Sendung vom 10.6.2016, 20.15 Uhr

Dr. Rainer Koch Präsident Bayerischer Fußball-Verband im Gespräch mit Klaus Kastan

Kastan: Herzlich willkommen zu alpha-Forum. Unser heutiger Gast kommt aus dem Bereich Fußball, und bevor ich ihn richtig vorstelle, habe ich drei Fragen an ihn: Identität Schleswig-Holsteiner oder Bayer? Koch: Eindeutig Bayer, denn der Geburtsort gehört zu den Dingen im Leben, die man nicht beeinflussen kann. Kastan: Lieblingsbeschäftigung außerhalb von Fußball und Politik? Koch: Reden, sprechen, von Menschen lernen, viele Reisen machen, immer neugierig sein aufs Leben. Kastan: Tanzen Sie Rock 'n' Roll? Koch: Nein, ich kann überhaupt nicht tanzen – wie wahrscheinlich die meisten Fußballer. Kastan: Aber Ihre Tochter ist eine gute Rock 'n' Roll-Tänzerin. Koch: Ja, die Sportart meiner Tochter beim SV Anzing, einem der besten Formations-Rock 'n' Roll-Tanzvereine überhaupt, war von klein an der Rock 'n' Roll. Da tanzt aber nicht ein Einzelpaar, sondern da wird als Gruppe getanzt: Das sind in der Masterklasse sechs Paare. Inzwischen hat sie aber im letzten Herbst ihre Karriere beendet, weil sie inzwischen in Kufstein in Österreich studiert. Aber der letzte Wettkampf von ihr war auch ihr erfolgreichster, denn da wurde sie Deutscher Meister. Kastan: Wenn das Publikum Sie vor ein, zwei Jahren gesehen hätte, hätte es vielleicht noch nicht so genau gewusst, wer Sie sind. Heute wissen sehr, sehr viele Menschen, dass Sie Dr. Rainer Koch sind und mit Fußball zu tun haben, denn Sie sind in erster Linie Präsident des Bayerischen Fußball-Verbands. Aber Sie sind auch 1. Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes, des DFB, und Sie haben diesen größten Sportverband der Welt geführt nach dem Rücktritt von , und zwar zusammen mit Herrn Rauball von Borussia Dortmund. Was ist wichtiger für Sie, die bayerische Ebene oder doch die nationale und internationale Ebene, auf der Sie auch vertreten sind? Koch: Ich finde das Reizvolle an den Funktionen, die ich ausübe, dass das Positionen sind, die sich immer an der Schnittstelle sind zwischen Spitzensport bzw. Profisport und dem Amateursport befinden. Fußball ist gesellschaftsübergreifend und fasziniert alle Menschen, aber der Fußball begeistert die Menschen eben nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Aktive. An der Spitze des Bayerischen Fußball-Verbands hat man eben sowohl mit Bayern München wie auch mit Bayern Hof und Bayern Alzenau zu tun, um gleich mal den ganzen Bogen zu spannen. Deswegen ist mir dieser Bereich am Wichtigsten. Aber dieser Bereich führt dann in der Ausstrahlung auf die nationale Ebene eben auch in den DFB hinein. Dort ist Herr Rauball als Präsident des Ligaverbandes Sprecher des Profifußballs, während ich als Vorsitzender der Konferenz aller Landes- und Regionalverbandspräsidenten für den Amateurfußball spreche. Außerdem bin ich dort auch noch Vizepräsident für den Rechtsbereich. Aus dieser Position des 1. Vizepräsidenten heraus bin ich dann eben auch genau wie Herr Rauball zusammen mit dem DFB- Präsidenten und dem Generalsekretär in der Delegation der Fußballnationalmannschaft. Kastan: Sie sind Funktionär. Der Begriff "Funktionär" hat ja in Sportlerkreisen nicht nur ein gutes Image. Man assoziiert mit ihm Bürokratie, notwendiges Übel. Irgendwie braucht man die Funktionäre, heißt es, aber im Grunde genommen haben sie mit dem Sport nicht direkt was zu tun. Das ist das Image von Funktionären. Was sagen Sie Leuten, die so etwas sagen? Koch: Erstens ist es so, dass diese Leute genau dann recht haben, wenn die Funktionäre sich selbst falsch einordnen: Als Funktionär darf man es nicht darauf anlegen, La-Ola-Wellen zu bekommen, sondern man hat die Verpflichtung, auch mal unpopuläre Entscheidungen mit umzusetzen. Wie das Wort "Funktionär" schon sagt, steht man dafür ein, dass der Sport gut organisiert ist, dass er funktioniert in seinen Abläufen. Deswegen taugt man als Funktionär eigentlich nicht zum großen Popularitätsträger. Mir ist es deswegen auch nicht wichtig, populär oder beliebt zu sein. Das, was mir wichtig ist, ist, respektiert zu werden, mir abzunehmen, dass ich das sage, was ich denke, und mir auch abzunehmen, dass es mir darum geht, das Beste für den Fußball in Deutschland anzustreben. Kastan: Es geht Ihnen also nicht ab, mal auf dem Fußballplatz zu stehen und La- Ola-Wellen zu bekommen? Koch: Ganz im Gegenteil, deswegen war ich ja auch froh, dieses Amt nun wieder abgeben zu können. Für mich als 1. Vizepräsidenten war es einfach meine Pflicht, nach dem Rücktritt von Wolfgang Niersbach dessen Funktion zu übernehmen. Aber es war schon auch mein Bestreben, so schnell wie möglich wieder in einen Normalmodus zu kommen, wieder einen DFB-Präsidenten zu haben. Wäre es mir wichtig gewesen, dauerhaft als Nummer eins des Deutschen Fußballbundes im Rampenlicht zu stehen, dann hätte ich mich vielleicht anders aufgestellt. Aber darum ging und geht es mir nicht und ich finde, das darf auch nicht im Vordergrund der Eigendefinition von Fußballfunktionären stehen. Kastan: Nun wird man ja als Funktionär nicht geboren. Wir wissen, das haben wir vorhin schon thematisiert, dass Sie in Schleswig-Holstein geboren wurden. Aufgewachsen sind Sie dann in Poing im Landkreis Ebersberg. Wie sind Sie denn zum Fußball gekommen? Koch: Diese Frage kann eigentlich niemand so ganz eindeutig beantworten. Ich weiß nicht, ob es ein Fußball-Gen gibt, denn eigentlich ist meine ganze Familie nicht Fußall-affin gewesen – meine Eltern jedenfalls ganz gewiss nicht. Ich bin mit drei Jahren nach Poing im Landkreis Ebersberg gekommen. Ich bin übrigens überzeugter Poinger und meine Frau ist auch aus Poing. Kastan: Sie leben auch heute noch dort. Koch: Ja, ich lebe auch heute noch dort und ich werde dort auch ganz gewiss leben bleiben, weil ich Poing als einen Ort empfinde, an dem man ganz wunderbar leben kann. Poing ist zwar in der Nähe von München, es ist aber eben noch kleinstädtisch geprägt. Es kann niemand so ganz genau sagen, warum man und wie man zum Fußball gekommen ist, Fakt ist jedenfalls, dass man bis in meine früheste Kindheit hinein verfolgen kann, dass ich Fußball-verrückt war. Es gibt überlieferte Geschichten, in denen es darum geht, dass andere Menschen von meinen Eltern gewonnen werden mussten, um abends auf mich aufzupassen, wenn sie mal nicht zu Hause waren: Ich war noch im Vorschulalter und war nicht davon abzubringen, bestimmte Fußballspiele im Fernsehen sehen zu wollen. Ich erinnere mich an ein Europapokalendspiel – da war ich dann schon in der Grundschule –, in dem Franz Roth das entscheidende Tor geschossen hat. Ich denke, das war das Europapokalendspiel der Pokalsieger im Jahr 1967: Ich habe mit Nachdruck darauf bestanden, es anschauen zu dürfen im Fernsehen. Ich erinnere mich an Auseinandersetzungen mit meinen Eltern wegen der Fußballweltmeisterschaft in Mexiko im Jahr 1970: Das berühmte 3:4 im Halbfinalspiel gegen Italien wurde ja wegen der Zeitverschiebung erst mitten in der Nacht übertragen. Ich habe durchgesetzt, es trotzdem anschauen zu dürfen. Während der WM 1966 in England waren wir gerade in Bayrischzell auf einer Alm im Urlaub, auf der es selbstverständlich keinen Fernseher gegeben hat. Da musste es eben irgendwie organisiert werden, wo ich als damals Siebenjähriger die Spiele anschauen konnte. Ich war also von Anfang an fußballverrückt und habe auch selbst auf der Wiese und auf der Straße leidenschaftlich gerne Fußball gespielt. Und ich ging dann auch schon sehr frühzeitig in den Verein, geduldet von meinen Eltern. Ich habe noch zwei Brüder, die sehr unterschiedlich sind. Unsere Eltern haben eigentlich immer unterstützt, was ihre Kinder wollten. Aber ich glaube, mein Vater ist mir nicht böse, wenn ich sage, dass meine Fußballbegeisterung in den Anfangsjahren nicht gerade gefördert worden ist. Vielleicht führt gerade das dann dazu, dass sich Leidenschaften entwickeln, wenn man sich am Anfang etwas zuerst einmal erkämpfen muss. Leidenschaft hat nun mal auch etwas mit "Leiden" zu tun. Ich habe den Fußball ganz sicher immer leidenschaftlich betrieben. Kastan: Sie sind, das dürfen wir verraten, Jahrgang 1958, damit solche Jahreszahlen wie das Europapokalendspiel 1967 oder die Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko richtig eingeordnet werden können. Waren Sie denn eigentlich auch selbst ein guter Fußballer? Koch: Nein, ich war kein guter Fußballer. Kastan: Auf welcher Position haben Sie gespielt? Koch: Meine Position wurde, wie ich immer zu sagen pflege, abgeschafft, nachdem ich meine Karriere beendet habe: Ich war Vorstopper. Kastan: Den Vorstopper gibt es heute nicht mehr im modernen Fußball. Koch: Genau. Ich habe ganz durchschnittlich Fußball gespielt, so wie die allermeisten, die aktiv Fußball spielen. Man darf ja nicht übersehen, dass die meisten aktiven Fußballspieler in der Kreisliga und abwärts spielen. Ich bin allerdings schon sehr, sehr frühzeitig, nämlich mit 16 Jahren, auch noch Fußballschiedsrichter geworden. Heute machen das viele in diesem Alter, damals war das jedoch noch sehr außergewöhnlich. Ich habe also schon 1975 die Schiedsrichterprüfung abgelegt und bin dadurch dann auch sehr früh in höhere Spielklassen gekommen. Kastan: Bis zur , wenn ich das richtig weiß. Koch: Ja, bis zur Bayernliga, die damals die dritthöchste Spielklasse gewesen ist. Ich war dann auch noch bei DFB-Lehrgängen mit dabei, aber das fiel zeitlich leider bereits mit dem Ende meiner Ausbildungszeit zusammen, also mit meiner Referendarzeit nach dem Jurastudium. Ich wollte ja in den Staatsdienst gehen und Richter werden, was dann im Jahr 1988 auch tatsächlich möglich wurde. Das war dann auch der Moment, in dem ich meiner Zeit als Schiedsrichter Adieu gesagt habe. Wenn man als Schiedsrichter auf diesem Niveau aktiv sein wollte, dann war das zeitlich einfach nicht mehr vereinbar mit einer vollen Arbeitsbelastung als Staatsanwalt oder als Richter. Kastan: Aber da gibt es ja doch Parallelen: Fußballschiedsrichter und Richter bei einem bayerischen Gericht. Waren Sie immer schon jemand, der Recht sprechen wollte? Koch: Ich glaube, dass ich immer jemand war – und hier können Sie gerne noch die dritte Ebene als Fußballfunktionär mit hinzunehmen –, der bereit war, Konfliktlösungen zu suchen bzw. Konflikte zu managen, wenn Sie das so bezeichnen wollen. Ich war jedenfalls immer jemand, der versucht hat, Menschen zusammenzubringen. Das sehe ich auch als das Schöne am Fußball an: Dem Ball ist es egal, wer gegen ihn tritt, im Gegenteil, er lädt eigentlich jeden ein, mitzuspielen. Jeder weiß, dass das aber nur nach gewissen Regeln möglich ist und jeder weiß auch, dass man dann, wenn Regeln verletzt werden, Mechanismen braucht, um es hinzubekommen, dass man sich ein halbes Jahr später auch wieder treffen kann. Solche Konflikte zu moderieren, ist eigentlich das, was sich sozusagen als roter Faden durch mein Leben zieht. Deswegen habe ich vielleicht auch ein besonderes Interesse an dieser Schnittstelle des Fußballs zwischen Profi- und Amateurbereich an der Spitze des DFB, wo die Vertreter des Amateurbereiches natürlich nicht zu allen Themen die gleiche Haltung haben wie die Vertreter des professionellen Bundesligafußballs. Kastan: Sie waren auch mal Trainer und haben sogar die Trainerlizenz B. Man braucht die Trainerlizenz A, um Bundesligamannschaften trainieren zu können. Wen kann man mit der Trainerlizenz B trainieren? Amateurmannschaften? Koch: Das, was heute die C-Lizenz ist, war damals die B-Lizenz. Ich habe mich einfach überall ausprobiert, d. h. ich habe Fußball in jeder Hinsicht versucht … Kastan: Aber als Trainer sind Sie natürlich Partei, da müssen Sie zu Ihrer Mannschaft halten. Hat Sie das auch ein bisschen gestört, weil Sie doch so einen Gerechtigkeitssinn hatten? Koch: Nein, ich bin ja auch leidenschaftlicher Fußballer und freue mich, wenn bayerische Mannschaften gewinnen oder wenn die deutsche Nationalmannschaft erfolgreich spielt. Und als Spieler habe ich ja auch gewinnen wollen, d. h. auch das prägt den Fußball mit. Nachdem ich mich in verschiedenen Bereichen ausprobiert hatte, habe ich dann gegen Ende der 80er Jahre die Erkenntnis gewonnen, dass ich den Fußball im Ganzen mitgestalten und mitorganisieren möchte, dass ich dort meine Beiträge leisten möchte. Was mich im Rückblick mit am meisten freut, ist der Erfolg, den wir mit der Bayern erzielt haben. Wir haben hier wirklich eine Spitzenliga für den Amateurfußball kreiert und alle Vereine an einen gemeinsamen Tisch bekommen. Vor einigen Jahren haben wir auf der bundesdeutschen Ebene diese Liga gemeinsam wirklich erkämpft und erstritten. Solche Prozesse zu gestalten und mit auf den Weg zu bringen, darin sehe ich seit einiger Zeit meine Hauptaufgabe. Aber die Trainerzeit auch bei Falke Markt Schwaben – und übrigens auch meine Zeit als Jugendleiter beim Kirchheimer SC – war eine sehr, sehr wichtige Zeit für mich, die mich auch sehr geprägt hat. Sie hat mir auch dabei geholfen, zu sehen, wie unterschiedlich die Menschen sind, die dann aber wiederum alle zusammenfinden und geeint sind durch diese gemeinsame Leidenschaft namens Fußball, durch diese unglaublich schöne Sportart. Kastan: Haben Sie außer den Vereinen, die Sie soeben schon genannt haben, also Falke Markt Schwaben, Kirchheimer SC und dem TSV Poing, noch irgendwelche große Lieblingsvereine? Koch: Ich sage immer spaßeshalber, ich bin deswegen so früh zum Bayerischen Fußball-Verband gegangen, weil ich mich nicht entscheiden konnte. Aber natürlich gehört zur Wahrheit auch, dass ich eben in der Vorstadt von München aufgewachsen bin und dass aufgrund meines Geburtsjahrgangs 1958 die 70er Jahre für mich besonders prägend waren und ich sehr wohl eine besondere Beziehung zu bestimmten Vereinen entwickelt habe. Natürlich war ich damals alle zwei Wochen im Olympiastadion und hatte daher, wie ich im Rückblick sagen muss, das unglaubliche Glück, all diese großartigen Spieler wie , Gerd Müller, Paul Breitner, Uli Hoeneß, Sepp Maier, Karl-Heinz Rummenigge usw. – alle anderen, die ich jetzt aufzuzählen vergessen habe, mögen mir das bitte nachsehen – live im Stadion sehen zu können. Aus diesem Grund wäre ich schlicht unehrlich, wenn ich jetzt nicht ein klares Bekenntnis zum FC-Bayern ablegen würde. Aber das gleiche Bekenntnis gebe ich auch für den TSV 1860 München und all die anderen bayerischen Spitzenklubs ab. Kastan: Auch bei Unterhaching in der vierten Liga sieht man Sie sehr oft als Zuschauer auf der Tribüne sitzen. Koch: Wenn ich auf die Relegationsspiele der Saison 2015/16 zurückblicke, dann kann ich von mir sagen: Ich war in Nürnberg, ich war in Duisburg. Das heißt, ich war nicht nur beim Pokalfinale in Berlin, sondern auch bei den Relegationsspielen der Regionalliga, denn das ist eben genau meine Welt: dabei mitzuhelfen – und das ist übrigens die Aufgabe eines Funktionärs –, dass die Vereine, für die man Vertreter ist, bestmöglich unterstützt werden. Kastan: Bei der Vorbereitung auf so ein Gespräch geht man ja eine sehr, sehr dicke Informationsmappe durch: Da stand sehr viel drin über Sie, es finden sich darin alle Zeitungsberichte über Sie und auch etliche interne Informationen, kurz, darin findet sich alles, was man halt herausbekommt über Sie. Wissen Sie, was ich total spannend fand? Das war Ihre Zeit als Vorsitzender im Sportgericht des DFB, denn da hatten Sie mit einer Entscheidung zu tun, die damals, wenn ich mich nicht irre, sogar um die Welt gegangen ist: Das war der "Fall Robert Hoyzer". Es ging dabei um einen Schiedsrichter, der in der zweiten Liga und auch in der dritten Liga eingesetzt worden ist und der als einer der kommenden großen Schiedsrichter in Deutschland galt. Hoyzer konnte man nachweisen, dass er Spiele z. B. im DFB-Pokal wissentlich verpfiffen hat, und zwar im Zusammenspiel mit einer Wettmafia. Er musste dafür ins Gefängnis gehen, denn die Strafe dafür betrug zwei Jahre und fünf Monate. Sie wiederum haben als DFB-Schiedsgericht dafür gesorgt, dass er nie wieder als Schiedsrichter wird arbeiten können. War das auch für Sie eine spannende Zeit? Koch: Das war in den neun Jahren, in denen ich Vorsitzender des DFB- Sportgerichts war, sicherlich der aufregendste Fall und selbstverständlich ein Fall, den ich mein Leben lang nicht vergessen werde, und zwar aufgrund vielfältiger Umstände. Zunächst einmal war es ja so gewesen, dass es das Thema "Spielmanipulation" in den Statuten gar nicht gegeben hat. Das war die rechtliche, die juristische Schwierigkeit, denn das musste dann über die bereits vorhandenen ähnlichen Fälle nach der Methode der Rechtsfortbildung gemacht werden – fast so, wie man das vom amerikanischen Rechtssystem her kennt, wo es ja auch nur das Fallrecht gibt. Wir waren einfach gezwungen, hier Lösungen zu finden, was Robert Hoyzer und die anderen Angeklagten betraf. Darüber hinaus hatten wir auch noch das große Problem: Was passiert mit der laufenden Runde im DFB-Pokal? Denn es waren ja bereits mehrere Runden gespielt und der Hamburger SV machte riesengroße Schadensersatzforderungen geltend und drohte, den ganzen Wettbewerb auf den Kopf zu stellen. Das heißt, es war klar: Wenn wir in Berlin wieder gemeinsam ein DFB-Pokalfinale feiern wollen, dann muss eine Lösung zusammen mit dem HSV gefunden werden. Es gab dann stundenlange Verhandlungen und Sitzungen, die von mir zu moderieren waren. Es gab eine Reihe von anderen Spielen, bei denen jedoch der konkrete Nachweis einer Manipulation durch den Schiedsrichter nicht von vornherein feststand. Wenn es um Spielwertungsfragen geht, muss man sich vergegenwärtigen, dass Manipulationsvorhaben auch manchmal von selbst aufgehen können. Das heißt, jemand, der ein Spiel auf ein bestimmtes Ergebnis hin manipulieren will, nimmt sich das zwar vor, muss aber nur dann das Risiko der Manipulation und der Entdeckung seiner Manipulation eingehen, wenn der Spielverlauf nicht von selbst in die von ihm gewollte Richtung geht. Wenn z. B. diejenige Mannschaft, auf deren Sieg man sich als Schiedsrichter im Rahmen eines Wettbetrugs verpflichtet hat, ohnehin stärker ist, Tore schießt und das Spiel gewinnt, dann lässt man die Manipulation selbstverständlich bleiben. Wie wertet man aber so ein Spiel, wenn hinterher eine Manipulationsabrede für dieses Spiel herauskommt? Das sind alles große Schwierigkeiten für uns gewesen. Übrigens gehört für mich zum "Fall Robert Hoyzer" auch noch das letzte Kapitel mit dazu, nämlich dabei mitzuhelfen, dass der Mensch Robert Hoyzer, der dann im Gefängnis gewesen ist, als junger Mensch wieder eine für ihn verantwortbare Lebensperspektive bekommt. Ich finde nämlich, auch das gehört mit zum Beruf eines Richters: Ich habe mich verpflichtet gefühlt, Lösungen zu suchen mit ihm, seinem Anwalt und zusammen mit Dr. Zwanziger als damaligem DFB-Präsidenten. Wir haben Vergleichsregelungen getroffen in dem Sinne, dass Robert Hoyzer einerseits jedes Jahr – das läuft noch und wird auch noch einige Jahre so weitergehen – einen fühlbaren und erheblichen Geldbetrag an den DFB zu zahlen hat. Wenn er das bis zum Schluss so macht, dann wird ihm dafür andererseits vom DFB ein großer Teil der Restschuld erlassen. Kastan: Er hat ja auch wirklich kooperiert und seine Fehler und Straftaten zugegeben und ist dafür bestraft worden. Ich habe gehört, er ist jetzt bei einem Berliner Fußballverein, nämlich bei Viktoria Berlin und kann dort wieder arbeiten. Aber als Schiedsrichter wird er nicht zurückkommen, oder? Koch: Als Schiedsrichter wird er nicht zurückkommen und das will er auch gar nicht. Er ist da völlig einsichtig und versteht, dass das nicht geht. Als Schiedsrichter muss man glaubwürdig sein, und wenn man seine Glaubwürdigkeit einmal auf so massive Weise verspielt hat, dann ist es für dieses Leben damit einfach vorbei. Das muss man verstehen und akzeptieren. Aber umgekehrt muss es, wie ich finde, auch die Gesellschaft für richtig halten, dass solchen Menschen wieder eine Lebensperspektive geboten wird. Warum also sollte ein Robert Hoyzer nicht noch privat als Amateurfußballer kicken können oder sich in einem Verein engagieren? Er hat ja seine Strafe verbüßt. Kastan: Jedem also eine zweite Chance. Koch: Ja, und nicht nur jedem eine zweite Chance, sondern ich würde auch sagen, wir haben ein rechtsstaatliches System, bei dem ein Fehlverhalten durch die staatlichen Gerichte sanktioniert wird. Aber wenn die Strafe verbüßt ist, dann ist es auch vorbei. Diese Aussage gilt für jeden und ich will das ausdrücklich als meine Auffassung für Robert Hoyzer oder auch für Uli Hoeneß aufgefasst wissen. Beide haben ihre Strafe angenommen und haben sie, wie ich finde, in sehr respektabler Art und Weise verbüßt, und beide haben es dann auch verdient, dass ein Strich gezogen und gesagt wird: "Ab jetzt sind sie wieder ein ganz normales Mitglied unserer Gesellschaft – mit allen Pflichten, aber auch mit allen Rechten." Kastan: Die Frage, die sich viele Zuschauer in diesem Zusammenhang stellen, lautet ja: Ist das nur ein Einzelfall gewesen oder kommt es öfter vor, dass Spiele manipuliert werden? Koch: Weltweit gesehen kommt so etwas natürlich öfter vor. Aus meiner Funktion heraus stellt sich diese Frage aber gar nicht so sehr, weil ich von der Position ausgehe, auch nur ein Fall ist bereits ein Fall zu viel. Deswegen muss ganz eindeutig und nachdrücklich gegen eine Spielmanipulation vorgegangen werden. Ich freue mich auch sehr, dass der Deutsche Bundestag jetzt im Jahr 2016 nach vielen, vielen Jahren Überzeugungsarbeit nun auch in einem Gesetz den Straftatbestand der Spielmanipulation geschaffen hat. Denn auch hier gilt das, was im Anti- Doping-Kampf gilt: Die Verbände alleine können hier nicht ausreichend für Schutz sorgen, denn wir können nicht Durchsuchungsmaßnahmen machen, wir können nicht Telefonate abhören usw. Um diesen Leuten auf die Schliche zu kommen, muss man das jedoch machen, weil sich das alles im Geheimen und in kriminellen Milieus abspielt. Kastan: Die Wettszene wird aber doch beobachtet, oder? Koch: Ja, die wird sogar von Jahr zu Jahr intensiver beobachtet und es gibt hier ganz große Monitoringsysteme. Man darf nicht übersehen, dass es auch sehr, sehr viele seriöse Wettanbieter gibt: Diese haben sich selbst zusammengeschlossen, denn sie haben ja selbst ein großes Interesse daran, dass nicht manipuliert wird. Und die großen Fußballverbände arbeiten weltweit natürlich auch mit den Polizeibehörden zusammen. Ich denke also, dass wir hier auf einem guten Weg sind. Aber Sie wissen ja selbst: Das kriminelle Milieu entwickelt sich natürlich auch immer weiter. Deswegen wird man hier nie zu dem Ergebnis kommen können, diese Sache für immer beseitigt zu haben. Aber ich glaube, dass wir im Hinblick auf die großen europäischen Ligen aktuell ganz optimistisch sein können, denn den Spielmanipulationen ist doch weitgehend ein Riegel vorgeschoben worden. Die UEFA hat vor allem in den Anfangsrunden der internationalen Wettbewerbe zu tun. Und für die Wettmafia ist es u. U. sogar interessanter, sich Ligen herauszusuchen, die nicht ganz so sehr im medialen Fokus stehen. Das ist nebenbei gesagt auch billiger für die Wettmafia … Kastan: Viele dieser Wetten werden ja in Asien abgeschlossen, selbst für drittklassige Begegnungen in Deutschland. Koch: Ja, und die Spieler in nicht so im Fokus stehenden Ligen können natürlich viel, viel billiger gekauft werden. Bei den großen Spielen in den europäischen Ligen würde das hingegen für die Wettmafia sehr viel teurer werden. Deswegen sind die ganz großen Fußballspiele in der Bundesliga oder in der Champions League am wenigsten gefährdet. Kastan: Lassen Sie uns hier mal einen kleinen Strich ziehen und uns zurückerinnern an das Jahr 2006, also an das "Sommermärchen". War das Sommermärchen wirklich ein Sommermärchen? Koch: Ja, das war ein fantastisches Sommermärchen, auch für mich ganz persönlich. Auch in meinen eigenen Erinnerungen ist unsere Fußballweltmeisterschaft eines der größten Fußballerlebnisse, das ich haben durfte. Ich habe jetzt ganz bewusst von "unserer Fußballweltmeisterschaft" gesprochen, denn dieses Sommermärchen hat sich ja deswegen zum Märchen entwickelt, weil sich nahezu jede Bürgerin und jeder Bürger in unserem Land mit diesem Sportereignis identifiziert hat. Ich war auch vor wenigen Wochen auf dem FIFA- Kongress in Mexico City und hatte dort mit der Spitze des mexikanischen Fußballverbandes ein Mittagessen. Nach drei Minuten schon kamen die mexikanischen Freunde auf 2006 zu sprechen und auf diese unglaublich schöne Atmosphäre im Land. Ich habe mit ihnen über das Spiel von Mexiko gegen den Iran in Nürnberg gesprochen, wo die ganze Stadt belebt war mit mexikanischen Touristen. Ich kann mich an dieses Spiel noch gut erinnern, denn für mich selbst war die erste Woche dieser WM – ich war damals noch nicht in entscheidenden Funktionen beim DFB – mit das Tollste überhaupt, weil ich mich zusammen mit meiner Frau und meiner Tochter eine Woche lang ausgeklinkt habe und jeden Tag an einen Ort zu einem anderen Spiel gefahren bin. Ich bin damals z. T. auch mit dem Zug durch Deutschland gereist. Dazu kamen dann eben auch die sportlich tollen Ergebnisse unserer Nationalmannschaft, die dann aber leider gegen Italien im Halbfinale verloren hat. Kastan: Das waren tolle Spiele, das war eine tolle Zeit. Koch: Ja, auf alle Fälle. Kastan: Die WM fand eben nicht nur in den Stadien, sondern auch auf den Straßen statt. Das war wirklich ein unglaublich schönes Ereignis. Aber dieses Image ist doch ein wenig ramponiert worden in letzter Zeit, weil viel über die Frage diskutiert wurde, ob diese Spiele eventuell gekauft worden sind. Können Sie das ausschließen? Koch: An dieser Stelle sollte man sagen, dass das Image der Weltmeisterschaft 2006 eigentlich gar nicht berührt werden darf. Denn wenn Sie mich fragen, ob diese Spiele gekauft worden sind, kann ich auf alle Fälle sagen: Die Fußballspiele sind ganz gewiss nicht gekauft worden. Es geht viel mehr um den Austragungsort. Da reden wir jetzt jedoch von Ereignissen im Jahr 2000, als die WM vergeben worden ist. Das hat alles nichts mit dem zu tun, was dann im Jahr 2006 gewesen ist. Noch einmal: Zum Sommermärchen ist diese Weltmeisterschaft nicht deswegen geworden, weil 2000 eine WM-Vergabe erfolgt ist, sondern aufgrund des Ablaufs der Spiele, aufgrund der Art und Weise, wie leidenschaftlich in Deutschland der Fußball gelebt und gespielt worden ist – und das nicht nur in den Stadien –, und auch aufgrund der Tatsache, dass sich dann auch noch der Himmel entsprechend beteiligt hat mit vier Wochen schönstem Sommerwetter. In Bezug auf Ihre Frage, ob ich das ausschließen kann, muss ich sagen, dass der Freshfields-Report festhält, dass die juristische Bewertung dieser Vorgänge … Kastan: Sie haben initiiert, dass da eine Kommission, in diesem Fall eine Rechtsanwaltskanzlei, diese Vorgänge genau unter die Lupe nimmt. Koch: Genau, in der Spitze des DFB haben wir das sofort so beschlossen. Wir haben vor allen Dingen auch initiiert, dass dieser Abschlussbericht ins Internet gestellt und damit für jeden abrufbar und zugänglich gemacht worden ist. Es kann sich also jeder selbst ein Bild davon machen, was aufgeklärt werden konnte. Dieser Abschlussbericht sagt: Das Ganze war juristisch sauber, es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die WM gekauft worden ist, es gibt aber auch keine, dass sie nicht gekauft worden ist. An dieser Stelle muss sich also dieser Bericht ein wenig im Vagen aufhalten. Aber ich gebe doch zu bedenken, dass die Zahlungsvorgänge, um die es im Wesentlichen ging – zentral war eine Geldzahlung über 6,7 Millionen Euro –, alle erst weit nach der Vergabeentscheidung der Fußballweltmeisterschaft erfolgt sind. Deshalb haben alternative Theorien, wofür dieses Geld benutzt worden ist – dass nämlich z. B. zum Erlangen von Zuschüssen für das deutsche WM-Organisationskomitee vonseiten der FIFA eine sehr undurchsichtige Kasse gebildet worden ist oder dass es gebraucht wurde für eine Wahlkampfhilfe bei Wahlkongressen – genauso viel oder sogar noch mehr für sich wie die Argumentation, die damals im Magazin "Der Spiegel" vorgetragen worden ist. Kastan: Bedauern Sie, dass dadurch das Image von Franz Beckenbauer, dem "Kaiser", der fußballerischen Lichtgestalt in Deutschland, und auch von Wolfgang Niersbach, der bis letzten Sommer über viele Jahre hinweg in verantwortlicher Position beim DFB gewesen ist, doch ziemlich ramponiert worden ist? Koch: Das ist sowohl für die betroffenen Personen sehr traurig und sehr bedauerlich wie auch für den Fußball im Ganzen bis hin zum DFB. Bei Franz Beckenbauer muss man aber auch ganz deutlich sagen: Wir haben es hier mit einem Ausschnitt seines gesamten Schaffens zu tun. Wenn man die Bewertung eines Menschen vornimmt, dann bitte ich doch zu sehen, was Franz Beckenbauer alles an Positivem geleistet hat: Er war Nationalspieler, Weltmeister, Weltmeistertrainer, mehrfacher Deutscher Meister usw. Ich könnte mit der weiteren Aufzählung sicherlich die nächsten fünf Minuten Sendezeit füllen. Deswegen muss das alles getrennt werden. Bei der Frage nach der Verwendung dieser 6,7 Millionen Euro hätte ich mir allerdings doch von allen Beteiligten mehr Kommunikation mit uns gewünscht – und das gilt ganz besonders für Wolfgang Niersbach, der vor zehn Jahren im Organisationskomitee eher für die Organisationsangelegenheiten zuständig gewesen ist und sich nicht ums Geld gekümmert hat. Es war im letzten Sommer aus meiner Sicht völlig inakzeptabel, dass sich die betroffenen Personen über Monate hinweg zusammengesetzt und überlegt haben, wie sie bestimmte Vorgänge bewerten, wie sie damit umgehen, während die Spitze des Deutschen Fußball-Bundes, also Herr Rauball, Herr Grindel, ich und auch die anderen Präsidiumsmitglieder mehr als ein Vierteljahr lang mit nicht einer Silbe informiert worden sind über die Erkenntnisse, die spätestens im Frühjahr 2015 deutlich geworden sind. Kastan: Das frage ich mich bei vielen Skandalen, übrigens auch in der Politik: Warum wird die Wahrheit immer erst scheibchenweise rausgegeben? Irgendwann kommt eh alles ans Licht: Warum setzt man sich da dann in den Bunker und sagt nichts mehr? Wenn man von anderen Vorfällen doch sowieso weiß, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Koch: Es hat halt keiner eine dreijährige Ausbildung im Umgang mit Skandalen. Wahrscheinlich würden die Beteiligten heute auch sagen, dass es viel klüger gewesen wäre, sofort und umfassend jedenfalls zunächst einmal das DFB-Präsidium über diese ganzen Vorgänge zu informieren und dann gemeinsam zu überlegen, wie man der deutschen Fußballöffentlichkeit diese Vorgänge erklärt. Natürlich wäre es, wie ich im Rückblick sagen würde, besser gewesen, wir hätten von uns aus – wie wir das später beim Freshfields-Report ja gemacht haben – diese Vorgänge selbst erklärt, als von der ganzen Thematik – ausgelöst im Magazin "Der Spiegel" – überrollt zu werden. Denn auf diese Weise waren wir gezwungen, damit anzufangen, diese Sachen Stück für Stück selbst zu rekonstruieren. Kastan: Sie haben dann zusammen mit versucht, den DFB neu aufzustellen und ihm teilweise einfach auch neue Strukturen zu geben. Sie wollten sicherstellen, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Koch: Ich hoffe, wir haben das nicht nur versucht. Ich weiß nicht, wie Sie das bewerten, aber im Rückblick betrachtet kann ich doch sagen, dass uns das ganz gut gelungen ist. Kastan: Was war denn die wichtigste Veränderung, die Sie herbeigeführt haben? Koch: Die wichtigste Entscheidung war meiner Meinung nach, dass das gesamte DFB-Präsidium sofort gesagt hat: "Wir dürfen hier überhaupt nichts unter den Teppich kehren, das muss alles transparent gemacht, aufgedeckt, offengelegt werden. Und zwar nicht nur in internen Reports, sondern so, dass sich z. B. auch der Sportchef des Bayerischen Fernsehens das anschauen und gegebenenfalls sagen kann: "Da bleiben aber Fragen offen. Diese Fragen formuliere ich jetzt." Er kann dann also formulieren: "Warum habt ihr dieses oder jenes nicht gemacht?" Für mich war nämlich vollkommen klar, dass wir dann, wenn eine solche Situation eingetreten wäre, auch noch die entsprechenden weiteren Untersuchungen gemacht hätten. Der zweite wichtige Punkt war, dass es extrem wichtig war, die Einheit des deutschen Fußballs, also das Zusammenwirken von professionellem Spitzenfußball, Bundesliga, DFL, Ligaverband und dem Amateurfußball, also den Landesverbänden, und der Zentralverwaltung im DFB zu erhalten. Ich bin deswegen im Rückblick auch sehr, sehr glücklich, dass es Reinhold Rauball und mir gelungen ist, in diesen ganzen Monaten den DFB in einer Doppelspitze konfliktfrei zu führen. Ich hatte von Anfang an vorgeschlagen, dass wir bis zum Beginn der Fußballeuropameisterschaft in Frankreich wieder voll aufgestellt sein sollten. Wir haben im April 2016 einen neuen DFB-Präsidenten gewählt. Wir mussten uns ja auch vom DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock trennen und haben mit Dr. Curtius einen jungen Mann als neuen Generalsekretär gefunden. Wir mussten uns leider Gottes auch vom stellvertretenden Generalsekretär, dem Personal- und Finanzchef trennen. Auch dort ist es uns gelungen, einen absoluten Spezialisten als Nachfolger zu gewinnen. Mir und den anderen Kollegen war es übrigens auch sehr wichtig, dass wir uns hier einen Fachmann geholt haben, den niemand gekannt hat. Die Vorgabe lautete nämlich: Das muss erstens ein Fachmann sein und zweitens jemand, den wir im Fußballgeschäft eben nicht schon kennen. Es sollte also jemand sein, der völlig neu und vollkommen unvoreingenommen und nur ausgestattet mit dem eigenen Fachwissen an die Sache herangeht. Das ist uns mit Herrn Dr. Bergmoser auch so gelungen. Es war natürlich auch noch notwendig, Antworten auf eine Reihe von offenen Fragen zu finden und wir haben ja im Jahr 2016 zwei DFB- Bundestage zu bewältigen: Wir hatten im April 2016 eben diesen außerordentlichen DFB-Bundestag mit der Wahl von und wir werden im November 2016 den regulären Verbandstag haben mit generellen Neuwahlen und mit einer strukturellen Neuaufstellung in einigen Bereichen wie z. B. der Zusammenführung aller wirtschaftlichen Aktivitäten des DFB in einer Tochtergesellschaft. Kastan: Es gab dann lange Zeit das Gerücht, dass Sie eventuell der neue Präsident des DFB werden sollten. Es waren auch noch ein paar andere Namen immer wieder im Gespräch, wie z. B. der von Reinhard Grindel, der es dann ja auch geworden ist. Warum haben Sie nicht kandidiert? Koch: Gerüchte haben leider Gottes auch immer etwas damit zu tun, dass man der Person, die von einem Gerücht betroffen ist, nicht glaubt. Es gibt von mir nicht eine einzige Aussage, die darauf hindeuten würde, dass ich an dieser Position je ein persönliches Interesse gezeigt hätte. Ich finde, man hätte mir das auch durchaus abnehmen können, denn als es vor vielen Jahren um die Frage ging, ob ich Präsident des Bayerischen Fußball- Verbands werden möchte, habe ich sofort ja gesagt und habe nie ein Hehl daraus gemacht. Diese Position – wir sprachen schon davon – an der Schnittstelle zwischen Amateur- und Profifußball hat mich einfach interessiert, ich wollte dort u. a. auch Interessenvertreter des Amateurfußballs sein. Warum habe ich dieses Amt beim DFB nicht machen wollen? Es gibt eine ganze Reihe von Gründen dafür. Erstens finde ich, dass man in seinem Leben nicht bei jeder Funktion, die man übernimmt, bereits nach einer Stunde überlegen sollte, was man als Nächstes werden möchte. Ich bin nämlich sehr zufrieden mit der Situation, in der ich mich befinde. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich beruflich das werden konnte und durfte, was ich wollte. Ich habe das Jurastudium mit dem Wunsch begonnen, Richter zu werden … Kastan: Das sind Sie ja auch noch nach wie vor im Hauptberuf. Koch: Ja, ich bin das nach wie vor. Ich bin in der glücklichen Situation und sehr dankbar dafür, dass mir das Bayerische Justizministerium ermöglicht hat, als Richter auf eine Halbtagsstelle zu wechseln – natürlich auch nur mit halbem Gehalt. Ich bekomme allerdings diesen Verdienstausfall durch den Deutschen Fußball-Bund ersetzt. Ich bin also heute auf einer halben Stelle mit 20 Stunden in der Woche, was auch gut zu leisten ist, Richter am Oberlandesgericht in München im Revisionssenat in Strafsachen. Darüber hinaus kann ich eben meine Tätigkeiten im DFB und im Bayerischen Fußball-Verband ausüben. Ich habe meine Familie hier in der Nähe von München und ich habe ja vorhin schon gesagt, dass ich überzeugter Poinger bin und … Kastan: Sie sind dort auch Gemeinderat. Koch: Ja, aber inzwischen nur noch in einer Hinterbänklerposition und glücklicherweise von allen akzeptiert und respektiert. Ich gehöre keinem Ausschuss mehr mit an und deswegen … Kastan: Sie sind dort quasi der Elder Statesman. Koch: Ja, und es ist eine sehr angenehme Situation, wenn man das mit unter 60 Jahren so von sich sagen kann. Nein, im Ernst, ich bin in keinem Ausschuss mehr drin, sodass sich die Zahl der Sitzungen pro Jahr im einstelligen Bereich bewegt. Das ist überschaubar. Ich mache das aber auch sehr gerne, weil ich auf diese Weise den Kontakt zu meinem Heimatort behalte. Ich habe das Gefühl, dass es andererseits in Poing durchaus geschätzt wird, auf diese Weise auch Verbindungen in größere gesellschaftliche Kreise zu haben. Kastan: Im Zusammenhang mit der Wahl des neuen DFB-Präsidenten – das wurde dann, wie erwähnt, Reinhard Grindel – gab es ja auch eine Diskussion, die von den Profivereinen vorangetrieben wurde, denn diese sagten: "Der zukünftige Präsident sollte das hauptamtlich machen." Das sollte also niemand sein, der wie Sie noch einen Beruf hat. Herr Grindel ist ja auch noch Bundestagsabgeordneter. Wäre es nicht in der Tat vernünftig, zu sagen, dass dieses Amt in Zukunft ein Hauptamtlicher übernehmen soll? Oder hat es doch Vorteile, wenn das jemand ehrenamtlich macht? Koch: Der Begriff "Ehrenamt" ist in diesem Zusammenhang meiner Meinung nach nicht so richtig angebracht. Herr Grindel hat ja bereits vor seiner Wahl erklärt, dass er zum 3. Juni 2016 sein Mandat als Bundestagsabgeordneter niederlegen wird. Er wird dann in diesem Wahlamt die ganze Woche über nur noch DFB-Präsident sein. Natürlich ist das im allgemeinen Sprachgebrauch eher eine hauptberufliche Angelegenheit. Aber das, was dahintersteht und was man klar sehen muss, ist Folgendes: Der DFB ist keine Aktiengesellschaft, und deswegen können wir hier auch keine CEO-Lösungen anstreben. Denn sonst könnte man ja auch die Frage stellen, warum die Bundesregierung, warum das Kabinett nicht wie eine Aktiengesellschaft organisiert ist, warum Frau Merkel nicht genauso viel Geld verdient wie der Vorstandsvorsitzende eines DAX-geführten Unternehmens. Die Antwort ist ganz klar: weil die Bundesregierung die Bevölkerung im Ganzen vertritt. Der Deutsche Fußball-Bund seinerseits ist eine gemeinnützige Organisation, in der kommerzieller Spitzensport und Amateurfußball vereint sind. Deswegen muss das, was dort den Entscheidungsträgern an Geldern, an Entgelten bezahlt wird, in den Augen der Gesamtbevölkerung, in diesem Fall in den Augen der kleinen Fußballvereine auch vertretbar, verantwortbar sein. Deswegen darf aus meiner Sicht ein DFB-Präsident auch auf gar keinen Fall mehr Geld bekommen im Jahr als meinetwegen die Bundeskanzlerin. Aus diesem Grund ist Herr Grindel weder ehrenamtlich noch sozusagen hauptberuflich beschäftigt. Er bekommt eine Aufwandsentschädigung, die man, da sie bekannt ist, auch durchaus nennen kann: Sie beträgt 7200 Euro im Monat. Im gleichen Umfang kann ihm auch noch Verdienstausfall gezahlt werden, sodass dann 14400 Euro herauskommen. Wenn man das entsprechend multipliziert und sonstige Abzugsbeträge, die man in diesen Funktionen noch mit dazu hat, mitrechnet, dann kommt für dieses Wahlamt als DFB-Präsident eine Aufwandsentschädigung heraus, von der man auch gut leben kann. Deswegen glaube ich, dass an dieser Stelle auch kein Änderungsbedarf gegeben ist. Kastan: Und das ist natürlich auch kein Job, der sich auf acht Stunden pro Tag beschränkt. Koch: Ja, das gilt bei solchen Funktionen immer. Das gilt auch für einen Vereinsvorsitzenden. Ein solcher Job ist nur geeignet für Menschen, die das leidenschaftlich gerne machen. Das trifft ja auch auf mich zu. Ich stelle mir eben auch nicht die Frage, was Arbeit und was Freizeit ist. Was ist z. B. dieses Gespräch, das wir gerade führen? Ist das Arbeit, ist das Lobbyarbeit für den Sport? Oder ist das mein Freizeitvergnügen? Wenn man in solchen Funktionen ist, dann vermischt sich das alles viel mehr, als das im Berufsleben der meisten Fernsehzuschauer der Fall sein dürfte. Denn die meisten Menschen trennen ja sehr klar, können sehr klar trennen zwischen Familien- und Berufsleben und möglicherweise einem Hobbybereich. Wenn man jedoch in einer Funktion wie ich ist, dann geht alles ständig ineinander über, dann stellt man sich auch nicht so sehr die Frage, ob ein Zeiteinsatz dem beruflichen oder dem Freizeitbereich zuzuordnen ist. Kastan: Lobbyarbeit für den Sport ist das für uns natürlich nicht, für Sie kann es das sein. Wir hingegen wollen einfach Sie als Person, als den Menschen Rainer Koch näher kennenlernen. Ich finde, Sie erzählen ja auch sehr lebendig, was Sie zu diesen Funktionen geführt hat, und ebenso über Ihr Leben. Koch: Ich hoffe, es kommt rüber, dass ich wirklich glücklich darüber bin, dass ich das, was ich machen darf, sehr gerne mache. Dafür bin ich sehr dankbar. Kastan: Das ist wirklich ein Glück, denn es gibt ja viele, die ihren Beruf nicht mögen und die froh sind, wenn sie abends nach Hause kommen oder wenn das Wochenende anfängt. Ein Wochenende in diesem Sinne kennen Sie natürlich auch nicht, denn da müssen Sie immer zu irgendwelchen Fußballspielen fahren oder irgendwelche Sitzungen besuchen. Koch: Wenn Ihre Aussage, dass ich zu irgendwelchen Spielen fahren "muss", zuträfe, dann würde das in der Tat zum Stress ausarten. Ich werde nämlich oft gefragt, ob das, was ich da mache, nicht furchtbar stressig sei. Ich glaube jedoch, dass Stress erst dann gegeben ist, wenn man etwas tun muss oder wenn man etwas macht, was man in Wahrheit gar nicht machen möchte und sich lediglich verpflichtet fühlt. Kastan: Sie hingegen machen das gerne. Koch: Solange es so ist, dass ich das gerne mache und mich eben nicht gestresst fühle, solange werde ich auch gerne dabei bleiben. Kastan: Lassen Sie uns jetzt mal den Fußball insgesamt anschauen. Die Stadien sind voll – nicht bei allen Vereinen, aber bei vielen Vereinen. Sie sind ja eher der Vertreter des Amateurfußballs: Ist es dort auch so, dass das Interesse am Fußball eher zunimmt? Oder ist dort doch langsam eine gewisse Grenze erreicht? Koch: Man darf nicht übersehen, dass wir hier in Deutschland, wenn wir die dritte Liga noch mit dazu nehmen, 56 Bundesligavereine haben, die zusammen 28 Spiele am Wochenende bestreiten. Tatsächlich finden alleine in Bayern an jedem Wochenende 15000 Fußballspiele statt, auf Deutschland hochgerechnet sind das weit über 70000. Wenn bei jedem dieser 70000 Spiele auch nur 30 Menschen vor Ort zuschauen, dann wären das schon über zwei Millionen Menschen – und damit weit, weit mehr, als an jedem Wochenende Menschen in Bundesligastadien strömen. Wir haben tatsächlich genaue Zahlen, die belegen, dass sich an jedem normalen Fußballwochenende in Bayern etwa 1,1 Millionen Menschen auf den Plätzen der 4500 Amateurfußballvereine aufhalten. Deswegen kann ich sagen, dass die Begeisterung für den Fußball auch im Amateurbereich ungebrochen ist. Dass sich die Gesellschaft insgesamt verändert hat, dass sich die Freizeitmöglichkeiten sehr stark verschoben haben, ist bekannt und auch nichts Ungewöhnliches. Das führt im Ergebnis dazu, dass eben nicht mehr wie früher die Menschen in den Dörfern an jedem zweiten Wochenende zum Heimspiel ihres Amateurvereins gehen. Die Gesellschaft insgesamt wird immer mehr eventisiert und deswegen stehen oft nur mehr besondere Ereignisse im Fokus. Das muss man im Amateurfußball anerkennen: Die Menschen begeistern sich unter dem Eventaspekt natürlich ganz besonders für den Spitzensport. Wenn die Bundesliga spielt, ist das auch die bessere Sportqualität, das ist klar. Aber der Amateurfußball hat auch seinen Platz. Er hat zum einen die Menschen, die sich ihm sehr stark verschrieben haben … Kastan: Auch mit dem Herzen. Koch: Ja, auch mit dem Herzen. Und man kann in den Dörfern auch heute immer noch sehr, sehr viele Menschen begeistern und erreichen für einzelne, spezielle und herausragende Ereignisse. Gerade in Bayern versuchen wir uns ja im Amateurfußball darauf einzustellen, indem wir die Relegationsspiele am Ende der Saison besonders in den Vordergrund stellen, indem wir auch den Landesverbandspokal versuchen, besonders herauszuheben usw. Wir haben im Jahr 2016 dank der ARD ja auch zum ersten Mal die Möglichkeit gehabt, alle Landespokalendspiele – also auch unseres in Bayern – in einer Konferenzschaltung im Fernsehen zeigen zu können. Wir versuchen, unsere Amateurspitzenligen durch eigene Medienaktivitäten über das Internet entsprechend aufzubereiten. Ich freue mich, dass auch das Bayerische Fernsehen an der immer mehr Gefallen findet. Kastan: Das ist eine spannende Liga – wie gesagt, nicht ganz die Klasse und das Niveau wie in der Bundesliga, aber da steckt schon sehr viel Herz dahinter. Koch: Ja, da steckt Herz dahinter und die Berichterstattung darüber ist auch ganz im Interesse der Zuschauer. Kastan: Ja, absolut. Koch: Ich verstehe ja, dass die Vertreter der anderen Sportarten das immer nicht so gerne hören, aber der Fernsehbericht über ein Regionalligaspiel wie meinetwegen das zwischen dem TSV Buchbach und Jahn Regensburg, der letztens gezeigt wurde, hat halt erheblich mehr Zuschauer als andere Ballsportarten, selbst wenn dort Spiele aus der jeweiligen Bundesliga übertragen werden. Kastan: Ja, das ist absolut so. Koch: Deswegen werbe ich immer ein bisschen dafür, dass man auch dem Amateurspitzenfußball, der eben so viele Freunde hat, seinen Raum gibt. Ich bitte da auch die anderen Sportarten, zu verstehen, dass wir uns mit dem Argument, dass im Fernsehen doch ohnehin schon so viel Fußball vom FC-Bayern gezeigt wird, nicht zufriedengeben können. Der Amateurspitzenfußball etwa in der Regionalliga sieht sich hier sozusagen im Diskussionswettstreit mit anderen Sportarten. Ich plädiere dafür, dass da ein entsprechender Mix gefunden wird. Ich denke, da sind wir in Bayern ja auch auf einem guten Weg. Kastan: Wir berichten im BR-Fernsehen ja auch über die unteren Fußballklassen wie auch über den FC-Bayern und die Bundesligavereine. Aber wir berichten natürlich auch über andere Sportarten. Gibt es denn eine Sportart, die Sie jenseits vom Fußball auch noch interessiert und die Sie womöglich selbst ausüben? Koch: Jetzt nicht mehr, aber als Jugendlicher habe ich sogar Basketball gespielt. Wir hatten in München am Wilhelmsgymnasium eine Schulmannschaft, die sehr erfolgreich war. Ich habe damals bis rauf zur obersten Schülerliga gespielt. Wenn wir hier nicht sitzen würden, dann würde man aber sehr schnell sehen können, warum ich mit 14 Jahren das Basketballspielen aufgehört habe – weil ich einfach zu klein dafür war. Kastan: Da fehlten einfach ein paar Zentimeter. Koch: Da fehlten nicht nur ein paar Zentimeter, sondern ganz viele. So bin ich dann eben wieder zum Fußball zurückgekehrt. Kastan: Dahoam is dahoam. Koch: Ja, und ich bin auch ein begeisterter Fernsehsportler, was den American Football betrifft: Einmal im Jahr, wenn die Playoff Season ist, gibt es wirklich lange Nächte für mich. Ansonsten gibt es ganz, ganz viele Sportarten, die ich mir wirklich gerne anschaue. Ich freue mich auch, dass der Sommerurlaub 2016 in Rio bei den Olympischen Spielen sein wird. Kastan: Ich danke Ihnen herzlich für den Besuch bei uns, es war schön, mit Ihnen zu sprechen. Unser Gast heute war Dr. Rainer Koch, 1. Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes und vor allem Präsident des Bayerischen Fußball-Verbands. Vielen Dank für den Besuch. Koch: Gerne, danke schön.

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