Der Landbote Montag, 27. Juni 2016 Stadtkultur | 7 Fit für den Zirkus

WIESENDANGEN Was haben die Folkmetal-Band , das win-Situation: Die beiden möch- noch proben.» Aber vor einer darin, angelehnt an die Musik, Musikkollegium , Reto Parolari und Stadtpräsident ten, wie der Veranstalter, die Welttournee miete man einen mit der die Artisten bisher ge- Michael Künzle gemeinsam? Sie bereiten sich auf ihren Auftritt Freddy Burger Management AG, Konzertsaal wie das Gaswerk und arbeitet hatten, Stücke zu finden, beim «Zelt» vor. Und schon bald könnten Eluveitie und das ihr Publikumsspektrum erwei- spiele drei volle Tage durch. die sich für ein Sinfonieorchester Musikkollegium sogar zusammen spielen. tern. Auch wenn «Das Zelt» Wie fühlt sich der Auftritt im eignen. Dabei soll die Musik nicht durch die Schweiz tourt, spielen volkstümlichen Format «Das nur Begleitung sein. Der Punkt ist Zwei Musikformationen gehen in Doppel. Aussergewöhnlich ist der Eluveitie und das Musikkolle- Zelt» für ihn an? «Streng musika- wichtig, betont Parolari: «Musik den Zirkus: Eluveitie und das Auftritt in der Unterhaltungs- gium mit, obschon nicht an allen lisch gesehen, sind wir auch und Artistik müssen gleichwertig Musikkollegium. Die achtköpfi- show «Das Zelt» für beide – in 22 Stationen. volkstümlich. Wir verbiegen uns sein. Es darf nicht zum Klamauk ge, weltweit erfolgreiche Folkme- einem Rahmen, in dem Kabaret- also nicht, haben aber schon ein werden.» Geprobt hat zunächst tal-Band spielt ein Konzert; das tist Fabian Unteregger seine Problem momentan gelöst spezielles Programm erarbeitet. jeder für sich, die Artisten mach- Orchester mit rund fünfzig Musi- «Doktorspiele» und Andrew Eluveitie sind seit dem Tourstart Wir spielen einen Folk- und einen ten es anhand von Youtube-Mu- kern bestreitet zusammen mit Bond ein Märlimusical zeigt. An- im Januar dabei. Kürzlich bekam Metal-Block, auch akustische Sa- sikclips, die Parolari ihnen zu- Zirkusartisten ein gemischtes gepeilt ist vermutlich eine Win- die Band aber ein Problem. Drei chen.» Und «als Weltpremiere», sammengestellt und auf CD ge- Mitglieder – Merlin Sutter, so Glanzmann, gebe es neue brannt hatte, das Orchester unter Schlagzeug, , Dreh- Songs vom kommenden Album der Leitung von Parolari: «Ich bin leier und Gesang, und Ivo Henzi, «Evocation Part II». Mit dabei sehr zufrieden.» Zwei Tage vor Gitarre – sind Anfang Juni ausge- sind zwei Gastmusiker, der Win- dem Auftritt wird heute Montag stiegen. «Mit der Nachfolge wol- terthurer Brandon Wade mit nun gemeinsam geprobt. len wir uns Zeit lassen», sagt einem irischen Dudelsack und Der Dirigent Reto Parolari. pd Christian Glanzmann, Front- Fredy Schnyder am Hackbrett. Classic Open Air mit Eluveitie? mann und Songschreiber der Kooperationen sind das Gebot Band. Glanzmann, Jahrgang Neue Band gegründet grammiert. Dann wird der Song der Stunde in der Kultur. Da will 1975, Pausenzigarette, kommt ge- Die drei abgesprungenen Musi- an die Bandmitglieder verschickt, auch die Politik nicht abseits- rade auf seinen Socken aus dem ker haben inzwischen eine neue jeder bekommt seine Linie. stehen. Stadtpräsident Michael Proberaum im «House of Band gegründet, , Künzle höchstpersönlich wird Sounds» an der Zürcherstrasse in der Name stammt von Murphys Mozart und Säbeltanz sich beim Auftritt des Orchesters Töss. Dort probt er mit den Ses- ausgezeichnetem Elektrorock- Ist das Musikkollegium jetzt auch in Szene setzen – mit einem sionmusikern, die kurzfristig ein- Album aus dem Jahr 2013. Er sei ein Zirkusorchester? Reto Paro- mehrmals wiederholten, acht springen. Ein wenig hört man den sehr gespannt, was die drei nun lari, Winterthurer Dirigent mit Takte dauernden Saxofonsolo in Baslerdialekt noch heraus, mit machen würden, sagt Glanz- jahrzehntelanger Zirkuserfah- «Mambo Jambo»; es ist nicht dem Glanzmann aufgewachsen mann. Nach Streit klingt das rung, sagt: «Nein.» Das Orchester Künzles erster Auftritt als Solist ist. Heute lebt er in Illnau. nicht. Es sei auch nicht vorgese- habe sich allerdings schon sehr in diesem Stück, mit Parolaris Von dieser speziellen Situation hen, dass Eluveitie nun stilistisch geöffnet. Wobei das «Zelt»-Pro- Zivilschutzshoworchester hat er abgesehen, probt die Band so gut eine neue Richtung einschlagen, gramm jetzt wieder eher dem das auch schon getan. wie nie, macht Glanzmann klar: auch wenn Murphys Nachfolge- gängigen, klassischen Repertoire Und zum Schluss noch etwas «Wir spielen bis zu 250 Konzerte rin sicher anders klingen werde. entspreche. Zukunftsmusik. Samuel Roth, Di- pro Jahr, da müssen wir nicht auch Quantitativ gesehen sei ihr Ge- Das Orchester samt Zuzüger rektor des Musikkollegiums, sang bei Eluveitie zweitrangig ge- sowie Harfe und Schlagzeug fasst, wie er kürzlich durchbli- wesen, gemessen an der Bedeu- spielt reine Konzertstücke – etwa cken liess, sogar einen gemeinsa- tung ihrer Drehleier. den «Einzug der Gladiatoren» men Auftritt seines Orchesters Den grösseren Teil der Musik und die Ouvertüre zu Smetanas mit Eluveitie ins Auge. Dies dann schreibe er, Glanzmann, das blei- Oper «Die verkaufte Braut» – so- aber nicht im Zelt, sondern am be sich gleich. Ein neuer Song wie Begleitmusik zu den Artisten, Classic Open Air 2017 im Rychen- «Wir spielen bis zu entsteht zum Beispiel auf einer die aus dem Bereich «Nouveau bergpark. Helmut Dworschak Zugfahrt. «Die Melodie kommt Cirque» kommen. Das Spektrum 250 Konzerte pro Jahr, vor dem Text», sagt Glanzmann: reicht hier von Bach über Mozart Das Zelt, Wiesendangen. Musik­ da müssen wir nicht «Aber die Bedeutung des Songs bis zur Filmmusik von Nino Rota kollegium: Mittwoch, 29. 6., 20 Uhr. muss schon klar sein.» Zu Hause aus «Der Pate». Stücke, die auch Eluveitie: Samstag, 2. 7., 20 Uhr. auch noch proben.» nimmt er den Song auf, wobei er für das Orchester interessant zu Preise: 56 bis 120 Franken (Musik­ Christian Glanzmann, die Instrumente, die er nicht spielen seien, ist Parolari über- kollegium) und 46 bis 60 Franken Mehr Wald als Zelt: Eluveitie, hier noch in der alten Formation. Manuel Vargas Lepiz Frontmann von Eluveitie selbst spielt, am Computer pro- zeugt. Die Herausforderung lag (Eluveitie). Zwei grandiose Avantgardisten

KUNST Die Galerie Weiertal würdigt in einer bemerkenswerten Unternehmungen in den «Häu- Gegenstandsverdoppelungen be- Doppelausstellung das avantgardistische Schaffen von Heidi und tungen» ganzer Räume. Gut do- eindruckend schön zur Geltung. Carl Bucher. Die in Wülflingen aufgewachsene Heidi Bucher kumentiert ist die Aktion in der Im Zusammenspiel mit den zahl- wurde auf dem lokalen Parkett weitgehend ignoriert. Unteren Mühle an der Tösstal- reichen Werken von Carl Bucher strasse, dem Haus der Gross- (1935–2015) heben sie die klug Eigentlich wäre ein Künstler-Ro- war ihr Werk künstlerisch zu eltern. Sie beschichtete ganze eingerichtete Hommage in den man über diese Ausstellung ange- avanciert und in Teilen zu provo- Räume mit Gaze und Kautschuk- Rang einer kleinen Museumsaus- messener als eine Besprechung. zierend, als dass das hiesige Pu- masse und riss dann diese Kunst- stellung. Rudolf Koella hatte Hei- Als Traumpaar hatten sie sich blikum sich damit anfreunden haut von den Wänden. Energie- di Bucher einst – gegen starken gefunden, im Desaster endete die konnte. Ihre an der Dezember- und Kraftaufwand kamen einer lokalen Widerstand – mit einer Verbindung zwischen zwei Hoch- ausstellung gezeigten Werke, Geburt gleich. kleineren Schau im Kunstmu- begabten, die in Kanada und Kali- etwa mit Kautschuk und Perl- Verschiedentlich ist dieser seum Winterthur geehrt. Kom- fornien in den 1970er-Jahren zur mutterfarbe bearbeitete Unter- Prozess mit einer Metamorphose pensatorisch zur weit umfassen- Avantgarde zählten, in die wäschestücke ihrer Grossmutter, verglichen worden. Und wer im deren Beachtung, die Carl Bu- Schweiz zurückgekehrt, indes exponierten eine Intimsphäre, Film «Räume sind Hüllen, sind chers Œuvre zeitlebens fand, getrennte Wege gingen. Aus Ver- die tabu war. Häute» (1983) von George Rein- liegt der Schwerpunkt dieser bündeten waren Konkurrenten Und die Männer verschreckte hart verfolgt, wie so ein halb- Besprechung bei der Künstlerin. geworden. Darum ist die Doppel- sie nicht nur mit ihrer Ausstrah- transparenter «Hautraum», an Überschaut man Carl Buchers ausstellung in der Galerie Weier- lung einer Femme fatale, die einen Kran fixiert, hoch über vielseitiges Werk, begreift man, tal doppelt emotional aufgeladen. Künstler rochen Buchers über- einer Baugrube schwebt, spürt wie schwierig es für Heidi Bucher Nun ist das im Leben zerstritte- wältigende künstlerische Potenz, etwas von der Vision, abzuheben war, aus seinem Schatten zu tre- ne Paar mit seinen Werken im die das männliche Selbstbe- und leicht zu werden. ten. Er reagierte auf die gesell- Tode wieder vereint. Die Einma- wusstsein zu demolieren drohte. schaftspolitischen Zeitumstände ligkeit dieser Konstellation, ein Auch Carl, ihr Ehemann, musste Täuschende Illusionen und fand Formulierungen, die bis Ereignis eigentlich, verdankt sich vermutlich deswegen fliehen. Doch die Künstlerin war sich zeit- heute gültig sind. All den Opfern der Freundschaft von Maja und Schaut man sich die gemeinsa- lebens bewusst, dass sie trotz al- von Unterdrückung, Folter und Rick von Meiss mit der 1993 an men Arbeiten aus der Zeit in Kali- ler Fluchtversuche (in die Kunst) Terror hat er mit seinen mumien- einem Krebsleiden verstorbenen fornien an, dann bleibt ohnehin eine Gefangene ihrer Vergangen- artigen Figuren ein bleibendes Heidi Bucher und deren beiden unklar, wer eigentlich mehr An- heit und Person bleiben sollte. Je- Denk- und Mahnmal gesetzt. Söhnen Mayo und Indigo. Zwei teil an diesen Teletubby-ähnli- des Stück in der Ausstellung ruft Sein Interesse für technischen Werke von Mayo Bucher erweisen chen Kostümen aus Kunststoff diese Gespenster zurück, wenn- Fortschritt (darunter auch die seinen Eltern die Reverenz. Die hatte. Das Paar sorgte damals gleich die wunderbar schillern- Mondlandung) und Mobilität Nachkommen und die Galerie für Furore, eine Einladung für den Perlmutterfarben in Sphären setzte er in Reliefs und Bildern in Freymond-Fine Arts haben die eine Ausstellung im Los Angeles entführen, wo man sich wie im witzigen Vehikeln um. Streifte er Werke zur Verfügung gestellt, er- County Museum war die offi- Rausch den täuschenden Illusio- hier die Ironie der Pop-Art, so gänzt durch Stücke der Galeristin. zielle Anerkennung. In der nen hingibt. scheinen ihn die Zeichenwelten Schweiz ist Heidi in der Samm- Im luftigen White Cube der Ga- der Art brut zu seinen wunder- Kein Platz im hiesigen Olymp lung des Migros-Museums in Zü- lerie kommen diese Raum- und schönen Hieroglyphenbildern Noch immer ist Heidi Bucher, ob- rich vertreten. inspiriert zu haben. Beide, Heidi wohl die bedeutendste Künstle- und Carl, sind eine lohnende rin aus Winterthur, mehr Ge- Kraftakte und Schweben Wiederentdeckung, die aus der rücht und Mythos als anerkannte Schon damals gehörte der perfor- lokalen Enge (ent)führt. Meisterin im hiesigen, männlich mative Akt zu Heidi Buchers Energie und Adrian Mebold dominierten Olymp. Das hat mit künstlerischem Selbstverständ- Kraftaufwand kamen zwei Faktoren zu tun. Erstens nis. Zur grandiosen Entfaltung Galerie Weiertal, Rumstalstrasse 55, war sie eine Frau, und zweitens brachte sie ihre aktionistischen Heidi Bucher: Fenster Datscha, Kautschuk und Gaze, 1989. pd einer Geburt gleich. bis 10. 9. Mi–Sa 14–18, So 11–17 Uhr.