrich befreundete Arzt , Naturforscher und Maler Carl Gustav Carus wiederholte im August 1820 eben jene Route durch das Riesengebirge, die Friedrich ein Jahrzehnt zuvor in Begleitung des Malers Kersting gemacht hatte; sein Augenmerk lag jedoch auf den geologischen Strukturen und dem Studium der Gesteinsformen, wie sein Gemälde Die Dreisteine im Riesengebirge eindrucksvoll belegt.

Ein Brückenschlag zwischen den benachbarten Kulturräumen findet sich schließlich in der Biografie des Malers Carl Robert Croll, der 1824 nach seiner Dresdener Ausbildung in Teplitz ansässig geworden war. Sein Gemälde Landschaft bei Klostergrab in Böhmen eröffnet uns zugleich mit dem Ausblick vom Südhang des Erzgebirges auf das Böhmische Mittelgebirge einen einladenden Weg hinein in diese freundlichen Landschaften der Nähe.

VI Grenzenlose Freiheit - die deutsche Alpenregion, Österreich und die Schweiz

Kaum eine andere europäische Landschaft hat die Bildwelt der Jahrzehnte um 1800 so nachhaltig beeinflusst wie die Alpen. Ihre geistige Erschließung als einen noch weitgehend unerforschten Naturraum war im 18. Jahrhundert unter anderem von den euphorischen Schilderungen Schweizer Gebirgslandschaften durch den Philosophen Jean-Jacques Rousseau vorbereitet worden. Zum Wegbereiter der alpinen Landschaftsmalerei im deutschsprachigen Raum wurden die Schweizer Salomon Gessner, Caspar Wolf und Joseph Anton Koch. Über Koch wurde die Bergwelt nach 1810 auch in den Kreisen der Deutsch-Römer populär. Ferdinand Olivier etwa schuf neben Gemälden die lithographische Folge 7 Gegenden aus Salzburg und Berchtesgaden (1823), einen der bedeutendsten Landschaftszyklen der Romantik.

Das vermehrte geologische Interesse an der Bergwelt und ihren Gesteinsvorkommen ist auch ein Resultat der universalhistorisch konzipierten Kosmos-Vorlesungen Alexander von Humboldts (1827/28), welche die Forderung des geologischen Studiums und der genauen Naturbeobachtung als Aufgabe der Künstler formulierten: Bizarre Felsgefüge, tiefe Schluchten, dichtes Wurzelwerk und Geäst, enge Pässe und dramatische Wolkenformationen gehörten das gesamte 19. Jahrhundert hindurch zum festen Repertoire der alpinen Landschaftsmalerei.

Als im wahrsten Sinne Stein gewordene Geschichte erscheinen in der Alpenmalerei auch der im deutschen Nationalbewusstsein wohl am stärksten verankerte Berg: der Watzmann. Sein majestätischer Gipfel inspirierte in der ersten

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Jahrhunderthälfte so gegensätzliche Künstler wie Ludwig Richter und Caspar David Friedrich.

In der Spätromantik war besonders die Münchner Akademie tonangebend auf dem Gebiet der Alpenmalerei. Individualisten wie Moritz von Schwind und Carl Blechen deuteten die Bergwelt mal als idyllischen Blick aus biedermeierlichem Interieur (Schwind), mal als dämonisierten Schauplatz technischer Innovationen (Blechen).

Die Reise der deutschen Künstler zu den Mythen und Ursprüngen der Naturgeschichte geriet gegen Ende des 19. Jahrhunderts in eine Sackgasse. Mit dem stetig zunehmenden Alpentourismus verlor auch die Bergwelt an Faszination, erstarrte der Mythos zum beliebig reproduzierbaren Postkartenidyll.

VII Fremde Welten - Spanien

Mit der Besetzung Spaniens durch Napoleon zu Beginn des 19. Jahrhunderts und mit dem daraus resultierenden Spanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die französische Herrschaft (1808-1813) war das Land erneut in das Blickfeld Europas gerückt. Kunstwerke aus spanischen Sammlungen gelangten auf den europäischen Markt. 1819 wurde in Madrid der Prado eröffnet. In Paris wirkte die Einrichtung der Galerie espagnole´ im Louvre unter König Louis Philippe, die von 1838 bis 1849 bestand auf die jüngere Künstlergeneration. Maler wie Eugène Delacroix, Gustave Courbet und Edouard Manet rezipierten spanische Malerei von Zurbarán über Murillo und Velázquez bis hin zu Goya und nahmen diese zum Anlass, sich von den Konventionen der akademischen Tradition zu lösen.

Auf künstlerischem Gebiet ist dem in Deutschland nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Hier war Spanien vor allem durch die Literatur gegenwärtig. Johann Gottfried Herder entwickelte die Vision eines ritterlich-romantischen, phantasievollen und stolzen Volkes, dessen Poesie ihre Kraft aus der Verbindung von arabischen und christlichen Traditionen beziehe. Friedrich Schlegel feierte Cervantes’ Don Quixote als Inbegriff romantischer Poesie. Das Werk fand durch die Übersetzung Ludwig Tiecks (1799-1801) Eingang in die deutsche Literatur – und über den Düsseldorfer Maler Adolf Schrödter auch in die Malerei.

Zu den wenigen deutschen Künstlern, die Spanien bereisten, gehörten drei in München ansässige Architektur- und Landschaftsmaler: Wilhelm Gail, Eduard Gerhardt und Fritz Bamberger. Letztgenannter wurde von dem Münchner Dichter, Übersetzer und Literaturhistoriker Adolf Friedrich von Schack gefördert, einem führenden Hispanisten und Kenner Spaniens.

Das Interesse der Maler galt dabei vor allem dem südlichen Spanien. In Andalusien waren in Granada, Sevilla und Córdoba die bedeutendsten Denkmäler der mittelalterlichen maurischen Kultur auf spanischem Boden zu finden: die Alhambra in Granada, der maurische Herrscherpalast mit dem Löwenhof und das Palacio del Generalife. Die Mezquita in Córdoba, die größte Moschee des westlichen Mittelmeerraumes und Hauptstätte des Islam, ermöglichte eine Begegnung mit dem fernen Orient auf europäischem Boden.

VIII Common Sense – Großbritannien

Im 18. und 19. Jahrhundert kamen britische Künstler in großer Zahl auf den Kontinent - nicht nur, um dort die jungen Persönlichkeiten zu porträtieren, die in der obligatorischen »Grand Tour« ihre Bildung vervollständigten, sondern auch um ihrerseits die Kunstwerke der Vergangenheit zu studieren und zu dokumentieren,

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neue Landschaften und deren Bewohner zu entdecken und im Bild festzuhalten: Rom und Florenz, die bretonische Küste und die mittelalterlichen Burgen des Rheintals waren gleichermaßen beliebte Reiseetappen.

Hingegen galt umgekehrt deutschen Reisenden die Überfahrt nach England vielfach weniger kulturellen Neigungen als vielmehr den Neuerungen des Landes in Politik und Gesellschaft, Agrarwirtschaft und Ökonomie, Naturwissenschaft und Technik. Dies belegen etwa die zahlreichen Zeichnungen und Tagebuchskizzen von Karl Friedrich Schinkels erster England-Reise 1826. Die Reise nach England war im Unterschied zur »Grand Tour« nicht eine Reise in der Vergangenheit, sondern in die mögliche Zukunft eines sich wandelnden europäischen Gemeinwesens.

Für die deutschen Künstler war zunächst die im 18. Jahrhundert zu voller Blüte gelangende englische Porträttradition von besonderer Bedeutung. Im Inselreich hatten sich jene auf Understatement, Individualität und Empfindsamkeit gegründete Bildnisformeln entwickelt, die an der Schwelle zum 19. Jahrhundert durch die vielfältigen Beziehungen auf der Ebene von Tourismus, Diplomatie und Handel längst internationalisiert worden waren. Neben Meistern wie Gainsborough und Reynolds erscheinen nun ganz selbstverständlich Tischbein, Langenhöffel und Winterhalter, die in oder Kassel denselben informellen Bildnistyp des »conversation piece« kultivieren.

In den beiden Darstellungen Ainmillers vom Innenraum der Westminster Cathedral schließlich klingt das namentlich von England ausgehende »Gothic Revival« an, das in den 1840er Jahren auch Deutschland erreichte.

IX Geschichte als Vorbild - Belgien

Von 1842 bis 1844 reisten zwei für den Brüsseler Justizpalast gemalte monumentale Historienbilder belgischer Maler - Der Kompromiss des niederländischen Adels 1566 von Édouard de Bièfve und Die Abdankung Karls V. von Louis Gallait - durch neun deutsche Städte, darunter Köln, Berlin, Dresden und München. Die patriotischen Darstellungen national bedeutsamer Ereignisse aus der Geschichte des erst 1830 unabhängig gewordenen belgischen Staates wirkten in der vorrevolutionären Zeit als Katalysator. In Deutschland lösten die »Belgischen Bilder« eine Debatte über die Funktion der Historienmalerei aus. Kunstkritiker wie Franz Kugler und der junge Jacob Burckhardt priesen Farbenpracht und Lebendigkeit der belgischen Werke, die den trockenen Ideenbildern der Nazarener eine neue Auffassung von Historie entgegensetzten. Die - vermeintliche - Lebensnähe, drückte sich in der historischen Genauigkeit bei der Wiedergabe der Gesichtszüge, der Kostüme, Gebäude und Waffen aus: »Hier sehen wir Menschen vor uns und eine Wirklichkeit, die bis an die Illusion reicht«, begeisterte sich Burckhardt.

Ein Bewunderer der Belgier war der Berliner Bankier und Kunstsammler Joachim Heinrich Wilhelm Wagener. Neben Werken belgischer Maler erwarb er auch Bilder ihrer deutschen Nachfolger: 1850 Stilkes Raub der Söhne Eduards IV., 1852 Köhlers Semiramis, später die beiden Gemälde von Julius Schrader.

Das neue, gegenwartsbezogene Geschichtsverständnis entsprach den politischen Emanzipationsbestrebungen des Vormärz, wie es sich auch in der Literatur des ´Jungen Deutschland´ und der Philosophie der Junghegelianer ausdrückte. Das Interesse richtete sich auf die »That«, die dramatische Handlung, das historische

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Subjekt. Die »Belgischen Bilder« und ihre deutschen Epigonen zeigten genau dies: handelnde Personen in erfahrbaren Räumen, eingebettet in lebhaftes Hell-Dunkel.

Bald schon erkaltete die Bewunderung für die belgischen Maler, doch blieb das historische Genre als solches noch bis nach 1900 höchste Gattung der Malerei. Für einen kurzen historischen Moment aber – das zeigte sich an der Wirkungskraft der Belgischen Bilder um 1850 – war in der deutschen Kunst das historische Denken gleichbedeutend mit dem Bekenntnis zur Gegenwart.

X Die bürgerliche Utopie - Holland

Um 1870 erhielt das Interesse an der alten wie an der zeitgenössischen holländischen Malerei neuen Auftrieb. Der Maler Max Liebermann berichtete rückblickend von der I. Internationalen Kunstausstellung im Münchner Glaspalast 1869: »Was uns frappierte, war die malerische Kultur. Ein jeder strebsame junge Mann pilgerte nach Holland, er brachte den Holzschuh und die weiße Haube und die lange Tonpfeife von dort mit. […] Der Aufschwung, den die deutsche Malerei in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erlebte, beruhte nicht zum mindesten auf dem Einfluß der Holländer«. Mehr noch als die zeitgenössischen Werke der Haager Schule wurden die Gemälde von Frans Hals aus der Aachener Sammlung Suermondt zur eigentlichen Sensation und zur Offenbarung für die jungen Künstler, bewundert wegen der virtuos flüchtigen Pinselschrift wie für die Wiedergabe der unmittelbaren Erscheinung der Dinge.

Die Münchner Ausstellung galt seinerzeit als »Sieg des Realismus in der deutschen Malerei«, so die Kölner Zeitung von 1869. Das Interesse der Künstler wandte sich nun Darstellungen des bürgerlichen und sozialen Lebens zu; eine nüchterne, gegenwartsbezogene Malerei verband sich mit dem Ideal der sogenannten Hellmalerei. Dabei blieben die Vorbilder des 17. Jahrhunderts lebendig. So begann Liebermann seine Studien im Hof des Amsterdamer Waisenhauses mit Kopierübungen nach einem Werk von Hals. Bei seinen jährlichen Aufenthalten in Holland faszinierten ihn die herbe Landschaft mit ihrer durch den Calvinismus geprägten Bevölkerung sowie das bürgerliche Gemeinwesen und seine sozialen Einrichtungen. Zum Freundeskreis Liebermanns gehörten Fritz von Uhde und Gotthardt Kuehl. Der Lübecker Kuehl wurde vor allem mit Interieurs seiner norddeutschen Heimat bekannt, die an holländischen Kleinmeistern wie Pieter de Hooch und Vermeer geschult waren.

Am Ende des 19. Jahrhunderts erlebte Holland eine wahre Invasion ausländischer Künstler. Über Holzschuh und Haube wurden in Genreszenen Brücken zur Publikumsgunst gebaut. Modernere Strömungen hingegen wandten sich der herben, weiten Landschaft zu, so Paul Baum, der 1895 in das Dorf St. Anna ter Muiden zog und dort mit Unterbrechungen zehn Jahre lebte. Um 1900 übertrug er wie vordem Paul Signac die Prinzipien des Pointilismus auf seine holländischen Landschaftsbilder.

XI Civilisation et Peinture – Frankreich

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts reisten deutsche Künstler nicht mehr nach Rom, sondern nach Paris. Dort konnten sie das umfänglichste und widersprüchlichste Kunstleben der Zeit finden: künstlerische Freiheit für denjenigen, der bereit war, sie zu ergreifen, ebenso wie einen rigiden Akademismus, offene Konkurrenz und subtile Zensur, ein breites, an Kunst interessiertes Publikum und engagierte, private Sammler. Der Kunsthistoriker

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Julius Meier-Graefe suchte in seinem grundlegenden Werk Die Impressionisten (1907) die Wurzeln dieses reichen Kunstlebens im Streben Frankreichs »zu einem Ideal der Menschheit, dem höchsten, zur Freiheit. […] Man kann es nur mit einem schreckhaften Worte bezeichnen: Die Revolution«.

Kunst und Gesellschaft als unvollendeter, sich nie vollendender Prozess – das war nach Meier-Graefe das besondere Vermächtnis Frankreichs an Europa. Die Kunst in Frankreich war damit antistatisch und die Kunst der deutschen Maler in Frankreich ein Bekenntnis zur Entwicklungsgeschichte der Moderne. Von herausragender Bedeutung wurde die Ausstellung der Werke Gustave Courbets auf der I. Internationalen Kunstausstellung im Münchner Glaspalast 1869. Die Reaktionen waren enthusiastisch. König Ludwig II. ernannte Courbet auf Vorschlag der Münchner Künstler zum Ritter des Michaelsordens.

Die Maler Wilhelm Leibl, Carl Schuch, Wilhelm Trübner und andere zogen nach Paris, ebenso Franz von Lenbach und Adolf Heinrich Lier. Otto Scholderer und Louis Eysen lernten von Henri Fantin-Latour wie von Edouard Manet. Und außerhalb von Paris war die Freilichtmalerei der Schule von Barbizon mit Corot, Courbet, Daubigny und Millet ein magischer Anziehungspunkt für alle diejenigen Maler, darunter der junge Max Liebermann, denen die Kunst akademischer Regeln überholt erschien.

XII Das Auge Europas – Adolph Menzel

Parallel zur wissenschaftlichen Formulierung des Positivismus - 1844 erscheint der Discours sur lésprit positif von Claude Henri Saint-Simon und Auguste Comte - macht sich der Autodidakt Menzel daran, sich seiner Umgebung zu vergewissern. Er zeichnet alles, was er sieht. Er studiert seine nächste Umgebung, seine Familie. Sein Blick aus dem Fenster lässt ihn die rasende Entwicklung der Residenzstadt Berlin erleben: den Bau der Eisenbahn, die Errichtung von Häusern und Straßen, die Besetzung der Landschaft durch Ansiedlungen, die Verstädterung.

Der 1815 in Breslau geborene Menzel, der 1830 mit seiner Familie in Berlin Wohnsitz nahm, war nicht nur mit den historischen und modernen Lebensformen in Preußen, Sachsen und Bayern vertraut. Studienaufenthalte in Paris (1855, 1867 und 1868), Österreich und Italien belegen seine Neugierde für die Umwandlungen der alten höfischen Strukturen in moderne Industriegesellschaften. Menzels kühnes Hauptwerk Eisenwalzwerk mit dem Untertitel Moderne Zyklopen von 1875 ist der Versuch, ein Bild des gesamten Herstellungsvorgangs von Eisenbahnschienen zu gewinnen.

Indem Menzel den konventionellen Kontext nicht bedient, isoliert er das Beobachtete, er stellt es frei. An die Stelle der metaphysischen und theologischen Weltdeutung tritt die akribische und äußerst sorgfältige Beschreibung der tatsächlichen Welt. Dramatisch zugespitzt erleben wir das bedrängende städtische Leben in Menzels bedeutendem Spätwerk Piazza d’Erbe in Verona von 1884. Hier wird der Betrachter zum »Augenzeugen« eines fließenden Geschehen, das die Marktbesucher, Händler und Touristen gleichermaßen mitzureißen droht. Da Menzel weder in einer philosophischen noch ästhetischen Tradition stand, die ihm die Regeln der Wahrnehmung und der Selektion vorgab, verarbeitete dieser europäische Ausnahmekünstler alle Eindrücke mit einer Offenheit, Genauigkeit und Unvoreingenommenheit, dass wir ihn rückblickend als das »Auge Europas« bezeichnen können.

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Werkauswahl „Blicke auf Europa“

AUFTAKTBILD 1 Christian Gottlieb Schick (1776–1812): Bildnis Heinrike Dannecker, 1802, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

GRIECHENLAND 2 Anton von Maron (1733-1808): Bildnis Johann Joachim Winckelmann, 1768 Kulturstiftung Dessau Wörlitz 3 Anselm Feuerbach (1829–1880): Iphigenie, 1871, Staatsgalerie Stuttgart 4 Peter von Hess (1792-1871): Empfang König Ottos in Athen, 1835, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, München

ITALIEN: 5 Nach Friedrich Overbeck (1789-1869), Theodor Rehbenitz: Italia und Germania, 1835, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 6 Franz Ludwig Catel (1778-1856): Golf von Neapel, 1831, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Leihgabe der Stadt Nürnberg (seit 1974) 7 Arnold Böcklin (1827–1901): Die Toteninsel, 1883, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie 8 Friedrich Overbeck (1789-1869): Maria und Elisabeth mit Jesus und Johannesknaben, 1825, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, München

SKANDINAVIEN: 9 Philip Otto Runge (1777–1810): Die kleine Perthes, 1805, Öl auf Leinwand (143 x 95 cm), Klassik Stiftung Weimar 10 Caspar David Friedrich (1774-1840): Der Mönch am Meer, 1808-1810, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie 11 (zusammen mit 10?) Caspar David Friedrich (1774-1840): Abtei im Eichwald, 1810, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie 12 Johan Christian Dahl (1788-1857): Hünengrab im Winter, 1825, Museum der bildenden Künste Leipzig

RUSSLAND, POLEN UND DAS BALTIKUM 13 Heinrich Olivier (1783-1848): Die Heilige Allianz, 1815, Anhaltische Gemäldegalerie Dessau 14 Simon Meister (1796-1844): Die Gefangennahme Tadeusz Koszciuskos, 1829, Stiftung museum kunst palast, Düsseldorf

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15 Eduard Gaertner (1801-1877): Panorama vom Kreml zu Moskau in drei Abteilungen, 1839, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Potsdam 16 Robert Hermann Sterl (1867-1932): Schiffszieher an der Wolga, 1910 Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister

BÖHMEN: 17 Ludwig Richter (1803–1884): Die Überfahrt am Schreckenstein bei Aussig, 1837, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister 18 Carl Gustav Carus (1789–1869): Die Dreisteine in Riesengebirge, 1826, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister

DIE DEUTSCHE ALPENREGION, ÖSTERREICH UND DIE SCHWEIZ: 19 Carl Blechen (1798 – 1840): Bau der Teufelsbrücke, um 1830/1832, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, München 20 Caspar David Friedrich (1774–1840): Der Watzmann, 1824/1825, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

SPANIEN: 21 Eduard Gerhard (1795–1867): Der Löwenhof der Alhambra, 1860, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Schack-Galerie, München

22 Adolf Schrödter (1805–1875): Don Quichote, im Lehnstuhl lesend, 1834, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

ENGLAND: 23 Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751–1829): Nicolas Châtelain im Garten, 1791, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, München 24 Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722–1789): Maskenszene mit Kasseler Persönlichkeit, um 1780–1785, museumslandschaft hessen kassel, Neue Galerie

BELGIEN: 25 Christian Köhler (1809–1861): Semiramis, 1852, Öl auf Leinwand (139 x 162 cm), Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie 26 Carl Theodor von Piloty (1824–1886): Seni vor der Leiche Wallensteins, spätere Fassung des Gemäldes von 1855, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

HOLLAND: 27 Fritz von Uhde (1848–1911): Der Leierkastenmann kommt, 1883, Hamburger Kunsthalle

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28 Max Liebermann (1874–1935): Das Kohlfeld, 1912, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister

FRANKREICH: 29 Wilhelm Leibl (1844–1900): Bildnis der Frau Gedon, 1869, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, München 30 Carl Schuch (1846–1903): Stillleben mit Spargel, um 1885/1890, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, München

MENZEL: 31 Adolph Menzel (1815–1905): Eisenwalzwerk (Moderne Cyklopen), 1872-1875, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie 32 Adolph Menzel (1815–1905): Piazza d' Erbe in Verona 1882-1884, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister

Dank an die Leihgeber

Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, München; Schack-Galerie, München Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen Anhaltische Gemäldegalerie, Schloss Georgium, Dessau Kulturstiftung DessauWörlitz Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund Stiftung museum kunst palast, Düsseldorf Angermuseum Erfurt Museum Folkwang, Essen Historisches Museum, Frankfurt a. M. Pommersches Landesmuseum, Greifswald Hamburger Kunsthalle Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover Staatliche Kunsthalle Karlsruhe Museumslandschaft Hessen Kassel,Neue Galerie Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen, Burg Gnandstein, Kohren-Salis Museum der bildenden Künste Leipzig Städtische Kunsthalle Mannheim Städtische Galerie im Lenbachhaus, München Wittelsbacher Ausgleichsfonds, München Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Potsdam Staatsgalerie Stuttgart Klassik Stiftung Weimar Von der Heydt-Museum Wuppertal

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Katalog

Der Katalog erscheint bei Hatje Cantz, Ostfildern

Der umfangreiche Katalog wurde mit den KuratorInnen und MitarbeiterInnen der Museen in Berlin und Dresden erarbeitet und maßgeblich von seiten der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen betreut.

Alle koordinatorischen und finanziellen Belange waren bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden konzentriert.

Die Erarbeitung des Konzeptes der Ausstellung, der Ausstellungsdidaktik und der Ausstellungsregie lagen in enger Zusammenarbeit mit Dresden und München in den Händen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatlichen Museen zu Berlin.

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