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Band 24 Band

Meer und Museum Band 24

Aufgelegtes Zeesenboot im Hafen von Lauterbach (Rügen); Lithografie von Joachim Daerr, um 1940.

Alles Handarbeit – kleine · 2012 Fischereifahrzeuge an der Ostseeküste Meer und Museu m Meer und Museum Band 24

Schriftenreihe des Deutschen Meeresmuseums und OZEANEUMs · 2012 Dr. Wolfgang Rudolph bei der Konzeption neuer Vorhaben (2009).

Widmung

Dr. Wolfgang Rudolph, 1923 als Sohn eines Oderschiffers in Breslau geboren, hatte bereits durch seine Herkunft einen Bezug zur maritimen Kultur. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er als frei- er Journalist und ehrenamtlicher Leiter des Heimatmuseums in auf Rügen. Seine Interessen und das museale Arbeitsfeld führten dazu, dass er die Überlieferungen zur Seefahrts- und Fische- reigeschichte der Insel sammelte und dokumentierte. Ergebnis war das Buch „Insel der Schiffer“, das 1962 erstmalig erschien. Diese Arbeiten mündeten 1957 in ein volkskundliches Studium, wel- ches er 1965 mit der Promotion zum Thema „Übergangsformen zwischen Einbaum und Planken- boot an der südlichen Ostseeküste“ abschloss. Es folgten u. a. ein „Handbuch der volkstümlichen Boote im östlichen Niederdeutschland“ (1966) und die „Segelboote der Deutschen Ostseeküste“ (1969). In über 200 weiteren wissenschaftlichen und populären Publikationen veröffentlichte er die Ergebnisse seiner breit angelegten Feldforschungen in der Region.

Wolfgang Rudolphs Lebenswerk ist aufs Engste mit der Erforschung der maritimen Arbeits- und Lebenskultur an der vorpommerschen Küste verbunden. Seine Arbeiten liefern wichtige Grundla- gen zur Dokumentation der traditionellen Handwerke und der alten Technologien. Sie umfassen viele Facetten des maritimen Alltagslebens und beschreiben Veränderungen im Zuge des struk- turellen Wandels der Fischerei in den vergangenen Jahrzehnten. Die unmittelbare Protokollierung auch der jeweiligen Gegenwartssituation ist dabei ein wichtiger Grundsatz seiner Arbeit.

Das Deutsche Meeresmuseum bemüht sich um die Bewahrung von Sachzeugnissen, zu denen besonders auch die Arbeitsboote der traditionellen Küstenfischerei zählen. Seine umfangrei- chen Sammlungen zur Geschichte der regionalen Fischerei – wie z. B. 55 originale, teils funk- tionsfähige Bootsmotoren – verdankt das Museum zum Großteil Wolfgang Rudolph. Auch als Mitglied im wissenschaftlichen Beirat förderte er das Museum während der 1970er Jahre. In Anerkennung seiner langjährigen Arbeit und Verdienste um die gemeinsamen Anliegen und zum Dank widmet das Deutsche Meeresmuseum Dr. Wolfgang Rudolph den vorliegenden Band der Reihe MEER UND MUSEUM mit dem Titel „Alles Handarbeit“. Inhalt Der Rostocker Kahn – J. von Fircks S. 103 ein Fahrzeug mit langer Tradition

Handwerk und Tradition M. Mäuslein S. 111 der Zeesenfischerei

Südschwedische Bootstypen in Pommern und auf W. Rudolph S. 123 Rügen – ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der deutschen Ostseekutter

Vorwort H. Benke und G.-B. Reinicke S. 7 Die Blekingseka – ein Bootstyp mit vielen K. Nilsson S. 130 Funktionen aus dem Südosten Schwedens

Editorial P. Danker-Carstensen S. 8 Fischereifahrzeuge an der Pommerschen Küste J. Litwin S. 138

Zur maritim-volkskundlichen Forschung an der W. Rudolph und W. Steusloff S. 11 deutschen Ostseeküste: die großflächigen Arbeiten Die Rückkehr des Kurenkahns – R. Adomavičius und S. 157 Segelboote der Fischer des Kurischen Haffs R. Adomavičius in Vergangenheit und Gegenwart SeaSide: EU-Projekt zur Dokumentation P. Danker-Carstensen S. 20 historischer Fischerei- und Arbeitsboote an der südlichen Ostseeküste Bauprogramme genormter Fischereikutter S. Möhrmann und M. Mäuslein S. 165 für die Ostsee

Zur Bedeutung der Fischerei für den frühneuzeit­ H. Porada S. 25 lichen Staatsaufbau an der südlichen Ostseeküste Bordtechnische und bootsbauliche W. Steusloff S. 185 Veränderungen in der Küstenfischerei von -Vorpommern seit 1990 Anmerkungen zum steten Wandel G. Wegner S. 43 der Küstenfischerei Modellbau von traditionellen Booten H. Olszak S. 193 der südlichen Ostseeregion Der traditionelle Holzbootsbau an der T. Förster S. 56 Küste von Mecklenburg-Vorpommern Das Jahr 2011 der Stiftung H. Benke und G.-B. Reinicke S. 199 Deutsches Meeresmuseum Vom Baumstamm zur Mutter aller Boote – J. Steinkühler und A. Dose S. 68 Das Projekt „Tradition und Meer“ zum Nachbau eines Einbaumes Buchbesprechungen S. 221

Der Nachbau eines Heuers aus Zempin/ P. Danker-Carstensen und S. 76 Englische Zusammenfassungen S. 224 im Rostocker Schifffahrtsmuseum A. Kiencke

Autorinnen und Autoren dieses Bandes S. 233 Historische Arbeits- und Fischereifahrzeuge P. Danker-Carstensen S. 83 in Museen an der deutschen Ostseeküste Fotonachweis S. 234

Die Entwicklung der Sammlung von Fischerei- M. Mäuslein S. 91 und Arbeitsbooten im Deutschen Meeresmuseum

4 5 Vorwort

Hölzerne Arbeitsboote der Fischerei sind das Thema des vorliegenden 24. Bandes von MEER UND MUSEUM. Unter dem Titel „Alles Handarbeit“ greift das Deutsche Meeresmuseum (DMM) damit ein Arbeitsfeld auf, das im Zentrum seiner regionalen Verankerung und Ausstrahlung steht. Die traditionel- le Küstenfischerei, verbunden mit überlieferten Handwerkstechniken des Bootsbaus, ist ein integraler Bestandteil der maritimen Arbeitskultur in der Küstenregion Mecklenburg-Vorpommerns. Mit dem ak- tuellen Wandel und Rückgang der gewerblichen Fischerei drohen auch die althergebrachten Gewerke verloren zu gehen. Ihre Bewahrung in Form von Sachzeugnissen und Dokumenten, aber auch die weitere Vermittlung von Kenntnissen darüber sind Kernanliegen der Museumsarbeit.

Ein sichtbares Produkt der Tätigkeit des DMM ist mit aktuell rund 50 Booten und Kuttern die größte deutsche Sammlung von Wasserfahrzeugen, die in der Fischerei vor der Küste von Mecklenburg- Vorpommern sowie auf den - und Haff-Gewässern zum Einsatz kamen. Große Teile dieser Sammlung verdankt das Museum dem Volkskundler Dr. Wolfgang Rudolph, dessen langjähriges Wir- ken die Grundlagen zur Erforschung des maritimen Kulturwandels an der deutschen Ostseeküste legte. Dr. Rudolph dokumentierte den Wandel in vielen Facetten und unterstützte aktiv die Arbeit des Deutschen Meeresmuseums.

Im Zeitraum 2008 bis 2011 führte ein von der EU gefördertes Projekt u. a. fünf maritime Museen in Polen, Litauen, Schweden und Deutschland als Partner zusammen. Mit dem Ziel der „Entwicklung herausragender Kulturstandorte in der südlichen Ostsee-Region“ befassten sich die beteiligten Museen u. a. mit der Inventarisierung von Daten, Materialien und Objekten zu maritimen Traditio- nen und zum kulturellen Erbe, der Inventarisierung bestehender Bootswerften und Bootsbauplätze sowie der Entwicklung von Pilotprojekten im traditionellen Bootsbau. Einige der Ergebnisse dieses Projektes sind – auch von Kollegen aus den Partnermuseen in Danzig, Klaipeda, Karlskrona und – im vorliegenden Band enthalten. Sie belegen die Bedeutung, die Arbeitsboote der Fi- scherei im regional-historischen, alltagskulturellen Kontext hatten – und heute als zu bewahrendes maritimes Erbe der Ostseeregion weiterhin haben.

Unser Dank gilt allen Autoren, die trotz starker Arbeitsbelastung die Zeit zum Mitwirken gefunden haben. Sehr dankbar sind wir Dr. Peter Danker-Carstensen, dem Leiter des Rostocker Schiffbau- und Schifffahrtsmuseums, dessen fachliche Beratung und persönliches Engagement als Gasteditor die Arbeit der Redaktion sehr bereichert und den Band maßgeblich mitgestaltet haben. Besonderer Dank gilt auch dem Redaktionsteam Sylvia Burwitz, Michael Mäuslein und Dr. Thomas Förster, ohne deren Anregungen und geduldige, engagierte Unterstützung der Band in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen wäre.

Wir hoffen, dass die neue Ausgabe den Fragen der Bewahrung von geschichtlichen Dokumenten der maritimen Alltagskultur an der Ostseeküste weitere öffentliche Aufmerksamkeit gewinnt. Boote und Schiffe sind wichtige Bestandteile des Berufslebens zahlreicher Bewohner in unserer Land- schaft am Meer; ihre Bewahrung ist eine wichtige Aufgabe für das Deutsche Meeresmuseum.

Dr. Harald Benke Dr. Götz-Bodo Reinicke Direktor Redaktionsleiter Deutsches Meeresmuseum MEER UND MUSEUM

6 7 der Seemannschaft zu gewähren. Dass die Eigner dieser Schiffe gleichermaßen schwerwie- Editorial gende Probleme mit dem Erhalt und dem Betrieb ihrer Fahrzeuge haben, wie die Museen mit ihren Museumschiffen, liegt in der Natur der Sache.

Boote und Schiffe waren und sind wichtige Elemente im Berufsleben vieler Küstenbewohner, ihre Bewahrung eine wichtige Aufgabe für regionale oder nationale maritime Museen. Um diese Aufga- be erfüllen zu können, sind in den Museen bzw. den maritimen Sammlungen bestimmte materielle und personelle Voraussetzungen zu schaffen bzw. zu gewährleisten. Die Kosten für Instandhaltung und Pflege der Objekte sind ständig in den Kostenplänen der Museen zu verankern. Diese regel- mäßig wiederkehrenden Kosten sind meist einfacher zu planen, als jene für plötzlich erforderliche Reparaturen oder die Behebung von Havarien. Außerdem sind für den Erhalt von Wasserfahrzeu- gen auch Spezialkompetenzen und damit besonders qualifiziertes Personal erforderlich. Stehen diese Mittel nicht ständig und auf Dauer zur Verfügung, sind auch Schiffe in Museen über kurz oder SCHIFFE UND BOOTE IM MUSEUM – lang den Verfall ausgeliefert. ZUM SAMMELM UND ERHALT VON HISTORISCHEN WASSERFAHRZEUGEN Aber nicht nur der Mangel an materiellen Ressourcen bedroht die Erhaltung von maritimen Samm- lungsobjekten. Obwohl in zahlreichen Museen Boote und Schiffe öffentlich ausgestellt werden, „Надлежит вам беречь остатки кораблей, яхт и галер, а буде опустите, то взыскано будет на mangelt es trotz dieser kulturell wertvollen Objekte in vielen Häusern an der wissenschaftlichen вас и на потомках ваших“ Betreuung und Dokumentation der Sammlungen. Dieser Mangel an wissenschaftlicher Kompetenz Петр I degradiert viele Objekte oder ganze Sammlungen zu bloßen Sammelsurien von Dekorationsobjek- ten, deren Aussage sich darauf beschränkt, dass es in dieser Gegend früher wohl einmal so etwas „Ihnen obliegt die Pflicht, die Überreste der Schiffe, Jachten und Galeeren zu bewahren – wenn Sie wie Bootsbau, handwerkliche Fischerei und Schifffahrt gegeben haben muss. dies vernachlässigen, wird es Ihnen und Ihren Nachfahren nicht vergeben werden.“ Abgesehen von den immer recht hohen Erhaltungskosten für historische Wasserfahrzeuge steht Peter I., jedes Museum mit solchen Sammlungsobjekten vor der Frage, in welchem Zustand und zu wel- genannt „der Große“, russischer Zar und Großfürst (1682-1721), russischer Kaiser (1721-1725) chem Zweck die Objekte erhalten werden sollen. Die Beantwortung dieser Frage ist unter anderem abhängig von der definierten Sammlungspolitik jedes einzelnen Museums, von seinen materiellen und personellen Ressourcen und nicht zuletzt von der Entscheidung, ob das Schiff im schwim- Diese Ermahnung und Warnung des russischen Zaren, der einiges vom Schiffbau und wohl auch menden Zustand oder für immer an Land erhalten werden soll. Der zum Verständnis der Objekte von der Schifffahrt seiner Zeit verstand, hat auch heute noch ihre Berechtigung, wenngleich die notwendige Ortszusammenhang, im Falle von Schiffen also das Schwimmen der Objekte in einem Ausweitung auf mehrere Generationen heute so nicht mehr anwendbar scheint. Als Fingerzeig für Hafenbecken, oder, besser noch, die in Fahrthaltung kann bereits einen Konflikt zum quellenge- die Arbeit von Schiffbau- und Schifffahrtshistorikern sowie Sammlungsverantwortlichen in mariti- rechten Erhalt bedeuten, da schwimmende Objekte im Unterwasserbereich einem verstärktem men Museen haben diese Worte dennoch aktuelle Bedeutung. Verschleiß ausgesetzt sind, der eine regelmäßige Neubeschichtung erfordert. Andererseits ist es gerade für hölzerne Schiffe bzw. Boote oft dem Erhalt dienlicher, diese weiterhin in Fahrt und da- Die Bewahrung von historisch oder kulturell wertvollen Schiffen in Museen hat mehrere Aspekte. mit im Wasser zu belassen, auch wenn kleinere hölzerne Fahrzeuge während der Wintermonate an Zum einen geht es um die sachgerechte und nachhaltige Bewahrung bzw. den Erhalt von vorhan- Land gebracht werden müssen. denen Sammlungsobjekten, hier also von Booten und Schiffen, in Besitz und Verantwortung der Museen. Die meisten Museumsschiffe sind außer Dienst gestellte, zum Teil noch voll funktionstüch- Bei der Zweckbestimmung für Museumsschiffe stehen heutzutage mehr denn je pragmatische bzw. tige ältere oder besondere Schiffe, die beispielsweise in ihrer Bauart oder wegen ihrer Geschichte museumsorganisatorische Aspekte im Vordergrund. Wird ein Museumsschiff zukünftig zum Bei- selten oder einzigartig sind oder deren vergleichbare Bautypen durch Verschrottung und andere spiel als Ausstellungsraum, als Restaurant oder für Konferenzzwecke genutzt, ist damit immer eine Verluste selten geworden sind. Sie liegen entweder fest vertäut an einer Pier im Wasser oder sind Veränderung des ursprünglichen Charakters und eine Minderung der Quellenwerte des Objektes in Trockendocks oder auch an Land – teils auch in eigenen Gebäuden auf- und ausgestellt. Solche verbunden. Der weitere Umgang mit einem Museumsschiff bedeutet zudem immer eine allmähliche originalen Wasserfahrzeuge, hier als Museumsschiffe bezeichnet, finden sich meist mit regionaler Veränderung der Substanz. Deswegen ist eine rechtzeitige Definition des mit der Erhaltung verbun- Provenienz in den Sammlungen fast aller Schifffahrtsmuseen bzw. maritim-ethnografischer Museen. denen Zieles wesentlich. Veränderungen am Objekt, egal ob sie als Konservierung, Restaurierung oder Umbau zu verstehen sind, müssen dokumentiert werden. Die Zielsetzungen zum Erhalt eines Außerhalb dieser Betrachtung bleiben die so genannten „Traditionsschiffe“, also alte Wasserfahr- Schiffes legen gleichzeitig Fragestellungen an das Objekt fest. Bestimmte Schiffe werden als Quel- zeuge, die in Fahrt gehalten oder als schwimmende Denkmäler in Museumshäfen oder den Lie- le für bestimmte Fragen erhalten. Um aber als Quelle dienen zu können, ist weniger der konkrete geplätzen von Schifffahrtsmuseen vor Anker liegen. Der Begriff „Traditionsschiff“ hat zwei ver- Umgang mit dem Schiff entscheidend, als vielmehr die Art der Entscheidungsfindung und der Doku- schiedene Bedeutungen: Im Volksmund werden als „Traditionsschiffe“ ältere Schiffe und Boote mentation. Das Bewusstsein, dass ein historisches Schiff, wenn es als solches erhalten werden soll, bezeichnet, die weitgehend in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten sind oder in einen derartigen ein unwiederbringliches Original ist, erfordert für jede Veränderung eine begründete Entscheidung. Zustand zurückversetzt wurden, aber nicht zwingend einen Originalzustand darstellen. Sie werden Der Anspruch, ein Schiff „nur“ als Quelle und Dokument für die wissenschaftliche Bearbeitung zu häufig für vielfältige Veranstaltungen der maritimen Traditionspflege eingesetzt – spektakulärstes erhalten, ist auch in einem Museum nicht einzulösen, sondern relativiert sich vor dem Hintergrund Beispiel sind wohl die großen noch fahrenden Windjammer. Eine mehr formale Definition und zu- der Ziele und Ansprüche, der Fragestellungen, Interessen und Möglichkeiten des Museums. gleich ein rechtlich bindender Begriff für „Traditionsschiff“ wird in mehreren europäischen Ländern für in der Regel ältere oder traditionell betriebene Schiffe verwendet, die zum Erhalt von Schiff- Angesichts der Tatsache, dass wir historische Schiffe und Boote als Teile des kulturellen Erbes fahrtstraditionen erleichterte Auflagen für Sicherheitszeugnisse und Befähigungszeugnisse der einer Gesellschaft betrachten, ist die Erhaltung solcher Wasserfahrzeuge in Museen also grund- Besatzungsmitglieder erfüllen müssen. Diese Traditionsschiffe werden auch von Museumshäfen, sätzlich positiv zu bewerten. Diese Tatsache mindert jedoch nicht die umfangreiche Verantwortung Einzelpersonen oder Betreibergesellschaften und -gemeinschaften unterschiedlicher Rechtsform des Museums, wenn es zu entscheiden gilt, ob ein außer Dienst und Funktion gestelltes Schiff zu in oft mühsamer Arbeit unterhalten, um Einblick in frühere Epochen der Schifffahrt, des Schiffbaus verschrotten oder zu musealisieren ist.

8 9 Vor solchen Entscheidungen – mit allen damit verbundenen „teuren“ Konsequenzen – stehen Mu- seen, die sich dem Sammeln von hölzernen Arbeits- und Fischereifahrzeugen verschrieben haben, Zur maritim-volkskundlichen Forschung heute öfter denn je. In mehreren Beiträgen des vorliegenden Bandes wird die Problematik behan- delt, dass mit dem immer weiteren Rückgang der gewerblichen Fischerei und anderer verwandter maritimer Berufszweige ein immer größer werdendes „Angebot“ an ausgedienten und ausgemus- an der deutschen Ostseeküste: terten Fischereifahrzeugen verbunden ist. Nur ein kleiner Teil dieser Boote kann in Privathand – meist als Sport- oder Freizeitboot umgebaut – weiter in Fahrt bleiben. Für eine immer größer die großflächigen Arbeiten werdende Zahl von Booten kommt deshalb die (Auf-) Bewahrung in einem Museum in Frage.

Diese Tatsache betrifft nun den zweiten Gesichtspunkt dieser Thematik, nämlich das Sammeln – Wolfgang Rudolph und Wolfgang Steusloff eine weitere Hauptaufgabe der Museen. Museen, die die Aufgabe haben, die Schifffahrtsgeschich- te einer Region oder eines Landes zu dokumentieren, stehen bei der Musealisierung von Schiffen und Booten, die aus der Nutzung genommen worden sind, oft vor großen Herausforderungen. Da mit der Übernahme von Wasserfahrzeugen immer auch weitere Kosten für deren Erhalt verbunden Eine wünschenswerte aktuelle Übersicht zur scherboote in Deutschland, und zwar über die sind, sollten nur schifffahrtsgeschichtlich bedeutende Fahrzeuge für die Übernahme ausgewählt maritim-volkskundlichen Forschung im gesam- Boote des Kurischen Haffs, verfasst von Ernst werden. Bei der Musealisierung eines Schiffes ist es wichtig, sich darüber bewusst zu werden, ten südlichen Ostseeraum, die Arbeiten aus Ancker in Ruß (Ancker, 1880). Noch in den worin jeweils der kultur- bzw. schifffahrtshistorische und der museale Wert des Objektes bestehen. Schweden, Dänemark, Deutschland und Polen 1880er Jahren folgten weitere Beiträge über die Dies ist einerseits eine museologisch-theoretische aber zugleich eine recht konkrete, weil an den zusammenfasst, kann aufgrund ihres Umfangs volkstümlichen kleinen Wasserfahrzeuge, deren Möglichkeiten und Sammlungsschwerpunkten des jeweiligen Museums zu messende Fragestel- an dieser Stelle nicht veröffentlicht werden. Als Erforschung 1898 mit der Publikation von Pau- lung. Ein Schiff ist nicht nur weil es alt ist, Kulturgut, sondern es ist zunächst einmal „Schrott“. Die Desiderat erscheint das jedoch nur im Hinblick lus Schiemenz` Monografie über die Zeesenfi- Transformation zum Kulturgut geschieht erst durch die begründete Auswahl und bewusste Ent- auf die letzten drei Jahrzehnte, weil zu diesem scherei und das Zeesboot in den Gewässern um scheidung der Fachleute, indem es eine neue gesellschaftliche Funktion als Museumsobjekt erhält. Thema bereits publiziert worden ist: „Ein Jahr- Rügen und Stralsund einen ersten Höhepunkt Es ist also darüber zu entscheiden, wann ein Objekt – im vorliegenden Band also meist ein Boot hundert maritime Volkskunde im Ostsee- und erreicht hat (Schiemenz, 1898). oder ein kleines Schiff – es wert ist, in eine Museumssammlung aufgenommen und dort bewahrt, Nordseeraum. Von der Bootskunde zur Erfor- dokumentiert und im besten Falle auch restauriert zu werden. Um die Entscheidung zu begründen schung der maritimen Kultur“ lautet der Titel je- Durch Wrackfunde in Ostpreußen und Ost- und nachvollziehbar zu machen, ist eine umfassende Bewertung und Dokumentation des Objektes nes Jahrbuchbeitrages von Wolfgang Rudolph, pommern (Baumgart 1894, Frauenburg 1895, notwendig. Einfluss auf diese Entscheidung haben unter anderem auch die Sammlungspolitik bzw. in dem die im Untertitel genannte forschungs- Charbrow 1897) erhielt die Bootsforschung in der Sammlungsschwerpunkt des jeweiligen Museums. Das bedeutet auch, dass ein ausgewähltes geschichtliche Entwicklung bis zum Zeitpunkt Deutschland einen zweiten Anstoß zur rasche- Boot oder Schiff in einem Museum eine willkommene Bereicherung der Sammlung darstellen kann, der Veröffentlichung (1981) aufgezeigt wird. ren Weiterentwicklung. Auf Anregung von Albert während das gleiche Objekt von einem zweiten Museum zurückgewiesen würde. 1992 folgte aus der selben Feder ein Aufsatz Voß, der 1899 einen Aufsatz „Zu den Schiffs- über „Maritim-volkskundliche Inventarisationen funden“ publizierte, startete die Deutsche Ge- Wie diese theoretischen aber auch museumspraktischen Fragen, die mit dem Thema „Fischerei- im Ostseeraum“, der den aktualisierten For- sellschaft für Anthropologie, Ethnologie und und Arbeitsboote in Museen und Sammlungen“ verknüpft sind, in den einzelnen Museen – sowohl schungsstand bilanziert. Deshalb behandelt Urgeschichte im Jahr 1900 eine großangeleg- an der deutschen Ostseeküste als auch in anderen Ostseeanrainerländern – behandelt werden, der folgende Beitrag als Kompromiss geogra- te bootskundliche Fragebogenaktion zum Ge- wird in mehreren Beiträgen des vorliegenden Bandes thematisiert. Möge er einen Beitrag zur Be- fisch nur die deutsche Ostseeküste und thema- genwartsbestand, und zwar mit erheblichem wahrung des maritimen Erbes im Ostseeraum leisten, der hilft, den Fluch unserer Nachfahren an- tisch insbesondere die großflächig angelegten Rücklauf-Erfolg. Als weiteres, für die maritime gesichts schon vieler für immer verschwundener Kulturschätze von uns abzuwenden. maritim-volkskundlichen Forschungen und In- Kulturgeschichtsforschung bedeutsames Ereig- ventarisationen, selbstverständlich unter Ein- nis jener Zeit ist die 1900 erfolgte Gründung des Dr. Peter Danker-Carstensen beziehung der Ergebnisse der letzten beiden Museums für Meereskunde und des Instituts für Schiffbau- und Schifffahrtsmuseum Rostock, Jahrzehnte. Meereskunde an der Berliner Universität zu nen- Gasteditor nen, die allerdings auf dem Gebiet der mariti- Zunächst aber zu den Anfängen der Erforschung men Volkskunde weniger effizient gewirkt haben von maritim-kulturellen Sachzeugnissen und als entsprechende museale Einrichtungen in Prozessen, die in Deutschland aufs Engste mit Dänemark, Norwegen und Schweden. Dadurch der Institution der Fischereiausstellungen des blieb die maritime Volkskundeforschung in 1870 in Berlin gegründeten Deutschen Fische- Deutschland zwischen 1900 und 1945 eine Pri- reivereins verbunden sind. Dieser Verein organi- vatangelegenheit einzelner Enthusiasten. Unter sierte 1873 in Berlin seine erste Fachausstellung. ihnen ragte ein Mann heraus, Hans Szymanski, Sie enthielt nach skandinavischem Muster auch der 1932 mit seinem Band „Der Ever der Nie- 24 Modelle von Fischerbooten, die nach Auf- derelbe“, einer 500 Seiten starken Monografie maßen eigens für diese Ausstellung von Stral- allein über einen volkstümlichen kleinen Fracht- sunder Schiffszimmerleuten angefertigt wurden. schiffstyp, vor die Fachwelt trat (Szymanski, Während der zweiten, noch größeren Internatio- 1932). Zwei Jahre später publizierte Szymanski nalen Fischereiausstellung (1880) konnte sogar seine meisterhafte Arbeit über die „Geschichte ein voll aufgetakeltes pommersches Zeesboot der hölzernen Frachtsegler an den deutschen auf der Spree bewundert werden. Gleichzeitig Ost- und Nordseeküsten“, womit seine Studien mit dieser Ausstellung publizierte die „Deutsche zur Bootskunde und Bootsbauforschung ihren Fischerei-Zeitung“ den ersten Aufsatz über Fi- vorläufigen Abschluss gefunden hatten. Der

10 11 Eine nach schwedischem Vorbild der Inventa- risationen von Sigurd Erixon, Olof Hasslöf und John Granlund wünschenswerte Erweiterung erreichte die maritim-kulturelle Forschungsar- beit an der südlichen Ostseeküste erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als 1956 Reinhard Peesch mit einer Untersuchung der brauch- tümlichen Arbeitsgesellungen der Fischer auf Rügen und begann. Die Anregung zu dieser neuen Orientierung volkskundlicher Forschung ist Wolfgang Steinitz zu verdanken, dem damaligen Vizepräsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und Begründer des dort 1953 etablierten Instituts für deutsche Volkskunde. Erste Arbeiten von Abb. 1: Richard Wossidlo (rechts) im Gespräch mit einem Reinhard Peesch erfolgten von Berlin aus, und ehemaligen Seemann, Wismar 1934. zwar per Fragebogen. Die Antworten der sechs angeschriebenen Fischerei-Genossenschaften ließen zwar sehr zu wünschen übrig, aber alle zweite große Name dieser Periode der deut- Fragebögen wurden an Wolfgang Rudolph, den schen Bootskunde ist der von Walther Mitzka, man auf der Insel inzwischen kannte, weiterge- einem Germanisten, der das Thema Boot ganz leitet. Er war seinerzeit am Heimatmuseum in folgerichtig aus der so genannten „Wörter und Garz tätig, sammelte gerade Material zu einer Sachen“-Forschung anging. Als erstes Ergebnis Volkskunde der rügischen Schifffahrt und schlug publizierte er den Band „Deutsche Bauern- und Reinhard Peesch vor, die Fragen „vor Ort“ zu Fischerboote“, gefolgt von „Deutsche Fischer- klären. So kam es zum Kontakt und fortan zur volkskunde“ (Mitzka, 1933, 1940). Ebenfalls in gemeinsamen Arbeit am Berliner Projekt. 1958 den 1930er Jahren veröffentlichte Walter Bor- entwickelten Reinhard Peesch und Wolfgang chers, Kustos am 1928 gegründeten Pommer- Rudolph (seit diesem Jahr Mitarbeiter am Berli- schen Landesmuseum in , seine Arbeit ner Akademieinstitut) eine erste Konzeption als über die Fischerboote des Odermündungsge- Grundlage für die künftige maritime Forschung. Abb. 2: Erste Seite aus dem Arbeitsheft „Freest“ von Wolfgang Rudolph zur Inventarisation der Fischereigeräte und Boote. bietes sowie einen kleineren Beitrag über die Ziel war eine „maritime Volkskunde“ unter Be- Anklamer Fischerboote (Borchers, 1935a, b). rücksichtigung aller mit dem Leben auf See und am Strand bzw. im Hafen verbundenen Berufs- tes, des Kutters SAS 24 „De lütte Dän“ (Abb. 4), Zur Bilanz dieser ersten, bootskundlich gepräg- gruppen. Erforscht werden sollten nach Mög- und nennenswert erscheint hier auch die mit ten Periode der maritimen Kulturgeschichtsfor- lichkeit alle Bereiche der Volkskultur – mit Vor- der Feldforschung verbundene Sicherstellung schung gehören aber auch zwei herausragende rang aber die materiellen Objektivationen samt von interessanten traditionellen Gerätschaften „Ausnahmefälle“, in denen vordergründig die den damit verknüpften Bräuchen und traditio- durch Abgabe an die zuständigen Regional- Menschen bzw. maritime Berufsgruppen im nellen Institutionen. Den kulturgeografischen museen. Als Ergebnisse dieses ersten „seesei- Blickfeld der Forschung gestanden haben: Der Arbeitsraum bildete die südliche Ostseeküste tigen“ Abschnittes sind u. a. zwei bootskund- mecklenburgische Gymnasialprofessor Richard zwischen Kleinem Belt und Kurischem Haff im liche Monografien (Rudolph, 1966, 1969) und Wossidlo sammelte durch Befragung von Hun- zeitlichen Rahmen von etwa 1600 bis zum Be- mehrere wissenschaftliche Aufsätze zu nennen. derten alter Seefahrer an der Küste von Meck- ginn des 20. Jahrhunderts. Diese Arbeiten enthalten u. a. zwei wichtige Er- lenburg insbesondere in den 1920er und 1930er gebnisse der ersten Forschungsperiode, in de- Jahren Material zum Seemannsleben zur Zeit der Nach Abschluss der Pilotstudie über die Fi- ren Rahmen alle Bootstypen zwischen Stettiner Segelschifffahrt „im Munde alter Fahrensleute“ scherkommünen auf Rügen und Hiddensee Haff und Lübecker Bucht dokumentiert worden Abb. 3: Dokumentation der Fischereigeräte: Bügelreuse, (Abb. 1). Seine einzigartige mecklenburgische (Peesch, 1961) begann 1960 die systematische sind: die Festlegung einer verbindlichen boots- Altwarp 1962. Seemannsvolkskunde erschien in erster Aufla- volkskundliche Inventarisation der Fischereige- kundlichen Nomenklatur und eine Klassifikation ge zweibändig unter dem Titel „Reise, Quartier, räte, der Wasserfahrzeuge und der Verhältnis- (Typologie) der Boote, und zwar als Vorausset- in Gottesnaam“ im Rostocker Hinstorff Verlag se auf den Boots- und Schiffswerften entlang zung für die methodisch klare Interpretation und Auflösung des Instituts für deutsche Volkskun- (Wossidlo, 1940/1943). Die zweite, zu jener Zeit der Küste von Mecklenburg und Vorpommern Auswertung des Materials aus diesem Bereich de gehörte. Dessen Mitarbeiter hatten sich ei- höchst ungewöhnliche Arbeit ist dem Volks- (Abb. 2 und 3). Ein methodisches Novum war der Maritimkultur (Abb. 5). ner Überstellung in den „Wissenschaftsbereich kundler Adolf Spamer zu verdanken, der in den dabei die Feldarbeit im Team unter Einbezie- Kulturgeschichte/Volkskunde“ am Zentralins- Hafenstädten von Emden bis Königsberg den hung eines Spezialisten zur Aufmessung der Ein jähes Ende fand diese sehr erfolgreiche titut für Geschichte zu fügen, und volkskundli- Tätowierbetrieb der 1920er Jahre studierte. Das volkstümlichen Wasserfahrzeuge und zur Fer- Arbeitsphase 1969 mit der zwangsweisen Un- che Feldforschungen wurden als unerwünscht Ergebnis, „Die Tätowierung in den deutschen tigung von Bootsrissen. Neu war zudem der terbrechung der volkskundlichen Arbeiten, als erklärt. Erst nach einer teilweisen Korrektur Hafenstädten“, erschien in der Niederdeutschen erstmals praktizierte arbeitstechnische Zugriff seitens der SED-Obrigkeit eine „Akademiere- dieser Verhältnisse konnte 1973 mit den Ar- Zeitschrift für Volkskunde (Spamer, 1933). von der Wasserseite mittels eines Arbeitsboo- form“ durchgesetzt wurde, zu der u. a. auch die beiten zur zweiten, nun „landseitigen“ Phase

12 13 Stolpe und der Weichselmündung sowie den kulturellen Veränderungen unter den speziellen Raum Nordschleswig-Südjütland zwischen Bedingungen der politischen und sozialökono- Sonderburg und Kolding erweitert werden. Am mischen „Neuordnungen“ in der DDR. Dass es Ende dieses Abschnittes standen der Nachweis sich dabei um ein relevantes volkskundliches und die Periodisierung einer maritim-kulturellen Forschungsdesiderat handelte, stand außer Entwicklung, die sich im Bereich der südlichen Frage. Allerdings war auch klar, dass die Reali- Ostseeküste zwischen Kleinem Belt und Kuri- sierung solcher Forschungen und vor allem die schem Haff im Verlaufe von drei Jahrhunderten Publikation der Ergebnisse unter den Verhältnis- vollzogen hat (Abb. 6). Besondere Beachtung sen einer kommunistischen Diktatur erheblich fanden dabei die drei Problemkreise Kulturaus- reglementiert, zensiert und – zumindest teilwei- tausch (z. B. regional zwischen Hafenstadt und se – auch verhindert würden. Noch im selben Seefahrerdorf, überregional zwischen „Heimat“ Jahr griff Wolfgang Steusloff (damals als Nauti- und weiter Welt), Kulturwandel (Periodisierung, scher Offizier und somit zunächst nebenberuf- Leitmerkmale als Indikatoren des Kulturwan- lich) diese Anregung von Wolfgang Rudolph auf: Abb. 6: Asiatica als periodenspezifisches Leitmerkmal mari- Abb. 4: Wolfgang Rudolph an Bord seines Arbeitsbootes dels) und Kulturlandschaft (Kennzeichen und Es erfolgte eine Dokumentation des Bordlebens tim-kultureller Entwicklung: japanischer Teetisch und japani- SAS 24 DE LÜTTE DÄN, 1961. Grenzen). Auch zu diesen Themenkreisen wur- auf Rostocker Handelsschiffen, eine bis 1987 sches Teeservice; Mitbringsel eines Steuermanns aus Born/ den die Forschungsergebnisse umfassend pub- „vor Ort“ an Bord durchgeführte und anschlie- Darß, Ende 19. Jahrhundert. liziert (Rudolph, 1979, 1982, 1983, 1987; Peesch ßend an Land ergänzte Materialerhebung zu den der maritim-kulturellen Forschungen begonnen & Rudolph, 1988). Das Basismaterial, beste- Bereichen Arbeit, Freizeit und umgangssprach- werden, und zwar unter Einbeziehung der ma- hend aus der fotografischen Dokumentation, liche Kommunikation (Abb. 7). Ergebnis dieser ritimen Wohnweise, der kulturellen Situation in Interviewprotokollen und technischen Aufmaß- Arbeit war der Nachweis einer temporären re- den Hafenstädten und der Erkundung einiger zeichnungen, ist 1990 von Berlin nach Rostock gionalen Kulturentwicklung innerhalb der Be- spezieller Beziehungen zwischen Hafenstadt in die ehemalige Akademie-Außenstelle und so- rufsgruppe der auf Rostocker Handelsschiffen und Seefahrerdorf, die für die maritime Kultur- mit in das daraus hervorgegangene, zunächst fahrenden bzw. gefahrenen Seeleute (Steusloff, entwicklung bedeutsam zu sein schienen. Nach noch nicht universitäre Institut für Volkskunde 1995). Zwischenzeitlich erfolgte eine Untersu- entsprechenden Vereinbarungen mit der polni- in Mecklenburg-Vorpommern (Wossidlo-Archiv) chung der Tätowierungen von DDR-Seeleuten schen Akademie der Wissenschaften und mit überführt worden. aus der Handelsschifffahrt und der Hochseefi- den zuständigen Museen und Forschungsein- Bereits 1981 äußerte Wolfgang Rudolph den Vor- scherei (Steusloff, 1985). richtungen in Dänemark konnten die Forschun- schlag, sich künftig stärker auf Gegenwartspro- gen auf die kaschubische Küste zwischen der bleme zu orientieren, auf die Untersuchung von Nach Abschluss der „seeseitigen“ Dokumentati- on des Bordlebens, deren Ergebnisse nach dem gesellschaftlichen Umbruch und damit ohne Einschränkungen veröffentlicht werden konn- Abb. 7: Bordleben auf Rostocker Handelsschiffen: nach der ten, folgte eine „landseitige“ Untersuchung zur Äquatortaufe an Bord des MS STRALSUND, 1965. gegenwärtigen maritimen Wohnkultur unter be- sonderer Beachtung der Verwendung und Funk- tion dekorativer Mitbringsel in 30 Wohnungen von seefahrenden Angehörigen der Deutschen Seereederei Rostock (DSR). Damit verbunden waren die fotografische Dokumentation der Objekte in situ sowie Interviews mit Seeleuten und, soweit möglich, auch mit deren Ehefrauen (Abb. 8). Für diese Arbeit wurde ein „Zeitfens- ter“ genutzt, denn vor 1990 wäre eine solche Dokumentation aufgrund einer nicht unwesent- lichen illegalen Komponente des Erwerbs und der Einfuhr bestimmter Souvenirs zumindest in dieser Form nicht durchführbar gewesen, und nur wenige Jahre später hatte sich aufgrund der vielfältigen Veränderungen der Wohnkultur seit der deutschen Wiedervereinigung bereits ein ganz anderes Bild ergeben (Steusloff, 1998).

Die Erforschung der maritimen Kulturgeschich- te und die Dokumentation der Verhältnisse an der Küste von Mecklenburg und Vorpommern Abb. 8: Seefahrerwohnungen in Mecklenburg-Vorpommern während der 1960er und 1970er Jahre durch Ende des 20. Jahrhunderts: dekorative Wohnzimmergestal- Abb. 5: Bootskundliche Forschung und Dokumentation: Strandboote am Fischerstrand von Baabe/Rügen, um 1960. Wolfgang Rudolph sowie die Arbeiten dänischer, tung eines Afrika-Fahrers um 1995.

14 15 schen Ethnologen Alan Hjorth Rasmussen vom Fjordmuseum Jyllinge. Im Herbst 1991 folgte die Erfassung der Eckernförder Bucht. Insge- samt wurden etwa 2 000 Dokumentarfotos ein- gebracht und 20 Befragungen durchgeführt (Ru- dolph & Keweloh, 1994). Zu einer Ausweitung dieses Vorhabens über Kiel hinaus bis zur Lübe- cker Bucht kam es bislang nicht.

Eine ähnliche Dokumentation erschien an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern von be- sonderer Dringlichkeit, weil sich hier seit der deutschen Wiedervereinigung innerhalb kurzer Abb. 9: Dokumentation der Veränderungen an der Küste Zeit gravierende Veränderungen auf der mari- von Schleswig-Holstein, Beispiel Kappeln (1990): Präsenta- tim-kulturellen Seite des Alltagslebens breiter tion moderner maritimkultureller Identitätszeichen vor einem Schichten der Küstenbevölkerung vollzogen. Motel. Dementsprechend wurde nach Abschluss der Arbeiten über die maritime Wohnkultur 1997 ein Forschungsvorhaben konzipiert, dessen schwedischer und finnischer Volkskundler ver- wesentliche Orientierungsbereiche die Küs- deutlichten in besonderem Maße das Fehlen tenfischerei, die Küstenfahrgastschifffahrt, der ähnlicher maritim-volkskundlicher Forschun- Bootsbau wie auch das weitere maritime Hand- gen an der Küste von Schleswig-Holstein, wo werk und Gewerbe einschließlich beruflicher Mi- bis in die 1980er Jahre selbst an qualitätvollen grationen bilden. Beachtung finden zudem das Einzeluntersuchungen zur schifffahrts- und fi- kulturelle Hafenmilieu und der Funktionswandel schereikundlicher Thematik Mangel herrschte. von Hafenanlagen, die wasserseitigen Freizeit­ Diese Problematik kam auch bei einem Treffen aktivitäten, der Ortsbildwandel in den Hafen- Abb. 10: Kulturwandel in den Stadthäfen von Mecklenburg-Vorpommern, Beispiel Stralsund (2011): Vom Güterumschlags- auf der internationalen Tagung der Schifffahrts- städten und maritim strukturierten Küstendör- platz zur touristischen Bummelmeile mit umfunktionierten Speichern, Silos und Firmengebäuden, Museums-Neubau, aus- museen in Hamburg 1984 zur Sprache, angeregt fern sowie die heutige maritime Bilderwelt – von gedienten Fahrwasser-Tonnen als „maritime“ Absperrung und „Aqua-Zorbing“-Bassin. von Jutta Glüsing, der Leiterin des Flensburger der Fassaden- und Vorgartengestaltung bis zu Schifffahrtsmuseums. 1988 kam es zu den ers- neuartigen Grabsteinmotiven. Die Finanzie- ten planenden Besprechungen, an denen Jutta rung dieses Projektes übernahm von 1997 bis Eine Sachgruppe, die zuvor bereits in besonde- lung des NAUTINEUMs auf dem Stralsunder Glüsing, Wolfgang Rudolph, Hans-Walter Ke- Januar 2000 das Kultusministerium des Lan- rem Maße als Indikator für die Erkennbarkeit der Dänholm bereichert. weloh (Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremer- des Mecklenburg-Vorpommern. Durchgeführt definierten maritimen Kulturperioden gedient haven) und Ulrich Tolksdorf (Preußisches Wör- werden diese Untersuchungen in landseitiger hat, ist die Bilderwelt der Seeleute. Sie umfasst Weitere Arbeiten und Veröffentlichungen thema- terbuch, Universität Kiel) teilnahmen. Man war Feldforschung, zu der neben der fotografischen ihre freizeithandwerklichen künstlerischen Ar- tisieren den neuzeitlichen maritimen Kulturwan- sich darüber einig, dass die Blickrichtung bei Dokumentation die Befragung von zahlreichen beiten, ihre Mitbringsel und sonstigen Souvenirs del an der südlichen und östlichen Ostseeküs- diesem Projekt auf der Gegenwart ruhen soll- kompetenten Gewährsleuten gehört – u. a. auf sowie deren gestalterische Einbeziehung in den te im Verlaufe des 20. Jahrhunderts (Rudolph, te, weil deutlich erkennbar war, dass an dieser jeder Bootswerft und bei jeder Fahrtgastschiffs- häuslichen Wohnbereich. Eine Studie dazu er- 2004, 2005, 2006, 2007, 2008, 2010). Küste die ökonomischen, sozialen und kulturel- reederei. Inzwischen konnten Teilergebnisse streckte sich kulturgeografisch wiederum über len Strukturveränderungen und Wandlungsvor- veröffentlicht werden, und zwar auf der Grund- das Gebiet der südlichen Ostseeküste und zeigt Was möglicherweise in dieser Zusammenfassung gänge nach 1945 – vom Zuzug der preußischen lage der vorläufig abgeschlossenen Forschun- Entwicklungen im Zeitraum von 1750 bis 1900 der großflächigen Forschungen aufgrund der ge- und pommerschen Umsiedler über die see- gen zur Fahrgastschifffahrt, zum Bootsbau, zur (Rudolph, 1993). botenen Kürze und der nur knapp kommentier- wirtschaftlichen Innovationen der 1960er und Kutter- und Küstenfischerei, zum maritimen Kul- ten Publikationen weniger deutlich geworden ist, 1970er Jahre bis hin zu den Folgeerscheinungen turwandel in den Stadthäfen (Abb. 10) an der Im Anschluss an diese Arbeiten folgte ab Mit- sei im Hinblick auf das Thema dieses Bandes der deutschen Einheit und des bevorstehenden Küste von Mecklenburg-Vorpommern wie auch te der 1990er Jahre die Erforschung der Ge- der Stralsunder Schriftenreihe abschließend her- gemeinsamen europäischen Marktes – von weit- zur Entwicklung der maritimen Motive auf Grab- schichte des Bootsmotorenbaus in Deutschland vorgehoben: Nicht nur in der frühen Phase der aus gravierender Wirkung waren als etwa der steinen und in Traueranzeigen – stets in Verbin- einschließlich der deutsch-skandinavischen maritimen Volkskunde haben die Arbeitsboote Übergang vom Segel zum Maschinenbetrieb in dung mit einem Rückblick auf die Verhältnisse Kulturkontakte zur Frühzeit der Bootsmotorisie- der Küstenfischer Beachtung gefunden, wie viel- Schifffahrt, Fischerei und Bootsbau. Berück- vor 1990 (Steusloff, 2002, 2004, 2006, 2007, rung – ein weiteres Thema, das bis dahin den leicht sogar der Untertitel „Von der Bootskunde sichtigt werden sollte auch der Umgang mit den 2011). Der gesamte Prozess des kulturellen kulturgeschichtlichen Forschungsdesideraten zur Erforschung der maritimen Kultur“ (Rudolph, zuvor noch nicht erforschten hafentechnischen Wandels an der See-, Haff- und Boddenküste zuzuordnen war (Rudolph, 1996, 1997, 1998, 1981) suggerieren könnte. Vielmehr standen die Kulturdenkmälern, ebenso wie die Präsentation zwischen Dassow, Ahlbeck und Altwarp ist aus 1999, 2000, 2002, 2003). Zugleich entstand wohl markantesten Zeugnisse des maritimen moderner maritim-kultureller Identitätszeichen volkskundlicher Sicht keinesfalls als beendet zu die Rudolphsche Bootsmotorensammlung, Handwerks und Gewerbes wie auch deren Ver- im Ortsbild. Im Mai 1990 lief das Pilotprojekt betrachten, ebenso wenig, wie die laufenden ein im Laufe von Jahrzehnten erworbener und änderungen stets im volkskundlichen Blickfeld, „Schleiforschung“ an (Abb. 9), gefolgt 1991 von Forschungen, so dass in nächster Zeit mit wei- schließlich komplettierter Bestand ostdeutscher und das wird auch künftig so sein, sofern sich den Arbeiten am deutschen und dänischen Ufer teren Veröffentlichungen zu den genannten The- Bootsmotoren, der seit 2010 die Sammlung des die Forschung weiterhin der Alltagskultur der der Flensburger Förde mit Beteiligung des däni- men gerechnet werden kann. Deutschen Meeresmuseums und die Ausstel- Küstenbevölkerung zuwenden kann.

16 17 Zusammenfassung Borchers, W. (1935a): Pommersche Fischer- Rudolph, W. (1996): Bootsmotorenbau im deut- pom­mern Ende des 20. Jhd. Rostock, boote des Odermündungsgebietes. In: Un- schen Küstenbereich (bis 1945). Teil 1: Die Neuer Hochschulschriftenverlag. Größere maritim-volkskundliche Projekte an ser Pommernland 20, S. 225-240. Ostseeregion. In: DSA 19, S. 367-401. Steusloff, W. (2002): Küstenfahrgastschiffahrt in der deutschen Ostseeküste begannen 1900 Borchers, W. (1935b): Anklamer Fischerboote. Rudolph, W. (1997): Bootsmotorenbau im deut- Mecklenburg-Vorpommern. Zur Entwick- mit einer Fragebogenaktion der Deutschen Ge- In: Heimatkalender 30, S. 64-66. schen Küstenbereich (bis 1945). Teil 2: Die lung der kleineren Reedereien seit 1990. sellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Mitzka, W. (1933): Deutsche Bauern- und Fi- Nordseeregion. In: DSA 20, S. 503-530. In: DSA 25, S. 425-448. Urgeschichte (Berlin) zum Gegenwartsbestand scherboote. Heidelberg, C. Winter. Rudolph, W. (1998): Bootsmotorenbau im ost- Steusloff, W. (2004): Bootsbau in Mecklenburg- volkstümlicher Wasserfahrzeuge. Es folgten Mitzka, W. (1940): Deutsche Fischervolkskunde. deutschen Binnenland (bis 1945). In: DSA Vorpommern. Zur Entwicklung des mariti- Studien zur Bootskunde und zum Bau hölzer- Neumünster, Karl Wachholtz Verlag. 21, S. 255-278. men Handwerks seit 1990. In: DSA 27, S. ner Frachtsegler sowie zur Tätowierung in den Peesch, R. (1961): Die Fischerkommünen auf Rudolph, W. (1999): Bootsmotorenbau in Berlin 201-234. deutschen Hafenstädten und zum Seemannsle- Rügen und Hiddensee. Berlin, Akademie- (bis 1945). In: DSA 22, S. 343-360. Steusloff, W. (2006): Kutter- und Küstenfische- ben zur Segelschifffahrtszeit. 1956 regte Stei- Verlag. Rudolph, W. (2000): Bootsmotorenbau in der rei in Mecklenburg-Vorpommern. Zur Ent- nitz, Direktor des Akademieinstituts für deut- Peesch, R. & W. Rudolph (1988): Mecklenbur- DDR (1945-1990). In: DSA 23, S. 473-488. wicklung eines maritimen Erwerbszweiges sche Volkskunde, eine Studie zur pommerschen gische Volkskunst. Leipzig, E. A. Seemann Rudolph, W. (2002): Die Frühzeit der Bootsmo- seit 1990. In: DSA 29, S. 219-246. Fischervolkskunde an, die erweitert zu einer Verlag. torisierung. Über deutsch-skandinavische Steusloff, W. (2007): Zur letzten großen Reise. umfassenden Inventarisation der Fischereige- Rudolph, W. (1966): Handbuch der volkstümli- Kulturkontakte im Ostseeraum. In: DSA Grabsteine und Traueranzeigen mit mari- räte, der Boote sowie der Verhältnisse auf den chen Boote im östlichen Niederdeutsch- 25, S. 325-336. timen Motiven in Mecklenburg-Vorpom- Bootswerften entlang der Küste von Mecklen- land. Berlin, Akademie-Verlag. Rudolph, W. (2003): Der Hafenschmied – ein mern in der Gegenwart. In: DSA 30, S. 277 burg und Vorpommern geführt hat. 1973 be- Rudolph, W. (1969): Segelboote der deutschen Mittler in der maritimen Kulturentwicklung. -293. gannen die Arbeiten zum zweiten Abschnitt, Ostseeküste. Berlin. In: DSA 26, S. 185-192. Steusloff, W. (2011): Maritimer Kulturwandel in unter Einbeziehung der maritimen Wohnweise, Rudolph, W. (1981): Ein Jahrhundert maritime Rudolph, W. (2004): Neuzeitlicher maritimer den Stadthäfen von Mecklenburg-Vorpom- der kulturellen Situation in den Hafenstädten Volkskunde im Ostsee- und Nordseeraum. Kulturwandel im Ostseeraum. In: DSA 27, mern seit 1990. In: DSA 34, S. 371-406. und der Erkundung spezieller Beziehungen zwi- Von der Bootskunde zur Erforschung der S. 235-246. Szymanski, H. (1932): Der Ever der Niederelbe. schen Hafenstadt und Seefahrerdorf mit dem maritimen Kultur. In: Deutsches Schiffahrts- Rudolph, W. (2005): Fischerdörfer, Hafenstädte Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Ergebnis des Nachweises und der Periodisie- archiv. Wissenschaftliches Jahrbuch des und „Kaiserbäder“. Neuzeitliche maritime Schiffahrt und zur Volkskunde Niedersach- rung der maritim-kulturellen Entwicklung an der Deutschen Schiffahrtsmuseums (DSA) 4, Urbanisierung im Ostseeraum. In: DSA 28, sens. Lübeck, Verlag des Hansischen Ge- südlichen Ostseeküste zwischen Kleinem Belt S.191-204. In: Jahrbuch für Volkskunde und S. 327-342. schichtsvereins. und Kurischem Haff von etwa 1600 bis 1900. Kulturgeschichte 24 (N.F.9), S. 168-182. Rudolph, W. (2006): Maritimer Kulturwandel an Szymanski, H. (1934): Deutsche Segelschiffe. Seit 1981 erweiterten gegenwartsbezogene Rudolph, W. (1992): Maritim-volkskundliche In- der südlichen und östlichen Ostseeküste Die Geschichte der hölzernen Frachtsegler Arbeiten das Forschungsspektrum: die Doku- ventarisationen im Ostseeraum. In: Kieler (1920-2000), Teil 1. In: DSA 29, S. 247-266. an den deutschen Ost- und Nordseeküs- mentation des Bordlebens auf Rostocker Han- Blätter zur Volkskunde 24, S. 147-159. Rudolph, W. (2007): Maritimer Kulturwandel an ten, vom Ende des 18. Jahrhunderts bis delsschiffen 1950 bis 1990 und der maritimen Rudolph, W. (1999): Eine Wissenslücke in der der südlichen und östlichen Ostseeküste auf die Gegenwart. Berlin, Mittler & Sohn. Wohnkultur in Mecklenburg-Vorpommern unter maritimen Volkskunde von Ost-Holstein. In: (1920-2000), Teil 2. In: DSA 30, S. 251-276. Voß, A. (1899): Zu den Schiffsfunden. In: Nach- besonderer Beachtung dekorativer Seefahrer- Storjohann, Jochen (Hg.): Maritime Volks- Rudolph, W. (2008): Maritim-kulturelle Innova- richten über deutsche Altertumsfunde 10, Souvenirs. Das auffällige Fehlen solcher Stu- kultur. Schriftenreihe der Gesellschaft für tionen im Ostseeraum zu Beginn des 21. S. 45-47. dien in Schleswig-Holstein führte 1990/91 zur Volkskunde in Schleswig-Holstein, e. V., Jahrhunderts. In: DSA 31, S. 353-362. Wossidlo, R. (1940/1943): Reise, Quartier, in Dokumentation des maritimen Kulturwandels Bd. 4, Großbarkau. S. 9-21. Rudolph, W. (2010): Mukran, Smelte und Kemi: Gottesnaam. Das Seemannsleben auf den an der schleswigschen Fördenküste seit 1945. Rudolph, W. (1979): Die Hafenstadt. Eine maritime drei Ostsee-Logistik-Terminals von heute. alten Segelschiffen im Munde alter Fah- Eine ähnliche Dokumentation in Mecklenburg- Kulturgeschichte. Leipzig, Edition Leipzig. In: DSA 33, S. 377-383. rensleute. Rostock, Hinstorff Verlag. Vor­pommern – hier aufgrund der sich seit der Rudolph, W. (1982): Seefahrer-Souvenirs. Stein- Rudolph, W. & H.-W. Keweloh (1994): Förden- deut­schen Wiedervereinigung vollziehenden gut, Fayence und Porzellan aus drei Jahr- land im Wandel. Veränderungen der ma- gra­vierenden Veränderungen des maritim-kultu- hunderten. Leipzig, Edition Leipzig. ritimen Kultur zwischen Alsensund und rellen Alltags­lebens breiter Schichten der Küs­ Rudolph, W. (1983): Am Wallfisch-Speicher, un- Eckernförder Bucht. Flensburg, Schiff- ten­bevölkerung besonders dringlich – wird seit term Tabakmohren und im Goldenen An- fahrtsmuseum. 1997 durchgeführt. Zu nennen sind zudem eine ker. Maritime Embleme in den Hafenstäd- Schiemenz, P. (1898): Über die Zeesenfische- Arbeit über die Bilderwelt der Seefahrer von der ten der Ostseeküsten. Rostock, Hinstorff rei im Stralsunder Revier. Abhandlungen südlichen Ostseeküste (1750 – 1900), die Erfor- Verlag. deutschen Seefischerei-Vereins 3, Heft 2. schung der Geschichte des deutschen Boots- Rudolph, W. (1983): Maritime Kultur der südli- Berlin; O. Salle Verlag. motorenbaus und der Nachweis des maritimen chen Ostseeküste. Schiffsbilder und Pres- Spamer, A. (1933): Die Tätowierung in den deut- Kultur­wandels an der südlichen Ostseeküste tigekeramik der Fahrensleute. Rostock, schen Hafenstädten. In: Niederdeutsche während des 20. Jahrhunderts. Hinstorff Verlag. Zeitschrift für Volkskunde 11, S. 1-55 und Rudolph, W. (1987): Das Schiff als Zeichen. Bür- 129-182. gerliche Selbstdarstellung in Hafenorten. Steusloff, W. (1995): Bordleben auf Rostocker Literatur Leipzig, Edition Leipzig. Handelsschiffen 1959 – 1990. Eine volks- Rudolph, W. (1993): Des Seemanns Bilderwelt. kundliche Untersuchung. Hamburg/Bre- Ancker, E. (1880): Die Fischerei-Fahrzeuge des Volkskunst der Fahrensleute an der Ost- merhaven, Kabel Verlag. Kurischen Haffs. In: Deutsche Fischerei- seeküste von 1750 bis 1900. Hamburg/ Steusloff, W. (1998): In der Ferne und daheim. Zeitung 3; Stettin, S. 250-251. Bremerhaven, Kabel Verlag. Seefahrer-Souvenirs in Mecklenburg-Vor­

18 19 SeaSide: EU-Projekt zur Dokumentation Arbeitsschwerpunkte im Projekt SeaSide (Auszug, Projektentwurf des Blekinge Museums): historischer Fischerei- und Arbeitsboote - Inventarisierung von Daten, Materialien und Objekten zu maritimen Traditionen und zum kulturellen Erbe an der südlichen Ostseeküste - Inventarisierung bestehender Bootswerften und Bootsbauplätze - Entwicklung von Pilotprojekten im traditionellen Bootsbau

Peter Danker-Carstensen Datenbank zur Dokumentation und Bewahrung von beruflichen Kompetenzen im Holz- bootsbau Zielstellung: - Recherche zu Berufen und Qualifikationen im Holzbootbau Von Mitte 2008 bis Mitte 2011 beteiligte sich das ren Regionen bzw. im südlichen Ostseeraum zu - Erhaltung von Qualifikationen und Kompetenzen in maritimen Handwerken durch Pilotpro- Rostocker Schiffbau- und Schifffahrtsmuseum dokumentieren, zu sichern und zu bewahren. jekte in der beruflichen Bildung (SSM) als Partner in einem von der EU geförder- Sie begründeten ein Netzwerk zur Bestands- ten INTERREG-Vorhaben. Das Projekt SeaSide aufnahme und Verbreitung der Kenntnisse über Inhalte: wurde im Rahmen des „South Baltic Cross-Bor- das maritime – auch das schwimmende – Erbe - Quellensammlung zu Bootsbauplätzen und Holzbootsbau in Blekinge in den letzten Jahr- der Co-operation Programme“ gefördert und als regionales Kulturgut sowie um seine touris- hunderten trug den Untertitel „Developing Excellent Cultu- tische Vermarktung z. B. mit einer Ausstellung - Dokumentation über die Bootsbau-Ausbildung in Karlskrona und über die Reparaturboots- ral Destinations in the South Baltic Area“. Die- in den beteiligten Regionen zu fördern (Abb. 1). werft in Saxemara ser Untertitel verweist bereits auf die 13 Partner Lead Partner des Projektes war die Hansestadt - Dokumentation über benachbarte Handwerke wie Segelmacher, Reepschläger, Schmiede in dem Projekt. Es handelte sich dabei um eine Rostock, vertreten durch das HanseSail Büro. usw. Gruppe von maritimen Museen und Tourismus- Die übrigen Partner waren die maritimen bzw. - Errichtung eines Besucherzentrums auf der dem Blekinge Museum gehörigen Bootswerft organisationen aus Litauen, Polen, Schweden regionalen Museen in Klaipeda, Danzig, Karls- in Saxemara und Deutschland. Diese Institutionen hatten krona (zwei Museen) und Rostock, die lokalen - Einrichtung einer Datenbank über Kompetenzen im Holzbootsbau sich zum Ziel gesetzt, das maritime Erbe in ih- bzw. regionalen Tourismusverbände in Klaipe- - Kooperation mit dem Schiffbau- und Schifffahrtsmuseum Rostock da, Karlskrona, Stralsund, Vorpommern und Rü- gen sowie die Stadt Danzig und die Universität Methodik und Durchführung Klaipeda. - Systematisierung vorhandener Dokumentationen über Bootsbau und Bootsbauplätze im jūra MEEr Archiv des Blekinge Museum, ergänzt durch Feldstudien zum historischen Hintergrund HaV SEa Die fünf maritimen Museen innerhalb des Pro- und den historischen Fakten 1MOrZE jektes, das Schifffahrtsmuseum in Danzig/Po- - Aufbau einer Wissensbasis zur Bewahrung handwerklicher Kompetenzen im Holzbootsbau len, das Litauische Meeresmuseum in Klaipeda, - Einbeziehung der wenigen aktiven Holzbootsbauer zur Weiterentwicklung ihrer beruflichen StOriES das Marinemuseum und das Blekinge Museum Fähigkeiten iStOrijOS in Karlskrona/Schweden sowie das Schiffbau- - Komplettierung des geplanten Besucherzentrums auf der Saxemara Bootswerft durch die GESCHiCHtEn 4 bErÄttELSEr und Schifffahrtsmuseum in Rostock bildeten Ausstellung von (hölzernen) Booten am Bootssteg der Werft und im Schaumagazin des OPOWiESCi dabei ein eigenes Netzwerk (www.baltic-mariti- Blekinge Museums me-museums.eu) und kooperierten in mehreren ExHibitiOn Arbeitsschwerpunkten. Kollegen aus den Part- nermuseen in Danzig, Klaipeda und Karlskrona

Photo: Silute museum collections Silute Photo: bereicherten diesen Band mit wichtigen Aufsät- Ostseeküste. Die Datenbank wurde am Blekinge zen, die zeigen, welche Bedeutung Arbeitsboote Museum in Karlskrona, dem ehemaligen Blekin-

FINLAND NORWAY der Fischerei im regionalen historischen Kontext ge Läns Museum, erstellt. Um die immer wieder SWEDEN hatten und heute als zu bewahrendes maritimes ESTONIA und in allen Küstenländern geführte Diskussi- RUSSIA

LATVIA Erbe der Ostseeregion weiterhin haben. on über die Definition des Begriffes „Boot“ vs. DENMARK KARLSKRONA KLAIPEDA LITHUANIA Einer der Arbeitsschwerpunkte war die Doku- „Schiff“ etc. im Zusammenhang mit diesem Pro-

UNITED KINGDOM ROSTOCK GDANSK BELARUS NETHERLANDS mentation und die Bewahrung von traditionel- jekt gar nicht erst aufkommen zu lassen, wird POLAND BELGIUM GERMANY UKRAINE len maritimen Handwerken inklusive der Doku- im „Manual“, der Benutzungsanweisung zur Da- CZECH FRANCE rOStOCk GdanSk karLSkrOna kLSLOVAKIAaiPEda mentation von noch existierenden traditionellen tenbank darauf hingewiesen, dass sich in dieser Schiffbau- & Schifffahrtsmuseum Centralne Muzeum Morskie Marinmuseum Lietuvos Jūrų Muziejus www.schifffahrtsmuseum-rostock.de www.cmm.pl www.marinmuseum.se www.juru.muziejus.lt bzw. hölzernen Fischerei- und Arbeitsfahrzeu- Datenbank nur Fahrzeuge bis zu einer Länge 18.07 – 31.08 2010 30.09 – 21.11 2010 15.12 – 13.03 2011 15.04 – 01.06 2011 gen („Traditional boats and boat building“). In von zwölf Metern über alles und einer Breite von diesem Arbeitsschwerpunkt wurden mehrere bis zu vier Metern finden (Abb. 2). Einzelprojekte der Museen durchgeführt. Dazu Part-financed by the European Union (European Regional Development Fund) www.baltic-seaside.com gehörte unter anderem die Erstellung einer in- Die Datenbank (www.seasideboats.eu) ist in drei Abb. 1: Die maritimen Museen innerhalb des SeaSide-Pro- ternetbasierten Datenbank zur Erfassung von Bereiche untergliedert: 1. Boats, 2. Boat types Abb. 2: Es gibt noch viel zu tun auf der Bootswerft in Saxe- jektes organisierten unter anderem auch eine Wanderaus- hölzernen Arbeitsbooten und Fischereifahrzeu- und 3. Boatyards. Unter dem Oberbegriff „Boats“ mara in der Nähe von Ronneby, die das Blekinge Museum in stellung unter dem Titel „1 SEA – 4 STORIES“. gen sowie der Bootsbauplätze an der südlichen finden sich Angaben zur Herkunft, zum Erbauer Karlskrona vor einiger Zeit übernommen hat.

20 21 chend auf die Küstenregionen, die von diesen Hinweise für die Datenbank „Traditional boat and boatbuilding“ Museen bearbeitet bzw. repräsentiert werden. des Blekinge Museums Karlskrona (Entwurf) Es handelt sich daher bei den eingegebenen Daten zu noch vorhandenen Booten zum größ- Eingabe ten Teil um Fahrzeuge, die sich heute in den ge- - In der Datenbank können alle bekannten Informationen über ein bestimmtes Boot, z. B. die nannten Museen befinden und dort bewahrt und Blekinge eka „Maria“ eingegeben werden. zum Teil ausgestellt werden. Die Datenbank ist - Alle Informationen zu einem bestimmten Bootstyp können eingegeben werden. so angelegt, dass jederzeit weitere Daten ein- - Existierende Bootswerften wie auch die dort benutzten Produktionsmittel und Werkzeuge gegeben werden können. Dies kann auch durch sowie die Erzeugnisse der Werften können beschrieben werden. Dritte geschehen, die sich zu diesem Zweck beim Blekinge Museum als Projektpartner re- Suche in der Datenbank gistrieren lassen können. Leider gelang es bis- Wenn ein Benutzer in der Datenbank Informationen sucht, kann er auch verknüpfte Infor- her nicht, weitere Partner, z. B. in Dänemark, für mationen finden, zum Beispiel: Welche Boote wurden auf einer bestimmten Werft erbaut? dieses Dokumentationsprojekt zu gewinnen, so dass die Mehrzahl der bisher dokumentierten Technische Informationen Boote und Bootsbauplätze an den Küsten von Es handelt sich um eine internetbasierte Datenbank mit einer eigenen Domain, in der sich Blekinge und Mecklenburg-Vorpommern zu fin- registrierte Mitarbeiter der beteiligten Museen durch Benutzername und Passwort einlog- den sind. gen können. Die für die Datenbank benutzte Sofware ist Filemaker 10, die von externem Personal programmiert wurde. Das Blekinge Museum ist für den unter Microsoft Windows Das Schiffbau- und Schifffahrtsmuseum Ros- Server 2003 laufenden Webserver verantwortlich, der im Serverraum des Museums instal- tock legte in diesem Zusammenhang mit einer liert wurde. Die Datensicherung (backup) wird täglich auf einem externen Harddisksystem ebenfalls innerhalb des SeaSide-Projektes ver- vorgenommen, zusammen mit einer monatlichen Sicherung auf Utrium Bändern. Das grafi- anlassten Datensammlung über noch existieren- sche Layout der Website basiert auf den Gestaltungsrichtlinien für das Seaside Projekt im de hölzerne Arbeitsboote und Fischereifahrzeu- Abb. 4: Auch aktuelle Nutzungsänderungen bei älteren Fi- South Baltic Programme. Als Dateiformate werden .jpg für Fotos, QuickTime für Videofilme ge an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern schereifahrzeugen wurden durch das SeaSide Projekt doku- und .mp3 für Audiodateien verwendet. die Grundlage für eine breitere Datenbasis einer mentiert. Das Foto zeigt ein Strandboot als Dekoration auf solchen regionalen Dokumentation. Bei den in dem Gelände der Bootswerft Nagel in Zecherin/Usedom. diesem Teilprojekt erfassten Objekten handelt es sich überwiegend um Boote bzw. Wracks, die bzw. zur Bauwerft, zum Baujahr, zum Schiffstyp, abgefragt. Hinzu kommt das Datenfeld „Princi- sich außerhalb von Museen und Museumshäfen und Erweiterung der im DMM verwendeten zur Bauart und zur Verwendung der Boote. Außer- pal use“ mit Informationen über die Verwendung zum Teil noch in Privatbesitz oder auch als auf- Inventar-Datenbank „MeDuSa“ an die Anfor- dem werden die technischen Daten wie Abmaße, des jeweiligen Bootstyps in der Fischerei oder gegebenes Objekt in überraschend großer Zahl derungen für externe Dokumentationsarbeiten. Ausstattung mit Segeln, Rudern, Paddeln und in anderen Gewerben. an der Küste Mecklenburg-Vorpommers finden Die durch einen vorübergehend beschäftigten gegebenenfalls mit einer Antriebsmaschine (mit Der dritte Bereich „Boatyard“ stellt auf Informati- lassen. Zu den Aufgaben dieser Dokumentation SeaSide-Projektmitarbeiter erhobenen bzw. ge- Hersteller und Leistung) erhoben. Ein freies Einga- onen über Bootswerften oder Bootsbauereien ab, gehörte nicht nur die Erfassung und Beschrei- sammelten Daten und Fotos wurden dem DMM befeld „Description and history“ enthält dann alle unabhängig davon, ob diese heute noch existie- bung von Booten entsprechend einer vorgege- für Dokumentationszwecke zur Verfügung ge- weiteren bekannten Informationen über das Boot. ren oder ihren Betrieb in der Vergangenheit ein- benen Systematik, sondern auch die genaue stellt und in die Datenbank des Museums ein- Im Bereich „Boat type“ werden mehrheitlich gestellt haben. Zu den existierenden Betrieben geografische Verortung, die fotografische und gegeben. Dem SSM wird der Zugriff auf diese dieselben Informationen wie im Bereich „Boats“ finden sich die genauen Adressen mit allen aktu- zeichnerische Dokumentation sowie (wenn Daten durch einen externen Zugang ermöglicht. ellen Kontaktdaten sowie den geografischen Ko- möglich) die Befragung bei Besitzern und Zeit- Die Originaldokumente zu dieser Datensamm- ordinaten, die mit dem Programm „Google maps“ zeugen. Diese Arbeit stellt eine wichtige Grund- lung befinden sich im SSM (Abb. 4). verlinkt sind, so dass sich Datenbanknutzer auch lage dar, um die Fahrzeuge der küstennahen Nach dem offiziellen Ende des SeaSide-Pro- ein „Luftbild“ machen können oder eine Straßen- Fischerei in den nächsten Jahren weiter zu er- jektes wurden (und werden) weitere Daten über karte des jeweiligen Ortes erhalten. Weiterhin gibt fassen und um besondere Bauformen museal vorhandenen Boote in die genannte Datenbank es Information über den oder die Besitzer bzw. Ei- zu bewahren. Das Projekt erfuhr in dieser Pha- www.seasideboats.eu eingegeben und stehen gentümer der Werft sowie über die Betriebsdauer. se Unterstützung durch Dr. Wolfgang Rudolph, damit auch allen an traditionellem Bootsbau Auch in diesem Bereich finden sich weitergehen- Gerhard Parchow, Helmut Olszak, Jens Loch- und Fischereifahrzeugen Interessierten im Inter- de Informationen zur Geschichte des Unterneh- mann, Nils Rammin und Markusz Schöne, die net zur Verfügung. mens oder zum Produktionsprofil. eine Vielzahl von wichtigen Informationen liefer- Abbildungen bzw. Fotos können in alle drei ten und denen an dieser Stelle gedankt sei. Bereiche eingestellt werden. Im Bereich „Boat type“ können zusätzlich auch Pläne oder Ris- Um die Archivierung des Materials zur weiteren se („Boat plans“) der jeweiligen Boote hinterlegt Verwendung bzw. Nutzung durch das SSM und werden (Abb. 3). durch das Deutsche Meeresmuseum in Stral- sund (DMM) sicherzustellen, wurde zwischen Abb. 3: In der Litorina Bootsbauschule in Karlskrona bauen Die Datensammlung und Dateneingabe wurde diesen beiden Institutionen eine projektbezo- Das SeaSide-Projekt wurde im Rahmen des South Baltic Pro- Jugendliche unter fachlicher Anleitung auch kleinere traditi- von Mitarbeitern der beteiligten Museen vorge- gene Kooperationsvereinbarung geschlossen. gram durch die Europäische Union mit Mitteln des Europäi- onelle Bootstypen von der Küste Blekinges nach. nommen und konzentrierte sich dementspre- Diese beinhaltet unter anderem eine Anpassung schen Regionalen Entwicklungsfonds (ERDF) kofinanziert.

22 23 Datenbogen für die Dokumentation „Erfassung der letzten hölzernen Zur Bedeutung der Fischerei Arbeitsboote an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern“

Allgemeine Angaben für den frühneuzeitlichen Staatsaufbau Standort: Besitzer: (Fischer, Museum …) an der südlichen Ostseeküste Vorbesitzer: Bauwerft: Erfassung: (Register -Nr., Inv.-Nr.) Haik Thomas Porada Derzeitige Nutzung: (Arbeitsboot, Fischerei, Museum) Ursprüngliche Nutzung: (Reusenboot, …) Ursprüngliches Einsatzgebiet: Zustand: (in Fahrt, intakt, museal bewahrt, leichte Schäden, Einführung Landesarchiv und im Staatsarchiv mäßige Schäden, starke Schäden, Wrack-Erhaltung Stettin wurde schnell klar, dass es für das 16. nicht möglich) Zu Beginn der 1990er Jahre fand im Konzilsaal und frühe 17. Jahrhundert leider keine auch nur Bewahrung: (empfohlen, nicht möglich, nicht erforderlich) der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifs- annähernd mit dem schwedisch-pommerschen wald eine Tagung des Bundesinnenministeri- Rechnungsmaterial vergleichbare Überlieferung Technische Angaben ums statt, bei der die Grundlagen und künftigen gibt. Zwar waren die herzoglich-pommerschen Bautyp: (Heuer, Strandboot, …) Aufgaben eines geplanten Pommerschen Lan- Amts- und Landrentmeister mindestens eben- Länge ü.a.: desmuseums diskutiert werden sollten. Damals so fleißig wie ihre schwedisch-pommerschen Breite max.: hielt der Archivar am Stockholmer Reichsarchiv, Nachfolger, aber die Zeugnisse ihrer Tätigkeit Länge: Helmut Backhaus, einen Vortrag über Quellen gingen in den Wirren der pommerschen Ge- Tiefgang: zur pommerschen Geschichte in schwedischen schichte fast vollständig verloren. Mit einer Bauform: (geklinkert, kraweel, Sonstiges) Archiven. Dabei stellte er auch das in beeindru- Ausnahme: Die Rechnungen und der zugehö- Rumpfform: (Kielboot, Bodenplankenboot, Sonstiges) ckender Vollständigkeit erhaltene Rechnungs- rige Schriftwechsel der Fischereiverwaltung für Stevenform: material der schwedisch-pommerschen Kam- das Stettiner Haff und seine Nebengewässer : (konvex, konkav, Blocksteven, Sonstiges) mer vor. Diese Einrichtung, der heute das sowie häufig auch für die Fischereiverwaltung in Heck: (konvex, konkav, Blocksteven, Spiegelheck, Kreuzer- Finanzministerium entspricht, war ursprünglich den einzelnen herzoglich-pommerschen Ämtern heck, Sonstiges) in Stettin, zeitweise in und schließlich blieb in mehr oder weniger großen Fragmenten Kiel: Kielsohle, Balkenkiel (rechteckig, quadratisch, in Stralsund ansässig. Für die mehr als 180 Jah- erhalten. Anhand dieser Quellen lässt sich eine Y-förmig, T-förmig) re, die die Schwedenzeit in Pommern seit 1630 mit dem Dreißigjährigen Krieg untergegange- Baumaterial: (Eiche, Kiefer, Lärche, komposit, Sonstiges) dauerte, sind mit wenigen Lücken die so ge- ne Welt rekonstruieren, die von verschiedenen Plankengänge: (Anzahl) nannten revidierten Rechnungen einschließlich Autoren als das goldene Zeitalter Pommerns Spanten: (Anzahl) der Quittungen erhalten. Truppenversorgung, beschrieben wurde. Erstaunlich ist, dass die Verbindungen Planken untereinander: (genietet, genagelt, Holznägel, Sonstiges) Beamtenbesoldung, die Verzollung von Schiffs- Landesgeschichtsforschung bisher weder der Spanten mit Planken: (Holznägel, Eisennägel, Eisenbolzen – geklinkt, ladungen oder Strafgelder: Es gab kaum einen Fischereiverwaltung noch deren Rechnungsma- Eisenbolzen – geschraubt, Sonstiges) Bereich, der in der Buchhaltung auf lokaler oder terial irgendeine nennenswerte Aufmerksamkeit Plankenverbindung: (gelascht, auf Stoß, Brett über Stoß, Sonstiges) Landesebene relevant war, der nicht von der geschenkt hat. Dabei bieten diese Quellen einen Spantenverbindung: (gelascht, auf Stoß, Sonstiges) schwedisch-pommerschen Kammer dokumen- wunderbaren Grundstock für eine Geschichte Kalfaterung: (Hanf, Moos, Baumwolle, undefinierbar) tiert und an die Reichskammer in Stockholm der Fischerei in Pommern. Sie sind aber auch Anstrich/Imprägnierung: (einfarbig, mehrfarbig, Teer, Lacke, Antifouling) gemeldet wurde. Dieses Quellenmaterial erlaubt unerlässlich, um die Finanz- und Verwaltungs- Wegerung/Garnier: (fest, Laufbretter, keine, Sonstiges) einen faszinierenden Einblick in die Struktur geschichte dieses Landes zu verstehen. Einbauten: (Fischkasten, Kajütaufbau, Backskisten) des frühmodernen Staates bis hin zu kleinsten Lediglich zwei Vorarbeiten existieren zu diesem Antrieb: (Motor, Besegelung, gerudert, gestakt, geschleppt) Details. Das Staunen der Zuhörer war groß, als Themenkreis, auch wenn diese nicht von His- Motorentyp: (Inborder, Außenborder – Fabrikat, Leistung) Helmut Backhaus an einigen Beispielen zeig- torikern stammten. In Königsberg wurde 1924 Besegelung: (Sprietsegel, Gaffelsegel) te, was er mit diesen Details meinte. So konnte Hans Weicker, der Sohn des Camminer Super- man z. B. auf den Tag genau rekonstruieren, in intendenten, mit einer staatswissenschaftlichen welchem Gemach des Wolgaster Schlosses in Arbeit über die Entwicklung der Schleppnetz- der Mitte des 17. Jahrhunderts Rattengift aus- fischerei promoviert (Weicker, 1927). 1941 er- gelegt worden war. schien die Dissertation des Geografen Ulrich Spätestens bei dieser Gelegenheit wurde das Zimdars, mit der er zuvor in Greifswald promo- Interesse des Verfassers für die Möglichkei- viert worden war. Ausgangspunkt beider Ar- ten geweckt, die sich für die Erforschung der beiten war die damals vom preußischen Staat pommerschen Landesgeschichte über das betriebene Aufhebung der Schleppnetzfischerei frühneuzeitliche Rechnungsmaterial im Stock- im Bereich des Stettiner Haffs, wovon zuerst die holmer Reichsarchiv ergeben. Bei anschließen- Zeesen- und dann die Tuckerfischerei betroffen den Archivstudien im Stadtarchiv Stralsund, im waren. Insbesondere Hans Weickers Arbeit, die

24 25 verblieben. Man kam schnell überein, diese Frei- ungefähr. Den Lohn für seine Arbeit bekam er aus räume neben dem Kartenbild mit den Wappen den Fischereieinnahmen, die bei der so genann- des pommerschen Adels und den naturgetreuen ten Gemeinen Rechnung verteilt wurden (Abb. Ansichten ausgewählter pommerscher Städte zu 2). Die Lubinsche Karte wurde also wie so man- schmücken. Auch über den Inhalt der Textkar- ches Gemälde und mancher Kunstgegenstand, tusche einigte man sich, die eine kurz gefasste den die pommerschen Herzöge in Auftrag gaben, Landesbeschreibung bietet und mit einer Liste letztlich mit Fisch bezahlt. Manches Geheimnis aller Städte sowie der in Pommern bekannten aus der Kunst- und Kulturgeschichte des Re- Fischarten endet (siehe Kasten auf Seite 35 ff.). naissancezeitalters in Pommern könnte mit Hilfe Auf diese Weise gibt die Große Lubinsche Kar- der Gemeinen Rechnungen noch gelüftet wer- te von Pommern heute auch ein Zeugnis des den. Auch die Baugeschichte der herzoglichen Bildes, das die damalige Landesherrschaft von Schlösser ließe sich anhand der Baustofftrans- ihrem Territorium hatte. Sie versinnbildlicht gera- porte, die die Fischer für die Landesherrschaft dezu den klassischen Dualismus zwischen Lan- zu übernehmen hatten, an vielen Stellen aus den desherrschaft auf der einen und Landständen, Unterlagen der Fischereiverwaltung erhellen. Of- also Adel und Städten, auf der anderen Seite fensichtlich wurde diese Quellengruppe bisher (Heck, 2002). Und sie räumt dem Fischreichtum völlig unterschätzt. einen bemerkenswert prominenten Platz bei der Ein halbes Jahrhundert vor der Fertigstellung der Darstellung des Landes ein. Dass Eilhard Lüb- Lubinschen Karte gab der in fürstlichen Diens- ben so gut über die Fischerei Bescheid wusste ten stehende Henning von Ramin seinem Lan- und sie in der zur Karte gehörenden Landesbe- desherrn, Herzog Ernst Ludwig von Pommern- schreibung ausführlich würdigte, kam nicht von Wolgast, bei dessen Regierungsantritt 1569 ein

Abb. 1: Die letzte Generation des Greifenhauses auf einem Kupferstich von I. W. Michaelis um 1720 (Quelle: Pommersches Landesmuseum Greifswald): die Herzöge Philipp Julius von Pommern-Wolgast (1584-1625), Franz von Pommern-Stettin (1577-1620), Philipp II. von Pommern-Stettin (1573-1618), Ulrich von Pommern, Bischof von Cammin (1589-1622) und Bogislaw XIV. von Pommern (1580-1637). seitens der Landesgeschichtsforschung bisher dortigen Schloss auch Herzog Franz einige Ex- leider völlig unbeachtet geblieben ist, bot eine emplare übergab, ehe er Anfang Dezember auf wichtige Richtschnur bei den Forschungen, auf dem Rügenwalder Schloss dem Herzog Bogis- die sich der vorliegende Beitrag stützt (Porada, law XIV. die für ihn bestimmten Drucke aushän- 2009). digte. Der Mäzen in der letzten Generation des Um zu zeigen, was es nun mit dem „pommer- Greifenhauses, dessen Förderung die Entste- schen Bergwerk“ auf sich hatte und welche hung der Karte zu verdanken ist, Herzog Phil- Schätze für die Forschung noch darin schlum- ipp II. von Pommern-Stettin, erlebte die Druck- mern, soll im Folgenden eine Reise in jene un- legung dieses großartigen Werkes nicht mehr. Er tergegangene Welt der Greifenherzöge ange- war bereits am 3. Februar 1618 verstorben. Vier treten werden. Die erste Station führt fast 400 Jahre zuvor, im Juni 1614 hatte er angesichts Jahre in die Geschichte zurück: der damals bereits vorliegenden Kartenentwürfe Zu Beginn des Monats November im Jahre 1618 und der anstehenden Finanzierungsverhandlun- überreichte der Rostocker Mathematikprofessor gen mit dem Amsterdamer Buchhändler Hondi- Eilhard Lübben auf dem Wolgaster Schloss dem us seinen Wolgaster Vetter Herzog Philipp Juli- dort residierenden Herzog Philipp Julius die ers- us gebeten, gemeinsam mit ihm zu überlegen, ten Exemplare der von ihm in fast zehnjähriger „was in die ledigen spacia an descriptionibus … Arbeit erstellten Karte des Herzogtums Pom- gesetzet werden sollte“ (Haas, 1926). Gleicher- mern (Jäger & Schmidt, 1980; Abb. 1). Wenige maßen war er mit seinem zu diesem Zeitpunkt Abb. 2: Das Stettiner Haff belebt mit Fischerei- und Handelsfahrzeugen auf der großen Pommern-Karte des Eilhard Lübben/ Tage später reiste er nach Stettin, wo er auf dem als Camminer Bischof regierenden Bruder Franz Lubinus aus dem Jahre 1618 (Kupferstich, Ausschnitt; Quelle: Jäger/Schmidt, 1980; Reproduktion: Thomas Helms).

26 27 Zielstellung, zeitlicher und schließlich das System der gegenseitigen und räumlicher Rahmen Kontrolle zweier Teilherrschaften mit jährlich wechselnder Administration der Fischerei auf sowie Quellen dem Stettiner Haff und dem Papenwasser zum Bei näherer Betrachtung der Aussage Henning Erliegen kam. von Ramins fällt auf, dass die Einkünfte aus den Neben einer zeitlichen Beschränkung schien im Ämtern und aus den Zöllen in der bisherigen Verlauf der Arbeiten auch eine räumliche Ein- Forschung zwar in mehreren Untersuchungen grenzung ratsam. Dabei kristallisierte sich als gewürdigt wurden, die Bedeutung der Fischerei besonders geeigneter Untersuchungsraum das für den Staatsaufbau in der Frühen Neuzeit am Odermündungsgebiet heraus. Diese großräu- Beispiel Pommerns bisher jedoch nicht erkannt mige Fischereizone hatte wie keine andere in wurde. Dieser dritten Säule der Einnahmen der Pommern sowohl hinsichtlich des Organisati- landesherrlichen Kammer soll hier nun Auf- onsgrades der Akteure als auch der Fangerträ- merksamkeit geschenkt werden. Dabei ist die ge eine zentrale Bedeutung, die zum Teil über landesherrliche Ordnungspraxis im Bereich des die Landesgrenzen hinaus reichte. Angesichts Fischereiwesens als Teil der Herrschaftsaus- der großen Zahl und Vielfalt von Gebieten mit übung herauszustellen. Die diesem Beitrag zu- ausgeprägter Küsten- und Binnenfischerei zwi- grundeliegende Untersuchung versteht sich als schen und Piasnitz bot es sich an, die- ein Beitrag zur Verfassungs- und Verwaltungs- se bei einzelnen Detailfragen vergleichend in die geschichte Pommerns in der ausgehenden Her- Darstellung einzubeziehen. Auch wenn in der zogszeit (Porada, 2009). Analysiert wurden dazu bereits erwähnten Studie die Situation der Fi- die Stellung der Fischereieinkünfte im Rahmen scherei auf der Darß-Zingster Boddenkette, den der Gesamtorganisation des Haushaltes, d. h. rügischen Bodden, dem Greifswalder Bodden auch innerhalb des jährlichen Terminkalenders oder auch den hinterpommerschen Strandseen der Regierungen und der Finanzverwaltungen in nicht im gleichen Umfang wie auf dem Stettiner den beiden Teilherzogtümern Pommern-Stettin Haff und dem Papenwasser behandelt werden und Pommern-Wolgast. Schließlich soll eine konnten, so wurde doch versucht, weitergehen- Einschätzung des Anteils der Fischerei an der de Forschungen auch für diese Areale zu er- Ausprägung einer landesherrlichen Verwaltung leichtern, in dem die noch vorhandenen Quellen in Pommern im letzten Jahrhundert der Greifen- zusammengestellt und erläutert worden sind. herrschaft vorgenommen und ein Vergleich mit Der wesentliche Teil der landesherrlichen Über- den Entwicklungen in ausgewählten Territorien lieferung zu Fischereifragen für das 16. und frü- im Heiligen Römischen Reich und im Ostsee- he 17. Jahrhundert wird heute in den Beständen raum gezogen werden. Herzoglich Stettiner und Herzoglich Wolgaster Archiv, den alten Reposituren 4 und 5 des Stet- Ausgehend von den Fischereiberechtigungen, tiner Staatsarchivs, verwahrt. Innerhalb beider wie sie am Ende des Mittelalters existierten, Archivbestände bestehen eigene Sachgruppen, galt es, die Veränderungen herauszuarbeiten, die der Fischereiverwaltung auf dem Stettiner die sich in der Regierungszeit Herzog Bogis- Haff gewidmet sind. Beide Bestände lagern laws X. (1474/78-1523) und vor allem unter heute teils im Staatsarchiv Stettin, teils im Lan- seinen Nachfolgern vollzogen. Zu fragen war desarchiv Greifswald. dabei nach dem Einfluss der mit der Reforma- tion erfolgten Säkularisation (Einziehung kirch- licher Besitze) des geistlichen Besitzes und der Die Bedeutung der Fischerei- Abb. 3: Ausschnitt (zwischen Usedom und Ueckermünde) aus der Karte des Stettiner Haffs und der umliegenden Ortschaf- Hauptlandesteilungen des 16. Jahrhunderts verwaltung für die ten von Matthäus Nather aus der Zeit um 1600 (Handzeichnung; Quelle: Landesarchiv Greifswald; Signatur: LAG, Rep. 40 auf die Neuordnung der Fischereiverwaltung. Entwicklung des früh- VI, Band 55/4; Reproduktion: Thomas Helms). Der , die , das Haff, die , die Dievenow, die Ihna, das Die Entwicklung der Fischereiordnungen wurde Papenwasser und die Oder waren wichtige Wasserstraßen für die Handelsschifffahrt zahlreicher kleinerer und größerer Städ- hinsichtlich der von der landesherrlichen Ver- modernen Staates in Pommern te im unteren Oderraum. Gleichzeitig bildeten sie eines der wichtigsten Großfischereigebiete an der südlichen Ostseeküste. waltung betriebenen Ressourcenwahrung be- leuchtet, verstanden als Schutz landesherrlicher Für das Herzogtum Pommern gilt die Regie- Ansprüche wie auch der Reproduktionsgrund- rungszeit Herzog Bogislaws X. als die Entwick- Memorial über den Zustand des Fürstentumes sowie dem „Pommerschen Bergwerk“, wie die lagen der Fischbestände. Auf eine Ausweitung lungsphase, in der ein Prozess begann, mit mit auf den Weg. Darin erläuterte er ihm als ers- Alten die Erträge der Fischerei auf dem Stetti- der Untersuchung auf die Zeit nach dem Drei- dem die spätmittelalterliche Fürstenherrschaft tes, dass die fürstliche Hof- und Haushaltung ner Haff zu nennen pflegten. Die letztgenannte ßigjährigen Krieg wurde bewusst verzichtet, weil schrittweise in einen Territorialstaat umgeformt auf Einnahme und Ausgabe der landesherrli- Einkommensquelle des Fürsten würde über die mit dem Ende der Greifendynastie die Residen- wurde. Jener Prozess wurde von inneren wie chen Kammer basieren würde. Die Einnahmen Haffordnung reguliert. Die Haffordnung war eine zenbildung in Pommern ein abruptes Ende fand, von äußeren Faktoren bestimmt. Zu den äußeren der Kammer wiederum ruhten demnach auf Art Fischereigesetz mit detaillierten Durchfüh- damit die Versorgung der Höfe in dieser Form Faktoren können die Reformen auf Reichs­ebene drei Säulen: den Ämtern, den Gemeinen Zöllen rungsbestimmungen (Porada, 2009). nicht mehr weiter organisiert werden musste um 1500, wie z. B. die Bildung der Reichskreise,

28 29 oder die Beanspruchung der Territorien durch verdrängt. Waren vor der die Zahl Während die Verwaltung und die Rechtsauf- Landesteilungen selbst zu derartigen „Kassen- Türkensteuern (vom Heiligen Römischen Reich und der Umfang der Fischereiberechtigungen sicht in den haffangrenzenden Ämtern durch stürzen“ gekommen. Feststehende Termine und erhobene Steuer zur Finanzierung der Türken- der geistlichen Institutionen und der Städte noch den jeweiligen Kieper, der auch als Fischmeister Orte können geradezu als Kennzeichen der Mo- abwehr) bzw. die bündnispolitischen Folgen der recht beachtlich, so zog der Landesherr mit der bezeichnet wurde, und dessen Personal getra- dernisierung innerhalb der landesherrlichen Fi- Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert ge- Säkularisation die geistlichen Berechtigungen gen wurden, war das Rechnungswesen und die nanzverwaltung angesehen werden, wie wieder- rechnet werden. vollständig ein und nutzte sie als Grundstock für Rechtsprechung Aufgabe des Rentmeisters und um der Vergleich mit Kursachsen deutlich zeigt. Wie bei anderen Territorien des Heiligen Römi- eine völlige Neuorganisation dieses Wirtschafts- des Amtshauptmanns. Wenn auch über den ge- Dort hatten sich seit dem letzten Drittel des 15. schen Reiches Deutscher Nation war auch in und Rechtsbereiches. Da adlige Fischereibe- samten Zeitraum bis zum Dreißigjährigen Krieg Jahrhunderts die drei Leipziger Messen sowie Pommern die Entstehung von Ämtern aus den rechtigungen im Stettiner Haff nur in sehr gerin- ein deutliches Bestreben nach einer Umwand- der Naumburger Peter- und Pauls-Markt zu fes- mittelalterlichen Vorgängern, den Vogteien, ein gem Umfang bestanden und nicht über lokale, lung der ursprünglich weitgehend als Natural- ten Abrechnungsplätzen und -terminen der ba- wesentlicher endogener Bestandteil jenes Pro- eng begrenzte Räume hinausreichten, konnten pacht gezahlten Abgaben in eine Geldpacht zu ren Überschüsse aus den Ämterkassen an die zesses. Ansätze zur Bildung von Ämtern, d. h. lediglich die Städte nach der Reformation noch erkennen ist, blieb doch bis zum Aussterben landesherrliche Kammer entwickelt (Schirmer, die Bestallung von Amtshauptleuten, Rent- einen nennenswerten Anteil an der Nutzung die- des einheimischen Dynastengeschlechts und 2006). meistern und sonstigem Amtspersonal, eine ses Großfischereigebietes behaupten. Allerdings dem damit einhergehenden Verlust der Resi- Am pommerschen Beispiel kann beobachtet vermehrte Schriftlichkeit, Kontrollen, das Auf- war ein wesentlicher Teil der Fischer in den Städ- denzen an höfischen Funktionen die Versorgung werden, wie das Bestreben nach Abgrenzung kommen serieller Rechnungen, lassen sich in ten ansässig. Das trifft vor allem für die Großfi- der Schlossküchen eine wichtige Aufgabe der zwischen den Teilherzogtümern, das unmittel- Pommern bis in das 15. Jahrhundert zurückver- scher zu, deren Haupterwerb im Gegensatz zu Fischereiverwaltung. Die Hofhaltungen in Wol- bar mit den beiden Hauptlandesteilungen des folgen. Der Unterschied zwischen den ersten den bäuerlichen Kleinfischern ausschließlich in gast und Stettin, den beiden pommerschen 16. Jahrhunderts deutlich greifbar ist, durch den Ansätzen im 15. Jahrhundert und dem Entwick- der Fischerei bestand. Die landesherrliche Admi- Hauptresidenzen, umfassten jeweils im Schnitt Zwang zur gemeinsamen Verwaltung der Ein- lungsstand, der etwa 100 Jahre später erreicht nistration schloss aufgrund des Fischereiregals zwischen 400 und 600 Personen, abgesehen künfte aus der Fischerei auf dem Stettiner Haff wurde, ist vor allem in einer Intensivierung und nun diese Fischer vollständig mit ein, d. h. un- von Hochzeiten und anderen herausragenden und aus den Hauptzöllen durchbrochen wurde. Professionalisierung der Handhabung dieser abhängig davon, ob sie Amtsuntertanen in den Ereignissen, bei denen die Zahl schnell auf mehr Damit kann sowohl der Verwaltung der Fischerei Herrschaftsinstrumente im entstehenden Ter- Dörfern oder in den amtsangehörigen Städten als 1 200 Menschen anwachsen konnte. als auch den Hauptzöllen im unteren Oderraum ritorialstaat zu sehen. Die Ämter bildeten das waren, oder ob sie in den Städten beheimatet Ein wesentliches Kriterium für die Verdichtung eine Art Bremseffekt auf den Territoralisierungs- Gerüst des frühneuzeitlichen pommerschen waren, die zur Städtekurie (Städteversammlung) innerhalb des frühmodernen Verwaltungsstaa- prozess der Teilherrschaften zugesprochen Fürstenstaates. Sie waren die alles normie- innerhalb der Landstände zählten. Damit bot die tes, die zunehmende Schriftlichkeit, ist gerade werden. Aufgrund der jährlich wechselnden Zu- rende Verwaltungseinheit, auf die sich der Hof Administration des Stettiner Haffs für den Lan- in der Fischereiverwaltung besonders gut zu be- ständigkeit und durch das Mitspracherecht des und die mit ihm verbundenen Zentralbehörden desherrn und seinen Hof eine in anderen Berei- obachten. Die Hauptursache dafür liegt in Pom- jeweils anderen Teilherzogtums waren alle regie- stützten. Allerdings unterschieden sich die ein- chen nicht gegebene Chance, von den Ständen mern in der Praxis der Landesteilungen des 16. renden Fürsten bei der Ausübung von Hoheits- zelnen Ämter im Herzogtum Pommern deutlich nahezu unbeeinflusst schalten und walten zu Jahrhunderts, die eine wechselnde Administra- rechten eingeschränkt. Ohne diesen Umstand voneinander, nicht nur hinsichtlich ihrer Größe können sowie auch hinsichtlich der Einnahmen tion des Haffs zwischen den Teilherzogtümern hätten sich Vor- und Hinterpommern vielleicht und Wirtschaftskraft, sondern auch in Bezug keinerlei ständischer Kontrolle unterworfen zu festschrieb und damit eine jährliche Kontrolle schon früher zu weitgehend selbständigen Ver- auf ihre Funktion innerhalb des Territorialstaa- sein. Ähnliche Prozesse lassen sich seit dem und Verteilung der Einkünfte vorsah. Der dafür waltungsgebilden entwickelt, ein Prozess, der tes und ihre administrative Ausstattung. Bei Mittelalter in den Territorien des Heiligen Römi- eingeführte Vorgang nannte sich Gemeine Rech- so erst mit der Teilung zwischen Schweden und einzelnen Ämtern wurde bis ins 17. Jahrhun- schen Reiches beobachten, in denen der Berg- nung, die einmal jährlich gehalten werden sollte. nach dem Dreißigjährigen Krieg dert die Herkunft aus der mittelalterlichen Vog- bau eine Stärkung der landesherrlichen Macht Neben den Einkünften aus diesem Großfische- wirkungsmächtig wurde. tei auch im Namen deutlich markiert, z. B. bei ermöglichte, wie z. B. in Kursachsen. Mit der reigebiet wurden auch die ungeteilten Zölle hier Gleichzeitig zogen der gestiegene Regelungs- den Landvogteien Rügen und Greifenberg. Bei Leipziger Teilung von 1485 wurden die seit dem verrechnet. Beteiligt waren neben den beiden bedarf nach der Säkularisation und der damit Ämtern, die aus eingezogenem Klosterbesitz Großen Berggeschrei in der Schneeberger Neu- die Haffadministration wechselseitig tragenden verbundene Heimfall der Fischereiberechtigun- entstanden, konnte es bis zum Dreißigjährigen en Fundgrube sprudelnden Einkünfte aus dem Ämtern in Person von Amtshauptmann, Rent- gen der geistlichen Institutionen an den Landes- Krieg dauern, bis sie auch nominell den alten Silberbergbau unter Kurfürst Ernst und Herzog meister und Kieper auch die fürstlichen Räte herrn eine neuartige Ordnungspraxis nach sich. landesherrlichen Ämtern angeglichen wurden. Albrecht aufgeteilt. Uwe Schirmer (2006) sieht beider Teilherzogtümer, öfter sogar die Fürsten Neben der Kirchenordnung ist die Haffordnung Anderen Ämtern fielen bei der Versorgung der in diesen sensationellen Funden die Ursache für selbst. Die Gemeine Rechnung entwickelte sich für Pommern einer der ersten Ansätze zu einer Haupt- und Nebenresidenzen besondere Auf- eine totale Reorganisation des sächsischen Fi- zu einem festen Termin der landesherrlichen Ver- landesherrlichen Gesetzgebung. Die Policeyord- gaben zu. Bei den außergewöhnlichen Funkti- nanz-, Rechnungs- und Haushaltswesens. Die waltung. Dann wurden die Überschüsse aus den nungen und auch die Hofordnungen, die in an- onen sind ferner, in erster Linie bedingt durch verfassungsrechtlichen und behördengeschicht- Einnahmen aus den als Gemeinbesitz weiterge- deren Territorien neben den Kirchenordnungen die Landesteilungen des 16. Jahrhunderts, die lichen Auswirkungen sowie die wirtschaftlichen führten Hauptzöllen sowie aus der Fischerei auf zu den ersten bedeutenden Betätigungsfeldern Ämter hervorzuheben, die entlang der innerter- und sozialen Rückkopplungseffekte des Silber- dem Stettiner Haff und Papenwasser auf die des frühmodernen Staates zählten, brauchten in ritorialen Nutzungsgrenze lagen. bergbaus seit dieser Zeit waren viel nachhaltiger, landesherrlichen Haushalte der beiden Teilher- Pommern erheblich länger bis zu ihrer schriftli- Da eine genaue und zweckmäßige Abgrenzung gewaltiger und wirkungsmächtiger als die blo- zogtümer verteilt sowie auch Mängel vornehm- chen Fixierung. Das persönliche Interesse, nicht der einzelnen Ämter und damit schließlich auch ßen Erzerträge. Im 16. Jahrhundert war man sich lich in der Verwaltung und Rechtsprechung der nur des Landesherrn, sondern auch der fürst- der Teilherzogtümer im Bereich der großen Ge- am Wolgaster und am Stettiner Hof der Greifen- Zölle und der Fischerei im unteren Oderraum lichen Räte, an der Fischereiverwaltung mani- wässerflächen des Stettiner Haffs und seiner herzöge durchaus der Parallelen zwischen den besprochen. Bei dieser Gelegenheit wurden festierte sich u. a. in den Privilegierungen mit Nebengewässer nicht möglich war, verblieb die- Funktionen der Fischerei in Pommern und der auch alle innen- wie außenpolitischen Themen so genannten Freikähnen, die für Kanzler, Ge- ses Areal unter der gemeinsamen Verwaltung des Silberbergbaus in Obersachsen oder auch verhandelt, die beide Teilherzogtümer betrafen. neralsuperintendenten und andere Hofräte eine der angrenzenden Ämter (Abb. 3). Mit der Refor- in den braunschweigischen Territorien im Ohne die besondere Struktur der Fischereiver- erhebliche Aufbesserung ihrer Vergütung dar- mation wurde die Geistlichkeit bei der fischerei- bewusst, wie die Metapher Henning von Ramins waltung wäre es in Pommern wie in anderen stellten oder zu einem zusätzlichen Bestandteil lichen Nutzung des Stettiner Haffs weitgehend vom „pommerschen Bergwerk“ zeigt. geteilten Fürstentümern vermutlich nur bei den der Versorgung der fürstlichen Witwen wurden.

30 31 von Wollin lässt sich beobachten, dass in die- Entfernung zu diesem Großfischereigebiet la- sen Phasen die Fischereiverwaltung stärker an gen, ist die Schweinemast mit Jungfisch, sogar den Stettiner Hof gebunden wurde, um dieses mit Laich, und vor allem mit Stint belegt. wichtige Instrument nicht aus den Händen zu Die Anforderungen an die Großfischerei, die im geben (Abb. 5). Odermündungsgebiet in Form der Schleppnetz- Neben den fiskalpolitischen Aspekten der Fi- fischerei erhebliche Bedeutung erlangte, haben scherei im Odermündungsgebiet, ihrer Bedeu- dort seit dem Mittelalter zu besonderen Metho- tung für Transportleistungen zugunsten der den und Geräten des Fischfangs, zum Entste- Landesherrschaft sowie für die Belieferung des hen von im Nord- und Ostseeraum für die Frühe Hofes mit Fisch darf eine wesentliche Funkti- Neuzeit einzigartigen Fangfahrzeugen wie den on dieses Wirtschaftszweiges nicht vergessen Zeesen- und Tuckerkähnen (Abb. 6a und b) so- werden – die Versorgung eines großen Einzugs- wie besonderer berufsständischer Organisati- gebietes, das zumindest ganz Vorpommern, onsformen der Fischer, die als Gilden auf den das westliche Hinterpommern, die , Wirtschaftsraum und nicht mehr vordergründig das östliche Mecklenburg, z. T. sogar Lübeck auf die Stadt bezogen waren, geführt (siehe und Danzig umfasste. Inwiefern die Lieferun- Kasten auf Seite 38; siehe Beitrag von Mäuslein gen schon im 16. und frühen 17. Jahrhundert auf Seite 111 in diesem Band). Abb. 4: Die Stadt Wolgast um 1615 von Osten, also von der Insel Usedom über den Peenestrom, aus gesehen. Rechts im bereits die Mittel- und die , Schlesien, Die Fischereiverwaltung für das Stettiner Haff und Bild das Schloss, Hauptresidenz des Teilherzogtums Pommern-Wolgast und Sitz der Verwaltung des Amtes Wolgast (Hand- Hamburg und Kopenhagen regelmäßig erreich- seine Nebengewässer, die schrittweise in den zeichnung; Quelle: Stadtarchiv Stralsund; Signatur: StAS, Stralsunder Bilderhandschrift). ten, wie es spätestens für das 18. Jahrhundert letzten 100 Jahren des Bestehens der Greifendy- überliefert ist, kann noch nicht abschließend nastie ausgebaut wurde, war an Rahmenbedin- beurteilt werden. Neben den Fischern auf dem gungen geknüpft, die mit dem Ende des Dreißig- Die Haffordnungen des 16. Jahrhunderts und Jahrhundert angesehen werden, nämlich die Stettiner Haff profitierten vom Fischhandel die jährigen Krieges so nicht mehr existierten. Neben die Gemeinen Rechnungen zogen die Anlegung Kanzlei und die Rentkammer, waren in Pom- Quatzner und die Fischfahrer sowie Kaufleute, dem Niedergang dieses Großfischereigebietes von Akten bei den Amtshauptleuten und Rent- mern maßgeblich an der Entstehung und Aus- die vor allem in den größeren Städten einen infolge der Kriege des 17. und 18. Jahrhunderts meistern in Ueckermünde und Wollin sowie über gestaltung der Fischereiverwaltung beteiligt: guten Absatz erzielen konnten. Aber auch die ist wohl auch das fast völlige Verschwinden je- die landesherrliche Verwaltung in den Archiven Die Rentkammer im Bereich des Rechnungswe- regelmäßige Belieferung des flachen Landes ist ner besonderen Verwaltungsform eine Ursache auf den Schlössern in Wolgast und Stettin nach sens und in Person des Landrentmeisters, die z. B. über die Ihna für den Pyritzer Weizacker für die bisherige mangelnde Aufmerksamkeit, die sich (Abb. 4). Mit den Haffordnungen wurde Kanzlei bei der Gestaltung der Haffordnungen überliefert. Gerade auf den Dörfern und in den dem Thema durch die landesgeschichtliche For- eine grundlegende Regelung der Abgaben der und im Schriftverkehr mit dem Hof des jeweils Ackerbürgerstädten, die in naher und mittlerer schung zuteilwurde (Porada, 2009). Fischer sowie der Rechtsprechung auf dem Haff anderen Teilherzogtums. vorgenommen, die allerdings im Zuge der Ge- Die besonderen Aufgaben, die dem Amtsperso- meinen Rechnungen jährlich modifiziert werden nal in den haffangrenzenden Ämtern zuwuch- Vergleich mit der Entwicklung konnte. Diese Entwicklung der Fischereiverwal- sen, bedingten bis zu einem gewissen Grade im Ostseeraum tung als eine besondere Form der fürstlichen auch eine Professionalisierung, die z. B. bei Herrschaftspraxis ist aus anderen Territorien den Amtshauptleuten eine spätere Karriere als und im Alten Reich bisher nicht bekannt. fürstlicher Rat nach sich ziehen konnte bzw. die Legt man den von Carsten Jahnke (2000, 2004) Besonders herauszustreichen ist die in der zwei- letztlich dazu führte, dass der Haffkieper zumin- vorgenommenen Vergleich der vier während ver- ten Hälfte des 16. Jahrhunderts vorgenommene dest in Stettin tatsächlich ein Hofamt bekleidete. schiedener Phasen des Mittelalters und der Frü- Ausstattung der Ökonomien der beiden Hohen Die Versorgung des Hofes, die Transportaufga- hen Neuzeit intensiver auf den Heringsfang spe- Schulen des Landes, der Greifswalder Univer- ben als Teil der durch die Fischer zu leistenden zialisierten Großfischereigebiete im westlichen sität und des Stettiner Pädagogiums, mit Frei- Dienste und in erster Linie natürlich die finanz- Ostseeraum zugrunde, nämlich Rügen, Schonen, kähnen nicht zuletzt zur Versorgung ihrer Stu- wirtschaftliche Bedeutung sorgten nicht nur Bohuslän und den Limfjord, so ähneln sowohl denten mit frischem Fisch. Über einen Zeitraum für ein gesteigertes Interesse des jeweiligen die verfassungsrechtlichen als auch die ökono- von mehr als zwei Jahrhunderten lässt sich eine Landesherrn an diesem Zweig der Verwaltung, mischen Parameter für die Fischerei im Oder- Beteiligung der Universität in Greifswald und sondern zogen häufig auch ein besonderes Ver- mündungsbereich am ehesten denen der Lim­ des Pädagogiums in Stettin, das später als Ma- trauensverhältnis nach sich. In dieses Bild passt Abb. 5: Die Darstellung von Stettin, der Hauptresidenz des fjordfischerei. Auch hier war bis zur Reformation rienstiftsgymnasium bezeichnet wurde, an der auch, dass bei der für das 16. und 17. Jahrhun- Teilherzogtums Pommern-Stettin, ist geostet. Auf der Oder ein großer Teil der Fischereirechte in geistlichem Fischerei nachweisen. Diese gleichgestellte Pri- dert aufgrund der landesherrlichen Schulden und im Dammschen See sind sowohl größere Handelsschif- Besitz, fiel dann mit der Säkularisation dem dä- vilegierung der Hohen Schulen, d. h. Greifswald typischen Verpfändung von Ämtern die haf- fe als auch kleinere Schuten und diverse Arten von Fische- nischen König zu, der sich daraufhin gezwungen für das Teilherzogtum Pommern-Wolgast bzw. fangrenzenden Bereiche ausgespart blieben. reifahrzeugen zu erkennen. Am nördlichen Stadtrand zeich- sah, die Verwaltung und Rechtsprechung dieses Vorpommern und Stettin für das Teilherzogtum Auch bei der Vergabe dieser Ämter als Wittum net sich hinter der Marienstiftskirche mit dem Fürstlichen Wirtschaftszweiges neu zu ordnen. In der Folge- Pommern-Stettin bzw. Hinterpommern, war ein (Witwenbesitz) wurde äußerste Zurückhaltung Pädagogium deutlich der Schlosskomplex ab, der wenige zeit dienten die Fangerträge zur Versorgung der wesentlicher Bestandteil der gemeinsamen Ad- geübt. Ist sie für Ueckermünde im 15. Jahrhun- Jahre später noch um einen weiteren Flügel, den so ge- Hauptresidenz Kopenhagen und der Kriegsflot- ministration der Fischerei auf dem Stettiner Haff dert noch belegt, so sind in der ausgehenden nannten Münzbau, erweitert wurde (Kolorierte Plan-Vedute te bzw. wurden dem regionalen, teilweise sogar und dem Papenwasser. Herzogszeit zwar Pudagla und Wollin aufgrund „Alten Stettin“ aus Georg Brauns und Frans Hogenbergs dem überregionalen Fischhandel zugeführt. Die Zwei Bereiche, die als Ausdruck des Konzen- ihrer Nähe zu den jeweiligen Hauptresidenzen Städtebuch, Bd. IV, Köln um 1600, Zweitfassung. Quelle: daraus erzielten Einkünfte flossen in erheblichem trationsprozesses der Landesherrschaft im 16. durchaus als Witwensitze begehrt, aber im Falle Sammlung Gottfried Loeck; Reproduktion: Thomas Helms). Umfang in die landesherrliche Kasse.

32 33 Für den Vergleich mit der entsprechenden Ent- zwischen Stettin und Wolgast, wobei in diesen wicklung in Pommern ist am schleswig-holstei- Fällen den beiden Landesherrschaften jeweils nischen Beispiel die Gemeinschaftliche Regie- unterschiedliche Hebungen aus den davon be- rung besonders aufschlussreich, auf die man troffenen Dörfern zustanden. Daneben ist das sich bei der Teilung von 1544 verständigte und Camminer Domkapitel tatsächlich als Mischbe- die seit 1564 festere Formen gewann. Es han- sitz anzusprechen, da die Domherrenstellen zu delte sich um eine Regierung der landesherrli- gleichen Teilen von den beiden Linien besetzt chen Räte, die von den Herzögen zu gleichen und auf diese Weise zur Versorgung vor allem Teilen beschickt wurde. Die Geschäftsführung von Hofräten genutzt wurden. Während in den sollte demnach bei dem zeitweilig regierenden letzten 100 Jahren der Greifenherrschaft auch Landesherrn liegen und jeweils ein Jahr dauern. die Hauptzölle des Landes, ähnlich wie in an- Als Termin für den Wechsel war Michaelis, also deren geteilten Territorien, gemeinschaftlich der 29. September, festgelegt worden. verwaltet wurden, erscheint die jährlich wech- selnde Verwaltung und Gerichtsbarkeit eines Bei den pommerschen Hauptlandesteilungen Großfischereigebietes als Sonderfall unter den dagegen gab es nur entlang der neuen Binnen- Landesteilungen in den Territorien des Heiligen grenze in bescheidenem Umfang Mischbesitz Römischen Reiches deutscher Nation.

Frühe Listen und bildliche Darstellungen von Fischarten aus den Gewässern entlang der südlichen Ostseeküste

Der Fischreichtum Pommerns war im Spät- mittelalter und in der Frühen Neuzeit unter Zeitgenossen sprichwörtlich. Zahlreiche Be- lege aus zeitgenössischen Chroniken des 16. Jahrhunderts schildern ihn überschwänglich. So bezeichnete Herzog Johann Friedrich von Pommern-Stettin (1542-1600) das Stetti- ner Haff als sein Vorratskämmerlein (Linke, 1935/36). Der bekannte Chronist Thomas Kantzow (1505-1542) meinte in der hoch- deutschen Fassung seiner Chronik (1538- 1542), „es ist ein unschätzlich Wasser dem ganzen Lande … ohn das ists überflüssig vull von allerlei Fischen“ (Gaebel, 1897/98). Abb. 6a und b: Prinzipskizzen von einem Zeeskahn auf der Drift und von einer Partie Tuckerkähne auf dem Stettiner Haff Johannes Micraelius (1597-1658), Lehrer (Zeichnungen: Carsten Liesenberg; Quelle: Porada, 2009) am Fürstlichen Pädagogium zu Stettin, be- hauptete (1639) gar: „Pommern ist eines von den fischreichsten Ländern“. Auch bei Dani- Innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Reformation), Hof- und Landgericht sowie Stadt el Cramer (1602 und 1628) sowie Paul Frie- deutscher Nation lassen sich zwar Flüsse und und Universität Rostock in gemeinschaftlicher Abb. 7: Catalogus piscium (Liste der in den pommer- deborn (1613) finden sich ähnlich gelagerte Seen mit intensiver Binnenfischerei und auch Verwaltung beider Linien. Noch ausgeprägter schen Gewässern vorhandenen Fischarten) auf der gro- Darstellungen. ausgedehnte Teichwirtschaftsgebiete nachwei- war in dieser Beziehung die Landesteilung in ßen Pommern-Karte des Eilhard Lübben/Lubinus aus Der Erwartungshaltung seiner fürstlichen sen, aber keines ähnelte hinsichtlich der Struk- den Herzogtümern Schleswig und Holstein von dem Jahre 1618 (Kupferstich, Ausschnitt; Quelle: Jäger/ Auftraggeber und auch zahlreicher Zeitge- turen und Funktionen auch nur annähernd dem 1490, die eigentlich dem Teilungsverbot für die- Schmidt 1980; Reproduktion: Thomas Helms). nossen außerhalb Pommerns trug der Ros- Stettiner Haff. Allerdings erscheint ein Vergleich ses Territorium widersprach. Um wenigstens tocker Mathematikprofessor und Geodät Dr. der Entwicklung in Pommern mit der in anderen formal die Einheit zu wahren, hatten alle Akteure Eilhard Lübben (1565-1621), genannt Lubi- Territorien des Alten Reiches hinsichtlich der Art, sowohl die Zollerhebung an der Königsau, die nus, nicht erst mit der Fischliste am Ende der kurzen Landesbeschreibung auf seiner großen der Bedeutung und der Funktion, die Gemein- Legislative in zentralen Angelegenheiten, die Pommern-Karte von 1618 sondern auch schon in seiner Beschreibung von 1611 Rechnung besitz bei Landesteilungen an der Wende vom landständische Steuereinnahme sowie einzelne (Abb. 7). Hier beschäftigte er sich eingehend mit der Fischerei: „Für allen Dingen aber hat Mittelalter zur Frühen Neuzeit haben konnte, Teile der Adelsdistrikte im Osten Schleswigs und Pommern den Preiß und Ruff von vielen guten Fischen, welche sowohl im Saltzen Meer, als lohnend. So verblieben im benachbarten Her- Holsteins in gemeinschaftlicher Verwaltung be- in frischen fließenden Ströhmen, Bächen, stehenden Sehen und Teichen gefangen werden, zogtum Mecklenburg bei der Hauptlandestei- halten. Mit den Hauptlandesteilungen von 1544 dass ich kühnlich schreiben will, dass kein Land oder Furstenthum im gantzen Römischen lung von 1621 in die Teilherzogtümer und 1581 wurde die Gliederung des Landes in Reich Teutscher nation sey, welches sich Pommern an Vielheit und mannigerley Art (denn und Güstrow die mit dem Konsis- einen königlichen, einen herzoglichen und einen etliche sagen dürffen, dass in Pommern über Siebentzigerley Arth Fische zu finden) gu- torium (die oberste geistliche Behörde seit der gemeinsam verwalteten Anteil festgeschrieben.

34 35 ter wohlschmeckender Fisch vergleichen könte, und kommt solches dahero: erstlich dass Name in der Wolfenbütteler Heutiger deutscher Wissenschaftlicher Arten- bzw. Familien- oder Pommern über 50 Meile am Meer gelegen und derwegen den Einwohnern am Meer stetige Fischliste um 1600 Artenname Gattungsname Fischerey giebt an Hering (deßen vor Zeiten uberaus viel am Lande Rügen gefangen), Dors, Lachsfhoren Meerforelle Salmo trutta trutta Stecherlinge Stichlinge Gasterosteidae (Familie) Flundern, Steinbutten, Tabies, Meer-Schweinen oder SeeHunden, Sehe-Hahnen, Rochen, Steinbutten Steinbutt Scophthalmus maximus Krabben u.a.“ (Jäger & Schmidt, 1980). Noch im Jahre 1711 sprach die Renovirte Haffor- Störe Störe Acipenseridae (Familie) dung der schwedisch-pommerschen Regierung in Stettin bezogen auf den Fischreichtum Lachs Lachs Salmo salar von einem Segen Gottes (Porada, 1999). Biberschwenße Biber Castor fiber Das große Interesse an den vor der pommerschen Küste gefangenen Fischarten und ihrem Gesen Aland, Nerfling Leuciscus idus Aussehen zeitigte sogar weit entfernt von der Ostseeküste Spuren in den Archiven und Bi- Zarten Zärte Vimba vimba bliotheken. So ließ sich Sebastian Münster (1488-1552) für seine 1550 in Basel auf Deutsch Tschuppen Zope Abramis ballerus publizierten fünften Ausgabe der Cosmographei eine Landesbeschreibung Pommerns zuar- Stockbarß Flussbarsch Perca fluviatilis beiten, die nicht nur aus Texten, sondern auch aus einer Karte des Herzogtums bestand. Für Stijndt Stint Osmerus eperlanus die Drucklegung zu spät erreichten ihn, wie er in einem Brief vom 9. Dezember 1550 an Her- Krebß Flusskrebs Astacus astacus zog Johann Albrecht I. von Mecklenburg (1525-1576) schrieb, „…die Ansichten von Stettin Meerspinnen Seespinnen Majidae (Familie) *) und Stralsund und die Abbildungen einiger seltener Fische zusammen mit einer schönen und Sleij Schleie Tinca tinca mustergültigen Beschreibung des ganzen Herzogtums und einem genauen Stammbaum der Makrelen Makrele Scomber scombrus Fürsten...“ (Burmeister, 1964). Eine derartige Zeichnung von einem Zander und einer Zärte, Gutzen Güster, Blicke Blicca bjoerkna die aufgrund enger verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen dem Greifen- und dem Wel- Plötzen Plötze, Rotauge Rutilus rutilus fenhaus als Illustration zu einer handschriftlichen Fischliste vom Wolgaster bzw. Stettiner an Goldefisch Alse, Maifisch Alosa alosa den Wolfenbütteler Hof gesandt wurde, hat sich in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüt- Grundelein Gründling Gobio gobio tel (Signatur: Cod. Guelf. 36.13 Aug. 2° Vol II., fol 155r) erhalten (Abb. 8). Die Fischliste trägt Ziegen Sichling, Ziege Pelecus cultratus den Titel Fische welche in der Oder und andern strömen auch seen, Frischen Hafe und Pom- Ponnichlen Dorsch Gadus morhua merischen Seestrande gefangen werden. Im Inhaltsverzeichnis jenes Bandes, in dem die Moderlisechen Moderlieschen Leucaspius delineatus Parmen, Schmerlen Bachschmerle Barbatula barbatula Beilagen von Briefen aus dem frühen 17. Jahrhundert zusammengebunden wurden, steht Rochen Rochen Raja spp., Batoidea (Überordnung) auf diese Liste bezogen der Zusatz Multa genera piscium. Diese vielen Arten von Fischen, Neunaugen Fluss-Neunauge Lampreta fluviatilis unter die einer mittelalterlichen Tradition folgend auch Biber gezählt wurden, werden dann Heßelinge Hasel Leuciscus leuciscus einzeln aufgezählt. Sie wurden identifiziert (Dähnert, 1781; Siebold, 1863; Gilow, 1871) und Flundern Flunder Platichthys flesus sind in der folgenden Tabelle den heutigen Artenbezeichnungen gegenübergestellt, wobei Gijbeln Giebel Carassius gibelio deutlich wird, dass offenkundig für einige Fischarten mehrere mundartliche Bezeichnungen Döbell Döbel Leuciscus cephalus existierten, was schon die Zeitgenossen verwirrte. Schnepell Schnäpel Coregonus spp. Wolkanz Seeskorpion Myoxocephalus scorpius Mijsebieter Döbel Leuciscus cephalus Name in der Wolfenbütteler Heutiger deutscher Wissenschaftlicher Arten- bzw. Familien- oder Hornfisch Hornfisch, -hecht Belone belone Fischliste um 1600 Artenname Gattungsname Tutchen Tütsch nicht feststellbar Lampreten Meerneunauge Petromyzon marinus Tabiaß Tobiasfisch Ammodytes tobianus Karpen Karpfen Cyprinus carpio Hechte Hecht Esox lucius Pirzker Schlammpeitzger Misgurnus fossilis Ahland Aland, Nerfling Leuciscus idus *) in der Ostsee nicht vertreten Kulebarß Kaulbarsch Gymnocephalus cernuus Marenen Maräne Coregonus spp. Ob vor vier Jahrhunderten noch weitere Fischdarstellungen aus Pommern nach Braun- Ahl Aal Anguilla anguilla schweig gelangten, lässt sich aus dem beschriebenen Wolfenbüttler Band leider nicht re- Welß Wels Silurus glanis konstruieren, darf aber wohl vermutet werden. Auf jeden Fall findet sich zwei Blatt weiter Krabben Krabbe (versch.) Brachyura (Infraordnung) (Signatur: Cod. Guelf. 36.13 Aug. 2° Vol II., fol. 157 r) ein „Verzeichnuß, wie ungeferlichen Braßen od(er) Bley Brasse, Blei Abramis brama die jenigen fische alhier in Pommern zu gericht unnd gekocht werden: Ahl wirdt aufm röst Karuschen Karausche Carassius carassius gebratten. Saur vnd gelbe mit der Ingwers Brüe gekocht, auch pflegt man denselben mit Gel- Zandaten Zander Sander lucioperca ben Rüben zu kochen. Welse konnen auch imgleichen gelb vnd saur gekocht werden, oder Heringk Heringe, Sprotten Clupeidae (Familie) auch wol süsse aus der butter, jedoch woll gewürtzt. Vnnd muß derselbe eine nacht zuvor Roddaugen Rotauge, Plötze Rutilus rutilus im Wasser liegen. Zanoth wirdt ingleichen die nacht zuvorn ins wasser gelegt vnd wen ehr Scharopen Seeskorpion Myoxocephalus scorpius fast gahr gekhocht, die schuppen abgenohmen vnd darnach süeß oder saur aus der Butter Dorsch Dorsch Gadus morhua gekocht, Ingleichen auch seind Hechte, Bleij, oder Berssen zu zurichten. Vkeleij Uckelei Alburnus alburnus Seine, Butten, Musen Ingleichen wie andere treuge fische, sowohl auch die schullen oder Graupen Groppe Cottus gobio Platteisen eingewessert werden, vnd hernach syß oder saur aus der Ingwer Brüe gekhocht, Kabbelow Kabeljau Gadus morhua vnd wol abgewürzt werden. Auch pflegt man die Platteisen des Sommers mit grünen Erbe- Rapen, Quappen Quappe Lota lota sen zu kochen. Zerten die werden gebratten vnd mit heisenn Butter begoßen, Pagling des Steinbeißer Steinbeißer Cobitis taenia gleichenn. Kulparse konnen In gleicher massen wie die Zanot Bley oder hechte aus der But- Schullen Scholle Pleuronectes platessa ter oder Ingwer brüe gekocht werden.“

36 37 Abb. 8: Vermutlich aus dem frühen 17. Jahrhundert stammen- Bootes verdrüddet oder versöstet, je nach lokalem Gewohnheitsrecht, d. h. der dritte bzw. de Zeichnung von Zander und Zärte, die seitens der pommer- sechste Teil des Verkaufserlöses wurde an den Herzog über den jeweiligen Kieper bzw. den schen Herzöge an ihre braunschweigischen Vettern gesandt Rentmeister abgeführt. wurde. Die zeitgenössische Darstellung zeigt aus heutiger Die Abrechnung der jährlichen Erträge war zunächst 1532 auf ein festes Datum in Wolgast Sicht fehlerhafte Details, z. B. die Anzahl der Rückenflossen: festgelegt worden. Bereits ab 1533 hatte man dann die Abrechnung der Haffintraden mit Beim Zander eine zu wenig, bei der Zärte eine zu viel. (Quelle: denen der Zölle zusammengelegt und in den folgenden Jahren in Stettin jeweils am 9. Ok- Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel; Signatur: Cod. Guelf. tober durchgeführt. Ab 1541 wurde nun festgelegt, die Haffrechnung jährlich wechselnd in 36.13 Aug. 2°, fol. 509 r; Reproduktion: Thomas Helms). Ueckermünde bzw. Wollin durchzuführen und bei der Gelegenheit auch, wie bisher in Stettin praktiziert, die Zollrechnung zu halten. So wurde schließlich die ohnehin komplizierte Pro- zedur der so genannten Gemeinen Rechnung für den Finanzausgleich zwischen beiden Teil- Die im Zeitalter der Renaissance verfeinerte Koch- herzogtümern erheblich erleichtert. Seit dieser Zeit bis in das erste Drittel des 17. Jahrhun- kunst fand an mehreren deutschen Fürstenhöfen derts hatten Ueckermünde und Wollin eine feste Stellung im Verwaltungsbetrieb Pommerns in ersten gedruckten Kochbüchern ihren Nieder- (Abb. 9a und b). Der Tag der Gemeinen Rechnung sah so aus, dass die Amtshauptleute und schlag, in denen die Küchenmeister ihre Rezepte Rentmeister beider Ämter sich auf dem jeweiligen Schloss trafen. Außer ihnen waren häu- veröffentlichten. Auch die pommerschen Fischre- fig die Kieper und weitere Beamte anwesend. Dabei konnten auch die jeweils Betroffenen zepte wurden über eine derartige Publikation des der anderen haffangrenzenden Ämter erscheinen, so z. B. Stettin, Jasenitz, Wolgast oder Wolfenbütteler Hofes einem größeren Publikum Usedom-Pudagla. War die Rechnungslegung erfolgt, wurden ausgiebig die Mängel disku- bekannt (Schleinert & Porada, 2000). tiert. Daraus leiteten sich einerseits die Folgen für die zukünftige Verwaltungspraxis und Empfehlungen für übergreifende Rechtssetzungen seitens der Landesherren, also der Her- zöge, ab, andererseits ging es natürlich immer wieder um die Verrechnung von Überschüs- sen und Defiziten gegeneinander. Dabei kamen auch weit entfernt liegende Einnahmen und Ausgaben zur Sprache, so dass schließlich im Laufe der Zeit immer mehr Sachverständige Zur Entstehung und zum Aussagewert frühneuzeitlicher fischereige- hinzugezogen werden mussten. Langsam aber sicher wurde der Tag der Gemeinen Rech- schichtlicher Quellen in Pommern nung zu einem festen Termin für ein Treffen der herzoglichen Räte beider Seiten, also der Regierungen von Wolgast und Stettin. Diese Treffen wurden nur noch von den ständischen Allein bei dem heute noch erhaltenen Aktenmaterial im Staatsarchiv Stettin und im Landes- Versammlungen bzw. den Landtagen als Ganzes übertroffen. Damit waren Ueckermünde archiv Greifswald, das sich mit Fischereiangelegenheiten aus der Zeit der letzten Greifen- und Wollin zu wichtigen Kommunikationspunkten innerhalb des pommerschen Herzogtums herzöge beschäftigt, kann bei groben Schätzungen von einem Umfang von mehr als 20 000 Blatt ausgegangen werden. Mit den Hauptlandesteilungen des 16. Jahrhunderts innerhalb des Greifenhauses waren zwei Teilherzogtümer geschaffen worden, Pommern-Wolgast und Pommern-Stettin. Die Grenze zwischen beiden Herrschaften verlief in nord-südlicher Rich- tung in etwa entlang der Oder und Swine. Infolge dieser Landesteilungen entwickelten sich letztlich auch unsere Vorstellungen und Begriffe von Vor- und Hinterpommern. Die Erbtei- lungsverträge von 1532 bzw. 1541 und 1569 legten deutlich die Art und Weise der finanziel- len und organisatorischen Auseinandersetzung der beiden Teilherzogtümer fest. Soweit es um das Land ging, war es durch eine Kommission auf seine Erträge geschätzt und relativ leicht zu teilen gewesen. Schwerer fiel dies aber bei den Zöllen und den Einkünften der Her- zöge, die diese vom Stettiner Haff – welches damals noch allgemein Frisches Haff genannt wurde – hatten. Dabei handelte es sich um die Abgaben für die herzoglichen Küchen und die so genannte Wasserpacht. Da sowohl die Zölle als auch die Wasserpacht vom Frischen Haff jährlich schwankten, war es sehr schwer, zu einer gerechten und sinnvollen Grenzzie- hung in diesem Bereich zu gelangen. So entschied man sich, eine Reihe von Zöllen und die Haffadministration ungeteilt zu verwalten und jährlich lediglich die Einkünfte zu verteilen und sie gegen gewisse Unkosten der einen oder anderen Seite zu verrechnen. Hatte man 1532 noch eine konkrete Regelung für das Haff offengelassen, so entschied man sich bei der endgültigen Teilung 1541 und bei der erneuerten Teilung 1569 für Wollin und Ueckermünde als Verwaltungszentren; Wollin für das Teilherzogtum Pommern-Stettin und Ueckermünde für Pommern-Wolgast. Die Amtsleute in beiden Ämtern sollten sich ein ums andere Jahr in der Administration des Haffs abwechseln. Jede Beschwerde über sie sollte direkt an den Herzog, dem im betreffenden Jahr die Administration unterstand, weitergeleitet werden. Alle Zeesenkähne auf dem Haff sollten seit 1541 zwischen beiden Seiten gleichmäßig auf- geteilt werden, auch der so genannte Vorfisch ging in das jeweilig geschäftsführende Amt. Dazu muss man wissen, dass der Vorfisch jeweils die beiden besten Fische eines Fanges darstellte und ablieferungspflichtig war. Darüber hinaus standen den Herzögen bzw. als ih- Abb. 9a und b: Doppelseite für die Kiepereien Wollin und Ueckermünde aus der zu Ueckermünde am 19. März ren Stellvertretern den Amtshauptleuten der Herrenfisch zu, zu dem u. a. Arten wie Hecht, 1595 für den Zeitraum 1593/94 gehaltenen Gemeinen Rechnung (Quelle: Staatsarchiv Stettin, APS, AKS I/2112, Stör, Lachs oder zeitweise auch Karpfen zählten. Außerdem wurde der gesamte Fang eines fol. 209-215).

38 39 ner Haff aus Sicht der Landesherrschaft relativ seinen fürstlichen Gästen auf eine Schlittenfahrt geworden. Hier entschieden sich häufig unkompliziert zu organisieren. Am Beispiel der über das Stettiner Haff gen Wolgast begeben, Wohl und Wehe der pommerschen Finanzen Rheinzölle und des Elbzolls wurde bereits durch wo er am 2. Februar 1600 bei der dort hofhalten- am Ende eines Rechnungsjahres. Zwar wur- Ernst Schubert (1999) für andere Territorien der den Herzogswitwe Sophia Hedwig von Braun- den Fischerei- und Zollangelegenheiten im- Nachweis geführt, dass selbst solch eine prak- schweig-Wolfenbüttel anlangte und mit seinem mer und überall bei jeder sich bietenden Ge- tische Frage, wie jene, welche Einkünfte es dem Bruder, Herzog Bogislaw XIII., zusammentraf. legenheit behandelt, wie die Akten deutlich Landesherrn ermöglichten, überhaupt mit ge- Auf jener legendären Schlittenfahrt hatte er ent- ausweisen. Nie aber war der Problemdruck wisser Regelmäßigkeit über Bargeld disponie- lang der südlichen Haffküste zahlreiche Fischer so groß wie bei den Treffen in Wollin und Ue- ren zu können, an diese Seite des Haushaltes in einbestellt, um den auswärtigen Gästen die auf ckermünde. Selbst die Herzöge schalteten den entstehenden Territorialstaaten gebunden große Haufen geworfenen und in Kiepen aufge- sich in diese Belange teils persönlich ein, war. stellten Fangerträge der Eisfischerei zeigen zu wie heute noch unzählige Aktenstücke in den Abschließend sei auf zwei merkwürdige Bei- können. Dieses Beispiel wirft ein Schlaglicht auf Archiven in Stettin und Greifswald beweisen. spiele für die Verbindung einzelner Angehöri- die Funktion, die die Fischerei auch für die äuße- Sie machten Vorschläge zur jeweiligen Dau- ger des Greifenhauses zur Fischerei in ihrem re Repräsentation der pommerschen Fürsten im er der Fischereisaison, insbesondere auch Territorium hingewiesen. Beschäftigten sich die Renaissancezeitalter eingenommen hat und für zum besseren Schutz des Fischlaiches im Fürsten schon im Zuge ihrer Ordnungstätigkeit die letztlich die Lubinsche Karte von Pommern Frühjahr, zur Steigerung der Fangeinnahmen persönlich mit den Maschenweiten der auf dem eines der wenigen bildlichen Zeugnisse darstellt, durch neue und effizientere Methoden, zur Stettiner Haff eingesetzten Netze, so war der die auf uns gekommen sind (Porada, 2009). Größe der Zeesen- und Tuckerkähne. So- jüngste der Brüder in der vorletzten Generation gar Netze sandten sie sich gegenseitig zur dieses Dynastengeschlechts bereits den Zeit- Der vorliegende Beitrag ist die überarbeitete Ansicht zu, um deren Maschenweite mittels genossen aufgrund seiner Leidenschaft für das und ergänzte Fassung eines Vortrages, der am eines Stocks zu überprüfen und zu normen Fischen als ein Sonderling aufgefallen. Es han- 21. Januar 2010 im OZEANEUM Stralsund im (Abb. 10). Kaum ein Thema aus der Regie- delte sich um Herzog Kasimir VI. (1557-1605), Rahmen einer gemeinsamen Buchpräsentation rungspraxis hat sie gegenseitig so beschäf- Abb. 10: Proben von Fischernetzen aus dem ausgehen- Bischof von Cammin, der sich noch ein Jahr des Deutschen Meeresmuseums, der Arbeitsge- tigt, wie die Fischerei und die Organisation den 16. Jahrhundert vom Stettiner Haff in einer Akte vor seinem Tode nicht wie seine Vettern und so meinschaft für pommersche Kirchengeschichte der von den Großfischern im Auftrag der des Stettiner Staatsarchivs mit dem Titel „Die Fischerei viele Standesgenossen zu jener Zeit ein Jagd- e. V. und des Thomas Helms Verlages Schwerin Landesherrschaft zu leistenden Transporte auf dem Frischen Haffe, im Papenwasser, auf der Die- schloss, sondern ein Fischerhaus in den Sand gehalten wurde. auf den ausgedehnten Wasserflächen. Ne- venow und im Camminer Bodden 1535-1628“ (Quelle: am Strand zwischen Kolberg und Rügenwalde ben der Verwaltung war die Rechtsprechung Staatsarchiv Stettin; Signatur: APS, AKS I/2109). bauen ließ. Er nannte es Neuhausen. Von ihm ein wichtiges Thema am Rande der Gemei- sagt Joachim von Wedel in seinem Hausbuch, Literatur nen Rechnungen. Neben den normativen er habe zur Fischerei „sonderliche lust und an- Quellen, wie z. B. den Haffordnungen, bieten die Prozesse der Landesherrschaft wegen muthung“ gehabt. Dass dies in jener Zeit nicht Barthold, F. W. , Geschichte von Rügen und Fischereifrevel und die Querelen zwischen den verschiedenen Fischern (Zeesener, Tucker unbedingt als die einem Fürsten gemäße Be- Pommern, Theil 4: Von der Rückkehr Bo- sowie Kleinfischer wie Reusener und Nettener) einen großen Fundus an Aussagen, die auch schäftigung angesehen wurde, spricht aus den gislavs X. vom h. Grabe (1498) bis zum detaillierten Aufschluss über die Entwicklung der Fischereifahrzeuge und der Fangmetho- Worten Joachim von Wedels: „Also ist dieser Tode des letzten Herzogs von Pommern. den geben (Porada, 2009). unser fürst mit der fischer-lust befallen und ge- J. 1637. Perthes, Hamburg. 622 S. quälet worden, denn er sonderliche grosse lust Bohlen auf Bohlendorf, J. von (1882): Hausbuch und anmuthung zum fischen gehabt und der fi- des Herrn Joachim von Wedel auf Krepzow scherei mehr, denn es sich seinem stande nach schloß- und Blumberg erbgesessen. Bib- Zusammenfassung hatte, ist sehr hoch zu veranschlagen. Nach geschickt, immer obgelegen, darzu häuser an liothek des Litterarischen Vereins in Stutt- zeitgenössischen Chroniken entsprachen die die wasser erbauen und sonderliche fischerei- gart 161. Litterarischer Verein in Stuttgart, Zusammenfassend kann gesagt werden, dass landesherrlichen Einnahmen aus der Fischerei en und fischerzeug anrichten lassen, inmassen Tübingen. die Fischereiverwaltung für das Stettiner Haff auf dem Stettiner Haff in ertragreichen Jahren er dann unter andern bald bei angetretener rü- Burmeister, K. H. (Hrsg) (1964): Briefe Sebasti- und dessen Nebengewässer, die in Pommern im in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts der genwaldischer regierung an den strand und in an Münsters, lateinisch und deutsch. Insel Zuge der Hauptlandesteilungen des 16. Jahr- Hälfte des Haushaltes einer der beiden Teil- den sand ein ansehnlich haus umb der fischerei Verlag, Frankfurt am Main. 209 S. hunderts aufgebaut wurde, einen wesentlichen herrschaften. Für die zweite Hälfte des 16. und willen erbauen lassen, alda er […] sein leben ge- Cramer, D. (1602): Pommerische Chronica, das Baustein bei der Entstehung des frühmodernen das frühe 17. Jahrhundert sind derartige Zahlen schlossen, und hat er nicht allein dem wercke ist, Beschreibung ... wie anfenglich durch Territorialstaates darstellte. Konzentrationspro- für die Pachteinnahmen zumindest in den Ge- zugesehn, sondern auch im fischerlichen habit, Bischoff Otto von Bamberg, die Pommern zesse landesherrlichen Verwaltungsstrebens meinen Rechnungen nicht mehr belegt, dafür beides zur winter- und sommerzeit, selbst hand ... zum Christenthumb bekehret ... von ... sind hier besonders gut zu erkennen, da die entsprachen die Summen zumindest zum Zeit- mit angeschlagen und mehr, dann der fischer ei- Anno 1124. biss auff den Eingang dess ständischen Einflussmöglichkeiten außeror- punkt der zweiten Hauptlandesteilung von 1569 ner, offt in grosser kälte schwere arbeit gethan“ 1601. Jahrs. Iohann Spiessen und Roma- dentlich gering waren. Die Bedeutung der Ein- immer noch denen, die aus den Geldhebungen (Bohlen, 1882). ni Beati Erben, Frankfurt am Main (so ge- künfte aus diesem Großfischereigebiet für den eines kleineren oder mittleren landesherrlichen Sein Bruder, Herzog Johann Friedrich von Pom- nannte kleine Ausgabe). 181 +198 S. landesherrlichen Haushalt ist zumindest in den Amtes gezogen werden konnten. Verglichen mit mern-Stettin (1542-1600), hatte fünf Jahre zu- Cramer, D. (1628): Das grosse Pomerische Kir- ersten Jahren nach der Hauptlandesteilung von den Landessteuern oder auch den Einkünften, vor „des lustigen Fischfangs wegen in seinem chen-Chronikon. Nicol. Barthelt, Zu Alten 1532/41 als relativ groß anzusehen und der die aus den Ämtern als Abgaben erzielt werden Hause zu Köpitz während des strengen Frostes Stettin (Folio-Ausgabe). 705 S. Stellenwert, den die Fischereiverwaltung inner- konnten, war die Erhebung der Zölle und der hofgehalten“ (Barthold, 1845), d. h. also der Eis- Dähnert, J. C. (1781): Platt-Deutsches Wörter- halb des landesherrlichen Staatsaufbaus inne- Fischereiabgaben der Fischer auf dem Stetti- fischerei beigewohnt, und sich anschließend mit buch nach der alten und neuen Pommer-

40 41 schen und Rügischen Mundart. Christian Teilungsverträge, in: Baltische Studien N.F. Lorenz Struck, Stralsund. 562 S. 37: 1-70. Anmerkungen zum steten Wandel Friedeborn, P. (1613): Historische Beschrei- Linke, G. (1936): Die pommerschen Landestei- bung der Stadt Alten Stettin in Pommern/ lungen des 16. Jahrhunderts. 2. Teil: Histo- sampt einem Memorial vnnd Außzuge et- risch-topographische Einzeluntersuchung, der Küstenfischerei licher denck­würdiger Geschichten/Hand- in: Baltische Studien N. F. 38: 97-191. lungen vnd Verträgen/welche sich von Zeit Micraelius, J. (1639): Johannes Micraelius, Gerd Wegner angenommenen Christenthumbs/innerhalb Sechs Bücher vom alten Pommerland. Ge- fünfhundert Jahren/daselbst begeben/vnnd org Rhete, Stettin. 630 S. etwan nützlich zu wissen. So dann auch ein Porada, H. T. (1999): Zu pommerschen Fische- General Beschreibung des gantzen Pom- reiordnungen des 16. Jahrhunderts am merlandes: Fürstliche Stammlini der Hertzo- Beispiel des Achterwassers und des Pee- gen von Pommern/vnd Fürsten zu Rügen/in nestroms. In: „kopet uns werk by tyden“. Am Anfang war die Fischer bestätigt dieses Bild auch, dass die frü- 4 Taffeln abgetheilet/sampt inserirtem kurt- Beiträge zur hansischen und preußischen Küstenfischerei hen Angelleinen schon in die entsprechenden zem Bericht ihrer löblichen Thaten/vnd an- Geschichte. Walter Stark zum 75. Geburts- Tiefen reichten. Die buchstäbliche Erfahrung dere mehr nützliche Sachen. Joachim Rhe- tag, hrsg. von N. Jörn, D. Kattinger und H. Der Fischfang zum Nahrungserwerb ist so alt hatte den Menschen gelehrt, dass guten Fang tes Erben, Stettin. 150 + 168 +112 S. Wernicke. Thomas Helms Verlag, Schwe- wie die Existenz des Menschen. Frühe Küsten- versprechende Fischarten sich auch im Küsten- Gaebel, G. (1897/98): Des Thomas Kantzow rin: 267-280. bewohner stellten den Tieren mit Speeren aktiv vorfeld aufhielten. Chronik von Pommern in hochdeutscher Porada, H. T. (2009): Das pommersche Berg- nach, abwartend ließen sie sie auf Angelhaken Verbesserungen der Fahrzeuge und Fanggerä- Mundart. Niekammer, Stettin, 2 Bde. 426 werk – Die Bodden, Haffe und Strandseen beißen oder verbauten ihnen den Weg durch te erweiterten stetig den Aktionsradius der Fi- + 295 S. Pommerns in der fürstlichen Herrschaft- gesetzte Zäune vor Stränden oder Flussmün- scher. Von Einbäumen über Boote, Ewer, Kutter, Gilow, Ch. (1871): De Diere, as man to seggt un spraxis vom 15. bis zum frühen 17. Jahr- dungen. Schon in der Steinzeit wurden Arten Logger, Dampfer bis zu heutigen Fabrikschiffen wat’s seggen. Fr. Krüger’s Buchhandlung, hundert. Beiträge zur pommerschen Lan- befischt, die in tieferem Wasser lebten. Die ging die Fahrzeugentwicklung, die mit der Küs- Anklam (Nadrag 1874), 776 + 70 S. des-, Kirchen- und Kunstgeschichte 13. Felszeichnung eines Heilbutts in Südnorwegen tenfischerei begann. Ähnliches gilt auch für die Haas, A. (1926): Die Große Lubinsche Karte von Thomas Helms Verlag, Schwerin. 230 S. zeigt, dass diese schmack- und nahrhaften Tie- Fanggeräte. Bei ihnen lassen sich die Vorgänger Pommern. Hermann Moenck Verlag, Stettin. Schirmer, U. (2006): Kursächsische Staatsfinan- re es wert waren, das risikoreiche Hinauspad- noch in vielen heutigen Netzen wiedererkennen. Heck, K. (2002): Genealogie und Geographie – zen (1456-1656). Strukturen – Verfassung deln im Einbaum einige Meilen vor die Küste auf Beim Umschließen der Fangobjekte wirkten die Fresesche Landtafel und Lubinsche Karte – Funktionseliten. Quellen und Forschun- sich zu nehmen, lebt doch der Heilbutt in mehr vom Mittelalter bis in jüngste Zeit gebräuchli- als kognitive Ebenen des Territoriums, in: gen zur sächsischen Geschichte 28. Verlag als 50 Metern Tiefe. Neben dem Wagemut der chen Strandwaden der Ostseeküsten (Abb. 1) Genealogie als Monument und Argument. der Sächsischen Akademie der Wissen- Der Beitrag dynastischer Wappen zur po- schaften in Kommission bei Franz Steiner, litischen Raumbildung der Neuzeit. Kunst- Leipzig/Stuttgart. 1 007 S. wissenschaftliche Studien 98. Deutscher Schleinert, D. & H. T. Porada (2000): Von Fi- Kunstverlag, München u. a.: 263-273. schen, Bockbier und Gemälden – Über Jäger, E. & R. Schmidt (Hrsg.) (1980): Die gro- einige Beziehungen Pommerns zu Braun- ße Lubinsche Karte von Pommern aus schweig, in: Pommern – Zeitschrift für Kul- dem Jahre 1618. Mit beschreibendem Text tur und Geschichte. 38. Jg., Heft 1: 16-21. von Alfred Haas (1926) und einer Einfüh- Schubert, E. (1999): Die Umformung spätmittel- rung von Manfred Vollack. Quellen zur Ge- alterlicher Fürstenherrschaft im 16. Jahr- schichte der Deutschen Kartographie 2. hundert, in: Rheinische Vierteljahresblätter Nordostdeutsches Kulturwerk, Lüneburg. 63: 204-263. 78 S. Siebold, C. Th. E. von (1863): Die Süsswasserfi- Jahnke, C. (2000): Das Silber des Meeres. Fang sche von Mitteleuropa. Verlag von Wilhelm und Vertrieb von Ostseehering zwischen Engelmann, Leipzig. 431 S. Norwegen und Italien (12.-16. Jh.). Quel- Weicker, H. (1927): Die Schleppnetzfischerei im len und Darstellungen zur hansischen Ge- Stettiner Haff und seinen Nebengewässern schichte 49. Böhlau Verlag, Köln/Weimar. – Eine Untersuchung zur Geschichte der 452 S. Schleppnetzfischerei, in: Zeitschrift für Fi- Jahnke, C. (2004): Fang und Absatzmärkte im scherei und deren Hilfswissenschaften 25: Handel mit Ostseehering 1100-1600 – 367-437. Kontinuität und Wandel, in: Der Ostsee- Zimdars, U. (1941): Die Fischerei des Stettiner raum und Kontinentaleuropa 1100–1600. Haffs und seiner Nebengewässer geogra- Einflußnahme – Rezeption – Wandel, hrsg. phisch betrachtet. 59./60. Jahrbuch der von D. Kattinger, J. E. Olesen und H. Wer- Pommerschen Geographischen Gesell- nicke. Culture clash or compromise 8. schaft zu Greifswald 1941/42. Alfred Wa- Thomas Helms Verlag, Schwerin: 131-136. berg, : 17-136. Linke, G. (1935): Die pommerschen Landestei- lungen des 16. Jahrhunderts. 1. Teil: Die Abb. 1: Heringsfang mit der Strandwade, um 1925 (Sammlung Wegner).

42 43 kutter diesen jetzt als Kleine Hochseefischerei unserer Seefischerei“, die Eisenbahnen sollten bezeichneten Bereich. Die „Küstenfischerei“ ein „fast unerschöpfliches Absatzgebiet“ im Bin- umfasst alle Fischereitätigkeiten, die in Fluss- nenland erschließen (Marcard, 1870). Im Ost- unterläufen und unmittelbar an Küsten und vor seeküstenbereich blieb aber immer der lokale diesen stattfinden, egal, ob der Fang vom Boot Direktverkauf wichtig (Abb. 3). Auch heute geht oder Kutter aus vor der Küste oder per Angel in Fischereihäfen mit Touristenverkehr noch ein oder Wathose zu Fuß und mit Karre vom Strand größerer Teil der Küstenfischereifänge vom Boot ausgeübt wird. unmittelbar an den Endverbraucher. Der von Marcard und den Mitgründern des Die Grenzen zwischen den Fischereisektoren Deutschen Fischereivereins erhoffte große Auf- sind jedoch fließend und auf keinen Fall durch schwung der Fischerei blieb seinerzeit an der Fangmethoden zu ziehen. So finden Grund- preußischen (= deutschen) Ostseeküste aus. Abb. 2: Ringwade (Schema; Sammlung Wegner). schleppnetze nicht nur in der Hochseefischerei Selbst an der Nordsee verselbständigte sich Verwendung, sondern auch – schon seit Jahr- erst zum Ende des 19. Jahrhunderts die Kleine hunderten – in der Küstenfischerei. Zur Abgren- Abb. 3: Fischmarkt in Kammin/Pommern, um 1895 (Wege- Hochseefischerei aus der Küstenfischerei her- nicht anders als die Ringwaden moderner Hoch- zung wurden auch Schiffsbemannungsordnun- ner, 1900). aus in die fischreiche Nordsee. Parallel entstand seekutter (Abb. 2). Damit wird die Aussage be- gen oder die Verweildauer der Fischer auf See durch Fischdampfer und den Aufbau eines Bin- kräftigt, „die Küstenfischerei ist der Ausgangs- herangezogen: „Küstenfischerei … ist die Fi- nenmarktes im gesamten Reich von der Weser punkt unserer Meeresfischerei“ (Brandt, 1966). scherei, die mit kleineren Fahrzeugen in unmit- zum nutzfischreichsten Gebiet des baltischen und Elbe aus die Große Hochseefischerei im At- Der Netzvergleich weist auch auf das Streben telbarer Nähe der Küste, in Buchten und Fluss- Mittelmeeres. Das ehemalige Nordseewasser lantik. Aber in der Ostsee ließ sich, durch die hin, bei allen Fischereitechniken ständig durch mündungen betrieben wird, oder auch etwas fließt dann am Boden entlang ost- bzw. nord- genannten natürlichen Bedingungen begrenzt, Verbesserungen die Fängigkeit der Einzelgeräte weiter in See, aber meistens nicht außer Sicht ostwärts in die größeren Tiefen und Zwischen- nur auf den nicht übermäßigen Beständen von zu erhöhen. Natürlich erforderten die zu fangen- des Landes, wobei die Fahrten gewöhnlich nicht schichten der zentralen Ostseebecken. Dage- Dorsch, Hering, Sprott, Aal, Plattfischen und den Fischarten, Krebse und Muscheln an der über 24 Stunden hinaus ausgedehnt werden“ gen bringen die Flüsse Süßwasser in die Ostsee, Lachs eine Kleine Hochseefischerei entwickeln. Ostseeküste lokal unterschiedliche Formen der (Schnakenbeck, 1928). Aber: Blankeneser Fi- das in deren oberen Schichten verbleibt und die Selbst die staatlich geförderte Intensivierung üblichen Fischereimethoden. Sie lassen sich scher arbeiteten vom 17. bis ins 19. Jahrhundert Salzgehalte nach Osten und Norden bis nahe der Küstenfischerei in der Motorisierungspe- heute anhand der enormen Vielfältigkeit der von der Elbe aus mit bedingt hochseegängigen Null reduziert. Die ständige vertikale Salzge- riode um und nach 1900 fand ihre Grenzen im technischen und volkskundlichen Sammlungs­ Fahrzeugen im Sommer über Tage weit auf der haltsschichtung der tieferen Gebiete begrenzt Zusammenspiel von Fischbestand, Absatzmög- stücke erahnen, die z. B. im Schleswig-Holstei- offenen See. die Durchmischung im Winter, eine im Sinne des lichkeiten, Schiffsgrößen und dem Modernisie- nischen Landesmuseum Schleswig, im Altonaer Festzuhalten ist also: Küstenfischerei wird mit Wortes lebensnotwendige Durchlüftung zur Er- rungswillen eher zurückhaltender Fischer (Mey- Museum in Hamburg oder im Deutschen Mee- kleineren Fahrzeugen ausgeübt, meist als Ta- neuerung des Sauerstoffgehaltes, von der Ober- er, 1947). resmuseum in Stralsund bewahrt werden. gesfahrten. Der Übergang zwischen Küsten- fläche her auf nur einige zehn Meter Tiefe. Das Für die ersten Fischdampfer waren die Wege Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestimm- und Kleiner Hochseefischerei ist fließend. Die setzt der Verbreitung der Fischarten in die Tiefe von den fischwirtschaftlich abseits liegenden te das Experiment aus der Alltagserfahrung der Küstenfischerei umfasst sehr unterschiedliche räumliche Grenzen. Die in jedem Winter durch- Ostseehäfen zum Fang in der Nordsee zu lang. Fischer ganz wesentlich die Ausrüstung. Seit- Fischereimethoden und wird, wie Fischerei ge- mischten flachen Gebiete der südlichen Ostsee Auch spätere Versuche, von Rostock, Lübeck dem prägte zunehmend das institutionalisierte nerell, von äußeren Faktoren geprägt. mit dem West-Ost-Übergang von höheren zu und Kiel aus Fernfischerei im Atlantik zu betrei- Streben zur „Hebung der Seefischerei“ die Net- niedrigeren Salzgehalten bietet gute Bedingun- ben, waren nur mäßig erfolgreich. Die sowjeti- ze, Boote, Fangplätze und sogar zu fangende gen für Dorsch, Hering, Sprott, Flunder, Zander, sche Militäradministration befahl 1946 in ihrer Fischarten (Marcard, 1870). Kontinuitäten und Prägende äuSSere Faktoren Hornhecht, Forelle, Lachs oder Aal. Im Westteil Zone den Fang von Seefisch (Schier, 2006). Änderungen vom Mittelalter bis in die erste halten sich auch zeitweilig Makrele, Schellfisch Diese nach Plan ausgeführte Seefischerei führte Hälfte des 20. Jahrhunderts samt einigen Fol- Für eine dauerhafte Fischerei ist hinreichend und Wittling auf. Weit über 40 Arten werden vor schnell aus der Ostsee heraus und ließ dann die gen werden hier für die südliche Ostseeküste Fisch die Grundvoraussetzung. Ob aber Fisch- den Küsten, in den Bodden, Achterwassern und Flagge der Rostocker Hochseefischerei über al- aufgezeigt. arten in fangwürdigen Mengen in der See vor- Haffen gefangen (Meyer, 1947). len Meeren wehen (z. B. Jenssen, 2006). handen sind, hängt von den biologischen Be- Der Ertrag einer Fischerei hängt von der Nach- dingungen des Meeresgebietes ab. Natürlich frage nach Fisch ab. Die gab es an der Ostsee- Was ist Küstenfischerei wird ein ausreichendes Nahrungsangebot be- küste schon vor den mittelalterlichen Stadtgrün- Typische Gerätschaften nötigt. Zur Bestandserhaltung müssen die loka- dungen, weil Fisch als begehrtes eiweißhaltiges der Küstenfischerei Nach einer aus den Niederlanden stammen- len Laich- und Aufwuchsbedingungen stimmen. Hauptlebensmittel anders als Fleisch und Ge- den Überlieferung gliedert sich die Seefischerei Außerdem wirken Temperaturen, Salz-, Sauer- treide unbeeinflusst von Seuchen, Kriegszügen Zu den ältesten Fischfanggeräten zählen Spee- in „Grosse Fischerei oder Hochseefischerei, in stoff- und Nährstoffgehalte sowie Strömungen und Klimaschwankungen zur Verfügung stand re. Sie wurden allerdings im Seebereich schnell Seefischerei und in Küstenfischerei“ (Dittmer, und meteorologische Einflüsse erheblich auf (Lampen, 2000). Die Fischer verkauften ihre durch effektivere Angeln und Netze ersetzt. Als 1902). „Grosse Fischerei oder Hochseefische- Fischvorkommen ein, ebenso wie Wassertiefen Fänge vorwiegend als Frischfisch direkt oder „verwundende Geräte“ (Brandt, 1966) wurden rei“ umfasste einst den Walfang und die Gro­ und Bodenbeschaffenheiten. brachten sie durch Salzen oder Räuchern kon- bis vor einigen Jahrzehnten Aaleisen, -spee- ße Heringsfischerei. Heute gehören die Fabrik- Durch die begrenzten Querschnitte von Katte- serviert in den (Fern-) Handel. re und -scheren benutzt. Sie waren zuletzt nur schiffe und Schwarmfischfänger diesem jetzt gatt und Beltsee strömen unregelmäßig salzige Insbesondere während und nach der napoleoni- noch mit Genehmigung für den Aalfang im Win- Große Hochseefischerei genannten Sektor an. Wassermassen der Nordsee in die Ostsee ein. schen Zeit lag die deutsche Seefischerei weitge- ter vom Boot oder Eis aus erlaubt. Die „Seefischerei“ fand einst mit segelnden Dieses Wasser bestimmt den vergleichsweise hend brach. Um 1860 bestand endlich „die Hoff- Sehr alt ist die Nutzung von Angeln (Abb. 4). Ewern und Kuttern statt; heute betreiben Groß- hohen Salzgehalt im Westteil und macht(e) ihn nung auf einen baldigen größeren Aufschwung Im Gebrauch waren und sind Hand-, Schlepp-,

44 45 Als „aktive Fanggeräte“ (Schnakenbeck, 1942) den im Einsatz. In tieferem Wasser lassen sich sind seit jeher in der Ostsee Waden als Zugnetze Fischschwärme vollständig fangen, wenn die im Gebrauch. Zugnetze unterscheiden sich von von der Oberfläche bis unter die Schwarmtiefe den Schleppnetzen dadurch, dass sie zu einem hinunter reichende Wade nach dem ringförmi- Ort am Strand (siehe Abb. 1) oder zu einem orts- gen Ausbringen um den Schwarm herum durch festen Fahrzeug auf See hingezogen werden, eine besondere Leine an der Unterkante zusam- während das Schleppnetz über den Boden oder mengeschnürt und ans Schiff gezogen wird. in einer Wasserschicht von einem oder zwei sich Mit solchen Ringwaden (siehe Abb. 2) wurden Abb. 4: Angelhaken aus Knochen, Stein- Abb. 5: Fischknebel im Köderfisch (nach Lampen, 2000). bewegenden Fahrzeugen gezogen wird. Waden insbesondere vor der schleswig-holsteinischen zeit, Pommern (Peters, 1935). bestehen in der Grundform aus einem Netzsack Küste nach dem Ersten Weltkrieg Hering, Sprott, mit zwei Flügeln, deren Enden durch Hölzer auf- Dorsch, und Schellfisch gefangen. Die 400 bis gespannt werden (Abb. 10). Beim Ausbringen 800 Meter langen und bis 40 Meter tief gehenden den fast 40 Zäune in der Schlei. Der heute un- wird ein Flügel des Gerätes am Strand oder per Netze erforderten acht Mann Besatzung auf den ter Denkmalsschutz stehende letzte Zaun bei Anker oder Pfahl im Wasser festgehalten, das Booten. Die Lohnkosten ließen die Ringwaden- Kappeln überlebte mangels Abbruchmittel und Netz von einem Boot aus im Halbkreis ausge- fischerei um 1930 wieder zurückgehen (Brandt, wurde 1977 – vereinfacht – erneuert (Abb. 6). An bracht und der zweite Flügel zum Fixpunkt des 1966). Vielfältig technisiert, zählen Ringwaden die Stelle dieser pflegeintensiven Zäune traten ersten zurückgesteckt. Durch gleichmäßiges heute zu den wichtigen Fanggeräten, z. B. im nach 1900 Bundgarne, die sich von Dänemark Einziehen der beiden Flügel bringen die Fischer Heringsfang. aus verbreiteten. Sie zählen ebenfalls zu den die zwischen den Netzwänden stehenden Fische Die Übergänge von den Waden zu Schlepp- Reusen, bestehen aber aus Netzwänden, die an den Strand bzw. zum Boot. Mit Waden lässt netzen sind fließend. So zogen vor dem Wind vom Boden bis über die Oberfläche hinaus rei- sich auch im Winter unter dem Eis fischen. Di- treibende Fahrzeuge das Braddengarn des Ku- chen. Sie werden als bis zu 600 Meter langes verse lokale Variationen waren und sind als Aal-, rischen Haffs, eine Wade, erst wie ein Schlepp- Leitwehr mit Vor- und Fangkammer aufgestellt Dorsch-, Herings-, Sprott-, Butt- oder Lachswa- netz einige Zeit und holten es dann zu den Boo- (Abb. 7). Bundgarne wurden bzw. werden zum ten (Schnakenbeck, 1942). Fang von Dorsch, Flunder, Seehase und Aal ge- Schleppnetze sind insbesondere im Übergangs- nutzt (Brandt, 1966). bereich zwischen Küsten- und Kutterfischerei Weitere stehende und auf mittelalterliche Ahnen die bedeutendste Gerätegruppe. Ursprünglich Abb. 6: Ellenberger Heringszaun bei Kappeln. zurückgehende „passive Fanggeräte“ (Schna- waren sie flügellose Netzbeutel, die durch einen kenbeck, 1940) sind die Hamen. Ihre Cha- Baum (Abb. 11) oder Holzrahmen in der Öffnung rakteristika sind Rahmen oder Bügel, die den oder durch quer zum Wind treibende Schiffe auf- Reihen- und Treibangeln sowie Langleinen mit Netzsack im strömenden Wasser aufspannen. gespannt über den Meeresboden gezogen wur- vielfältigsten Hakenformen. Typisch an der Ost- Die in allen Fischereien eingesetzten Kescher den. Als ältestes Schleppnetz der Ostseeküste seeküste sind beispielsweise Dorschangeln als gehören zu den Kleinhamen. Aus dieser Grup- – vielleicht sogar Nordeuropas – ist der Keitel in Hakenreihen in Langleinen. pe wurden im Ostseeküstenbereich früher auch Elbing 1302 nachgewiesen (Abb. 11; Schnaken- Schon seit Jahrhunderten spielen Heringspilke Scherhamen oder Steckladen (Abb. 8) genutzt. Abb. 7: Bundgarn (Schnakenbeck, 1940). beck, 1942). Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in jeder Saison eine Rolle, heute hauptsäch- Großhamen, die mit Pfählen oder per Anker am lich bei den Sportfischern. Dagegen sind die Grund festgesetzt und von möglichst gleichmä- seit der Steinzeit bis in die Neuzeit genutzten ßiger Strömung offen gehalten werden, kamen Knebel aus Geweih, Holz, Knochen und Bronze außerhalb von Flussmündungen in der Ostsee nicht mehr im Gebrauch. Sie wurden der Länge nur ausnahmsweise zum Einsatz, weil hier die nach durch Köderfische gesteckt (Abb. 5). Die Gezeitenströmungen zu gering sind. in der Knebelmitte befestigte Leine stellte unter Seit Jahrhunderten sind Setz- oder Stellnetze Zug den Knebel mit Köderfisch im Rachen der in großer Vielfalt im Gebrauch. Senkrecht ste- Räuber quer. hende Netzwände werden an Pfählen oder per Ebenfalls von alters her werden Reusen zum Anker, mit Schwimmern an der Ober- und Sen- Fischfang genutzt. Zusammen mit Stellnetzen kern an der Unterleine, den Fischen in den Weg Abb. 8: Kleinhamen: (1) Bügel-, (2) Schiebe- und (3) Scher- Abb. 9: Maasholmer Heringstreibnetz (Brandt, 1966). und Fischzäunen sind sie als „stehende Gerä- gestellt. Je nach Zielart befinden sich die Netze hamen (Brandt, 1966). te“ (Schnakenbeck, 1940) seit Jahrhunderten in unterschiedlichen Tiefen: Das Heringsstell- in vielen lokalen und auf bestimmte Fischar- netz zum nächtlichen Fang nahe der Oberfläche ten bezogenen Formen in der Ostsee im Ge- (Abb. 9), das flachere Buttgarn zum Fang von brauch, aufgestellt mittels in den Meeresbo- Plattfischen liegt dagegen auf dem Boden auf. den geschlagener Holzpfähle. Als Sonderform Die Maschenweiten variieren mit den zu fangen- zählen die Schleizäune zu den Reusen. Diese den Fischarten. Häufig bestehen Stellnetze aus Großreusen aus Weidengeäst wurden seit dem mehrfachen Netztüchern, bei denen sich die Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert genutzt. Sie verfangenden Fische in feineren Maschen wie konzentrierten die in die Schlei ziehenden He- in Beutel verstricken (Ledderingnetz). Stellnetze ringe letztlich in die die Zäune abschließenden zählen heute zu den Hauptnetztypen der Küs- Reusensäcke. Im 16. und 17. Jahrhundert stan- tenfischerei. Abb. 10: Aalwade aus der Flensburger Förde (Brandt, 1966). Abb. 11: Keitel (Schnakenbeck, 1942).

46 47 leicht aber auch als Ware. Neben dem frischen mittelversorgung stieg mit den Stadtgründun- Verzehr wurde Hering gesalzen und als Vorrat gen. Denn nicht die kirchlichen Fastengebote und Handelsware genutzt (Lampen, 2000), nicht machten Fisch zu einem Hauptbestandteil der zuletzt dank der ergiebigen Heringszäune in der städtischen Ernährung, sondern seine Verfüg- Schlei. Vor der Küste kamen Netze (Strandwa- barkeit. Doch waren nicht nur die in Mengen den), Angeln und Knebel zum Fang von Hering, preiswert aus Skandinavien importierten Dauer- Scholle und Dorsch zum Einsatz, wie Funde waren Salzhering und Stockfisch häufig teurer von Senkern für Schleppangeln, Netzbojen und als die Grundnahrung Getreide. Die noch teu- Knebel belegen (Lampen, 2000). Aalreusen, die reren Frisch- und Räucherwaren (z. B. Bück- seit dem 6. Jahrhundert in der Binnenfischerei ling) waren für etliche Bevölkerungsgruppen benutzt werden, sind hier nicht nachgewiesen. des Hochmittelalters kaum mehr erschwinglich Als Fischerboote dürften kleinere Fahrzeuge der (Lampen, 2000). Art gedient haben, wie sie bei den Wikinger- Unter strengen Fischereiregularien (Meyer, schiffsfunden (Vinner, 2002) und durch Bilddar- 1947; Lampen, 2000) versorgten freie Fischer, Abb. 12: Keitelkahn, Keitel zum Trocknen in den Mast ge- Abb. 13: Tuckzeese (Sammlung Wegner). stellungen in Skandinavien belegt sind (Abb. 14; städtische Fischerämter oder Klosterfischer ihre hängt (Sammlung Wegner). Ellmers, 1998). städtischen Märkte. Die Regeln und zugehörige Im Bereich der slawischen Burg Mecklenburg Auseinandersetzungen betrafen auch die Fang- im Kreis Wismar weisen sieben Kilometer vom geräte. In Schleswig erlaubte das Stadtrecht zogen Keitelkähne (Abb. 12) sie segelnd vor dem die allerdings mit Scherbrettern von einem Schiff Strand entfernt Reste von Heringen und Horn- seit 1200 den dänischen Bewohnern die freie Wind und prägten das Bild der ostpreußischen gefahren werden. Scherbretter zum Spreizen der hechten auf gezielten Heringsfang vor der Küste Fischerei auf der Schlei mit Waden und Zugnet- Hafffischerei (siehe Beitrag von Adomavičius und Öffnungen bei Schleppnetzen verbreiteten sich hin. Die obodritischen Fischer lieferten ihre Fän- zen. In den meisten Küstenstädten von Schles- Adomavičius in diesem Band). Um bei jedem Hol seit ihrer Einführung um 1890 schnell in alle Fi- ge offenbar unmittelbar an die Bewohner dieses wig-Holstein bis Pommern galt das Lübecker ein größeres Wasservolumen zu durchfischen, er- schereisektoren. Burgbereiches (Lampen, 2000). Recht, das freie Fischerei in den Gewässern des hielten die Zugnetzbeutel im Laufe der Entwick- Waren ursprünglich alle Netze der einzelnen Intensiver slawischer Heringsfang lässt sich städtischen Umlandes erlaubte. Für die Mehr- lung seitliche Flügel. Eine dieser frühen Formen Fischer weitgehend Eigenanfertigungen nach auch für den frühmittelalterlichen slawischen zahl der Bevölkerung galt dieses Recht nur zur ist das einst weit verbreitete Zeesennetz. Um die tradierten Grundmustern, entstanden schon vor Handelsplatz auf Rügen nachweisen. Deckung des Eigenbedarfs. Dazu durften die nötige Öffnungsweite der Netzflügel am Boden 1900 und insbesondere seit 1910 mit der Mo- Die Fischknochenfunde des 9. und 10. Jahr- Geräte des Kleinen Garns benutzt werden, wäh- zu erreichen, liefen die Schleppleinen des quer torisierung industriell vorgefertigte Netzteile und hunderts stammten zu 65 % vom Hering. Die rend sich die Grundherren das Große Garn zur zum Wind treibenden Zeesenbootes über vorn -typen zum Fang bestimmter Fischarten (z. B. Beifangarten Makrele, Plattfisch und Hornhecht Verpachtung und Privilegierung vorbehielten. und achtern ausgesteckte Bäume. Die Vielfalt Dorsch-, Hering-, Sprott- oder Flundertuckzee- belegen, dass in Ralswiek vollständige Herings- Das Kleine Garn umfasste Kleinhamen, kleine der unter dem Begriff Zeese regional und zeitlich sen). Heute bestimmen die EU-Richtlinien ein- fänge angelandet wurden. „Die Interpretation Hand-, Stock- und Wurfnetze (vorwiegend in verstandenen Netze ist verwirrend, ebenso wie heitlich Bauarten, Maschenweiten und Einsatz- des frühmittelalterlichen Ralswiek nicht nur als der Binnenfischerei genutzt), während das Gro- bei Zeesenbooten die Bauarten (Henking, 1929; bereiche von Schlepp- und Stellnetzen sowie Zwischenhafen für nordische Importware, son- ße Zugnetz (große Wade), die großen Reusen siehe Beitrag von Mäuslein auf Seite 111 in die- der weiteren Gerätschaften der Küstenfischerei. dern als Exporthafen für die vor Rügen gefange- und die Fischwehre zum Großen Garn zählten sem Band). Seit 1898 wurden die ersten Zeesen nen Heringe“, gewinnt durch schriftliche Quel- (Lampen, 2000). Die neuen Städte gewährten mit Scherbrettern versehen, um mit dem vor len, die Rügen als eine der damals „wichtigsten auch ihrer slawischen Bevölkerung das Recht, dem Wind laufenden Boot auf größerer Distanz Zur Fischerei an der Fangregionen für Hering“ ausweisen, „an Plau- mit dem Kleinen Garn zu fischen. Zusätzlich er- zur Küste erfolgreich fischen zu können (Ditt- deutschen Ostseeküste sibilität“ (Lampen, 2000). Gefangen wurde auch laubte Rostock seinen Bürgern die Nutzung mo- mer, 1902). Ab 1924 ersetzten größere Scher- dort mit Netzen und Schleppangeln. biler Fanggeräte wie Angeln, Reusen und klei- brettzeesen, die von motorisierten Booten ge- Im Mittelalter In Menzlin (Kreis Anklam) belegen Funde von ner Netze (siehe Beitrag von Fircks in diesem zogen wurden, die traditionellen Netze. Weitere An den Ostseeküsten belegen umfangreiche ar- Kopfplattenknochen einheitlicher Größe eine Band). Die Herzöge von Pommern vergaben so Fangsteigerungen brachte ab 1931 die Gespann- chäologische Funde Fischfang und -nutzung im binnenländische Heringsverarbeitung, 40 Ki- genannte Freie Netze (Zugwaden oder Stellnet- fischerei mit Tuckzeesen (Abb. 13) und Motorkut- Mittelalter, insbesondere in Haithabu, der nord- lometer entfernt von der Küste. Auf dem Was- ze) zum Fang von Schollen und Steinbutt (Lam- tern (Meyer, 1943). Dabei zogen zwei parallel fah- europäischen Handelsmetropole von vor 800 bis serweg wurde offenbar schon größensortierter pen, 2000; siehe Beitrag von Porada in diesem rende Kutter in größerer Distanz je einen Flügel 1066 am inneren Ende der Schlei. Der arabische Rügen-Hering geliefert, für den Weiterhandel Band). des vergrößerten Netzes, ohne Scherbretter. Das Kaufmann Al-Tartûschi schrieb im Jahr 965 aus verarbeitet und dazu mit Salz konserviert. Be- Für Rügen, Hiddensee, Greifswald, das Stettiner gemeinsame Ziehen eines Netzes, die Tuckerei der Stadt, Fisch sei die Hauptnahrung der rund merkenswert an dieser slawischen Verarbeitung Haff, Kolberg und Danzig sind auch für diesen oder Tuckpartie, fand bereits vor 1700 im Stet- tausend Einwohner (Elsner, 1994). Der Aussage ist, dass das Konservieren durch Salzen vor Zeitraum umfangreiche Heringsfischereien und tiner Haff statt (Henking, 1929). Zwei besegelte entsprechen Mengen dort gefundener Fisch- 1000 n. Chr. stattfand, rund 200 Jahre vor den -verarbeitungen nachgewiesen. Die Umstellung Boote zogen ein Flundernetz, durch einen Rah- knochen. Von ihnen stammen 39 % vom Hering bisherigen Datierungen (Lampen, 2000). von Angeln auf Netze seit dem 10. Jahrhundert men offen gehalten, über den Meeresgrund. Die und 7 % von Plattfischen aus der Schlei und hatte die Fänge erheblich steigen lassen. Spä- Gespannfischerei der 1930er Jahre brachte die deren Mündungsgebiet (Elsner, 1994). Auf dem Veränderte Lebens- und Umweltbedingungen testens seit dem 11. Jahrhundert wurde in den Neuerung, dass sich das Netz durch die Schiffs- Speiseplan standen als Seefische auch Dorsch, führten im 12. und 13. Jahrhundert während der Küstenstädten Hering in größerem Umfang ge- geschwindigkeit in jede Wassertiefe (pelagisch) Scholle, Hornhecht, Aal, Zander, Stör, Lachs, Zeit des so genannten mittelalterlichen Wärme- räuchert, gesalzen oder getrocknet weiterver- steuern ließ und so Dorsch, Hering oder Sprott Forelle, Makrele, Heilbutt, Köhler, Leng und optimums mit größerem Bevölkerungswachs- handelt, u. a. bis nach Breslau (Lampen, 2000). sehr effektiv fing. Auf die Tuckzeese gehen die Sternrochen. Die vier letzteren sowie Stockfisch tum zur Christianisierung und Kolonisation der Erst das hansische Handelsmonopol auf Scho- heute weltweit über großen Wassertiefen ge- (Kabeljau) kamen wohl als Proviant der Seeleute Slawenstämme im südlichen Ostseeraum. Die nen ließ im 14. Jahrhundert die Heringsfänge an nutzten Riesen-Schwimmschleppnetze zurück, und Händler aus Norwegen in die Stadt, viel- Bedeutung der Fischerei für die lokale Lebens- der pommerschen Küste, die denen an Scho-

48 49 nens Südwestküste nicht nachstanden, in ih- Schleswig-Holstein wurde von offenen, „man- Stell­netzen und Lachs mit Angelleinen gerade rer überregionalen Bedeutung sinken (Lampen, gelhaften“ Ruderbooten (Dittmer, 1902) aus mit auskömmlich. Dagegen betrieben vor Stolpe 2000). Neben dieser politischen Beeinflussung je zwei Mann betrieben. Deshalb liefen als erste Fischer genossenschaftlich den Lachsfang mit können aber auch lokale Veränderungen im Fördermaßnahme um 1870 Versuche mit grö- größeren Booten und gutem Erfolg (siehe Bei- westlichen Ostseeheringsbestand aufgetreten ßeren, gedeckten Booten an. Die erfolgreiche trag von Rudolph in diesem Band). sein. „Später (nach ~1300) verlegte der Hering Fangart, von je zwei verankerten Booten aus Vor West- und Ostpreußen konzentrierte sich die seine Seewege nach anderen Gegenden, …“ Waden einzusetzen, hatte sich seit 1820 von Fischerei auf die Danziger Bucht. „Mit offenen, (Schmarje, 1901). Unbeeinträchtigt davon blie- „Eckernförde, dem bedeutendsten Fischerei- flachgehenden und mangelhaft gebauten Boo- ben an der Südküste der Ostsee das Angeln von platz der ganzen Küste“ (Dittmer, 1902), schnell ten“ (Dittmer, 1902) wurden Hering mit Waden, Dorsch, Stör und Lachs weiterhin bedeutende verbreitet. Nach dem Bau einer Eisenbahn er- Flundern mit Zeesen und Dorsch mit Angeln Fischereien (Lampen, 2000). höhte sich in Neustadt um 1860 die Anlandung, gefischt. 1867 versuchte die Danziger Ostseefi- ein Fischversand etablierte sich. In Kappeln scherei-Gesellschaft die Fischerei mit größeren In der Neuzeit bis um 1830 entstand 1869 eine erste Fischereigesellschaft Fahrzeugen zu intensivieren. Sie „scheiterte an Trotz der reduzierten Heringsfischerei an den (Marcard, 1870). der Unerfahrenheit der Fischer und Unterneh- südlichen Ostseeküsten im 14. und 15. Jahr- Die Fischer Neuvorpommerns fingen traditionell mer und an der Unzweckmäßigkeit der verwen- hundert reichte die Küstenfischerei für die lokale Hering, Flunder und Lachs mit Treibnetzen und deten Fangmethoden“ (Dittmer, 1902). Versorgung aus. Die bis zu 40 Heringszäune in Zeesen, Dorsch, Aal und Hornfisch auch mit der Schlei im 16./17. Jahrhundert weisen auf zu Stellnetzen, Zugnetzen und Reusen. Sie nutzten Das Resümee Marcards: Um Anteil an allen See- der Zeit in größeren Mengen auftretenden He- kleine Boote, weil sie sie abends auf die Strände fischbeständen zu haben, sei die „in auffälliger ring hin. Wie weit das nur eine Heringsperiode, ziehen mussten. Flunderfang erfolgte durch Tu- Weise hinter den Nachbarstaaten“ zurückste- ein lokales oder kurzzeitiges Phänomen war, ist ckerei. In den Stranddörfern herrschte „Armuth hende deutsche Fischerei mit Darlehen zu för- Abb. 14: Darstellung eines Fischerbootes mit einem Angler, genauso zu hinterfragen wie die pauschale Aus- und Hilfsbedürftigkeit“ (Marcard, 1870). dern. An der Ostseeküste müssten die „Fischer Solberga; 8. Jahrhundert n. Chr. (Ellmers, 1998). sage „…, wie denn überhaupt der Fischreich- Einen besonderen Hinweis verdient, dass erste zur Anschaffung besserer, seetüchtiger Fahrzeu- tum der Ostsee bedeutend zurückgegangen ist“ Maßnahmen zum Schutz der Fischbestände im ge und einer vollkommeneren Ausrüstung“ ver- (Schmarje, 1901). Weitere Änderungen der Be- Regierungsbezirk Stralsund bereits in der Mit- anlasst werden, z. B. eines Fischerbootes aus 1902). Seit den 1870er Jahren erhöhte ein neuer stände und der Fischerei haben sicherlich durch te des 19. Jahrhunderts festgelegt waren. Eine Hartlepool samt Ausrüstung als bewährter Typ (Schutz-) Hafen auf der die Si- Variationen der Heringszüge, Klimawandel oder Fischerei-Ordnung schloss bestimmte Reviere der englischen Ostküste (Marcard, 1870). Im cherheit der Fischer. lokale Übernutzungen stattgefunden. Allein: Für von der Befischung aus, „damit der Eingang der Fall der Umsetzung wäre das der erste Schritt Während vor den Seeküsten Usedoms und Wol- den Zeitraum vom Ende des Mittelalters bis nach Fische in die Gewässer nicht verhindert wer- weg von der lokalen Handarbeit gewesen. lins die Fischerei fast stagnierte, nahm sie zwi- 1800 fehlen bisher nähere Untersuchungen der de“, regelte die Maschenweiten der Netze und schen 1872 und 1902 im fischreichen Stettiner Fischereientwicklung an der Ostseeküste. schrieb „Laichschonzeiten“ für Lachs vom 22. Von 1870 bis um 1900 Haff kräftig zu. Das Reichsamt und der DSV för- März bis zum 10. Juni vor (Marcard, 1870). In diesem Zeitraum liefen die unterschiedlichen derten 1899 bis 1901 gezielt notleidende Haff- Im 19. Jahrhundert bis um 1870 Versuche des preußischen Staates, zwischen Förderungen des preußischen Königlichen Mi- fischer und stärkten die Fischerei vor den See- Als Fisch zunehmend zur Eiweißversorgung der und Greifswalder Oie Austern anzu- nisteriums für die landwirtschaftlichen Angele- küsten, indem die Fischer seegehende Kutter wachsenden Bevölkerung und der Industriear- siedeln, scheiterten 1846 ebenso, wie die pri- genheiten, des Reichsamts des Innern und des nach Bornholmer Muster erhielten, um damit in beiter dienen sollte, übernahm 1870 der neue vate Etablierung einer Fischereigesellschaft in DFV bzw. DSV an. Aus deren Fülle seien einige der freien See zu fischen (siehe Beitrag von Ru- „Deutsche Fischerei-Verein (DFV) die Hebung Stralsund in den 1860er Jahren. In der freien Beispiele aufgeführt: dolph in diesem Band). Bereits 1901 arbeiteten und Ausbildung der gesamten Deutschen See- Ostsee sollten „miethweise engagierte Blanke- Staatliche Darlehen machten benötigte, größere 18 Kutter vom neuen Hafen Dievenow aus in der und Binnenfischerei“ (DFV, 1870). Als Arbeits- neser 1865/66 und 1869 Fischerei in größerem Boote finanzierbar. Daraufhin entwickelte sich Ostsee – ein Schritt zum Aufbau einer Kleinen grundlage diente die „Darstellung der Preu- Umfang“ betreiben (Marcard, 1870). Aber die vor Schleswig-Holstein der Wadeneinsatz von Hochseefischerei. ßischen Seefischerei“ (Marcard, 1870). Darin Baumkurren der Ewer zerrissen „an der gros- zwei verankerten Booten aus zur meist genutz- An der hinterpommerschen Küste erfolgten der gehen die Hinweise auf vorherige Entwicklungen sen Zahl von Irrblöcken auf dem Meeresgrund“ ten Fangtechnik. Von Heiligenhafen aus verbrei- Ausbau der wenigen Häfen und ein Neubau an leider nicht bis in die napoleonische Zeit zurück, (Dittmer, 1902). Als Verbesserung durchgesetzt tete sich in den 1890er Jahren der Heringsfang der Lebamündung. Die ab 1880 aus Schweden in der durch die Kontinentalsperre die deutsche hatte sich der um 1850 begonnene Ersatz der mit Treibnetzen. Insgesamt verdreifachte sich beschafften 9-Meter-Kutter samt Netzen be- Fischerei weitgehend brach lag (Meyer, 1947), schweren Zeesenkähne durch beweglichere die Bootszahl; die der Fischer stieg um das währten sich so gut, dass sie sich auch an den sondern nur sporadisch bis etwa 1830. Nach und damit sicherere Zeesenboote. Fünffache. Aber: „So intensiv war dieser Be- west- und ostpreußischen Küsten mit Staatshil- diversen Fördermaßnahmen erschien 1902 eine Am Stettiner Haff muss die Fischerei zu Anfang trieb geworden, dass man die Grenze der Aus- fe „einbürgerten“ (Dittmer, 1902). So konnte He- nächste Bestandsaufnahme, jetzt für den Deut- des 19. Jahrhunderts „ganz verfallen gewe- beutbarkeit erreicht zu haben glaubte“ (Dittmer, ring, Lachs, Flunder und Dorsch in etwas größe- schen Seefischereiverein (DSV; Dittmer, 1902), sen sein. 1830 ließ die preussische Regierung 1902); die Einzelfänge gingen zurück. rer Entfernung zur Küste gefangen werden. Als die auch wenige Ergänzungen für die erste Hälf- Fahrzeuge und Heringsnetze auf Staatskosten In Mecklenburg lag der Anstieg deutlich nied- neue Betriebsart entstand in den 1890er Jahren te des 19. Jahrhunderts enthielt. Nach beiden beschaffen, die Fischer im Heringsfang unter- riger. Daher versuchten das Reichsamt des In- der Störfang mit Stellnetzen und florierte Dank Schilderungen stellt sich die deutsche Küsten- weisen und Heringspackhäuser errichten.“ Ein nern 1888/89 und der DSV 1897/98, die „Treib- Darlehen und wissenschaftlicher Unterstützung fischerei der Ostsee wie folgt dar: Gemäß dä- „nachhaltiger Aufschwung“ war nicht „zu ver- netzfischerei mit gedeckten Fahrzeugen von der des DSV in Kürze (Abb. 15), mit bis heute nach- nischer Verordnung von 1838 durften alle Küs- zeichnen“ (Dittmer, 1902); um 1870 fischten nur mecklenburgischen Küste … aus einzubürgern“ wirkenden Folgen. tenbewohner Schleswig-Holsteins an der Küste kleine Boote auf Hering und Flunder in Küsten- (Dittmer, 1902) – leider vergeblich. Vor Neuvor- In den 1880er Jahren hatten schwedische und in offenen Booten fischen. Gleiches galt auch nähe. pommern wurden erste Zeesen mit Scherbret- dänische Kutter vor der westpreußischen Küs- im preußischen Küstengebiet. Die „engste Küs- Die hinterpommerschen Fischer fingen mit tern versehen „nach dem Muster der Grund- te erfolgreich Lachs mit Treibnetzen gefangen. tenfischerei“ (= unmittelbar vor dem Strand) in mehreren Familien gemeinschaftlich Hering mit schleppnetzfischerei in der Nordsee“ (Dittmer, Daraufhin ließen einige Küstenfischer ab 1890

50 51 Kutter nach schwedischer Vorlage mit Staats- und DSV-Hilfe bauen und fischten damit er- folgreich in der Danziger Bucht auf Lachs. Der 1892 angelegte Hafen Hela auf der Innenseite der gleichnamigen Halbinsel beheimatete 1902 bereits 255 (Segel-) Lachskutter. Um die seit 1900 zurückgehenden Lachsfänge in der Danzi- ger Bucht auszugleichen, kamen größere Kutter nach Bornholmer Muster samt Langleinenan- geln für die freie Ostsee in Fahrt (Dittmer, 1902). Ab 1894/95 fingen die stabileren Fahrzeuge in den bisher fanglosen Wintermonaten Hering mit Treibnetzen. Das bedeutete einen weiteren Schritt auf dem Weg zum Aufbau einer eigen- Abb. 15: Störfänge vor Pommern 1886 bis 1918 (Henking, Abb. 16: Strandmotorboot der Fischereiförderung GmbH Abb. 17: Stellnetz-Motorboot auf dem Strand von Usedom ständigen Kleinen Hochseefischerei an der Süd- 1929). um 1925 (Henking, 1929). 2001. küste der Ostsee. Nachdem ab 1875 bereits Familien aus Pom- mern leichter auf den Strand zu bergende und Bootsflotten kurz vor dem Ersten Weltkrieg. landete fast ein Drittel des Gesamtfanges aus Durchgängige Küstenfischerei Boote mitgebracht hatten, fand in den 1890er Nachdem die über Wettbewerbe des DSV ent- der Ostsee an. Natürlich gehörten die nicht mo- Jahren der nach schwedischem Muster gebau- wickelten Motoren ab etwa 1908 zur Verfügung torisierten Fahrzeuge zu über 85 % der Küsten- Die vollständige Motorisierung der Küstenfi- te Treibnetzkuttertyp auch Verwendung in der standen, verlief die Motorisierung allerdings re- fischerei an, großenteils noch als halbgedeckte scherei in der Ostsee erfolgte einige Zeit nach ostpreußischen Herings- und Lachsfischerei. gional höchst unterschiedlich. oder offene Boote, die z. B. in Vorpommern wie dem Zweiten Weltkrieg (siehe Beitrag von Möhr- Der lohnende Lachsfang zeigte auch in Memel Die Fischer in Schleswig-Holstein konnten im vor Jahrhunderten auf den Stränden zuhause mann und Mäuslein in diesem Band). Die Netze – Wirkung. Von dort aus arbeitete seit 1885 ein 19. Jahrhundert in ihren Fanggebieten vor der waren, so, wie es viele Motorboote heute noch Angeln, Reusen und Bundgarne, Schleppnetze, kleiner Dampfer mit Lachsangeln, der die klei- Tür auskömmlich Plattfisch, Hering und Dorsch sind (Abb. 17). Ringwaden und Stellnetze – aber lassen immer nen Angel- und Treibnetzboote zu den entfern- fangen. Daher bestand für sie keinerlei Anlass ten Fangplätzen mit hin- und zurückschleppte. für „kostspielige Versuche mit neuartigen Ge- Der bereits genannte Einbruch der Lachserträ- rätschaften“ (Meyer, 1947), sie hatten außer in ge um 1900 beendete auch dieses Experiment der Anschaffung größerer Boote relativ wenig (Dittmer, 1902). Anteil an den Fördermaßnahmen von 1872 bis Als Resümee der ersten Periode gezielter Maß- 1900. Als aber im neuen Jahrhundert ihre Platt- nahmen zur Intensivierung der Fischerei an der fischfänge zurückgingen, sahen die Fischer im Ostseeküste Preußens mit Erfolgen und Fehl- Einbau eines Motors die Möglichkeit, effektiver schlägen sei die Beschreibung der Provinz arbeiten zu können und ließen vergleichsweise Schleswig-Holsteins zitiert: „Die Bestrebungen zügig schon vor dem Ersten Weltkrieg Motoren zur Hebung unserer Seefischerei haben bis- einbauen. her die erhofften Erfolge noch nicht gehabt“ Dagegen hatten die pommerschen und preu- (Schmarje, 1901). Offenbar ging der Aufbau ei- ßischen Fischer bereits vor Ende des 19. Jahr- ner ertragsstarken Kleinen Hochseefischerei in hunderts in umfangreichere Ausrüstungen mit der Zeit, in der Ingenieur-Kunst alle Probleme neuen Booten und Netzen investiert. Diese An- vermeintlich schnell lösen konnte, zu langsam schaffungen begannen sich nach 1900 gerade voran. Er war aber auf den Weg gebracht erst auszuzahlen. Daher standen für diese Fi- scher Motoreinbauten in die neueren Boote Von 1900 bis in die 1930er Jahre nicht zur Diskussion, zumal bei deren guten Neben dem Ausbau der Ostseekutterfischerei Segeleigenschaften die noch vergleichsweise bestand das nächste große Ziel des DSV und kurzen Distanzen zum Fangplatz problemlos zu des Reichsamts samt Nachfolgern in der Mo- bewältigen waren. Durch den Ersten Weltkrieg torisierung der (Küsten-) Fischerei. Aus den un- und seine Folgen unterbrochen, fanden die Mo- terschiedlichen traditionell genutzten und den toreinbauten und der Fahrzeugersatz mit Ein- eingeführten Bootsformen hatten sich „nach heitstypen (Abb. 16) in den östlichen Gebieten vielen Versuchen, Bemühungen und auch Fehl- hauptsächlich erst in den 1920er und 1930er schlägen“ (Meyer, 1947) zum Ende des 19. Jahr- Jahren statt. Nicht zuletzt durch die mit den hunderts deutsche Ostseekutter als gedeck- Autarkiebestrebungen des Dritten Reiches in- te Segelfahrzeuge entwickelt. Die eigentliche tensivierte Förderung besaß Deutschland 1937 „große Ostseefischerei“ Deutschlands (Meyer, nach Schweden die zweitgrößte Fischereiflotte 1947) – also sowohl die Kleine Hochseefischerei in der Ostsee mit über 800 motorisierten Kut- als auch die ertragreiche Küstenfischerei – be- tern, fast 1 250 motorisierten Booten und fast gann mit der Motorisierung von deren Kutter- 6 800 nicht motorisierten Fahrzeugen. Die Flotte Abb. 18: Küstenfischer 2011.

52 53 noch ihre Herkunft aus den uralten Grundfor- (Wegner, 2010) – allerdings jüngst in Frage ge- Literatur Schnakenbeck, W. (1940): Stehende Geräte. men erkennen, trotz aller geförderten Verbes- stellt. Sie sind so wertvoll, weil sie am Beginn Treibnetze. Handbuch der Seefischerei serungen der Fängigkeiten. Denn eben diese der Entwicklung (Dittmer, 1902) der deutschen Brandt, A. v. (1966): Fanggeräte der Kutter und Nordeuropas, Bd. 4, H3 Schweizerbart, Angeln, Reusen, Stell-, Zug- und Schleppnetze Fischerei entstanden. Mögen die Modelle zur Küstenfischerei. Schriftenreihe des AID, Stuttgart. 48 S. waren schon im Hochmittelalter dem Verhalten Belehrung über Techniken, die zu ihrer Zeit den Heft 113 (2. Aufl.). 129 S. Schnakenbeck, W. (1942): Schleppnetze. Hand- der vor den Küsten vorkommenden Fischarten Anforderungen entsprachen und weitgehend DFV (1870): Deutscher Seefischerei-Verein (1870): buch der Seefischerei Nordeuropas, Bd. 4, optimal angepasst. Die Förderungen der Fi- von Hand gemacht waren, an Ort und Stelle er- Circular Nr. 1. Berlin. H 1/2. Schweizerbart, Stuttgart. 52 S. schereivereine und Ministerien im 19. und 20. halten bleiben. Dittmer, R. (1902): Die Deutsche Hochsee-, Vinner, M. (2002): Viking ship museum boats. Jahrhundert änderten am wenigsten an den See- und Küstenfischerei im 19. Jahrhun- Kannike Graphic A/S, Roskilde. 80 S. Fanggeräten selbst etwas, sondern ersetzten dert und bis zum Jahre 1902. Hahnsche Wegener, G. (1900): Deutsche Ostseeküste. diese in der Regel sozusagen durch die nächst- Zusammenfassung Buchhandlung, Hannover und Leipzig. 70 Monographien zur Erdkunde. Velhagen & größte Nummer. Dazu bedurfte es notwendiger S. Klasing, Bielefeld und Leipzig. 168 S. Weise der sichereren, sprich größeren Boote. Die frühen Menschen begannen ihre See-Fi- Ellmers, D. (1998). Die Wikingerschiffe und ihre Wegner, J. O. (2010): Neue Objektbeschriftun- Deren per Darlehen geförderte Beschaffung scherei in küstennahen Gebieten. Diese Küsten- Mannschaften. In: Löber, U. (Hrsg.): Die gen für die ausgestellten Teile der Fische- anfangs als besegelte, später als motorisier- fischerei spielt bis heute eine wichtige Rolle als Wikinger. Eigenverlag Landesmuseum Ko- reiabteilung. Altonaer Museum, Arbeitspa- te Fahrzeuge war durch die unterschiedlichen Nahrungslieferant. Heute, neben der umsatz- blenz, Koblenz: 75-85. pier zur Fischereiausstellung. 17 S. Fischereien an den deutschen Küsten vorge- stärkeren Hochseefischerei, die sich insbeson- Elsner, H. (1994): Wikinger Museum Haitabu: zeichnet. Marcard (1870) erkannte sehr schnell, dere während der letzten beiden Jahrhunderte Schaufenster einer frühen Stadt. Wach- dass die Fischer mit den größeren Booten die aus den Küstenbereichen über alle Meere aus- holtz, Neumünster (2. Aufl.). 128 S. besseren Einkommen hatten und machte diese dehnte. Henking, H. (1929): Die Ostseefischerei. Hand- Erkenntnis zu einer seiner Förderempfehlungen. Archäologische Funde belegen große mittel- buch der Seefischerei Nordeuropas, Bd. V, Diese Intensivierung der Ostseefischerei ließ alterliche Fischereien an den deutschen Ost- H. 3. Schweizerbart, Stuttgart. 182 S. die Kutter-, sprich die Kleine Hochseefischerei seeküsten. Sie brachten Erkenntnisse zu den Jenssen, B. (Hrsg.; 2006): Zur Entwicklung der entstehen, neben der weiterhin unmittelbar vor jeweiligen Fanggeräten und Booten, zu den ostdeutschen Fischwirtschaft nach 1945 den Küsten arbeitenden Küstenfischerei. Die- gefangenen Fischarten – in weiten Bereichen bis in die Gegenwart. Vorträge vom „4. se beschickt nach wie vor die lokalen Märkte, Hering – und zu Verarbeitungsmethoden zur lo- Rostocker Kolloquium zur Schifffahrts- heute mit hoch mechanisierten Fahrzeugen und kalen Versorgung oder zu (Fern-)Handelsware. und Marinegeschichte“ (09.08.2006). Re- Netzen aus synthetischen Garnen, aber in alt- Auch wenn heutige Netze erheblich größer sind dieck und Schade, Rostock. 179 S. bewährten Grundmustern. Das wird auch in Zu- als ihre Ursprungstypen und aus ganz anderen Lampen, A. (2000): Fischerei und Fischhandel kunft so sein – solange noch Fisch in der Ostsee Garnen und Leinen gefertigt werden, sind die im Mittelalter. Matthiesen, Husum. 288 S. schwimmt (Abb. 18). ursprünglichen Netzarten noch deutlich erkenn- Marcard, E. (1870): Darstellung der Preußischen bar in der heutigen Ausrüstung. Seefischerei und ihre jetzige Lage. Wie- Vor und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun- gandt und Hempel, Berlin. 66 S. Anmerkungen zum Schluss derts reduzierten äußere, politische Gründe die Meyer, P.-F. (1943): Die Zeesenfischerei auf He- deutsche Fischerei vor der Ostseeküste auf ring und Sprott, ihre Entwicklung und Be- Mit dem letzten Zeitabschnitt wurde die Phase eine unbedeutende Größe. Mit Unterstützun- deutung für die Ostseefischerei und ihre der Handarbeit weitestgehend verlassen. Der gen von Regierungsdienststellen und des Deut- Auswirkungen auf den Blankfischbestand Aufschwung der 1950er Jahre ließ für Handar- schen Fischerei-Vereins (gegr. 1870) erstarkte der Ostsee. Zeitschfit für Fischerei Bd. 40, beit noch weniger Platz. Die dadurch hervor- die Küstenfischerei, nicht zuletzt dank Beihil- 4-5: 453-652. gerufene Fischereientwicklung, unterschiedlich fen für neue größere Boote und zweckdienliche Meyer, P.-F. (1947): Deutsche Fischerei in der und teilweise auch sehr ähnlich in beiden deut- Ausrüstungen. Die Küstenfischerei dehnte sich Ostsee. Keune, Hamburg. 102 S. schen Staaten sowie die verlust- und zugleich während der 1880er Jahre mit Segelkuttern in Peters, N. (1935): Angeln. Handbuch der Seefi- auch gewinnreiche Zusammenführung beider küstenfernere, tiefere Gewässer aus. Um 1900 scherei Nordeuropas, Bd. 4, H 4 Schwei- deutschen Küstenfischereien nach 1990 sind begann die verstärkt geförderte Motorisierung zerbart, Stuttgart. 48 S. eine eigene Betrachtung wert (siehe Beitrag von der Fischereifahrzeuge. Nach der Unterbre- Schier, N. (2006): Die Entwicklung des Fisch- Steusloff in diesem Band). chung durch den Ersten Weltkrieg und die Fort- kombinates Saßnitz und die Einbeziehung Es sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, setzung in den 1920er Jahren waren Mitte der der genossenschaftlichen Fischerei zur dass hervorragend anschauliche Darstellungen 1930er fast alle Kutter und ein großer Teil der Nutzung der Ressourcen der Ostsee. In: – leider nur – zur Elb- und Nordseefischerei in Boote in der Küstenfischerei motorisiert oder Jenssen, B. (Hrsg.): Zur Entwicklung der Hamburg im Altonaer Museum/Norddeutsches durch neue Motorfahrzeuge ersetzt. Die deut- ostdeutschen Fischwirtschaft nach 1945 Landesmuseum stehen. Ihr Ursprung liegt in sche Fischereiflotte war 1937 die zweitgrößte bis in die Gegenwart. Rostock 2006: 47-55. der Lehrsammlung des Deutschen Seefische- der Ostsee und brachte ein Drittel der Gesamt- Schmarje, J. (1901): Die Provinz Schleswig- reivereins aus der Zeit vor 1890. Zur Ausbildung anlandung aus diesem Meer zu Markt. Holstein. Landeskunde Preußens, Heft V, der Fischer und zur Belehrung der Museums- Spemann, Berlin und Stuttgart. 150 S. besucher kamen sie in die Nähe des damals Dieser stetige Wandel der Fischerei vor den Schnakenbeck, W. (1928): Die Nordseefische- großen Fischereihafens und Fischmarktes Alto- deutschen Ostseeküsten vom Mittelalter bis in rei. Handbuch der Seefischerei Nordeuro- na 1903 in den eigens für sie errichteten Saal. die 1930er Jahre wurde mittels einiger Anmer- pas, Bd. V, H. 1. Schweizerbart, Stuttgart. Um einiges ergänzt, stehen sie jetzt noch dort kungen dargestellt. 229 S.

54 55 (Anguilla anguilla) und Dorsch (Gadus morhua) gehöhlt. Sorgfältig war darauf zu achten, dass Der traditionelle Holzbootsbau an der aber auch Hering (Clupea harengus), Plattfische die Wandungsstärke dabei nicht unterschritten (Pleuronectidae), Stichlinge (Gasterosteus acu- wurde, denn dort hätte das Lindenholz beim Ein- leatus ) sowie zu einem geringen Anteil Barsch satz auf See leicht brechen können. Auf diese Küste von Mecklenburg-Vorpommern (Perca fluviatilis), Karpfenfische (Cyprinidae) und Art wurden drei Einbäume gefertigt, von denen Lachse (Salmo sp.) nachweisen. Gejagt wur- das Fahrzeug Nr. 2 eine Länge von acht Metern Thomas Förster den auch Enten (Anatidae), Gänse (Anserinae), und eine Breite von 0,6 bis 0,7 Metern hatte. Der Schwäne (Cygnini) und Möwen (Laridae) und zu Einbaum Nr. 3 wies eine Länge von neun Me- einem Großteil auch Hundsrobben (Phocidae; tern und eine Breite von 0,6 bis 0,7 Metern auf Lübke, 2000). Anhand der Einbaumreste konn- (Kaute et al., 2005). Aufgrund dieser Dimensio- te festgestellt werden, dass das Fahrzeug mit nen ist davon auszugehen, dass die Einbäume den einfachen Steinwerkzeugen aus einem Lin- ihren Erbauern und Besitzern bei der Jagd nach denstamm gefertigt wurde. Zum Antrieb dienten Wasservögeln und Robben auf den zahlreichen Ursprünge und Bedingungen einfache zum Teil herzförmige Paddel. Hinweise Sandbänken und bei der Fischerei auf den küs- zur Länge und zur Breite des Fahrzeuges waren tennahen Gewässern gute Dienste geleistet Die Ursprünge des Bootsbaus an der Küste von durch den fragmentarischen Erhalt nicht mög- haben. Sicher werden sie auch bei geeigneten Mecklenburg-Vorpommern sind untrennbar mit lich (Jöns et al., 2007). Wetterverhältnissen zum küstennahen Verkehr einer beginnenden Nutzung der marinen Res- Im Frühjahr 2002 konnte eine archäologische genutzt worden sein. Die Fahrenszeit der Boo- sourcen an der Küste verbunden. Nach der letz- Grabung im Stralsunder Stadtgebiet (siehe Kar- te war auf die frost- und eisfreien Perioden be- ten Weichseleiszeit und mit der Entstehung der te) weiteren Aufschluss zum Aussehen der frü- grenzt. Während des Winters war die Gefahr Ostsee vor etwa 12 000 Jahren lässt sich an- hen Wasserfahrzeuge erbringen. Beim Bau eines groß, dass die an Land gezogenen Fahrzeuge in hand von archäologischen Funden an der Küs- Mischwasserspeichers gelang die Entdeckung der trockenen Winterluft reißen oder Wasserein- te das Entstehen von Lagerplätzen und dauer- von drei Einbäumen, deren Fundplatz zwischen lagerungen im Holz bei Frost zu Schäden führen haften Siedlungen beobachten. Die Jäger- und dem Hansa-Gymnasium und dem Strelasund (Abb. 2). Eine über die Jahrtausende praktizier- Sammlerkulturen gingen auf den Sandbänken lag, einem Areal das heute als Rasenfläche ge- te Methode zum Schutz der Einbäume ist die vor der Küste auf die Jagd nach marinen Säu- nutzt wird. Der archäologische Befund sprach Lagerung im Wasser. Mit Steinen beschwert, gern und betrieben Fischfang im Flachwasser- dafür, dass diese frühen Wasserfahrzeuge mit lagern die Boote unter Luftabschluss in einer bereich. Bei den Menschen jener Zeit setzte einem Siedlungsplatz in Verbindung standen, Tiefe, die durch das Eis nicht erreicht werden sicher schon früh die Erkenntnis ein, dass in der vom ausgehenden Mesolithikum bis zum kann. So konnten durch die Trocknung des Hol- größeren Wassertiefen mit ergiebigeren Fängen beginnenden Neolithikum in unmittelbarer Nähe zes aber auch Pilzbefall und Fäulnisprozesse zu rechnen war. Mögen es anfangs primitive des Wassers bewohnt wurde. Der Einbaum Nr. vermieden werden. Schwimmhilfen aus luftgefüllten Tierbälgen oder 1 konnte auf die Zeit um 4 000 bis 4 300 v. Chr. Warum die Stralsunder Einbäume nicht wieder Treibholz gewesen sein, so dürften sich daraus datiert werden; etwa 1 000 Jahre älter waren die geborgen wurden, mag verschiedene Ursachen einfache Flöße entwickelt haben, die im archäo- Einbäume Nr. 2 und 3, die zwischen 5 100 und haben. Möglicherweise waren sie durch eine logischen Befund jedoch bislang schwer nach- 4 800 v. Chr. gefertigt wurden (Lübke, 2005). lange Nutzung schadhaft geworden oder ande- weisbar sind. Aufgrund von ethnologischen For- Aus dieser Zeit sind im Norden Europas nur sehr re Faktoren erzwangen ihre Aufgabe. Diese und schungen kann vermutet werden, dass auch in wenige Zeugnisse zum frühen Bootsbau und zur andere Fragestellungen, wie zum Bau und zum der Region der südlichen Ostseeküste einfache Schifffahrt überliefert, so dass dieser archäolo- Aussehen dieser Fahrzeuge lassen sich meist Wasserfahrzeuge aus mit Knochen oder Hölzern gischen Entdeckung eine besondere Bedeutung mit den modernen Methoden der Archäologie ausgesteiften Tierhäuten aufkamen, wie sie bei- zukam. Interessant ist auch der Fakt, dass der beantworten. Daher wurden die Bootsteile durch spielsweise mit den Fahrzeugen der Inuit belegt günstige Siedlungsplatz am Strelasund kontinu- die Archäologen sorgsam im Block, zusammen sind (Rudolph, 1974). Abb. 1: Im Bereich des Hansa-Gymnasiums konnten 2002 ierlich über 7 000 Jahre genutzt wurde. Obwohl mit dem umgebenen Sediment geborgen. Der Geologische Prozesse seit der letzten Eiszeit die gut erhaltenen Reste von drei Einbäumen gefunden wer- die Boote durch den Erddruck verformt wa- wichtige Fundkomplex wurde dann dem zu- bewirkten im Bereich der heutigen Küste von den. ren, stand fest, dass diese Fahrzeuge bei einer ständigen Landesamt für Bodendenkmalpfle- Mecklenburg-Vorpommern einen Meeresspie- umfassenden wissenschaftlichen Auswertung ge in Schwerin zur weiteren Untersuchung und gelanstieg und ein Absinken küstennaher Land- wichtige Erkenntnisse zum frühen Bootsbau in Betreuung übergeben. Allerdings wurde 2009 flächen. Diese Vorgänge fanden teilweise in kur- Umschlag des Bandes) wichtige archäologische Nordeuropa ermöglichen würden. Bereits die bekannt, dass durch ein gravierendes Missma- zen Zeitspannen statt, so dass die am Wasser Zeugnisse zutage gefördert werden: Bei Unter- Erfassung der Boote in ihrer Originallage, „in nagement in der Behörde dieser wichtige Fund liegenden Siedlungsplätze in der Zeit von 8 200 wassergrabungen vor der Westküste der Insel situ“, erbrachte viele Aufschlüsse (Abb. 1). zur maritimen Geschichte Europas zerfallen und bis 6 900 v. Chr. überflutet wurden. Die rasche Poel (siehe Karte) wurde ein Siedlungsplatz lo- Die frühen Bootsbauer fertigten auch diese für weitere Untersuchungen und eine museale Abdeckung mit Wasser und Sediment bewirk- kalisiert, der sich auf die Zeit von etwa 4 600 Fahrzeuge aus Lindenholz. Linden mit den er- Präsentation nicht mehr verfügbar ist. te hervorragende Erhaltungsbedingungen der bis 4 300 v. Chr. datieren ließ. Dort wurden un- forderlichen Dimensionen waren in der waldrei- Umso mehr Beachtung sollte ein Projekt zur menschlichen Hinterlassenschaften, die um- ter anderem Fragmente eines Einbaumes, Res- chen Umgebung vermutlich genug vorhanden. experimentellen Archäologie finden, das von fangreiche Informationen zum frühen Bootsbau te von Paddeln, Fischspeere, eine Reuse und Das weiche Holz der Linde hatte den entschei- Greifswalder Studenten ins Leben gerufen wur- und zur Fischerei der Region geben. In den letz- zahlreiche Nahrungsreste gefunden, die eine denden Vorteil, dass es sich mit den zwar schar- de. Durch den Nachbau dieser frühen Boote ten Jahren konnten durch umfangreiche Unter- intensive Nutzung der Vorkommen von Fisch, fen aber schnell verschleißenden Steinwerkzeu- können wichtige Erkenntnisse zum Bau, zur suchungen im Bereich der Wismarbucht, auf der Seevögeln und marinen Säugern an der Küste gen gut bearbeiten ließ. Mittels dieser einfachen Fertigungszeit und zu den Fahrteigenschaften Insel Rügen und vor Stralsund (siehe Karte im belegen. Mit großer Häufigkeit ließen sich Aal Steinbeile wurden die Stämme gefällt und aus- gewonnen werden. Während in einem ersten

56 57 das Einbringen von Bohrungen während des sprechend bearbeitete Planken wurden an die Baus ließ sich die Wandungsstärke im Boden- Seitenwände der Einbäume angesetzt. Die Ver- bereich gut überprüfen. Diese Bohrungen wur- bindung zwischen dem Einbaum und den Plan- den später wieder verschlossen und konnten ken erfolgte anfangs durch einfache Verfahren, zum Versenken des Fahrzeuges im Winterhalb- wie dem „Vernähen“ mit Schnüren. jahr genutzt werden. Während die ersten Ein- bäume aufgrund der einfachen Steinwerkzeuge noch aus weichen Hölzern, wie dem der Linde Frühe Plankenboote bestanden, wurden beim Aufkommen von Bron- ze- und letztendlich von Eisenwerkzeugen Höl- Mit dem Aufplanken war eine wichtige Grund- zer mit einer höheren Haltbarkeit, wie Eiche und lage geschaffen, um aus den Einbäumen see- Kiefer genutzt. gängige Boote mit guten Fahrteigenschaften zu Durch die Bootsform waren die Einbäume rela- entwickeln. Eine weitere Erhöhung der Bord- tiv instabil und durch die geringe Bordwandhö- wände mit mehreren Planken bedingte, dass zur he nur bedingt seegängig. Eine Möglichkeit die Verbesserung der Querstabilität Spanten einge- Form zu verbessern bestand darin, den ausge- setzt wurden. Der Einbaum als Grundelement höhlten Stamm über dem Feuer zu erwärmen wurde nach und nach reduziert und die Schiffs- und durch eine Veränderung der Form dessen enden durch angesetzte Steven erhöht (Suder, Stabiliät zu erhöhen. Unter Hitzezufuhr wird das 1930; Rudolph, 1974). Diese Entwicklungen sind Holz sehr biegsam, so dass sich die Seitenwän- über Darstellungen auf skandinavischen Felsbil- de aufweiten lassen. Ausgesteift mit einfachen dern aus der späten Bronzezeit und durch das Spanten oder Stützhölzern bleibt das Holz in dänische Hjortspringboot (siehe Karte), das auf dieser Form und erhält zusätzliche Stabilität. 350 v. Chr. datiert, belegt. Das noch aus Lin- Ein weiteres Verfahren zur Erhöhung der Bord- denholz gefertigte Boot verfügt über eine brei- wände war das Aufplanken der Einbäume. Ent- te Kielplanke, auf die Seitenwände aufgesetzt Abb. 2: Bergung eines Einbaumes, der von Studenten der Universität Greifswald experimentell erstellt und im Winter 2011/2012 am NAUTINEUM versenkt wurde.

Schritt ein kleineres Fahrzeug aus Pappelholz Aufgrund der Bearbeitungsspuren kann davon nachgebaut wurde, ist künftig der Bau einer ori- ausgegangen werden, dass eiserne Werkzeuge ginalen Replik der Stralsunder Einbäume aus zum Bau eingesetzt wurden. Der vordere Teil Lindenholz geplant (siehe Beitrag von Steinküh- des Bootes ist spitz ausgearbeitet, während der ler und Dose in diesem Band). Einbäume besa- hintere Teil, soweit erkennbar, etwas gerundet ßen bis in unsere Zeit eine große Bedeutung. ist. Der Bootsquerschnitt ist rund. Vom vorderen Die Boote konnten auf Binnengewässern und Schiffsteil gemessen ist die erste Abschottung im Bereich von Flussmündungen gut zur Fische- bei 2,10 Metern und die zweite am Bootsende rei und für Transportaufgaben genutzt werden. bei 3,20 Metern ausgearbeitet. Der Fundort am Eine wichtige Voraussetzung waren günstige Theerbrenner See lässt die Vermutung zu, dass Wetterverhältnissen mit geringen Windstärken das Boot möglicherweise auf dem See und bei und entsprechend gut zu bewältigenden Wel- günstigen Wetterverhältnissen auch auf der an- lenhöhen. Es ist davon auszugehen, dass Ein- grenzenden Ostsee genutzt wurde. Die Ablage- bäume auf den Bodden- und Haffgewässern rung im Küstenbereich, wo das Fahrzeug in den und vereinzelt auch an der Außenküste einge- See bzw. auch problemlos in die Ostsee einge- setzt wurden. Allerdings gibt es dafür nur weni- setzt werden konnte, spricht dafür. ge archäologische Belege. Eins dieser seltenen In historischer Zeit wurden die Einbäume unter Stücke befindet sich auch in der Bootssamm- anderem als „Kahn“, „enbomen schyp“ oder lung des Deutschen Meeresmuseums (Abb. 3). „bohmkahn“ bezeichnet. Da deren Bau kein Das Boot wurde durch den Prerower Künstler größeres handwerkliches Können verlangt, wur- Theodor Schulze-Jasmer am Darßer Weststrand de dieser häufig durch die künftigen Nutzer re- (siehe Karte) gefunden und fotografiert. Das alisiert. Mit einfachen Beilen wurde der Stamm 3,60 Meter lange Fahrzeugfragment besteht entrindet und das Boot in Form gebracht, wobei aus Eichenholz und weist zwei Schotten auf, die der Querschnitt eine gerundete bis fast recht- durch das Stehenlassen von Holzstegen beim eckige Form haben konnte. Ebenso gibt es von Aushöhlen des Stammes entstanden. Die ur- stumpf über gerundet bis spitz verschiedene sprüngliche Länge des Bootes betrug etwa 3,80 Ausformungen der Bootsenden. Mit einem Hohl- Meter und die Breite etwa 0,50 Meter. Eine Da- dechsel, der über eine bogenförmige Schneide tierung des Bootes liegt bislang noch nicht vor. verfügt, wurde der Stamm ausgehöhlt. Durch Abb. 3: Einbaumfund vom Theerbrenner See am Darßer Weststrand.

58 59 Klinkerbauweise, bei dem die Verbindungen der Das Fahrzeug verfügte über eine Mastspur, in 1993 erfolgte medienwirksam eine erneute Frei- Planken mit eisernen Nieten hergestellt wurden. Form einer Verstärkung an der Längsseite des legung und die Bergung der 1967 entdeckten Es ist jedoch auch davon auszugehen, dass in Mittelspantes. Dort konnte in eine Aussparung Ralswiekboote. Jedoch war auch zu dieser Zeit dieser Bauart auch kleinere für die Fischerei ge- der Mast eingezapft werden. Ebenfalls konnte kein Konservierungs- und Ausstellungskonzept eignete Fahrzeuge gebaut wurden. das Fahrzeug gerudert werden, wie das noch vorhanden. Erst nachdem die Teile nach einer Ein Beleg für die Schifffahrt mit kleinen Planken- vorhandene Dollbord auf der Backbordseite längeren Lagerung in teils ungeeigneten Was- booten liefert ein Eichenspant, der am Palmer zeigt. Dort waren kreisförmige Öffnungen aus- serbassins erste Schäden zeigten, bemühte Ort an der Südostküste Rügen gefunden und geschnitten, durch die auf jeder Schiffsseite sich das zuständige Landesamt für Bodendenk- auf 670 n. Chr. datiert werden konnte. Leider fünf Ruder gesteckt werden konnten die diesen malflege um eine detaillierte Dokumentation gibt dieser Fund wenig weitere Auskünfte zur auch als Lager dienten. Da bei der Entdeckung und um eine entsprechende Konservierung. Schiffsgröße und zur Antriebsart. Gerade in die- der Boote deren Konservierung und spätere Diese wurde im Jahr 2000 abgeschlossen. Die ser Zeit ist von der beginnenden Verwendung museale Präsentation nicht sichergestellt wer- geplante Ausstellung im Museum für Unterwas- eines Rahsegels in Kombination mit Rudern den konnte, erfolgte deren Bewahrung in der serarchäologie in wurde bislang nicht auszugehen. Es kann aber vermutet werden, Fundlage durch die Abdeckung mit schützen- realisiert und der kostbare Fund nahm durch dass in der Region auch kleinere Boote ge- dem Sediment (Herfert, 1967; Hermann, 1981, eine falsche Lagerung ernsthaften Schaden. nutzt wurden, wie sie in dem Fund von Gokstad 1998). Bei einer Fortsetzung der Ausgrabungen Jedoch gelang es durch die sehr genaue Do- in Norwegen überliefert wurden. In einem Hü- in Ralswiek wurden im Bereich des Gräberfel- kumentation des gut erhaltenen Wracks Nr. 2, gelgrab entdeckte man ein Wikingerschiff von des in den „Schwarzen Bergen“ drei Brandbe- den Fund im Rahmen eines Projektes der ex- 23,33 Metern Länge und 5,25 Metern Breite, stattungen mit Schiffsteilen anhand der noch perimentellen Archäologie in zwei Exemplaren das ins späte 9. Jahrhundert datiert. Als Grab- vorhandenen eisernen Schiffsnieten nachgewie- nachbauen zu lassen. Das Projekt wurde durch beigabe befanden sich in dem großen Schiff sen. Eine Bestattung enthielt über 1 000 Schiffs- zwei Bootsbauer mit entsprechendem Hilfsper- auch drei kleinere Boote, die ebenfalls in der nieten, aus zwei anderen Bestattungen konnten sonal realisiert. Einer der Bootsbauer stammte Klinkertechnik gefertigt wurden. Der Nachweis 70 und 100 Nieten geborgen werden (Warnke, von den Färöer-Inseln, der andere aus Mecklen- von derartigen Booten gelang an der südlichen 1981; Hermann & Warnke, 2008). Dieser Fund burg-Vorpommern. Beide verfügten aufgrund ih- Ostseeküste am Handelsplatz von Reric, dem zeigt, dass neben der Verbindung der Planken- rer Ausbildung über umfassende Kenntnisse im heutigen Groß Strömkendorf (siehe Karte). Auf nähte mit Holznägeln auch Boote auf dem Han- Holzbootsbau. Im Jahr 1998 entstand die Replik einem Gräberfeld in der Nähe der Siedlung wur- delsplatz vorkamen, deren Plankenverbände mit dem Namen BIALY KON (Weißes Pferd) und den sechs Boote gefunden, die auch für Bestat- mit Nieten zusammengefügt waren. im Jahr 2000 die DZIKI KON (Wildes Pferd). Bei- tungen genutzt wurden. Die Hölzer der Boote aus dem 9. Jahrhundert waren im Boden leider völlig vergangen (Jöns, 2000). Jedoch lieferten die noch erhaltenen eisernen Schiffsniete Anga- Abb. 4: Das Wrack 2 von Ralswiek bei seiner Entdeckung ben zu den Dimensionen der Fahrzeuge. im Jahr 1967. Bei Ausgrabungen am slawischen Handelsplatz von Ralswiek (siehe Karte) stießen Archäologen 1967, 1968 und 1980 auf die zum Teil sehr gut und mit Bastseilen vernäht sind. Aber auch bei erhaltenen Überreste von vier Booten, die sich den traditionellen Holzbooten der Fischerei, die ins ausgehende 10. Jahrhundert datieren ließen. noch vor wenigen Jahrzehnten in Gebrauch wa- Alle Fahrzeuge waren in der Klinkerbauweise ren, lassen sich diese Elemente einer langen gefertigt. Auf einen T-förmigen Kiel und zwi- Entwicklung im Bootsbau noch nachweisen. schen den Steven wurden bis zu acht Planken- Beim Rostocker Kahn (siehe Karte), einem Bo- gänge angesetzt, die sich in den Längsseiten denschalenboot, besteht der Schiffsboden aus überlappten. Die so entstandene Rumpfschale einem Einbaum, der mit Steven versehen und wurde dann mit Spanten ausgesteift. Die Ver- aufgeplankt wurde (siehe Beitrag von Fircks in bindungen zwischen den Planken wurden mit diesem Band). Der Einbaum als grundlegendes hölzernen Nägeln hergestellt, ein Baumerkmal Element der Boote erfuhr einen weiteren Wan- das typisch für den slawischen Bootsbau bzw. del und wurde nach und nach bis auf einen Bal- für die südliche Ostseeküste angesehen wird. ken reduziert. Dieser Balken erinnerte anfangs Genutzt wurden dafür Hölzer, wie beispielswei- durch seinen T- oder Y-förmigen Querschnitt se der Weißdorn. Die Abdichtung der Planken- noch an die Urform, an den Einbaum. Kiel und nähte, die Kalfaterung, bestand aus Tierhaaren. Steven dienten nun als Grundelement, um die Den besten Erhaltungszustand wies in dem Rumpfschale in der Klinkertechnik aufzubauen. Fundkomplex das Wrack Nr. 2 auf (Abb. 4), bei Ein beeindruckender Fund zu dieser Bauwei- dem die Kalfaterung genauer bestimmt werden se ist das 22,84 Meter lange und 3,26 Meter konnte. Beim Bau dieses Bootes wurde Zie- breite Nydamboot (siehe Karte), das um 320 genhaar als Dichtungsmaterial verwendet. Auf- n. Chr. gebaut wurde. Es handelte sich um ein grund des Erhalts ließen sich bei diesen Wrack Abb. 5: Durch das Spaltverfahren und eine nachträgliche Bearbeitung mit Beilen werden die Planken für BIALY KON, einen gerudertes hochseetüchtiges Kriegsfahrzeug in auch gut die Formen des Antriebes erkennen. Nachbau des Wracks 2 von Ralswiek hergestellt.

60 61 re Schiffe mit rekonstruierten Längen zwischen zwölf und 25 Metern, die geklinkert sind (Förster et al., 2002). Westlich von Stralsund vor Barhöft (siehe Karte) fand man eine weitere Seesperre, bestehend aus mindestens vier Schiffswracks, die vermutlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Napoleonischen Kriegen angelegt wur- de. Auch innerhalb dieser Sperre befindet sich ein etwa neun Meter langes, gut erhaltenes ge- klinkertes Boot, dass die Kontinuität bei dieser Bauweise zeigt. In den Gemälden Caspar David Friedrichs (Abb. 8) und anderer Romantiker fin- den sich vielfach Schiffsdarstellungen, die einen Eindruck zum Aussehen dieser kleineren und mittleren geklinkerten Boote und Schiffe ge- ben. Diese Bauweise lässt sich im traditionellen Bootsbau bis in unsere Tage beobachten und mit Bootssammlungen, wie sie im NAUTINEUM vorhanden sind, belegen. So weisen Kielboote, wie die Reusenboote von der Insel Rügen (Abb. 9) oder die Jollen von der Insel Poel eine durch- gängige Klinkerung auf. Mittlere gedeckte Fahr- zeuge in dieser Bauweise sind beispielsweise geklinkerte Zeesenboote, Zeesenkähne und Quatzen. Bei den Verbindungselementen der Abb. 6: Typisch für die Klinkerbauweise ist der Aufbau der Rumpfschale, die nachträglich mit Spanten ausgesteift wird. Klinkerung können auch Variationen auftreten. Aufbau der Rumpfschale von BIALY KON. Ein Wrackfund von 1333 (siehe Karte) zeigt zu- Abb. 7: BIALY KON bei der Erprobung der Fahrteigenschaf- dem die Verwendung von zweifach umgeschla- ten auf der Ostsee vor Arkona. genen Nägeln. Entsprechend einer höheren de Fahrzeuge orientierten sich mit einer Länge werden konnte, eine Technologie, die sich dann Korrosionsbeständigkeit erfolgte seit dem Be- von 9,05 Metern, einer Breite von 2,55 Metern auch bis zur heutigen Zeit im Bootsbau gehalten ginn des 20. Jahrhunderts auch eine verstärkte und einem Tiefgang von 0,45 Metern am Origi- hat. Zu diesen Wrackfunden zählen Bootsreste Nutzung von Nieten aus Kupfer. nal des Wrackfundes. Anhand der beiden Nach- von um 1371, die vor Bodstedt entdeckt werden bauten ließ sich die Bautechnologie der geklin- konnten. Im Wismarer Hafen (siehe Karte) wurde kerten Boote von der Holzauswahl, über das ein etwa 18 Meter langes geklinkertes Fahrzeug Schiffbauentwicklung Spalten und Bearbeiten der Planken (Abb. 5) bis untersucht, das auf eine Erbauungszeit um 1486 im Spätmittelalter zum Aufbau der Rumpfschale (Abb. 6) und dem datiert werden konnte. Vermutlich wurde die- Aussteifen mit Spanten gut dokumentieren (von ses Fahrzeug für den küstennahen Waren- und Migrationsprozesse wie die deutsche Ostsied- Fircks, 1999). Beide Boote wurden dann mehr- Personenverkehr genutzt. Ebenfalls wurde ein lung im Mittelalter hatten Veränderungen im fach auf ihre Fahrteigenschaften auf der Ostsee etwa neun Meter langes und 1,80 Meter brei- Schiffbau zur Folge. Im Bereich der Ostsee- (Abb. 7) und den Bodden- und Haffgewässern tes Boot mit einer Dendrodatierung von 1591 in küste ließen sich vermutlich auch Schiffs- und getestet, bei denen sie sehr gute Segeleigen- der Klinkerbauweise gefertigt, das an der West- Bootsbauer aus dem Gebiet der Rhein- und We- schaften nachweisen konnten (Englert et al., küste der Insel Poel (siehe Karte) gesunken ist. sermündung nieder. Dort entwickelte sich eine 1999). Auf diesem Wrack konnten verschiedene Stü- besondere Bootsbautradition. Aufgrund der vor- Durch weitere Schiffsfunde vor der Küste von cke von Gebrauchskeramik gefunden werden. herrschenden Gezeiten wurden Fahrzeuge mit Mecklenburg-Vorpommern kann belegt werden, Eine Schale zeigt stilisierte Fischdarstellungen. einem flachen kraweelen Boden und geklinker- dass die Klinkerbauweise bis ins 18. Jahrhun- Jedoch ist es bei diesem und den anderen Boo- ten Seitenwänden gebaut. Bei dem kraweelen dert bei Fahrzeugen mit Längen bis zu 30 Metern ten aufgrund des fragmentarisch erhalten Zu- Boden schließen die Planken plan ab, während genutzt wurde und bei Booten bis in unsere Zeit standes der Schiffskonstruktion und auch des bei den Bordwänden die Klinkerbauweise, mit angewendet wird. Ein auf 1108 datierter Wrack- vorhandenen Inventars noch zu klären, ob die- einer Verbindung der Planken über zweifach fund vor Wustrow und Überreste von Klinker- se Fahrzeuge zur Fischerei oder anderen Auf- umgeschlagene Nägel, beibehalten wird. Diese booten aus dem Bereich der Grubenstraße von gaben eingesetzt waren (Förster, 2009a, b). Im Konstruktionsweise wird bei großen seegehen- Rostock aus dem 13. Jahrhundert zeigen (siehe Greifswalder Bodden (siehe Karte) konnte durch den Schiffen, die auch als Koggen bezeichnet Karte), dass die Verwendung von Holznägeln Unterwasserarchäologen eine Schiffssperre, werden, und auch bei kleineren Fahrzeugen für zur Plankenverbindung bis in die Hansezeit An- bestehend aus 17 Schiffen untersucht werden, den Binnen- und küstennahen Verkehr genutzt. wendung fand. Daneben gibt es weitere Wrack- die 1715 in der Zeit des Nordischen Krieges Durch die Handelsbeziehungen der neu entste- Abb. 8: Darstellung des Greifswalder Hafens um 1818 durch funde, bei denen eine Verbindung der Plan- durch die schwedische Flotte versenkt wurden. henden Hansestädte lässt sich diese Bauweise Caspar David Friedrich mit kleineren Booten (Quelle: Alte kenverbände mit eisernen Nieten beobachtet Innerhalb der Sperre befinden sich auch mehre- auch im Bereich der Ostsee beobachten. Mit Höl- Nationalgalerie Berlin).

62 63 zern aus dem Warnowbereich wurde ein etwa 14 Die Verbreitung Meter langes Schiff in dieser Bauweise gebaut, der Kraweelbauweise das bei Baggerarbeiten im Yachthafen von Hohe Düne bei Warnemünde gefunden wurde (siehe Um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert Karte). Das Fahrzeug ist in die erste Hälfte des lassen sich mit dem Vollkraweelbau neue Ein- 14. Jahrhunderts datiert. Auf eine Erbauungszeit flüsse im Boots- und Schiffbau beobachten. nach 1303 datiert das Wrack der Darßer Kog- Beim reinen Kraweelbau schließen die Längs- ge (siehe Karte), die mit einer Länge von etwa seiten und Stöße der Planken glatt ab. Aufgrund 21 Metern mit Hölzern aus dem Weichselbe- dieser Bauweise lassen sich Planken problem- reich gebaut wurde. Ein weiterer Fund in dieser loser austauschen, als es bei der Klinkerbau- Bauweise konnte mit Schiffsresten im Wismarer weise möglich ist. Allerdings können geklinkerte Hafen entdeckt werden, die sich dendrochro- Fahrzeuge durch die überlappenden Planken- nologisch auf 1476 bestimmen ließen. Die Bau- verbindungen beim Bau regelrecht durch den weise ist aber auch bei kleineren prahmartigen Boots- oder Schiffbauer modelliert werden. Das Fahrzeugen verwendet worden, wie spätmittel- ist bei der Kraweelbauweise nicht mehr mög- alterliche Wrackteile aus den Hansestädten von lich, so dass der Rumpf über Formschablonen, Mecklenburg-Vorpommern belegen (Förster, so genannte Mallen, gebaut wird und in der Re- 2000). Eine Vorstellung, wie diese Fahrzeuge gel technische Zeichnungen zur Vorbereitung aussahen geben sechs Schiffswracks, die bei des Baus nötig sind. Die Kraweelbauweise ent- Falsterbo in Schweden (siehe Karte) gefunden wickelte sich im Mittelmeerraum und gelangte wurden. Die gut erhaltenen Prähme wiesen Län- über die iberische Halbinsel und Holland in die gen zwischen 14 und 18 Meter bei einer Brei- Nord- und Ostseeregion. Ab dem 16. Jahrhun- Abb. 10: Polt PRU 1 ein um 1950 in der Werft Barth gebautes Bodenplankenboot (Zeichnung: Benjamin Oswald). te von 3,60 Metern auf. Aufgrund des Fundor- dert sind so auch die ersten Schiffbaupläne tes an den mittelalterlichen Heringsfangplätzen und Modelle zur Planung des Baus überliefert. von Schonen ist davon auszugehen, dass diese Mit dem Fund eines um 1535 gebauten etwa Mai 1565 in einem Gefecht mit den Schweden Rohstoffknappheit in der damaligen DDR behielt Fahrzeuge zum Umschlag und möglicherweise 25 Meter langen Schiffes vor Mukran (siehe versenkt. Ein weiteres kraweelgebautes Schiff jedoch der traditionelle Bootsbau mit dem relativ auch zum Fang des Herings eingesetzt wurden Karte) liegt der bislang früheste Beleg für ein mit einer Länge von etwa 18 Metern und einer gut verfügbaren Holz eine Daseinsberechtigung. (Ellmers, 1984; Förster, 2009b). Die Kombination kraweeles Fahrzeug vor der Küste von Meck- Datierung auf das Jahr 1523 konnte vor Zingst Mit der Wende kam es ab 1990 jedoch auch im von kraweel gebautem Boden und geklinkerten lenburg-Vorpommern vor. Das Fahrzeug aus ei- lokalisiert und untersucht werden (siehe Karte). traditionellen Bootsbau zu umfassenden Verän- Seitenwänden findet sich dann auch bei den Bo- nem Flottenverband von Dänen und Lübeckern Es ist davon auszugehen, dass der Kraweelbau derungen. Neben neuen Materialien und günstig denplankenbooten (Abb. 10). wurde vermutlich in Lübeck gebaut und am 31. meist für größere Fahrzeuge verwendet wurde, verfügbaren Booten sank der Bedarf an den klei- die in den Werften der Hafenstädte entstanden. neren Holzbootswerften, von denen viele nach Belege für den Bau von Booten in der Kraweel- und nach den Betrieb einstellten. Nur wenige bauweise in der frühen Neuzeit fehlen bislang. Werften schafften mit Erweiterung ihres Ange- Der Kraweelbau ist dann ab dem ausgehenden botsspektrums mit der Betreuung von hölzer- 19. Jahrhundert beispielsweise bei den Zeesen- nen Traditionsschiffen oder – und dem Neubau booten (Abb. 11) und im 20. Jahrhundert häufig mit anderen Bootsbaumaterialien den Sprung in beim Kutterbau zu beobachten. die Marktwirtschaft (siehe Beitrag von Steusloff Während sich der Bau von größeren gedeckten in diesem Band). So kommt neben einer Be- Schiffen durch Wrackfunde und ab der frühen wahrung von Belegen an Booten auch der Do- Neuzeit mit Plänen, Modellen und Bielbriefen gut kumentation der noch vorhandenen Zeugnisse belegen lässt, fehlen bei den kleineren Booten, zum Bootsbau eine große Bedeutung zu. die meist auf ländlichen Bauplätzen entstanden sind, häufig verlässliche Quellen (Szymanski, 1929). Der Bewahrung und Untersuchung der Zusammenfassung noch vorhandenen Arbeitsboote der Fischerei kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Die Ursprünge des traditionellen Holzboots- Ähnlich verhält es sich mit dem Bootsbau. Wolf- baus an der Küste von Mecklenburg-Vorpom- gang Rudolph bemerkte schon, dass zu den frü- mern lassen sich aufgrund von archäologischen hen Herstellungsverhältnissen im Bootsbau nur Funden bis in das Mesolithikum zurückverfol- wenig bekannt ist (Rudolph, 1966). Erst ab dem gen. Drei gut erhaltene Einbaumfunde aus dem 19. Jahrhundert sind umfassende Informationen Stadtgebiet von Stralsund ließen sich auf 5100 zum ländlichen Bootsbau vorhanden. So doku- bis 4000 v. Chr. datieren. Die Boote belegen, mentierte er die zahlreichen kleinen Werften, die wie der Mensch nach technischen Lösungen nach dem Zweiten Weltkrieg bestanden. Bereits zum Bau von Wasserfahrzeugen suchte, mit de- zu dieser Zeit setzte durch die Kollektivierungs- nen er durch Fischfang und Jagd die marinen bestrebungen der DDR aber auch hier ein Wan- Ressourcen nutzen konnte. Ebenfalls diente das Abb. 9: Reusenboot von der Insel Rügen. del der Produktionsformen ein. Aufgrund der Wasser als Transportweg. Anhand von Wrack-

64 65 funden lässt sich die weitere Entwicklung zum ten und auch bis in unsere Tage Verwendung. Fircks, J. v. (1999): Der Nachbau eines altsla- Kaute, P., Schindler, G. & H. Lübke (2005): Der Plankenboot mit Ruder- und Segelantrieb be- Unterschiede im Bau der hölzernen Boote ha- wischen Bootes: ein archäologischer Fund endmesolithisch/frühneolithische Fund- stimmen. Von großer Bedeutung sind dabei vier ben ihre Ursachen in verschiedenen Aufgaben, aus Ralswiek auf Rügen wird seetüchtig. platz Stralsund-Mischwasserspeicher – Boote aus dem 10. Jahrhundert, die bei dem dem Fahrtgebiet und regional geprägten Erfah- Archäologie in Mecklenburg-Vorpommern. Zeugnisse früher Bootsbautechnologie an slawischen Handelsplatz von Ralswiek gefun- rungen im Bootsbau. Dem musealen Erhalt von Lübstorf. der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpom- den wurden. An ihnen lässt sich die Nutzung Booten als Zeugnissen des traditionellen Holz- Förster, T. (2000): Schiffbau und Handel an der merns. Jahrbuch der Bodendenkmalpflege der nordischen Klinkerbauweise erkennen. Hier bootsbaus, aber auch dessen weitere Fortfüh- südwestlichen Ostsee – Untersuchungen Mecklenburg-Vorpommern 2004, 221-241. wurde zuerst die Rumpfschale aus den Planken rung in Werften und Museumsprojekten kommt an Wrackfunden des 13.-15. Jahrhunderts. Lübke, H. (2000): Timmendorf-Nordmole und modelliert, die sich an ihren Längsseiten über- eine große Bedeutung zu. Der traditionelle Holz- In: Archäologisches Landesmuseum MV Jäckelberg-Nord. Erste Untersuchungser- lappen. Die Aussteifung der fertigen Rumpf- bootsbau stellt einen wichtigen Teil des regiona- (Hrsg.), IKUWA, Schutz des Kulturerbes gebnisse zu submarinen Siedlungsplätzen schale mit Spanten erfolgte erst zum Schluss. len kulturellen Erbes der Küstenregion dar. unter Wasser [Kongress Sassnitz 1999] der endmesolithischen Ertebølle-Kultur in Das Prinzip dieser Bauweise wurde noch vor Beitr. Ur- u. Frühgeschichte Mecklenburg- der Wismar-Bucht, Mecklenburg-Vorpom- wenigen Jahren im großen Maße beim Bau von Vorpommerns 35. Lübstorf. 221-236. mern. In: Nachrichtenblatt des Arbeitskrei- Fahrzeugen für die Fischerei genutzt. Als eine Literatur Förster, T., Krüger, J. & T. Scherer (2002): Die ses für Unterwasserarchäologie. Hemmen- weitere neue Bauform lässt sich ab dem begin- schwedische Schiffssperre von 1715 – hofen. 17-35. nenden 16. Jahrhundert die Kraweelbauweise Ellmers, D. (1984): Frühmittelalterliche Handels- Taucharchäologische Untersuchungen im Lübke, H. (2005): Ergänzende Anmerkungen mit den Wrackfunden von Zingst von 1523 und schifffahrt in Mittel- und Nordeuropa. Of- Greifswalder Bodden. In: U. Masemann zur Datierung der Einbäume des endme- von Mukran von 1535 nachweisen. Anfangs fa-Bücher, Bd. 28. Karl Wachholtz Verlag, (Hrsg.), Forschungen zur Archäologie und solithisch/frühneolitischen Fundplatzes wurden Fahrzeuge in dieser Bauweise auch Neumünster. Geschichte in Norddeutschland – Fest- Stralsund-Mischwasserspeicher. Jahrbuch als Schalenbau mit abschließender Ausstei- Englert, A., Indruszewski, G., Jensen, H. & T. schrift W. D. Tempel. Rotenburg. 371-388. der Bodendenkmalpflege Mecklenburg- fung durch Spanten gefertigt. Im 17. Jahrhun- Gülland (1999): Bialy Kons Jungfernreise Förster, T. (2009a): Schiffe der Hanse. Hinstorff- Vorpommern 2004, 257-261. dert setzte sich dann zunehmend der Skelett- von Ralswiek nach Wollin – Ein marinar- Verlag. Rostock. Rudolph, W. (1966): Handbuch der volkstümli- bau durch, bei dem zuerst das Spantengerüst chäologisches Experiment mit dem Nach- Förster, T. (2009b): Große Handelsschiffe des chen Boote im östlichen Niederdeutschland. aufgerichtet und dann kraweel beplankt wurde. bau des slawischen Bootsfundes Ralswiek. Spät­mittelalters – Untersuchungen an Veröffentlichungen des Deutschen Instituts Auch dieses Verfahren fand neben großen see- 2. Jahrbuch der Bodendenkmalpflege in zwei Wrackfunden des 14. Jahrhunderts für Volks­kunde, Bd. 41, Akademie-Verlag, tüchtigen Schiffen ebenfalls bei kleineren Boo- Mecklenburg-Vorpommern 1998. 171-200. vor der Insel Hiddensee und der Insel Ber­l­in. Poel. In: Schriften des Deutschen Schiff- Rudolph, W. (1969): Segelboote der Deutschen fahrtsmuseums, Bd. 67, Convent Verlag, Ostseeküste. Veröffentlichungen des Bremerhaven. Deutschen Instituts für Volkskunde, Bd. Herfert, P. (1968): Frühmittelalterliche Bootsfun- 53, Akademie-Verlag, Berlin. de in Ralswiek, Kreis Rügen. In: Ausgra- Rudolph, W. (1974): Boote, Flöße, Schiffe. Edi- bungen und Funde. Bd. 13. 211-222. tion Leipzig. Herrmann, J. (1981): Ein neuer Bootsfund im Suder, H. (1930): Vom Einbaum und Floß zum Seehandelsplatz Ralswiek auf Rügen. In: Schiff. In: Veröffentlichungen des Instituts Ausgrabungen und Funde. Bd. 26. 145-158. für Meereskunde. Historisch – volkswirt- Herrmann, J. (1998): Ralswiek auf Rügen, Teil 2: schaftliche Reihe. Heft 7. Verlag Mittler & Kultplatz, Boot 4, Hof, Probstei, Mühlen- Sohn, Berlin. berg, Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Szymanski, H. (1929): Die Segelschiffe der Mecklenburg-Vorpommerns Bd. 33. Lüb- Kleinschiffahrt. Pfingstblätter des Hansi- storf. schen Geschichtsvereins, Blatt XX, Lü- Herrmann, J. & D. Warnke (2008): Ralswiek auf beck. Verlag Mittler & Sohn. Berlin. Rügen. Die slawisch-wikingischen Siedlun- Warnke, D. (1981): Eine Bestattung mit skandi- gen und deren Hinterland. Teil V. Das Hü- navischen Schiffsresten aus den „Schwar- gelgräberfeld in den „Schwarzen Bergen“ zen Bergen“ bei Ralswiek, Kr. Rügen. In: bei Ralswiek. Beiträge zur Ur- und Frühge- Ausgrabungen und Funde. Bd. 26. 159- schichte Mecklenburg-Vorpommerns Bd. 165. 46. Schwerin. Jöns, H. (2000): War das emporium Reric ein Vorläufer Haithabus? Jahrbuch der Boden- denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern 2000, 201-213. Jöns, H., Lübke, H., Lüth, F. & T. Terberger (2007): Prehistoric settlements and deve- lopment of the regional economic area. Archaeological investigations along the Northeast-German coast. Be- richt der Römisch-Germanischen Kommis- Abb. 11: Kraweelgebautes Zeesenboot STR 9 in der Bootssammlung des Deutschen Meeresmuseums im NAUTINEUM. sion 88. Frankfurt. 149-188.

66 67 stellte sich heraus, dass ein Vorhaben dieser Di- gern“ ein überaus ehrgeiziges Projekt. Auch Vom Baumstamm zur Mutter aller Boote mension die Möglichkeiten eines Studentenpro- die geplanten Testfahrten erwiesen sich nicht jektes überstieg. als „Kaffeefahrt“, vielmehr galt es unter teils Doch diese Umstände waren kein Grund, die schwierigen Bedingungen bei Wind und Wel- – Das Projekt „Tradition und Meer“ Segel zu streichen. Vielmehr gewannen die Au- lengang wissenschaftlich verwertbare Daten toren mit ihrer Idee zum Nachbau eines Einbau- zur Nutzung eines solchen Einbaumes zu ge- zum Nachbau eines Einbaumes mes die Unterstützung von Thomas Terberger winnen. Während der Fahrten lag der Fokus vor und legten den Grundstein zum Projekt „Tra- allem auf Experimenten zum Umgang mit Feuer dition und Meer“. Ziel des studentisch organi- an Bord, der Möglichkeit Tiere zu transportie- Johannes Steinkühler und Alexej Dose sierten Vorhabens war es, in der Projektwoche ren sowie darauf, das Fahrverhalten auf Binnen- der Universität Greifswald 2011 einen Einbaum und Seegewässern zu testen. Im Rückblick ist nachzubauen, der bei späteren Fahrten über of- festzuhalten: Es hätte wohl schon jeder Projekt- fene Gewässer getestet werden sollte (Abb. 1). teil für sich eine studentische Projektwoche gut Von der Idee, ein Boot zu bauen Der aus Lindenholz gefertigte Einbaum STRAL- Die gewonnenen Erfahrungen sollten den Teil- gefüllt. Der anfängliche Plan, den steinzeitlichen SUND 1 sollte mit seiner Gesamtlänge von etwa nehmern, vorwiegend Lehramtsstudenten des Einbaum STRALSUND 1 als Vorbild zu nutzen, Die Idee zu dem Projekt „Tradition und Meer“ 13 Metern als ein Vorbild dienen (Kaute et al., historischen Instituts, auch Anregungen für zu- wurde von der Realität eingeholt ... entstand im Seminar „Bootsbau im frühen Kon- 2005). künftige Schulprojekte geben. text - vom Einbaum zur Kogge“ unter der Lei- Erste Schwierigkeiten ergaben sich bei den tung von Professor Dr. Thomas Terberger am In- Nachforschungen zur Beschaffung eines geeig- Bau des Einbaumes vom stitut für Ur- und Frühgeschichte der Universität neten Baumstammes. Die Kosten für eine astrei- Ziele und Methoden – 13. Juni bis 12. Juli 2011 Greifswald. Auf einer Exkursion nach Dänemark ne Linde sollten – ohne Transport – etwa 8.000 Vor dem Bau besichtigten die Teilnehmer auch einen Teil der Euro betragen. Da einzeln stehende Linden in Der Einbaum sollte ursprünglich innerhalb von im Seminar behandelten Schiffsfunde und ihre Deutschland dem Naturschutz unterliegen, ist Wo und wie beginnt man eigentlich, wenn man acht Tagen gebaut werden, doch daraus wurden Nachbauten. Von dieser Exkursion inspiriert, das Angebot an solchen Stämmen zudem sehr einen Einbaum bauen will? Einbäume sind eine vier Wochen. Zunächst widmeten sich die Pro- stellten sich die Autoren mit Thomas Kroth am begrenzt. Ein ähnliches Problem hatte sich beim der langlebigsten Erfindungen des Menschen jektteilnehmer dem Werkzeugbau. Die begrenz- Ende die Frage, ob es nicht auch möglich sei, Nachbau des Hjortspring-Bootes aus der Zeit und werden seit 10 000 Jahren in fast unver- te Erfahrung mit dem Werkstoff Feuerstein und ein solches Projekt eigenständig durchzuführen. um 350 v. Chr. ergeben: Dabei wurden geeigne- änderter Form gebaut, so unter anderem noch der Beilherstellung sorgte für sehr unterschied- Dabei rückten die „vor der Haustür“ entdeckten te Linden aus Polen nach Dänemark importiert heute am Malawisee in Afrika. Die Entscheidung liche Ergebnisse: Ein Teil der geschäfteten Bei- steinzeitlichen Einbaumreste aus Stralsund in (Valbjørn, 2003). Für das geplante studentische über die Vorlage bestimmte die Wahl der Werk- le hielt nur wenige Schläge, besser gefertigte den Blickpunkt, die zu den ältesten überliefer- Projekt musste man sich von der Vorstellung zeuge und Materialien für den Bau des Bootes. „Modelle“ hielten den Belastungen hingegen ten Wasserfahrzeugen Deutschlands gehören. der Verwendung einer Linde verabschieden. Es Die Beratungen mit dem Experimentalarchäolo- erstaunlich dauerhaft stand. Die Verwendung gen Harm Paulsen vom Landesmuseum Schles- von ungegerbtem Schweinsleder für die Schäf- wig-Holstein führten zu der Entscheidung, ei- tungen erwies sich als vorteilhaft, während mo- nen mesolithischen Einbaum zum Vorbild zu derne Naturfasern den Belastungen nicht stand nehmen, wie sie nicht nur in Stralsund, sondern hielten (Abb. 2a und b). auch in Tybrind Vig/Dänemark überliefert sind. Die Abfolge des Einbaumbaus lässt sich in we- Nachdem die Wahl auf eine Vorlage der Ertebøl- nige Schritte untergliedern: Zu Beginn liegt der le Kultur (ca. 5400 bis 4100 v. Chr.) gefallen war, Einbaum „auf dem Rücken“, um die unteren wurde eine sieben Meter lange Pappel als Roh- Bordwände, den Boden und den Bug heraus- ling beschafft. Die Wahl fiel auf Pappelholz, weil zuarbeiten. Anschließend wird der Baumstamm es ähnliche Eigenschaften wie Lindenholz auf- gedreht und ausgehöhlt. Das Endschott wird ab- weist und dem schmalen Budget entsprechend schließend in Nut- und Federtechnik eingepasst. günstig zu bekommen war. Das Entrinden des Baumes und die Wahl der Un- Bevor jedoch der eigentliche Nachbau begann, terseite waren schnell abgeschlossen. Die Pap- beschäftigten sich die Teilnehmer zunächst mit pel zeigte auf einer Seite zahlreiche Verastun- den notwendigen mesolithischen Werkzeugen gen. So bot sich diese Seite zur Aushöhlung an, und Rohstoffen, wie z. B. dem Dichtmaterial und um wenige Astansätze in Boden und Bordwand seiner Herstellung. Für die angehenden Lehrer zu bekommen. Die Beseitigung der Astansätze war es von besonderem Interesse steinzeitliche stellte eine besondere Herausforderung für die Materialien zu verarbeiten, um die gewonnen Arbeit in steinzeitlicher Technik dar. Mit solchen Kenntnisse und Fähigkeiten später für den Un- Werkzeugen ist es ausgesprochen schwierig, terricht zu nutzen. So wurde die Herstellung von die Fasern längs der Wuchsrichtung zu schla- Birkenpech ebenso nachvollzogen wie – mit Hil- gen. Steinzeitliche Einbaumbauer hätten diesen fe von Harm Paulsen – die ersten Schritte der Baumstamm wahrscheinlich verworfen und ei- Feuersteinbearbeitung. nen besser geeigneten Stamm ausgewählt! Einen solchen Einbaum sowie die dazugehöri- Nach den ersten Tagen wurde offensichtlich, gen Paddel mit mesolithischen Mitteln zu ferti- dass der Bau mit den selbst hergestellten Werk- Abb. 1: Fahrt auf offenem Gewässer. gen, war für eine Gruppe von „Steinzeitanfän- zeugen in der begrenzt verfügbaren Zeit nicht zu

68 69 Abb. 2a und b: Mit steinzeitlichem Material geschäftetes Beil (links); Beil mit neuzeitlichem Material geschäftet. Der Lappen diente zur Verstärkung der Schäftung, dennoch zerschnitt das Feuersteinbeil während der Arbeit die Umwickelung (rechts).

Abb. 5a und b: CAD Modell und realer Einbaum im Vergleich. Das untere Bild zeigt den Einbaum auf einer Sandbank vor Wampen (Grafik: Jan Morgenstern).

an den Handgelenken einiger Teilnehmer blie- Zahlen und technische Daten ben bei dieser Arbeit nicht aus. Durch großen des Einbaumes persönlichen Einsatz wurde der Bootsbau den- noch neben dem regulären Studium Stück für Der Einbaum ist 7,01 Meter lang, die Höhe Stück vorangetrieben. Dabei musste der Baum „Mittschiffs“ beträgt 42 Zentimeter, der Boden ständig gewässert und das Material für die hat eine Stärke von etwa 4,5 Zentimeter und die Werkzeuge beschafft werden. Das Projekt ent- Bordwände sind etwa drei Zentimeter stark. Der wickelte sich für die Teilnehmer mehr und mehr „Tiefgang“ liegt ohne Besatzung bei etwa zehn zu einer 24-Stunden-Aufgabe: Die gesamte Ge- Zentimeter, während mit einer Besatzung von staltung des Einbaumes nahm rund 400 Perso- vier Personen etwa 25 bis 30 Zentimeter Tief- Abb. 3: Die letzten Arbeiten am Einbaum. Die Studenten Franziska Hentze, Tobias Hilsenitz, Thomas Kroth und Sandra nenarbeitsstunden in Anspruch (Abb. 3), dazu gang erreicht werden; die Freibordhöhe beträgt Proth­mann (von vorne nach hinten) glätten die Oberfläche des Einbaumes. kamen aufwändige Arbeiten wie die Pechbrenn- dann noch etwa 15 Zentimeter. Der Einbaum versuche sowie die Anfertigung und Verzierung verjüngt sich von 65 Zentimeter am Heck auf des Endschotts. Die Herstellung eines Paddels 43 Zentimeter in der Bugsektion. Der Diplom- halten war und daher entschied sich die Grup- beanspruchte allein einen Arbeitstag, wobei ein Ingenieur (FH) Jan Morgenstern erstellte für das pe, auch Eisenwerkzeuge einzusetzen. Anliegen mittelsteinzeitlicher Fund aus dem Duvenseer Projekt ein digitales Modell des Einbaumes mit des Projektes war schließlich die Annäherung Moor in Schleswig-Holstein als Vorbild diente Hilfe des Computer Aided Design (CAD; Abb. 5a an prähistorische Techniken und Verkehrsmittel (Tromnau, 1973), das abweichend vom Origi- und b). und nicht die Durchführung eines streng wis- nalfund nicht aus Eschenholz, sondern aus dem Aus den Ausgangsdaten lässt sich eine rechne- senschaftlichen Experimentes. weicheren Pappelholz gefertigt wurde. rische Gesamtmasse von 248,9 Kilogramm bei Innerhalb der ersten vier Bautage wurden so die Am 12. Juli 2011 war es endlich soweit: Nach 750 kg/m³ angenommener Holzdichte errech- äußeren Bordwände und der Boden des Einbau- einem abenteuerlichen LKW-Transport konnte nen. Das Materialvolumen des Einbaumes be- mes gestaltet. Der Bug erhielt ebenfalls seine der Einbaum im Greifswalder Museumshafen trägt etwa 0,332 Kubikmeter, das Innenvolumen Form. Nach dem Drehen des Baumes mit Hebel- zu Wasser gelassen werden. Die dreizehn Lehr- beträgt etwa 1,229 Kubikmeter. Der Einbaum kraft erfolgte in mühevoller, schweißtreibender amtsstudenten konnten zu Recht stolz auf ihr Er- verdrängt etwa 1,562 Kubikmeter Wasser. Arbeit das Ausdechseln des Baumes. Zahlrei- gebnis sein (Abb. 4). Doch die nächsten Heraus- Die rechnerische Zuladung des Einbaumes, che Blasen und Überbelastungserscheinungen Abb. 4: Der Einbaum nach dem Stapellauf. forderungen warteten bereits auf dem Wasser ... allerdings ohne jedes Freibord, beträgt 1,31

70 71 Abb. 6: Eine ausgebrannte Feuerstelle im Einbaum. Abb. 7: Der Einbaum als „Tiertransporter“.

Tonnen. Die tatsächliche Zuladung dürfte bei erfordert daher Erfahrung, und die Mannschaft maximal 600 Kilogramm liegen. Dabei ist der musste sich an die geringe Stabilität des Was- Wellengang zu berücksichtigen, da eine erhöhte serfahrzeuges gewöhnen. Zuladung das Freibord verringert. Die Sitzpositionen und Gewichtsverlagerun- gen müssen stets abgestimmt werden, wobei Das Volumen des unbearbeiteten Baumstam- sich die Kommunikation über die gesamte Län- mes betrug 1,9 Kubikmeter, daraus ergibt sich ge des Einbaums als eine echte Herausforde- ein Gesamtgewicht von mindestens 1,5 Tonnen. rung erwies. Einbaumfahren setzt also absolute Der fertige Einbaum macht daher 17 % des Bau- Teamarbeit voraus. Versuche, den Einbaum ste- mes aus, die restlichen 83 % wurden in mühe- hend zu paddeln, ergaben eine deutlich höhe- voller Handarbeit zu Holzschnipseln verarbeitet. re Geschwindigkeit. Allerdings erfordert diese Technik von den Paddlern eine noch genauere Abstimmung – und viel Übung. Erste Testfahrten

Nach erfolgreichem Stapellauf standen nun Unter Feuer und als Abb. 8: Die letzten Meter der Testfahrt. Im Hintergrund der Dänholm und die Insel Rügen. endlich die Testfahrten an. Zunächst galt es, die Tiertransporter unterwegs Fahreigenschaften des Einbaumes kennenzu- lernen. Auf der Jungfernfahrt wurden die maxi- Die Versuche im Umgang mit Feuer an Bord ver- kann also gut auf Einbäumen transportiert wer- wollte das Tier den Einbaum nicht selbstständig male Anzahl der Paddler und die maximale Ge- liefen erfolgreich. Es wurde eine Lehmpackung­ den (Abb. 6). verlassen und musste wiederum getragen wer- schwindigkeit ermittelt. Auf dem relativ ruhigen auf den Boden des Einbaumes aufgebracht, Nach diesen erfolgreichen Tests zur Zuladung den. Der Transport stellte sich also als unpro- in Greifswald konnten bis zu sechs Per- wie sie bereits beim Pechbrennen im Rahmen und zum Verhalten des Einbaumes wollte das blematischer heraus als erwartet und auch ein sonen mit einem Gesamtgewicht von etwa 500 der Projektvorbereitung Anwendung fand. Dar- Team den Transport von Tieren nachvollziehen. Hund an Bord bestätigte, dass so ein Einbaum Kilogramm gleichzeitig den Einbaum fahren. auf wurde mit dünnen Zweigen ein Feuer ent- Die Wahl fiel auf ein etwa 80 Kilogramm schwe- als „Tiertransporter“ gut geeignet ist. Ein „Sprintversuch“ mit fünf trainierten Dra- facht. Verkohlungen, wie sie bei steinzeitlichen res Gotlandschaf. chenbootfahrern der Hochschulsportgemein- Einbäumen vorkommen (Bleile, 2008), traten Das Schaf musste in den Einbaum gehoben schaft ergab für die Distanz von 250 Metern nach etwa einer Stunde Fahrtzeit mit der Feu- werden und verhielt sich während der ganzen Auf nach Stralsund eine Zeit von 2:56 Minuten. Im Vergleich zu ei- erstelle an Bord nicht auf. Diese Beobachtung Ausfahrt erstaunlich ruhig (Abb. 7). Der Student, nem Drachenboot mit ähnlichem Eigengewicht lässt regelhaften und intensiven Feuergebrauch der das Tier sicherte, musste das Tier sogar Die größte Herausforderung und zugleich der und 20 Paddlern (etwa 7,5 km/h) war der Ein- auf den Einbäumen der Steinzeit vermuten. vom Trinken des Brackwassers und vom Fres- wichtigste Test war ohne Zweifel die Fahrt über baum mit etwa 5 km/h erkennbar langsamer. So Das Feuer brennt durch den Fahrtwind relativ sen des Schilfes abhalten. Nach der Ausfahrt den Bodden von Greifswald nach Stralsund bleibt festzustellen, dass Einbäume nicht gera- rasch nieder. Demzufolge müssen recht große de „Sprinter“ sind. Mengen Feuerholz mitgeführt werden oder es Die ersten Fahrversuche zeigten, dass der Ein- können keine größeren Distanzen mit brennen- Tabelle 1: Übersicht zu ausgewählten Daten der Testfahrt nach Stralsund. baum eine relativ gute Freibordhöhe hat. Das dem Feuer überwunden werden. Bis auf eine Tag 1: Tag 2: Lenkverhalten kann jedoch keineswegs als wen- gewisse Rauchbelästigung, ist der Umgang mit Wiek Mole - Wampen Stahlbrode - NSG Niederhof dig bezeichnet werden. Durch das recht hohe Feuer auf dem Einbaum unproblematisch. Der Strecke: 5,2 km 5 km Eigengewicht driftet das Boot über einen Punkt Lehm härtet durch das Feuer aus und schützt Zeit: 2:29 Std. 1:34 Std. im hinteren Drittel. Ebenso hat der Einbaum be- das Feuer so auch vor Wasser im Boot. Die Mit- Geschwindigkeit: ca. 2,27 km/h ca. 3,7 km/h dingt durch die Wuchsform des Baumes einen nahme von Glut gestaltet sich einfacher und leichten Rechtszug. Das Lenken des Einbaumes die Rauchbelästigungen treten kaum auf. Feuer Bemerkungen zum Wind: Stärke: 5-6, gegen den Wind Stärke: 2-3, Rückenwind

72 73 tieferes Gewässer passieren, was bei den er- stellte aufgrund des regen Schiffsverkehrs so- nem der Stralsunder Einbäume herzustellen und schwerten Wetterverhältnissen eine besondere wie des auffrischenden Windes und des damit zu testen, bleibt weiterhin das erklärte Ziel des Herausforderung darstellte. einhergehendem Wellenganges ein zu gefährli- Projektes. Die bei diesem Einbaumbau gewon- Das Hauptziel der Ausfahrt war es, die Grenzen ches Hindernis dar. Daher wurde der Einbaum nenen Erfahrungen haben gute Voraussetzun- des Einbaumes zu testen und dazu gehört wohl aus Sicherheitsgründen erneut in Schlepp ge- gen für dieses und andere zukünftige Vorhaben auch, einzelne dieser Grenzen zu überschreiten: nommen. Den letzten Abschnitt der Einfahrt in geschaffen. Im Laufe des Nachmittags wurde immer offen- den Dänholm-Kanal legte die Mannschaft dann Das Verhalten bei Lagerung und die Erhaltung sichtlicher, dass das Tagesziel, Stahlbrode zu wieder paddelnd zurück (Abb. 9). an der Luft sowie Daten zur Laufzeit des Ein- erreichen, zu ehrgeizig gesteckt war. Daher ent- Eine Reise in der Steinzeit hätte vermutlich vier baums sollen anhand dieses Einbaumes unter- schied sich die Crew vor der Halbinsel Tage in Anspruch genommen. Ohne Beiboot sucht werden. Die Ausstellung des Einbaumes für die direkte Fahrt über das offene Wasser mit und Zeitdruck hätte man ungünstige Wind- und im Deutschen Meeresmuseum schlägt nunmehr Tiefen bis zu sechs Metern. Zunächst verlief die Wetterverhältnisse an Land abgewartet. eine gedankliche Brücke zu den steinzeitlichen Fahrt gegen den Wind gut, doch schwappten die Nach dieser Fahrt mit Hindernissen wurde der Einbaumfunden in der Hansestadt Stralsund, Wellen zunehmend in den Einbaum. Dabei nahm Einbaum am 9. September 2011 als Dauerleih- die nicht erhalten sind. der Bug solche Wassermengen auf, dass man gabe an das Deutsche Meeresmuseum in Stral- mit dem Ausschöpfen nicht mehr nachkommen sund übergeben, wo man ihn heute in der Aus- konnte. Durch die Unterteilung des Einbaumes stellung des NAUTINEUMs besichtigen kann. Literatur in Segmente ließ sich dieses Problem zunächst Um Frostschäden und Trocknungsrisse zu ver- noch beherrschen, doch die Entscheidung, meiden, wurde der Einbaum im Herbst 2011 in Andersen, S. H. (1987): Mesolithic dug-outs wieder in flaches Wasser zu steuern, erfolgte Kooperation mit dem NAUTINEUM im Dänholm- and paddles from Tybrind Vig, Denmark. zu spät. Es war nicht mehr möglich, den etwa kanal vorübergehend versenkt. Acta Archaeologica 57, 87-106. eine Tonne schweren Einbaum durch den Wind Bleile, R. (2008): Archäologische Quellen zur zu drehen und mit den Paddeln zu steuern: Die mittelalterlichen Binnenschifffahrt in Meck- Havarie war unausweichlich, der Einbaum lief Ergebnis lenburg-Vorpommern. In: „Die Dinge be- vollständig voll und musste verlassen werden. obachten …“: archäologische und histori- So bekam die Mannschaft die Möglichkeit, die Die Experimente des Projektes „Tradition und sche Forschungen zur frühen Geschichte Bergung eines Einbaumes kennenzulernen. Der Meer 2011“ bestätigten den Einbaum als gutes, Mittel- und Nordeuropas; Festschrift zum Anspruch der Einbaumfahrer war es, ohne frem- wenn auch langsames Transportmittel mit hoher 60. Geburtstag von Günter Mangelsdorf: de Hilfe den Einbaum wieder flott zu machen. Ladekapazität, das vor allem für Binnengewäs- 473-496. So sammelte die Crew die wichtigsten Ausrüs- ser geeignet ist. Fahrten über offenes Wasser Kaute, P., Schindler, G. & H. Lübke (2005): Der tungsgegenstände aus dem Wasser zusam- erfordern ruhiges Wetter: Kenntnisse der befah- endmesolithische/frühneolithische Fund- men und schleppte den unter der Wasserlinie renen Gewässer sind daher eine wichtige Vor- platz Stralsund-Mischwasserspeicher – Abb. 9: 6 000 Jahre Schiffbaustradition auf einen Blick. Die schwimmenden Einbaum eigenständig etwa 1,5 aussetzung für die Kalkulation von Risiken. Die Zeugnisse früher Bootsbautechnologie an Fahrt zur Übergabe an das NAUTINEUM. Im Hintergrund ist Kilometer bis auf den Strand. Ein pensionierter eingesetzten steinzeitlichen Paddel unterschie- der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpom- die Volkswerft Stralsund zu sehen. Fischer rief sogar einen Rettungshubschrau- den sich in der Handhabung nicht wesentlich merns. Bodendenkmalpflege in Mecklen- ber, der gerade noch rechtzeitig abbestellt wer- von ihren neuzeitlichen Pendants. Für den Bau burg-Vorpommern 52: 223-241. den konnte. Der erfahrene Fischer Bernd Böse mit steinzeitlichen Mitteln sind schätzungswei- Tromnau, G. (1973): Ein 9000 Jahre altes Pad- (Abb. 8). Die Strecke sollte mit einer Übernach- wusste, dass ein solcher Schiffsbruch nicht un- se fünf Personen über einen Monat beschäftigt; del aus dem Duvensee: mittlere Steinzeit tung in Stahlbrode in zwei Tagen bewältigt wer- terschätzt werden darf. dabei ist allerdings der Erfahrungsfortschritt (Duvenseestufe 7000-6000 v. Chr.). Helms- den. Leider kann in der Neuzeit nicht auf das Nach kurzer Pause am Strand ging es zu dritt nicht zu unterschätzen, so dass die Beobach- Museum, Hamburg. richtige Wetter gewartet werden und daher weiter. Ein Crewmitglied hatte für den ersten tungen aus dem Bau eines ersten Einbaumes Valbjørn, K. V. (2003): Boatbuilding. In: Hjort- hatte die vierköpfige Crew am 20. August 2011 Tag die Grenze seiner Kräfte erreicht. Nach etwa nur eingeschränkt als Berechnungsgrundlage spring. A pre-roman Iron-Age warship in Gegenwind von sechs Beaufort, in Böen auch zwei weiteren Kilometern Fahrt musste der Ein- genutzt werden können. context. Vikingeskibshallen, Roskilde. S. kräftiger. Das Begleitboot des Technischen baum in Schlepp genommen werden, um Stahl- Der nachgebaute Einbaum weist konstruktions- 70-83. Hilfs­werks Greifswald war entscheidend für die brode vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen, bedingte Schwächen auf, die bei einem weiteren Sicherheit der Crew. denn solch ein Einbaum besitzt keine neuzeitli- Nachbau verbessert werden sollten. Beispiels- Die Ausfahrt auf dem Bodden, der bei Wind als chen Positionslichter. weise erhöhen die bei der Fertigung stehen heikles Fahrwasser gilt, war ein großes Wagnis. Erfreulicherweise begann der nächste Tag als gelassenen Schotts zwar die Querstabilität, In jüngerer Zeit hat bekanntlich niemand ver- Entschädigung mit gutem „Einbaumwetter“. Der erschweren aber das Aushöhlen des Baumes sucht, den Bodden mit einem Einbaum zu be- Wind war über Nacht abgeflaut und dem Team erheblich. Dieser Mehraufwand steht in keinem fahren und so fehlte jeder Erfahrungswert. An- zeigte sich morgens ein ruhiger Strelasund. Bei Verhältnis zu dem Nutzen der Unterteilung des fänglich verlief die Fahrt unproblematisch und diesen Bedingungen war das Vorankommen Baumes. Weiterhin muss der Bug flacher ausge- nur gelegentlich schwappten Wellen in den Ein- wesentlich leichter (siehe Tabelle 1). formt und höher gezogen werden, um die Wel- baum. Die kleinen Wassermengen ließen sich len besser schneiden zu können. Dadurch könn- rasch ausschöpfen. Da höhere Wellen für den Die Fahrt am zweiten Tag mit nur drei Perso- te eine bessere Seegängigkeit erreicht werden. Einbaum gefährlich sind, wurde der Einbaum nen erwies sich als vorteilhaft, da der Bug höher Ein weiterer Einbaum der Projektgruppe würde vornehmlich durch seichtes Gewässer gesteu- aus dem Wasser ragte und so die Wellen besser sich noch näher an die steinzeitlichen Funde an- ert. Gelegentlich musste das Team jedoch auch schnitt. Das Fahrwasser vor dem Rügendamm lehnen. Einen originalgetreuen Nachbau von ei-

74 75 zwei Masten üblich. Später hatten die Segel- Der Nachbau eines Heuers heuer auch eine Gaffeltakelung ohne Giekbaum (Abb. 2). Das Ruder war am Achtersteven ein- gehängt. Je nach Verwendungszweck, für die aus Zempin/Usedom Reusenfischerei, als Zugboot für Netze oder als Angelheuer, wurden die Fahrzeuge mit oder im Rostocker Schifffahrtsmuseum ohne Schwert gebaut, wobei das alte Steck- schwert teilweise durch ein Drehschwert abge- löst wurde. Die Motorisierung begann ab 1909, Peter Danker-Carstensen und Alexander Kiencke allgemein dann um 1924 nach der Inflation mit dem Einbau kleiner Dieselmotoren (Abb. 3). Mit der Motorisierung kam es dann in den 1920er Jahren auch zum Aufsatz von kleinen Ruder- Der Bootstyp Heuer große Bootstypen auf Rügen und verbreitete häusern auf dem Achterdeck (Rudolph, 1969). sich bis nach Mecklenburg und in die Wismarer Für die Anschaffung von Motoren gab es in den Heuer waren universelle, einmastig gesegelte Fi- Bucht (Rudolph, 1966). 1930er Jahren nach der Weltwirtschaftskrise schereifahrzeuge, deren ursprüngliche Bauwei- staatliche Beihilfen. se sich vom Stettiner Haff, dem sowie dem Peenestrom bis nach Mecklenburg GröSSe und Bauweise ausgebreitet hatte. Sie wurden in unterschied- Vom Heuer zum Strandboot lichen Bauvarianten in den pommerschen Küs- Der Heuer (auch Henger, Hoyer, Hugger oder Abb. 2: Segelriss eines Heuers vom Oderhaff mit Gaffelsegel ten- und Haffgewässern bis in das 20. Jahr- Huker genannt) ist typologisch ein Bodenplan- (Quelle: Rudolph, 1969). Auch die Strandboote an der Ostseeküste der hundert hinein für die kleine Küstenfischerei kenboot mit Balkensteven (Rudolph, 1966, Insel Usedom sind vom Grundtyp her Heuer, das eingesetzt. 1969), der meist als spitzer Vor- und Achter- heißt sie besitzen ebenfalls eine Bodenplanke Der Fahrzeugtyp Heuer wurde 1738 im Lieper steven ausgebildet ist. Er hat einen schlanken aber überwiegend achtern, waren die Boote sowie spitze Vor- und Achtersteven. Neun bis Winkel/Usedom erstmals erwähnt und diente Bootskörper mit starkem Sprung (Aufbiegung etwa 60 Zentimeter lang geklinkert eingedeckt, zwölf Plankengänge bilden die Bordwände. Die dort als Frachtfahrzeug, Fährboot und für Fi- von Bug- und Heckteil) und bietet insgesamt um Netze, Geräte oder den Proviant geschützt Boote hatten zunächst zwei Meter lange Sei- schereizwecke. 1836 wurde der Heuer erstmalig eine elegante Silhouette (Abb. 1). Wesentliches unterbringen zu können (Rudolph, 1966). tenschwerter für die Kursstabilität. Ab 1890 als Fischereifahrzeug erwähnt (Warncke, 2004). Konstruktionselement des Heuers ist die 25 bis Die Boote wurden von einem, zwei oder drei wurden dann Mittelschwert und Schwertkasten Die ersten Fischer-Heuer kamen aus Pölitz in 50 Zentimeter breite und vier bis acht Zentime- Besatzungsmitgliedern gerudert. Als Besege- teils als Zirkelschwert, dann aber überwiegend der Nähe von Stettin. 1860/1870 siedelten sich ter starke Bodenplanke. Dem Boden laschten lung war zunächst eine Sprietbesegelung an als Steckschwert eingeführt. Gesteuert wurde die Bootsbauer Eichstedt und Bars in Lassan die Bootsbauer Balkensteven an. Die Bord- an und betrieben den Heuerbau. Ab 1870 fisch- wände wurden anschließend mit zwei bis sechs ten die Fischer von Kamminke auf Usedom mit Plankengängen aufgezimmert. Ursprünglich mit Heuern, ab 1900 war der Heuer auch in Usedom einer Länge bis zu sechs Meter, mit nur zwei bis zu Hause (Warncke, 2004). drei Plankengängen gebaut, wurden Heuer mit Der Bau von Heuern verbreitete sich über das Einführung des Motors größer und erreichten gesamte Oderhaff (Zimdars, 1941). In Vorpom- eine Länge von sieben bis acht Metern. Die An- mern lag die Herstellung dieser Boote seit dem zahl der Plankengänge stieg mit der Verknap- 19. Jahrhundert gewöhnlich in den Händen pung der ursprünglich recht breiten Holzplanken zünftig ausgebildeter, hauptberuflicher Boots- auf fünf bis sieben und mehr (Rudolph, 1966). bauer. Nach und nach bauten alle Bootsbauer Ein abgeschotteter Raum bildete den Fischraum, Heuer, und zwar Friedrich Eichstädt ab 1895, in Vorpommern Däken genannt. Häufig vorn, Carl Fünning ab 1904 und Theodor Hoffschild ab 1927 in Wolgast; Christian Jarling und sein Nachfolger ab 1893 in Freest, Friedrich Mol- lenschott ab 1895 in Peenemünde, Albert Bol- low ab 1928 in Zinnowitz und neben Bars und Eichstedt auch die Bootsbauerfamilie Menge ab 1870 in Lassan. Karl Klein ab 1890 in Usedom sowie Paske und Daniel Parl in Garz. Boots- bauer Menge in Lassan baute beispielsweise zwischen 1920 und 1939 Heuer für Fischer in Bossin, Dargen, Welzin, Usedom, Karnin, Balm, Rankwitz, Quilitz, Warthe, Ückeritz, Zempin, Mahlzow, Wolgast, Hohendorf, Negenmark, Bauer und Klotzow-Fähre. Der Heuer verdräng- Abb. 1: Heuer aus Zecherin/Usedom, erbaut in Kratzwiek te noch vor dem Ersten Weltkrieg andere gleich- (Quelle: Rudolph, 1966). Abb. 3: Motorisierter Heuer aus Kamminke/Usedom, erbaut in Anklam (Quelle: Rudolph, 1966).

76 77 Als weitere Besonderheit trugen die Strand- „Werft“ gehörten unter anderem auch Heuer. Im Freigelände des Schiffbau- und Schifffahrtsmuseum im IGA Park entstand 2007/2008 boote Namen: Seestern, Seeadler, Kehrwieder, Es ist allerdings nicht bekannt, wie viele Heuer mit Unterstützung durch geförderte Arbeitsmarktprojekte bei der Qualifizierungsgesellschaft Seeteufel oder Seemöwe heißen auch heute wirklich in Warnemünde gebaut worden sind. BQG „Neptun“ mbH Rostock ein „historischer Schiffshandwerkerplatz“ (Werftplatz). Das noch die Boote am Strand von Ahlbeck; so hie- Die Konstruktion aus Warnemünde war wahr- Projekt Bootswerft umfasst einen Ausstellungs- und Werkplatz für traditionelle Tätigkeiten ßen auch die Pensionen und Hotels, in denen scheinlich auch Grundlage für den Bau des der maritimen Arbeitswelt sowie zur Restaurierung und Reparatur historischer Boote. Be- die Badegäste wohnten (Lassnig, 1991). „Rankwitzer Heuers“. Dieses 6,5 Meter lan- standteile sind eine Schmiede, ein Holzlagerplatz, eine Reeperbahn, eine Meisterbude und Die Usedomer Strandboote arbeiteten im See- ge und 1,6 Meter breite Boot wurde um 1942 eine Toilette. Die Schmiede ist ein massiver ausgemauerter Fachwerkbau, alle übrigen Ge- gebiet zwischen der Greifswalder Oie und der in Lassan beim Bootsbauer Menge für den Fi- bäude sind leichte Holzkonstruktionen. Oderbank. Gefischt wurde mit der Scherzeese scher Hermann Räsch aus Rankwitz gebaut und Auf dem Reparaturplatz können historische Fischerei- und Arbeitsboote bis zu zehn Me- – geschöört oder gescheert, wie es im Pommer- bis 1960 als Aalangelheuer verwendet. Danach ter Länge restauriert werden. Auf der Museumswerft werden die für die mecklenburgische schen Platt hieß. 1898 gab es 77 Strandboote wurde das Fahrzeug als Freizeitboot genutzt. und vorpommersche Küstenregion typischen Segel- und Arbeitsboote wie Rostocker Kahn, an der Peenemündung und an der Usedomer 1994 verbrachte es der Heimatverein Rankwitz Heuer, Polt, Zeesboot restauriert und instand gesetzt. Auch der Nachbau von traditionellen Küste (Lassnig, 1991). in das Heimatmuseum. Dort wurde es von Hel- Booten ist prinzipiell möglich, erfordert jedoch ein Mindestmaß an Kontinuität bei der Bereit- mut Olszak aus Berlin aufgemessen und diente stellung der notwendigen Ressourcen. Nach ähnlichen Konstruktionsprinzipien wa- als Vorlage für den Bau eines Schiffsmodells. Einzelbesuchern aber vor allem auch Schulklassen werden maritime Techniken im Holzboots- ren außerdem die Garnboote gebaut. Für das bau und in den mit dem Bootsbau verwandten Handwerksberufen, wie zum Beispiel der des schwere Netz hatten sie in der Mitte eine Winde Reepschlägers gezeigt, darunter Plankenverbindungen in Klinker- und Kraweelbauweise, zum Aufwinden der Zugleinen. Die Wolgaster Von Zempin nach Rostock Kalfatern, Holzbearbeitung mit historischen Werkzeugen (Hobeln, Bohren etc.; Abb. 4). Stadtfischer fischten mit solchen Garnbooten unter anderem auf der Peene (Lassnig, 1991). Im Herbst 2008 begann das Rostocker Schiff- bau- und Schifffahrtsmuseum alte, außer Dienst gestellte Boote, die für die Bodden- und Haff- Gab es fischerei im Nordosten Deutschlands charak- „Mecklenburger Heuer“? teristisch waren, nach Rostock zu überführen. In diesem Zusammenhang kamen zwei Heuer Heuer sind typische pommersche Fahrzeuge, und ein Netzboot in den Bestand des Museums. die vereinzelt auch an der Mecklenburger Küs- Grundsätzlich sollten diese Boote als regiona- te Verbreitung fanden. Heute besteht Einigkeit les Kulturgut in Form und Funktion erhalten und darüber, dass es keinen speziellen Bootstyp gezeigt werden. 2009 wurde der Entschluss eines „Mecklenburger Heuer“ gegeben hat. gefasst, das Boot mit dem schlechtesten Erhal- Hintergrund dieser Diskussion ist wahrschein- tungszustand als eine 1:1-Replik nachzubauen. lich ein oder mehrere als Heuer bezeichnete Fi- Die Wahl fiel auf einen acht Meter langen Heu- scherboote, die in der Filiale der Flugzeugbau er aus Zempin, da der desolate Zustand des Friedrichshafen GmbH in Warnemünde entstan- Bootes eine Restaurierung als wenig sinnvoll den sind. Vor dem Hintergrund des Verbotes und unvertretbar aufwendig erscheinen ließ. So des Flugzeugbaus gemäß des Versailler Ver- wurde der Zempiner Heuer zur Vorlage für einen trages spezialisierte sich dieses Unternehmen originalgetreuen Nachbau in Rostock gewählt. zu Beginn der 1920er Jahre notgedrungen auf Das bereits seit einiger Zeit nicht mehr genutzte den Bau von Fischereifahrzeugen – in erster und damals schon seit längerem im Schilf des Linie Fischkutter. Zum Produktionsprofil dieser Achterwassers liegende Fahrzeug war 2007 von

Abb. 4: Zum museumspädagogischen Angebot auf der Bootswerft des Rostocker Schifffahrtsmuseums gehört auch eine Reeperbahn, auf der Museumsbesucher unter Anleitung Seile drehen können.

mit dem am Achtersteven außenbords einge- ßen sich die Fischer zunächst in Swinemünde, hängten Ruder. Seit den 1880er Jahren waren Lassan und Anklam bauen. Später bauten dann auch bei Strandbooten zur Unterbringung von alle Bootsbauer am Oderhaff Strandboote. Ta- Netzen, Handwerkszeug und Proviant Vor- und kelage und Blöcke sowie Seitenschwerter und Achterschiff etwa 60 Zentimeter eingedeckt. Die Steuerruder bauten sich die Fischer selbst. Im Fahrzeuge waren ursprünglich sieben bis neun Allgemeinen hatten die Fischerboote nur einen Meter lang. Strandboote hatten zunächst ein Teeranstrich. In den Badeorten waren sie aber Luggersegel oder Sprietsegel. Ab 1880 wurde mit Ölfarbe gemalt und häufig weiß abgesetzt, dann die Gaffelsegeltakelung eingeführt und da sie im Sommer für Segeltouren mit Badegäs- bis zum Ersten Weltkrieg mit Klüver und teil- ten eingesetzt wurden und man den „Fremden“ Abb. 5: Zur Vorbereitung des Nachbaus wurden die Maße Abb. 6: Die Rumpfschale des Heuer-Nachbaus ist fertig ge- weise Toppsegel komplettiert. Strandboote lie- nicht schwarz geteerte Boote anbieten wollte. des Zempiner Heuers mittels Spantmallen abgenommen. stellt.

78 79 Dichtigkeit. Das weitere Aufplanken erfolgte in Schalenbauweise nach dem gleichen Prin- zip. Die Plankenstöße in Längsrichtung wurden möglichst mit „wild gewachsenen“ Laschen, das heißt kurzen Brettern aus drehwüchsigem, schwer spaltbarem Holz vernietet und erhielten je Plankengang einen ausreichenden Versatz von mindestens zwei Spantenzwischenräumen. Das Vernieten der Plankengänge untereinander muss sehr sorgfältig erfolgen und erfordert übli- cherweise eine zweite Person zum äußeren Ge- genhalten des Nietnagels. Während des Inter- nationalen Museumstages im Mai 2009 konnte aus dem Kreis der Besucher ein ehrenamtlicher Helfer für die Bootswerft des Museums gewon- nen werden, so dass die weiteren Arbeiten am Nachbau von nun an auch mit „vier Händen“ durchgeführt werden konnten. Nach Fertigstellung der Rumpfschale konn- ten die Spantmallen wieder entfernt werden Abb. 7: Zempiner Heuer: Original und Replik – diese ist allerdings durch den Dampfkasten, auf dem ein frisch gelohtes Segel (Abb. 6). Der Bootskörper erhielt stattdessen zu hängt, verdeckt. seiner Stabilisierung zwei Querstreben auf der oberen Plankenlage. Nun erfolgte das Einbrin- gen der Bodenwrangen, Spanten und der drei Helmut Olszak aus Berlin aufgemessen worden den die Steven und Stevenknie hergestellt und Schweffe (hölzerne Querschotte). Die Einpas- (siehe Beitrag von Olszak in diesem Band). zusammen mit der Bodenplanke verbolzt. Durch sung in die Rumpfform erfolgte durch Spant- Dieser Heuer, 1903 in Swinemünde, vermutlich die entstehenden Einfallswinkel über die Mallen schablonen aus Hartfaserplatten, die auf die auf der Kneiske Werft gebaut, wurde 1913 vom konnte nun genau die Sponung, eine angeho- Krummhölzer übertragen wurden. Die einzel- Vater des letzten Eigners, Fischer Tiefert aus belte Falz in Bodenplanke und Steven einge- nen Schweffsegmente wurden analog ange- Zempin, für drei Zentner Heringe erworben. Das schlagen werden. Alle Arbeitsschritte erfolgten fertigt und verbaut. Auch die Decksbalken für Boot war als Segelfahrzeug gebaut, hatte aller- fast ausschließlich mit historisch authentischen die vordere und achtere Eindeckung wurden so Abb. 8: Der noch nicht ausgerüstete Heuer im Spätsommer dings bereits einen Motor sowie einen Verstell- Werkzeugen. Beispielsweise wurden die Kur- hergestellt und eingepasst. Danach wurden die 2011 an der Pier des Traditionsschiffes in Rostock. propeller, der bei Segelbetrieb gerade gestellt ven von Steven, Spanten oder Decksbalken mit wurde. Typisch für Heuer aus der Region Swine- Dechseln behauen und mit dem Schiffshobel münde war zu dieser Zeit das geklinkerte Borg geschlichtet. Auch die Bodenplanke wurde mit (hintere Eindeckung) am Heck des Fahrzeuges. der Rauhbank, einem langen schweren Hobel ausgehobelt. Danach wurden die Aufteilung der Plankengän- Nachbau eines Heuers ge und deren Überlappung auf Spantmallen und als Museumsexponat Steven angezeichnet. Dies war Voraussetzung für die spätere Abwicklung der Planken mit der Der Bootsbauer des Rostocker Museums, Ale- Stickschiene. Die einzelnen, sich ergebenden xander Kiencke, fertigte – zunächst im Rah- Konstruktionspunkte wurden mit langen Stra- men des EU-Projektes SeaSide – (siehe Bei- kleisten auf dem Plankenholz verbunden und trag von Danker-Carstensen auf Seite 20 in angezeichnet. Anschließend wurden die Kiel- diesem Band) das knapp acht Meter lange und gangsplanken spiegelbildlich ausgesägt, ge- 1,80 Meter breite Holzboot. Als Berater stand dämpft und mit Zwingen an den Mallen und ihm der Bootsbauer Jens Lochmann aus Alt­ Steven fixiert. Danach wurden sie sorgfältig mit hagen/Darß zur Seite. Für den Nachbau wur- dem Putzhobel in die Sponung eingepasst. Vor den eine Helling und ein Dampfkasten gebaut. der Verschraubung mit den Steven und Vernie- Das Boot wurde sorgfältig aufgemessen, um es tung mit der Bodenplanke wurde die „Lannung“ dann über Spantmallen identisch zu replizieren mit dem Putzhobel angehobelt und der „Set“ mit (Abb. 5). Ein engagierter Holzhändler aus Rib- einem Simshobel ausgearbeitet. Die so genann- nitz beschaffte das nötige luftgetrocknete Plan- te „Lannung“ beschreibt bei der Klinkerbauwei- ken- und Krummholz aus Eiche. Zuerst wurde se den Winkel zum nächsten Plankengang und die etwa 6,5 Meter lange und sechs Zentimeter ist etwa 30 Millimeter breit. Ihre exakte Anhobe- starke Bodenplanke auf der Helling platziert und lung ist unerlässlich für einen korrekten Form- Abb. 9: Am 29. Oktober 2011 wurde der Heuer-Nachbau des Rostocker Schifffahrtsmuseums auf den Namen DWARSKOPP die Spantmallen auf ihr befestigt. Danach wur- schluss der Planken untereinander und deren getauft. Taufpatin war Carola Pieper vom „Verein Holzbootfreunde Fischland e. V.“ aus Althagen/Ostseebad .

80 81 Decksplanken aufgebracht. Eine Besonderheit gen, schlanken Bootes erkennen. Als Auftakt war hierbei die geklinkerte Ausführung der ach- der „Langen Nacht der Museen in Rostock“ am Historische Arbeits- und teren Eindeckung. Die Segmenteindeckung des 29. Oktober 2011 wurde das Boot in Anwesen- Fischkastens wurde in eingehobelte Nuten der heit aller Mitarbeiter und Förderer auf den Na- beiden achteren Schweffe eingepasst. men DWARSKOPP getauft (Abb. 9). Maßgefer- Fischereifahrzeuge in Museen Im Rahmen eines Bootsbauworkshops im Pol- tigte Segel, die durch die Unternehmensgruppe nischen Schifffahrtsmuseum in Danzig im Früh- Kloska Schiffsausrüstungen Rostock/Bremer- an der deutschen Ostseeküste jahr 2011 wurde der fast fertig gestellte Rumpf haven gestiftet wurden, komplettierten den ers- der Replik der Öffentlichkeit präsentiert und ten „Schiffsneubau“ des Rostocker Schifffahrts- weiter vervollständigt. Beispielsweise wurden museums zur Saison 2012 (Abb. 10). Peter Danker-Carstensen durch extern beauftragte Kollegen der Mastfuß und die Mastschere angefertigt und montiert. Auch die feste Segelducht und zwei weitere Literatur lose Duchten wurden gebaut (Abb. 7). Originale Boote und Schiffe, meist mit regionaler Jedoch kann die benachbarte Museums- An die Warnow zurückgekehrt, bauten die Ros- Lassnig, H. (1991): Die Fischerei in alter Zeit im Herkunft, finden sich in den Sammlungen fast al- werft Flensburg auf einen mittlerweile be- tocker Bootsbauer den hölzernen Schwertkas- Gebiet des Kreises Wolgast. In: Panorama ler maritimen und maritim-ethnografischen Mu- achtlichen Bestand von hölzernen Booten und ten bestehend aus Vor-und Achtersteven sowie maritim, 27 (1991), S. 24-32. seen, die einschlägigen Museen in Deutschland Schiffen verweisen. Die Museumswerft wur- ihrer seitlichen Beplankung und verbolzten ihn Rudolph, W. (1966): Handbuch der volkstümli- bilden dabei keine Ausnahme. Der vorliegende de 1996 als Projekt des so genannten zweiten mit der Bodenplanke und dem davorstehenden chen Boote im östlichen Niederdeutsch- Beitrag betrachtet die Museen und Sammlungen Arbeitsmarktes mit dem Zweck der Aus- bzw. Schweff. Das metallene Senkschwert wurde land, Akademie-Verlag, Berlin. an der deutschen Ostseeküste. Nicht berück- Weiterbildung von arbeitslosen Jugendlichen durch den Förderkreis des Museums finanziert Rudolph, W. (1969): Segelboote der Deutschen sichtigt sind dabei die zahlreichen „Museums- gegründet. Nachdem sie zweimal unfreiwillig und komplettierte die Konstruktion. Zum Inter- Ost­seeküste, Akademie-Verlag, Berlin schiffe“ oder auch „Traditionsschiffe“, also jene umziehen musste, wurde sie seit 2001 mit öf- nationalen Museumstag 2011 wurden zu guter 1969. mehr oder weniger alten Wasserfahrzeuge, die fentlichen Mitteln und sehr viel Eigenleistung Letzt das Ruder mit Pinne und der Mast her- Warnke, H. (Hrsg., 2004): Der Lieper Winkel auf in Fahrt gehalten oder als schwimmende Denk- an ihrem jetzigen Standort aufgebaut (Abb. 1). gestellt. Ein beauftragter Seilermeister half im Usedom. In: Usedom – Wolliner Blätter, mäler in Museumshäfen oder den Liegeplätzen Die Museumswerft Flensburg ist eine private Sommer 2011 bei den umfangreichen Takel- Heft 6. von Schifffahrtsmuseen vor Anker liegen. Initiative und finanziert sich als gemeinnützige arbeiten mit authentischen Materialien. Beim Zimdars, U. (1941): Die Fischerei des Stettiner GmbH mit privaten Spenden und vorwiegend Stapellauf war der Rumpf erfreulicherweise so Haffs und seiner Nebengewässer, geogra- gemeinnütziger Tätigkeit. Das Projekt hat sich dicht, dass er kaum Wasser zog (Abb. 8). phisch betrachtet. In: Jahrbuch der Pom- Museen an der Schleswig- im Laufe der Zeit zu einem anerkannten Werft- Die ersten Törns auf Unterwarnow und Breitling merschen geographischen Gesellschaft, Holsteinischen Ostseeküste betrieb für die Reparatur und die Restaurierung mit provisorischer Beseglung ließen bereits die Greifswald 1941, Alfred Waberg, Grimmen, traditioneller Boote und Schiffe entwickelt. Die hervorragenden Segeleigenschaften des lan- S. 15-136. Bei der Betrachtung in Nord-Süd bzw. West- Museumswerft Flensburg baut, restauriert und Ost Richtung der deutschen Ostseeküste be- zeigt typische offene Arbeitsboote der Förden- ginnt diese Übersicht an der Flensburger Förde, und Küstenfischerei des 18. und 19. Jahrhun- die über weite Stecken die Grenze zwischen derts von fünf bis zehn Metern Länge, wie zum Deutschland und Dänemark bildet. Das Flens- Beispiel den Bootstyp der Smakke-Jolle. Aber burger Schifffahrtsmuseum verfügt in seinen auch kleinere Frachtsegler bis zu 20 Meter Län- Sammlungen über keine originalen Boote. ge, die Danske Jagten wurden auf der Werft

Abb. 1: Die Museumswerft Flensburg an der Schiffbrücke in Abb. 2: Auch Nachbauten von historischen Segelfahrzeu- unmittelbarer Nähe des Schifffahrtsmuseums verfügt über gen, wie zum Beispiel eine 14 Meter lange Danske Jagt, wer- Abb. 10: Der DWARSKOPP auf seiner Jungfernfahrt am 29. Oktober 2011. An den Riemen Alexander Kiencke. einen Standort mit hoher Besucherfrequenz. den auf der Flensburger Museumswerft auf Stapel gelegt.

82 83 restauriert und nachgebaut (Abb. 2). Außerdem lertätigkeit“ aufgebauten Volkskundlichen Ge- sind bereits sechs kleine offene Arbeitsboote rätesammlung eine Ausstellung mit dem Titel Der Blockkahn entstanden. Neben der Darstellung der mariti- „Fischerei in Gothmund“. Diese in Halle 6 des Blockkähne repräsentieren in ihrer Form und Konstruktion einen altertümlichen und heute men Arbeitswelt von damals engagiert sich die Museumskomplexes errichtete Ausstellung an der deutschen Ostseeküste längst „ausgestorbenen“ Bootstyp, das Bodenplankenboot Museumswerft in diversen sozialen Projekten. bestand im Wesentlichen aus der Fischerei- mit Blocksteven. Blockkahn bedeutet, dass Vorder- und Achtersteven aus jeweils einem ein- Im Flensburger Fischereimuseum im Alten ausrüstung des Gothmunders Fischermeisters zigen großen Eichenholzblock bestehen und durch zwei Zoll starke Bohlen als Boden- und Fischereihafen am Ballastkai, das vom Flens- Hans Jürgen Hinrich Witt (1873-1962), die dem Seitenplanken miteinander verbunden sind. Entwicklungsgeschichtlich verkörpern die bei- burger Fischereiverein von 1872 ehrenamtlich Museum 1967 geschenkt worden war. Zu die- den Blöcke einen Einbaum, der in zwei Hälften geteilt und durch Bohlen verlängert wurde. betrieben wird, ist neben zahlreichen Fischerei- ser Schenkung von Fischereigerätschaften ge- Die Bordwände bestehen aus zwei geklinkerten Plankengängen mit angenagelten Knaggen gerätschaften auch ein Fischerkahn (FLE 4 FF) hörte auch ein Gothmunder Fischerkahn mit zur Querversteifung. Der Kahn ist durch Spanten und Schotten in drei Abteilungen geteilt. ausgestellt. der Fischereikennung GOT 35, ein so genann- Das vordere Drittel ist der „Vorkahn“, der zum Teil gedeckt und mit einer geteerten Persening ter Blockkahn zur Netz- und Schnurfischerei, versehen ist, um Kleidung und Proviant trocken stauen zu können. Der „Mittelkahn“ dient der um 1926 vom Bootsbauer Franz Burgdorf als wasserdurchfluteter Fischraum, in Holstein „Bünn“ genannt. Das achtere Drittel ist ein- in Mölln, Kreis Herzogtum Lauenburg, gebaut geteilt in „Achterschott“ – das Stück zwischen „Middelkahn“ und Motor – und „Achterkahn“ Die Smakke Jolle wurde. Ganz zeitgemäß erhielt der Kahn da- mit Motor, einem Sitzbrett und dem Ruder, bestehend aus Ruderblatt und Ruderstock. Der Smakke-Jollen waren die „Kleintranspor- mals auch einen Benzinmotor. Die Gothmun- Kahn konnte mit Rudern, Segel oder Motor fortbewegt werden. Das Segel ist ein fast sieben ter“ der Küstenregion. Mit diesen einfa- der Fischer bezeichneten diesen Bootstyp als Quadratmeter großes Sprietsegel mit einer Spreizstange („Spreet“). Der Mast greift durch chen Booten wurde gefischt sowie Wa- „Lüttkahn“ (kleiner Kahn) im Gegensatz zum die Segelducht in einen Spurklotz am Boden des Kahns. Der 4-PS-Benzinmotor diente als ren und Personen zwischen den Inseln größeren „Wadekahn“. Die Gothmunder Fischer Antrieb für den Propeller mit zwei Klappflügeln, die sich beim Rudern und Segeln von allein und der Küste befördert. Da die Fischer besaßen in der Regel zwei Kähne, einen Wade- nach hinten legten und daher den Netzen nicht gefährlich werden konnten (Lühning, 1982). an der Flensburger Förde gleichzeitig kahn und einen etwa halb so großen Lüttkahn, Landwirtschaft betrieben, brachten sie mit denen sie die Wadenfischerei auf der Unter- ihre Produkte mit der Smakke-Jolle nach trave betrieben. In der ursprünglichen Ausstel- Flensburg und verkauften sie dort. lung wurde der Kahn (ohne Motor) mit allen zur recht kurzes Dasein beschieden. Im Zuge des der Volkskultur des Landes“ Schleswig-Holstein, Schnurfischerei erforderlichen Gerätschaften weiteren Ausbaus des Museums mit neuen Dau- der „die regionalen Identitäten in vielen Gemein- Die Danske Jagt ausgestattet, ausgestellt und demonstrierte da- erausstellungen, unter anderem zur Verkehrs- den an Nord- und Ostsee“ bis in die jüngste Ver- Der Schiffstyp der Danske Jagt (skandi- bei den Arbeitsgang des „Aushakens“, bei dem und Mobilitätsgeschichte in Schleswig-Holstein gangenheit hinein geprägt hat (Mehl & Tillmann, navische Schreibweise, in Deutschland die Angeln mit Ködern bestückt werden (Lüh- verschwanden „Fischer, Boote und Netze“ vor 1999), wurde dem Volk entzogen, um vermeint- zur Unterscheidung von der Pommer- ning, 1982). wenigen Jahren wieder in den Depots des Lan- lich populäreren Ausstellungsthemen Platz zu schen Jacht) war im 18. und 19. Jahr- Nach dem Umzug und Neuaufbau der Volks­ desmuseums. Ein „grundlegender Bestandteil machen. hundert der typische Frachtsegler an der kund­lichen Gerätesammlung entstand einen Ki- dänischen und schleswig-holsteinischen lometer vom alten Standort auf der Schlossinsel Ostseeküste. Der Rumpf ist 10 bis 20 Me- entfernt auf dem Hesterberg ein eigener Mu­ ter lang, auf Kiel gebaut mit starker Auf- seums­komplex, das Schleswig-Holsteinische kimmung und recht großem Tiefgang. Bei Volks­kunde­museum. An diesem Standort wur- allen Jachten ragen zwei Balken über das de die Fischerei­ausstellung mit den übrigen Ob- Heck hinaus, an denen quer zum Kiel das jekten und Fahrzeugen der Fischereisammlung, Beiboot aufgehängt ist. Jachten trans- insbesondere denen von der Fischersiedlung portierten alles, was entlang der Küsten Holm in Schleswig komplettiert und seit dem verhandelt wurde: Baustoffe wie Holz Frühjahr 1999 als Dauerausstellung zur Küstenfi- und Ziegelsteine aus zahlreichen Zie- scherei an der Ostsee unter dem Titel „Fischer – geleien an der Flensburger Förde, aber Boote – Netze“ präsentiert. Die Fischereiausstel- auch Lebensmittel und Getreide zu den lung sollte den künftigen Schwerpunkt des neuen städtischen Märkten und Handelsfirmen. Museums bilden (Mehl & Tillmann, 1999). Neben Die Bauart der Schiffe war abhängig vom den schon in der alten Ausstellung präsentierten Verkehrsgebiet. An der Nordsee wurden Fischerei­gerätschaften aus Lübeck-Gothmund flachgehende Segler verwendet, die bei ergänzten nun Sammlungsobjekte und Boote Ebbe trocken fallen konnten, während an vom Schleswiger Holm und von der Kieler Förde der Ostsee auf Kiel gebaute relativ breite mit dem Fischerdorf Ellerbek die neue Präsen- und völlige Schiffe gebaut wurden. tation. Alle drei Orte wurden durch originale his- torische Fischerboote repräsentiert. Außer dem schon beschriebenen Gothmunder Kahn waren dies ein Ellerbeker Fischerboot (KIE 8) von 1920 Völlig anders stellt sich die Situation in Schles- und ein 1945 auf der Werft Matthiessen & Paul- wig dar. Dort gab es am Schleswig-Holsteini- sen in Arnis/Schlei gebauter Schleikahn mit Mo- schen Landesmuseum auf Schloss Gottorf in tor und Segel (Kurs Schleswig-Holstein, 2007). der von Arnold Lühning seit Ende der 1960er Leider war dieser vielbeachteten Dauerausstel- Abb. 3: Ein quergedielter Kahn war im Jahr 2008 das erste Restaurierungsobjekt auf der neu errichteten Bootswerft des Jahre in jahrzehntelanger „Jäger- und Samm- lung im Schleswiger Volkskundemuseum nur ein Rostocker Schiffbau- und Schifffahrtsmuseums.

84 85 1. Heuer aus Zempin/Insel Usedom, ZEM 10; 7,8 m lang, 1,81 m breit; geklinkert, Eichen- holz, Sprietsegel; gebaut 1903 vermutlich auf der Kneiske Werft in Swinemünde, später mit Motor und Verstellpropeller nachgerüstet; letzter Eigner: Fischer Konrad Tiefert, Zem- pin/Usedom (Abb. 4); 2. Heuer aus Lassan, LAS 08; 7,58 m lang, 1,93 m breit; geklinkert, Eichenholz; gebaut 1958 von Rudolf Menge jun.; ursprünglich mit einem 7 PS Dieselmotor aus Cunewalde ausgerüstet; letzter Eigner: Fischer Dirk Eck- holdt, Nebenerwerbsfischer; 3. Netzboot aus Glewitz/Rügen, GLE 04 N; 5,8 m lang, 1,65 m breit; geklinkert, Eichenholz; Abb. 5: Das Zeesboot FISCHER HEBERT wird während der Abb. 6: Die Bootsausstellung des Darß Museums Prerow ist gebaut 1947 auf der Dinse Werft Stralsund; Sommermonate 2010 und 2011 im Garten des Darß Muse- auch außerhalb der Museumsöffnungszeiten für interessier- Abb. 4: Der aus Zempin stammende Heuer ZEM 10 diente 5 PS Benzinmotor; Heimathafen: Glewitz; ums in Prerow restauriert. te Besucher zugänglich. als Vorbild für einen originalgetreuen Nachbau auf der Mu- 4. Quergedielter Kahn (Prahm); 4,5 m lang, seumswerft in Rostock. 0,9 m breit; Kiefernholz; gebaut um 1950 von H. Stark, Klein Labenz bei Warin als Fischer- Etwas komplizierter ist die Lage bei den Mönch­­ kahn; letzter Eigner: H. Stark. guter Museen auf Rügen. Dort gibt es eine Im von einem Museumsverein ehrenamtlich be- bunte Mischung verschiedenartiger Museums­ triebenen Schlei-Museum der Stadt Kappeln, Die Boote sind zum Teil in einem schlechten häu­ser und Standorte. Das Heimatmuseum, der Kreis Schleswig-Flensburg, werden in einem Erhaltungszustand, so dass eine Restaurierung Museums­hof, das Rookhus und das Museums­ Ausstellungsteil zur Schifffahrt und Fischerei auf nicht in allen Fällen als realistisch erscheint. schiff LUISE im Ostseebad Göhren werden der Schlei auch ein Schleikahn sowie zwei Ein- durch den Trägerverein Mönchguter Museen be- bäume gezeigt (Kurs Schleswig-Holstein, 2007). Die Freilichtausstellung des Darß-Museums in trieben. Das Schulmuseum in Middelhagen, das Die übrigen maritimen Museen an der schles- Prerow wird geprägt durch die dort quasi im Pfarr­witwen­haus in Groß Zicker, der Lotsenturm wig-holsteinischen Ostseeküste wie das Stadt- Garten des Museumsgebäudes ausgestellten und die Lotsenwache im Ostseebad Thiessow und Schifffahrtsmuseum Kiel und verschiedene Boote. Die Sammlung, die sich in einem guten und das Küstenfischermuseum im Ostseebad Heimatmuseen mit Ausstellungen zur lokalen Erhaltungszustand befindet, besteht derzeit Baabe gehören den jeweiligen Gemeinde bzw. Schifffahrts- und Fischereigeschichte (Eckern- aus insgesamt sechs historischen Fahrzeugen der Evangelischen Kirche. Alle Sammlungen förde, Heiligenhafen) verfügen über keine origi- (Abb. 5). sind in originalen denkmalgeschützten Ge- nalen hölzernen Boote in ihren Beständen. Das 1. Zeesboot, FISCHER HEBERT; 10,3 m lang, bäuden bzw. in einem Museumsschiff unter- Abb. 7: Die Freilichtausstellung der Mönchguter Museen auf gleiche gilt auch für die Museen in der Hanse- 3,4 m breit; geklinkert, Eichenholz; gebaut gebracht und geben auf anschauliche Art und Rügen zeigt am Göhrener Südstrand neben dem ehemaligen stadt Lübeck und in Lübeck-Travemünde (Jan- 1938; 10 PS Motor, Typ Bolinder; das Boot Weise Einblick in die Lebens- und Arbeitswelt Frachtmotorsegler LUISE auch historische Fischereifahrzeu- sen & Sydow, 2002). wurde in den Sommermonaten der Jahre der Mönchguter Bevölkerung. Die Arbeitswelt ge, Seezeichen und Fischereigerätschaften. 2010 und 2011 durch den Bootsbauer Jens der Fischer und Seeleute wird an zwei Standor- Lochmann aus Althagen, Gemeinde Ahrens- ten dargestellt. Museen an der Ostseeküste hoop restauriert; Am Göhrener Südstrand ist ein maritimes Mecklenburg-Vorpommerns 2. Heuer, 6,75 m lang, 1,44 m breit; geklinkert, Frei­lichtmuseum eingerichtet worden (Abb. 7). Eichenholz; gebaut 1930; Dort liegt seit 1982 der Küstenfrachter LUISE Etwas besser sieht es dagegen in Mecklenburg- 3. Polt, LÜTT MATTEN; 5,1 m lang, 1,5 m breit; als Museumsschiff. Das 1906 erbaute Platt- Vorpommern aus. Unter Beibehaltung der von geklinkert, Eichenholz; gebaut 1960 auf der bodenschiff dokumentiert die Arbeits- und Le- West nach Ost fortschreitenden Berichterstat- Bootswerft der FPG Barth; letzter Eigner: Fi- bensbedingungen der Rügener Küstenschiffer tung wäre hier zunächst das Rostocker Schiff- scher Grälert; und die Bedeutung der Küstenschifffahrt für bau- und Schifffahrtsmuseum zu nennen. Auf 4. Polt, DARSS; 5,2 m lang, 1,5 m breit; geklin- die Versorgung der Inselbevölkerung. Auf dem der im Jahre 2007 errichteten Bootswerft des kert, Kiefernholz; gebaut 1980 auf der Boots- frei zugänglichen Museumsgelände finden sich Museums finden sich mittlerweile fünf originale werft Kraeft in Wiek/Darß; letzter Heimatha- darüber hinaus ein Kutter und mehrere Fischer- hölzerne Boote (Abb. 3). fen: Born/Darß; boote, Reusen, Tonnen und Seezeichen sowie Diese Fahrzeuge kamen mehr oder weniger zu- 5. Blockpolt, 6,75 m lang, 1,5 m breit; Blockste- eine Ausstellung zur Fischerei auf Mönchgut fällig ins Museum, um auf der Bootswerft an ven, geklinkert, Kiefernholz; gebaut 1930; (Abb. 8). Leider sind die zum Teil unbezeichne- Anschauungsmaterial und als Vorlage für den 6. Blockpolt, 5,55 m lang, 1,44 m breit; Block- ten hölzernen Boote wegen unsachgemäßer La- Nachbau traditioneller Holzboote zu dienen (sie- steven, geklinkert, Eichen- und Kiefernholz; gerung und Restaurierung (mehrfaches „Über- Abb. 8: Jahrzehntelange Lagerung im Freien und nicht sach- he Beitrag von Danker-Carstensen und Kiencke letzter Heimathafen: Bodstedt (Abb. 6). Teeren“ ohne vorherige Konservierung oder gerechte Pflege haben den Booten der Freilichtausstellung in diesem Band). Informationen dazu sind in Die Boote können auch außerhalb der Öffnungs- Restaurierung des Holzes) in einem schlechten in Göhren zugesetzt. Die Folgen zeigen sich deutlich bei ei- unterschiedlichen Umfang erhalten. Die kleine zeiten des Museums besichtigt werden, da der bis sehr schlechten Zustand, der eine langfristi- nem offenen Motorboot (1953 in Tiessow gebaut), das mit Sammlung besteht aus folgenden Fahrzeugen: Gartenbereich frei zugänglich ist. ge Erhaltung fraglich erscheinen lässt. einem 11-PS-Junkers-Dieselmotor ausgerüstet war.

86 87 In der Bollwerkstraße/Ecke Dorfstraße im Ost- seebad Baabe gibt es seit dem Jahre 2001 das Übersicht der im Beitrag erwähnten Muse- Küstenfischermuseum. Dort werden Produkti- en und Institutionen, in denen Boote oder onsmittel, Bootsmotoren, Netze und Fahrzeuge Bootssammlungen präsentiert werden: der Mönchguter Fischer in einer Freilichtaus- stellung präsentiert. In der Ausstellung finden Museumswerft Flensburg gGmbH sich unter anderem: Schiffbrücke 43 1. Offenes Motorboot OSSI, 9,2 m lang, gebaut 24939 Flensburg in Baabe; www.museumswerft.de 2. Fischerboote, wie sie auf der Halbinsel Mönchgut zum Einsatz kamen, gebaut in Fischereimuseum Flensburg Baabe; Alter Fischereihafen 3. Motorreusenboot, gebaut in Baabe; Ballastkai 4. Polt 24939 Flensburg Leider ist die Dokumentation zu diesen Fahrzeu- Abb. 9: In der Außenstelle des Deutschen Meeresmuseums, gen, insbesondere der schon seit Jahrzehnten Stiftung Schleswig-Holsteinische Lan- dem NAUTINEUM auf dem Dänholm sind zahlreiche hölzer- in Göhren ausgestellten Boote, überaus dürftig, desmuseen ne Fischereifahrzeuge unter freiem Himmel und in einem so dass weder vor Ort an den Objekten noch im Volkskunde-Museum 2001 fertig gestellten Ausstellungsgebäude zu besichtigen. Museumsarchiv genauere Informationen über Suadicanistraße 46-54 Der Heringsdorfer Kleinkutter SEESCHWALBE (Fischerei- Bootstyp, Herkunft, Alter etc. zu erhalten sind. 24837 Schleswig kennung HER 8) harrt hier seiner Restaurierung. www.schloss-gottorf.de Das Fischerei- und Hafenmuseum Sassnitz liegt im heutigen Sassnitzer Stadthafen und Schlei-Museum Kappeln wurde 1996 im Gebäude des Medizinischen Mittelstraße 7 Dienstes des ehemaligen Fischkombinates er- 24376 Kappeln öffnet. In der Abteilung zur Geschichte der Fi- www.schleimuseum.de scherei, insbesondere der Genossenschaftsfi- scherei, werden Arbeits- und Fischereigeräte, Schiffbau- & Schifffahrtsmuseum Rostock die damals und teilweise noch heute Anwen- Schmarl-Dorf 40 dung finden, gezeigt. Dazu gehören Reusen, IGA Park Stellnetze und Angeln, aber auch Handlot und 18106 Rostock elektronische Geräte, wie Echolot, Radar, Dec- www.schifffahrtsmuseum-rostock.de ca und UKW. In diesem Ausstellungsteil findet sich auch ein etwa 100 Jahre altes, früher be- Darß Museum Prerow segeltes Ruderboot aus Lubitz am Jasmunder Waldstraße 48 Bodden. Dieses 4,5 Meter lange und 1,7 Meter 18375 Prerow Abb. 10: Die 1964 in Anklam erbaute SEESCHWALBE (8,36 m Abb. 11: Im Ausstellungsgebäude des NAUTINEUMs wer- breite Boot wurde 1995 im Schilf entdeckt, ins www.ostseebad-prerow.de lang, 3,20 m breit, 8,6 BRT) war bis 1996 in der Küstenfische- den die restaurierten Fischereifahrzeuge mit ihrer Ausrüs- Sassnitzer Museum gebracht und dort restau- rei in der Pommerschen Bucht im Einsatz und wurde im Deut- tung wie Ruder, Segel und Anker und den dazu gehörigen riert. Deutsches Meeresmuseum schen Meeresmuseum vor dem Abwracken bewahrt. Fischereigerätschaften präsentiert. Katharinenberg 14-20 Das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund 18439 Stralsund verfügt über die größte Sammlung von histo- www.meeresmuseum.de fen (Abb. 11). Im Stammhaus des Museums im Besondere an dieser von einem Verein betrie- rischen Fischereifahrzeugen in Deutschland. Katharinenkloster in der Stralsunder Altstadt benen Werft ist die (fast) öffentliche Zugäng- Die Unterlagen des Museums verzeichnen 45 Greifswalder Museumswerft e.V. befindet sich noch der 17-Meter-Kutter SAS 95 lichkeit, so dass die dort liegenden Schiffe Exponate. Aufgrund der Größe der Sammlung Salinenstraße 20 ADOLF REICHWEIN als Großexponat vor dem und Boote in Augenschein genommen werden können einzelne Boote an dieser Stelle nicht 17489 Greifswald Museumseingang sowie das Strandboot ERI- können und man (nach Voranmeldung) von den vorgestellt werden. Die überwiegend aus der www.museumswerft-greifswald.de KA und ein Einbaum innerhalb der Ausstellung Eignern oder Werftmitarbeitern bereitwillig Aus- vorpommerschen Küstenregion und von der „Geschichte der Fischerei“ (siehe Beitrag von kunft über alle mit dem Bau und dem Erhalt von Insel Rügen stammenden Boote der Küsten-, Fischerei- und Hafenmuseum Sassnitz Mäuslein auf Seite 91 in diesem Band). traditionellen Arbeits- und Fischereifahrzeugen Bodden- und Hafffischerei sind zum allergrößten Im Stadthafen verbundenen Probleme erhält. Teil in der Außenstelle des Museums, dem NAU- 18546 Sassnitz Zum Schluss dieser Übersicht soll noch die Mu- TINEUM auf der Insel „Kleiner Dänholm“ kon- www.hafenmuseum.de seumswerft Greifswald erwähnt werden, die Ich danke Michael Mäuslein (DMM) für die Hin- zentriert (Abb. 9 und 10). An diesem Standort allerdings nicht über eine eigene Sammlung von weise auf etwas „abgelegene“ und wenig be- wurden mit dem architektonisch interessanten Förderverein Mönchguter Museen e.V. traditionellen Fischereifahrzeugen verfügt. Den- kannte Boote und Museen in Vorpommern und Ausstellungshaus und der Freilichtausstellung Strandstraße 4 noch werden auf dieser traditionsreichen Werft, auf Rügen sowie Jana Leistner, Ellen Melzer auf dem Gelände des ehemaligen Tonnenhofes 18586 Ostseebad Göhren die heute als „Selbsthilfewerft“ funktioniert, im- und Antje Hückstädt für entsprechende Aus- des Wasser- und Schifffahrtsamtes Stralsund www.moenchguter-museen-ruegen.de mer wieder auch ehemalige Fischereifahrzeuge künfte während der Recherche zu diesem Bei- sehr gute Präsentationsbedingungen geschaf- restauriert und instandgehalten (Abb. 12). Das trag.

88 89 Zusammenfassung Literatur Die Entwicklung der Sammlung Originale Boote und Schiffe, meist regionaler Janzen, B. & H. Sydow (2002): Museen in Herkunft, finden sich in den Sammlungen und Schleswig-Holstein mit Kunst- und Natur­ Ausstellungen fast aller maritimen Museen. In erlebnisräumen und Technischen Denkmä- von Fischerei- und Arbeitsbooten diesen Beitrag werden Museen und Museums- lern. Wachholtz Verlag Neumünster. werften an der deutschen Ostseeküste und ihre Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Hol- im Deutschen Meeresmuseum jeweiligen Bootssammlungen vorgestellt. Diese stein (2007): Kurs Schleswig-Holstein. Ma- Sammlungen bzw. Ausstellungen von traditio- ritime Kultur entdecken. Kiel. nellen hölzernen Booten sind naturgemäß sehr Lühning, A. (1982): Die volkskundliche Geräte- Michael Mäuslein unterschiedlich und meist auch mehr oder we- sammlung des Schleswig-Holsteinischen niger zufällig entstanden. Die wenigsten Muse- Landesmuseums, Schleswig Schloß Got- en verfügen über ein formuliertes Sammlungs- torf. Schleswiger Druck- und Verlagshaus, bensraum. Jährlich ziehen die Heringsschwär- konzept für originale Wasserfahrzeuge. Das Schleswig. me aus der Ostsee und durch den Strelasund in liegt nicht zuletzt auch an dem mit der sachge- Mehl, H. & D. Tillmann (1999): Vorwort. In: Fi- den Greifswalder Bodden. rechten Präsentation von – wenn auch kleinen scher – Boote – Netze. Geschichte der Fi- Schiffen – verbundenen Flächenbedarf. Viele, scherei in Schleswig-Holstein, hrsg. von So unterschiedlich die fischereilichen Bedin- besonders kleinere Museen sind aufgrund man- Heinrich Mehl und Doris Tillmann. Boyens gungen im Bereich von Mecklenburg-Vorpom- gelnder personeller und fachlicher Ressourcen & Co., Heide. S. 7-12. mern sind, so unterschiedlich sind auch die ge- mit der Dokumentation und der Werterhaltung bräuchlichen Boote. Das sind zum Teil bis heute bzw. Pflege der Objekte überfordert. Aus dieser noch in Nutzung befindliche Bootstypen der Situation resultieren dann auch immer wieder handwerklichen Bodden- und Küstenfischerei Verluste oder Abgänge von Objekten des „ma- an diesem Abschnitt der deutschen Ostseeküs- ritimen Kulturerbes“, auch wenn diese schon in te mit ihren Sund- und Boddengewässern und Museen als gesichert schienen. Haffen (Abb. 1). Die Vielfalt an verschiedenen Typen und Formen wird in der Literatur (Rudol- ph, 1961, 1966) ausführlich beschrieben und bleibt damit als Wissen erhalten. Wie aber steht es um den Erhalt der originalen Boote? Solan- ge die hölzernen Arbeitsboote in Nutzung wa- ren, wurden sie von den Fischern als wichtiges Abb. 1: Fischer aus Thiessow/Rügen mit ihren Mönchgu- Handwerkszeug gepflegt und gewartet. Einmal ter Reusenbooten bei der Fangübergabe an ein Verarbei- ausgesondert, sind sie dem schnellen Verfall tungsschiff während der Heringssaison im Frühjahr 1983 im ausgeliefert. Wenn sie nicht zerteilt und als Feu- Greifswalder Bodden. erholz genutzt wurden, lagen sie im Schilf oder abseits an Land und gerieten in Vergessenheit. Noch heute kann man auf der Suche nach alten Die naturgegebenen Bedingungen in Mecklen- Fischerbooten überwucherte und vermoderte burg-Vorpommern bieten den Fischern beste Reste dieser Fahrzeuge finden (Abb. 2). Mit dem Voraussetzungen zur Ausübung ihres Hand- seit einigen Jahren zu beobachtenden Rück- werkes. Einzigartige Landschaften von den Seen und Fließgewässern im Binnenland, über die einmaligen Sund- und Boddengewässer, bis hin zur Ostseeküste und dem offenen Meer schaffen besonders vielfältige Möglichkeiten zur Fischerei. Beinahe übergangslos gehen die Binnenfischerei, die traditionelle Küstenfische- rei und die kleine Hochseefischerei ineinander über. Dabei sind es gerade die besonderen Be- dingungen der Sund- und Boddengewässer und der angrenzenden Ostseeküste mit den ausge- dehnten Sandgründen, Muschelbänken, See- Abb. 12: Die Museumswerft Greifswald verfügt über keine eigene Bootsammlung, dient jedoch den Eignern der historischen graswiesen, großen Steinen, Rinnen und Un- Fahrzeuge im Greifswalder Museumshafen als Selbsthilfebetrieb für Reparatur und Restaurierung. tiefen mit ihren reichen Fischgründen, die sich die Fischer seit Generationen zu Nutze machen. In den nährstoffreichen Brackgewässern finden sowohl angepasste Süßwasserfische wie Hecht Abb. 2: Das tief eingewachsene Wrack des Segelheuers und Zander als auch Salzwasserfische ihren Le- RAN 06 von Rankwitz (2007).

90 91 Angesichts der gegenwärtigen und absehbaren fischereipolitischen Entwicklung geben immer mehr Fischer der traditionellen Küstenfischerei in den nächsten Jahrzehnten ihr traditionelles Handwerk auf. Daher ist zu erwarten, dass die noch in Nutzung befindlichen Arbeitsboote der handwerklichen Fischerei in der Ostsee und den angrenzenden Sund- und Boddengewässern ausgesondert und abgewrackt werden und da- mit verloren gehen.

Das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund übernimmt seit einigen Jahren zielgerichtet Zeugnisse der Arbeit den Fischer und des Boots- Abb. 3: Ein Reusenboot im Fischereimuseum von Lassan. Abb. 4: Ein Heuer als Dekoration vor einer Fischräucherei in bauerhandwerkes aus den Regionen Mecklen- Trassenheide. burg und Vorpommern in seinen Sammlungs- bestand. Das betrifft sowohl Arbeitsgeräte und Materialien aus der traditionellen Fischerei und gang der traditionellen Fischerei geben immer gangenheit geforscht hat. Henking fragte sich, dem Holzbootsbau, hauptsächlich aber hölzer- mehr Fischer in der Region das Fischereihand- was wohl aus den Zeesener Kähnen geworden ne Fischerei- und Arbeitsboote aus der Region werk auf. Die hölzernen Arbeitsboote werden ist, auf denen er Jahre vorher noch gestanden (Abb. 5). ausgesondert. Manche werden von Freizeitfi- hat: Sie waren verschwunden. Kleinere hölzerne Das Sammeln von Materialien aus der Fische- schern, Anglern oder vereinzelt als Sportboote Arbeitsboote waren damals noch in der Fische- rei hat im Meeresmuseum eine lange Tradition. weitergenutzt, andere erhalten als Spielgerät rei im Einsatz: „Auch im Stralsunder Gebiete, im Der im Mai 1969 gegründete Wissenschaftliche oder Dekoration vor Gaststätten einen neuen Mecklenburgischen, …, gibt es noch eine Fülle Rat des Meereskundlichen Museums beriet auf Zweck. von Material, aber viel Altertümliches ist schon seiner zweiten Sitzung am 26. August 1969 den Abb. 5: Das besegelte Strandboot BREG-13 ERIKA, Baujahr verschwunden“ (Henking, 1929). Diese Entwick- zukünftigen Sammlungsplan des Museums. Als 1924, stand 1973 aufgetakelt im Museumshof. In jedem dieser Fälle können die Boote nicht lung ist bis heute, gut 80 Jahre später, als dra- ein Schwerpunkt wurde der Aufbau einer eigen- auf Dauer erhalten werden. Wertvolle kulturelle matisch zu bezeichnen und lässt sich nunmehr ständigen Sammlung von Fahrzeugen und Ar- Zeugnisse der traditionellen Fischerei und des auf den gesamten Bereich des volkstümlichen beitsmitteln aus der traditionellen Küsten- und einer freitragenden Stabwerkskonstruktion, mit Handwerks der Bootsbauer gehen somit unwie- Bootsbaus ausweiten. Dennoch zeigen neues- der Hochseefischerei besprochen. Festgelegt der die Ausstellungsflächen erheblich erweitert derbringlich verloren. Aufgrund der Größe und te Untersuchungen im Rahmen des SeaSide- wurde, Fahrzeuge bis Kuttergröße im Original wurden. Das besegelte Strandboot BREG-13 des daraus resultierenden Platzbedarfs für eine Projektes, dass sich die hölzernen Arbeitsboote zu sammeln, sich dabei aber auf die Sammlung ERIKA wurde 1973 für 1.000 Mark angekauft substanzerhaltende Lagerung nehmen sich pri- an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns „… in von Typen zu beschränken. Als Gründungsmit- und noch vor der endgültigen Fertigstellung des vate Sammler dieser technischen Zeugnissen überraschend großer Zahl…“ noch finden lassen glied des Rates wurde Dr. Wolfgang Rudolph Stabwerkes und des geplanten Riffturms in die aus der Arbeitswelt der Fischer nicht an. Eine (siehe Beitrag von Danker-Carstensen auf Sei- gebeten, das Meeresmuseum in Bezug auf die Ausstellung integriert (Abb. 6). Mit einem 1941 sachgerechte Lagerung und den Erhalt der ori- te 20 in diesem Band). Genauer betrachtet, ist in Frage kommenden Typen zu beraten. gebauten und 1974 durch das Meeresmuseum ginalen Boote könnten nur Museen leisten. Geht die Typenvielfalt aber sehr gering. Am häufigsten übernommenen quergedielten Bodenplanken- man aber in den Heimat- und kulturhistorischen finden sich noch Kielboote jüngeren Baujahres. Das Meereskundliche Museum befand sich An- boot aus Wolgast (800 Mark) wurde die Reihe Museen entlang der deutschen Ostseeküste auf Bodenplankenboote wie in Rudolphs „Handbuch fang der 1970er Jahre in einer intensiven Pla- der Sammlung fortgesetzt. Das Wolgaster Boot Suche nach umfassenden und wissenschaftlich der volkstümlichen Boote im östlichen Nieder- nungsphase zur Umgestaltung und Erweiterung war Bestandteil der Ausstellungen, stand aber, betreuten Sammlungen, so stellt man schnell deutschland“ (1966) beschrieben, sind in der Un- des Museums. Eine neue Dauerausstellung wie das Zeesboot AHR-1 und der 17-Meter- fest, dass es sie kaum gibt. Vereinzelte Boote tersuchung nur in Einzelstücken gefunden wor- zur „Entwicklung der Küsten- und Hochseefi- Kutter ADOLF REICHWEIN im Freigelände des liegen in Ausstellungen, aber eine Dokumentati- den, Bodenschalenboote fehlen vollständig. Die scherei der DDR“ wurde konzipiert und Expo- Museums. Im Protokoll des Wissenschaftli- on der Typenentwicklung anhand von Originalen Mehrzahl der im Projekt dokumentierten Boote nate für diese Ausstellung gesucht. Trotz des chen Rates des Meereskundlichen Museums, wird nicht geführt (Abb. 3). Die Boote, Zeugnisse liegt ungenutzt an Land und ist in einem solch Vorhabens, eine Typensammlung aufzubauen, vom 20. Mai 1969 warnte Rudolph davor: „… der Arbeit der Fischer und der Bootsbauer, die- schlechten Zustand, dass sie als verloren ange- beschränkte sich die Sammlungstätigkeit des alte Bootskörper im Freien auszustellen…“ und nen in den Museen oft nur noch als Dekoration. sehen werden müssen (Abb. 4). Museums vorerst auf Boote, mit denen die ge- „…daß man die vorhandenen Räumlichkeiten Ohne ausreichende Mittel für den Erhalt und die plante Ausstellung zur Fischerei gestaltet wer- nutzen sollte…“. Mit Ausnahme der BREG-13 Dokumentation der Boote sind diese auf Dauer Aus heutiger Sicht ist es zwingend notwendig, den sollte. Mit dem Kauf des 17-Meter-Kutters ERIKA war das aber nicht möglich, wenngleich jedoch ebenso dem Verfall ausgeliefert wie jene, die Aufnahme der noch existierenden Bestände WOG 115 ADOLF REICHWEIN (40.000 Mark) dem Museum eine große Ausstellungshalle zur die zur Zierde in Vorgärten und vor Pensionen mit an traditionellen bzw. hölzernen Fischerei- und und des Zeesbootes AHR-1 (2.500 Mark) wur- Verfügung stand. Trotz der zahlenmäßig kleinen Erde gefüllt und liebevoll bepflanzt im Laufe we- Arbeitsfahrzeugen weiterzuführen. Ebenso ist den 1970 die ersten Großobjekte für die ge- Sammlung von vier Booten bereitete bereits niger Jahre selbst zu Blumenerde werden. Die Si- es notwendig, soweit überhaupt noch mög- plante Ausstellung angeschafft. Sie legten den die Erhaltung dieses Bestandes dem Meeres- tuation ist nicht neu. Henking (1929) beschreibt, lich, auf der Grundlage eines wissenschaftlich Grundstein für die Sammlung der hölzernen Ar- museum große Probleme: Das Zeesboot, der wie er Anfang des 20. Jahrhunderts in den Hei- geführten Sammlungsbestandes die verschie- beitsboote im Deutschen Meeresmuseum. Von 17-Meter-Kutter und das Bodenplankenboot matmuseen der Ostseeküste fast überall verge- denen Untersuchungen zu dieser Thematik mit 1972 bis 1974 erfolgte eine aufwendige Res- aus Wolgast waren aus der aktiven Fischerei bens nach Denkmälern deutscher Fischereiver- Originalen zu belegen. taurierung der Katharinenhalle mit dem Einbau ausgesonderte Fahrzeuge und befanden sich

92 93 rei konnte das Museum unter den gegebenen ab sofort den Schutz und die Lagerung der ge- Umständen nicht leisten. Dem Museum wur- nannten Objekte zu ermöglichen. … Darum soll den weitere Fahrzeuge, ausnahmslos in einem es den sofortigen Schutz vor weiterem Zerfall aufgebrauchten Zustand angeboten. Weil eine organisieren, eine weitgehend sachgemäße La- sichere, auf einen dauernden Erhalt der Boote gerung gewährleisten, die Restaurierung und ausgelegte Lagerung nicht gewährleistet werden regelmäßige Wartung übernehmen und für die konnte, war es den Verantwortlichen unmöglich ordnungsgemäße Erfassung und eine rasche weitere Boote in den Sammlungsbestand auf- kulturpolitische Nutzung sorgen. … Die Über- zunehmen. So dauerte es neun Jahre, ehe 1983 führung aller fischereibezogenen Sammlungs- zwei weitere Boote in das Museum kamen, ein bestände aus der Jacobikirche erfolgt als So- Heuer und ein Mönchguter Reusenboot. Auch fortmaßnahme in Regie des Meeresmuseums“. diese Boote wurden als Ausstellungsobjekte im Damit stand das Meeresmuseum vor der Aufga- Freigelände neben sieben historischen Ankern, be, nicht nur für die eigenen Bootsbestände zu Dredgen, Scherbrettern und weiteren Expona- sorgen, sondern auch noch acht weitere Boote ten aus der Fischerei und Meeresforschung auf- aus dem Bestand des Kulturhistorischen Muse- gestellt (Abb. 8). ums Stralsund zu übernehmen. Bei den Booten handelte es sich unter anderem um Fahrzeuge Für den Erhalt der im Freien gelagerten Expona- aus der Sammlung von Wolfgang Rudolph, die te und der verhältnismäßig kleinen Bootssamm- von ihm in seinem Handbuch der volkstümli- Abb. 8: Zum Schutz wurden die Arbeitsboote im Freigelände Abb. 6: Das eingebaute Stabwerk in der Katharinenhalle bil- lung musste das Meeresmuseum erhebliche chen Boote im östlichen Niederdeutschland traditionell mit Steinkohlenteer „versiegelt“. dete 1974 zwei zusätzliche Geschossebenen. Die ERIKA war Mittel aufbringen. Allein für den Neuaufbau des (1966) beschrieben wurden. Einige der Boote, das erste Großexponat, das dort aufgestellt wurde. Zeesbootes wurden 1985 120.000 Mark für Ma- wie der Rostocker Kahn (um 1890) waren fast terial und Arbeitsleistung eingeplant. Eine Ge- 100 Jahre alt und die vermutlich letzten origina- neralreparatur und Restaurierung war aufgrund len Sachzeugen für einst verbreitete Typen von des schlechten baulichen Zustandes nicht mög- Arbeitsbooten der Fischer an der vorpommer- lich (siehe Beitrag von Mäuslein auf Seite 111 in schen und mecklenburgischen Küste. diesem Band). Für das Bodenplankenboot aber, Das Meeresmuseum kam seiner Verantwortung das mittlerweile 14 Jahre im Freigelände lagerte, nach und sicherte die übernommene einzigarti- war keine Rettung möglich. Es wurde mit Proto- ge Bootssammlung. Schon damals war den Mit- koll vom 26. Mai 1988 ausgesondert. In der Be- arbeitern klar, dass es sich hier um Fahrzeugty- gründung dazu heißt es: „Das Boot wurde be- pen handelte, deren völliges Verschwinden nur reits in einem denkbar schlechten Zustand 1974 noch eine Frage der Zeit war. Das Einsehen in vom Museum übernommen. Trotz entsprechen- die Notwendigkeit klärte aber nicht das Prob- der Konservierungsmaßnahmen vermorschte lem des Platzbedarfs für eine sachgerechte das Boot bei der Lagerung im Freigelände total Lagerung. Für die inventarisierten Objekte der und zerfiel“. Obwohl das Museum sich intensiv Sammlung an Arbeitsgeräten aus der Fischerei- Abb. 9: Keine Sammlung – nur eine Anhäufung von Materi- um den Erhalt seiner Boote bemühte, war der geschichte, die aus mehreren hundert Einzel- al, so lagerten die Boote 1986 zwischen Baumaterial in der Verlust nicht zu vermeiden. positionen bestand, wurde auf dem Dachboden Jacobikirche. der Katharinenhalle ein Fischereimagazin ein- Das Sammeln von großformatigen Exponaten gerichtet. Auch zwei Einbaumfragmente fanden erfordert sehr viel Platz für eine sachgerechte einen geschützten Platz im Magazin. Die sechs fen. Deshalb mietete das Museum Anfang der Lagerung. Mit dieser Erfahrung stand das Mee- Arbeitsboote und eine Bootshälfte waren je- 1990er Jahre zwei Hallenbereiche des histori- Abb. 7: Das Zeesboot AHR 1 konnte nur im Freigelände des resmuseum nicht alleine. doch zu groß, um sie auf dem Museumsboden schen Kanonenboot-Schuppens auf der Insel Meeresmuseums aufgestellt werden. Das Kulturhistorische Museum Stralsund, als unterzubringen. Sie lagerten vorerst, geschützt Dänholm für die Lagerung von Exponaten, ins- Nachbar des Meeresmuseums im Katharinen- unter Planen, im Freigelände. besondere aber zum Erhalt der Bootssammlung kloster, beherbergte in seinen Lagern einzig- Die Vergrößerung der Bootssammlung im Mee- des Museums an. bei Erwerb durch das Museum in einem deso- artige Fischereigeräte und Boote der traditio- resmuseum erforderte Ende der 1980er Jahre Die Bedingungen in den Räumen auf dem Dän- laten Zustand. Während an dem Kutter ADOLF nellen Fischerei zwischen Warnow und Oder. ein Umdenken im Umgang mit großformati- holm waren nicht optimal: Die Hallen waren tro- REICHWEIN aufwendige und kostenintensive Diese waren völlig unzureichend in den Räumen gen Sammlungsobjekten. Das Meeresmuseum cken und ausreichend belüftet, aber offen für Werterhaltungsmaßnahmen durchgeführt wur- der Stralsunder Jacobikirche gelagert, unge- nahm in den vorangegangenen Jahren eine Schwalben. Mit Folien abgedeckt, waren die den (siehe Beitrag von Möhrmann und Mäuslein nügend vor Diebstahl geschützt und zum Teil äußerst dynamische Entwicklung und zählte in Boote und weitere Großexponate aus der Mee- in diesem Band), konnten die anderen beiden im von eindringendem Regenwasser durchfeuch- seiner Einzigartigkeit zu den meistbesuchten resforschung in der Halle jedoch ausreichend Freien aufgestellten Boote nur notdürftig gesi- tet (Abb. 9). Um den akuten Verfall zu stoppen, Museen der DDR. Zudem befand es sich in ei- geschützt. Die Platzverhältnisse und die räum- chert werden (Abb. 7). veranlasste der Stralsunder Stadtrat für Kultur ner räumlich begrenzten historischen Klosteran- lichen Bedingungen ließen jedoch nach wie vor Ein zielgerichtetes Sammeln und einen kontinu- am 7. Juli 1986 die Übergabe der gesammelten lage. Es gab keine Möglichkeit, an dem ange- kein kontinuierliches Sammeln oder gar eine ierlichen Aufbau eines Sammlungsbestandes im Objekte aus der Fischerei an das Meeresmuse- stammten Platz Boote und andere Großobjekte Ausstellung zu. In den folgenden Jahren wurde Sinne des Nachweises der einzelnen Typen der um: „Das Museum – als Museum für Meereskun- unter geschützten Bedingungen zu lagern oder die Sammlung trotzdem durch vier Reusenboo- Arbeitsboote der traditionellen Küstenfische- de und Fischerei der DDR – erhält den Auftrag, die baulichen Voraussetzungen dafür zu schaf- te unterschiedlicher Baujahre und Größe und

94 95 baumfragmente und eine Bootshälfte, befanden des Meeresmuseums, die Sammlung von Mee- sich im Außenlager bzw. auf dem Magazinboden resforschungsgeräten, immer mehr an Bedeu- des Museums unter gesicherten und geschütz- tung gewann und die oft sehr großen Geräte ten Verhältnissen. Das Strandboot BREG-13 in Magazinen gelagert werden mussten. Damit ERIKA und ein Einbaum standen als Exponat in- fehlten erneut geeignete geschützte Samm- nerhalb der Fischereiausstellung in der Kathari- lungsflächen. nenhalle (Abb. 11). Der 17-Meter-Kutter SAS-95 Ende der 1990er Jahre plante das Wasser- und ADOLF REICHWEIN wurde auch in die Ausstel- Schifffahrtsamt Stralsund sein 22 000 Quadrat- lung zur Entwicklung der Fischerei integriert und meter großes Bauhof-Gelände auf dem Kleinen war auf dem Museumsvorhof Wahrzeichen und Dänholm, den „Alten Tonnenhof“ aufzugeben erster Anlaufpunkt für die Besucher. Das Zees- und den Tonnenhof auf der gegenüberliegenden boot STR-9 befand sich zu diesem Zeitpunkt Seite des Dänholm-Kanals neu aufzubauen. noch zur Erprobung der Fahreigenschaften in Damit wurde ein Bereich mit ehemaligen Werk- Fahrt. Liegeplatz war der Dänholm-Hafen gleich zeuglagern, Fahrzeug- und Betriebshallen, über- neben dem Kanonenboot-Schuppen. dachten Unterständen und Werkstattgebäuden frei, der dem Deutschen Meeresmuseum zur Abgesehen davon, dass die Aufbewahrungs- Nutzung angeboten wurde. Diese Chance, dort bedingungen nicht die Besten waren, war die über einen längeren Zeitraum fachgerechte Be- zur Verfügung stehende Lagerfläche auf dem dingungen zur Lagerung und Präsentation zu Dänholm begrenzt. Mit Beendigung der Erpro- schaffen, wurde von dem zuständigen Mitar- bungszeit lag auch die STR-9 (im Freien) an beiter des Meeresmuseums Rolf Reinicke, der Land. Eine Unterbringung in den Hallen war unter anderem auch für den bisherigen Samm- nicht möglich. Damit stand das Meeresmuseum lungsbestand an Booten verantwortlich war, so- erneut vor dem Problem: Sollte die Sammlung fort erkannt. Das Gelände bot nicht nur die Mög- kontinuierlich weitergeführt werden, wären dazu lichkeit, großformatige Sammlungsgüter aus die notwendigen Bedingungen zu schaffen. Hin- der Fischerei und Meeresforschung in geeigne- zu kam, dass ein noch junger Sammlungszweig ter Weise zu lagern, sondern diese auch in einer Abb. 10: Nicht unter optimalen Bedingungen, aber geordnet Abb. 11: Der zweitausendjährige Einbaum und das fast wurde die Sammlung im Kanonenbootschuppen auf dem neunzigjährige Strandboot BREG-13 ERIKA gehören noch Dänholm erweitert. heute zu den bedeutendsten Exponaten der Fischereiaus- stellung in der Katharinenhalle (2011). einem Strandboot ergänzt. Diese Boote stamm- zur Bestandserhaltung durchgeführt, die Boo- ten aus den Beständen ehemaliger Fischerei- te gereinigt, konserviert und durch Abdecken Produktionsgenossenschaften. Die politischen vor Staub und Schwalbenkot geschützt. Eine Veränderungen Anfang der 1990er Jahre wirk- zwischenzeitliche behördliche Kritik, ob ein Be- ten sich auch auf den Fischereibetrieb im Osten stand an Booten in einem schlechten baulichen Deutschlands aus. Boote wurden ausgesondert Zustand aus Kostengründen überhaupt sinnvoll und zur Verschrottung freigegeben, einige von wäre und die fraglichen Boote nicht besser ent- ihnen vorher aber dem Museum angeboten und sorgt werden sollten, wurde von den verantwort- mit der Übernahme durch das Meeresmuseum lichen Wissenschaftlern des Meeresmuseums, gesichert. Dabei zeigte sich ein weiterer Aspekt der Geschäftsleitung und des Museumsbeirates im Umdenkungsprozess: Boote wurden nicht entschieden zurückgewiesen. In einer Stellung- mehr einzig für Ausstellungszwecke in die Mu- nahme des Deutschen Meeresmuseums heißt es seumsbestände aufgenommen, sondern explizit dazu: „Würden wir hier dem Vorschlag … nach- um sie als traditionelle Fischereifahrzeuge vor kommen und die letzten originalen Sachzeugen der Vernichtung zu bewahren und damit als kul- verschrotten, würden wir sträflich einer unserer turelles Zeugnis zu erhalten (Abb. 10). wichtigsten Aufgaben, nämlich dem Sammeln und Bewahren von wichtigen Zeitzeugen, nicht Die im Außenlager auf dem Dänholm gesam- mehr nachkommen.“ Der Beirat des Museums melten Boote waren ihrem Alter entsprechend bestätigte auf seiner Sitzung am 20. Mai 1996 und durch die jahrelange Nutzung im Fische- die Bedeutung der angelegten Bootssammlung. reibetrieb und als Ausstellungsobjekt im Frei- gelände teilweise beschädigt und insgesamt Der Bootsbestand des Deutschen Meeresmuse- in einem verbrauchten Zustand. Durch Muse- ums, der Mitte der 1990er Jahre mittlerweile 19 Abb. 12: Das NAUTINEUM, reizvoll im Strelasund zwischen dem Festland und der Insel Rügen gelegen, bietet mit seinen umsmitarbeiter wurden 1994 mit Unterstützung Boote umfasste, befand sich in einem geordneten Freiflächen und Ausstellungshallen attraktive Bedingungen zur Lagerung und Präsentation der Sammlungen aus der Fische- einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Arbeiten Zustand. 15 Boote, dazu zählten auch die Ein- rei und Meeresforschung (2011).

96 97 Hochseefischerei aufzubauen, weiter umgesetzt werden, sondern auch die Empfehlung, diese einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Das Gelände und die Gebäude wurden 1998 vom Wasser- und Schifffahrtsamt an das Deut- sche Meeresmuseum übergeben: Innerhalb eines Jahres wurden durch Mitarbeiter des Museums und mit Unterstützung von Arbeits- beschaffungsmaßnahmen das Gelände aufge- räumt und Ausstellungsräume eingerichtet. Eine der ersten Aufgaben war die ehemalige Tonnen- halle – dort wurden 46 Jahre lang Seezeichen instandgesetzt – zu einer Ausstellungshalle für die Boote der traditionellen Fischerei umzuge- stalten. Die Boote der Sammlung des Museums bekamen hier im Rahmen einer Ausstellung zur Küstenfischerei in Mecklenburg-Vorpommern eine neue Lager- und Ausstellungsfläche und waren damit nicht nur Sammlungsstücke, son- dern erstmals auch Exponate (Abb. 13). Mit dem Umzug der Sammlung wurde die Nutzung des Kanonenboot-Schuppens beendet. Am 1. Juni 1999 wurde das NAUTINEUM auf dem Dänholm als neue Außenstelle des Deutschen Meeres- museums für Besucher geöffnet. Mit Hilfe von Landesmitteln und Mitteln der Abb. 13: 1999 wurden im NAUTINEUM wichtige Bootsty- Europäischen Gemeinschaft im Rahmen der Abb. 15: Die Bootshalle im NAUTINEUM wurde im September 2001 mit einer einzigartigen Schausammlung von Fischerei- pen und Arbeitsmittel aus der traditionellen Küstenfischerei Gemeinschaftsinitiative PESCA konnte das und Arbeitsbooten der Küstenfischer in Mecklenburg und Vorpommern für die Besucher geöffnet. in einer Schausammlung für Besucher zugänglich gemacht. NAUTINEUM in den folgenden Jahren als feste Größe in der Museumslandschaft Mecklenburg- Vorpommerns etabliert werden. Durch die För- Als fest stand, dass das Meeresmuseum das den Fischern umgebaut und den Wünschen und dermittel gelang es dem Meeresmuseum aber Gelände des Alten Tonnenhofes langfristig über- Bedürfnissen entsprechend angepasst. Motoren auch, zwei neue Gebäude auf dem Gelände zu nehmen und dort ein neues Ausstellungszen­ wurden eingebaut, damit der Tiefgang verändert errichten. Das waren ein Besucherzentrum und, trum errichten würde, waren die Voraussetzun- und als Ausgleich neue Plankengänge angesetzt. entscheidend für den Sammlungsbestand an gen für eine Erweiterung der Bootssammlung Däken wurden geschlossen und neue Schotte traditionellen Arbeitsbooten, eine neue Boots- geschaffen. Es bestand nun die Möglichkeit, eingesetzt. Oft finden sich mehr oder weniger halle, die am 29. September 2001 fertig gestellt auch größere Fahrzeuge – die Vorgabe war bis fachmännisch ausgeführte Reparaturen. Die Mu- wurde (Abb. 14). Auf 600 Quadratmetern wurde Kuttergröße – zu sammeln. seologen des Meeresmuseums standen nun vor für rund 800.000 DM ein besonderer Ausstel- Ein besonderes Großexponat in der Sammlung der Frage wie mit den Veränderungen an den lungsraum geschaffen. Die Ausstellungshalle wurde der 14-Meter-Fischkutter SPA-2 MAR- Booten, die im Laufe der Zeit und des Gebrauchs beherbergt seit dem die mittlerweile größte zu- GARETE (Abb. 16). 1937 gebaut und mit einer entstanden, umzugehen sei. Vorrangig galt es die sammenhängende Sammlung an traditionellen bewegten Vorgeschichte wurde er als einer der Substanz zu erhalten. Doch dann ergeben sich Fischerei- und Arbeitsbooten an der deutschen ersten Großkutter Vorpommerns im Freigelän- mehrere Möglichkeiten, wie mit den Booten wei- Ostseeküste. 14 Boote fanden in der Halle de des NAUTINEUMs aufgestellt. Der Platz für ter verfahren werden kann. Soll der ursprüngliche Platz. Als größtes Exponat liegt die STR-9, das weitere Boote war vorerst reichlich vorhanden. Zustand, wie zu Zeiten des Neubaus, wieder her- Abb. 14: Nachdem das Fundament der neuen Bootshalle Zeesboot des Meeresmuseums, voll aufgetakelt Die Sammlung vergrößerte sich schnell. Die gestellt werden? Und wenn ja, sollen die Verän- fertig war, wurde das Zeesboot STR 9 in die Ausstellungs- und unter Segeln mit kompletter Ausrüstung wie Strandboote FRE-71 STÖR und HER-8 SEE- derungen sichtbar bleiben oder dem Gesamtbild fläche gestellt und erst dann die ungewöhnliche Dachkons- zum Auslaufen bereit (Abb. 15). SCHWALBE fanden noch im Sommer 1999 ihre des Bootes angepasst werden? Die zuständigen truktion errichtet (2001). Plätze in der Ausstellung. Mehrere Polte, Heuer, Wissenschaftler des Meeresmuseums entschie- Neben der Bootshalle bestand auch die Mög- Reusenboote folgten. Neu war, dass ein Groß- den sich im Fall der Boote für einen Erhalt in dem lichkeit in dem etwa 40 Meter langen ehemali- teil der Boote keine externen Angebote waren, Zustand, wie sie in das Museum gelangten. Nur großzügigen Ausstellung zu zeigen (Abb. 12). gen Kettenschuppen Boote unter einer schüt- sondern, dass nach besonderen Ergänzungen so kann man später noch erkennen, warum die Damit konnte nicht nur der Beschluss des wis- zenden Überdachung zu lagern. Die bis dahin gesucht und somit die Sammlung gezielt erwei- Veränderungen an den Booten vorgenommen senschaftlichen Rates des Meeresmuseums geschlossene Schuppenreihe wurde auf der ge- tert werden konnte. wurden und was die Nutzer aus früherer Zeit sich von 1969, eine eigenständigen Sammlung von samten Front geöffnet und größtenteils zur La- Die Spuren der teils jahrzehntelangen Nutzung dabei gedacht hatten. Gerade die geschichtliche originalen Fahrzeugen bis Kuttergröße und Ar- gerung von Booten, aber auch als Picknickplatz in der Fischerei waren den alten Booten deutlich Entwicklung macht jedes Boot zu einem einzigar- beitsmitteln aus der traditionellen Küsten- und für die Besucher hergerichtet. anzusehen. Im Laufe der Jahre wurden sie von tigen Dokument. An den Kuttern SAS-95 ADOLF

98 99 REICHWEIN und SPA-2 MARGARETE waren großflächige Reparaturen als Erhaltungsmaß- nahmen erforderlich. Dies geschah jedoch immer unter der Prämisse, den Zustand zum Zeitpunkt des Erwerbs zu bewahren. Sollte der Erhalt eines Bootes jedoch nicht mehr möglich sein oder es repräsentiert einen bedeu- tenden und seltenen Bootstyp, ist der Bau einer Replik möglich. Das Meeresmuseum hat auch das bereits praktiziert (Abb. 18). Die AHR-1, ein Zeesboot aus der Zeit um 1870, war für eine Re- paratur und eine originalgetreue Instandsetzung zu marode und entstand so als Replik in dem Abb. 16: Mit dem 14-Meter-Kutter SPA-2 MARGARETE Zeesboot STR-9 neu (siehe Beitrag von Mäus- wurde 2002 die Sammlung um einen weiteren Großkutter lein auf Seite 111 in diesem Band). erweitert. Die wechselvolle und spannende Geschichte des Die Bootssammlung des Deutschen Meeres- Kutters konnte von der jüngeren Vergangenheit bis zur Kiel- museums umfasst derzeit rund 50 Boote und legung 1937 recherchiert und dokumentiert werden. Kutter der traditionellen Küstenfischerei in

Im Juli 2001 gelangte ein ganz besonderes Exponat in die Sammlung des Museums. Nach Re- cherchen fand der Autor auf einem Industriegelände in der Rostocker Südstadt einen Rostocker Kahn. Das Bodenschalenboot lag unter einem Kieshaufen, mit Brennnesseln überwachsen begra- ben. Der ansässige Unternehmer hatte nichts dagegen und war froh, als ihm angeboten wurde, das Boot von seinem Gelände zu „entsorgen“, was er auch selber schon längst vorhatte. Mühsam und ohne dass geeignetes Werkzeug vorhanden war, musste das Boot freigegraben werden. Eile war geboten, weil ein anderer Transport Richtung Stral­sund kurz vor der Abfahrt stand und noch genau den Platz frei hatte, der für einen Rostocker Kahn nötig war. Erst später zeigte sich die be- sondere Bedeutung dieses Fundes. Nach heutigem Kenntnistand ist es einer der letzten drei noch existierenden originalen Rostocker Kähne. Davon liegen zwei in der Sammlung des Deutschen Meeresmuseums (Abb. 17; siehe Beitrag von Fircks in diesem Band).

Abb. 18: Komplett ausgerüstet zeigt das Zeesboot STR 9 in der Bootshalle ein detailgetreues Abbild der Zeit um 1870.

Mecklenburg-Vorpommern. Das Museum besitzt Anfang der 1990er Jahre damit begonnen, aus- damit die umfassendste Bootssammlung an der gewählte traditionelle Fischereifahrzeuge vor deutschen Ostseeküste. der Vernichtung zu bewahren und damit als kul- Anfang der 2010er Jahre begann eine neue turelle Zeugnisse zu erhalten. Phase in der Sammlungstätigkeit des Deut- Heute versucht das Meeresmuseum möglichst schen Meeresmuseums auf dem Gebiet der viele der noch existierenden Fischerei- und Ar- traditionellen Arbeitsboote. Mit dem verstärkten beitsboote an der Ostseeküste Mecklenburg- Rückgang der traditionellen Fischerei ist zu er- Vorpommerns dokumentarisch zu erfassen, zu warten, dass auch der Bestand der heute noch beschreiben, zu vermessen und wenn möglich existierenden Arbeitsboote drastisch abnimmt. auch zu erhalten. Das Deutsche Meeresmuse- Die Wissenschaftler des Museums gehen davon um greift damit eine innerhalb des SeaSide- aus, dass mit dem Sterben des traditionellen Projektes veranlasste Datensicherung der noch Fischereihandwerks, in weniger als 50 Jahren vorhandenen traditionellen Fischerei- und Ar- kaum noch eines der hölzernen Boote in der beitsboote auf. Die Grundlage für diese re- Nutzung durch einen Fischereibetrieb zu finden gionale Datenerfassung legte das Rostocker sein wird. Auf diese Einschätzung gründet sich Schifffahrtsmuseum im Rahmen des SeaSide- das neue Arbeitskonzept des Museums. Wäh- Projektes (siehe Beitrag von Danker-Carstensen Abb. 17: Bugansicht des Rostocker Kahns um 1890, in der Ausstellung des NAUTINEUMs. Einmalig in seiner Art ist das rend bis Ende der 1980er Jahre die Sammlungs­­­­­ auf Seite 20 in diesem Band). geschnitzte Relief eines Hechtes. Es verweist auf das Einsatzgebiet des Bootes vom Süßwasser der Warnow bis in die tätigkeit darauf ausgelegt war, Exponate zu be- Das Meeresmuseum ist bestrebt, diese Arbeit in Brackwasserbereiche der Unterwarnow. Ein weiteres interessantes Detail ist der gewachsene Steven: ein knorriger Ast schaffen, um den Besuchern des Museums die veränderter Form weiterzuführen. Seit zwei Jah- mit natürlichem Krummwuchs. harte Arbeit der Fischer und deren Geschichte ren übernimmt das Museum verstärkt hölzerne in einer Ausstellung näher zu bringen, wurde Fischerei- und Arbeitsboote in die Sammlung

100 101 auf dem Gelände der Außenstelle NAUTINEUM. zu errichten, in dem in begehbaren Regalen Ziel ist es, alle erreichbaren hölzerne Fischerei- Lager­mög­lichkeiten für etwa 60 Arbeitsboote, Der Rostocker Kahn – und Arbeitsboote in Mecklen­burg-Vorpommern für Masten, Segel, Motoren und Netze aus der in der Datenbank des Meeresmuseums zu erfas- Fischerei­geschichte vorhanden sind. Eingebun- sen und in der Sammlungstätigkeit die wichtigs- den in das Aus­stellungs­konzept sollen an glei- ein Fahrzeug mit langer Tradition ten Typen und Entwicklungsstufen im Original cher Stelle eine historische Schmiede, ein Teer- zu erhalten. Grundlage für die Datenerfassung ofen, eine Seilerei, eine Bootsbauerwerkstatt­ Jochen von Fircks ist die museumseigene Datenbank MeDuSa für Holz­boote, ein Bootssteg und Unterrichts­ (Meeresmuseum Daten und Sammlungen), in räume in Form eines Fischerschuppens entste- der seit einigen Jahren die Sammlungsbestände hen. Mit der geplanten Umsetzung des Kon- der einzelnen Fachrichtungen des Meeresmuse- zeptes besteht die Möglichkeit, zukünftig nicht ums digital archiviert werden. nur die letzten noch existierenden Arbeits­boote In der Datenbank werden die Vermessungs­ zu erfassen und zu erhalten, sondern auch das Die Flussfischerei im alten Rostock weist zwei regieren waren. Das Soester Stadtrecht, das auf daten, Fotodateien, Zeichnungen und Risse Handwerk des Holzbootbauers und das Leben Besonderheiten auf: Es galten für zwei räum- den in Oberitalien entwickelten Rechtsvorstel- sowie Beobachtungen zum Zustand der Boote der Küstenfischer zu dokumentieren und als Be- lich getrennte Bereiche des Stadtgebietes die lungen fußte, war Grundlage für das Lübecker gespeichert. Zusätzlich wird jeweils die Historie sonderheit der regionalen Küstenlandschaft zu gleichen Vorschriften, festgeschrieben in der so Recht, das auch Vorbild für das in Rostock gel- der Boote und ihre Besonderheiten beschrie- bewahren. genannten Fischerrolle. Außerdem nutzten alle tende Stadtrecht wurde (Karge et al., 1993). ben. Fischer auf der Unterwarnow und dem Breitling Die Ursprünge Rostocks entstanden um 1200, Die Vermessung der Boote erfolgt in zwei Stu- einen Bootstyp, der alte Wurzeln hat. Der hier als sich eine kleine Siedlung von Handelshöfen fen. Alle Boote werden zuerst klassisch vermes- Literatur zu beschreibende Rostocker Kahn mit seinen auf den steilen Anhöhen der heutigen Altstadt sen und gezeichnet. Ausgewählte Boote wer- auf alte Vorbilder zurück gehenden Konstrukti- bildete. Im Jahr 1218 wurde sie mit Lübischem den zusätzlich mit Laserscannern dokumentiert Henking, H. (1929): Handbuch der Seefischerei onselementen lässt es sinnvoll erscheinen, zu- Recht bewidmet. 1232 war die Mittelstadt mit und die erzeugten 3D-Scans in der Datenbank Nordeuropas, Band V, Heft 3. Die Ostsee- nächst auf die frühe Geschichte Rostocks ein- Marienkirche, Rathaus und Markt fertig. Sie gespeichert. Dendrochronologische Untersu- fischerei. E. Schweizerbarzt`sche Verlags- zugehen. wählte sich einen eigenen Rat. 20 Jahre später chungen bestimmen die Bauzeit der Boote und buchhandlung (Erwin Nägele) G.m.b.H., wurde die Neustadt mit Jakobipfarre, Rathaus die Herkunft des verarbeiteten Holzes. Beson- Stuttgart. und eigenem Markt als eigenständige Stadt be- ders bedeutende Sammlungsstücke werden im Rudolph, W. (1961): Die Boote der Gewässer Rostock im Mittelalter urkundet. Der Mecklenburger Fürst verlieh den Maßstab 1:15 nachgebaut und gesondert in der um Rügen. In: R. Peesch, Die Fischerkom- drei Städten gemeinsam das lübische Stadt- Datenbank erfasst. Einige der Boote, die nach münen auf Rügen und Hiddensee, Akade- Die im Mittelalter im westlichen Mecklenburg dem neuen Sammlungskonzept in das Meeres- mie-Verlag, Berlin. S. 266-272. lebenden Slawenstämme, geeint durch äußeren museum kommen, sind in einem desolaten Zu- Rudolph, W. (1966): Handbuch der volkstümli- Druck, unterlagen den Heeren unter Führung stand und oft nur Fragmente. Nach der Daten- chen Boote im östlichen Niederdeutsch- von Heinrich dem Löwen und Waldemar, König erfassung und Aufnahme in die Datenbank wird land; Akademie-Verlag, Berlin. von Dänemark. Der slawische Führer Niklot fiel entschieden, ob das Boot zu erhalten oder zu 1160 bei Werle an der Warnow nahe Schwaan. verschrotten ist. Das Heer der Dänen besiegte die unter Führung der Obodriten kämpfenden Slawen, äscherte Längst ist die Platzfrage für die Sammlungs- das Heiligtum Kessin und das wendische Ros- arbeit erneut zu einem Problem geworden. tock ein. Pribislaw, der Sohn von Niklot, wur- Mit dem Sammlungskonzept, alle erreichbaren de 1164 getauft und gleichzeitig Lehnsmann Zeugnisse des traditionellen Fischereibootbaus von Heinrich, dem Fürsten aus Braunschweig. zu sammeln und umfassend zu dokumentie- Dies hatte zur Folge, dass die Führungsstruk- ren, ist die Kapazitätsgrenze im NAUTINEUM tur der Slawen im Wesentlichen erhalten blieb erreicht. Trotz der Entscheidung, zukünftig nur und gleichzeitig Mecklenburg Einwanderungs- Bootstypen und deren Entwicklungsstufen so- land für Menschen wurde, die hauptsächlich wie Besonderheiten zu erhalten, steht akut die aus dem heutigen Westfalen kamen. Weil dort Frage der konservatorisch korrekten Lagerung die Pest noch nicht wütete, kamen aus dem be- der Fahrzeuge. Hinzu kommt, dass mit dem Nie- völkerungsreichen Landstrichen diejenigen, die dergang der Fischerei auch mit einem ständigen als Zweit- und noch später Geborene nicht er- Zuwachs an weiteren Zubehör und Materialien ben konnten und ihr Leben tatkräftig auf neue aus dem Alltag der Fischer zu rechnen ist. Grundlagen stellen wollten. Durch die einstige Nachbarschaft zum römischen Imperium kannte Um den Sammlungsbestand in Zukunft weiter in man dort sowohl den Pflug mit der Pflugschar, geeigneter Form zu bewahren und um die Ausstel- der gegenüber dem Hakenpflug der Slawen und lungen des NAUTINEUMs zu attraktiveren, wer- Wikinger die Ernteerträge auf das Dreifache den durch das Meeresmuseum die Möglichkeit steigen und ‚schwere’ Böden zu Ackerland wer- einer Erweiterung des Geländes der Außenstelle den lies (Gründung der Hagendörfer), als auch Abb. 1: Der Fischerbruch in Rostock mit Kähnen, Buden, geprüft und erste Planungen entwickelt. Ziel ist es, das Mauern mit Mörtel. Außerdem wusste man, Gärten und nahen Wohnhäusern nach 1945 (Repro: Foto auf einer Erweiterungsfläche ein Schaumagazin wie Städte unabhängig von der Feudalgewalt zu Koch, Rostock).

102 103 werden seit 1419 von der Universität genutzt; Bereich der Bruchfischer (Bröker) mit Wohn- das der Mittelstadt ist noch heute ein Teil des häusern, Bootsstegen am benachbarten Fließ, Rathauses der Stadt. In der Altstadt entstand mit Buden für Gerätschaften und Behältern im eine weitere Großkirche, deren Bau bald nach Wasser für gefangene, nicht sofort verkaufte Fi- der Mitte des 13. Jahrhunderts begann. In ihrer sche (Abb. 1). In der Fischerstraße, im westli- Nähe lag das Wendentor und daran anschlie- chen Bereich der Neustadt lebten innerhalb der ßend die plateo slavorum (Wendenstraße). Un- Stadtmauer die Straßenfischer (Sträter) mit ih- terhalb der Stadtmauer lagen die nahen Brüche ren Familien. Platz für ihre Fahrzeuge und das der Fischer und der Gerber. Die Hallenkirche Geschirr hatten sie vor dem Fischertor in einer Abb. 4: Rostocker Fischer ziehen ihre beladenen Schlitten war dem christlichen Patron der Seefahrer, dem nahen Bucht der Warnow (Abb. 2). über das Eis der Warnow zum vorbereiteten Fangplatz, um Heiligen Nikolaus gewidmet. In Seefahrt und Fi- Die Plätze der Fischer müssen bereits vor dem gemeinsam zu fischen (Aufnahme um 1930). scherei waren die Slawen den neuen Siedlern Zusammenschluss der Teilstädte bestanden ha- aus dem Binnenland überlegen. Waren die Sla- ben. Bei der Fischerei von mehreren Fischern, Abb. 2: Ein Rostocker Straßenfischer am Bootsplatz, wo an wen in Rostock, rund um St. Nikolai, aber ohne die untereinander Absprachen tätigten, war es vielen Stangen die Netze zum Trocknen hängen (Aufnahme Rathaus und eigenem Markt damals dominant? unwichtig, wo der einzelne Fischer wohnte – um 1936). ausschlaggebend für die Gemeinschaft war der Platz für die Fahrzeuge, Fanggeräte und Fisch- Die Stadtfischer in Rostock, hälterung. Die Fischer aus dem Bruch werden recht und übertrug unter anderem die Fischerei ihr Areal nicht aufgegeben haben, weil Wohnen auf der Warnow an die neugegründete Stadt. ihre Ämter und und Ausgangspunkt für ihre Arbeit dicht und Nach einem erneuten Großbrand 1263 verei- die Fischer-Rolle damit günstig beieinander lagen. Und für die nigten sich am Peter-Pauls-Tag 1264 die drei Nutzung des Bruches durch die Sträter war dort Städte zur Stadt Rostock. Jeder Stadtteil besaß Die Fischerei auf Warnow und Breitling wurde kein Platz: So blieb es bei den zwei Standorten. eine große Kirche, einen Markt und ein Rathaus von zwei Stellen aus betrieben. Nordöstlich der 1270 wurde in einer Aufzählung der 20 Gewerbe – die Rathäuser der Altstadt und der Neustadt Stadtmauer neben dem Mühlendamm lag der in Rostock auch das der Fischer genannt. In den vor 1400 überlieferten Aufstellungen der Ämter (so die lokale Bezeichnung der Innungen), in de- Abb. 5: Der Rostocker Bruchfischer Bohn bringt mit seiner nen nur Platz für freie Handwerker war, fehlen rechten Hand das Netz aus und rudert mit der Linken (Auf- die Fischer. War dies ein Ausdruck dafür, dass nahme um 1980). vorrangig Slawen als Fischer tätig waren? Erst von 1496 bis 1584 geben Rechnungsbücher Mitteilung über das Amt der Bruchfischer. In der Fischer aus dem Brocke in der alten Stadt dem Amt der Bröker und dem der Sträter or- und den Straßenfischern in der Neu-Stadt woh- ganisierten sich die Fischer eigenständig. Sie nend sich um etliche Jahre her wegen der Fi- wählten jeweils ihren Ältermann, hatten ihre scherey auf dem Warnow-Strohm unterschied- festen Plätze in St. Nikolai oder St. Jakobi und liche Streitigkeiten ereignet“. In Punkt 2 wird richteten sich nach der für beide Fischämter darauf hingewiesen, dass die Fischerkinder, gültigen Vorschrift: der Fischerrolle. 1669 wa- also die „Knaben oder Mägden (…) zur Schule ren bei den Brökern 31 und bei den Strätern 21 gehalten und im Lesen und Schreiben“ zu un- (dort mit der Option auf zusätzliche zehn neue terrichten sind, damit sie später nicht nur in der Mitglieder) Fischer tätig. Obgleich die Rolle die- Fischerei sondern auch in anderen Gewerben se Mitgliederzahlen fixierte, zählten 1776 zu den oder in der Seefahrt arbeiten können (Fischer Brökern 40 Fischer; die Zahl der Sträter war bei Rulle, 1667). 21 geblieben. Der für die Fischerei mit dem Rostocker Kahn Die älteste erhaltene Fisher Rulle beginnt mit wichtige Punkt steht in der älteren Rolle unter den Worten „Dit iß unse olde gerechtigkeit dat Punkt 15, der die durchgestrichene Zahl 13 er- dar nemandt sall (…)“, ist in Niederdeutsch setzt: „Ok sall (…) nemand enen Knecht holden“ geschrieben, hat 27 Paragraphen und zahlrei- (Fischer Rulle, vor 1639). In der Rolle von 1669 che Einfügungen, die mit Jahreszahlen verse- heißt es „Vors zwanzigste soll niemand von den hen sind. Der älteste Eintrag datiert von „Anno Fischern erlaubt sein, einen Knecht zu halten“ 1551“ (Fischer Rulle, vor 1639; Abb. 3). (Fischer Rulle, 1667). Im Jahr 1669 wurde eine neue Fischereiord- Diese Begrenzung bewirkte frühzeitig, dass es nung, die „Rolle“, erlassen. Diesmal war sie in für die Fischer unnötig war, über größere Fahr- Hochdeutsch abgefasst. Die nun auf 42 Punk- zeuge nachzudenken, weil sie ein Fahrzeug te angewachsenen Vorschriften für die Fischer brauchten, mit dem sie allein oder in Gemein- werden eingeleitet mit: „Wir Bürgermeister und schaft mit anderen Fischern, jeder in seinem Rath der Stadt thun kund hiemit vor uns, unse- Kahn, alle Arbeiten der Fischerei erledigen Abb. 3: Erste Seite der niederdeutsch verfassten Rostocker Fischerrolle aus dem 16. Jahrhundert (Repro: Jochen von Fircks). re Nachkommen, demnach zwischen dem Amte konnten. Ausnahme war das gemeinschaftliche

104 105 Eisfischen, bei dem aber der Kahn keine Rol- anderen den Stoßriemen zu bewegen. Somit le spielte (Abb. 4). Der Rostocker Kahn war so konnte ein Mann allein fischen (Abb. 5 und 6). eingerichtet, dass es dem Fischer möglich war, Weit nach 1869, als auch in Mecklenburg der mit einer Hand am Netz zu arbeiten und mit der Zunftzwang aufgehoben wurde und damit die Vorschriften der Fischerrolle ihre Gültigkeit verloren, blieben die Rostocker Fischer immer noch bei ihrem Kahn. Der Autor hat um 1960, beim fast täglichen Ru- dertraining auf der Warnow keinen Rostocker Kahn mehr in Fahrt zum Fischen gesehen. Käh- ne anderer Bauart, nun mit zwei Fischern be- setzt, aus Planken zusammengefügt und von einem kleinen Dieselmotor angetrieben, fuhren in der Dämmerung zu ihren Fangplätzen. Spä- ter gab es im Fischerbruch noch einzelne Ros- tocker Kähne, die benutzt und instandgehalten wurden, um von der Wohnung über das Fließ auf die andere Seite überzusetzen, um zum Fi- scherboot und zur Bude mit den Gerätschaften zu kommen. Abb. 6: Rudern mit dem Stoßriemen im Rostocker Kahn (Aufnahme um 1980). Der Rostocker Kahn

Kennzeichen für den Bootstyp des Rostocker Kahns ist die massive Bodenschale, die an ei- Abb. 8: Risszeichnung des Rostocker Kahns (Zeichnung: Jochen von Fircks). nen Einbaum erinnert, dessen Bordwände ab- gearbeitet sind. Ein massiver, etwa fünf Meter langer Eichenstamm wird so ausgewählt, dass (~ 3,8 cm) dicken Eichenbohlen. Ältere Kähne, er nach dem Abarbeiten des Splints in der Mitte noch ohne nassen Fischraum gebaut, waren mindestens 0,6 Meter breit ist. Daraus wird die mittschiffs nicht so hoch und hatten drei und Sohle des Kahns gearbeitet. Sie ist 20 Zentime- manchmal zwei, dann besonders breite Planken. ter dick und in der Mitte bis zu zwölf Zentimeter Die klinker gesetzten Planken wurden früher mit ausgearbeitet. Die massive Sohle ist besonders Nägeln, die man über einen Dorn zurückschlug, haltbar und manchmal, so erzählte ein Boots- und später mit Nieten und Klinkscheiben mit­ein­ bauer, konnten bis zu zwei morsch gewordene ander verbunden. Anstelle von Spanten setzte Beplankungen wieder auf der gleichen Sohle er- man etwa zwei Zoll dicke Schotte, die von den setzt werden. Die Sohle hat von oben gesehen Brökern „Wrange“ und den Strätern „Sweff“ ge- eine fast bootsförmige Kontur. Die Einschrän- nannt wurden. Alte Kähne haben zwei Schotte, kung „fast“ erfolgt deshalb, weil die Sohle in die den Kahn von vorne gesehen in den Kropp, Abb. 9: Rostocker Kahn mit Sprietsegel, Ruder und Schwert ihrer Längsachse nicht wie bei einem üblichen in das Middelloch oder auch Kist genannt und (Zeichnung: Jochen von Fircks). Boot symmetrisch ist (Rudolph, 1966; Henriot, den Achterkropp teilen. Middelloch ist der tro- 1971; von Fircks, 1982; Abb. 7). Der Antrieb mit ckene Fischraum und Achterkropp der Ruder- dem Stoßriemen an einer Bordseite bringt einen stand (Rudolph, 1966). Auf dem Schott achtern symmetrisch gebauten Kahn auf eine Kreisbahn befindet sich ein Netzbrett mit Süll. Dort ist ein – wenn nicht gegengesteuert wird. Um dem ent- Langloch in jeden Bordgang gearbeitet, damit gegen zu wirken, wird die Sohle des Rostocker das Leckwasser vom eingeholten Netz abflie- Kahns backbord bis zu fünf Zentimeter schma- ßen kann. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts ler ausgeführt. Solch ein Fahrzeug läuft, wenn kommt der nasse Fischraum auf, der bei den es beispielsweise vom Ufer abgestoßen wird, Fischern „Quatsch“ heißt (Rudolph, 1966). Dazu ebenfalls auf einer kreisförmigen Bahn, solange wird ein drittes Schott gesetzt. Der Fischraum ist der Stoß reicht. Beide Effekte gleichen sich in für Hecht und Weißfisch längs geteilt und hat im etwa aus. Boden einen Längsschlitz für ein kleines Schwert Der in Abbildung 8 dargestellte Kahn wurde um aus Stahlblech. Gegen den Dollbaum ist innen 1980 aufgemessen: Er ist über sechs Meter lang, eine Bordplanke gesetzt, die vom Vorsteven bis Abb. 7: Straßenfischer ziehen einen Rostocker Kahn auf die in der Mitte 1,42 Meter breit und dort 0,73 Me- zum Netzbrett reicht. Der Dollenklotz backbords Abb. 10: Rostocker Jugendliche 1996 bei der ersten Aus- Uferkante. Der asymmetrische Bau des Bootes ist deutlich ter hoch. Er besitzt massive Vor- und Achterste- hatte für den Stoßriemen früher hölzerne Dollen- fahrt mit von ihnen gebauten Kähnen auf der Oberwarnow zu erkennen (Aufnahme um 1935). ven, vier Plankengänge aus gesägten, ein Zoll pflöcke, die später eine geschmiedete Dolle ab- bei Kessin.

106 107 Mecklenburg und Vorpommern (Rudolph, 1966). Rumpf in Längsrichtung asymmetrisch und zwar Heute noch vorhandene Exemplare des Bootstyps Rostocker Kahn Ihre Kähne fertigte meist der örtliche Stellma- ist die Gondel backbords etwas breiter und dort cher. Ein platter Boden, aus Brettern zusam- mit einer etwas größeren Seitenhöhe versehen. Trotz der in den 1930er Jahren noch zahlreich vorhandenen Kähne im Rostocker Revier exis- mengefügt, von Bodenwrangen zusammenge- Zur Sohle des Rostocker Kahns, die an einen tieren heute Rostocker Kähne nur noch als wenige Exemplare in Museen und als „moderne“ halten und kahnförmig zugeschnitten, wurde auf Einbaum erinnert, gibt es zahlreiche Parallelen Nachbauten. Eine aktuelle Übersicht ergibt drei originale Boote und drei Repliken. Zwei zwei Böcke gelegt und in der Mitte mit Steinen (Suder, 1930; Ligers, 1942). Vielerorts wurden originale Rostocker Kähne befinden sich in der Sammlung des Deutschen Meeresmuseums beschwert, um dem Boden einen Sprung zu und werden noch Boote und Kähne gefertigt, in Stralsund und sind in der geben. Vorn und achtern bildeten bearbeitete deren Boden aus einem bootsartig bearbeiteten Bootssammlung des NAU- Klötze die Steven. Seitlich wurden die Planken- Baumstamm besteht. Vielfältige Informationen TINEUMs, einer Außenstelle gänge klinker aufgesetzt. Hölzerne Knie, spä- sind auch im Internet unter „Einbaum-Planke“ des Deutschen Meeresmuse- ter aus Stahl geschmiedet, gaben den Planken oder „Piroge“ zu finden. Einbäume oder ihnen ums, ausgestellt. Ein drittes seitlichen Halt. Oft ruderten damals vorne und ähnliche Konstruktionselemente sind auf kleine- Boot befindet sich im Deut- achtern jeweils ein Fischer mit einem Stoßrie- re Abmessungen beschränkt. Größere Fahrzeu- schen Schifffahrtsmuseum in men. ge verlangen andere Elemente wie den Balken- Bremerhaven und wird in der In Venedig und auch Oberitalien sind Stoßriemen kiel, eine Sohle oder einen flachen Boden. Bootsausstellung als Boot- vielfältig in Gebrauch. Vom Einer mit zwei Stoßrie- styp eines „Bodenschalen- men, die ein Mann bewegt, bis hin zum repräsen- bootes“ präsentiert. tativen 18-Ruderer – alle werden mit Stoßriemen Der Nachbau von Die bereits erwähnten 1995 bewegt. Besondere Beachtung finden die venezi- Rostocker Kähnen fertig gestellten drei Nach- anischen Gondeln (Dudzius et al., 1983). Auf ihrem bauten des Rostocker Kahns Achterdeck, das hoch aus dem Wasser ragt, steht Nach 1990, als Aufgaben für Jugendliche ge- wurden zunächst für päda- der Gondoliere mit seinem Stoßriemen und der sucht wurden, die außer einem schulischen Ab- gogische Zwecke verwendet, Dolle steuerbords. Und auch hier baut man den schluss auch noch eine sinnvolle Tätigkeit erge- erwiesen sich aber bald da- für als ungeeignet und wur- den eingelagert. Nach einer Abb. 11: Der Nachbau eines Rostocker Kahns wird aus dem Magazin auf gründlichen Restaurierung Beschriftung des Rostocker Kahns im Deutschen Schifffahrtsmuse- das Gelände der Bootswerft des Rostocker Schifffahrtsmuseum gebracht. wurden die Boote dem Rosto- um Bremerhaven cker Schifffahrtsmuseum zur Verfügung gestellt. Zwei der Bodenschalenboot Kähne wurden als Leihgaben an andere Institutionen gegeben. So findet sich ein Rostocker Länge: 6,00 m Kahn in der Freilichtausstellung des Forst- und Köhlerhofes Wiethagen in der Rostocker Breite: 1,42 m Heide bei Rostock, wo er als Anschauungsobjekt für die Gewinnung und die Verwendung Höhe: 0,73 m von Holzteer als Konservierungsmittel im Schiffbau dient. Das Rostocker Schifffahrtsmuse- Baumaterial: Eiche um präsentiert „seinen“ Rostocker Kahn im Zusammenhang mit der vor einigen Jahren ein- Das Bodenschalenboot gerichteten Bootswerft am Traditionsschiff (Abb. 11). ist ein Fahrzeugtyp, dessen ungewöhnlich starker Bootsboden aus einer Baumstammhälfte löst. Der über drei Meter lange Stoßriemen, von Gefischt wurde mit verschiedenen Arten von schalenförmig ausge- den Fischern „Schottrooder“ genannt, hat ein ge- Netzen, auch eine Zugwade war in Gebrauch. höhlt wird. Diese Boden- bogenes Blatt. Die Jollenleute aus Warnemünde Letztere wurde mit einer Winde zum Kahn hin schale, eine Art kleiner nannten einen solchen Stoßriemen „Türkensäbel“ gezogen, nachdem der Fischer sein Fahrzeug Einbaum, wird durch ein und den Kahn demzufolge einfach nur „Türk“. Mit an einem in den Grund gestoßenen Pfahl fest- bis vier Planken zu ei- dem Stoßriemen kann der Fischer mit nur einer gemacht hatte. Man kannte auch das gemein- nem Boot aufgeplankt. Hand rudern und mit der anderen am Netz ar- schaftliche, aufeinander abgestimmte Fischen. Bodenschalenboote wur-­ beiten. Er blickt in Fahrtrichtung und kann, da er Hafenausbau und städtische Abwässer ließen den an der Oder und in steht, mit seinem Körpergewicht auf den Riemen die Fangerträge schrumpfen. Heute werden auf Rostock als Fischer­ drücken. Im flachen Wasser nutzt er das lange der Unterwarnow nur noch von Freizeitanglern kahn benutzt. Er wird in Stakruder. Lose geführt steuert man mit ihm. vorrangig Heringe geangelt. seinem Verbreitungsge- Abb. 12: Rostocker Kahn (mehrfach verändert) in der Bootsausstellung des Deut- Dafür hat es an einem Ende ein Blatt. Ende des biet auch als „Rostocker schen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven. 19. Jahrhunderts kommt zusammen mit Mast Kahn“ bezeichnet. und Sprietsegel auch das Ruder auf, das man Der Vergleich Gebaut wurden diese ur- in Ösen am Achtersteven einhängt (Abb. 9). Eine mit anderen Fahrzeugen tümlich anmutenden Boote zuletzt in der Mitte des 20. Jahrhunderts von so genannten diagonal gesetzte Sprietstange und der über vier Kahnbauern. Diese Kahnbauer waren Schiffszimmerleute, die nach ihrer Fahrenszeit an Land Meter lange Mast halten das Sprietsegel. Die Se- Den geraden Stoßriemen benutzten, bevor die eine Zimmerertätigkeit ausübten. Lehrlinge bildeten sie nicht aus. Als Helfer beim Bau der gelschot ist mit einer Leine verknotet, die an Piek Motorisierung auch die Fischereifahrzeuge er- Kähne wurden die Auftraggeber, die Fischer, mit herangezogen (Rudolph, 1966; Abb. 12). und Horn des Segels festgemacht ist. fasste, die Fischer auf kleineren Binnenseen in

108 109 ben sollten, baute man in den Jahren 1995 bis Literatur 1996 bei der RD Arbeitsförderungsgesellschaft Handwerk und Tradition GmbH in Rostock drei Rostocker Kähne, die Dudzius, A., Henriot, E. & F. Krumrey (1983): Das mit Stoßriemen und Segel ausgerüstet wurden große Buch der Schiffstypen. VEB Verlag (Abb. 10). Später wurde jedoch vergeblich ver- für Verkehrswesen Berlin. 290 S. der Zeesenfischerei sucht, diese Boote in die maritime Jugendar- Fircks, J. v. (1982): Ewer, Zeesenboot und an- beit einzubinden. Es zeigte sich, dass sie sich dere ältere Fischereifahrzeuge. Hinstorff Michael Mäuslein schwer rudern ließen und außerdem nach heu- Verlag Rostock. 100 S. tigen Maßstäben schlecht segelten. Die müh- Fischer Rulle (Fischerrolle aus Rostock vor same Arbeit der Fischer von einst wurde nach- 1639): Rollenbuch des Gewetts, S. 58, drücklich erlebbar, ließ sich jedoch nicht in die Stadtarchiv Rostock. vorrangig erlebnispädagogisch orientierte Ju- Fischer Rulle (Fischer Rolle aus Rostock 1667): gendarbeit einbringen. Rollenbuch des Gewetts, S. 454-459, Stadtarchiv Rostock. Ein altes Handwerk Henriot, E. (1971): Kurzgefasste illustrierte Ge- verliert an Bedeutung schichte des Schiffbaus. Hinstorff Verlag Rostock. 136 S. Bis in die 1980er Jahre hinein konnte man sie noch Karge, W., Schmied, H. & E. Münch (1993): Die auf den Sund- und Boddengewässern in Aktion Geschichte . Hinstorff Verlag erleben – Zeesenfischer mit ihren traditionellen Ar- Rostock. 216 S. beitsbooten auf der Drift. Es waren aber nur noch Ligers, Z. (1942): Die Volkskultur der Letten. wenige einer einst stolzen Flotte, die dieser tradi- Ethnographische Forschungen I. (Ein- tionellen Methode der Schleppnetzfischerei unter baumkähne, S. 151-162). Selbstverlag, Segeln nachgingen. Die Gründe hierfür sind viel- Riga. 380 S., 498 Abb. seitig. Dazu gehören die Abhängigkeit von günsti- Rudolph, W. (1966): Handbuch der volkstümli- gen Wetterbedingungen für die mit Windkraft an- chen Boote im östlichen Niederdeutsch- getriebenen Arbeitsboote – nachteilig gegenüber land. Akademie-Verlag Berlin. 186 S. den motorbetriebenen Fischereifahrzeugen – und Suder, H. (1930): Vom Einbaum und Floß zum die Entwicklung neuer Fischereimethoden, die Schiff. Veröffentlichung des Instituts für dazu führten, dass die quer zum Wind treibenden Meereskunde an der Universität Berlin. Zeesboote mit ihren braunen Segeln und ihren ty- Abb. 1: Zeesboot FZ 33/WUS 7 SANNERT bei der Drift Neue Folge, Reihe B, Heft 7. 121 S. pischen Driftbäumen aus dem Erscheinungsbild (2004). unserer Gewässer verschwanden. Die Bestände an Aal und Zander in den Fangrevieren gingen im- Abb. 13: Auch der Rostocker Maler Egon Tschirch (1889- mer weiter zurück und damit auch die Fangerträge Das Handwerkszeug 1948) beschäftigte sich in seinen Arbeiten mit den Ros- der Zeesenfischer. An die alten Heringsgarnplätze bleibt erhalten tocker Fischern (Warnowfischer, 1923, Öl auf Holz, 98,5 x wurden immer häufiger große Kammerreusen mit 99,5 cm, Kunsthalle Rostock). ihren mehreren hundert Meter langen Leitwehren Während viele der brachliegenden Zeesboote in die traditionellen Driftstrecken der Zeesenfi- verloren gingen, wurden einzelne andere weiter scher gesetzt. Die Schleppnetzfischerei unter genutzt. Ausgerüstet mit Motor und Ruderhaus Zusammenfassung Segeln wurde damit immer uneffektiver und un- und ohne Mast und Driftbäume kamen sie in attraktiver. So kam es dazu, dass junge Fischer der Küstenfischerei als Kleinkutter weiter zum Der Rostocker Kahn hat in seinem Aufbau seit ihr Glück und Verdienst in der besser bezahlten Einsatz. Auf diese Weise überlebte ein Teil der dem frühen Mittelalter nur geringe Änderungen Kutter- und Hochseefischerei suchten. Folglich Boote, aber ohne die typische Ausrüstung und erfahren. Grund dafür war die strenge Zunftord- fehlte es an Besatzung für die großen Boote oder Besegelung waren sie für ungeübte Augen nicht nung der Stadt Rostock, die eine Fischerei auf die Besatzung wurde nur noch von den älteren Fi- mehr als Zeesboote zu erkennen (Abb. 2). den Gewässern der Stadt mit Fahrzeugen un- schern gestellt. Letztlich führte diese Entwicklung Es waren wohl die besonderen Segeleigen- tersagte, die mit mehr als einem Mann besetzt dazu, dass die Schleppnetzfischerei unter Segeln schaften und das urige Aussehen, welche die- waren (Abb. 13). in den 1960er Jahren als Broterwerb vollends an sen Bootstyp mit seiner wuchtigen, aber trotz- Bedeutung verlor (Abb. 1). dem eleganten Bootsform und seinen dunklen Anfang der 1990er Jahre, mit dem Verbot der Fi- Segeln bisher vor der Vergessenheit und damit scherei mit Schleppnetzen innerhalb der 3-See- vor dem „Aussterben“ bewahrte. Trotz des mas- meilen-Zone, war auch denjenigen Fischern die sigen Aussehens sind Zeesboote unerwartet Grund­lage zur traditionellen Zeesenfischerei schnell und kraftvoll. Nachdem bereits schon ent­zogen, die noch einen Zeesschein und eine während der Nutzung der Zeesboote als Arbeits- Zees­genehmigung besaßen. Die Fischerei mit boote Wettfahrten bei „Fischer-Regatten“ statt- Zees­booten wurde eingestellt und das Ende fanden (Winkler, 2007), erkannten immer mehr einer jahr­hundertealten Tradition der Region Sportbootsegler den hohen Freizeitwert der schien besiegelt. nun nicht mehr zur Fischerei genutzten Boote.

110 111 Engagement der Zeesboote angenommen. Und Nachwelt zu erhalten und einer breiten Öffent- diesen Enthusiasten ist es zu verdanken, dass lichkeit in Ausstellungen zugänglich zu machen. viele der einstigen Arbeitsboote bis heute wei- Mit dem im NAUTINEUM gezeigten Zeesboot testgehend im Originalzustand erhalten blieben. und mit den dazugehörigen umfangreichen Er- Auch wenn die meisten dieser Boote noch man- läuterungen zeigt das Deutsche Meeresmuse- ches von ihrer Herkunft verraten, wurden sie um interessierten Besuchern die einzigartige dennoch ihrer aktuellen Verwendung als Frei- Bedeutung und Entwicklung der Zeesenfische- zeit- und Familienboot angepasst. Hauptsäch- rei im Raum Mecklenburg-Vorpommern und lich bauten sich die Segler moderne Kajüten in leistet damit einen Beitrag zur Bewahrung der Abb. 2: SAP 001 (Modell 1:15) – ein ehemaliges Zeesboot den Rumpf des Bootes ein – natürlich auch mo- maritimen Kultur der Zeesenfischer. zum Kleinkutter umgebaut (Modellbauer: Helmut Koy). derne Motoren. Und alles wurde so schick ge- macht, geschliffen, gemalert und lackiert, dass heute kaum noch etwas an die harte Arbeit erin- Von der AHR-1 zur STR-9 Bereits Ende der 1960er Jahre wurden an der nert, die einst auf diesen schweren Arbeitsboo- mecklenburg-vorpommerschen Küste die ers- ten geleistet wurde. Das Charakteristische aber, Anfang der 1970er Jahre übernahm das Meeres- ten Boote der Zeesenfischer als Sportboote die großen braunen Segel und die Bootsform, museum das Zeesboot AHR-1 des Fischers Ri- registriert, und ihre Zahl stieg beständig – bis blieben erhalten. chard Dade aus Althagen auf dem Fischland. Bis heute. Damit entstand in Deutschland aus 1969 nutzte Fischer Dade die AHR-1 für die Drift den ehemaligen Arbeitsbooten die einzigar- im Saaler Bodden, ehe es von ihm ausgesondert Abb. 4: AHR-1 im Meereskundlichen Museum (1972). tige Klassenvereinigung der Zeesboote. An Ein Zeesboot wurde. Im Inventarbuch des Meeresmuseums die Tradition der Fischer-Regatten knüpfen um die Jahrhundertwende Stralsund wurde es am 14. Juni 1972 unter der die heutigen Eigner mit ihren Traditionsseg- Inventarnummer VI-A 146 eingetragen; der Zeit- lern bei jährlich stattfindenden Wettfahrten an. Wie ein Zeesboot in der üblichen Bauweise und punkt des Erwerbs wurde im Eingangsbuch mit Der Höhepunkt ist zweifellos die Zeesbootregatta Ausstattung von 1870 ausgesehen hat, kann 1970 angegeben. Der Ankaufpreis betrug 2.500 ausgehend vom Bodstedter Hafen. Mehr als 50 man in der Außenstelle NAUTINEUM des Deut- Mark. Das Boot – Baujahr um 1870 – befand Zeesboote gehen hier jährlich auf Wettfahrt in den schen Meeresmuseums auf dem Dänholm erfah- sich 100 Jahre nach Kiellegung in einem auf- . Die traditionellen Boote kann ren. Dort wurde eigens eine große Bootshalle für gebrauchten Zustand (Abb. 4); der Erhaltungs- man aber auch bei Regatten in Zingst, Wustrow, die Ausstellung eines dieser alten, historischen zustand wurde als schlecht bezeichnet (Koy, Dierhagen, Barth und Althagen mit ihren aufgezo- Fischerboote gebaut. Die Aufgabe des Deut- 1990). Es gab aber im Vorfeld aber noch weitere genen braunen Segeln bewundern (Abb. 3). schen Meeresmuseums ist es, u. a. charakteristi- Angebote an das Meeresmuseum zum Kauf ei- Aus Liebe zu den alten Arbeitsbooten haben sche Sachzeugnisse aus der Fischereigeschichte nes Zeesbootes: Im Gespräch waren Boote aus sich die neuen Besitzer mit hohem persönlichem Mecklenburg-Vorpommerns zu sammeln, für die Stralsund und Poel. Hier lagen aber die Preise für den Erwerb mit 8.000 Mark bis 10.000 Mark weit über dem verfügbaren Budget. Außerdem Abb. 5: Rundgatt-Zeesboot um 1900 vor Stralsund. fehlten bei dem Poeler Boot die Driftbäume und der Besanmast, was die Preisforderung nicht zu rechtfertigen schien. Wolfgang Rudolph, damals als nicht möglich und eine Generalreparatur und an der Deutschen Akademie der Wissenschaf- Restaurierung als nicht sinnvoll. Im Frühjahr ten zu Berlin im Wissenschaftsbereich Kulturge- 1985 fiel im Meeresmuseum die Entscheidung schichte/Volkskunde tätig, riet in einem Brief an zum Neuaufbau des Bootes, jedoch nicht im das Meeresmuseum: „Ich würde raten: nehmen aktuellen Bauzustand, sondern in dem Zustand, Sie das Bessere und Ältere, allerdings nach ge- wie es dem Original dieses Zeesbootes um waltigem Handel bergab, in Richtung 5000 bis 1870 entsprach. Alle noch brauchbaren Teile, 6000 Mark. Darüber hinaus gehören die Forde- besonders aber die noch vorhandenen Beschlä- rungen in den Bereich des Unverschämten.“ ge sollten soweit möglich wieder Verwendung Das Meeresmuseums war bestrebt, das Zees- finden. Für den Neubau wurden 120.000 Mark boot AHR-1 zu erhalten und wieder in Fahrt zu für Material und Arbeitsleistungen eingeplant. bringen. Es sollte bei der notwendigen Überho- Im Juli 1985 erfolgte dann die Überführung des lung so instandgesetzt werden, dass es mög- alten Bootes zur Stralsunder Dinse-Werft. Am lichst detailgetreu das Bild eines Zeesbootes um 30. August 1985 wurde mit dem Werftbesitzer die Jahrhundertwende widerspiegelt (Abb. 5). Thomzik ein Vertrag zum Neuaufbau des Zees- Im Dezember 1984 erhielt der Bootsbaumeister bootes abgeschlossen. Darin war geregelt, dass Thomzik aus Stralsund den Auftrag zur Repa- beim Neubau des Bootskörpers der ursprüngli- ratur und originalgetreuen Instandsetzung des che Zustand, soweit sich dieser noch ermitteln Bootes. Nach Begutachtung und genaueren ließ, originalgetreu wiederherzustellen sei. Untersuchungen durch Fachleute und Boots- Die Kiellegung (Baubeginn) des Neubauvorha- bauer aus der Region erwies sich dies jedoch bens erfolgte im Januar 1986. Dieser war eine Abb. 3: Zeesbootregatta in Althagen (2009). aufgrund des schlechten baulichen Zustandes umfangreiche Dokumentation des Aufbaus der

112 113 Abb. 6: Umbauten, die an der AHR-1 im Laufe eines Jahrhunderts bis 1969 erfolgten, werden in den Zeichnungen von Hel- mut Koy zur Bestandsaufnahme sichtbar. Abb. 7: Risszeichnung von Helmut Koy nach dem das Zeesboot STR-9 nach altem Vorbild gebaut wurde.

114 115 AHR-1 und der Umbauten, in Form von Plänen, ursprüngliche Erscheinungsbild aus der Zeit Rissen, Schnitten und Detailfotos, vorrausge- vor der Jahrhundertwende zeigte, wurde hier- gangen (Abb. 6 und 7). So wurden, wie allge- mit ein wichtiges technisches Abbild jener Zeit mein üblich, auch in der AHR-1 im Laufe des geschaffen. Mit dem Neuaufbau entstand ein Fischereibetriebes technische Neuerungen ein- Arbeitsboot, wie es die Zeesenfischer vor über gebaut und bauliche Maßnahmen zur Verbesse- 100 Jahren zur Fischerei genutzt haben. Folge- rung der Arbeitsbedingungen an Bord getroffen. richtig bekam das Museumszeesboot auch sei- Gut zu erkennen waren die Veränderung der ne eigene Fischereinummer, und zwar die nied- Position des Däkens und die Vergrößerung der rigste Nummer die frei war: STR-9. Kajüte. In den 1930er Jahren bekam die AHR-1 Am 24. Juni 1987 – dem 36. Geburtstag des einen Motor und ein Mittelschwert (Koy, 1990). Meeresmuseums – fanden die festliche Tau- Trotz mehrfacher Umbauten der AHR-1 im Lau- fe und der Stapellauf auf der Dinse-Werft bei fe der Nutzung war die ursprüngliche Konstruk- Schaschlik, Bier vom Fass und Shantyklängen tion des Bootskörpers noch gut erkennbar und statt. Abb. 8: Vörunner und Schwertgang auf der STR-9. diente somit als Vorbild und Maßgabe für die Eigens für diesen feierlichen Augenblick hatte geplanten Arbeiten. Wesentlich für den Nach- die Museumspräparatorin Irene Muswiek einen bau eines Zeesbootes, wie es um 1870 üblich Taufvers verfasst. Abb. 11: STR-9 im Hafen von Wustrow neben FZ 52 LUISE. war, waren auch die Erinnerungen und Berichte der alten Fischer, die selber noch aktiv in traditi- Taufvers für das Zeesboot „Stralsund 9“ oneller Weise mit den Zeesbooten ohne Seiten- lck freuch mi, dat an diese Stell‘ wieder hinein zu bekommen. Dazu bedurfte es schwert und ohne Motor auf der Drift unterwegs wur all vör hunnerten von Johren der Erfahrung eines alten Fischers, zumindest waren. So konnten beispielsweise Einzelheiten so manches Schipp von Stapel leep aber des Segelns kundige, erfahrene Seeleute, der ursprünglichen Abdeckung des Däkens ok uns is nich geburen. die man in Stralsund vorerst nicht fand. Nach durch die alten Fischer sehr genau beschrieben Wi stahn hier nämlich, weit´n ji dat? einiger Zeit des Suchens fand sich jedoch eine werden. Details, die nicht mehr am Boot direkt up ganz besondern Bordn derartige Crew an der Ingenieurhochschule für oder durch Erzählungen in Erfahrung zu bringen „Lastadien“ würden diss´ Plätze nennt, Seefahrt Warnemünde/Wustrow. So kam es, waren, mussten anhand von Recherchen in der wo dunnemals de Schipp bucht wordn. dass die STR-9 im Sommer 1988 aus Stralsund Literatur ermittelt werden. So waren den am auslief und im kleinen Boddenhafen Wustrow Neubau beteiligten Fachleuten Zeichnungen des Du schönes olles nieges Zeesboot festmachte. Seemännische Erfahrung hatte die dänischen Konservators und Bootsbaumeisters ik lat di in din Element neue Crew, waren es doch Absolventen und Christian Nielsen von der Insel Fejø bekannt, der Ton Führen und ton Liggen, Studenten der Hochschule für Seefahrt; eine 1938 das Zeesboot MINNA des nach Dänemark dat di bald jeder kennt. gehörige Portion Enthusiasmus brauchten sie ausgewanderten Stralsunder Fischers Max Rüt- To Freud vör dat Museum aber trotzdem – wie viel, zeigte sich auf den ting aufgemessen hatte (Koy, 1990; Grünberg, und vör de vällen Lüd, ersten Fahrten. Nicht nur, dass es keinen Motor Abb. 9: Das Modell der STR-9 (Maßstab 1:15) befindet sich im 2011). Die MINNA wurde 1872 in Stralsund auf de disse Boe girn mögen gab und nur durch die Kraft des Windes oder Sammlungsbestand des Deutschen Meeresmuseums (Modell- Kiel gelegt und war der AHR-1 im Bau sehr ut de historsche Tied. durch Rudern eine Fortbewegung möglich war, bauer: Helmut Koy). ähnlich. So konnten entscheidende Details wie auch die Nutzung des Seitenschwertes und das der Aufbau des Kielschweins, die Konstruktion Na oller Fischerwies Umsetzen von der einen Bordseite zur anderen der Befestigung des Steckmastes, das auf dem saast Du af hüt nu drägen beim Wenden waren schwere körperliche Hand- Vordeck befindliche Spakenspill, die Gestaltung den Namen „Stralsund nägen“. arbeit (Abb. 10). Über den Gebrauch konnten des Vörunners (vorderer Kajütaufbau) und des kaum noch Fischer aus eigenen Erfahrungen be- davor befindlichen Schwertganges sowie die richten, wohl aber aus Erzählungen, wie es ihre Form und Größe des Seitenschwertes von der Großväter handhabten. Der im Umgang mit dem MINNA in den Bau des neuen Zeesbootes mit Wozu ist ein Schwertgang da? Seitenschwert ungeübten Wustrower Segelcrew einfließen (Abb. 8). Alle überlieferten Erkenntnis- wurde plötzlich klar, was der aus der Bootsbau- se wurden von dem Leipziger Bauingenieur und Es war seitens des Museums von Anfang an ge- erei stammende Begriff „Schwertgang“ bedeu- Modellbauer Helmut Koy in den Risszeichnun- plant, die STR-9 als Exponat in die Ausstellun- tet: An diesem Decksbereich nämlich, zwischen gen zusammengefasst, nach denen schließlich gen zu integrieren. Bevor es jedoch seinen end- Großmast und dem Vörunner, ging der Fischer, auf der Bootswerft Richard Dinse das neue Mu- gültigen Platz bekommen konnte, sollten seine das Seitenschwert tragend, von der einen Seite seumsboot entstand (Abb. 9). Fahreigenschaften erprobt und dokumentiert zur anderen, um das Schwert in Lee nach dem Knapp 18 Monate nach Baubeginn war ein neues werden. Aus eigener Kraft konnte das Muse- Wenden erneut einzusetzen. und doch altes Zeesboot entstanden: Eine Zees- umspersonal dieses Vorhaben nicht realisieren: Waren die ersten Ausfahrten noch ernüchternd, boot-Replik, die mit dem typischen Vorsteven, Die STR-9 wurde ja als ein schweres Arbeits- so konnte sich die Mannschaft um den Skipper dem Rundgattheck, dem Seitenschwert, ohne boot mit Seitenschwert und ohne Motor gebaut. Michael Dietz (1992) schon bald die nötigen Er- Aufbauten und Motor dem Bauzustand eines Sportlicher Wille und Ergeiz reichten nicht aus, fahrungen im Umgang mit dem Boot und manch Abb. 10: Absolventen und Studenten der Ingenieurhoch- solchen Arbeitsbootes um 1870 entspricht und um ein solches Zeesboot in traditioneller Bau- fast vergessener Segeltechnik aneignen, um schule für Seefahrt Warnemünde/Wustrow erprobten die somit von längst vergangenen Zeiten zeugt. Da weise – allein mit der Kraft des Windes – si- das Boot sicher über den Bodden zu steuern, Fahreigenschaften des Bootes (1989). keines der noch vorhandenen Zeesboote das cher aus dem Hafen und, noch wichtiger, auch so wie es die alten Fischer taten.

116 117 Die Crew der Seefahrtsschule erprobte und entschied sich jedoch das Meeresmuseum, wie noch entsprechend der Satzung der Klassen- dokumentierte vier Jahre lang die Fahreigen- schon lange geplant, das Boot in die Ausstel- vereinigung der Zeesboote in Fahrt. So ist es schaften des Zeesbootes und ergründete altbe- lungen des Meeresmuseums zu integrieren und nur verständlich, dass diese sich auch um den währte Techniken des Segelhandwerkes wieder an Land zu holen. Erhalt und die Pflege der alten Handwerkstradi- (Abb. 11). Besonders hoch war das Engagement Nachdem die STR-9 von der Barther Werft tionen mit den Zeesbooten bemühen. Allen vo- einzuschätzen, weil der Einsatz des Bootes so- Rammin gründlich überholt wurde – zehn Jahre ran, war es dem Fischer und Zeesbootbesitzer wie die Wartungs- und Pflegearbeiten nach der Nutzung durch wechselnde Crews hatten ihre Andreas Schönthier aus Althagen zu verdanken, vertraglichen Vereinbarung mit dem Meeres- Spuren hinterlassen – fand das Zeesboot in der dass erstmals 2001 wieder eine Drift beim Lan- museum durch die Besatzung unentgeltlich er- 2001 neu errichteten Bootshalle im NAUTINE- desamt für Fischerei Mecklenburg-Vorpommern folgten. UM einen angemessenen Standort. zum Zwecke der Versuchsfischerei beantragt, Inmitten weiterer geschichtlich wertvoller Holz- genehmigt und durchgeführt werden konnte boote aus der traditionellen Fischerei nimmt die (Abb. 13). Für die folgenden Jahre wurde diese Frischer Wind im alten Segel STR-9 einen besonderen Platz in der ungewöhn- Sondergenehmigung auch noch für ein weite- lichen Hallenkonstruktion ein und vermittelt so res Zeesboot erteilt. Mit der SANNERT (FZ 33/ Mit den politischen Veränderungen Anfang der die Einmaligkeit dieses Exponates (Abb. 12). WUS 7) des Fischers Andreas Schönthier und 1990er Jahre wurde auch die Seefahrtsschule in Auf Besucherwegen, die als hölzerne Bootsste- der RICHARD D. (FZ 94) des Barther Bootsbau- Wustrow geschlossen und die mittlerweile sehr ge rings um das Zeesboot führen, können die meisters Nils Rammin gingen endlich wieder erfahrene Crew trennte sich und musste die Besucher die STR-9 von allen Seiten betrach- zwei Zeesboote ganz traditionell auf die Drift STR-9 schweren Herzens aufgeben. Sie kam ten. Voll aufgetakelt, mit der angeschlagenen im Saaler Bodden. Helmut Bauer und Horst zurück nach Stralsund und erhielt ihren Liege- Zeese steuerbord an Deck und bis ins Detail Grählert, zwei Fischer, die selber Jahrzehn- Abb. 13: FZ 94 RICHARD D., Eigner Niels Rammin, auf der platz im alten Marinehafen auf dem Dänholm ausgerüstet, vermittelt sie den Eindruck eines te mit einem Zeesboot auf Drift gingen, gaben Drift – durch die backgesetzten Segel driftet das Zeesboot und zeitweise auch im Querkanal im Stralsun- zur Drift bereiten Zeesbootes, in dem Zustand, ihr Wissen an interessierte Teilnehmer dieser quer zum Wind. Im Hintergrund FZ 16 BLONDINE (Eigner: der Hafen. Neue Mannschaften wurden gesucht wie es vor mehr als 140 Jahren üblich war. Ne- Versuchsfischerei weiter. Unter ihnen waren Andreas Schönthier). und gefunden; die STR-9 konnte vorerst für wei- ben dem Fischereigerät, der Zeese, gehörten viele heutige Zeesbooteigner, für die es abso- tere sechs Jahre im Wasser bleiben. Letztlich damals Driftbäume, Stockanker, Ruderriemen, lut neu war zu sehen, mit welcher Leichtigkeit Bootshaken, Peilstange, hölzerne Handlenz- die schweren Boote, mit backgesetzten Groß- pumpe, Laternen, Kescher, Wasserfass, Ösfass, und Focksegeln sowie ausgebrachter Zeese Schlagpützen, Fisch- und Aalmaß, Schlacht- quer zum Wind über den Saaler Bodden trieben messer, Holzkasten mit Material zur Netzrepa- (Abb. 14). Während in der Hochzeit der Zeesen- ratur usw. zur Bootsausrüstung. Im Vörunner fischerei eine Fangfahrt noch über mehrere Tage befinden sich zwei Kojen mit Strohsäcken, zwei dauerte und die Fischer bei harter körperlicher Sitzbänke, ein eiserner Ofen mit Heizmaterial, Arbeit nur wenig Ruhe fanden (Winkler, 2007), Emaillegeschirr, Bestecke, Brotkiep und Provi- wurden mit der SANNERT und der RICHARD D. antvorräte: Das Zeesboot STR-9 liegt wie zum in Abhängigkeit der Wetterlage bis zu zwei Drif- Auslaufen bereit. ten durchgeführt; harte und ungewohnte Arbeit Sogar die Segel bewegen sich leicht im Luftzug, war es für die Teilnehmer allemal. der ständig durch die ungeheizte Halle streicht: Perfekte Bedingungen für eine dauerhafte Prä- sentation und Lagerung von Holzbooten, die Altes Handwerk mit neuer von den Museumsmitarbeitern täglich geprüft gesetzlicher Regelung Abb. 14: Fischer Helmut Müther überprüft die backgesetz- und protokolliert werden. ten Segel. Die Genehmigung zur Zeesenfischerei war an bestimmte Vorgaben und Bedingungen des Ein altes Handwerk die Versuchsfischerei begleitenden Institutes Handwerk der Treibzeesenfischerei unter Se- bleibt erhalten für Fischerei der Landesforschungsanstalt für geln der Nachwelt zu erhalten und interessier- Landwirtschaft und Fischerei M-V gebunden. ten Menschen zu demonstrieren. Von den Mit- Das Handwerkszeug der alten Zeesenfischer, So beschränkte sich das Einsatzgebiet auf den gliedern werden ausschließlich die Wahrung der vom Boot bis zur Zeese, mit all den ursprüng- Saaler Bodden außerhalb des Nationalparks traditionellen Fangmethode mit herkömmlichem lichen Besonderheiten aus einer längst vergan- Vorpommersche Boddenlandschaft. Es erfolg- Fanggeschirr und die Durchführung von Driften genen Zeit, ist durch den Nachbau des Zees- te eine genaue statistische Datenerfassung zur in begrenztem Umfang zu touristischen Zwe- bootes aus der Zeit um 1870 erhalten. Fischereidurchführung und Fangauswertung in cken verfolgt. Seitdem wurde die Zeesenfische- Wie steht es aber um das alte Handwerk der speziellen Driftprotokollen. Der fischereiliche rei jährlich zum Zwecke der Traditionspflege und Zeesenfischer selbst? Es gibt heute nur noch Erfolg stand aber nicht im Vordergrund, wichtig des Erhaltes alter Fischereitechniken unter den wenige Fischer, die dieses Handwerk gelernt war die Wahrung dieses traditionellen Fischerei- vorgegebenen Bedingungen durchgeführt. Bei haben und noch selbst auf der Drift waren. Mehr handwerkes der Region (Abb. 15). den Auswertungen der erhobenen Daten aus der als 70 Zeesboote sind, dank der Männer und Im Mai 2002 gründeten Eigner von Zeesbooten Versuchsfischerei kam das Institut für Fischerei Abb. 12: Zur Drift bereit – die STR-9 voll aufgetakelt und aus- Frauen, die sich mit viel Leidenschaft dem Er- und weitere interessierte Personen den „Verein der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft gerüstet in der Bootshalle im NAUTINEUM auf dem Dänholm. halt dieses Boottyps verschrieben haben, auch der Zeesener e. V.“ mit dem Satzungsziel, das und Fischerei M-V zur folgenden Gesamtein-

118 119 Im Ergebnis der Auswertung der Versuchsfi- Danksagung scherei mit Treibzeesen im Saaler Bodden hat das Institut für Fischerei eine Änderung der Meinen herzlichen Dank an alle, die mich bei Küstenfischereiverordnung (KüFVO M-V vom dieser Arbeit unterstützt haben. Mein besonde- 31.01.2003) hinsichtlich einer „zeitlich und ört- rer Dank gilt dem Zeesboot-Buchautor Hermann lich begrenzten Genehmigung der Zeesenfische- Winkler, dem Bootsbaumeister Nils Rammin rei“ vorgeschlagen. Dieser Änderungsvorschlag und dem Zeesboot-Enthusiasten Uwe Grünberg ist, mit Inkrafttreten der „Verordnung zur Aus- (www.Braune-Segel.de), die mit ihrem Wissen übung der Fischerei in den Küstengewässern und eigenen Sammlungen die Recherchearbei- Mecklenburg-Vorpommerns (KüFVO M-V), vom ten unterstützten und mit Bildmaterial aushal- 15. August 2005“, per Gesetz verwirklicht wor- fen. Bedanken möchte ich mich auch bei allen den. Der §10 (2) 2. gestattet „...den Gebrauch Zeesbooteignern, bei den Mitgliedern des Ver- von Schleppnetzen zu touristischen Zwecken, eins der Zeesener e. V. und bei den Mitarbeitern sofern der Schleppvorgang ausschließlich durch des Deutschen Meeresmuseums, die dafür ge- Windenergie (Segel) bewirkt wird...“. sorgt haben, dass der Geschichte der Zeesen- Erstmals auf Basis dieser neuen rechtlichen boote und des Handwerks der Zeesenfischerei Abb. 16: Statistische Datenerfassung zur Fischereidurchfüh- Grundlagen konnten die zwei Zeesboote SAN- ein weiteres Kapitel hinzugefügt werden kann. rung und Fangauswertung. NERT (FZ 33 / WUS 7) und RICHARD D. (FZ 94) im September 2005 ihre Driften durchführen. An Bord waren auch wissbegierige Vereinsmit- Zusammenfassung glieder des Vereins der Zeesner und zahlreiche erwartungsvolle Gäste. Die Fischer Horst Gräh- Bis in die 1980er Jahre gab es in Mecklenburg- lert und Andreas Schönthier demonstrierten die Vorpommern noch vereinzelt eine besondere harte Arbeit der Zeesenfischer (Abb. 17). Art der Fischerei – das Fischen mit Treibnetzen Manch Zander konnte nach der Drift gleich an durch besegelte Arbeitsboote. Auf Grund des Bord zubereitet und verspeist werden. Viele in- technischen Fortschrittes und der Entwicklung teressierte Zuschauer verfolgten von Land aus neuer Fischereimethoden verlor die Schlepp- eine Szenerie wie aus längst vergangenen Ta- netzfischerei unter Segeln bereits in den 1960er gen – zwei Zeesboote in der Herbstsonne bei Jahren an Bedeutung. Damit schien eine jahr- der Drift auf dem Saaler Bodden. hundertalte Tradition der Region zu verschwin- den und das Wissen um dieses alte Handwerk verloren zu gehen. Abb. 15: Fischereiaufwand und Fangertrag stehen in keinem Altes Handwerk Einige der schweren Arbeitsboote blieben bis kommerziell akzeptablen Verhältnis. mit neuer Tradition heute erhalten. Manche wurden ohne Masten und Segel, aber ausgerüstet mit Motor und Ru- Abb. 17: Fischer Horst Grählert beim Auslegen der Zeese. Aus dem anfänglichen Versuch, das Handwerk derhaus als Kleinkutter weiter in der Fischerei schätzung: „In Auswertung der Versuchsfische- der Zeesenfischerei auch in der praktischen An- eingesetzt. Wegen der besonderen Segeleigen- rei aus den Jahren 2001-2004 kann festgestellt wendung zu erhalten, wurde eine feste Tradition. schaften wurden weitere Boote von Sportboot- aus Althagen. Das Meeresmuseum übernahm werden, dass Fischereiaufwand und Fangertrag Immer mit dabei war das Zeesboot von Horst seglern vor dem Verfall gerettet und in liebe- das veraltete Boot AHR-1, konnte es wegen in keinem kommerziellen akzeptablen Verhält- Grählert PAULA (PRU. 7; Abb. 18). Die PAULA voller Kleinarbeit restauriert. Damit entstand in des schlechten Zustandes aber nicht erhalten. nis stehen. … Bei einer begrenzten Anzahl von ist seit 1927 in Besitz der Familie Grählert und Deutschland aus ehemaligen Arbeitsbooten die So erfolgte ein Neubau, der detailgetreu das jährlich durchgeführten Driften stellen die Fänge noch heute im aktiven Fischereieinsatz: Mit ei- einzigartige Klassenvereinigung der Zeesboote. Bild eines Zeesbootes um 1870 wiederspiegelt. von 1,3 kg Fisch pro Driftstunde bis max. 4 kg ner Sondergenehmigung ist sie regelmäßig auf Den Mitgliedern dieser Klassenvereinigung ist Die AHR-1 wurde genau aufgemessen und die Fisch pro Driftstunde auch unter Berücksichti- der Drift und das einzige in Fahrt befindliche es zu verdanken, dass viele der einstigen Ar- Pläne nach historischen Vorbildern erstellt. Der gung der Arten- und Längenzusammensetzung Boot, das auch noch die baulichen Vorausset- beitsboote bis heute erhalten blieben. Sie wur- Nachbau erfolgte 1986-87 auf der Stralsunder des Fanges keine Gefährdung der Bestände an zungen zum Zeesen hat. Mit der BERNSTEIN den von den Seglern für die Verwendung als Dinse Werft. Es entstand eine Zeesboot-Replik, Nutzfischarten ... dar. Auf Grund der geringen (FZ 104) nahm 2010 noch ein weiteres Zees- Freizeit- und Familienboot umgebaut, behielten die mit typischen Vorsteven, Rundgattheck, physischen und mechanischen Belastung der Fi- boot an der jährlichen Drift von Althagen aus aber ihre charakteristische Bootsform und ihre Seitenschwert, ohne Aufbauten und Motor dem sche während des Fangvorganges sind entspre- teil. Längst sind auch junge Leute alljährlich im typischen braunen Segel. Bauzustand eines solchen Arbeitsbootes um chende Überlebenschancen des sofort nach dem September auf den Driften mit dabei und haben Ein Zeesboot in der üblichen Bauweise von 1870 entspricht. Hieven zurückgesetzten, nicht verwertbaren (un- sich den praktischen Umgang mit dem Zees- 1870 kann man noch im NAUTINEUM, auf dem Ehe die STR-9 2001 in die Ausstellungen auf termaßigen) Fanges nachgewiesen worden. Die boot und der Zeese angeeignet. Sicher werden Ausstellungsgelände des Deutschen Meeres- dem Dänholm integriert wurde, erprobten 1988 ermittelten Beifänge von Kraut und sonstigen mi- diese Bilder auf den Sund- und Boddengewäs- museums auf dem Dänholm, besichtigen. Dort bis 1992 Absolventen und Studenten der In- neralischen Bestandteilen stellen keine Beschä- sern in Zukunft wieder häufiger zu sehen sein. steht ein voll aufgetakeltes und bis ins Detail genieurhochschule für Seefahrt Warnemünde/ digung von Laichplätzen/Laichsubstrat dar. Eine Ein altes Handwerk wird gepflegt und geht nicht ausgerüstetes Zeesboot, wie es um die Jahr- Wustrow die Fahreigenschaften des Bootes. Beeinträchtigung der kommerziellen Fischerei verloren. Und ganz nebenbei gibt es einen wei- hundertwende in der Region üblich war. Das Ohne Motor, nur mit der Kraft des Windes ange- durch Ausführung der Driften konnte nicht regist- teren touristischen Anziehungspunkt für Gäste ausgestellte Boot ist ein Nachbau des um 1870 trieben, ergründete die Crew altbewährte Tech- riert werden.“ (Richter, 2005; Abb. 16). Mecklenburg-Vorpommerns. gebauten Zeesboots AHR-1 des Fischers Dade niken des Segelhandwerks wieder.

120 121 Südschwedische Bootstypen in Pommern und auf Rügen – ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der deutschen Ostseekutter Wolfgang Rudolph

Dieser Beitrag von Dr. Wolfgang Rudolph erschien 1959 im Blekingeboken, dem Jahrbuch des Blekinge Läns Museum in Karlskrona (heute Blekinge Museum) unter dem Titel: „Syds- venska båttyper i Pommern och på Rügen. Ett bidrag till den tyska östersjötrålarens historia.“ Das Originalmanuskript von Wolfgang Rudolph „Südschwedische Bootstypen in Pommern und auf Rügen – ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Ostseekutters“ be- findet sich im Archiv des Blekinge Museums in einem Konvolut zur maritim-ethnografischen Forschung von Wolfgang Rudolph und seiner Zusammenarbeit mit dem damaligen Direktor des Blekinge Läns Museums, Ingemar Attermann. Darin findet sich auch das Manuskript der Übersetzung des Beitrages ins Schwedische, die von Karin Attermann, der Ehefrau Attermanns, vorgenommen wurde. Wolfgang Rudolph war in späteren Jahren dem Ehepaar Attermann freundschaftlich verbunden, wovon ein umfangreicher Briefwechsel im Muse- umsarchiv zeugt. Die Redaktion von MEER UND MUSEUM dankt Wolfgang Rudolph und dem Blekinge-Museum in Karlskrona für die Erlaubnis zum Abdruck des Manuskriptes aus dem Jahr 1958, das von Peter Danker-Carstensen bearbeitet wurde. Abb. 18: PAULA (PRU 7), das Zeesboot von Horst Grählert.

Die alten Arbeitsboote und die Techniken des Literatur Die Geschichte der Seefischerei in Pommern jegliche Voraussetzungen fehlten, waren alle Segelns blieben erhalten, das Handwerk der und auf der Insel Rügen ist noch verhältnis- bisherigen Versuche zur Einführung der Seefi- Treibnetzfischerei mit diesen Booten schien Dietz, M. (1992): Die Handhabung des Muse- mäßig jung. Dort hat die Berührung mit den scherei in Pommern und in den Nachbargebie- aber in Vergessenheit zu geraten. Heutige Zees- ums-Zeesbootes STR 9 oder Wie segelt Fischern der südschwedischen Landschaft ten (1865, 1866 und 1869 von Stralsund mit booteigner bemühten sich um die Weiterführung man ein Denkmal, Archiv Deutsches Mee- Blekinge den entscheidenden Anstoß für die Nordsee-Evern aus Blankenese bei Hamburg, der Tradition des alten Handwerks der Zeesen- resmuseum. Entwicklung von der einfachen zu höheren For- 1867 von Danzig mit dänischen Nordsee-Kut- fischerei. 2002 gründeten sie den „Verein der Grünberg, U. (2011): www.Braune-Segel.de – men des Fischereibetriebes gegeben. Bis weit tern) gescheitert (Dittmer, 1902). Die Statistik Zeesner e. V.“ mit dem Ziel, das Handwerk der Die Zeesbootseiten [Status Dez. 2011]. in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde nennt für 1872 in ganz Pommern nur offene Fi- Treibzeesenfischerei unter Segeln der Nach- Koy, H. (1990): Zeitzeuge Zeesboot – Dokumen- an der pommerschen und rügenschen Seeküs- schereifahrzeuge (Dittmer, 1902), als deren see- welt zu erhalten und interessierten Menschen tation zum Neuaufbau des Zeesbootes te ausschließlich Strandfischerei und küstenna- tüchtigste diejenigen von Dievenow angesehen zu demonstrieren. Die gesetzlichen Grundla- AHR 1, Baujahr 1870. MEER UND MUSE- he Fischerei getrieben. Das hatte geografische wurden, die in erster Linie für das Lachsangeln gen für die Schleppnetzfischerei unter Segeln UM, 6: 16-27. ökonomische, biologische und ethnologische bestimmt waren. In Perioden des Rückganges wurden in der „Verordnung zur Ausübung der Richter, U. (2005): Stellungnahme zur Versuchs- Ursachen, so z. B. das Fehlen gut ausgebauter der Küstenfischerei-Erträge segelten die Fischer Fischerei in den Küstengewässern Mecklen- fischerei mit einer Treibzeese auf die Ziel- Seehäfen an der 520 Kilometer langen pommer- von Dievenow und Misdroy mit solchen Booten burg-Vorpommerns (Küstenfischereiverordnung fischarten Aal/Zander im Saaler Bodden in schen Küste. Die Häfen Sassnitz, Swinemünde, bis zur Insel Rügen (Mittheilungen der Section – KüFVO M-V) vom 15. August 2005“ verankert. der Fischereisaison 2004, Rostock. Dievenow, Kolberg, Rügenwaldermünde, Stolp­ für Küsten- und Hochseefischerei, 1888) und Seither demonstrieren Fischer und Zeesboot- Winkler, H. (2007): Zeesboote. Segler durch die münde und Leba wurden erst zwischen 1870 Kolberger Fischer kreuzten bis Memel im nörd- eigner jährlich für interessierte Zuschauer das Zeiten, Hinstorff Verlag, Rostock. und 1900 ausgebaut (Abb. 1). Hinzu kamen die lichen Ostpreußen. Um 1880 hieß es darüber: traditionelle Handwerk und die harte Arbeit der fehlende Absatzorganisation von der Küste zu „Seit einer Reihe von Jahren wird von Memel aus Zeesenfischer. Aus dem anfänglichen Versuch, den Verbraucher-Zentren im Binnenland so- die zuerst von pommerschen Fischern hier ein- das Handwerk der Zeesenfischerei zu erhalten, wie der Mangel an Transportmöglichkeiten für geführte Lachsangelfischerei in der Ostsee be- wurde eine feste Tradition. Frischfisch (Kühlwagen, Markthallen). Obwohl trieben“ (Mittheilungen der Section für Küsten- der Fischreichtum in den Küstengewässern grö- und Hochseefischerei 1885, S. 108). Obgleich ßer war als heute, besaß die Seefischerei an der deren Boote „nach pommerschem Muster“ ge- deutschen Ostseeküste keinerlei Tradition. Weil baut, von fünf bis sechs Fischern bemannt, „gut

122 123 Skåne

Bornholm

Leba OSTSEE Rügen Hela Sassnitz Rügenwaldermünde Stolpmünde Danzig Stralsund Kolberg R N Greifswald Wolgast M E Dievenow M V O R O P O P M Swinemünde M E R N Weichsel Stettin

Oder

Abb.1: Karte der südlichen Ostseeküste. segeln und sich auch gegen den Seegang ziem- an (Bericht Regierungspräsidium Köslin, 1884) lich halten, sind doch fast alljährlich in den Win- und 1886 arbeiteten davon zehn in Kolberg, vier termonaten häufige Verluste an Menschenleben in Rügenwaldermünde und zwei in Stolpmünde und Fahrzeugen zu beklagen“ (Mittheilungen (Havemann, 1886). der Section für Küsten- und Hochseefischerei, In welcher dramatischen Form sich solche An- 1887). käufe mitunter abgespielt haben, zeigt ein Be- Es lag also auf der Hand, dass sich einige der richt aus dem ostpreußischen Hafen Pillau: unternehmungsfreudigsten pommerschen Fi- „Wie schon früher mitgeteilt, wollten sich die scher nach besserem Bootsmaterial umsahen. hiesigen Fischer durchaus nicht dazu verste- In jenen Jahren erschienen zu bestimmten Zei- hen, die Fischerei auf hoher See zu betreiben Abb. 2: (oben) Zeichnung eines schwedischen Fischerbootes (Blekinge Eka; nach Weinreich, 1884). ten schwedische Fischer in den pommerschen (…). In diesem Frühjahr (1887) liefen hier in den Abb. 3: (unten) Aufsicht und Spantenriss eines schwedischen Fischerbootes (nach Weinreich, 1884). Küstengewässern (Havemann, 1886). Mit ihren Hafen einige Fischer aus Schweden ein, die seetüchtigen Booten scheuten sie den weiten mit Treibnetzen auf Lachsen fischten. Der Fang Weg über die offene Ostsee nicht, der doch in der Ostsee mit dem Strandgarn war gerade etwa 120 Seemeilen beträgt. Ihren Fang richte- zu dieser Zeit mäßig und es begreift sich da- ten die Schweden hauptsächlich auf Lachs. Ihre her der Eindruck, welchen die tägliche Einkehr reichen Erträge erregten bald die Aufmerksam- der Schweden mit einer reichlichen Ausbeute keit der pommerschen Fischer. Leider konnten an großem Lachs auf unsere Fischer machte. es diese nicht ermöglichen – weder aus eigenen Schnell traten sie mit Schweden in Unterhand- Mitteln, noch mit Hilfe privater Kredite – in den lung und kauften einem derselben das Boot mit Besitz ähnlicher Boote und Geräte zu gelangen vollem Zubehör und sämtlichen Treibnetzen ab, (Weinreich, 1884). Da griff das Landwirtschafts- fuhren sofort nach hoher See hinaus und kamen ministerium helfend ein. „Das erste schwedi- am nächsten Tage mit einem Fang großer Lach- sche Fischerboot mit vollständiger Ausrüstung se nach Hause, den sie für 350 Mark verkauften. wurde im Frühjahr 1882 aus Staatsmitteln an- Jetzt war das Eis gebrochen. Es traten kleine gekauft und 4 Fischern aus Colbergermünde Gesellschaften von Fischern zusammen und zu Eigentum überwiesen, welche dasselbe ge- kauften alle fünf schwedischen Fischerfahrzeu- meinschaftlich zu benutzen haben und obwohl ge an“ (Mittheilungen der Section für Küsten- am Ertrag als auch an den Unkosten des Be- und Hochseefischerei, 1887). triebes zu gleichen Teilen partizipieren“ (Ha- Über die genaue Herkunft der Schwedenboote vemann, 1886). Ende 1882 gab es in Kolberg liegen aus den 1880er Jahren keine bestimm- bereits zehn „Schwedenboote“. Im Sommer ten Angaben vor. Es heißt nur, dass sie „sämt- 1883 kauften die ersten Fischer in Rügenwal- lich aus dem südlichen Schweden“ angeschafft dermünde und Stolpmünde ebensolche Boote worden sind. Erst 1904 erwähnt Dittmer (1904):

124 125 „In der Zeit von 1882 bis 1885 wurde ein Boot- Lachsfang gegen früher (…). Von den Heringsfi- stypus aus Blekinge in Schweden an der Küste schern werden an jetzt nur schwedische Boote von Hinterpommern eingeführt. Die ‘Blekings­ und Netze benutzt, was wohl am besten für de- eka‘ war mit einem Rahsegel getakelt.“ In der ren Nutzen spricht“ (DFV, 1884). Bald erkannte ersten deutschen Veröffentlichung über Schwe- man jedoch, dass die offenen Boote für den in- denboote sind diese folgendermaßen beschrie- tensiven Seefischereibetrieb immer noch nicht ben (Weinreich, 1884): „Das Boot ist ganz aus genügend geeignet waren. Sowohl in Pommern Eichenholz mit 9 geklinkten Plankengängen auf als auch in Blekinge und auf Bornholm begann hohem Kiel erbaut, hat weitüberfallenden Vor- man, die offenen Fahrzeuge vollständig zu de- steven und ein eben solches Heck mit kleinem cken und Neubauten gleich gedeckt herzustel- Spiegel; die Linien sind ziemlich scharf gehal- len. 1891 ist in einem Bericht vom „Eindecken ten, namentlich unter Wasser, jedoch ist das von schwedischen Booten“ die Rede (Mitthei- Hauptgewicht auf Tragfähigkeit gelegt, damit lungen der Section für Küsten- und Hochseefi- das Boot mit vollem Fange auch noch ausrei- scherei, 1891, 1. Sonderbeilage), und 1892 heißt chend seetüchtig bleibt. Das Boot ist ganz offen es: „Zwei Fischer aus Hela (in Westpreußen) ha- ohne Deck oder Halbdeck, weil die Bequem- ben sich mit Hilfe eines vom Reiche gewährten lichkeit des Betriebes dies erfordert. Die Stär- Darlehens ein gedecktes schwedisches Fischer- ke der Innhölzer beträgt 4/8 cm, die Stärke der boot mit Fanggeräten gekauft“ (Mittheilungen Beplankung 2,5 cm; die Planken sind in medio der Section für Küsten- und Hochseefischerei, 30 cm breit. Die Länge des Bootes über Steven 1892). Später bevorzugte man in Pommern je- beträgt 8,77 m, die größte Breite im Nullspant doch den Ankauf oder Neubau von Kuttern aus 2,84 m, die Tiefe im Nullspant 1,12 m. Getakelt Bornholm: „18 derartige Kutter fingen im Jahre ist das Boot mit Großmast und Besanmast; letz- 1901 von Dievenow aus“ (Dittmer, 1902). Ditt- terer ist nur klein und steht lose in der Ducht mers Statistik des Jahres 1901 weist für die öst- und Kielspur, der Großmast dagegen steht frei liche deutsche Ostseeküste folgenden Bestand in einer Kielspur im Boot und wird nur durch an schwedischen und Bornholmer Kuttern aus: Abb. 4: Kutter LAU 1 aus Lauterbach auf Rügen, gebaut um 1927 in Joggesö/Blekinge. Wanten und Vorstag gehalten, damit er leicht Pommern 162, Westpreußen 255 und Ostpreu- weggenommen werden kann. Die Mehrzahl der ßen 163 (Dittmer, 1902). im Gebrauch der Schweden befindlichen Boote Dies war das Ergebnis einer rapiden Entwick- teter Kutter wurde 1951 dort abgewrackt, der hat nur einen Mast, an welchem sie ein großes lung innerhalb von noch nicht ganz 20 Jahren! letzte (erbaut 1920 in Svaneke auf Bornholm) Rahsegel führen; der Mast wird, um dem Rah- Hervorgegangen aus dem Blekingeboot war in fährt noch heute (1958) in Freest, einem kleinen segel die günstigste Stellung zum Winde zu ge- jenem kurzen Zeitraum der Ostseefischkutter vorpommerschen Hafen nahe Wolgast. ben, gewöhnlich beim Segeln am Winde geneigt entstanden, dessen Motorisierung dann die An der Seeküste der Insel Rügen waren die gestellt. Unsern Fischern war diese Takelung zu Jahre ab 1903 brachten. Zuerst wurden vorwie- Fischereiverhältnisse die gleichen wie in Hin- unbequem, auch erforderte sie große Vorsicht. gend dänische, nach 1908 die ersten deutschen terpommern. 1892 meldete ein Bericht: „Eine Aus diesem Grunde sind jetzt die sämtlichen Glühkopfmotoren verwandt. Mitte der 1920er, eigentliche Hochseefischerei wird zurzeit von nach hier angekauften Boote mit gerade in Wan- Anfang der 1930er Jahre erfolgte schließlich Rügen aus überhaupt nicht betrieben (…). Im ten und dem Vorstag stehendem Mast, sowie die Umstellung auf deutsche Dieselmotortypen, Zusammenhang damit steht der Umstand, daß mit kleinem losem Besanmast versehen. An Se- deren Stärke von etwa zehn auf über 100 PS größere und namentlich gedeckte Boote bei der geln führt das dargestellte Boot ein Großsegel, angestiegen ist. Fischerei gar nicht in Gebrauch sind“ (Mitthei- ein Besansegel, Stagfock und Klüver, sowie bei Nach Angaben der alten Kolberger Fischer Ge- lungen der Section für Küsten- und Hochsee- leichtem Winde ein Toppsegel. Das Großsegel brüder Hensel, die seit 1945 in Sassnitz arbei- fischerei, 1892). Bereits 1884 hatten Fachleute Abb. 5: Vordersteven des Kutters LAU 1. hat eine Gaffel, welche mittelst Rack mit Schar- teten, wurde die letzte Blekingseka in Kolberg, empfohlen: „Für die Fischer an der Ostküste nier am Mast fährt, um die Pick leicht fallen zu KOL 81, um 1900 dort abgewrackt. Obwohl die von Rügen würden sich die schwedischen Boo- können. Das Besansegel ist ein Spreetsegel mit pommerschen Bootswerften bald die günstigen te sehr gut eignen, und es dürfte durchaus zu der Mehrzahl weit bequemeren Verdienst. Erst Spreetstange und hat, da es über das Heck hin- Formen der schwedischen und Bornholmer Kut- empfehlen sein, wenn hier von Seiten des Staa- um 1905 wurde der erste Sassnitzer Kutter aus ausreicht, einen leichten Baum“ (Abb. 2 und 3). ter nachahmten und ihre Bauqualität verbesser- tes auf die Einführung dieser Boote hingewirkt Stolpmünde angekauft. Ob er schwedischer Die Erfolge des Fischfanges mit den neuen ten, wurden auch noch nach dem Ersten Welt- würde. Die jetzigen Rügenschen Fischerboote oder Bornholmer Herkunft war, ist unbekannt. Schwedenbooten ließen nicht lange auf sich krieg dänische und schwedische Fahrzeuge sind nicht geeignet, bei stürmischer Witterung in Die frühesten nachweisbaren Bootstypen-Be- warten. Ein Bericht aus Kolberg sagt dazu: „Die nach Pommern angekauft. Das „Handbuch für See zu fischen“ (DFV, 1884). Es bedurfte jedoch ziehungen zwischen Rügen und Schweden ha- Heringsfischerei wurde an unserer Küste nur mit die Deutsche Handelsmarine“ von 1933 zählt in erst der Fertigstellung des Hafens von Sassnitz ben sich 1912 angebahnt. Sie endeten höchst hiesigen Booten betrieben, welche 1-2 Meilen Dievenow einen, in Kolberg 15, in Rügenwalder- (1896), bevor man daran denken konnte, von tragisch. Damals reisten die Fischer Herman vom Lande operierten. Mit den vor ca. 3 Jahren münde elf und in Stolpmünde zehn bornholmer dort aus mit größeren, tiefgehenden, seetüchti- Bliesath und Otto Klingenberg aus Hagen, ei- eingeführten schwedischen Booten und Netzen oder schwedische Kutter. Von den 15 Kolberger gen Fischerfahrzeugen zu operieren. Und auch nem kleinen Dorf auf der Halbinsel Jasmund, gehen die Fischer ca. 10 Meilen in See (…) Die Kuttern waren 1945 – nach Gebrüder Hensel nach Vollendung dieses Hafens dauerte es noch nördlich der Hafenstadt Sassnitz, mit der Fähre Fischerei hat hier seither, mindestens in den bei- – noch fünf vorhanden: drei davon beschlag- etwa zehn Jahre, ehe sich einzelne Sassnitzer via Trelleborg nach Südschweden und erwarben den Vorjahren, das dreifache Resultat für Herin- nahmte das russische Militär, einer ist auf der Fischer zur Seefischerei anschickten. Der hier dort – in welchem Hafen ist unbekannt – einen ge ergeben; ebenso vorteilhaft erweist sich der Flucht verschollen, ein nach Sassnitz geflüch- seit Jahrzehnten florierende Badebetrieb bot Lachskutter. Auf der Rückfahrt gerieten sie mit

126 127 (Abb. 6 und 7). Das Fahrzeug wird meist zum Angeln auf Dorsch und zur Netzfischerei auf Hering verwendet. Interessant ist, dass der rügensche Bootsbauer Albert Wessel in Wiek auf der Halbinsel diesen Blekingekutter (SAS 70) zum Vorbild für eine Serie der ersten Nachkriegs-Kutterbauten nahm. Im Blekingetyp wurden 1949 bis 1950 in Wiek bei Wessel die Sassnitzer Kutter SAS 49 (Abb. 8 und 9) und SAS 63 erbaut. Die Wirksamkeit der südschwedischen Bootsty- pen war auf Rügen – im Gegensatz zu Hinter- pommern – nur gering. Das liegt in der zeitlichen Abb. 8: Vordersteven des Kutters SAS 49, der nach dem Vor- Verspätung der Entwicklung zur Seefischerei bild des aus Schweden stammenden SAS 70 gebaut wurde. begründet. Als in Sassnitz 1928, nach Einfüh- rung des Trawlen auf Hering und Sprotten im Ar- kona- und Bornholmbecken, die Kutterfischerei zu blühen begann, brachten sich die von Hol- stein oder von Ostpreußen nach Sassnitz zie- henden Seefischer ihre Kutter mit. Und ab 1935, als die erste Garnitur des Bootsmaterials durch Abb. 6: Fischerboot SAS 70 aus Sassnitz, gebaut um 1933 in Karlskrona. größere, stärkere Neubauten ersetzt wurde, wa- ren die Sassnitzer Fischer durch die von ihnen aufgenommenen Reichskredite gezwungen, auf nutzte und dann nach Stralsund weiter verkauf- deutschen Werften bauen zu lassen. Nur ein te. Das Fahrzeug soll einige Jahre später in der einziger Sassnitzer Fischer, Heinrich Prüssing, Nordsee gestrandet sein. hat diesem Zwang getrotzt: Er ließ sich 1934/35 Die Sassnitzer Fischer Fritz Rink und Max Geest auf eigene Kosten und durch Mithilfe seiner dä- erwarben im Dezember 1930 in Baskemölle nischen Verwandten einen Kutter in Rønne auf Abb. 9: Heck des Kutters SAS 49. nördlich von Simrishamn einen etwa 14 Meter Bornholm bauen, die SAS 22. langen Kutter (SAS 28), der von einem schwe- Nach dem Zweiten Weltkrieg standen die politi- dischen 35 PS-Glühkopfmotor angetrieben wur- schen Verhältnisse in Deutschland dem Boots- Engel, C. (1897): Ein Hochsee-Fischerei-Kutter de. Bereits im Januar 1931 strandeten sie da- kauf aus Skandinavien entgegen. So dürften die für die Ostsee. Abhandlungen d. Deut- mit jedoch bei Sandhammaren, und der Kutter Kutter LAU 1 und SAS 70 die letzten Blekinge- schen Seefischerei-Vereins 1, Berlin, S. ging total verloren. Über seine Herkunft ließ sich boote sein, die noch heute [1958] in Pommern 45-49. nichts in Erfahrung bringen. Das Fahrzeug war vorhanden sind. Havemann (1886): Das schwedische Fischer- kraweel gebaut mit rundgattem Heck. boot. Mittheilungen d. Section für Küsten- Abb. 7: Bugansicht von SAS 70 SEESTERN. Einen Blekingekutter kaufte der Sassnitzer und Hochseefischerei 2, Berlin, S. 211. Fischer Walter Borgwardt, genannt „Tucker- Literatur Henking, H. und E. Fischer (1905): Die Ostsee- Borgwardt“, im Jahre 1933 aus Trelleborg. Das fischerei in ihrer jetzigen Lage (Zweiter diesem Boot in orkanartigen Sturm und blieben Schiff war – nach Aussage des Fischers Ståhl in Altnöder, K. (1940): Die Entwicklung des ge- Teil), III. Übersicht über die Seefischerei seither verschollen. Trelleborg – der erste Kutter in Trelleborg über- deckten Motorkutterbetriebes in der Ost- Deutschlands in den Gewässern der Ost- 1917 oder 1918 kaufte die „Sassnitzer Dampf- haupt, gebaut 1927 in Joggesö bei Karlshamn. see in den Jahren 1928 bis 1938. Zs. f. Fi- see. Publications de Circonstance No. 13 schiffs Gesellschaft“ (SDG), eine Reederei, die Das Fahrzeug ist 9,6 Meter lang und besitzt ei- scherei 38, Neudamm/Berlin, S. 207-213. b. Høst & Fils, Kopenhagen, S. 59-140. sich im Sommer ausschließlich mit dem rügen- nen 16 PS-Glühkopfmotor der Hanseatischen Bericht über die Seefischerei von Neu- Henking, H. (1929): Die Entwicklung der Ostsee- schen Bäderdienst befasste, zwei Fischkutter: Motorenwerke in (Hamburg-)Bergedorf. 1935 vorpommern und Rügen. Mittheilungen d. fischereifahrzeuge. Die Ostseefischerei, BUDDE und HAY, baute darin Motoren ein und verkaufte Borgwardt diese SAS 21 nach Lauter- Section f. Küsten- und Hochseefischerei 8, Band 5, Heft 3 des Handbuches der Seefi- begann den Seefischereibetrieb. Von diesen ers- bach, einem kleinen Hafen an der rügenschen Berlin 1892, S. 3-40. scherei Nordeuropas, Schweizerbart’sche ten Sassnitzer Motorkuttern soll zumindest der Südküste, an den Fischer Heinrich Koos. Wie DFV (1884): Deutscher Fischerei-Verein (1884): Verlagsbuchhandlung Stuttgart, S. 119- HAY schwedischen Ursprungs gewesen sein. Er in Trelleborg, so war auch in Lauterbach dieses Circular Nr. 5, Berlin. 128. Mittheilungen der Section für Küsten soll vorher in Ystad gefahren sein. Es handel- Blekingeboot der erste Kutter. Die LAU 1 fährt Dittmer, R. (1902): Die Deutsche Hochsee-, - und Hochseefischerei, Berlin, ab Jg. 1 te sich um ein etwa 14 Meter langes Fahrzeug, noch heute [1958] (Abb. 4 und 5). See- und Küstenfischerei im 19. Jahrhun- (1885 ff). angetrieben von einem 25 PS-Glühkopfmotor Der letzte Bootsankauf aus Schweden nach Rü- dert und bis zum Jahre 1902. Hahnsche Weinreich (1884): Erläuterungen zur Zeichnung der Firma Callesen in Apenrade und versehen gen wurde 1948 getätigt. Damals erwarb der Buchhandlung, Hannover/Leipzig. 70 S. eines schwedischen Fischerbootes. Circu- mit einem Mast und Gaffeltakelung. Mit der HAY Sassnitzer Fischer Heinrich Schuschel einen Dittmer, R. & H. V. Buhl (1904): Seefischereifahr- lare d. Deutschen Fischerei-Vereins, Ber- wurde auf Plattfisch und Dorsch getrawlt. 1920 Kutter aus Karlskrona. Dieser SAS 70 soll um zeuge und -boote ohne und mit Hülfsma- lin, Correspondenzblatt I, S. 109-113. gab die SDG den Kutter an den Sassnitzer Fi- 1933 in Karlskrona erbaut worden sein und be- schinen. Hahnsche Buchhandlung, Han- scher Albert Neumann ab, der ihn bis 1924 be- sitzt einen schwedischen 13 PS-Glühkopfmotor nover/Leipzig.

128 129 Die Blekingseka – Eka – ein Definitionsversuch Das schwedische Wort eka (auch öka) bezeichnet ursprünglich ein kleineres klinkergebautes Boot, das gerudert oder auch gewriggt wurde. Der sprachgeschichtliche Ursprung liegt im ein Bootstyp mit vielen Funktionen Wort ökstocken, das soviel wie „ausgehöhlter Baumstamm“ bedeutet. Heutzutage bezeich- net eka nahezu ausschließlich ein klinkergebautes Boot mit Achterspiegel oder auch mit aus dem Südosten Schwedens einem Spiegel am Bug, wie zum Beispiel die so genannte Bohusjolle. Die eka hat schrä- ge Steven, an denen die Planken befestigt werden. Die Bodenform kann zwischen einem halbrunden und einem platten Boden variieren. Plattbodige Ekas können sowohl vorn wie Karin Nilsson achtern mit einen Spiegel versehen sein. Einige Typen haben sowohl Achterspiegel als auch Vordersteven. Plattbodige Ekas wurden meist für die Binnenfischerei und für die Eigenbe- darfsfischerei benutzt. Ekas mit runden Böden sind zum Beispiel die Blekingsekas in den Küsten- und Schärengewässern. Die Größe der Boote variiert je nach ursprünglichem Ver- Die blekingseka hat ihren Namen nach der Pro- Das Boot kann größere Lasten tragen und ist wendungszweck. Es gibt Ekas von etwa vier bis zu acht Metern Länge. Letztere waren als vinz Blekinge erhalten, einer kleinen Landschaft schnell­segelnd, die Länge beträgt vier bis 13 Segelboote gebaut und mit einem Sprietsegel ausgestattet. in der südöstlichen Ecke Schwedens. Trotz ih- Meter. Früher wurde die Größe des Bootes oft res regionalen Namens war die blekingseka bis durch die Anzahl der Plankengänge beschrie- Der - die oder das Eka – nicht nur ein sprachliches Problem zum Ende des 19. Jahrhunderts der dominieren- ben. Man sprach zum Beispiel von einer Vier- In der Übersetzung wurde die im Schwedischen übliche Kleinschreibung des Substantivs de Bootstyp an einem langen Küstenabschnitt, Planken-Eka oder von einer Sechs-Planken- eka beibehalten, da es nicht zu übersetzen ist. Die zusammengesetzten Formen der ver- der sich vom östlichen Skåne (Schonen) über Eka. Die Anzahl der Plankengänge stand in schiedenen eka-Typen wurden nur im Einzelfall („Frachteka”) übersetzt. Da das schwedi- Blekinge bis an die südliche Küste von Små- einem bestimmten Verhältnis zur Länge des sche Wort eka ein femininum ist, wurde in der Übersetzung ebenfalls die weibliche Form für land und bis zur Insel Öland erstreckte. Die ble- Bootes (Abb. 2 und 3). diesen Bootstyp gewählt. Dafür gibt es im südlichen Ostseeraum durchaus Entsprechun- kingseka gibt es in vielen Größen und mit vielen Das Alter des Bootstypes verliert sich im Dun- gen, wie zum Beispiel die Zeese, die Quatze oder auch die Lomme. Die schwedische Plu- verschiedenen Funktionen, aber die Konstruk- kel der Geschichte. Die älteste bekannte Zeich- ralform von eka ist ekor. In der Übersetzung wird aber die deutsche Form der Pluralbildung tion ist im Großen und Ganzen die gleiche. Oft nung stammt aus dem 18. Jahrhundert, aber die bei Nomen, die auf einen Vokal enden, durch ein angehängtes ›s‹ gewählt. In diesen Fällen besaß ein Fischer mehrere Boote verschiedener blekingseka ist sicherlich älter. Der Bootstyp als wurde dann die Großschreibung benutzt. Größe, die für verschiedene Zwecke gebraucht solcher hat seine Wurzeln in dem nordischen wurden (Abb. 1). Bootstyp snipa, also dem gleichen Typ wie die Die große vrakeka benutzte er zur Seefischerei Boote der Wikinger. Die verschiedenen Varian- während die kleineren Boote in der Kleinfische- ten der blekingseka wurden später von anderen rei innerhalb der Schären sowie zum Fischeste- Bootstypen, die mehr Sicherheit und Effektivität chen und für die Jagd auf Seevögel verwendet boten, ersetzt. Heutzutage werden hauptsäch- wurden. lich die kleineren, zwischen 14 und 17 Fuß lan-

Abb. 2: Ein Mann segelt eine blekingseka 1938 vor Ungskär in den östlichen Schären von Blekinge.

gen (1 Fuß = 0,3048 m) Ekas verwendet, zumeist als Freizeitboote. Blekingsekas werden immer noch gebaut, und jedes Jahr gibt es mehrere Regatten, die speziell für Blekingsekas ausge- richtet werden.

Die Bootsbauplätze

Die Bevölkerung der Schärenküste hatte seit Abb. 3: Der Lotse Per Berglund in seinem Lotsenboot 1924 bei Abb. 1: Pär Arrhenius segelt im Sommer 2011 eine 19-Fuß-blekingseka. Sowohl Pär als auch sein Sohn und sein Vater sind jeher einen Bedarf an guten und seetüchtigen Långören in den östlichen Schären von Blekinge. Der Streifen bei allen Regatten für Blekingsekas dabei. Booten. Oft baute der handwerklich geschick- im Segel zeigt, dass es sich um ein Lotsenboot handelt.

130 131 Abb. 4: Die Bootswerft Saxemara bei Ronneby ist eine der wenigen traditionellen Werften, die heute noch existieren. Sie Abb. 5: Es war Aufgabe der Frauen, den Fisch zum Fischmarkt in der Stadt zu transportieren, um ihn dort zu verkaufen. befindet sich im Besitz des Blekinge Museums und wird von einem Bootsbauer betrieben, der die Werft vom Museum ge- Fischmarkt in Karlskrona 1909. pachtet hat. te Fischer sein Boot selbst und half Nachbarn einer Kette entlang der Küste Blekinges lagen, http://www.seasideboats.eu und Verwandten beim Bau ihrer Boote. Erst sind heute nur noch einige wenige vorhanden. Als ein Teilprojekt innerhalb des mit EU- mit Einführung der Gewerbefreiheit Mitte des Eine von ihnen ist die Bootswerft Saxemara in Mitteln geförderten Projektes SeaSide er- 19. Jahrhunderts konnten sich Bootsbauer der Nähe von Ronneby, die seit einigen Jahren stellte das Blekinge Museum in Karlskrona frei an der Schärenküste niederlassen und am dem Blekinge Museum gehört und von einem eine Datenbank zur Dokumentation von Ende des 19. Jahrhunderts wuchs das Boots- Bootsbauer betrieben wird, der den Betrieb ge- traditionellen Fischer- und Arbeitsbooten bauhandwerk überall in Blekinge. Vorher hatte pachtet hat (Abb. 4). im Ostseeraum. In dieser Datenbank er- das schwedische Zunftsystem im Prinzip je- hält man Informationen über die einzelnen des Handwerk und jeden Handel außerhalb der Boote und die Werften, auf denen diese Städte unterbunden. Auf den frühen Bootsbau- Vrakeka Fahrzeuge erbaut wurden. Die Datenbank ereien wurden die Boote im Freien auf nur leicht ist offen für alle, die Angaben über Boote, geschützten Bauplätzen mit Hilfe von einfachen Der zweitgrößte und meist besprochene Typ Bootstypen und Bootswerften lesen oder Handwerkszeugen erbaut. Dabei war es nicht der blekingseka ist die vrakeka. Diese misst auch neue Informationen eingeben möch- ungewöhnlich, dass der Bootsbauer zu sei- zwischen 24 und 30 Fuß. Ihre guten Segelei- ten (siehe Beitrag von Danker-Carstensen nen Kunden kam und das Boot vor Ort baute. genschaften und ihre Seetüchtigkeit bewährten auf Seite 20 in diesem Band). Oft war das Bootsbauerhandwerk mit anderen sich in der Seefischerei. Die Fischer aus Blekin- Erwerbszweigen wie Fischerei oder Landwirt- ge fuhren weit auf die Ostsee hinaus. Sie fisch- schaft kombiniert. Als die wirtschaftliche Be- ten um Bornholm herum und wagten sich sogar deutung der Küstenfischerei wuchs und immer bis vor die polnische und die deutsche Küste. Das Rahsegel wurde ab Mitte des 19. Jahrhun- mehr Fischerboote nachgefragt wurden, konnte Die guten Eigenschaften der Boote imponierten derts durch ein Sprietsegel mit einer Stagfock sich der Bootsbauer als Handwerker spezialisie- deutschen Fischern, die daraufhin Boote aus ersetzt. Dadurch konnte die Besatzung auf drei ren und in Werkstätten und neue Technik inves- Blekinge nach Rügen und Pommern ankauften. Mann verringert werden. Jeder Fischer besaß tieren. Das Gewerbe blühte und auf den Werften (siehe Beitrag von Rudolph in diesem Band). normalerweise 20 Stück Garn, die zu einem ein- wurden nun Freizeit- und Arbeitsboote gefertigt. Die vrakeka war ursprünglich mit einem unsy- zigen großen Netz verbunden wurden. Das Boot Mit neuen Materialien wie Kunststoffen, neuen metrischen Rahsegel ausgestattet, das bei je- wurde an dem zwischen zwei und drei Kilometer Techniken und höherer Produktivität begann in der Wende heruntergefiert, hinter den Mast ge- langen Netz vertäut, um sich dann während der den 1960er Jahren der allgemeine Rückgang tragen und dann erneut gehisst werden musste. Nacht damit treiben zu lassen. Diese Art der Fi- dieses Gewerbes. Von den vielen Bootsbauerei- Dieses Manöver erforderte bis zu fünf Mann und Abb. 6: Fischerfrauen von Aspö wahrscheinlich auf dem scherei nannte man in Blekinge vraken, so dass en, die noch vor hundert Jahren wie Perlen auf bestimmte dadurch die Größe der Besatzung. Heimweg vom Fischverkauf in der Stadt, um 1920. nach dieser Fangmethode die vrak­eka ihren Na-

132 133 Abb. 7: Die vrakeka KLAURA des Blekinge Museum ist eine 1985 erbaute Replik der vrakeka ÖLAND der Bootswerft Gebrü- Abb. 9: Eine krokeka oder so genannte kvasse unter Segeln in den Schären von Hällaryd vor Karlshamn. der Mårtensson auf Östra Hästholmen in den östlichen Schären von Blekinge.

Frachteka oder GroSSeka

Der größte Typ der blekingseka wurde für Trans­ portzwecke benutzt und maß zwischen 35 und 45 Fuß. Dieser Bootstyp konnte 15 bis 20 Tonnen laden und wurde unter anderem für den Transport von Steinen und Sand eingesetzt, aber auch, um Vieh, Futter und Dünger zu transportieren. Die Boote wurden mit Segeln und Rudern angetrie- ben. Die Segelfläche betrug etwa 150 Quadrat- meter, verteilt auf Fock und Großsegel. Die nor- male Art des Riggs war ein Sprietsegel, aber es gab auch Gaffelsegel. Während der 1930er Jahre Abb. 8: Die vrakeka ÖLAND wird auf auf einer Frachteka zum erhielten viele Boote einen Rohölmotor. Die letz- Blekinge Museum transportiert. te Frachteka war bis Anfang der 1970er Jahre in Betrieb, wurde dann verkauft und zu einem Frei- Abb. 10: Vier Mann in einem Boot auf dem Weg zu ihren Reusen in den östlichen Schären von Blekinge, um 1920. zeitboot umgebaut (Abb. 7 und 8). men erhielt. Nach dem Einholen der Netze se- gelte man möglichst nach Hause, wo frühmor- krok­eka mit Fischkasten nannte man kvass oder gens schon die Frauen der Fischer warteten, Krokeka kvasse, ein Wort das wahrscheinlich deutschen um die Fische aus den Netzen zu pulen. Danach Ursprung ist (vergl. Quatze) und das durch die segelten oder ruderten die Frauen zum Fisch- Die krokeka (schwedisch: krok = Haken, hier An- deutschen Aalaufkäufer nach Blekinge gelangt markt in der Stadt, um dort den Fang der letzten gelhaken) war zwischen 20 und 23 Fuß lang und ist (Abb. 9). Nacht zu verkaufen. Die Frauen in den Fischer- wurde zum Angeln auf Lachs, Aal und Dorsch dörfern waren hochgeschätzt. Sie kümmerten verwendet. Das Boot war mit einem Sprietsegel sich um den Fischverkauf, um den Haushalt, und einer Stagfock getakelt. Die krokeka konn- Sätteka die Kinder und um das Einkommen der Familie. te ebenfalls zwei Masten haben und führte in Ein Fischer beschrieb das so: „Alles hing an der solchen Fällen ein kleineres Sprietsegel an ei- Die sätteka wurde zumeist in der küstennahen Frau. Sie war das Glück des Hauses. Und wenn nem kleinen Mast am Heck, der jäck genannt Fischerei, wo man mit Angeln verschiedener es manchmal noch so schwer war, so war sie wurde. Vor ungefähr einhundert Jahren begann Größe fischte, eingesetzt. Das Boot war mit ei- es doch, die alles rettete und richtete...“ (Abb. man, einen Fischkasten in die Boote einzubau- Abb. 11: Kleinere Ekas in einer Bucht bei Slättanäs in der nem Mast für Sprietsegel und Fock ausgestattet 5 und 6). en, um die Fische lebend zu transportieren. Eine Nähe von Ronneby, um 1925. und zwischen 15 und 20 Fuß lang (Abb. 10).

134 135 Ruderboot

Ruderboot oder einfach nur Boot wurden die kleineren Ekas bis 14 Fuß Länge oder kleiner ge- nannt, die in den inneren Schären zur Jagd, zum Fischen oder für Transportzwecke benutzt wur- den. Oft besaßen diese Boote kein Rigg (Abb. 11).

Die Blekingseka als Freizeit- und Segelboot Im 20. Jahrhundert verlor die blekingseka ihre Funktion als Fischerei- und Transportfahrzeug. Aber sie blieb als Freizeitboot populär. Schon Abb. 12: Während des 20. Jahrhunderts verlor die bleking- während der 1860er Jahre wurden Regatten für seka ihre Funktion als Fischer- und Transportboot, aber blieb Blekingsekas ausgetragen und an den Kais in nach wie vor als Freizeitboot populär. Regatta mit Bleking- den Städten lagen Blekingsekas, die von der sekas in Karlskrona, 1912. Stadtbevölkerung für Freizeitzwecke genutzt wurden (Abb. 12 und 13). Heutzutage werden nur noch wenige neue Ekas Rahmen des Unterrichts erbaut (Abb. 14). Auch erbaut, aber der Bootstyp wird immer noch neue Materialien gibt es. Die Segel sind heute hergestellt. In der Bootsbauklasse der Litori- oft aus Kunststoff gefertigt und eine blekingseka na Volkshochschule in Karlskrona werden zum kann auch aus Plastik entstehen. Regatten mit Beispiel jedes Jahr mehrere dieser Boote im diesen Booten erfreuen sich großer Beliebtheit Abb. 14: Die Schüler der Bootsbauklasse an der Litorina Volkshochschule in Karlskrona bauen jedes Jahr mehrere Blekingsekas.

und jedes Jahr gibt es in Matvik bei Karlshamn Båtar i Blekinge. Båtdokumentationsgrup- eine so genannte Weltmeisterschaft für Bleking- pen, S. 1-141. sekas wie auch andere Segelveranstaltungen Humbla, P. H. (1933): Inre Hanöbuktens båtar. im Zusammenhang mit dem Ostseefestival in Blekingeboken 1933, S. 73-107. Karlshamn. Nilsson, N. (2010): Båtar och båtbyggeri i Ble- kinge. Blekingeboken 2010, S. 113- 159 Übersetzung aus dem Schwedischen und An- Nilsson, N. (1978): Hur gammal är bleking- merkungen von Peter Danker-Carstensen, Ros- sekan?. Kulturen 1977, S. 73-84. tock. Nilsson, N.J. (1957): Blekingsk fiskekultur. Ble- kingeboken 1957, S. 20-76. Rietz, T. (1929): Båtbyggerier i Blekinge. Blekin- QUELLEN geboken 1929, S. 143-154. Rosén, M.(1987): Hasslöborna. Sandby Grafis- Blekinge Museums kystkulturundersökning, ka Lund, 223 S. Archiv des Blekinge Museums Karlskrona Rudolph, W. (1959): Sydsvenska båttyper i Pommern och på Rügen. Ett bidrag till den tyska östersjötrålarens historia. Blekinge- LITERATUR boken 1959, S. 56-68. Svensson, B. O. (2002): Saxemara båtvarv. Ble- Atterman, I.: Meddelande och notiser. Blekinge- kingeboken 2002, S. 88. boken 1956 - 1970. Atterman, I. (1961): Blekinge museums båtun- dersökning 1960. Blekingeboken 1961, S. 120-128. Atterman, I. (1962): Blekinge museums båtun- dersökning 1961. Blekingeboken 1962, S. 135-142. Atterman, I. (1964): Från kusterna, Blekingebo- Abb. 13: Blekingsekas in Björkholmen, einem Arbeiterstadtteil in Karlskrona um 1900. Die Boote wurden von der Stadtbe- ken 1964, S. 147-162. völkerung zum Fischen und für Ausflüge genutzt. Andersson, B., Claesson, S., Skanse, P. (1983):

136 137 von Archäologen geborgen wurden. Bestimmte Fischereifahrzeuge Erkenntnisse bringt auch ein Ensemble von 106 Spielzeugmodellen mittelalterlicher Boote, un- ter denen Fischerboote ausgesondert werden an der Pommerschen Ostseeküste konnten (Smolarek, 1969). Außer Plankenbooten wurden in Pommern viele Einbäume entdeckt. Jerzy Litwin Diese fanden sich jedoch mehrheitlich im Bin- nenland, dort, wo sie benutzt wurden. Die Anzahl der Hochseeboote (Kähne) ist demgegenüber gering. Unter Beachtung der nautischen Verhält- nisse in offenen Gewässern oder auf See darf man vermuten, dass Einbäume dort selten ver- wendet wurden. Hinzu kommt, dass sich Wracks Wracks als Quellen unter den Bedingungen der Ostsee kaum erhal- der Fischereigeschichte ten haben. Dagegen konnten Einbäume in den Gewässern der Putziger Wiek und bei gutem Der Fischfang in der Ostsee zwischen Oder- und Wetter auch in der ufernahen Zone der Danziger Weichselmündung war und ist weiterhin eine der Bucht verwendet werden. In der Sammlung des wichtigsten Beschäftigungen für eine ziemlich Polnischen Schifffahrtsmuseums befinden sich große Bevölkerungsgruppe. Das Gewerbe hat Wracks von Einbäumen, die im Fischereihafen derzeit zwei Formen: Ein Teil der Fischer ist auf in Jastarnia (Heisternest) sowie in der Ostsee in See auf modernen, in Häfen stationierten Kut- Höhe des Łeba-Sees von einem schwedischen tern tätig, die andere Gruppe benutzt Boote, mit Kutter geborgen wurden. Ein modifizierter Ein- Abb. 2: Das älteste Wrack eines slawischen Fischerbootes denen die Fischer von Strandliegeplätzen aus in baum (mit Spanten) wurde in den 1960er Jahren aus dem 9. Jahrhundert wurde 1962 in (Stettin) See stechen. Die Boote der Küstenfischer an der in der offenen See (Gotlandtief) durch ein pol- entdeckt. polnischen Ostseeküste sind mehrfach moder- nisches Fischereifahrzeug geborgen. Auch ein nisiert worden, somit ist es schwierig, in ihnen schwedischer Kutter hat ein Einbaumfragment den traditionellen, volkstümlichen Charakter zu geborgen, das zunächst ins Schifffahrtsmuseum Zeichnung eines Fischerbootes von der südli- entdecken. Eine Ausnahme bilden einzig die Göteborg kam und später dem Polnischen Schiff- chen Ostsee publizierte M. Girdwoyń (1881), Boote der Kaschuben, in denen die Ursprünge fahrtsmuseum übergeben wurde. In diesem Fall nachdem er die Fischerei-Ausstellung in Ber- des alten Bootsbaus noch zu erkennen sind. ist es fraglich, ob es sich um ein Hochseeboot lin besucht und ein solches Boot, das „für den Die so genannten Küsten-Kaschuben wohnen handelt (zu niedrig und zu schmal). Eher ist es ein Lachsfang aus der Gegend von Kolberg gekom- in Ortschaften des Küstenabschnittes westlich Artefakt aus dem Binnenland, das durch einen men ist“, kennen gelernt hatte (Abb. 4). Dieser von Danzig bis zur Umgebung des Łeba-Sees. Fluss in die offene See getragen wurde. Ein gut „Konstrukteur“ hat allerdings Form und techni- Mit der Geschichte der Hochseefischerei im erhaltenes Kahnwrack wurde während unterwas- sche Merkmale des Bootes teilweise geändert, polnischen Pommern haben sich schon mehr- Abb. 1: Bergung eines Bootswracks aus dem 12. Jahrhun- serarchäologischer Forschungen in der Putziger um es den Zwecken der Binnen-Fischerei an- fach Wissenschaftler beschäftigt (Łęga, 1949; dert, das während unterwasserarchäologischer Forschun- Wiek entdeckt (Abb. 1). zupassen. Das von Girdwoyń dokumentierte gen vor Puck (Putzig) entdeckt wurde. Frühmittelalterliche Bootswracks an der pom- Boot zeichnete sich durch gerade, geneigte merschen Küste – von Rügen bis zur Weich- Steven und verhältnismäßig hohen Kiel aus, der selmündung – bezeugen den in dieser Region bei Booten von der südwestlichen Ostseeküste Die Pommersche Ostseeküste Kmieciński, 1955; Ropelewski, 1963; Zbierski, entwickelten Bootsbau und zeigen Analogien häufig vorkommt. Die Außenhaut des Rumpfes An der Küste Pommerns liegen die Pom- 1978; Rulewicz, 1994). Diese Autoren richteten in der Bautechnik, die als slawisch bezeichnet bildeten vier breite Plankengänge in Klinkerbau- mersche Bucht (Zatoka Pomorska) und ihr Augenmerk vor allem auf die formelle Seite werden. Das älteste Beispiel unter diesen ist weise. Den Antrieb sicherten ein Sprietsegel und das dahinterliegende Stettiner Haff (Za- der Fischerei und haben nur am Rande die wich- das Wrack eines Fischerbootes aus Stettin (Fi- eine dreieckige Fock. Darüber hinaus war das lew Szczeciński), auch Oderhaff genannt. tigsten Fischereigeräte, nämlich die Boote, be- lipowiak, 1988; Rulewicz, 1994; Abb. 2). Als Fi- Boot mit zwei Paar Riemendollen ausgestattet. Die größten Inseln vor der Pommerschen achtet. Viele Informationen über alte Boote und scherboote aus Pommerellen gelten das Wrack Abgesehen von gewissen Vereinfachungen und Küste sind Usedom, Wollin () und alte Bootsbautechniken erhält man hingegen aus Mechelinki (Mechlinken) sowie der modi- den durchgeführten Anpassungen, kann man Rügen. Da das Stettiner Haff (Oderhaff) durch Wrackfunde (Delimat, 1959; Smolarek, fizierte Einbaum aus Danzig (Smolarek, 1969). bei diesem Boot einige konstruktive Merkmale eine Meeresbucht ist, sind die drei Mün- 1969, 1972; Rulewicz, 1994; Litwin, 1995). Leider Beide Autoren haben das Wrack aus Mechelinki feststellen, die denen in Booten aus der Danzi- dungsarme der Oder, also Peenestrom, hat man in keinem der Bootswracks aus dem 9. nicht klar als Rest eines Fischerbootes erkannt. ger Bucht ähnlich sind. Swine (Świna) und Dievenow (), bis 13. Jahrhundert, die in Pommerellen entdeckt Die genannten Wrackfunde beweisen, dass an keine Flüsse, sondern Meeresarme. Zwi- wurden, mit der Fischerei verbundene Artefakte der slawisch besiedelten Ostseeküste bereits schen Dievenow und Danziger Bucht gefunden. Deswegen ist es auch schwierig, das im 9. bis 11. Jahrhundert ein Typ eines Fischer- Die Entwicklung (Zatoka Gdańska) erstreckt sich die Pom- Aussehen damaliger Fischerboote zu beschrei- Plankenbootes existierte, mit dem die Küsten- im 19. Jahrhundert mersche Ausgleichsküste. Am Ende der ben. Eine Vorstellung über die Form solcher gewässer befahren wurden. Ikonografische Ausgleichsküste ragt die Halbinsel Hela Fahrzeuge bringt die Analyse von Rumpffrag- Quellen, die Fischerboote der südlichen Ostsee Einen großen Aufschwung der Fischerei in den (Mierzeja Helska) in die Danziger Bucht. menten und anderer Konstruktionselemente, die dokumentieren, stammen aus bedeutend spä- Gewässern des Danziger Pommerns (histori- auf dem Gelände der Fischersiedlung in Danzig teren Zeiten. Die älteste bekannte technische sches Pommerellen) brachten die letzten Jahre

138 139 des 19. Jahrhunderts. Zu der Zeit erschienen – das die Kaschuben nannten. Die dort skandinavische, mit Treibnetzen ausgerüs- neuen Bootskonstruktionen und das benutzte Kaschubien tete Kutter und große Segelboote, so genannte Fischereigerät, aber auch die guten Fanger- Die Kaschubei (auch Kaschubien, kaschubisch Kaszëbë oder Kaszëbskô, polnisch Kaszuby) pomeranki (etwa „Boote aus Pommern“, Singu- gebnisse, ermutigten die Kaschuben, ebenfalls ist der nördliche Teil der historischen Region Pommerellen in Polen, westlich und südwest- lar: pomeranka) der Fischer aus Hinterpommern solche Boote zu kaufen. Später, um die Jahr- lich der Städte Danzig und , in der Kaschubisch gesprochen wird. Im Jahr 1900 gab es an der Grenze zur Provinz Westpreußen 14 162 Personen mit polnischer Muttersprache und am Łeba-See sowie am Garder See insgesamt 310 Personen mit kaschubischer Mut- tersprache. Benannt wurde die Kaschubei nach der Volksgruppe der Kaschuben, die dort Vor-, Hinter-, West- und Kleinpommern – Pommerellen – Pomerania lebt. In seiner Arbeit „Geografia współczesnych Kaszub” (Geographie der heutigen Kaschu- Die historische Landschaft Pommern bzw. die spätere preußische Provinz Pommern bei) hat der Danziger Wissenschaftler Jan Modrawski (1999) ethnologische Kriterien erstellt, umfasst ein Gebiet im Nordosten Deutschlands und im Nordwesten Polens, das von der nach denen Gebiete des heutigen Polens als Kaschubei angesehen werden dürfen. Die Be- Ostseeküste von knapp 50 Kilometer bis zu fast 200 Kilometer weit ins Binnenland reicht dingung, dass mindestens ein Drittel der Bewohner Kaschuben sind, erfüllen 43 Gemeinden (Abb. 3). Der Name „Pommern” ist slawischer Herkunft (po more „am Meer“). Westliche Be- in der Wojewodschaft Pommern. grenzung ist die Recknitz. Über die Ausdehnung nach Osten gibt es Unterschiede zwischen dem deutschen und dem polnischen Sprachgebrauch: Im deutschen Sprachgebrauch wird unter Pommern das Gebiet des früheren Herzogtums Pommern, der späteren preußischen Provinz, verstanden. Die Provinz Pommern lag innerhalb der deutschen Staatsgrenzen von hundertwende, hat man Boote nach fremden chen Umständen das geschah, bleibt unklar. 1937 und existierte als solche von 1815 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Das Gebiet Mustern nachgebaut und Modifikationen her- Eine Version ist, dass 1863 ein Fischer aus setzt sich aus dem westlich der Oder gelegenen Vorpommern (heute der östliche Teil des gestellt. Das führte zur teilweisen Umstrukturie- Chłapowo (Chlapau) das erste Boot in Dziwnów Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern) und dem östlich der Oder gelegenen Hinter- rung der Fangflotte, woraufhin 1893 in Hela ein (Dievenow) erstanden hat (Netzel, 1955). Nach pommern (entspricht weitgehend der polnischen Woiwodschaft Westpommern, (polnisch: Hafenbecken für Kutter und große Fischerboote anderen, eher legendenhaften Überlieferungen, województwo zachodniopomorskie; kaschubisch: zôpadnopòmòrsczé) zusammen. Die öst- erbaut wurde. soll in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lich an Hinterpommern anschließende Landschaft bis zur Weichsel wird Pommerellen ge- Die ersten pomeranki wurden von kaschubi- nach einem starken Sturm am Ufer bei Karwia nannt, was so viel wie „Kleinpommern“ bedeutet. schen Fischern in der zweiten Hälfte des 19. (Karwen), bzw. nach anderen Aussagen bei Jahrhunderts in Betrieb genommen. Unter wel- Chlapau, ein Fischerboot aus Hinterpommern Die Woiwodschaft Pommern, (polnisch: województwo pomorskie; kaschubisch: Pòmòrs- czé wòjewództwò) mit der Hauptstadt Gdańsk (Danzig) umfasst heute den Osten der his- torischen Landschaft Pommern mit Pommerellen und dem äußersten Osten der früheren preußischen Provinz Pommern. Das Polnische kennt die Bezeichnung Pommerellen nicht und fasst die gesamte Danziger Ge- gend am linken wie am rechten Ufer der unteren Weichsel unter dem Namen Pomorze Gdańskie (Danziger Pommern) – auch Pomorze Wschodnie (Ostpommern) oder Pomorze Nadwiślańskie (Weichselpommern) genannt – zusammen. Das Gebiet der ehemaligen preußischen Provinz Pommern wird im Polnischen Westpommern oder auch Stettiner Pommern genannt.

Bornholm

Zatoka Gdańska Danziger Bucht

Rügen Zalew Wiślany Gdańsk Frisches Haff Zatoka Pomorska Danzig Pommersche Bucht Stralsund VORPOMMERN Świnoujście POMORZE GDAŃSKIE Swinemünde Danziger Pommern Recknitz POMMERELLEN Zalew Szczeciński Kleinpommern Stettiner Haff MECKLENBURG- Szczecin OSTPREUSSEN VORPOMMERN Stettin (seit 1990) HINTERPOMMERN

Wis Weichselła

Odra BRANDENBURG Oder WESTPREUSSEN (seit 1990)

DEUTSCHLAND POLEN

Abb. 3: Das Gebiet der preußischen Provinz Pommern (1815-1945) und die angrenzenden Regionen. Abb. 4: 1881 erstmalig publizierte Konstruktionszeichnung von M. Girdwoyń für ein Binnensee-Fischerboot, das ein see- tüchtiges Boot aus Kolberg zum Vorbild hatte.

140 141 Abb. 5: Die letzte pomeranka DĘB. 5 – Hochseefischerboot auf einer Düne in ęD bki bei Władysławowo vor dem Abtransport in das Polnische Schifffahrtsmuseum Gdansk, 1973.

er als Schablone die Spanten eines aufgelegten angelegt haben. Die Besatzung und ihr Boot veröffentlicht wurde. Es war 1890 in Kolberg ge- Fahrzeuges verwendete. Konstruktiv erinnert erweckten das Interesse der örtlichen Fischer, baut worden. Das bestätigt die Vermutung, dass diese pomeranka, die die „letzte Generation“ und so sollen diese mit Hilfe der pommerschen die pomeranki nicht ursprünglich im Danziger großer hölzerner, mit Motor und/oder Segel an- Kollegen ein ähnliches Fahrzeug gebaut ha- Gebiet entstanden sind. Wie sahen also die ori- getriebener Boote dokumentiert, an traditionel- ben (Netzel, 1971). Ob und in welchen Konst- ginalen pomeranki aus? Man kann annehmen, le Boote. Es fehlt ihr nur die charakteristische, ruktionsdetails sich die Boote der Fischer aus dass sie einen Balkenkiel mit seitlichen Ausspa- den Freibord erhöhende Planke, mit der die po- Hinterpommern von den hiesigen Fahrzeugen rungen (Sponungen) für den ersten Planken- meranki der vergangenen Epoche ausgestattet unterschieden, ist heute schwer festzustellen. gang der Außenhaut hatten. Ein solches Boot waren. Diese an den Scheergang von der Innen- Auch die ältesten Fischer erinnern sich daran könnte Girdwoyń 1880 in Libau (Estland) gese- seite des Rumpfes angenagelte Planke hatte nicht mehr, und die Anzahl erhaltener Fotos, hen haben (Girdwoyń, 1881), denn ohne nähere Ausschnitte für die Riemen, die bei Fahrt unter die technische Einzelheiten der pomeranka zei- Kenntnis des Nutzens eines „Kielbootes“ für die Segeln mit speziellen Brettchen verdeckt wur- gen, ist gering. Dennoch ist bekannt, dass die Binnenfischerei, schlug er eine ähnliche Lösung den (Abb. 6a und b). größten kaschubischen Boote – bot laskornowy des Kiels in dem von ihm ausgearbeiteten Ent- (Wadennetzboot) – bis zu sieben Meter lang wurf eines Bootes für die Binnenseefischerei vor und etwa 2,8 Meter breit waren. Die Maße einer (Girdwoyń, 1881, Tafel III; siehe Abb. 4). Tatsa- Pomeranki und Fischkutter pomeranka waren: Länge: 8 bis 9 Meter; Brei- che ist, dass der Balkenkiel zu Beginn des 20. te: 2,5 bis 3,0 Meter. Wahrscheinlich besaßen Jahrhunderts in Küstenbooten in Westpommern Die ersten, aus Westpommern übernommenen diese großen Boote technische Lösungen, die angewandt wurde (Timmermann, 1962). In den Abb. 6a und b: Konstruktionszeichnung und Takelriss der pomeranki führten Sprietsegel, die jedoch spä- den Kaschuben bis dahin nicht bekannt waren, Gewässern des Danziger Pommerns, wo Untie- pomeranka DĘB. 5. ter, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, durch Gaf- wurden doch die ersten pomeranki in Hinter- fen häufiger waren, hat man bei den dort gebau- felsegel ersetzt wurden. Das bis heute erhaltene pommern gekauft. Eines von diesen war das ten pomeranki den Balkenkiel durch eine starke Boot dieser Art hat in seiner Ausstattung den bis 1939 im Kaschubischen Museum in Dębki Planke ersetzt, deren Kanten die Beplankung der küstennahen Gewässer erwiesen sich kleine Mastbaum und das originale Rigg. Bei der Aus- (Dembeck) ausgestellte Boot. Dieses hatte der des Bootsbodens nicht überschritten. Boote mit dreiköpfiger Besatzung als rentabler. rüstung ist die Art, auf welche die Gaffel mit dem Fischer Augustyn Kur in Białogóra (Wittenberg) Andere technische Details der pomeranki wi- Für die Bedienung einer pomeranka waren so- Mast verbunden ist, beachtenswert. Zu diesem gekauft und, nachdem er dieses nicht mehr chen nicht allzu sehr von analogen Elementen gar fünf Personen nötig. Die letzte, bis 1973 be- Zweck hat man aus Leisten eine Art Tülle ge- nutzte, dem örtlichen Museum übergeben (Wr- der traditionellen kaschubischen Boote ab. Das nutzte pomeranka sicherte sich das Polnische fertigt, die mit der daran befestigten Gaffel am zosek, 1957). Ein anderes Boot – MECH 4 – fin- beweisen pomeranki aus den 1960er Jahren. Schifffahrtsmuseum (Abb. 5). Das Boot hatte Mast auf und ab gleiten konnte. Manche pome- det man im Register der Fischerboote aus dem Später wurden sie aus wirtschaftlichen Grün- 1958 der Fischer Augustyn Czapp (geb. 1896) ranki führten noch zusätzliche Segel – ein Vor- Jahr 1946, das im damaligen Fischereikalender den außer Betrieb gesetzt. Wegen Überfischung aus Wierzchucino (Wierschutzin) gebaut, wobei segel am Bugspriet sowie ein Toppsegel. Das

142 143 Bugspriet gehörte nicht zum stehenden Rigg, fe einiger Jahre hatte ihre Anzahl im Danziger so wie die Toppstenge wurde es erst beim Füh- Pommern 50 überschritten (Ropelewski, 1963). ren des entsprechenden Segels gesetzt. Das Diese Kutter waren bis zu 6,6 Meter lang, ihre geschah immer bei gutem Wetter, gleichzeitig Breite betrug etwa 2,5 Meter. Später, am Anfang mit dem Aufstellen des Mastes. Üblicherwei- des 20. Jahrhunderts, hatten sie eine Länge von se fuhr man vom Strand unter Riemen ab und über zehn Meter. Die Rümpfe der Kutter hatten ebenso kehrte man durch die gefährliche Bran- andere als bislang übliche Querschnitte – die dung zurück. Umrisslinie des halben Spants war einem läng- Die Brandungswellen waren gefährlich. Für ihre lichen Buchstaben „S“ ähnlich. Diese Form war Überwindung musste der Mast gelegt werden, typisch für skandinavische Boote der Wikinger- damit der Schwerpunkt des Bootes tiefer lag zeit. Die Kutter hatten eine Klinker-Beplankung und die Wirkung des Windes geringer wurde. und waren in ganzer Länge mit einem Deck ver- Um den Mast schnell legen zu können, war sein sehen. Kennzeichnend waren die abgerundeten Befestigungssystem leicht zu bedienen. Sowohl und leicht geneigten Steven sowie eine ovale das Stag als auch die Wanten hatten keine Tal- Vertiefung des Cockpits im Heck. Auf dem Deck jen zum Straffen, nur Wantenspanner oder leicht befanden sich ein niedriger Aufbau der Kajüte, zu lösende Taue, die meistens an metallenen die Laderaumluke und im Bug eine Vertiefung Haltern befestigt waren. Lagen die pomeran- des Decks für diejenigen Fischer, die die Treib- ki im Hafen und nicht auf dem Strand, war das netze auswarfen bzw. einholten (Abb. 7). den Mast versteifende Tauwerk dauerhaft ange- Anfangs wurden die Kutter gesegelt. Die Take- bracht. lung bildeten ein Gaffel- bzw. Sprietsegel, eine Pomeranki waren bei den Fischern in Wielka Fock, ein Klüver sowie ein dreieckiges Topp- Wieś / Władysławowo (Großendorf) und weiter segel. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden westlich sowie in den Fischersiedlungen zwi- viele Treibnetzkutter mit Motoren ausgerüstet. Abb. 8: Von F. Ledke in Władysławowo gebauter Kutter. schen Danzig und Gdynia populär. Auf der Halb- Während die pomeranki in der Kaschubei nach insel Hela wurden sie nur sporadisch eingesetzt, Bedarf gebaut wurden, hat man aber viele Jahre gewöhnlich zum Transport der Fische zu den lang keine Kutter gebaut. Sie wurden in Hinter- er nach dem Muster skandinavischer Kutter ei- Kuttern nach dänischem Muster, die aufgrund Märkten in Putzig, Gdynia und Danzig. In Hela, pommern und in Skandinavien gekauft (Rope- nen ähnlichen, 15 Meter langen Rumpf für einen von eigenen Beobachtungen und Kundenwün- und später auch in einigen Dörfern auf der Halb- lewski, 1963). Erster polnischer Kutterbauer war Danziger Fischer. Der nächste 13-Meter-Kutter schen modifiziert wurden. insel Hela, kamen kleine Kutter zum Einsatz, die Franciszek Ledke (geb. 1888). Den Bootsbau- war für einen Fischer aus Gdynia bestimmt. Die Geschichte des Bootsbaus in Pommern, be- in ihrer Konstruktion dänische und schwedische erberuf erlernte er in einer Werkstatt in Kolibki Während Ledkes Boote noch traditionelle Form sonders in West- und im Mittleren Pommern war Fischkutter zum Vorbild hatten. Die Fischer aus (gehört heute zu Gdynia). 1919 machte er sich und Konstruktion aufwiesen, waren seine Kut- in den 1950er Jahren Thema der Forschungen Kolberg waren in ganz Pommern die ersten, selbständig, indem er eine Bootsbauwerkstatt ter bereits anders konstruiert. Sie hatten zwar von Tadeusz Delimat. Die Ergebnisse des viel- die solche Fahrzeuge besaßen. Im Jahre 1887 in Gdynia gründete (Litwin, 1982). Anfänglich eine mit starken Spantenrahmen versteifte Klin- fältigen von ihm ausgewerteten Materials wur- verfügte man dort über elf Kutter und im Lau- baute Ledke Fischerboote. 1922 konstruierte kerbeplankung, aber beim Formen der Planken den um 1958 in seiner Dissertation unter dem bediente man sich hölzerner Spantenschablo- Titel: „Seeboote der südlichen Ostseeküste“ nen, den so genannten Mallen. Im Achtersteven niedergelegt. Trotz intensiver Suche ist es leider befand sich ein Einschnitt für das „Fenster“ des nicht gelungen, an diese Arbeit zu kommen. Die Propellers. Im Jahre 1928, im Zusammenhang Schlussfolgerungen der damaligen Materialaus- mit der Entwicklung neuer Fischfangmethoden, wertung sind interessant, da zu der Zeit, in der nahm das Polnische Fischereiinstitut in Gdynia Delimat seine Forschungen betrieb, die Über- die Zusammenarbeit mit Ledke auf. Im Ergebnis bleibsel des lokalen volkstümlichen Bootsbau- konnte sein mittlerweile ausgebauter Betrieb, in es, der bald darauf verschwinden sollte, noch dem zahlreiche Arbeiter beschäftigt waren, seit zu erkennen waren. Die Zusammenfassung der 1931 innerhalb von fünf Jahren 16 Kutter ablie- Forschungsergebnisse war folgende: „(...) zwi- fern (Abb. 8). schen der Weichsel und der Oder sind Boote im Gebrauch, die ähnlich wie die deutschen, auf Kiel gebaut sind, aus Planken in Klinker- Bootsbau nach bauweise, die sich jedoch von den deutschen dem Zweiten Weltkrieg in einigen wesentlichen Details unterscheiden. Sie haben immer zwei Steven, die dazu im all- 1946 hatte Ledkes Sohn, Leon, eine Bootsbau- gemeinem höher als die deutschen und – was werkstatt mit einigen Arbeitern in Władysławowo den Vorsteven betrifft – immer oder fast immer gegründet. 1948 schloss sich ihm auch sein Va- geschwungen sind. Darüber hinaus haben die ter an und baute zum ersten Mal einen Kutter Steven immer die Form eines mit dem Rücken mit Kraweelbeplankung. Diese Bootsbauer wa- zum Bootsinneren gewandten Keils, was an den ren 1951 gezwungen, ihre Tätigkeit aufzugeben. deutschen Küsten nicht die Regel ist. [...] Am Abb. 7: Treibnetzkutter am Strandliegeplatz in Kuźnica (Kußfeld) auf der Halbinsel Hela, 1976. Ihre Leistung war der Bau von mehr als zehn meisten jedoch, und das schon auf den ersten

144 145 in , erweiterte Rutkowski die Palette der gebauten Boote um Konstruktionen aus Kunst- stoff. Daraus resultiert, dass fast die Hälfte der Fischerboote von Piaski (Neukrug) auf der Fri- schen Nehrung bis Orłowo bei Gdynia und von Łeba bis Swinemünde, in Sianów entstanden ist. Viele Boote wurden auch in anderen Werk- stätten gefertigt (Abb. 10). Dagegen benutzt die kaschubische Bevölkerung von Babie Doły bei Gdynia bis Dębki (Dembeck, etwa 15 km west- lich des Leuchtturmes von Rixhöft) auch weiter- hin traditionelle, hölzerne Boote bis sieben Me- ter Länge, auf deren Bau man nicht verzichtet hat – und bis heute kann man sie noch in ihrem natürlichen Milieu sehen. Darüber hinaus über- Abb. 10: Serienmäßiger Bootsbau unter Verwendung von dauerten auch einige ältere Boote in sekundär- Mallen in der Werft Szkuner in Władysławowo um 1980. er Nutzung, meist als aus halbierten Rümpfen zusammengesetzte Geräteschuppen. Mehrere traditionelle Boote wurden auch durch das Pol- nische Schifffahrtsmuseum in Danzig gesichert, Pommern in Polen – das diese in seiner Fischerabteilung im Fische- Pommern in der DDR reimuseum Hel präsentiert. 1945 wurde Hinterpommern, einschließ- Kaschubische Boote, gleich, ob sie in Putzig, lich des Gebietes um Stettin, unter vor- Abb. 9: Fischerboote an der westlichen polnischen Küste, 1974. in Rewa bzw. in Heisternest entstanden (Se- läufige polnische Verwaltung gestellt, de ligo, 1931; Mitzka, 1933; Timmermann, 1962) facto aber administrativ dem polnischen waren sich ähnlich, und die Analyse der Abbil- Staat eingegliedert. Der verbleibende Teil Blick, unterscheiden sich diese Boote von den nahezu gänzlich durch die Kriegshandlungen dungen, auf denen Fischerei gezeigt wird so- Vorpommerns wurde 1945 Teil der Sowje- deutschen durch die mittschiffs größte Breite zerstört. Von der Kutterflotte blieben weniger als wie die Beschreibungen der Nutzung der Boote tischen Besatzungszone. Mit der Bildung der Borde. [...] Das alles zeigt, dass die moder- 10 % versunkener Schiffe übrig, die nach Ber- (Gołębiewski, 1975) bestätigen die Vermutung, des Landes Mecklenburg-Vorpommern nen seetüchtigen Boote, die in polnischen Küs- gung und Reparatur für den Fischfang geeignet dass man damals Fischfang im küstennahen Be- im Juli 1945 endete die Existenz der tengewässern fahren, denjenigen sehr ähneln, sein werden. Ähnlich sieht es mit den Fischer- reich, unter Beibehaltung des Sichtkontakts mit preußischen Provinz Pommern. Die DDR die hier schon im Mittelalter verbreitet waren booten aus“ (Kulikowski, 1947). Nach seinen dem Festland, betrieben hat. Und für eben diese erkannte die neue Grenze zu Polen be- und aus Grabungen bekannt sind. Das erlaubt Angaben gab es per 1. Januar 1946 noch sechs Form des Fischfangs waren kleine Plankenboo- reits 1950 diplomatisch an, die Bundesre- die Hypothese von im Prinzip ununterbrochener Kutter und 64 Boote (Kulikowski, 1947). In der te mit an die lokalen Bedingungen angepasster publik Deutschland erst indirekt 1972 und Entwicklungskontinuität dieser Boote zu stellen“ Anfangszeit des Wiederaufbaus der Fischerei im Rumpfform ausreichend. Diese Form hat sich im endgültig mit dem deutsch-polnischen (Delimat, 1959). nun polnischen Hinterpommern benutzte man Laufe der Jahrhunderte mit ständigen Korrektu- Grenzvertrag von 1990. Die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts reparierte Fahrzeuge. Nach 1947 hat man in ren herausgebildet, bis sie, am Anfang des 20. in den Küstengewässern Pommerns von der Werften und Schiffsreparaturbetrieben auch den Jahrhunderts als optimal erkannt, keine weite- Mündung der Łeba bis zur Odermündung für Bau neuer, nach traditionellem Muster gestal- ren Änderungen erfuhr. Die Einhaltung der rich- den Fischfang benutzten Boote erinnern an teter Boote aufgenommen. Nach 1950 gingen tigen Proportionen war unentbehrlich für eine Kaschubische Fischerboote wurden seit Beginn die bereits beschriebene pomeranka. Obwohl diese Werften z. B. die Werft in Ustka (Stolp­ sichere Bewältigung der kurzen, hohen Wellen, des 20. Jahrhunderts immer öfter durch Motoren die Boote der westlichen Küste oft direkt auf münde) zur Produktion von Fischkuttern über. die im Küstenbereich oft vorkommen und be- angetrieben, die Segel und Riemen verdräng- dem Strand lagen, hatten sie einen Balkenkiel Den Bau von Booten für die Küstenfischerei hat sonders gefährlich sind. Die Brandungszone ten. Solche Boote werden bis heute sowohl (Abb. 9). Ein hoher Kiel war bei den mit Motor man aufgegeben. Nicht alle Ansiedler waren in musste jedes Boot passieren, um die offene See von einigen Fischern als auch von Bootsbauern ausgestatteten Booten unentbehrlich, weil er die der Lage, selbst Boote zu bauen. Diesem Be- zu erreichen und um zum Liegeplatz am Strand hergestellt. Die bekanntesten sind die Strucks: Abdrift verhinderte und den Propeller beim Auf- darf kamen selbständige Bootsbauer entgegen, zurückzukehren (Abb. 11). Während auf hoher Juliusz Struck (geb. 1933) hat den Beruf von fahren auf eine Sandbank schützte. Deswegen beispielsweise Jan Cholewiński aus Ustka und See die Wellen nur gelegentlich brechen, „sto- seinem Vater Robert Struck (geb. 1899) über- machten Motorboote meistens in Häfen fest; am Czesław Rutkowski, der sich 1962 in Sianów ßen“ die vom Strand zurück fließenden Wellen nommen. Seine Werkstatt in Jastarnia (Heister- Strand lagen die Segel- und Ruderboote der Fi- (Zanow) bei (Köslin) niedergelassen auf den dem Ufer vorgelagerten Bänken mit den nest) haben wiederum seine zwei Söhne über- scher. Nach Registerangaben gab es 1939 an hatte und bis 1974 über 200 Boote herstell- ankommenden nächsten zusammen und bilden nommen, die zurzeit die einzigen traditionellen der pommerschen Küste zwischen Łeba und te. Den Bootsbau hatte er beim Militär erlernt, zwei, bzw. drei Zonen bedrohlicher Wellenstau- Bootsbauer an der kaschubischen Ostseeküste Swinemünde 544 Segel- und Ruderboote sowie wo er in einer Pioniereinheit diente. So ist es ungen. Diese Brandungswellen sind die Ursache sind. Der bis heute gefertigte Bootstyp erinnert 90 Motorboote (Kulikowski, 1947). Die Kriegs- schwierig, die Erzeugnisse Rutkowskis als auf für die Bildung von zwei bis drei sich entlang der an alte Boote, dennoch kann man in der ersten handlungen im Winter und im Vorfrühling 1945 traditionellem Muster basierend anzuerkennen, Küste ziehender Streifen abwechselnder Tiefs Hälfte des 20. Jahrhunderts, abhängig von der brachten die fast komplette Zerstörung aller denn die von ihm gebauten Boote wurden vom und Bänke. Wegen dieser Bedingungen waren Anpassung an bestimmte Fangtechniken, vier Fischerboote und -kutter. Diese Situation schil- Seeamt überwacht; für den Bau erhielt er Unter- die Küstenboote verhältnismäßig kurz und breit Arten unterscheiden. Je nach Bestimmung wur- derte Józef Kulikowski: „Der ganze reibungslos lagen aus dem Projektbüro. Anfang der 1980er konstruiert und hatten einen flachen Plankenkiel, den sie bot cezowy (Zeesboot), bot laskornowy funktionierende Apparat der Seefischerei wurde Jahre, dank der Zusammenarbeit mit der Werft um sie an Land ziehen zu können. (Wadennetzboot), bot żakowy (Reusenboot)

146 147 Das Wadennetzboot und das Zeesboot kommen heutzutage nicht mehr vor, die zwei anderen Va- rianten werden weiterhin genutzt.

Die Konstruktion eines Kaschubischen Fischerbootes Der Rumpf des traditionellen kaschubischen Bootes ist ganz aus Eichenholz, auf flachem Plankenkiel gebaut. Der Umriss des Vorstevens hat die Form eines sanften Bogens, der Achter- steven ist gerade, leicht geneigt und hat Halte- rungen zum Aufhängen des Ruderblattes. Der Bau eines Bootes beginnt mit der Vorbereitung des Kiels, der aus einer bis zu 0,3 Meter breiten und 3,5 Zentimeter starken Planke geschnitten wird. Die Verbindungen der Steven mit dem Kiel werden meistens durch von Zapfen erreicht. Bei derartiger Konstruktion hat die untere Fläche des Vorstevens einen rechteckigen Einschnitt zum Aufsetzen des Stevens auf das Kielende (Aufsetzlasche). Auf ähnliche Weise wird der Achtersteven befestigt. Die Verbindungen der Abb. 11: Ein kaschubisches Fischerboot durchquert die Brandung. Steven mit dem Kiel werden mit Knien verstärkt. Vor dem Auflegen der Beplankung werden die oberen Enden des Vor- und Achterstevens mit sowie kón (kleines Beiboot) genannt. Weitere win (1985, 1995). In den Details waren sich die einer Leiste bzw. einem Brett fixiert. Die Plan- kaschubische Bezeichnungen einzelner Konst- Bootstypen gleich, sie hatten nur unterschiedli- ken werden in Klinkertechnik angebracht, wo- ruktionselemente der Boote finden sich bei Lit- che Rumpflängen, Antriebe und Ausstattungen. bei die Rümpfe in Schalenbauweise entstehen. Abb. 13: Befestigen der Plankengänge am Vorsteven in Erfahrene Bootsbauer verklinkern die Planken, der Werkstatt von J. Struck. Erkennbar sind die Schraub- ohne vorher die Bodenwrangen einzusetzen. zwingen, die an einer Leiste auf der inneren Vorstevenseite Man kann aber auch ab und zu die Anwendung befestigt werden. Der obere Backbord-Plankengang ist mit von Querschnitt-Schablonen, oder von zwei bis hölzernen Klammern an den darunter liegenden geheftet. drei Bodenwrangen beobachten, die eine sym- metrische Form der Außenhaut erleichtern. Die Planken werden vor dem Formen gewässert gung einer Leiste, die vorübergehend die Steve- und dann über Feuer gebogen. Meistens wird nenden verbindet). Der Verlauf eines jeden Plan- dieser Prozess in einem speziellen Dampfkas- kenganges wird mit einer dünnen, biegsamen ten durchgeführt, in dem der Dampf aus einem Schablone (Stickschiene) modelliert, auf der mit einfachen Kessel eingeleitet wird. Wegen der Bleistift die Konturen der künftigen Planke auf- Schwierigkeit, entsprechendes Holz zu finden, getragen werden. Danach werden die Planken- wird heutzutage jeder Gang aus zwei oder drei umrisse auf entsprechende Bretter übertragen. Planken zusammengesetzt. Früher war es da- Nach der Überprüfung der korrekten Form der gegen einfacher, lange breite Bretter für die ausgeschnittenen Planke und ihrer Dämpfung Planken zu finden. Gewöhnlich beginnt die wird sie an der vorgesehenen Stelle befestigt. Montage eines Ganges mit dem Befestigen der Die Plankenenden werden an den Achtersteven ersten Planke am Achtersteven und endet mit angenagelt. Mitunter erhält der Achtersteven dem Verbinden der zweiten oder dritten Plan- auch Sponungen zum Aufnehmen der Planken. ke des gleichen Ganges mit dem Vorsteven. Um einen flachen Boden zu erhalten, wird der Von der Anordnung des ersten Plankengan- erste Gang abgebogen, bis sich sein äußerer, ges hängt die Form des ganzen Rumpfes ab. oberer Rand in der oberen Ebene der Kielplanke Die zum Aufziehen an den Strand bestimmten befindet. Das wird durch das Anbringen an die Boote haben üblicherweise einen flachen Bo- obere Fläche der Kielplanke zweier bzw. dreier den und sind so geformt, dass die Kielplanke Bretter passender Länge erleichtert (Abb. 12). nach der Montage des Kiel-Steven-Satzes eine Diese Bretter dienen als Schablone und sichern Abb. 12: Montage der Bodenplanken an einem kaschubischen Boot in der Werkstatt von J. Struck (rechts). Sichtbar ist das entsprechende geringe Krümmung erhält (durch eine symmetrische Gestaltung der Beplankung an der oberen Kielfläche befestigte Brett, das die Formung eines flachen Bodens mittschiffs ermöglicht. angepasste Abstützung, Belastung und Befesti- auf beiden Borden. Der mit Hilfe einer seitlichen,

148 149 schrägen Verbindung um eine weitere Planke verlängerte Gang endet in der Sponung am Vor- steven. Nach dem Auflegen des ersten Planken- ganges, und dann vor jedem weiteren, werden die Kanten abgefasst und die Planken mittels Schablonenbrettern modelliert. Es werden im- mer zwei gleiche Planken zugeschnitten (für Steuer- und Backbord), und alle Unterschnei- dungen müssen spiegelbildlich sein. Das Legen der Planken vom Heck zum Bug wird seit dem Mittelalter praktiziert, jedoch werden sie heute nicht mehr mit Holzdübeln befestigt, sondern mit Kupfernägeln, die auf Unterlegscheiben ver- Abb. 14: Das in Schalenbauweise gefertigte Fischerboot aus nietet, oder aber mit verzinkten Eisennägeln, Puck mit dem die Borde stabilisierenden Brett. Das Element die von innen zweimal gebogen und wieder ins ist mittelalterlicher Herkunft. In Form eines Balkens hat man Holz eingeschlagen werden. Der zweite und es bei größeren Schiffen (z. B. einer Kogge) im Rumpf be- die weiteren Plankengänge werden in Klinker- lassen. Bei kleinen Booten wurde es nach dem Einbau der bauweise gelegt, für ihre Anpassung benutzt Versteifungen wieder entfernt. man Klammern und/oder Schraubzwingen. Das erleichtert das Bohren der Nietlöcher und das darauf folgende Zusammennageln der Planken. die während der Montage entlang der Innenflä- Schraubzwingen oder Klammern sind für die che des Vorstevens angeschlagen wird. An ih- Montage der Plankengänge unentbehrlich. Für rer Kante stützt sich eine Backe der Klammer deren Gebrauch am Vorsteven wird in der Werk- bzw. Zwinge, während die zweite das Planke- statt der Strucks ein Hilfsmittel angewandt, das nende in der Sponung des Vorstevens festhält eine Modifizierung der im frühen Mittelalter üb- (Abb. 13). Gleichzeitig wiederholt sich dieses Abb. 16: Fischerboote am Strandliegeplatz in Hela (Zeitgenössische Postkarte um 1900). lichen Einschnitte in den Innenseiten der Ste- Verfahren auf der anderen Seite des Rumpfes. ven darstellt. Dieses Hilfsmittel ist eine Leiste, Die Plankennähte werden kalfatert, meistens mit Gewebestreifen, Hanf oder Bündeln aus al- Die Querversteifungen (Bodenwrangen und ten Hanftauen. Der ganze Rumpf wird mit Holz- Spanten) wurden früher mittels Holzdübeln an teer, im Notfall mit Firnis getränkt. der Beplankung befestigt. Heutzutage verwen- Die Mehrzahl der kaschubischen Boote entsteht det man zu diesem Zweck verzinkte Eisen- oder in Schalenbauweise, somit werden die Querver- Kupfernägel, seltener Nieten. Zuweilen kom- steifungen – die oberen Teile der Spanten, oder men auch Stahlschrauben zur Anwendung. Bei Bodenwrangen und diese verlängernde Spanten traditionellen kaschubischen Booten wurden – nach der Montage der Beplankung eingesetzt. die Querversteifungen auf verschiedene Weise Während des Zusammenfügens der Planken eingesetzt. Die Schalenbauweise des Rumpfes verhindert man die Wirkung der waagerechten verleiht diesem eine gewisse Elastizität, was für Spannkräfte (und damit auch Verformungen), den Betrieb von Vorteil ist. Den Querverband indem man spezielle Streckbretter einsetzt. bilden gewöhnlich sechs bis acht Bodenwran- Das sind Bretter, die in einer der längeren Sei- gen und ihre Verlängerungen – die Spanten. Zu ten rechteckige Einschnitte haben und die man den wichtigsten Lösungen der Bodenwrangen- auf die oberen Plankenkanten in der Mitte des Spanten-Verbindungen zählen seitliche oder mit Rumpfes aufsetzt (Abb. 14). Streckbalken die- schrägem Blatt direkt aufliegende sowie indi- ser Art wendete man bereits im Mittelalter an, rekte, bei denen sich die Bodenwrangen mit den wobei man sie bei großen Schiffen auf Dauer Spanten nicht berühren und über die „gemein- in den Rümpfen beließ. Diese Streckbalken zur sam“ versteifte Planke auslaufen. Solche Ver- Querversteifung zeigen ikonografische Quellen steifungen erhöhen das Gewicht, verbessern je- aus dem 13. bis 15. Jahrhundert; sie wurden doch die Dauerhaftigkeit der Konstruktion, denn auch in Wracks dieser Epoche identifiziert. Bei die Planken sind an den Verbindungen der Ver- kleinen Booten ist das Belassen der Streckbret- steifungen von Fäulnis bedroht. Eine zusätzliche ter nicht notwendig. Es hätte negativen Einfluss Querversteifung bilden die Bänke (Duchten), ge- auf die Gewichtsverteilung und auf den Verlauf wöhnlich sind es drei, die dauerhaft mit anderen der oberen Planken, die die Rumpfschale ver- Konstruktionselementen verbunden sind. Das binden. Bei den heute gebauten Booten wird in vielen Booten am Spant unter der Heckbank das Streckbrett lediglich während des Baus auf- montierte Schott dient Betriebszwecken – es gesetzt und nach der Befestigung der Boden- verhindert das Verrutschen des Fanges und des Abb. 15: Konstruktionszeichnung eines kaschubischen Fischerbootes. wrangen, Spanten und Bänke wieder entfernt. Fanggerätes nach hinten, wo der Rudergänger

150 151 cherweise war mittschiffs Platz für das Fischer- gerät, hier war der Standort des das Netz aus- werfenden bzw. einholenden Fischers sowie für den Fischkasten. Bei manchen größeren Booten hat man gelegentlich zusätzliche Bänke oder dicht am Achtersteven eine kleine Bank einge- baut (Abb. 16). Eine Abart der Strandboote bildeten Konstrukti- onen, die für den Betrieb aus Häfen angepasst waren. In ihrem Hauptlängsverband hatten sie einen Balkenkiel mit seitlichen Sponungen für die ersten Plankengänge, die in einem bestimm- ten Winkel am Kiel befestigt wurden. Daher ähnelte der Rumpfquerschnitt der Form eines fließend verbreiterten „V“, während flachbodige Abb. 19: Verschiedene Arten der Schwertsetzung in kaschubischen Booten: a) traditionelle, b) alternative mit Keil, c) Abb. 17: Bau eines Fischerbootes, das vom Hafen aus ope- Boote einen Querschnitt vom Typ „U“ aufwiesen Schwertkasten mit zwei Kammern. riert (daher der hohe Kiel) in der Werkstatt von F. Hintzke in (Abb. 17). Chłapowo 1976. Traditionelle kaschubische Boote hatten Ru- der- und Segelantrieb; seit Anfang des 20. einem viereckigen Sprietsegel und einer drei- Jahrhunderts waren sie immer öfter mit einem eckigen Fock (Abb. 18). Beide Segel waren be- Motor ausgestattet. Entsprechend des Bootsty- liekt und hatten einige Reihen von Reffbändseln. pes und dessen Maße, gab es drei Techniken Das Sprietsegel war am Mast mit einer Reihleine des Ruderns. Die größten Boote wurden mit bis angeschlagen, die im Zickzack den Mast umgab zu sieben Meter langen Riemen gerudert. Ge- und schnelles Bergen und Trennen des Segels wöhnlich betätigte jeder Fischer einen Riemen vom Mast erleichterte. Der Mastfuß ruhte in der – der auf der Vorderbank backbord sitzende leg- Mastspur des Kielschweins, einem parallel zum te den Riemen in die Dolle an Steuerbord ein. Kiel auf zwei Bodenwrangen befestigten kurzen Der zweite, auf der zweiten Ducht steuerbords Klotz. Die Mastfischung bildete eine Ausspa- sitzend, benutzte die Dolle an Backbord. Diese rung oder eine Öffnung in der Hinterseite der Anordnung der Ruderer sicherte eine bequeme Bank. Eine andere Art der Mastbefestigung war Handhabung der Riemen und „verlängerte“ den die Aufstellung im Mastkoker, einem kurzem, von Dollen freien Steuerbordabschnitt. Steu- senkrecht auf dem Kiel stehenden und oben Abb. 20: Das Bootsinnere – sichtbar ist der Schwertkasten erbord ist üblicherweise die Arbeitsseite des abgeschrägten Balken. An dessen Seiten wur- mit zwei Kammern und der Mastkoker. Bootes, deshalb würden hier befindliche Dollen den zwei nach oben ausragende Bretter ange- beim Auswerfen und Einholen der Netze stören. bracht. Zwischen diesen ruhte der abgeschräg- Da die Kniehölzer auf den Bänken das Einneh- te Mastfuß. Im oberen Teil hatte der Mastkoker hing. Bei kleineren Booten hatte man das Sei- Abb. 18: Takelung eines kaschubischen Fischerbootes. men der Plätze nah am Bord verhinderten, hat- eine Öffnung für den Eisenbolzen, an dem der tenschwert an dem anderen Bord am zweiten te man auf die Duchten kurze Sitze aufgelegt. Mast gelegt werden konnte. Den stehenden Haken bzw. Poller aufgehängt (Abb. 19). Eine Folge der Platzierung der Duchten im sich Mast versteiften Wanten und Stag. Dazu muss Es ist schwierig festzustellen, seit wann in ka- tätig ist. In dieser Lösung kann man die ural- verjüngenden vorderen Rumpfteil war, dass bei- angemerkt werden, dass in kaschubischen Fi- schubischen Booten Steckschwerter zur An- te Einteilung des Bootes in einen „Betriebsteil“ de Riemen unterschiedliche Längen hatten. Die scherbooten die Mastspur sehr selten in einer wendung kamen. Noch heute kann man zwei und einen „Besatzungsteil“ sehen, die bereits in Ausbalancierung der Riemen durch Gewichte Bodenwrange oder in einem Kielschwein zu fin- Verwendungsarten beobachten. Bei der ersten altertümlichen Einbäumen existierte und noch am Griff machte das Rudern leichter. Für Rie- den war. Diese Konstruktion findet man aber in steckt das Schwert (öfters mit einseitig gewölb- immer in fast allen Weichselbooten, nicht nur men dieser Art gab es besondere Dollen, von Wracks mittelalterlicher slawischer Boote, dar- tem Profil, im Schnitt dem eines Flugzeugflügels Fischerbooten, überdauerte (Abb. 15). denen jede eine flache Unterlage mit zwei Lö- unter in dem am Łeba-See entdeckten, dem so ähnlich) in einem Kasten mit parallelen Wänden. Die Längsversteifungen bilden bei kaschubi- chern zum Einsetzen von Dübeln hatte. Die Auf- genannten Czarnowsko I Fund. Dieser Schwertkasten in seiner kaschubischen schen Booten schmale Bretter, die von Innen lage des Riemens in der Dolle war mit zwei pa- Jedes zum Segeln eingerichtete Boot hatte ein Version ist nach oben ausgeweitet, so dass sich am oberen Bordrand angeschlagen sind und rallelen Stahldrähten versehen, die die Reibung hölzernes Schwert, das auf dreierlei Weise be- dort zwei Schlitze befinden (Abb. 20). Das -er durch den darüber montierten Schandeckel ih- erheblich verringerten. Ähnlich wie in den grö- festigt werden konnte. Als die älteste kann man möglicht das Einstecken des Schwertes in eine ren oberen Abschluss finden. Etwas tiefer, pa- ßeren nahmen die Ruderer auch in den kleine- das Aushängen einer langen, schmalen Flosse – der zwei Kammern (immer in die, die näher der rallel dazu, schlägt man an die Spanten noch ren Booten die vorderen zwei Bänke ein, jedoch eines Seitenschwertes – betrachten, die mit ei- Senkrechten liegt, was vom Bug des segeln- Weger mit gleichen Abmessungen an. Auf die- betätigte jeder je ein Paar Riemen in Dollen auf nem Haken an der Bordleiste angeschlagen war. den Bootes abhängig ist). Beim Bugwechseln sen liegen die quer eingebauten Bänke, die den beiden Borden. Die dritte Antriebsweise eines Bei größeren Booten gab es ein um den Mast wird das Schwert in den anderen Schlitz ge- Unterbau für die Knie bilden, welche die oberen kaschubischen Bootes, das Staken, beruhte gelegtes Tau, dessen Enden die Ränder der steckt, mit Umdrehung, wenn das Schwert ein Gänge der Beplankung abstützen. auf dem Abstoßen vom Meeresboden mit einer Flosse festhielten. Bei beiden Arten wurde beim „Flügelprofil“ hat. Eine neuere Lösung, die man Der Verwendungszweck der Boote war ent- Stange bzw. Riemen mit stählernem Beschlag. Wenden das Seitenschwert rasch zur anderen immer öfter in kaschubischen Booten findet, ist scheidend dafür, dass zwei Sitzbänke für die Die Takelung kaschubischer Boote reichte bis zu Bordseite gewechselt, dabei bildete der Mast ein drehbares Metallschwert im Schwertkasten, Ruderer näher zum Bug platziert wurden. Übli- 14 Quadratmetern Segelfläche. Sie bestand aus eine Art Achse für das Seil, an dem das Schwert ähnlich denen in Sportsegelbooten.

152 153 nur der Kiel, sondern auch zwei an den Kimmen 3. geschwungener Balkenvorsteven und gera- montierte Gleitkufen, die das Aufziehen der der, geneigter Achtersteven, Boote auf den Strand erleichtern. Um bessere 4. Beplankung in Klinkerbauweise, Arbeitsbedingungen zu schaffen, hat man die 5. Querversteifungen, die aus seitlich anliegen- Bordwand erhöht und ein „Ruderhaus“ mon- den oder sich nicht berührenden Elementen tiert; man überbaut auch den Bug und nutzt ihn zusammengesetzt sind, als Schutz für die Besatzung während der Fahrt 6. Lokalisierung des Pollers (kaschubisch łerp) zum Fangplatz. im vorderen Rumpfteil, Ökonomische Schwierigkeiten, besonders der 7. obere Steven- und Ruderblattenden mit cha- Preisanstieg für Treibstoffe, aber auch Um- rakteristischem, verziertem Vorsprung, weltschutzbestimmungen weckten nach 1980 8. Kalfaterung mit alten Hanftauen, Hanfschnü- wieder das Interesse am traditionellen Segel- ren bzw. Gewebestreifen und Tränkung mit antrieb für Fischerboote. Zu dieser Rückbesin- Karbolineum und nung tragen auch die Regatten der Fischerse- 9. Antrieb durch Sprietsegel und Riemen, in gelboote bei, die alljährlich in Chałupy auf der flachen Küstengewässern durch Staken. In Halbinsel Hela organisiert werden (Abb. 23). Die letzter Zeit haben Verbrennungsmotoren an Teilnehmeranzahl dieser Regatten stagniert je- Popularität gewonnen. doch und bewegt sich um 20 Fahrzeuge. Es gibt Übersetzung aus dem Polnischen: Henryk Klein- auch Fischer, die im Tagesbetrieb keine Segel zeller, Danzig benutzen, diese aber in ihren Häusern aufbe- Redaktionelle Bearbeitung und historisch-geo- wahren. Man kann also vermuten, dass hölzer- grafische Anmerkungen: Peter Danker-Carsten- ne Fischerboote noch viele Jahre lang von den sen, Rostock Stränden zum Fang auslaufen und auch weiter- hin ein prägendes Element der maritimen Kultur Abb. 21: Arbeiten im Hafen von Kuźnica (Kußfeld) auf der Halbinsel Hela. an der Ostseeküste und eine Attraktion für Tou- Literatur risten darstellen werden. Delimat, T. (1959): Z badań nad szkutnictwem Ein weiteres oft vorkommendes Ausstattungs- Aktuelle Entwicklungen ludowym Pomorza. Szczecin. element ist der charakteristische, auf die Innen- Zusammenfassung Filipowiak, W. (1988): Początki żeglugi sło- seite des Vorstevens aufgesetzte Poller. Ab und Zum Ende der Erwägungen über den kaschu- wiańskiej u ujścia Odry, [in:] Studia nad zu sieht man auch Boote mit zwei parallelen bischen Bootsbau kann man versuchen, des- Zusammenfassend lassen sich im volkstümli- etnogenezą Słowian i kulturą Europy Pollern, die an den Spanten befestigt sind. Der sen weiteres Schicksal zu prognostizieren. Der chen kaschubischen Bootsbau also folgende wczesnośredniowiecznej, t. 2. Wrocław- Poller diente ursprünglich dazu, die Halterung Bootsbestand und die Fangergebnisse weisen gemeinsame Konstruktionsmerkmale feststellen: -Warszawa-Kraków-Gdańsk-Łódź. des Bugspriets bei größeren Booten zu verstär- auf einen Rückgang der Popularität des Fi- 1. flacher Plankenboden der Uferboote, Girdwoyń, M. (1881): Łodzie rybackie dla na- ken. Heutzutage dient er meist zum Befestigen scherberufes hin. 1925 besaßen die kaschubi- 2. flache Bodenform trotz Klinkerbeplankung, szych jezior i stawów. Warszawa. des Stags. schen Seefischer über 81 Motorboote und 699 Die Einführung von Verbrennungsmotoren im Segel- und Ruderbote. 1928 stiegen die Zah- Bootsbau bewirkte einige Änderungen der len entsprechend bis auf 108 und 782 Boote; Rumpfkonstruktion. Der Schwertkasten wurde der Fischerkalender für das Jahr 1946 gab 27 weiter nach vorne verschoben. Der Motor wird Motorboote und 268 Segel- und Ruderboote gewöhnlich auf einem Träger vor dem Achter- an. 1981 waren an der polnischen Ostseeküs- schott montiert und die Welle durch den Ach- te 779 Küsten-Motorboote registriert, die An- tersteven geführt, in dem man ein Propellerrohr zahl der Ruderboote wurde nicht genau erfasst einsetzt. In dem Fall ist das Ruderblatt entspre- (Gołębiewski, 1975). Allerdings übersteigt die chend der Stevenform ausgeschnitten und nach Zahl der Küstenfischerboote zwischen Piaski hinten erweitert. (Neukrug) auf der Frischen Nehrung (Mierzeja An kaschubischen Fischerbooten findet man Wiślana) bis Swinemünde am Ende der ersten selten dekorative Elemente. Üblicherweise hat Dekade des 21. Jahrhunderts nicht einmal 400 nur der Vorsteven die Form eines liegenden „S“, Fahrzeuge mit abnehmender Tendenz. Über- seltener hat das Oberteil des Ruderblattes die- dies haben Kunststoffboote fast gänzlich die se Form. Der bis 1990 vorgeschriebene gelbe hölzernen Boote aus der Seefischerei verdrängt Anstrich ist kaum als Dekoration zu betrachten, (Abb. 22). aus eigener Initiative streichen jedoch manche Die neuen Kunststoffboote, ohne Segel- und Fischer das Bootsinnere braun, Leisten und Ruderantrieb sowie die amtlichen Sicherheits- Kanten der Konstruktionselemente blau, grün bestimmungen, brachten Änderungen in der bzw. rot an (Abb. 21). In letzter Zeit sieht man Konstruktion der vom Ufer aus operierenden immer öfter Fischerboote mit weißem oder blau- Küstenboote mit sich. Sie sind ausnahmslos em Anstrich. motorgetrieben; den Propeller schützen nicht Abb. 22: Moderne Fischerboote am Strand von Kąty Rybackie (Bodenwinkel).

154 155 Die Rückkehr des Kurenkahns – Segel- boote der Fischer des Kurischen Haffs in Vergangenheit und Gegenwart Romaldas Adomavičius und Romualdas Adomavičius

Im Jahr 2000 begann im Litauischen Meeres- um die Mitte des vorigen Jahrhunderts immer museum ein mehrjähriges Projekt, das der Er- noch vorhanden ist. Da die ursprüngliche loka- haltung und Verbreitung des regionalen Kulturer- le Bevölkerung wegzog bzw. vertrieben wurde bes dienen sollte. Dieses Projekt trug den Titel: und die nachfolgende neue Bevölkerung einen „Die Rückkehr des Kurenkahns“. Das Ziel des völlig anderen kulturellen Hintergrund besaß, Projektes war es, den Kurenkahn, einen Nach- gab es einen abrupten Abbruch in der Kontinu- bau des für die Kurische Nehrung typischen Fi- ität des wirtschaftlichen und geistigen Lebens, schereifahrzeuges, für museumspädagogische das sich hier über Jahrzehnte entwickelt hatte. Aktionen zu nutzen, um dadurch das Interesse Diese Entwicklung hatte auch Einfluss auf Form an den maritimen Traditionen der Region der und Funktion der Boote der Hafffischer, die als Kurischen Nehrung und des Kurischen Haffs zu einzigartige Objekte des kulturellen Erbes das wecken oder sogar zu vergrößern. Dies scheint Ergebnis der geografischen und natürlichen Ge- Abb. 23: Startvorbereitungen zur traditionellen Fischerboot-Regatta in Chałupy bei Hel (Hela). sehr wichtig für die Bewahrung volkskundlich- gebenheiten der Region des Kurischen Haffs kulturellen Erbes in dieser Region, das als Er- darstellten. Das Kurische Haff ist ein Becken gebnis der demografischen Veränderungen mit einer Wasserfläche von etwa 1 500 Quadrat- Gołębiewski, H. (1975): Obrazki rybackie. Netzel, J. (1971): Pomeranki, In: Morze, Nr 9, kilometern, das durch einen schmalen Streifen Gdańsk (I wydanie Pelplin 1883). 1971. Sand, die Kurische Nehrung, von der Ostsee Kmieciński, J. (1955): Sprzęt rybacki i organi- Ropelewski, A. (1963): 1000 lat naszego rybo- getrennt ist. Die Ostküste der Lagune besteht zacja rybołówstwa w Gdańsku w XII i XIII łówstwa. Gdynia. zu großen Teilen aus dem Mündungsdelta der wieku w świetle prac wykopaliskowych w Rulewicz, M. (1994): Rybołówstwo Gdańska na Memel (lit. Nemunas). Das Kurische Haff ist mit latach 1948-1951, „Studia wczesnośred- tle ośrodków miejskich Pomorza od IX do der offenen See durch die enge Klaipeda-Straße niowieczne”, t. 3. 1955. XIII wieku. Gdańsk. verbunden, die um die Mitte des 13. Jahrhun- Kulikowski, J. (1947): Rybactwo morskie w ży- Seligo, A. (1931): Die Seefischerei von Danzig. derts – zur Zeit der Erbauung der Memelburg – ciu gospodarczym Pomorza Zachodniego, (Handbuch der Seefischerei Nordeuropas, als Mündung der Memel angesehen wurde. Das maszynopis w zbiorach Biblioteki PAN w Bd. 8, H. 7) E. Schweizerbart’sche Verlags- Haff ist flach und fischreich – zumindest war Gdańsku. buchhandlung Stuttgart. dies bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts der Litwin, J. (1982): Budowniczy pierwszych ku- Smolarek, P. (1969): Studia nad szkutnictwem Fall, als noch keine Industrieabwässer das Was- trów. In: Rocznik Gdyński 1980-1982, Nr. Pomorza Gdańskiego X-XIII wieku. ser verschmutzten. Mitte des 20. Jahrhunderts 3, 1982. Gdańsk, S. 203. betrug die durchschnittliche Tiefe der Lagune Litwin, J. (1985): Kaschubischer Bootsbau, Teil Smolarek, P. (1972): Szkutnictwo Pomorza 3,8 Meter. II: Volkstümlicher Bootsbau an der Küste. Gdańskiego we wczesnym średniowieczu. Ein wichtiger Faktor für das Entstehen von recht In: Deutsches Schiffahrtsarchiv 8, S. 285- In: Historia budownictwa okrętowego na unterschiedlichen Bootstypen waren nicht nur 308. Wybrzeżu Gdańskim. (Sammelband unter der große Fischreichtum in der Lagune, sondern Litwin, J. (1995): Polskie szkutnictwo ludowe XX der Redaktion von E. Cieślaka) Gdańsk. auch natürliche und geografische Gegebenhei- wieku. Gdańsk. Timmermann, G. (1962): Die Nordeuropäischen ten, derentwegen die Bedeutung der Segelboote Łęga, W. (1949): Obraz gospodarczy Pomorza Seefischereifahrzeuge, ihre Entwicklung als Transport- und Kommunikationsmittel deut- Gdańskiego w XII i XIII wieku. Poznań. und ihre Typen. (Handbuch der Seefi- lich zunahm. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Mitzka, W. (1933): Deutsche Bauern- und Fi- scherei Nordeuropas, Bd. 11, H. 4). E. – und auch noch später – waren die Menschen scherboote. Grundfragen aus einem Sach- Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung auf der Kurischen Nehrung durch das Wasser kreise der Volkskunde. (Wörter und Sa- Stuttgart. und schlechte Straßen von den administrativen chen, Beiheft 6) Heidelberg. Wrzosek, A. (1957): Przedwojenne Muzeum Ka- und kulturellen Zentren der Region abgeschnit- Modrawski, J. (1999): Geografia współczesnych szubskie w Dębkach, In: Lud, t. 44. ten. Diese konnten nur mit Hilfe von Segelboo- Kaszub [Geographie der heutigen Kaschu- Zbierski, A. (1978): Rybołówstwo morskie i ten erreicht werden. Dies alles beeinflusste das bei]. Gdańsk. śródlądowe oraz rybactwo – organizacja, Abb. 1: Kurenkähne an der Küste der Kurischen Nehrung. Alltagsleben sowie die Gewohnheiten und Tra- Netzel, A.(1955): Kutry o czerwonych żaglach. sprzęt, odławianie ryb. In: Historia Gdań- Die Netze sind zum Trocknen am Topmast gehisst (Aufnah- ditionen der Bewohner der Kurischen Nehrung. Warszawa. ska, Tom 1. Gdańsk. me aus den 1930er Jahren). Auf dem der Nehrung gegenüberliegenden Ufer

156 157 der Lagune erstreckte sich das Marschland des von Ruder- und Segelbooten für den Fischfang, Memeldeltas mit seinen zahlreichen Altarmen den Transport und die Kommunikation existen- Kurenwimpel sind ursprünglich Wind- und Kanälen. Die dort lebende Bevölkerung war ziell abhängig. An allen Küsten des Haffs war fahnen am Masttop der Kurenkähne. Sie die Fischerei das grundlegende Gewerbe. Sie dienten nicht nur nebenbei der Feststel- war lebenswichtig für die Bewohner der Kuri- lung der Windrichtung, sondern waren schen Nehrung, auf der nur vereinzelte kleine 1844 von der preußischen Fischereiauf- Kurenkahn ist die Bezeichnung für einen Flächen für Landwirtschaft und Viehhaltung zur sicht eingeführte, weithin sichtbare Un- Bootstyp, der bis zum Ende des Zweiten Verfügung standen. An der Ost- und Südküste terscheidungsmerkmale der Boote, die Weltkrieges auf dem Kurischen Haff und der Lagune wurde das Land nach und nach kul- Auskunft über den Heimathafen und die auf dem Frischen Haff im ehemaligen Ost- tiviert und der Wasserstand reguliert, so dass Herkunft des Kahns gaben. Jeder Wim- preußen als Fischerboot verwendet wurde sich dort die Landwirtschaft, speziell der Gemü- pel am Mast musste mindestens zwei (Abb. 2). Kurenkähne (auch Kurrenkähne seanbau, schneller entwickeln konnte. Trotzdem Fuß lang und einen Fuß breit sein. Jeder nach dem Kurre genannten Netz) wurden blieb die Bedeutung der Fischerei erhalten. Hafenort am Haff erhielt eine bestimmte neben den so genannten Keitelkähnen für Im Kurischen Haff und in den ins Haff mün- Flagge und jede Region eine bestimmte die Schleppnetzfischerei genutzt. Die aus denden Flüssen gab es mehr als ein Dutzend Farbe zugewiesen. Schwarz-weiß für die Eiche gebauten Boote wurden, regional verschiedener Typen von Ruder- und Segelboo- Dörfer auf der Nehrung und rot-weiß für unterschiedlich, mit Sprietsegel oder mit ten, die für die Fischerei, den Transport und die die auf dem Ostufer des Haffs. Zudem Gaffelsegel gefahren. Sie waren zwischen Kommunikation genutzt wurden. Charakteris- konnte man an der Farbe des Wimpel- elf und zwölf Meter lang, bis zu drei Me- tisch war dabei die Kombination mehrerer Zwe- schweifs den Verwendungszweck des ter breit und sehr flach mit einem Tiefgang cke. Die Fischer des Kurischen Haffs nutzten Bootes erkennen. Später wurden die von nur etwa 40 Zentimeter. Typisch für den Kurenkahn nicht nur zum Fischen, sondern Wimpel durch Schnitzereien mit Moti- die Kurenkähne waren die kunstvoll ge- auch für den Transport von Heu, das auf der an- ven aus dem Herkunftsort (Haus, Adler, arbeiteten Flögel auf dem Masttop (siehe deren Seite der Lagune geerntet wurde (Abb. 1). Abb. 3: Rekonstruktionszeichnung eines Kurenkahns mit Anker, Elch, Herz, Radkreuz, Schiff) aus- Kurenwimpel). Gefischt wurde paarweise Segelboote wurden auch benutzt, um das Vieh Sprietsegel (Jaeger, 1995). geschmückt. Jedes Motiv hatte seine von zwei mit jeweils zwei bis drei Männern auf die Weiden zu transportieren. Ein spezieller symbolische Bedeutung. Ein Elch stand besetzten Kähnen, die gemeinsam die Typ von Segelbooten, die Marktboote, wurde für Stärke, ein Kreis am höchsten Punkt Kurre, ein rund 120 Meter langes Schlepp- benutzt, um den Fisch auf die Märkte zu bringen. Meter langes dreiwandiges Zugnetz, das von der Mastspitze bedeutete eine Frau, ein netz, zogen. Neben der Fischerei konnten Die verschiedenen Typen der Segelboote unter- zwei Booten ausgebracht und vor dem Wind Kreuz einen Mann in der Familie. In der Kurenkähne wegen ihres geringen Tief- schieden sich zwar in ihrer Größe, die grund- geschleppt wurde. Diese Boote waren mit einer ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wur- ganges auch für den Transport von Vieh, legende Konstruktion war aber immer die glei- Spriettakelung versehen. Wenn ein Boot vom den die Wetterfahnen bunt, man bemal- Holz, Heu und anderen Gütern gebraucht che: ein platter Boden, vier Paar Kniespanten, Typ Kurenkahn ein Netz vom Typ Keitel besaß, te sie in leuchtendem rot, grün, schwarz, werden. Kurenkähne segelten daher auch die kantenartige Verbindung der Plankengänge wurde es zum Keitelkahn und umgekehrt: Der blau und weiß (Abb. 4; Woede, 1966). bis nach Memel, Šilutė und sogar bis nach („Taubenverbindung“) und Seitenschwerter. Da Netztyp bestimmte also die Bezeichnung des Tilsit. das Kurische Haff nicht tief ist und zahlreiche Bootes. Im Laufe der Zeit begann man, alle Se- seichte Stellen aufweist, hatten die Kurenkähne gelboote des Kurischen Haffs nur noch mit ei- einen Tiefgang von nur 30 bis 40 Zentimetern. nem Namen, dem des Kurenkahns zu bezeich- Die Bodenplanken waren aus Kiefer oder Eiche nen. Die Fischer selbst benannten ihre Boote und bis zu zwölf Zentimeter dick. Breite – bis zu aber nie auf diese Weise (Adomavičius, 2003). vier Meter – und schwere Segelboote erwiesen Seit 1844 waren die Fischer verpflichtet, am sich gegenüber den kurzen und scharfen Wellen Mast der größeren Segelboote eine Windfahne der Lagune als sehr stabil. An den zwei Mast- mit geometrischen Zeichen zu führen, die auf bäumen wurden je zwei Segel, am Vorsteven ein die Herkunft des Bootes aus einem bestimmten dreieckiges Focksegel gesetzt. Der Fockmast Dorf verwies. Diese Zeichen und die Fischerei- war an der Querwand der Kajüte befestigt. Es kennung auf den Segeln und an der Bordwand gab Kajüten im Bug und im Heck. Die Boote der wurden von E. W. Beerbohm, dem Leiter der Fi- Fischer von der Kurischen Nehrung waren meist schereiaufsichtsbehörde für das Kurische Haff sprietgetakelt, während die Boote der Fischer eingeführt, um die Kontrolle über die Fischerei von der Ost- und Südküste des Haffs auch gaf- im Haff zu erleichtern. Die Fischer pflegten die felgetakelt waren (Abb. 3). Windfahnen ihrer Segelboote mit Schnitzereien Die größten Boote wurden für die so genann- und farbenfrohen Flaggen auszuschmücken. te Große Fischerei mit Schleppnetzen benutzt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden diese Abb. 4: Der Kurenwimpel am Masttopp des Kuren- Diese Netze gaben den Booten den Namen. Ein Windfahnen als Souvenir bei den Urlaubern auf kahns SüD 1 im Litauischen Meeresmuseum Klaipeda. Segelboot (bis zu 14 m Länge und normalerwei- der Kurischen Nehrung sehr populär und nach- se mit einem Gaffelrigg), das trieb und dabei gefragt. ein trichterförmiges Schleppnetz, den Keitel, Obwohl die Quellen des Deutschen Ordens, die Abb. 2: Modell eines Kurenkahns (gefertigt von Hel- hinter sich herzog, wurde Keitelkahn genannt. bis ins 14. und 15. Jahrhundert zurück reichen, wie die Fischereifahrzeuge zu diesen Zeiten mut Olszak). Ein Boot vom Typ Kurenkahn (oder Kurrenkahn) auch Angaben über Fischereigerätschaften und aussahen. Sie werden sich aber nur unwesent- war elf bis zwölf Meter lang, zog ein bis zu 250 -methoden enthalten, kann man nur mutmaßen, lich von den Booten unterschieden haben, de-

158 159 berichteten, dass die hölzernen Segelboote, die die Fischer bei Kriegsende zurückgelassen hatten, zu Brennholz zerhackt worden waren. Im litauischen Teil des Haffs wurden die Segel- boote noch bis 1956/58 genutzt. Dann wurden sie durch motorgetriebene so genannte Dory- boote ersetzt. Auf dem Kurischen Haff gab es keine Segelboote mehr. Einige alte Segelboote wurden in Freilichtmuseen ausgestellt (Elertas, 2009; Perminas, 2009).

Erste Schritte in Richtung einer Restaurierung der Flotte von Segelbooten im Kurischen Haff wurden durch das Litauische Meeresmuseum in Klaipeda unternommen. 1989 wurden vom Museum eigene Mittel eingesetzt, um einen um 1935 in Nidden/Nida gebauten Kurenkahn aus der eigenen Sammlung zu restaurieren und wie- der in Fahrt zu bringen (Abb. 5). 1989 gab es an der gesamten Küste des Kurischen Haffs keine alten Bootsbauer mehr, deren Erfahrungen man hätte nutzen können, um Fehler bei der Res- taurierung des Bootes zu vermeiden. Trotzdem segelte die NID 1 seitdem jedes Jahr auf dem Kurischen Haff und nahm auch an Regatten von Traditionsseglern und am Festival des Meeres in Abb. 6: Das Litauische Meeresmuseum wurde Ende der 1970er Jahre in den Gebäuden des ehemaligen preußischen Wil- Klaipeda teil. Im August 1990 segelte eine zehn- helmsforts in Süderspitze/Kopgalis angelegt. Die Festung wurde im 19. Jahrhundert zum Schutze Memels/Klaipeda errichtet. köpfige Crew das Boot 18 Tage lang durch das Kurische Haff, um architektonische und kulturel- Abb. 5: Der Kurenkahn NID 1 wurde um 1935 in Nidden/Nida le Quellen und Sachzeugnisse der Fischerei zu 1992/93 wurden zwei weitere Kurenkähne in Intention dafür war, eine Replik des museum- gebaut und 1989 restauriert (Länge: 10,8 Meter; Breite über dokumentieren. Seit 2001 ist der Kurenkahn NID Klaipeda und Nida gebaut. Die Initiatoren dieser seigenen Kurenkahns zu bauen, um mit diesem alles: 3,3 Meter; Masthöhe: 10 Meter). 1 Bestandteil der Ausstellung von Fischereifahr- Aktion waren Privatpersonen, die sich für den Neubau dann Segeltouren mit internationalen zeugen des Litauischen Meeresmuseums. Erhalt des kulturellen Erbes des Kurischen Haffs Besatzungen auf dem Haff zu unternehmen. engagieren. Gegenwärtig werden diese Boote Auch sollte versucht werden, Personen und In- ren Abbildungen aus dem späten 18. und dem für gewerbliche Zwecke genutzt. stitutionen in vergleichbaren Natur- bzw. Kul- frühen 19. Jahrhundert bis in die heutige Zeit Im Jahr 2000 startete am Litauischen Meeres- turregionen von Russland, Lettland, Polen und überliefert wurden. Wegen der Beschränkungen Das Litauische Meeresmuseum (lit. Lie- museum ein kultur-ethnografisches Projekt mit Deutschland in dieses Projekt einzubinden. Die durch die Regionalbehörden, die die Fischerei tuvos Jūrų Muziejus) wurde von 1975 bis dem Titel „Die Rückkehr des Kurenkahns“. Die „Rückkehr des Kurenkahns“ war nicht nur die im Kurischen Haff nur mit Segelbooten erlaub- 1979 auf dem Gelände und in den Ge- ten, wurden bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bäuden des 1865 bis 1871 zum Schutze verschiedene Typen von Segel- und Ruderboo- Memels errichteten Nehrungsfort oder ten benutzt. 1939 gab es allein in der Ortschaft Wilhelmsfort in Süderspitze/Kopgalis ein- Der Name des Kurenkahn-Nachbaus SÜD 1 licher Richtung, also Süderhuk, das dann Nidden/Nida 64 Kurenkähne. Zu dieser Zeit wa- gerichtet. Wegen des raschen Fortschritts oder in anderer Schreibweise SüD 1 bezieht ab Mitte des 19. Jahrhunderts Süderspitze ren im Kurischen Haff insgesamt etwa 250 gro- in der Marineartillerie gegen Ende des 19. sich auf die traditionelle Weise der Vergabe (lit. Kopgalis) hieß. 1820 lebten erst fünf Fi- ße Fischerboote registriert. Jahrhunderts verlor das Fort seine strate- der Fischereikennung nach dem Heimatha- scherfamilien in Süderhuk, 1840 konnte man Nach dem Zweiten Weltkrieg bzw. in den 1950er gische Bedeutung, wurde demilitarisiert fen des Bootes. SÜD bedeutet in diesem schon von einem Dorf sprechen. Zu Beginn Jahren traten in der Region des Kurischen Haffs und verfiel. Später wurden die Räum- Zusammenhang Süderspitze, der Name ei- des 20. Jahrhunderts hatte Süderspitze über durch die politischen Umstände große Verände- lichkeiten für verschiedene zivile Zwe- nes nicht mehr existierenden Dorfes auf dem 100 Einwohner und insgesamt 19 Häuser, rungen ein. Die Zusammensetzung der Bevöl- cke genutzt. Bis 1975 gehörte das Neh- nördlichen Teil der Nehrung am Ausgang der darunter eine Schule. In den 1920er und kerung, die Verwaltung und das tägliche Leben rungsfort dem Grenzschutz der UdSSR. Klaipeda-Straße, dem „Zusammenfluss“ von 1930er Jahren schwand das Dorf. Nach der änderten sich grundlegend. Fast die gesamte Das Meeresmuseum mit seinen Aquarien, Kurischen Haff und Ostsee. Der Name des Einrichtung des Litauischen Meeresmuse- lokale Bevölkerung musste das Land verlas- dem Delfinarium und der großen maritim- Ortes erklärt sich aus der Perspektive vom ums in Kopgalis wurden die letzten Einwoh- sen oder wurde in die Sowjetunion deportiert. volkskundlichen Freilichtausstellung ist gegenüberliegendem Ufer, wo sich auf der ner umgesiedelt und ein Teil der schäbigen Während einer Exkursion im Kurischen Haff im das größte Museum in Klaipeda, besitzt Höhe des heutigen Leuchtturms noch bis Bauten abgerissen. Heute befindet sich an Sommer 1990 ergab sich die Gelegenheit, im eine überdachte Ausstellungsfläche von zum frühen 18. Jahrhundert das so genann- der Stelle des ehemaligen Dorfes die ethno- Gebiet des ehemaligen Königsberg mit Men- fast 2 500 Quadratmeter und zählt jedes te Norderhuk befand: Von dort aus gesehen, grafische Ausstellung des Meeresmuseums schen zu sprechen, die 1947 aus Mittel-Russ- Jahr 400 000 Besucher (Abb. 6). lag die Spitze der Kurischen Nehrung in süd- (Strakauskaitė, 2009). land hierhin umgesiedelt worden waren. Sie

160 161 Rückkehr eines Segelbootes in das Heimatge- nach geeigneten Fachleuten, wie zum Beispiel der Nationalparkverwaltungen der Kurischen wässer, das Kurische Haff, sondern diente auch Schiffbauern, für den Bau eines solchen Boo- Nehrung aus Litauen und Russland sowie vom der Aktivierung der regionalen ethno-kulturellen tes. Der Kurenkahn wurde von jungen Zimmer- Museum in Ventspils (Lettland) teilnahmen. Fi- Forschung, um so das Interesse an der Vergan- leuten ohne Berufserfahrung gebaut. Es war ihr nanziell unterstützte das Litauische Kulturmi- genheit und den Traditionen dieser Region neu erstes Boot, das sie je gebaut hatten. Als Vor- nisterium diese Aktion. Broschüren wurden ge- zu beleben. bild nutzten sie einen originalen Kurenkahn, der druckt, eine Wanderausstellung wurde erstellt in der Nähe ausgestellt war. Einige der Hand- sowie ein Videofilm über Fischerboote auf dem Die Replik des Kurenkahns SÜD 1 wurde im werkstechniken mussten durch die jungen Leu- Kurischen Haff produziert. All diese Informati- Zeitraum 2000 bis 2001 im Litauischen Mee- te erst noch erlernt werden. Eine komplizierte onen wurden an verschiedenen Orten der Ku- resmuseum in Klaipeda gebaut (Abb. 7). Der Aufgabe war das Biegen der Eichenplanken un- rischen Nehrung durch Treffen mit der lokalen Bauplatz für das Boot wurde im Freigelände des ter Heißdampf, um diese dann möglichst schnell Bevölkerung weiter verbreitet. Museums in unmittelbarer Nähe des Wohnhau- mit Nägeln an dem Spantengerüst zu befesti- Im Rahmen des gleichen Projektes wurde im ses eines ehemaligen Küstenfischers eingerich- gen. Die Lösungen für die meisten der beim Bau Jahr 2003 eine Veranstaltung mit dem Titel „Ent- tet. Der Bauablauf spielte sich vor den Augen entstehenden Probleme fanden sich in der sehr lang der Floßroute“ auf der Memel organisiert. der Museumsbesucher ab. Diese erhielten dort fundierten Studie von Werner Jäger (1995) über Die Segeltour mit dem Kurenkahn SÜD 1 dauer- auch weitergehende Informationen zu diesem die Fischerboote der Kurischen Nehrung. Am te zwei Wochen und führte rund 200 Kilometer Bootstyp. Die Bootsbauer waren bemüht, so- 20. Juli 2001 konnte der Kurenkahn zu Wasser weit auf der Memel von Kaunas bis zur Mündung weit wie möglich authentische Werkzeuge und gelassen werden. Diese Phase des Projektes des Stroms bei der Insel Rusnė. Seit Mitte des Materialien zu verwenden. Natürlich gekrümmte wurde durch das Litauische Meeresmuseum fi- 18. Jahrhunderts gab es auf dieser Strecke eine Eichenholzstämme wurden für die Spanten und nanziert (Lankeliene, 2009). intensive Frachtschifffahrt und Holzflößerei zu für die Steven benutzt; der Boden wurde aus mit Im Mai 2002 wurde im Rahmen des Projektes den Häfen Königsberg und Memel. Teilnehmer Holzteer getränkten Kiefernplanken zusammen- „Die Rückkehr des Kurenkahns“ eine Exkursion der Fahrt waren Vertreter der Universität von gefügt und für die Planken wurde abgelagertes mit dem Kahn über das Haff und entlang der Klaipeda, des Informationszentrums für Volks- Eichenholz verwendet. Die Teile des Bootes Küsten der Kurischen Nehrung organisiert, die kultur auf der Insel Rusnė, des Kriegsmuseums wurden mit handgeschmiedeten Nägeln und von Klaipeda aus über die litauische-russische des Grafen Vytautas des Großen in Kaunas und Klampen zusammengefügt. Die Planken wurden Grenze nach Šarkuva führte. Diese Segeltour des Panemuniai Parks sowie Fachkollegen aus mit Holzteer imprägniert. Ein Problem, das er- war als internationale Expedition angelegt, an Deutschland und Polen. 2004 folgte eine Tour folgreich gelöst werden konnte, war die Suche der Vertreter des Litauischen Meersmuseums, entlang der Ostküste des Kurischen Haffs, denn dieser Teil der Lagune war bisher noch nicht un- tersucht worden. Alle Crewmitglieder benötig- Abb. 8: Hölzerner Fischerkahn im Hafen von Nida auf der ten Visa für die Russische Föderation. Die Fahrt Kurischen Nehrung, 2008. führte von Juodkrantė im Litauischen Teil der Kurischen Nehrung nach Labguva bei Polesk im Distrikt Kaliningrad der Russischen Föderation. und rund um Stettin in Polen teil. 2008 lag der Die erste internationale Veranstaltung mit dem Schwerpunkt der Aktivitäten mit dem Boot SÜD Kurenkahn SÜD 1 war die Teilnahme an der Sail 1 im Bereich der Weichselmündung und in der Amsterdam 2005, die alle fünf Jahre stattfindet Zusammenarbeit mit dem Polnischen Schiff- und eine der größten Ausstellungen zum leben- fahrtsmuseum in Danzig (Ẑulkus, 2009). digen bzw. segelnden maritimen Kulturerbe in Westeuropa darstellt. Der Kurenkahn wurde per Zusammenfassend kann man sagen, dass LKW nach Holland transportiert. Während die- SÜD 1, das Traditionssegelboot des Litaui- ser Veranstaltung wurden wichtige Verbindun- schen Meeresmuseums während seiner nun- gen zwischen dem Litauischen Meeresmuseum mehr zehnjährigen „Dienstzeit unter Segeln“ und der European Maritime Heritage Organisati- eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Wis- on (EMH) geknüpft. sens über das maritim-kulturelle Erbe Litauens Eine weitere wissenschaftliche Exkursion war für gespielt hat. Und es blieb dabei nicht allein. In 2006 geplant, aber leider erteilte die Russische den Orten auf der Kurischen Nehrung wurden Föderation keine Genehmigung zur Einreise. Veranstaltungen für die lokale Bevölkerung und Deshalb fand diese Exkursion auf Litauischem für Touristen angeboten, um mit den Besuchen Territorium statt. Teilnehmer waren Vertreter der des Kurenkahns und den Segeltouren lebendi- Universität Rostock, der Universität Greifswald, ge Geschichte zu vermitteln und den Menschen des Polnischen Schifffahrtsmuseums in Dan- die Traditionen der Fischer dieser Region näher zig und der Universität in Klaipeda. Im Mai und zu bringen. Es gibt mittlerweile auch in Orten Juni 2007 nahm das Segelboot SÜD 1 des Li- wie Kintai und Rusnė ein lebhaftes Interesse tauischen Meeresmuseums an verschiedenen an den lokalen maritimen Traditionen. Dort ent- internationalen Veranstaltungen in der Region stehen zurzeit Nachbauten von traditionellen des Stettiner Haffs inklusive des Peenestroms Segelbooten, die für Zwecke des Kulturtouris- Abb. 7: Die Replik des in den Jahren 2001/2002 gebauten Kurenkahns SüD 1 im Hafen von Klaipėda. und des Achterwassers auf deutscher Seite mus genutzt werden sollen. Die Erinnerung an

162 163 die kleineren Fischereifahrzeuge des Kurischen Kahnbaus und der Fischerei bis 1945. Ver- Haffs und an den Alltag der Menschen in dieser lag für Regionalgeschichte Bielefeld. 431 Bauprogramme genormter Region kann durch die Vermittlung von mariti- S. men Handwerkstechniken gestärkt werden. Lankeliene, V. (2009): “The return of the Kuren- as” – A Long Term Financing of a Project. – Fischereikutter für die Ostsee Während der Ostsee-Regatta der Tallship Races „Die Rückkehr des Kurenkahns“ – Die kon- im Sommer 2009 versammelten sich in Klaipe- tinuierliche Finanzierung eines Projektes. Siegfried Möhrmann und Michael Mäuslein da, dem einzigen Seehafen Litauens, über 100 Die Lagomar Haffe. Einzigartige maritime Hochsee-Segelschiffe. Dies war eine gute Ge- Kulturlandschaften im wissenschaftlichen legenheit, die Flotte der Traditionssegelschif- Diskurs und interdisziplinären Vergleich. fe des Kurischen Haffs ebenfalls zusammen Hrsg. von H. Meyer, M. J. Springmann und zu bringen. Fünf Kurenkähne und drei kleinere H. Wernicke. Steffen Verlag Friedland, S. Fischerboote segelten nach Klaipeda, um bei 132-139. dem großen Hafenfest dabei zu sein (Abb. 8). Perminas, K. (2009): Fishing in the Curonian La- Einführung einige von ihnen noch heute für den Fischfang Diese gemeinsame Unternehmung wurde durch goon: Some Aspects of Fisherman`s Life. und den Tourismus eingesetzt (Abb. 1). Dabei das SeaSide Projekt unterstützt, das den Zweck – Fischfang im Kurischen Haff: Aus dem An der Flotte der Küstenfischerei der ehemali- wurden sie bei ihren „Heimatwerften“ mehrmals hatte, die maritime Kultur und Einrichtungen, Leben der Fischer. Die Lagomar Haffe. Ein- gen sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und grundlegend modernisiert. Generalreparaturen die der Erhaltung der maritim-kulturellen Denk- zigartige maritime Kulturlandschaften im der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) sparten mitunter nur den Kiel aus. Durch Ver- male und Stätten dienen, zu stärken und das wissenschaftlichen Diskurs und interdiszi- hatten die 17-Meter-Fischkutter des Typ D zah- kauf nach West-, Ost- und Nordeuropa wurde Wissen über eben diese Kultur in den Regionen plinären Vergleich. Hrsg. von H. Meyer, M. lenmäßig den größten Anteil. Sie wurden unter dieser Schiffstyp auch international verbreitet. des südlichen Ostseeraumes zu verbreiten (sie- J. Springmann und H. Wernicke. Steffen der Leitung von Geheimrat Professor Dr. Ing. Romberg, die Reichsanstalt für Fischerei Ber- he Beitrag von Danker-Carstensen auf Seite 20 Verlag Friedland, S. 53-61. h.c. Friedrich Romberg zwischen 1938 bis 1942 lin (RfF), der Germanische Lloyd (GL) und die in diesem Band). Ebenfalls unter dem Dach des Strakauskaitė, N. (2009): Klaipėda und die Kuri- entwickelt, der sich bereits vor dem Krieg, ab Bremer Konstruktions-Gesellschaft Maierform SeaSide Projektes konnte der Kurenkahn SÜD 1 sche Nehrung. R. Paknio leidykla. Vilnius. dem Jahr 1938, intensiv mit der Optimierung GmbH, Bremen machten sich ab 1938 gemein- an der HanseSail 2010 in Rostock teilnehmen. Woede, H. (1966): Die Wimpel der Kurenkäh- und Typisierung der deutschen Küstenfische- sam daran, die Standardisierung und Typisie- Während des Aufenthaltes im Rostocker Stadt- ne. Geschichte – Bedeutung – Brauchtum. reifahrzeuge befasste. Bis zum heutigen Tag ist rung der Kutterflotte voranzutreiben. Ergebnis hafen hatten die Besatzungsmitglieder Gele- Holzner Verlag Würzburg. 269 S. die Suche nach allumfassendem Hintergrund- der vierjährigen Arbeit zur Vereinheitlichung genheit, sich mit Kollegen von schwedischen, Žulkus, V. (2009): Three Lagoons. Man, Culture wissen über den mit den höchsten Stückzahlen der Kuttertypen waren sieben Kuttergrößen die polnischen und deutschen Projekten im traditi- and Landscape. – Drei Haffe. Mensch, Kul- gebauten Schiffstyp der mecklenburg-vorpom- an die Stelle von ca. 200 bis dahin vorhande- onellen Bootsbauhandwerk auszutauschen. tur und Landschaft. Die Lagomar Haffe. merschen Küstenfischerei eine kaum lösbare nen verschieden großen Fischereifahrzeugen Einzigartige maritime Kulturlandschaften Aufgabe. In reiner Holzbauweise erbaut, werden der Nord- und Ostsee traten. Das Ergebnis der Übersetzung aus dem Englischen, englische im wissenschaftlichen Diskurs und inter- Zusammenfassung und Anmerkungen von Pe- disziplinären Vergleich. Hrsg. von H. Mey- ter Danker-Carstensen, Rostock. er, M. J. Springmann und H. Wernicke. Steffen Verlag Friedland, S. 73-81. Literatur

Adomavičius, R. (2003): The Return of the Kurėnas. Sailing Boats of the Fishermen of the Curonian Lagoon. Baltic Sea Identity. Common Sea - Common Culture? Hrsg. Litwin, J. 1st Cultural Heritage Forum. Gdansk, S. 161-164. Elertas, D. (2009): The Culture of Fishermen of the Lithuanian Coast and the Curonian La- goon: from the Collection of the Lithuani- an Sea Museum. – Die Kultur der Fischer an der litauischen Küste und im Kurischen Haff: Aus der Sammlung des Litauischen Meeresmuseums. Die Lagomar Haffe. Ein- zigartige maritime Kulturlandschaften im wissenschaftlichen Diskurs und interdiszi- plinären Vergleich. Hrsg. von H. Meyer, M. J. Springmann und H. Wernicke. Steffen Verlag Friedland, S. 62-68. Jaeger, W. (1995): Fischerkähne auf dem Kuri- schen Haff: Einblick in die Geschichte des Abb. 1: WIS 121 MARLEN beim Hieven im Sassnitzer Graben (April 2010).

164 165 des dänischen Ministeriums für Landwirtschaft Nach diesen Versuchen mit ihren ingenieurtech- und Fischerei an die Bremer Konstruktions- nischen Leistungen bei der Aufarbeitung der Gesell­schaft Maierform GmbH. Die Wiener und Fahrzeuge der Ostseefischerei wurde für die Hamburger Versuche bestätigten, dass die er- neuen Schiffstypen die Kraweelbauweise einge- zielte Verbesserung des Seegangs­verhaltens führt (Abb. 3). Bei der Neben- und Kleinfische- (z. B. Wendigkeit, Verdrängung, Stabilität) durch rei hielt sich lange Zeit, teils bis in die heutigen die Gestaltung des Unterwasserrumpfes­ nach Tage, die Klinkerbauweise, bei der die Planken der Maierform bei reichlich 30 % lag. nicht Kante an Kante, sondern überlappend an- Solch umfassendes Erfahrungsmaterial aus gebracht werden. Dabei werden die alten Mal- dem Betrieb einer großen Anzahl von Schiffen len und Bauregeln bis in die heutigen Tage wei- konnten weder Bauwerften noch Reedereien ter verwendet. sammeln (Foerster, 1947). Die Maierform setz- Aus den volkstümlichen Fischereifahrzeugen te es damals mit durchschlagendem Erfolg für der Ostsee sind so im Laufe einer langen Ent- neue Fischkutterformen auf der Grundlage einer wicklungsperiode bis zum Ende des Zweiten systematisch aufgebauten weltumfassenden Weltkrieges die größeren Kutter für die Küsten- Betriebsstatistik ein. Daraus entwickelte sich und Hochseefischerei entstanden. Sie wurden eine fortschreitende Verfeinerung der Formen aus damaliger Sicht zu modernen Erzeugnissen mit immer tieferen Erkenntnissen der engen hy- einer Schiffbauindustrie, die sich dann in den dromechanischen Zusammenhänge zwischen Nachkriegsjahren mit immer größeren und mo- Schiffsform, Wellenbildung und Propellerarbeit. derneren Fahrzeugen weiterentwickelte. Die Ergebnisse der verbesserten See-Eigen- Im Jahr 1945 hatte die Sowjetische Militäradmi- schaften erlaubten beim Anlaufen gegen die nistration in Deutschland (SMAD) entschieden, See die Fahrt mit unreduzierter Maschinenkraft als ersten Schiffstyp für die Reparationsleis- weitaus besser, als mit den herkömmlichen öfter tungen an die Sowjetunion und später für die überfluteten Vorschiffsformen. Die ausgiebige Fischwirtschaft in der SBZ den 17-Meter-Kutter Anwendung der Maierform im Fischereiwesen Typ D nach den Entwürfen von Romberg bauen wurde durch die Entwicklung wellenabweisen- zu lassen. Nachdem deutsche Stellen zunächst der Überwasser-Vorschiffsformen begünstigt. die Meinung vertraten, dass der vorhandene,

Abb. 2: STR 179 LASSAN am Anleger der FPG Stralsund. Besatzungsmitglied klariert das Netz für die nächste Fangreise.

Formnormung war ein Kompromiss zwischen versuchen. Für die Ostsee einigte man sich auf der so genannten „Maierform“ (V-förmige Ste- vier Typengrößen, für die Nordsee ergaben sich venform nach Fritz F. Maier (1844-1926)) und drei. Die Typen D (17-Meter-Kutter) und Typ G den bis dahin vorhandenen bewährten Kutter- wurden bevorzugt, um schnell Kapazitäten auf- formen (Danner, 2001). zubauen (Abb. 2). Typenbuchstaben und Län- Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges vertrat gen der Fahrzeuge dienten als Kennzeichnung. Romberg bei der RfF das Referat für Motoren- Die sieben Grundtypen wurden 1940 vom GL in und Fangfahrzeuge. In Zusammenarbeit mit dem den „Vorschriften für die Klassifikation und zum GL, unter Leitung des Schiffbau-Oberingenieurs Bau von hölzernen gedeckten Seefischereifahr- Georg Buchsbaum und unter Hinzuziehung der zeugen“ festgelegt. Maierform GmbH Bremen, erfolgte 1941 die Neben den Versuchsreihen mit dem Typ G (dem Größennormung (Timmermann, 1962). Auftrags- späteren 24-Meter-Kutter) ließ die RfF ein Ver- gemäß waren sieben Kuttertypen zu entwickeln, gleichsprogramm in der Schiffsbautechnischen die es im Rahmen von Modellschleppversuche Versuchsanstalt in Wien mit dem etwas klei- zu testen und zu optimieren galt. Sie sollten neren Typ D (dem späteren 17-Meter-Kutter) als Standardfahrzeuge für die Fischerei an der durchführen. Eine weitere, nicht weniger inte- Nord- und Ostsee in Frage kommen. Dabei tes- ressante Kontrolle zur Stimmigkeit der Kutter- tete Romberg mit den Ingenieuren der Maierform versuche wurde 1944 in der Hamburgischen GmbH und dem GL die sieben Kutterentwürfe Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA), ebenfalls mit der Typbezeichung A (12-Meter-Kutter) bis mit freifahrenden eigengetriebenen Modellen, Abb. 3: KAR 36 MARITA, die frühere KAR 36 BAUTZEN, auf der Heimreise nach Karlshagen im Oktober 2010. Links im G (24-Meter-Kutter) in systematischen Schlepp- durchgeführt. Diese Tests erfolgten im Auftrag Hintergrund die Insel Ruden.

166 167 zum großen Teil reparaturbedürftige und überal- Fischereischiffe in Kuttergröße für den Einsatz terte Bestand an Fischerei-Fahrzeugen ausrei- im Nahbereich gebaut. Erstellt wurden sie in chend sei, war die SMAD bereit, alle Kosten für handwerklicher Holzbauweise – mit der Kunst die Einrichtung und Unterhaltung eines Schiff- des Improvisierens. Mehr war bei den chaoti- bau-Büros zu übernehmen. So kam es, dass schen Zuständen in der Nachkriegszeit einfach Romberg als bereits 74-jähriger ein Schiffbau- nicht möglich. Dabei wurden die hohen Stück- Büro in Ostberlin gründete und am 1. Mai 1946 zahlen mit einer konsequenten Orientierung auf eröffnete. Das neue Ingenieurtechnische Büro einen einheitlichen etwa 17 Meter über alles des Ministeriums für Fischwirtschaft der UDSSR langen Standardtyp durchgesetzt. Allerdings wurde von ihm als Chefingenieur geleitet. glich wegen der jeweils verfügbaren Hölzer und Ausrüstungen kein Kutter dem anderen. Zu die- sem Zeitpunkt standen sowohl Arbeitskräfte – Hauptbauprogramm zumeist Vertriebene und Flüchtlinge, darunter 17-Meter-Kutter – auch Wolliner, die für den Kutterbau die not- wendigen Voraussetzungen mitbrachten – als Fischereischiffe des Typ D auch einheimisches Holz und Baumaterial für Bald ersetzte eine flexiblere sowjetische Repara- das vorgesehene Programm noch ausreichend tionspolitik die ersten kurzfristigen, destruktiven zur Verfügung. Demontagekonzepte mit nur geringem Nutzen. Danach vergingen knapp anderthalb Jahre, bis Abb. 4: WAR 44 PLAUEN und WAR 62 ERICH KUSEK, beide Abb. 5: WAR 41 DESSAU und WAR 51, später WIS 101 die neue Linie erkennbar wurde. Einige aufmerk- im Jahr 1949 auf der Schiffswerft Max Rohde in Rostock- 17-Meter-Kutter – HANS COPPI, am alten Strom von Warnemünde (1970). same SMAD-Offiziere hatten die Problematik er- Gehlsdorf gebaut. Schiffstyp der Gründerjahre kannt. Sie versuchten mit einigem Erfolg, eigene Spielräume der Gestaltung im Sinne einer prag- Die Unterlagen, Baupläne und Bauvorschriften geglaubte und nach langer Zeit wieder aufge- matischen, den Wiederaufbau der Wirtschaft si- den im damaligen Mecklenburg in den Jahren für den 17-Meter-Fischkutter stellte das von tauchte Zeichnung Nr. 01 02 vom 8. Februar chernden Politik auszuschöpfen. Schließlich, am 1946 bis 1951 von insgesamt 17 Werften und Romberg in Ostberlin gegründete und geleite- 1946 für den „Hauptspant für Fischkutter Typ: Ende des Jahres 1947, war die Gefahr einer Wirt- vier weiteren, die nur Rümpfe lieferten, etwa 208 te Ingenieurbüro des sowjetischen Ministeriums D“, die alle Hauptdaten des Kutters enthält, un- schaftslähmung gebannt. Vor dem Hintergrund 17-Meter-Kutter in reiner Holzbauweise gefer- für Fischerei der UdSSR bereit. Die verschollen terzeichnete er als Chefingenieur persönlich. der Situation bei Ende des Zweiten Weltkrieges tigt (Germanischer Lloyd, 1950, DSRK-Register war in den Folgejahren eine überraschend positi- 1974). Davon mussten in den Anfangsjahren ve Entwicklung zu verzeichnen. etwa 75 Einheiten als Reparationsleistung an die UdSSR abgeliefert werden. Für die DDR- Beabsichtigt war, in der Küstenregion bestimmte Fischwirtschaft waren 130 Schiffe bestimmt Standorte industriell zu entwickeln. Zusammen (Abb. 5). Zwei zusätzliche Kutter wurden als mit Schiffbau und der Schifffahrt bot die Zunah- Peilboote und ein weiterer als Fahrgastfähre me der Fischindustrie gute Voraussetzungen für eingesetzt. Die schlechte Quellenlage erschwert einen Ausbau der regionalen industriellen Infra- die Darstellung genauer Stückzahlen der an die struktur im Norden der SBZ und späteren DDR. UdSSR gelieferten 17-Meter-Holzkutter. Der So sollten an einzelnen Standorten wie Wismar tatsächliche Gestehungspreis (Betriebspreis) oder Warnemünde Reparaturwerften entstehen eines Kutters lag zu diesem Zeitpunkt entspre- (Abb. 4). Für Stralsund, Damgarten und Wolgast chend seiner Ausstattung und Größe zwischen war der Ausbau zu Neubauwerften vorgesehen. 270.000 DM bis 350.000 DM (DM = Deutsche Mit Hilfe einer neuen Fischereiflotte sollte die Mark der Deutschen Notenbank 1951-1964, äußerst angespannte Lebensmittelversorgung später MDN = Mark der Deutschen Notenbank der einheimischen Bevölkerung und der Besat- bis Dezember 1967 und M = Mark der DDR bis zungstruppen entlastet werden. Die SMAD be- Juni 1990), für Reparationen wurden davon fahl und organisierte über ihre ersten, speziell lediglich 90.000 DM angerechnet (Strobel & für diese Vorhaben ausgefertigten Reparations- Dame, 1993). Einen so genannten Standardkut- Aufträge, Fischereifahrzeuge in Kuttergröße zu ter gab es nicht, da die meist kleineren Werften bauen. Die Versorgungslage der Nachkriegszeit auf handwerklicher Basis und traditionell solide ließ größere Projekte zunächst ohnehin nicht zu. arbeiteten. Diese bootsbaulich bemerkenswer- Als sichtbares Zeichen ihrer Regierungshoheit ten Leistungen verdienen auch unter heutiger erließ die SMAD von 1945 bis 1949 zahlreiche Betrachtungsweise noch hohe Anerkennung. schriftliche Befehle an eigene und deutsche Von den damals beteiligten Schiffs- und Boots- Dienststellen, über deren Ausführung nicht dis- werften an der mecklenburgischen und vorpom- kutiert wurde. Sie galten damals als absolute Ent- merschen Ostseeküste bis zu den im tiefsten scheidung der Befehlsgewalt der Sowjetmacht. Binnenland gelegenen Werften wurden alle Ka- Abb. 6: WOG 85 NEUBRANDENBURG Ende der 1950er Jahre im Eisgang auf der Ostsee. Das Rettungsfloß vom Typ RF 4 Um den Fischfang generell zu steigern, wur- pazitäten erfasst. Zunächst wurden nur einfache DR befindet sich auf der Stellage hinter dem Ruderhaus.

168 169 Befehl Nr. 103 vom 7. Juni 1948: „...befehle ich 80 Kuttern und für 1950 von 100 Kuttern im Ge- die Einrichtung von Werften für den Bau von samtwert von 45 Millionen DM. Schiffen für die Fischereiflotte in den Städten: Die Ziele wurden im Militärjargon definiert. Präzi- Stralsund, Wolgast und Damgarten und die Ver- se bestimmt waren zudem in den ausführlichen größerung der Produktion der im Betrieb befind- Anlagen die Spezialisierung der Werften, die lichen Werften...“; benötigten Ausrüstungen für deren Errichtung Befehl Nr. 104 vom 9. Juni 1948: „...befehle ich, und Betrieb, die Arbeitskräfte, Baumaterialien von der Anzahl der in 1949/50 gebauten Schiffe und Brennstoffe. Die damalige Wiederaufnah- unter den fischerei-gewerblichen Organisationen me des Holzschiffbaus an der Küste Mecklen- in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands burg-Vorpommerns lag im Wesentlichen darin im Jahre 1949 - 4 Seiner und 60 Kutter, im Jahre begründet, dass alle ostdeutschen Stahlschiff- 1950 - 4 Seiner und 87 Kutter zu verteilen...“. bau-Werften mit der Erfüllung der sowjetischen Mit diesen Befehlen wurden die Deutsche Reparationsforderungen bis an ihre Kapazitäts- Wirtschaftskommission und die Ministerprä- grenzen ausgelastet waren (Abb. 7). sidenten der damaligen Länder Mecklenburg, Die Landesregierung von Mecklenburg stock- Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und te die Werftliste des Befehls Nr. 85 später um Thüringen angewiesen, den Bau von gleich drei insgesamt 15 Werften auf (siehe Kasten). Mit Neubauwerften an der Küste sicherzustellen. dem Bau waren bereits ab 1946 und 1947 die Sie umfassten die Kapazitätssteigerung der Schiffs- und Bootswerft Max Rohde in Rostock- vorhandenen Werften sowie den Bau von neu- Gehlsdorf, die Bootswerft Warnemünde und die en Fischereifahrzeugen auf den Werften für die Ingenieurbau GmbH in Stralsund beschäftigt. Jahre 1949/50, die in der Anlage 1 zum Befehl Der vermutlich erste 17-Meter-Kutter bei der Nr. 104 aufgelistet waren. Die entsprechenden Ingenieur-Bau GmbH, dem späteren VEB Volks- Aufträge waren von den Werften zu erbringen. werft Stralsund, wurde am 11. September 1946 Für die Boddenwerft in Damgarten bedeutete auf Kiel gelegt. Es gab auch Zeitzeugen, die den dies z. B. für 1949 eine Produktionsauflage von Januar 1947 als Termin nannten.

Abb. 7: WOG 85 NEUBRANDENBURG als Teil einer Wolgaster Tuckpartie. Bei Eisgang ist die Besatzung beim Einholen des Schleppnetzes mit den Händen besonderen Strapazen ausgesetzt. Befohlene Werften und Bau Insgesamt waren 17 Werften in Mecklenburg-Vorpommern am Bauprogramm der In der Bauvorschrift über das „Technische Pro- Länge über alles 17,60 m 17-Meter-Kutter beteiligt. Die Hauptbauwerften waren: jekt Nr. 01/26“ vom 13. November 1946 hieß es Länge zwischen den Loten 15,00 m dazu: „Der Fischkutter ist für den Fischfang mit Länge Konstruktionswasserlinie 14,50 m • Damgarten (Pütnitz): Boddenwerft Damgarten, Reparationsauftrag R 50/511705 (erster Drifternetzen und Kurre im Gebiet der Ostsee Größte Breite auf Außenhaut 5,00 m Kutter am 24. Mai 1949), insgesamt 83 Kutter; und ihren Buchten bestimmt. Der Kutter wird in Seitenhöhe auf Spant 18 2,38 m • Rostock-Gehlsdorf: Max Rohde, (erster Kutter im Dezember 1947), insgesamt 26 Kutter; Holzbauart, mit Kreuzerheck, ausfallendem Vor- Konstruktionstiefgang im Mittel, • Rostock-Gehlsdorf: Schiffs- und Bootswerft Gehlsdorf, insgesamt 35 Kutter; steven, durchlaufendem Deck, Steuerhaus am Tiefgang im Mittel, Außenkante Sponung 1,54 m • Stralsund: Ingenieur-Bau GmbH, (erster Kutter: Kiellegung 11. September 1946, Stapel- Heck und Stützbesegelung ausgeführt. Der An- Größter Tiefgang hinten 1,90 m lauf im September 1947, Übergabe am 25. April 1948), insgesamt 20 Kutter; trieb erfolgt durch einen Dieselmotor. Der Kutter Decksbalkenbucht 0,125 m • Stralsund: Volkswerft Stralsund (sie ging am 15. Juni 1948 aus der Ingenieurbau GmbH wird nach den Vorschriften des Germanischen Freibord 0,815 m hervor), insgesamt 7 Kutter und Lloyd für Klassifikation und Bau von hölzernen Segelfläche rund 55 m2 • Warnemünde: Bootswerft Warnemünde (erster Kutter 29. Februar 1948), insgesamt 14 gedeckten Seefischereifahrzeugen 1941 mit der Kutter, Reparationsauftrag R 50/64199 vom 30. April 1946. Klasse ✠A 6 (zunächst) „Seefischereifahrzeug“ Der bereits eingeleitete Bau wurde laut Befehl und unter dessen Bauaufsicht gebaut und aus- Nr. 85 des Chefs der Sowjetischen Militäradmi- Weitere Kutterneubauten entstanden in (Anzahl jeweils in Klammern): gerüstet. […]“ (Privatarchiv des Verfassers). nistration (SMA) in Mecklenburg vom 25. Mai Die Generalplan-Zeichnung Nr. 653/34 vom 29. 1948 fortgeführt. Für 1948 wurde der Bau von 20 • Altwarp: Schiffs- und Bootswerft Emil Riechert (3) Dezember 1945 lässt eine yachtähnliche Grund- Fischkuttern und die laufende Reparatur der ge- • Anklam: Bootswerft Gebrüder Freude (1) charakteristik erkennen (Strobel, 1992). Sie liegt samten Fischereiflotte festgelegt. Danach folg- • Anklam: Schiffswerft Genseburg (2) auch den vom Germanischen Lloyd zunächst für ten die beiden wegweisenden Befehle, die der • Barth: Schiffswerft Sanitz (4) die Klasse ✠A 6, danach ✠A 4 als Seefischerei- schwach entwickelten industriellen Infrastruktur • Freest: Bootswerft Christian Jarling & Söhne (1) fahrzeug genehmigten und klassifizierten Bau- an der Ostseeküste der sowjetischen Besat- • Gager auf Rügen: der Bootswerft Fritz Koldewitz (2) ausführungen der beteiligten großen Werften, zungszone eine völlig neue Dimension eröffne- • Greifswald: Boots- und Yachtwerft Richard Buchholz (3) den Hauptbauwerften und den Kutterbauten ten. Mit den Befehlen Nr. 103 und Nr. 104, wel- • Lassan: Bootswerft Rudolf Menge (1) der kleineren Werften entlang der Ostseeküste che das Reparationsprogramm (kriegsbedingte • Lauterbach/Rügen: Bootswerft Wilhelm Wessel (2) zugrunde (Abb. 6). Wiedergutmachungs-Leistungen) der Jahre 1949 • Ückermünde: Bootswerft der Gebrüder Kruse (2) Allgemein als 17-Meter-Kutter bezeichnet, be- und 1950 regelten, stellte die SMAD endgültig • Wolgast: Schiffswerft Horn (2) saß er zunächst folgende Hauptabmessungen: die Weichen (Bundesarchiv Berlin, 1947, 1948):

170 171 Die Werft Sorge in Kühlungsborn, das Dän- Mai 1949 (Zeichnung-Nr. 1000-B-12) liegen die auf der Bauspant-Zeichnung Nr. 1000-B-07 holmwerk C. u. H. Blad in Stralsund, die angeführten Hauptabmessungen zugrunde. Die von fünf Meter auf 5,60 Meter vergrößerte Stadtwerft/Stralsund und die Werft Albert Breite erhöhte wesentlich die Tragfähigkeit und den Laderauminhalt und verbesserte das Wessel & Sohn in Wiek/Rügen bauten aus- Seeverhalten. schließlich Rümpfe (DSRK-Register 1974; Die Boddenwerft Damgarten als Hauptbauwerft der 17-Meter-Kutter lieferte mit SAS 134 Strobel, 1992; Strobel & Dame, 1993; Boie, STRALSUND (ab 1960 WIS-120, ab 1966 WAR 54, im Jahr 1994 Verkaufsschiff NINA I in 2001). Der Fertigbau erfolgte auf anderen Warnemünde) am 1. März 1950 den ersten verbreiterten und auf 17,80 Meter verlängerten Werften. Der SMAD-Befehl Nr. 233 vom 9. Kutter aus, nachdem sie bei laufender Produktion auf die optimierte Schiffsform umgestellt Oktober 1947 regelte u. a. auch, dass die hatte. Die Werft hatte seit Mai 1949 bereits 45 nur fünf Meter breite Kutter fertig gestellt. „kleinen Schiffswerften“ in der Zeit der Bau- Darunter befand sich die am 15. September 1949 fertig gestellte SAS 95 ADOLF REICH- programme von „anderen Bestellungen zu WEIN mit der Bau-Nr. FK 9. Er war der fünfte Kutter der Boddenwerft für die ostdeutsche befreien“ waren (Abb. 8). Einst große Tradi- Küstenfischerei, der am 9. März 1949 auf Kiel gelegt wurde (Abb. 10). tionen des handwerklich betriebenen Holz- Ein 17-Meter-Kutter erforderte etwa 43 Kubikmeter Eichenschnittholz, zwölf Festmeter Ei- schiffbaus entlang der Küste, wie z. B. in chenrundholz, zwölf Kubikmeter Nadelholz sowie einen Kubikmeter Buche, trocken und ab- Damgarten, wurden damit noch einmal in gelagert – und das in einer Zeit, in der auch hohem Maße wiederbelebt. Die 17-Meter- Abb. 8: In Halle III der Boddenwerft werden im Taktver- Heizmaterial extrem knapp war. Die Segelflä- Kutter prägten über fünf Jahrzehnte wie fahren die Schiffskörper gefertigt. Arbeiter montieren che der Stützsegel bei den 17,60 Meter lan- kein anderer Schiffstyp die Küstenfischerei das Schanzkleid (1949). gen Kuttern betrug etwa 55 Quadratmeter. In Mecklenburg-Vorpommerns – einige wenige der späteren Praxis wurde in der Regel nur fischen noch heute (Abb. 9a-d). noch das Besansegel als Stützsegel benutzt, Einsatzerfahrungen mit den 17-Meter-Kuttern und die Notwendigkeit, weiter entfernt liegen- um die Kutter während des Netzaussetzens de Fangplätze in der Ostsee zu befischen, führten zur weiteren Optimierung des Schiffstyps. und -einholens im Wind zu halten. Kein Kut- Das Technische Büro der Volkswerft Stralsund führte diese unter Federführung des Kon­ ter glich dem anderen: Die Längen erstreck- strukteurs Kurt Kühn in der ersten Hälfte des Jahres 1949 aus. Dem Bauspantenriss vom 17. ten sich von etwa 17,00 über 17,30, 17,60 bis 17,80 Meter, die Breiten bei ungefähr von 5,0 bis 5,60 Meter. Daran und an den Aufbauten der Kutter, die sich im Lauf der Jahre und bei Klasse- und Generalreparatu- ren ebenfalls veränderten, ließ sich auch die Abb. 10: Kutter warten Ende der 1950er Jahre auf ihre Handschrift der kleineren Werften erkennen. Klassereparatur im Peenestrom.

Die ersten Jahre Kreis), Karl Krull, Harro Schulze-Boysen (Rote Kapelle), Geschwister Hans und Sophie Scholl Im August 1948 wurden den ostdeutschen Küs- (Weiße Rose) und Namen von Orten und Städ- tenfischern die ersten 17-Meter-Kutter überge- ten in der DDR, wie Rostock, Stralsund, Wis- ben. Sie trugen bis Anfang 1949 die Kennung mar, Barth, Damgarten, Freest, Prerow, Ribnitz, Abb. 9a: UEK 12 BERGEN, 2009 beim Auslaufen im Abb. 9b: SAS 71 WERNIGERODE, 2006 – einer der bei- Dä (für Dänholm) und stammten aus dem Repa- Ückermünde, Wolgast oder auch Landschaften, Stettiner Haff. Liegeplatz während der Fangsaison ist den noch fischenden 17-Meter-Kutter in Sassnitz – als rationsprogramm für die Sowjetunion. Mit ihrer wie Fischland, Hiddensee, Jasmund, Mönchgut der Hafen von Freest. Tuckpartner von SAS 73 VEREINIGUNG. Übergabe nach Sassnitz begründeten zwölf Kut- und Stubbenkammer – um nur einige zu nennen. ter am 7. Februar 1949 den Aufbau und die Ent- Im Anfangsjahr 1948 wurden trotz vieler Pro- wicklung einer regionalen Fischwirtschaft. Sie bleme beachtliche Mengen Fisch gefangen. besaßen zunächst einen äußerst robusten und Bei den ursprünglich mit 80 PS ausgestatteten zuverlässigen 80 PS-Antriebsmotor des Typs S Kuttern lag die durchschnittliche Fangmenge 4 DV 224 der Firma Buckau-Wolf in Magdeburg. bei etwa 50 Tonnen und bei den 100 PS-Kut- Einige erhielten auch den 100 PS-Motor Typ KR tern (B&K oder 4 NVD 24 SKL/BW) bei etwa 90 18 V der Firma Bohn & Kähler in Kiel. Die Aus- Tonnen pro Jahr, wobei ausschließlich Grund- rüstung bestand lediglich aus einer angelenkten schleppnetze zum Einsatz kamen. Die Fischer Netzwinde, Magnetkompass und Handlot. gaben sich alle Mühe, sich „ihr“ bisher völlig Ihre Namen erhielten die 17-Meter-Kutter in An- unbekanntes Handwerk anzueignen, passten lehnung an Schlagwörter aus der frühen SED- ihre Schleppnetze entsprechend der zu erbeu- Ideologie, wie Neues Deutschland, Freiheit, tenden Fischart und auch den inzwischen schon Neue Zeit, Aufbau, Aktivist, Freundschaft, Vor- vertrauteren und bekannten Bedingungen auf Abb. 9c: SAS 73 VEREINIGUNG, 2010 im Hafen von Abb. 9d: Heringsfang auf UEK 12 BERGEN, 2009 mit wärts. Später folgten die Namen antifaschisti- den Fangplätzen an. Die Kutterführer fertigten Sassnitz. ihrem Eigner Jörg Engelke auf der Heimreise scher Widerstandskämpfer, die durch die DDR sich die so genannten „Haker- oder Hacker- geehrt wurden, wie Adolf Reichwein (Kreisauer karten“, in denen sie Untiefen und Hindernisse

172 173 Änderungen und Umbauten Holzes an Rumpf und Deck auszuwechseln. Auf den Maschinenraumschacht wurde ein neues Die Umrüstung der meisten Kutter begann Ende Deckshaus gesetzt, das nun auch eine Koje für der 1950er, Anfang der 1960er Jahre. Bis dahin den Kutterführer enthielt. Der Besanmast wur- hatte sich der Ursprungszustand des Grundtyps de in den 1980er Jahren teilweise entfernt und bis auf die notwendigen Reparaturen so gut wie mit der Anordnung eines Schornsteinmantels nicht verändert. Bis auf einige geringe Eigen- ersetzt. Dies betraf zunächst die Kutter in War- heiten kleiner Werften, die in das Bauprogramm nemünde (Richter, 1992; Abb. 12). auf Anweisung der Sowjetischen Militäradmi- Die schrittweise Modernisierung brachte auch für nistration in Deutschland (SMAD) und in Folge die Kutterführer bis dahin unbekannte neue Tech- der Sowjetischen Militäradministration (SMA) nik ins Ruderhaus, wie z. B., ein Navigationssys- in Mecklenburg einbezogen wurden, hatten die tem, das Decca-Radar, eine Funkanlage (Typ CW Kutter das gleiche äußere Erscheinungsbild. 1610. 3 A 1), ein UKW-Gerät (UFS 403 bzw. UMF Der Zustand der Schiffe wurde in der DDR von 309/2) sowie ein Fischortungsgerät-Echograf der Deutschen Schiffsrevision und Klassifika- (Typ EGA 007 bzw. HG 200, Fischlupe, Netzson- tionsgesellschaft (DSRK) überwacht. Ohne Er- de). Fischschwärme konnten nun auch gezielt im teilung bzw. Bestätigung der Klasse und der Freiwasser gesucht und aufgespürt werden. Fahrerlaubnis, die jedes Jahr neu durch das Der Decca-Navigator (Mark XXI, Typ 1896A) war Seefahrtsamt der DDR eingeholt werden muss- ein großer Fortschritt, weil er die Möglichkeit te, durften die Schiffe nicht für den Fischfang schuf, mit dem Kutter in der Nähe von großen eingesetzt werden. Steinen, Abbruchkanten, Wracks oder anderen Im Rahmen der im Abstand von vier Jahren er- Hindernissen zu fischen. Manche Fischer haben forderlichen Klasse- und Generalreparaturen, ohne diese technische Hilfe mitunter an schwie- die dem Erhalt der schiffbaulichen Substanz rigen Fangplätzen das Netz beschädigt oder der komplett aus Holz gebauten Kutter und ganz verloren. Die Geräte kamen, für die dama- Abb. 11: Boots- und Reparaturwerft Greifswald am 21. September 1965. Hinter dem Rumpf mit dem demontierten Schanz- zur Verbesserung der Lebensbedingungen für ligen Kutterführer unfassbar, aus dem „kapitalis- kleid hat WIS 114 DÄNHOLM, ab 1966 WAR 63, für die Klassereparatur festgemacht. die Besatzungen an Bord dienten, wurden die tischen“ England und mussten mit in der in der Schiffe schrittweise modernisiert (Dame, 1986; DDR immer knappen Devisen bezahlt werden. Richter, 1992; Abb. 11). Nach langen Jahren Eine wesentliche Arbeitserleichterung an Deck wie Steine oder Wracks einzeichneten; auch die 1993), die sich damals auf die stolze Summe auf See erwies sich dies als dringend notwen- brachte neben der Kurrleinenwinde der Aufbau technischn Abläufe an Bord wurden verbessert. von rund 275.000 Mark summierten. Bezogen dig. Dabei waren mitunter bis zu 80 % des alten der Netztrommelwinde und der Heringssortier- Ende 1949 verfügte die Sassnitzer Fischwirt- auf den Erhaltungszustand im Jahre 1967 wur- schaft bereits über 48 neue 17-Meter-Kutter. de für den Kutter (Kennung WOG 115) noch Diese landeten trotz großer Probleme bei der ein Schätzpreis von 56.000 Mark festgestellt. Beschaffung des Fanggeschirrs und beim Be- Um die Klasse zu erhalten, wurden im selben trieb der Kutter mit ihren in dieser Zeit noch Jahr Reparaturkosten von 70.000 Mark veran- größtenteils unerfahrenen Besatzungen 1949 schlagt. Da diese Summe den Verantwortlichen bereits etwa 2 000 Tonnen Fisch an. offensichtlich zu hoch war, wurde der Kutter Die Kutter von Sassnitz/Rügen kamen zu den WOG 115 ADOLF REICHWEIN auf Grundlage 1955 neugegründeten Fischerei-Fahrzeug- und des Ministerratsbeschlusses vom 4. Oktober Geräte-Stationen FGS, die sie zunächst an die 1968 (GBL Teil II, Nr. 103/68) zur Ersatzteilge- im gleichen Zeitraum gegründeten Fischerei- winnung freigegeben. Produktions-Genossenschaften (FPG) verchar- Im August 1969 wurden daraufhin der Kutter terten. Sie verfügten 1957 über alle notwen- WOG 57 ALTENBURG (ex SAS 117, erbaut 1949 digen Fanggeräte mit Zubehör und besaßen auf der Wolgaster Schiffswerft Willi Horn), und insgesamt 71 motorisierte, seetüchtige Fahr- die Damgartener Kutter WOG 71 SALZWEDEL zeuge. Bis 1960 sollten ihnen weitere 54 Kutter und WOG 115 ADOLF REICHWEIN für Schrott- zur Verfügung gestellt werden. preise zwischen 6.000 und 8.000 Mark (Richter, 1992) an einzelne Genossenschaften verkauft. Da ihr schiffsbaulicher Zustand sich im Laufe der Baukosten und vielen Jahre ihres Einsatzes auf See enorm ver- Wertentwicklung schlechterte und Klasse- bzw. Generalreparatu- ren nicht mehr in Frage kamen, wurden nach und Quellen aus der Zeit der Indienststellung des Fi- nach viele Kutter außer Dienst gestellt, abge- schereikutters SAS 95 ADOLF REICHWEIN, fer- wrackt oder ins Ausland verkauft. Im Zusammen- tig gestellt am 15. September 1949 auf der Bod- hang der sich verändernden fischereipolitischen denwerft Damgarten, liefern Informationen über Grundlagen verstärkte sich diese Entwicklung die Baukosten (Strobel, 1992; Strobel & Dame, weiter und hält bis in die heutigen Tage an. Abb. 12: WAR 49 WITTOW 1989 bereits modernisiert, beim Einlaufen nach Warnemünde.

174 175 maschine: Die Besatzung konnte auf drei Mann oder Bohn & Kähler in Kiel, erfolgte zum Ende netzfischerei mit zwei Schiffen), erfolgte die Treffpunkt der Besuchergruppen und in nun- reduziert werden. Im Vorschiff wurde das Mann- der 1950er Jahre. Die schrittweise Modernisie- Anordnung der Fischereiausrüstung bei einem mehr 38 Jahren als historisches Zeitzeugnis aus schaftslogis modernisiert und Kühlmöglichkei- rung der Kutter trug wesentlich zu einer besse- Teil der Fahrzeuge auf der Backbordseite. Sie der Geschichte der Fischerei in Mecklenburg- ten geschaffen. Zur Einnahme der meist unre- ren Wirtschaftlichkeit bei und sicherte einigen wurden zu Backbordfängern (die Fischgalgen Vorpommern zu einem Wahrzeichen des Deut- gelmäßigen Mahlzeiten wurde teilweise eine von ihnen das Überleben bis in die heutigen wurden umgesetzt und die Leinenführung an schen Meeresmuseums geworden. Der Fisch- Kombüse mit Sitzplätzen eingerichtet. Tage, über 60 Jahre nach ihrer Indienststellung. Deck verändert). Die Fischer mussten das Netz kutter SAS 95 ADOLF REICHWEIN gehörte zu Für die Weiterentwicklung der Fangtechnik war Einige Kutter wurden bis zur Mitte der 1980er jedoch nach wie vor von Hand einholen, was den ersten ostdeutschen Neubauten, die nach jedoch die Modernisierung der 17-Meter-Kutter Jahre auch mit 200-PS-Dieselmaschinen aus- Schwerstarbeit bedeutete. dem Zweiten Weltkrieg Ende der 1940er bis An- eine unabdingbare Notwendigkeit. Die Umrüs- gestattet. Es stellte sich jedoch später heraus, Die strengen Sicherheitsforderungen der DSRK fang der 1950er Jahre gebaut wurden. Er doku- tung auf den einheitlichen Motorentyp 6 NVD dass diese Maßnahme nicht unbedingt zu einer führten zu weiteren und mitunter kosteninten- mentiert damit einen wichtigen Abschnitt in der 24 vom VEB Schwermaschinenbau „Karl Lieb- Ertragssteigerung führte. siven Veränderungen. Die Verbesserung und deutschen Nachkriegs-Fischereigeschichte und knecht“ (SKL) ehemals Buckau-Wolf in Magde- Die Änderungen und Umbauten, die den Schif- Modernisierung der Logis sowie der Ersatz von des Fischereischiffbaus im Osten Deutschlands. burg hatte bereits begonnen. Diese schrittweise fen in Einzelheiten ein sehr unterschiedliches hölzernen Bauteilen durch Stahlkonstruktionen Der Kutter mit dem Fischereikennzeichen SAS Umrüstung einer großen Anzahl von Kuttern auf Aussehen verliehen, hatten viele Gründe. In erfolgten im Rahmen der erforderlichen Klasse- 95 war auf den Namen des Pädagogen und er- einen einheitlichen Motorentyp vom SKL, der mit dieser Zeit änderte sich auch die Fangtechnik bzw. Generalreparaturen. mordeten Widerstandskämpfers Adolf Reich- 150 PS auch stärker war als die früheren Moto- (Richter, 1992). Mit der Entwicklung und Einfüh- Mit Erreichen der wirtschaftlichen Selbständig- wein getauft worden. Am 9. März 1949 – nur ren der Firmen Buckau-Wolf (S 4 DV 224, 80 PS) rung der Tuckfischerei im Jahr 1963 (Schlepp- keit der FPGs übernahmen diese die Fahrzeu- sechs Monate vor der Taufe – erfolgte die Kiel- ge von den FGSen. Zur Sicherung der Werter- legung im VEB Boddenwerft Damgarten auf haltung und ständigen Einsatzbereitschaft der dem Gelände des ehemaligen Pütnitzer Flug- Fangeinheiten wie auch der landseitigen Tech- hafens. Wie sich der Werftarbeiter Kurt Wilke, nik waren von den FGSen „verbindliche Repa- seinerzeit am Bau der 17-Meter-Kutter beteiligt, raturordnungen“ erlassen worden, deren Erhalt erinnerte, fehlte es oft an Material. Trotzdem die jeweiligen Kutterführer und Kapitäne mit ih- wurden die Kutter in den Werft-Hallen nach ei- rer Unterschrift zu bestätigen hatten. nem genau festgelegten Arbeitsablauf durch Während der folgenden Jahrzehnte war nun die Kielleger, Bootsbauer, Schlosser, Tischler, auch für eine ständige Auslastung der auf den Maler und Ingenieure meist termingerecht bis Holzbootsbau spezialisierten genossenschaftli- zum Stapellauf fertig gestellt. Am 28. April 1949 chen Werften gesorgt. Von den FGS bis 1969, wurde der Fischkutter mit der Baunummer FK danach von den FPG wurden die Fahrzeuge aus 9 zu Wasser gelassen. Ursprünglich als KD 802 der großen Flotte der 17- und 24-Meter-Kutter, für die UDSSR vorgesehen, war es das zehnte nach 1957 der 12-Meter-Kutter, regelmäßig zu Schiff der Serie, die bei der Bau-Nr. FK (Fisch- kleineren Reparaturen wie zu Generalrevisionen kutter) 0 begann. Der rohbaufertige Kutter FK 9 an sie verwiesen (Abb. 13). wurde zur Endmontage in den Saaler Bodden Auf der Jarling-Werft in Freest, die über zwei Sli- verholt. Unter freiem Himmel erhielt er dort Mo- panlagen verfügte, und auf der Werft von Willi tor und Ruderhaus, die Netzwinde wurde auf Horn in Wolgast wurden beispielweise jährlich Deck gestellt, der Fischraum verkleidet und das 120 bis 130 Kutter aufgeslipt. Auf allen in An- Mannschaftslogis fertig gestellt. Nach der Pro- spruch genommenen Werften waren die dafür befahrt und Abnahme wurde der Kutter ausge- geeigneten Anlagen vorhanden. Sie stellten da- rüstet. Kurt Wilke berichtete, dass neben nau- mit, wie auch mit ihren hölzernen Bootsbauhal- tischen und seemännischen Geräten auch ein len, ein charakteristisches Merkmal der regio- jeweils zwölfteiliges Speise- und Kaffeeservice, nal-maritimen Gewerbelandschaft dar. eine Feldschmiede mit Werkzeugen und eine Schreibmaschine mit an Bord kamen. Am 15. September 1949 erfolgte die Übergabe SAS 95 ADOLF REICHWEIN – der SAS 95 ADOLF REICHWEIN an die Sassnit- im Original zer Fischer. 1957/58 wurde der Kutter an die VE (Volkseigenen) Fischerei-Fahrzeug- und Geräte- für die Zukunft bewahrt Station (FGS) Stralsund übereignet und erhielt Der letzte Eintrag im Logbuch des 17-Meter- die Kennung STR 190. Am 27. April 1962 folgte Kutters SAS 95 ADOLF REICHWEIN könnte wie die Überstellung an die VE-FGS Wolgast-Karls- folgt lauten: „03.02.1973 - Festmachen auf Po- hagen, wo sie seitdem unter der Fischereinum- sition 54° 18′ 45′ N, 13° 5′ 13′ E. Neuer Auftrag: mer WOG 115 fuhr. Museumskutter.“ Auf Grundlage eines Ministerratsbeschlusses Die ADOLF REICHWEIN steht seit 1973 im Ein- über den „Verkauf der volkseigenen, beweg- gangsbereich auf dem Nordhof des Deutschen lichen Grundmittel“ vom 4. Januar 1968 zur Meeresmuseums am Katharinenberg. Als do- Ersatzteilgewinnung und Werterhaltung der minierendes Großexponat auf dem Nordhof Kutterflotte innerhalb der Fischerei-Produk- Abb. 13: WAR 50 WEIMAR mit neuem Ruderhaus, bei der Tuckfischerei. des Meeresmuseums ist er erster Anlauf- und tions-Genossenschaften (FPG) sollte die ADOLF

176 177 Abb. 14: WOG 115 im Stralsunder Hafen (1972). Abb. 15: Kreuzung Semlower Straße/Wasserstraße – nur langsam kommt der Transport in Richtung Alter Markt voran (1973).

REICHWEIN 1969 außer Dienst gestellt werden. der FPG käuflich erwerben, um ihn als Urlau- weiterung. Im Rahmen dieses Vorhabens sollte Am 6. August 1969 wurde WOG 115 vom VEB berkutter auszubauen und künftig zu nutzen. die ADOLF REICHWEIN vom Stralsunder Hafen Fischwirtschaft Rostock, Betriebsteil 4 Wolgast Angebot und Nachfrage bestimmte auch in ei- auf den nördlichen Museumshof transportiert an die FPG „Boleslav Bierut“ in Ueckermünde nem sozialistischen Genossenschaftsbetrieb werden. Verfolgte man die Streckenführung auf zum Schrottpreis von 6.000 Mark verkauft. den Preis und so wollte die FPG „Boleslav einer Stadtkarte, so war allen Beteiligten klar, Bierut“ von den interessierten Betrieben oder dass dies kein leichtes Unterfangen sein wür- In der Zeit des Fischereieinsatzes wurde am vom „Meereskundemuseum“ 70.000 Mark als de. Vom Stralsunder Hafen ging der Transport Kutter konstruktiv nur wenig verändert, so dass Kaufsumme für die ADOLF REICHWEIN erzie- über den Semlower Kanal durch die Semlower er weitgehend im originalen Zustand erhalten len. Mit ihrem Konzept konnten die Museums- Straße zum Alten Markt, weiter über die Müh- blieb. Aus der Überlegung, einen 17-Meter- mitarbeiter letztlich die FPG davon überzeugen, lenstraße über die Kreuzung am Kütertor Rich- Kutter möglichst in originalgetreuem Zustand in den Kutter nach Stralsund zu verkaufen und ihn tung Bielkenhagen am Gericht vorbei auf den die Ausstellungen zur „Geschichte der Fische- nicht für eine zweckfremde Nutzung an andere Nordhof des Museums (Abb. 15). Ein Team von rei“ zu integrieren, bemühte sich das damalige Institutionen abzugeben. Dem Museum gelang Fachleuten der Volkswerft Stralsund erarbeite- Meereskundliche Museum Stralsund 1969 um es, den Kaufpreis herunter zu handeln und ei- te das Transportkonzept und plante den Trans- den Erwerb der ADOLF REICHWEIN als einen nen Vorverkaufsvertrag abzuschließen. Am 6. port durch die Altstadt bis ins Detail: Es galt, der ersten Fischkutter, die in der DDR für die August 1970 ging der Fischereikutter ADOLF die ökonomischste und sicherste Variante zu neugeschaffene Fischereiflotte gebaut wurden. REICHWEIN für 40.000 Mark in den Besitz des finden. Genaue Kosten für den Transport las- Der Beschluss dazu erfolgte in Absprache mit Meereskundlichen Museums über. Im Preis wa- sen sich heute nicht mehr recherchieren. Aus dem Wissenschaftlichen Rat des Museums, un- ren alle nautischen und funktechnischen Gerä- den Planungsunterlagen vom 6. Juni 1971 geht ter dem damaligen Vorsitz des Generaldirektors te sowie die gesamte Ausrüstung des Kutters jedoch hervor, dass die Ingenieure sich einige der Vereinigung Volkseigener Betriebe Hoch- mit Fanggeschirr, Rettungsmitteln und sonsti- Mühe machten, die effektivste Möglichkeit zu Abb. 16: Der Schlitten auf dem später die ADOLF REICH- seefischerei. gem Zubehör eingeschlossen. Im Sommer 1970 finden, den Kutter vom Hafen durch die engen WEIN ins Meeresmuseum transportiert wurde, wird vorbe- Mitarbeiter des Stralsunder Museums besich- machte WOG 115 ADOLF REICHWEIN nach der Straßen der Altstadt zum Museum zu bringen. reitet (1972). tigten den Kutter am 18. Dezember 1969 in Überführung von Ueckermünde im Stralsunder Neben der letztlich bevorzugten Variante der Ueckermünde und hielten ihn für geeignet, als Hafen gleich neben dem Lotsenhaus fest. Noch Überführung auf einem Transportgestell mit Exponat in voller Ausrüstung und mit dem ge- im Oktober desselben Jahres wurde sie durch Gleitkufen war auch die im Zeitaufwand kürzere, ßen der Altstadt bis hin zum Meeresmuseum am samten Bordzubehör in die Ausstellung auf- den Schwimmkran GOLIATH an gleicher Stelle aber deutlich kostenintensivere Beförderung auf 3. Februar 1973 wegen eines Schwerlasttrans- genommen zu werden. Das Meereskundliche an Land gesetzt (Abb. 14). einem Schwerlasttransporter durchdacht und portes gesperrt würden. Neugierig geworden, Museum Stralsund war jedoch nicht der einzige Das Meereskundliche Museum befand sich verworfen worden (Abend et al., 1971; Abb. 16). verfolgten viele Stralsunder das Verladen des Interessent für den Erwerb des Schiffes. Meh- Anfang der 1970er Jahre in einer intensiven Am Vortag des Transportes meldeten die Tages- Kutters im Hafen und den Transport durch die rere DDR-Betriebe wollten den Fischkutter von Phase der Planung zur Umgestaltung und Er- zeitungen, dass der Alte Markt und weitere Stra- engen Straßen (Abb. 17).

178 179 Abb. 17: Der Kutter in der Mühlenstraße. Abb. 19: Kurz vor dem Ziel ist am Gerichtsgebäude die engste Stelle des Transportes zu passieren.

Der etwa 70 Tonnen schwere Tross kam nur Auf dem Museumshof erhielt der Kutter seinen und Instandsetzungsarbeiten wurde die ADOLF langsam voran: Vier große Schwerlastfahrzeuge endgültigen „Liegeplatz“. Der Transportrahmen REICHWEIN zu einem vorzeigbaren Exponat mit einer Leistung von insgesamt 680 PS zo- mit den Kufen wurde als Teil des Fundamentes und einem Wahrzeichen, an dem noch heute gen den Schlitten samt Kutter mit 40 Millime- mit einbetoniert. Im Oktober 1974 gehörte der hunderttausende Museumsbesucher jährlich ter-Stahltrossen über eingeseifte Stahlplatten Kutter, der nun wieder SAS 95 ADOLF REICH- in teils langen Warteschlangen vorbeiziehen Stück für Stück vorwärts. Die hinter dem Kutter WEIN hieß, zu den Exponaten der neuen Dauer- (Abb. 21). freiwerdenden Gleitbleche wurden nach vor- ausstellung „Die Entwicklung der Küsten- und SAS 95 ADOLF REICHWEIN entwickelte sich in ne gebracht, vor die Kufenbahnen gelegt und Hochseefischerei der DDR“ (Abb. 20). Im Mu- den nächsten Jahren aber zu einem Problem: erneut mit Schmierseife bestrichen (Abb. 18). seum erfolgte die Rückkennzeichnung, um an Die jährlichen Wartungs- und Pflegearbeiten Für diese einfache und tadellos funktionieren- die ursprüngliche Benennung beim Stapellauf reichten nicht aus, um die Schädigung durch de Logistik standen 44 Gleitbleche (1 500 mm zu erinnern. Witterungseinflüsse einzudämmen. Wollte man x 600 mm x 4 mm) und zwei Fässer Schmier- 25 Jahre nach Kiellegung zeigte SAS 95 ADOLF den Kutter in seiner ursprünglichen Form als seife zur Verfügung. Nach einer präzise voraus- REICHWEIN erhebliche Schäden. Nicht ohne Zeitzeugnis für Museumszwecke erhalten, wa- geplanten zwölfstündigen Fahrt erreichte WOG Grund wurde der Kutter ausgesondert und soll- ren ab 1994 umfangreiche Instandsetzungsar- 115 ADOLF REICHWEIN auf seinem Schlitten te zur Ersatzteilgewinnung verschrottet werden. beiten notwendig. Die umfangreichsten Schä- unbeschadet den Vorhof des Museums; außer Stattdessen kam er nach Stralsund, lag eini- den zeigten sich am Deck: Die Kunststoffschicht einigen zerbrochenen Gehwegplatten gab es ge Zeit ohne Erhaltungsmaßnahmen an Land zwischen den beiden Decksbelägen staute die auf der 1,5 Kilometer langen Strecke keine wei- und war auch an seinem endgültigen Standort eindringende Feuchtigkeit, wurde im Laufe der teren Begleitschäden (Abb. 19). der Witterung ungeschützt ausgesetzt. Muse- Jahre brüchig und ließ das Holzdeck großflä- Der damalige Museumsdirektor Sonnfried Strei- umsmitarbeiter erinnern sich, dass das Schiff chig verrotten, wodurch auch das Ruderhaus in cher freute sich über sein neuestes Ausstel- bereits zum Zeitpunkt der Überführung größe- Schieflage geriet. Über einen längeren Zeitraum lungsstück auf dem Katharinenhof. Die Ostsee- re sichtbare Schäden aufwies. Das Deck war drang so Wasser in das Innere und beschädigte zeitung berichtete noch dreißig Jahre später teilweise verrottet und undicht. Regenwasser unbemerkt Decksbalken, Spanten und die Be- über dieses Ereignis: „Das war ein sehenswer- gelangte in die darunterliegenden Räume und plankung. Eine umfassende Instandsetzung war tes Schauspiel. Ein großes Schiff in den engen verursachte schwere Schäden. Finanzielle Mit- nun unumgänglich, wenn man das Schiff nicht und verwinkelten Gassen Stralsunds. So etwas tel für eine Instandsetzung waren nur begrenzt gänzlich verlieren wollte. 1995 plante das Mee- hatten die Bürger der alten Hansestadt noch vorhanden. Um die Durchfeuchtung des Kut- resmuseum für die vorgesehenen Arbeiten 230 Abb. 18: Wegen der hohen Reibungswiderstände auf dem nicht gesehen. Viele Schaulustige standen am 3. ters zu verhindern, wurde das Deck mit einer Arbeitstage mit sechs Arbeitskräften und veran- Asphalt müssen Gleitbleche, bestrichen mit Schmierseife, Februar 1973 auf der Straße, um dieses Ereignis Kunststoffschicht abgedichtet und darauf ein schlagte einen finanziellen Gesamtaufwand von vor den Kufen des Schlittens ausgelegt werden. hautnah zu erleben.“ neuer Decksbelag verlegt. Mit weiteren Farb- 167.000 DM – mit eigenen Arbeitskräften war

180 181 1945 hatte die Sowjetische Militäradministra- und 5,60 Meter. Daran, und an den Aufbauten tion in Deutschland (SMAD ) entschieden, als der Kutter, die sich im Lauf der Jahre und bei ersten Kutter für die Reparationsleistungen an Klasse- und Generalreparaturen veränderten, die Sowjetunion und später für die Fischwirt- ließ sich teilweise die eigene Handschrift der schaft in der Sowjetischen Besatzungszone kleineren Werften erkennen. (SBZ) den 17-Meter-Kutter (Typ D) nach den Insgesamt 17 ostdeutsche Werften waren am Entwürfen Rombergs bauen zu lassen. Die Bauprogramm der 17-Meter-Kutter beteiligt. Die 17-Meter-Kutter bildeten den Schwerpunkt in- lange Tradition des handwerklichen Holzschiff- nerhalb des Kutterbauprogramms zum Aufbau baus entlang der Küste wurde damit zugleich einer Fischereiflotte im Osten Deutschlands. Mit wiederbelebt. Hilfe der neuen Fischereiflotte sollte die äußerst Der Fischkutter SAS 95 ADOLF REICHWEIN angespannte Lebensmittelversorgung der Be- gehörte zu den ersten ostdeutschen Neubau- völkerung verbessert werden. Die Unterlagen, ten nach dem Zweiten Weltkrieg, die Ende der Baupläne und Bauvorschriften für den Kutter 1940er bis Anfang der 1950er Jahre auf hiesi- Typ D stellte das 1946 von Romberg im Auftrag gen Werften gebaut wurden. Er dokumentiert der SMAD in Ostberlin gegründete und geleite- damit einen bedeutenden Abschnitt in der deut- te Ingenieurbüro des sowjetischen Ministeriums schen Nachkriegs-Fischereigeschichte und in für Fischerei der UdSSR bereit. Gebaut wur- der Geschichte des Fischereischiffbaus im Os- den die Kutter in handwerklicher Holzbauweise ten Deutschlands. unter Anwendung von viel Improvisation. Ein Aus der Überlegung heraus, einen 17-Meter- 17-Meter-Kutter erforderte etwa 43 Kubikmeter Kutter in möglichst originalgetreuem Zustand in Abb. 20: Kutter und Zugeinheit aus drei KRAS und einem TATRA erreichen den Museumshof. Eichenschnittholz, zwölf Festmeter Eichenrund- die Ausstellungen zur Geschichte der Fischerei holz, zwölf Kubikmeter Nadel- sowie einen Ku- zu integrieren, übernahm das Meeresmuseum bikmeter Buchenholz, trocken und abgelagert – die ADOLF REICHWEIN 1970 in seine Samm- diese Fachaufgabe nicht zu leisten. Durch den Projekt“ bescheinigt dem Museumskutter „dass und dies in einer Zeit, in der auch Heizmaterial lung und stellte ihn aus. Der Fischkutter SAS 95 Einsatz von sieben ehemaligen Werftarbeitern er bei schrittweiser Sanierung mit vertretbarem extrem knapp war. Kein Kutter glich dem ande- wird bis heute im Deutschen Meeresmuseum in zwei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des und vergleichsweise geringem Aufwand noch ren. Die Längen bewegten sich von etwa 17,00 als Wahrzeichen und als Dokument eines Teils Stralsunder Arbeitsamtes und mit einer Spende mindestens 30 Jahre für den musealen Einsatz- bis 17,80 Meter; die Breiten lagen zwischen 5,0 der deutschen Fischereigeschichte bewahrt. der Ostdeutschen Sparkassenstiftung gemein- zweck genutzt werden kann“ (Risch, 2010). Das sam mit der Stadt- und Kreissparkasse Stral- Museum hat sich dieses Ziel gesteckt. sund in Höhe von 70.800 DM wurden die Arbei- ten möglich und im April 1998 abgeschlossen. Der „Museumskutter“ SAS 95 ADOLF REICH- Zusammenfassung WEIN wurde in zweijähriger Bauzeit von Grund auf saniert und am 6. Mai 1998 offiziell an die Aus den volkstümlichen Fischereifahrzeugen Besucher des Deutschen Meeresmuseums der Ostsee sind im Laufe einer langen Entwick- übergeben. Die Arbeiten umfassten die Erneu- lungsperiode bis zum Ende des Zweiten Welt- erung von Decksbelag, Decksbalken, Spanten, krieges die größeren Kutter für die Küsten- und Schanzkleid, zahlreicher Planken, Aufbauten Hochseefischerei entstanden. Sie wurden zu und ein kompletter Neuanstrich. modernen Erzeugnissen einer Schiffbauindust- Bei einem im Freien und an Land liegenden rie, die sich in den Nachkriegsjahren mit immer Holzschiff sind Schäden durch Wettereinflüs- größeren und moderneren Fahrzeugen weiter- se unvermeidbar. Umso wichtiger ist es, ein entwickelte. Exponat wie die ADOLF REICHWEIN einer re- Friedrich Romberg im Referat für Motoren- und gelmäßigen Wartung und Pflege einschließlich Fangfahrzeuge der Reichsanstalt für Fischerei sofortiger Reparatur der sichtbar werdenden Berlin (RfF), der Germanische Lloyd (GL) und Schadstellen zu unterziehen. So wurden 2005 die Bremer Konstruktions-Gesellschaft Maier- erneut Instandsetzungsarbeiten notwendig. Das form GmbH machten sich bereits im Jahr 1938 Schanzkleid und mehrere Planken der Außen- gemeinsam daran, eine Standardisierung der haut wurden erneuert. In jedem Sommer erfol- deutschen Kutterflotte voranzutreiben. Es wur- gen turnusmäßig Farb- und Konservierungsar- den sieben Kuttertypen (Typbezeichungen A beiten. Diese vorsorglichen Maßnahmen tragen (12-Meter-Kutter) bis G (24-Meter-Kutter)) ent- bis heute dazu bei, den Kutter als museales Ex- wickelt, die als Standardfahrzeuge die Anforde- ponat und Zeitzeugnis zu bewahren. Ein 2010 rungen der Fischer an Nord- und Ostsee erfüllen in Auftrag gegebenes „Gutachten über den sollten. Zustand des 17-Meter-Kutters ADOLF REICH- In umfangreichen Versuchsreihen und systema- WEIN des Deutschen Meeresmuseums und tischen Schleppversuchen wurden die sieben Vorschläge über den weiteren Umgang mit dem Kutterentwürfe getestet und optimiert. Abb. 21: Wer den 17-Meter-Kutter auf dem Klosterhof entdeckt hat, ist auf dem richtigen Weg ins Meeresmuseum.

182 183 Danksagung Vorschläge über den weiteren Umgang mit dem Objekt, Dierhagen 24.06.2010. Bordtechnische und bootsbauliche Wir bedanken uns bei allen, die uns bei den Re- Strobel, D. (1992): Die 17-m-Kutterklasse, Pan- cherchen zu diesem Beitrag mit ihren Erinne- orama Maritim Nr. 28: 1-10. rungen, eigenen Sammlungen und zahlreichen Strobel, D. & G. Dame (1993): Schiffbau zwi- Veränderungen in der Küstenfischerei Fotos unterstützt haben. schen Elbe und Oder. Herford, Koehlers Unser besonderer Dank gilt: H.-Peter Adam, Verlagsgesellschaft. Mecklenburg-Vorpommerns seit 1990 Günter Dame, Dr. Herwig Danner, Hans Dunski, Timmermann, G. (1962): Die nordeuropäischen Hans Ganschow, Michael Hannig, Klaus Mähl, Seefischereifahrzeuge, ihre Entwicklung Dr. Ing. Uwe Richter, Hans-Joachim Schulz (†) und ihre Typen. In: Handbuch der Seefi- Wolfgang Steusloff und Dietrich Strobel (†). scherei Nordeuropas, 11 (4). E. Schwei- Es ist uns unmöglich, alle zu nennen, die uns mit zerbarthsche Verlagsbuchhandlung, Stutt- ihrer wertvollen Hilfe oder als Zeitzeugen und aus gart. ihrem persönlichen Erleben wertvolle Details für Die sich seit der deutschen Wiedervereinigung Die Boote der Kutter- und Küstenfischer erschei- unsere Arbeit weitergaben. Stellvertretend sollen vollziehenden gravierenden Veränderungen der nen dabei in zweifacher Hinsicht von besonde- hier Andrea Bohn-Möller, Ralf Ehmke, Wolfhard maritimen Kultur an der Küste von Mecklen­ rer Bedeutung, nämlich als wichtigstes Arbeits- Eschenburg, Manfred Frach, Sven Olaf Oehlsen, burg-Vorpommern sind seit Jahren themati- mittel der Fischer und als erstrangige Zeugnisse Ulf Ratje Hubert Saager, Christa Sieverkropp, Jo- scher Schwerpunkt der maritim-volkskundli- des handwerklichen Bootsbaus. Es galt des- achim Stahl (†), Walburga Wernsdorf, Kurt Wilke chen Forschungen am Institut für Volkskunde halb, den gesamten Bestand der Arbeitsboote und Horst Wenzlaff genannt sein. Dr. Götz-Bodo (Wossidlo-Archiv) an der Universität Rostock. zu beachten und insbesondere jüngste Verände- Reinicke danken wir für die sorgfältige Revision Wesentliche Orientierungsbereiche bilden dabei rungen und deren Ursachen in einem konkreten des Manuskriptes. die Fahrgastschifffahrt, die Küstenfischerei, das geografischen, sozialen und zeitlichen Rahmen maritime Handwerk, der Funktionswandel der zu untersuchen: In diesem Fall an der Küste von Hafenanlagen, neue Erwerbszweige im Zusam- Mecklenburg-Vorpommern in den Berufsgrup- Literatur menhang mit dem seither wieder unbehinderten pen der (noch existierenden) Kutter- und Küs- Wassersport sowie der Ortsbildwandel in den tenfischer und der Bootsbauer im Zusammen- Abend, A., Dunski, H., Berwald, D. & H. Schulz Hafenstädten und den maritim strukturierten hang mit den wirtschaftlichen, sozialen und (1971): Konzeption für die Vorbereitung Küstendörfern. kulturellen Veränderungen seit 1990 (Steusloff, und Durchführung für den Transport des Kutters WOG 115 „Adolf Reichwein“ von Stralsund Seehafen bis vor die Kathari- nenhalle (Stralsund, 6.06.71), Archiv Deut- sches Meeresmuseum. Boie, C. (2001): Von der Hansekogge zum Con- tainerschiff, Harrislee. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (1946-1948): Sammlung SMAD-Befehle DX1. Dame, G. (1986): Ein Oldtimer – noch immer ak- tuell. mbh (Modellbau heute), 3: 10-11, Mi- litärverlag der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), Berlin. Danner, H. (2001): Kriegsfischkutter, KFK, Mitt- ler & Sohn GmbH, Hamburg. DSRK-Register (1974): DDR-Schiffs-Revision und -Klassifikation (DSRK): Schiffsklasse- Register. Foerster, E. (1947): Der Reichsfischkutter G (KFK). Die Fischwoche, 2 (9/10,Mai): 60. Germanischer Lloyd (1950): Schiffs-Register. Richter, U. (1992): Die 17-m-Kutterklasse – Verbleib, Einsatz und Bewährung eines Kuttertyps, der größten Kutterbaureihe Deutschlands. In: Schiff und Zeit – PANO- RAMA maritim Nr. 36: 3-10. Risch, H. (2010): Gutachten über den Zustand des 17-m-Kutters „Adolph Reichwein“ des Deutschen Meeresmuseums Stralsund und Abb. 1: Hölzerner 12-Meter-Kutter WAR-6 PREROW mit nachgerüsteter Technik. Im Bild backbord der Netzklarer („Rapp- ler“), steuerbord die Schleppnetztrommel und auf dem Ruderhaus eine Furuno-Radarantenne (Warnemünde, 2011).

184 185 sitiv erscheint der neuerdings unbegrenzte und 10-Meter-Stellnetzkutter unbehinderte Einzug technischer und elektroni- TAR-006 USCHI scher Innovationen in die Küstenfischerei. Ers- te Investitionen richteten sich nach den jeweils Baujahr 1988/89, Eigner Uwe Dunkelmann (Tar- dringendsten Erfordernissen: Sofort nachgerüs- newitz), erworben 1991 von der Wismarer Ge- tet wurden die in der Stellnetzfischerei verwen- nossenschaft. Nachrüstungen: Netzholer (1993), deten Boote mit einem „Netzholer“ (hydraulische GPS, Fischfinder und UKW-Sprechfunk (1994), Netzwinde) zum Einholen der Netze, was eine Radar (1997), Echolot und Kartenplotter (2001), ungemeine Arbeitserleichterung bedeutete. Auf zweiter Fahrstand mit Autopilot (2003). Der mo- den Kuttern ersetzten „Farbschreiber“ (Kombi- difizierte W50-LKW-Motor ist 2001 durch einen nation von Echograph und Fischanzeiger) die typgleichen Motor ersetzt worden. mangelhaften Echolote, es folgten Radargeräte Auffällig erscheint die gut dokumentierte Tatsa- und die Anfang der 1990er Jahre von der See- che, dass die Fischer den Großteil der genann- Abb. 2: Kleinkutter TAR-008 mit Netzholer und Plastikrohr Berufsgenossenschaft für Fischereifahrzeuge ten Basis-Neuerungen nicht in Lübeck, Kiel oder Abb. 4: Die in Dänemark erbauten GFK-Kutter POE-011 als Aussetzhilfe für Stellnetze (Tarnewitz, 1999). noch nicht zugelassenen satellitengestützten Hamburg kauften, sondern aus dem nahen Dä- BLEIB TREU und POE-027 BELLA im Hafen von Timmen- GPS-Navigationsgeräte mit metergenauer Po- nemark bezogen. Dänische Vertreter für Fische- dorf/Poel, 1997. sitionsanzeige, die dennoch gleich nach 1990 reiausrüstung traten gleich 1990, noch vor der 2004, 2006). Dabei werden neuartige Phäno- installiert wurden. Hingegen blieben die älte- Währungsunion (bezahlt werden konnte später), mene erkennbar, die grundsätzlich nur vor dem ren Bootsmotoren zumeist weiter in Gebrauch, an der gesamten Küste von Mecklenburg und Hintergrund der fundamentalen Veränderungen sofern aus technischen Gründen kein Wechsel Vorpommern in Erscheinung und liefern seither von Eigentumsverhältnissen und herrschendem zwingend erforderlich war. Exemplarisch sei die alles, was an Ausrüstung für die Fischerei er- Wirtschaftssystem gesehen und bewertet wer- Nachrüstung von zwei hölzernen Kuttern kon- forderlich ist – von Arbeitshandschuhen und Öl- den dürfen, da eine rein technologische Sicht- kret beschrieben: zeug bis zu Netzen und Netzholern. Mitunter be- weise Unkorrektheiten ergeben würde. So hat es sorgten sich Fischer auch selbst ihr benötigtes beispielsweise auch in der DDR bereits Fischer- Material in Dänemark, und zwar nicht per Boot boote aus glasfaserverstärktem Kunststoff und 12-Meter-Kutter WAR-6 PREROW auf dem Seeweg, sondern mit Auto und Anhän- aus Stahl gegeben, ebenso waren bereits Net- ger. Mit den dänischen Lieferanten konkurrie- ze und Tauwerk aus Kunstfasern in Gebrauch. Baujahr 1957, Eigner Dieter Borgwardt (Warne- ren seit 1990 Ausrüster, die ihre Unternehmen Es standen Außenbordmotoren und luftgekühl- münde), erworben 1991 von der Warnemünder in Mecklenburg-Vorpommern gegründet haben: te Bootsdieselmotoren zur Verfügung, ebenso Genossenschaft. Nachrüstungen: hydraulischer Nicht wenige Fischer beziehen ihre Netze und hatten Plastik-Kisten („Dreh-Stapel-Kisten“) in Netzholer, hydraulische Ruderanlage, Radar weitere Ausrüstungen aus Wismar (Manfred und den Kuttergenossenschaften zum Teil die höl- und Echolot (1991), Netzklarer („Rappler“), Kar- Eike Peters), Rostock (ROFIA GmbH), Sassnitz Abb. 5: 9,5-Meter-GFK-Kutter WAR-9 FRANZISKA, erbaut zernen Fischkisten ersetzt, und es gab, wenn tenplotter und Ölofen (1992), zweiter Fahrstand (Schiffsausrüster GmbH) und Wolgast (Axel 1995 in Sakskøbing/Dänemark für A. Harant, mit 2005 in auch nur für die genossenschaftlichen Kutter in und Schleppnetztrommel (1999). Hinzu kamen Hahn), wobei es sich dabei zumeist ebenfalls Rødvig/Dänemark nachgerüstetem Schleppgeschirr (War- der Schleppnetzfischerei, Echolote und UKW- weitere Investitionen in die Umstellung auf Stell- um dänisches Material handelt. Schnellste Ver- nemünde, 2006). Sprechfunkgeräte. Viele dieser wichtigen tech- netzfischerei (1991) und in die erneute Ausrüs- breitung fanden auf diesen Wegen vor allem dä- nischen Innovationen waren jedoch vor 1990 in tung zur Schleppnetzfischerei (1999). Der Mo- nische „Multimonofil-Netze“ (deren Kunstfaser- den meisten Fällen mit gravierenden Mängeln tor (SKL 3 NVD 24) ist nach einem Schaden Material aus Taiwan oder Japan stammt) und Längen zwischen fünf und zwölf Metern für die behaftet. Ein Timmendorfer Fischer äußerte zu 1999 durch einen SKL 4 NVD 24 ersetzt worden dänische „Power-Blocks“ (hydraulische Netz- Stellnetzfischerei. Ihr Augenmerk richteten die den damaligen Echoloten treffend: „Wenn man (Abb. 1). holer mit wassergefüllten Gummiwalzen), aber Fischer dabei auf die Bootswerften in Sakskø- lange genug hinguckte, konnte man manchmal auch Standheizungen für Fangfahrten in kalter bing/Lolland (Bredgaard Bådeværft ApS) und sogar was erkennen.“ Andere, erstrangig für Jahreszeit und Nirosta-Draht für die bereits um Faaborg/Fünen (Faaborg Værft A/S), weil an- den Export bestimmte Dinge, vor allem Net- 1960 hier eingeführten Bügelreusenketten („Aal- fänglich nur dort nach den Bestimmungen der ze, bekamen Fischer nur auf Umwegen und in Ketten“). Mit den leichter zu handhabenden deutschen See-Berufsgenossenschaft gebaut zweit- oder drittklassiger Qualität in die Hände, Netzen aus Dänemark waren in der Stellnetz- wurde. Gleichzeitig trafen in den Fischereihä- wobei „Fischer“ als Angestellter von staatlichen fischerei weitere Neuerungen verbunden: Zum fen auch angekaufte „Second-Hand“-Boote aus und halbstaatlichen Fangbetrieben zu verste- einen erlaubten im Untersimm der Netze einge- Dänemark und Schleswig-Holstein ein, wobei es hen ist und „bekommen“ als Synonym für die arbeitete Bleikugeln (im Unterschied zu den frü- sich ebenfalls um GFK-Kutter dänischer Fabri- zeitlich gestaffelte Zuteilung durch eine staatli- heren Bleileinen) die Verwendung eines Bügels, kation handelte. Exemplarisch sei die Flotte der che „Planbehörde“. Mit der Wiedervereinigung Ringes oder Rohres als Hilfsmittel beim Ausset- in Timmendorf/Insel Poel beheimateten GFK- gingen dann ab 1990 in dieser Küstenregion zen, zum anderen kamen mit den Lieferungen Kutter genannt (Stand 1999): POE-027 BELLA die fünf Jahrzehnte der Dominanz von Staats- der Netze auch deren neue Verwahrbehältnisse, (erbaut in Dänemark, Ankauf aus Schleswig- eigentum und dirigistischer Wirtschaftslenkung nämlich Kunststoffsäcke und Plastiktonnen in Holstein 1992), POE-011 BLEIB TREU (erbaut abrupt zu Ende. Gebrauch (Abb. 2 und 3). in Sakskøbing, Neubauauftrag 1994), POE-18 Damit eröffneten sich schlagartig neue Möglich- HEINER (erbaut 1990 in Sakskøbing für einen keiten, die allerdings – was bald darauf und in Abb. 3: Nachgerüsteter dänischer Netzholer und Plastikton- 1991 erschienen an der Küste von Mecklenburg- Fischer aus Gollwitz/Insel Poel, Ankauf 1995) zunehmendem Maße festzustellen war – auch nen zur Aufbewahrung von Stellnetzen auf einem Motorboot Vorpommern die ersten dänischen Kleinkutter und POE-14 JOHANNA (erbaut 1993 in Sakskø- ihre Schattenseiten haben. Als durchweg po- (Klein Zicker/Rügen, 2004). aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) in bing, Ankauf aus Gilleleje 1999 (Abb. 4 und 5).

186 187 Abb. 6: GFK-Boote vom Typ „Crescent 498“ aus Schweden mit Honda-Außenbordmotor (rechts) und „Orkney Longliner Abb. 7: Privatisierte hölzerne 17-Meter-Kutter im sanierten Fischereihafen von Freest, 1999. 16“ aus England mit Mercury-Außenbordmotor (links); erworben 1991 (VIA-001) und 1995 (Vi-A 3) als Ersatz der hölzernen Strandboote (Vitt/Rügen, 2000). 2002 etwa um die Hälfte, dennoch wurden von von Freizeitskippern über, was allgemein mit ei- 2002 bis 2006 weitere Mittel für das Abwra- nem komfortorientierten Umbau verbunden war Neben den dänischen GFK-Kuttern und selte- Dadurch bot sich den Fischern seit 1991 auch cken zur Verfügung gestellt. Nicht zuletzt auf- (Abb. 9). nen nichtdänischen Neuzugängen gehören die die Möglichkeit, aus den Beständen der sich grund solcher EU-Prämien wechselte manches Doch nicht nur das Abwracken oder die end- älteren genossenschaftlichen Boote weiterhin in Auflösung bzw. Umstrukturierung befindli- Fischerboot – zumeist von jenen Fischern, die gültige Stilllegung von Booten wie auch deren zum Bild der Fischereihäfen, wenn auch nicht chen Fischereiproduktionsgenossenschaften ihr Gewerbe aufgegeben haben – in den Besitz Überführung in ein Drittland oder deren Verwen- mehr so zahlreich wie vor 1991. Kaum verän- (FPG) hölzerne 12-Meter- und 17-Meter-Kutter dert hat sich hingegen der Bootsbestand der (mit Ausrüstung) ebenso wie in Rechlin gebau- pommerschen Bodden- und Haff-Fischer, die te GFK-Stellnetz-Boote sowie andere Kleinkut- weiterhin ihre hölzernen und eisernen Netzboo- ter und Boote zu Vorzugspreisen zu erwerben. te, Reusenboote und Heuer nutzen. Wiederum Fraglos handelt es sich in allen Fällen um re- anders gestalten sich die Verhältnisse an den lativ hohe Investitionen in die nun private Fort- hafenlosen Außenstränden, wo kleine schwe- führung der Fischerei. Doch in diesem Zusam- dische, norwegische und englische GFK-Boote menhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass in „Klinkeroptik“ und mit Außenbordmotoren in die Privatisierung der Fischerei auch wesentlich zunehmendem Maße die traditionellen hölzer- gefördert wurde, und zwar mit Investitionsbei- nen Strandboote ersetzen (Abb. 6). Zahlenmä- hilfen aus öffentlichen Mitteln bis zu 60 % der ßig handelt es sich jedoch bei den außer Dienst Kosten und durch zinsgünstige Kredite (Abb. 7 gestellten Strandbooten und den neuen GFK- und 8). Das ist allerdings nur die eine Seite der Booten an den Außenstränden der Mecklenbur- Medaille, denn mit der geförderten Umstellung ger Bucht, der Halbinseln Fischland, Darß und und Modernisierung der Fischerei war die For- Zingst sowie der Inseln Rügen und Usedom um derung nach einer drastischen Reduzierung der kein ausgewogenes Verhältnis. Unübersehbar ostdeutschen Fischereiflotte verbunden, deren ist ein erheblicher Rückgang des Bootsbestan- Abbau ebenfalls gefördert bzw. prämiert wurde, des, und vielerorts wirken die Fischerstrände und zwar konkret in jedem Einzelfall: Für eine geradezu verwaist – ein Eindruck, der noch ver- endgültige Stilllegung gab es in den 1990er Jah- stärkt wird durch verfallene, leerstehende oder ren 3.500 DM pro Brutto-Register-Tonne (BRT), umfunktionierte Gebäude im Dünenbereich, die für einen 12-Meter-Kutter von 17 BRT also einen einst der Fischannahme oder der Lagerung von Betrag von 59.500 DM und für einen 17-Meter- Fanggeräten und Kisten dienten. Kutter, der zwischen 30 und 39 BRT vermessen Zu Beginn dieser hier knapp skizzierten Ent- sein konnte, sogar bis zu 136.500 DM. Mit Hil- Abb. 8: WIS-020 SEESTERN, eines der ehemals genossenschaftlichen GFK-Boote von der Rechliner Bootswerft, am sanier- wicklung vollzog sich jedoch eine grundlegen- fe solcher Förderungen schrumpfte die Fische- ten Fischereianleger. An Deck u. a. ein zweiter Fahrstand, ein dänischer Netzholer und zahlreiche Fässer zur Aufbewahrung de Veränderung der Eigentumsverhältnisse. reiflotte im deutschen Nordosten von 1990 bis von Stellnetzen (Wismar, 2006).

188 189 zunächst in personeller Hinsicht deutlich wird: ein Binnenfischerboot und zwei Reusenkähne), An der Küste von Mecklenburg-Vorpommern ist in Middelhagen auf der Bootswerft Lorenz (ein die Zahl der Betriebe der kleinen Hochsee- und Reusenboot), in Kröslin auf der Bootswerft Man- Küstenfischerei (Haupterwerb) zwischen 1991 fred Holtz (zwei Boote, davon ein Strandboot), und 2010 von 950 auf 315 gesunken (lt. freund- in Wolgast auf der Nansen Werft (ein Reusen- licher Mitteilung des Landesamtes für Landwirt- boot, ein Strandboot), auf der Bootswerft An- schaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei). klam (ein Heuer) sowie in Ueckermünde auf der In Anbetracht des Durchschnittsalters der noch Bootswerft Norbert Stöcker (ein Motorboot, ein aktiven Berufsfischer dürfte bald ein weiterer Strandboot). Hölzerne Freizeitboote fertigten deutlicher Abwärtstrend zu konstatieren sein. der Poeler Bootsbau in Kirchdorf (eine Barkas- Viele Fischer (1990 waren es noch 1 400) haben se, ein Jugendkutter, ein Motorboot, ein Prahm Abb. 9: Strandboot von Usedom, umgebaut zum Freizeit- sich in der klaren Erkenntnis, dass keine beruf- und vier Dingis; als Dienstfahrzeug außerdem boot mit vorderem Deck und Kajüte (Krummin/Usedom, lichen Verbesserungen zu erwarten sind, gleich ein Lotsenversetzboot), der Yacht- und Boots- Abb. 10: Wechsel der Bodenplanke (Sohle) des Strandboo- 2004). 1990/91 für den Vorruhestand und das sichere bau Jens-Peter Weiß in Bartelshagen II (ein tes KOS-4 von Koserow/Usedom auf der Bootswerft von Altersübergangsgeld entschieden. Andere Fi- 13-Meter-Kutter), die Werft Rammin in Barth (ein Manfred Holtz. Im Vordergrund die alte und die neue Bo- scher waren damals jünger und investierten in Zeesboot), die Bootswerft Thomzik in Stralsund denplanke sowie die unterzusetzende Stahlschiene (Kröslin, dung zu anderen Zwecken als dem Fischfang die Fortsetzung ihrer Fischerei. Aber nicht weni- (fünf „Pommern-Jollen“, ein Heuer, ein 11-Me- 2004). wurden mit öffentlichen Mitteln belohnt, sondern ge von ihnen standen in den folgenden Jahren ter-Boot und ca. 20 Dingis), die Bootswerft sogar das Nichtfischen der Fischer! Pro Jahr vor beruflichen Existenzproblemen und wurden Manfred Holtz in Kröslin (ein 9-Meter-Kajüt- und Kutter waren seit 1990 zwischen 45 und 60 zur Aufgabe der Fischerei gedrängt. Und von boot), die Nansen-Werft in Wolgast (Jollenkreu- nehmen. Da beide Werften bereits vor mehreren Stillliegetage prämienbegünstigt. Je nach Kut- denjenigen, die heute noch fischen, haben in- zer), die Bootsbauerei Bodo Nagel in Zecherin Jahren die Produktion der GFK-Rumpfschalen tergröße entsprach das in den 1990er Jahren zwischen die meisten das 50. Lebensjahr über- (ein Zeesboot), die Bootswerft Anklam (Kanus nach Polen verlagert haben, werden an der Küs- jährlichen Beträgen zwischen 14.000 und 38.000 schritten. Sie werden in absehbarer Zeit ohne und ein 9-Meter-Motorboot) und die Bootswerft te von Mecklenburg-Vorpommern gegenwärtig DM, welche die Fischer fest einplanten und mit Aussicht auf berufliche Nachfolger in den Ru- Diethelm Baars in Ueckermünde (Motorsegler, (2012) nur noch in Dassow (Schlichting Boots- denen sich natürlich auch zeitweilige Fangaus- hestand gehen, denn junge Leute sehen in der Ruderboote, Segelyachten). Außerdem gehören und Formbau) und in Wiek auf Rügen (Wieker fälle besser überbrücken ließen – bis zur Ab- Fischerei und in der Ausbildung als „Fischwirt/ einige Kuriositäten zur bootsbaulichen Bilanz: Boote GmbH) Boote aus glasfaserverstärkten schaffung der Stillliegeprämie Anfang 2006. Das in - Kleine Hochsee- und Küstenfischerei“ – so der Bau zweier „Wikingerboote“ (Kirchdorf), ei- Kunststoffen kontinuierlich hergestellt – in kei- war jedoch nur eine von vielen Einbußen: Über die Bezeichnung des neuen Lehrberufes – kaum nes venezianischen Wassertaxis und eines his- nem Fall jedoch GFK-Kutter für die Fischerei. die Fischer, die nach 1990 weiterhin ihren Beruf eine Zukunft. „Wenn wir mal aufhören, dann ist torischen Motor-Rennbootes (Wolgast) sowie Dieser Sektor wird unverändert von dänischen ausüben wollten, fegt seit 1991 eine Schlecht- Schluss“ äußerte ein Dassower Fischer bereits einer „Kogge“ (Lauterbach). Letztere entstand Erfahrungen und Fabrikaten dominiert. wetterfront nach der anderen hinweg, und zwar 1999 und dabei handelt es sich keinesfalls um 1998 für die Störtebeker Festspiele in Ralswiek von einer Art, die ihnen bis dahin unbekannt war die Schwarzmalerei eines Einzelnen, sondern auf Rügen. Das Angebotsspektrum der meisten auf den und die sie am Anfang ihrer neuen beruflichen um eine von den meisten noch aktiven Fischern Holzbootsbau spezialisierten Werften an der Selbständigkeit kaum erahnen konnten: im- vertretene realistische Prognose. Sie sehen als Ursächlich für den zahlenmäßigen Rückgang Küste von Mecklenburg-Vorpommern lässt wei- mer problematischere EU-Reglementierungen, Folge der europäischen Fischereipolitik der letz- hölzerner Neubauten sind im Wesentlichen die tere Veränderungen erkennen, ebenfalls im Zu- Fangquotierungen, erweiterte Schonzeiten und ten zwei Jahrzehnte eine in hohem Maße be- regressive Entwicklung der Fischerei als frü- sammenhang mit dem erheblichen Rückgang Schongebiete, Preisverfall vor allem beim He- sorgniserregende Entwicklung und Perspektive, herem Hauptauftraggeber an der Küste sowie der Berufsfischerei und der enormen Zunahme ring, zeitweiliger Rückgang der Dorsch- und He- wie es sie zuvor in der traditionellen Fischerei an die bevorzugte Alternative für die noch aktiven der wasserseitigen Freizeitgestaltung. Recht ringsbestände und dementsprechende Schutz- deutschen Küsten zu keiner Zeit gegeben hat. Berufsfischer, Boote aus glasfaserverstärktem schnell haben sich die Bootsbaumeister darauf maßnahmen, Absatzprobleme aufgrund eines in Kunststoff oder aus Stahl zu erwerben. Hinzu ein- bzw. umstellen können, und zwar durch Mecklenburg-Vorpommern bis 2003 fehlenden Mit den beruflichen Problemen der Kutter- und kommen die vergleichsweise hohen Herstel- erweiterten Boots- und zusätzlichen Motoren- größeren Fischwerkes, Billigimporte aus osteu- Küstenfischer und der Veränderung des Boots- lungs- bzw. Anschaffungskosten für hölzerne service (Außenbordmotoren und Einbaudiesel), ropäischen Ländern, fangunabhängige hohe Ne- bestandes korrespondieren zwangsläufig auch Boote. Somit überwiegen auf den Holzboots- modernisierte und erweiterte Wasserliegeplätze benkosten (z.B. monatliche Versicherungszah- Fragen zum traditionellen handwerklichen werften seit 1990 Reparaturarbeiten wie Plan- bis zu werfteigenen Yachthäfen mit sanitären lungen) bei niedrigem Verdienst, Abzahlungen Bootsbau an der Küste von Mecklenburg-Vor- ken- und Spantenwechsel an Fischerbooten Einrichtungen, zusätzliche Winterlagerplätze im hoher Kredite für Boot, Ausrüstung und Aus- pommern. Das betrifft vor allem die Standorte und Traditionsseglern, Umbauten ehemaliger Freien und in Hallen sowie moderne Transport- rüstungsumstellung von Schleppnetz- auf Stell- der Bootswerften und Bootsbaustellen, deren Fischerboote zu Freizeitbooten und die Restau- technik (Bootskrane, hydraulische Hubwagen). netzfischerei bei zunehmende Fangreglementie- bauliche und technische Ausstattung, deren Ei- rierung bzw. der Wiederaufbau von Oldtimern rungen, steigende Preise für Diesel-Brennstoff, gentümer und Beschäftigte, den Kundenkreis (Abb. 10). Mithin bleibt zu konstatieren, dass der hand- Einschränkung der Fischerei durch Ausweisung wie auch das auftragsabhängige Angebots- werkliche Bootsbau an der Küste von Mecklen- und Ausweitung von Schutzgebieten nach der und Leistungsspektrum. Umfangsbedingt kann Im Unterschied zu den Werften für hölzerne burg-Vorpommern weiterhin existiert, und zwar europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie hier jedoch nur auf letzteres kurz eingegangen Boote, die zahlenmäßig nach wie vor die deut- sowohl in seiner traditionellen Form (Holz) als (FFH), gebietsweise Fangeinbußen durch die er- werden: Selten geworden sind Aufträge für liche Mehrheit bilden, hat sich auf den beiden auch in neueren Ausrichtungen (GFK, Stahl). hebliche Zunahme der Kormoran-Population. Neubauten aus Holz, aber sie werden mitun- Werften in Lauterbach und Greifswald, wo seri- Vielleicht erscheinen neben der Konjunktur im ter noch vergeben, sowohl von Berufsfischern enweise Yachten entstehen, eine gänzlich ande- Bau von GFK-Serienyachten sogar jene Arbei- Zwangsläufig haben solche Verhältnisse fol- als auch von Freizeitskippern. Arbeitsboote für re Entwicklung vollzogen. Dafür sorgte die gro- ten am beachtlichsten, die in heutiger Zeit auf genschwere Auswirkungen auf die berufliche die Fischerei entstanden seit 1990 in Kirchdorf ße Nachfrage nach diesen Freizeitbooten und Holzbootswerften ausgeführt werden, denn Existenz der Kutter- und Küstenfischer, was beim Poeler Bootsbau (ein 9-Meter-Fischkutter, eine dementsprechende Auslastung der Unter- dazu gehören nicht nur Erneuerungen von Plan-

190 191 ken und Spanten oder Innenausbauten von hören außerdem ein erweiterter Boots- und ein angelieferten Bootsrümpfen, sondern mit zu- zusätzlicher Motorenservice, modernisierte und Modellbau von traditionellen Booten nehmender Beliebtheit von „Oldtimern“ auch erweiterte Wasserliegeplätze sowie zusätzliche deren Restaurierung oder der Wiederaufbau von Winterlagerplätze und moderne Transporttech- Booten, die noch vor wenigen Jahrzehnten als nik. Hingegen hat sich auf den beiden Werften der südlichen Ostseeregion reparaturunwürdig aufgegeben worden wären. in Lauterbach und Greifswald, wo serienweise Außerdem werden ehemalige Fischerboote – GFK-Yachten entstehen, eine andere Entwick- Helmut Olszak zunächst waren es Zeesboote, inzwischen sind lung vollzogen, wofür die große Nachfrage nach es Strandboote und Heuer – für Freizeitzwecke diesen Freizeitbooten gesorgt hat. umgebaut. Und weiterhin entstehen Neubauten, nicht nur für Freizeitskipper, sondern vereinzelt sogar für Angehörige jener Berufsgruppe, die Literatur – inzwischen stark reduziert – noch immer der Fischerei nachgeht. Offensichtlich wissen einige Steusloff, W. (2004): Bootsbau in Mecklenburg- Es fing alles ganz harmlos an. Eigentlich soll- einen Bauplan der VICTORY in die Hände. Bald der letzten Berufsfischer auch heute noch die Vorpommern. Zur Entwicklung des mariti- te es vor etwa 15 Jahren nur ein Schiffsmodell aber musste ich betrübt feststellen, dass man, Vorteile eines solide gebauten Fahrzeuges aus men Handwerks seit 1990. In: Deutsches werden, das nicht bereits als Baukastenmodell um Modelle bauen zu können, eine Werkstatt- Eichenholz zu schätzen. Schiffahrtsarchiv. Wissenschaftliches Jahr­­ viele hundert Male gebaut wurde oder auch ge- ausrüstung benötigt, die meine Möglichkeiten buch des Deutschen Schiffahrts­mu­se­ums nauso oft im Mülleimer landete. Dass sich aus zu diesem Zeitpunkt weit überstieg. Auch hat- 27, S. 201-234. diesem Gedanken ein derart umfangreiches Be- te ich damals nicht das geringste Wissen über Zusammenfassung Steusloff, W. (2006): Kutter- und Küstenfische- tätigungsfeld entwickeln würde, war zu diesem Schiffbau überhaupt. Und so fing man schon rei in Mecklenburg-Vorpommern. Zur Ent- Zeitpunkt nicht gedacht oder geplant. Wie alle mal mit der obersten Planke an und wunderte Vorgestellt werden die Ergebnisse einer Do- wicklung eines maritimen Erwerbszweiges Anfänger war auch ich auf der Suche nach Bau- sich, dass am Kiel nichts mehr zusammen pass- kumentation der Veränderungen in der Fi- seit 1990. In: Deutsches Schiffahrtsarchiv. plänen – und wie der Zufall es wollte, bekam ich te. Das Ergebnis meiner weiteren Überlegungen scherei und im Bootsbau an der Küste von Wissenschaftliches Jahrbuch des Deut- Mecklenburg-Vorpommern seit der deutschen schen Schiffahrtsmuseums 29, S. 219-246. Wiedervereinigung 1990, mit der abrupt fünf Jahrzehnte der Dominanz von Staatseigentum und dirigistischer Wirtschaftslenkung ende- ten. In der Küstenfischerei wurde sehr schnell der nun unbegrenzte und unbehinderte Einzug technischer und elektronischer Innovationen deutlich. 1991 erschienen die ersten dänischen Kleinkutter aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) für die Stellnetzfischerei, erbaut in Saks- købing/Lolland und Faaborg/Fünen. Kaum ver- ändert hat sich der Bootsbestand an der pom- merschen Bodden- und Haffküste, wo weiterhin hölzerne und eiserne Netzboote, Reusenboote und Heuer genutzt werden. Hingegen ersetzen an den hafenlosen Außenstränden zunehmend Abb. 1: Modell einer Erdlomme vom Frischen Haff. Abb. 2: Modell eines Reusenbootes vom Mönchgut. kleine GFK-Boote mit Außenbordmotoren die traditionellen hölzernen Strandboote. Mit der geförderten Umstellung und Moderni- sierung der Fischerei war die Forderung nach einer drastischen Reduzierung der ostdeut- schen Fischereiflotte verbunden, deren Abbau prämiert wurde. Aber dafür sorgten nicht nur Prämien, sondern zudem vielfältige Probleme und zunehmende Belastungen der seit 1991 um zwei Drittel dezimierten haupterwerblichen Fi- schereibetriebe. Erhebliche Veränderungen konnten auch auf den Holzbootswerften dokumentiert werden: Es überwiegen seit 1990 Reparaturarbeiten wie Planken- und Spantenwechsel an Fischerbooten und Traditionsseglern, Umbauten ehemaliger Fischerboote zu Freizeitbooten und die Restau- Abb. 3: Modell eines Serienfischkutters, gebaut in Warne- Abb. 4: Modell eines Kutters für die Treibnetzfischerei von rierung von Oldtimern. Zum neuen Angebot ge- münde 1921. Kirchhof aus Stralsund.

192 193 Kettelhut aus Verl nach Berlin kam und meine Drewel sind Hütegefäße, die als „Ligger“ gebaut wurden und zur Aufbewahrung von leben- Modelle begutachtete und als akzeptabel ein- den Fischen dienten. Kleinere Behältnisse wurden in Kastenform gefertigt, die zwischen stufte. Pfählen im Uferbereich befestigt wurden. Als kleine bootsähnliche Behältnisse, aber auch in Form eines Schiffsrumpfes wurden sie von den Fischern hinter ihrem Boot zum Markt ge- Nun wuchs mein Interesse für die kleineren schleppt. Die Drewel lagen meist in der Strömung, um den Fang der Fischer aufzunehmen Bootstypen der Ostseeregion. Dass allerdings oder an den Bollwerken der Städte, von wo aus der Fisch dann verkauft wurde. Dabei war das zu bearbeitende Quellenmaterial derartige die Waage ein typisches Merkmal. Die Behälter wurden bei Notwendigkeit geschleppt, wozu Dimensionen annehmen würde, war für mich achtern ein Ruder eingehängt werden konnte. Am Vorschiff befand sich auf vielen Behältnis- zu dieser Zeit nicht absehbar. Es begann eine sen die „Liggerbud“, in der die Gerätschaften der Fischer und Markthändler untergebracht intensive Suche nach Literatur und Unterlagen, waren und die auch als Schutzraum diente. Das Modell wurde nach dem in Göhren auf dem da mir die geschichtlichen Hintergründe für das Südstrand liegenden „Ligger“ gebaut, der 1985 dort abgestellt wurde und seitdem langsam Verständnis der Boote sehr wichtig sind. Nicht verrottet (Abb. 5 und 6). allein der Bau der Boote, sondern auch die Lebensweise der Fischer, die Vielfalt der Ver- wendung der Fahrzeuge und nicht zuletzt die regionalen Besonderheiten sind dabei wichtige Aspekte. Viele Tage und Wochen verbrachte ich Abb. 7: Haffjacht nach Gerhard Salemke. in der Staatsbibliothek Berlin und in den Lese- sälen der Humboldt-Universität mit dem Studi- um der einschlägigen Literatur und dem Kopie- ren ganzer Bücher.

Ich stellte fest, dass der Bootsbau in den Re- gionen Ost- und Westpreußen recht gut darge- stellt war. Es gab genügend Veröffentlichungen und Rekonstruktionszeichnungen. Allein die Arbeiten von Gerhard Salemke und Werner Jä- ger gaben einen guten Gesamtüberblick (Jäger, 1995). Die Region Pommern hingegen hatte außer den Zeichnungen, die bei Wolfgang Ru- Abb. 5 und 6: Der letzte Drewel in Göhren (links) und das Modell (rechts). dolph zu finden waren, kaum etwas Gleichwer- tiges aufzuweisen. Über diesen Umstand nicht gerade erfreut, begann ich dann Modelle nach war, ein Schiffsmodell zu bauen, bei dem sich den von Rudolph (1966, 1969) veröffentlichten Abb. 8: Modell einer Quatze. die Kosten für Material und Arbeitsmittel stark Heuer sind typische, in ihren Varianten Zeichnungen zu bauen (Abb. 9). Dies war nicht reduzieren ließen. Das hieß, so viel wie mög- vielfältige Fahrzeuge im Stettiner Haff, einfach, denn in den Zeichnungen war immer lich, von den Planken bis zum Tauwerk, selbst im Bereich des Achterwassers sowie des nur der Mittelspant dargestellt, während der herzustellen. Das war aber nur in einem großen Peenestroms, die im 19. Jahrhundert, vor Maßstab möglich – ich legte mich daher auf allem durch die Werften Jahrling in Freest den nicht eben attraktiven Maßstab 1:15 (1 m = und Menge in Lassan und auch anderer 6,66 cm) fest (Abb. 1 bis 4). Bootsbauer im Haff- und Peenegebiet, Quatzen dienten in Pommern als Fisch- eine weite Verbreitung im pommerschen händlerfahrzeuge, die auch mit Hilfsmo- Der Grundstein für alle weiteren Aktivitäten in Küstenbereich und darüber hinaus fanden. tor ausgerüstet wurden. Sie wurden Ende dieser Richtung wurde durch das Buch „Lom- Ursprünglich vorzugsweise als Segelfahr- des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts men und Buxer“ von Fornacon und Salemke zeug mit einer Länge bis zu sechs Metern, für den Lebendfischtransport von den (1988) gelegt. Das erste Modell, das ich in die- zwei- und dreigängig gebaut, wurden die Fanggründen in Schweden, Dänemark sem Buch fand und nachbaute, war eine Yacht Heuer mit Einführung des Motors beacht- und Ostpreußen zum Umschlaghafen im Maßstab 1:15. Ein stattliches Modell, das lich größer und erreichten eine Länge von (vorzugsweise Stettin) genutzt. Quatzner noch heute Bestandteil der Modellsammlung sieben bis acht Metern. Je nach Verwen- waren eigenständige Händler oder fuhren ist (Abb. 7). Auf den Geschmack gekommen, dungszweck, für die Reusenfischerei oder für eine Handelsfirma, aber auch dann auf wurden zwei weitere Modelle aus diesem Buch als Angelheuer, wurden die Fahrzeuge mit eigene Rechnung. Nach der Erfindung Abb. 9: Modelle nach Wolfgang Rudolph. gebaut, wobei ich feststellte, dass diese Boots­ oder ohne Schwert gebaut. von Trockeneis und dem Ausbau der typen bisher noch nie gebaut und nicht einmal Bahnstrecken wurden die Quatzen nicht erwähnt worden waren. Hinzu kam, dass der mehr ausschließlich zu diesem Zweck für den Modellbauer wichtige Spantenriss bei Personenkreis, der sich mit dem Modellbau klei- benötigt und auch für andere Zwecke fast allen Darstellungen fehlte. Nachforschun- ner Arbeitsboote beschäftigte, sehr überschau- fangreiches, teilweise noch unveröffentlichtes genutzt. Sie wurden u. a. als Kutter und gen bei der ehemaligen Akademie der Wissen- bar war. So suchte ich den Kontakt zu Gerhard Material zur Verfügung stellte. Er war es dann auch als „Ligger“ eingesetzt (Abb. 8). schaften in Berlin ergaben, dass die Materialien Salemke in Gütersloh, der mir dann sehr um- auch, der im Jahre 2003 zusammen mit Dieter und Unterlagen von Wolfgang Rudolph zwar der

194 195 Zeesenkähne wurden schon im 16. Jahr- hundert erwähnt. Neben dem Tuckerkahn waren sie die größten geklinkerten Fi- schereifahrzeuge der südlichen Ostsee- küste. Das Einsatzgebiet beschränkte sich auf das Stettiner Haff, für das Be- fahren der offenen Ostsee waren diese Schiffe nicht geeignet. Die Schiffe hatten keinen Kiel, sondern waren mit einer Kielplanke gebaut (Sohl- kiel); sie waren mit Seitenschwertern aus- gerüstet. Zeesenkähne hatten zwei Mas- ten mit Luggersegeln. Im Achterschiff befindet sich der Deken, ein durchfluteter Raum für den Lebendtransport der Fi- sche, davor der abgetrennte Stintraum. Abb. 10: Zeesenkahn vom Stettiner Haff. Mittschiffs war der Netzraum, im Vor- schiff war das Logis für die Mannschaft, die meist aus vier Mann bestand, einge- Gerhard Salemke, der bei der Schichauwerft in richtet. Die Fahrzeuge waren vollständig Elbing Schiffszeichner gelernt hatte, zeigte mir aus Eiche gebaut. dann, wie man Risse zeichnet. Damit begann Gefischt wurde mit der Zeese, einem die intensive Erfassung, Vermessung und Doku- sackartigen Netz, das seitwärts driftend mentation der Boote an der südlichen Ostsee- gezogen wurde. Die Länge des Kahns küste. ermöglichte das Offenhalten des Netzes. Gefangen wurden Aal, Stint und Edelfi- Es ist immer ein besonderes Erlebnis, Model- Abb. 13: Linienrisse des Heuers aus Zempin (Zeichnung: Helmut Olszak; Archiv Deutsches Meeresmuseum). sche, vorzugsweise Zander. le von Booten herzustellen, deren Originale ich 1904 waren auf dem Stettiner Haff noch selbst vermessen und deren Rekonstruktions- 34 Zeesenkähne registriert. 1908 wurde zeichnung ich selbst gefertigt habe, so z. B. der umfangreiche Dokumentation vieler noch exis- Booten ist bedauerlicher Weise gering, obwohl die Fischerei mit diesen Fahrzeugen auf Heuer von Fischer Tiefert aus Zempin/Usedom tierende Boote unserer Küstenregion und eine es sich, um mit Walter Borchers zu sprechen, dem Stettiner Haff endgültig eingestellt (Abb. 11 bis 14). Als Baumaterial für die Modelle schon in mehreren Museen an der Ostseeküs- um maritimes Kulturgut handelt. Somit betrach- (von Fircks, 1982; Winkler, 1986; Abb. 10). lässt sich Eichenholz gut verwenden. Die Plan- te gezeigte Modellsammlung geworden. Es er- te ich den Bau maßstabgerechter Rekonstrukti- ken lassen sich leicht verdrehen und biegen, schien mir wünschenswert, dass die Modelle, onsmodelle als einen Beitrag zum Erhalt dieser wenn sie mit Dampf behandelt werden. Das Mo- die bisher in den Museen von Prerow, Göhren, Fahrzeuge, deren Bautechniken und nicht zu- dell bekommt einen sehr schönen „alten“ Aus- Rostock, Schwerin und Anklam gezeigt wurden, letzt auch der maritimen Traditionen in der Re- Humboldt-Universität, Abteilung Europäische druck, wenn das gebeizte Holz mit Schelllack einen festen ständigen Ausstellungsort erhalten. gion der südlichen Ostsee. Im Mai 2012 wurde Ethnologie, übergeben worden waren, dort aber gestrichen wird. Die Ausstellung im Alten Rathaus in Wolgast hat die Sammlung zum dauerhaften Verbleib an das nicht auffindbar waren. Somit war für mich die Aus dem ursprünglichen Plan, ein Modell zu dazu beigetragen, dass sich das Spektrum der Deutsche Meeresmuseum in Stralsund überge- Nutzung dieser Vorlagen unmöglich. bauen, das nicht jeder baut, ist mittlerweile eine Sammlung erweitert hat und dass neben den ben. Modellen etliche zeitgenössische Fotos, aber auch maritime Handwerkszeuge und Arbeits- mittel präsentiert werden konnten. Diese Expo- Danksagung nate sind für die Besucher der Ausstellung von genauso großem Interesse wie die Schiffsmo- Viele Förderer unterstützten meine Dokumen- delle. tationstätigkeit. Besonderer Dank gilt Manfred Frach aus Berlin, der mir sein gesamtes Zeichen- Nicht alle der von mir dokumentierten Fahrzeu- werkzeug (Lineale, Strakleisten und Gewichte) ge können erhalten werden, nur wenige ausge- zur Verfügung stellte. Durch die uneigennützige wählte Originale werden in Museen überleben. und großzügige Unterstützung von Ellen Melzer Doch auch an denjenigen Booten, die sich in (Mönchguter Museen in Göhren/Rügen), von Museen befinden wird die Zeit nicht spurlos vo- Jens Lochmann aus Althagen/Darß, von Antje rübergehen. Viele der im Schilfgürtel der Bod- Hückstädt (Darß-Museum in Prerow) sowie von dengewässer aufgelegten Boote und selbst die Kerstin und Michael Sohn aus Henningsdorf war Exponate, die in den Heimat- oder Inselmuseen es mir möglich, eine Dokumentation mit einem unserer Region in Freilichtausstellungen prä- Umfang von inzwischen 70 aufgemessenen, sentiert werden, sind bereits stark vom Verfall dokumentierten und gezeichneten Fahrzeugen Abb. 11 und 12: Heuer von Fischer Tiefert aus Zempin/Usedom (links) und als Modell (rechts). gezeichnet. Das öffentliche Interesse an alten anzufertigen.

196 197 Das Jahr 2011 der Stiftung Deutsches Meeresmuseum Harald Benke und Götz-Bodo Reinicke

Das Jahr 2011 stand für die Stiftung Deutsches Abb. 1: Zum Meeresmuseum (DMM) im Zeichen des 60. Mu- Geburtstag seumsgeburtstags, der am 24. Juni 2011 mit gestaltete einem festlichen Empfang für geladene Promi- der Künstler nenz und Gäste begangen wurde. Unter dem Feliks Büttner farbenfrohen Jubiläumslogo von Feliks Büttner – wie bereits (Abb. 1) präsentierten sich alle Standorte pub- zu früheren likumsnah mit einem dreitägigen Festprogramm Gelegenhei- sowie mit vielen Sonderveranstaltungen und ten – ein Pla- Aktionstagen für die Museumsbesucher. Die kat, das im Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit richtete sich Jubiläums- 2011 einmal mehr auf eine Einrichtung in der jahr überall Hansestadt Stralsund, die sich im Laufe von 60 gezeigt Abb. 14: Rekonstruktionszeichnung des Heuers aus Zempin (Zeichnung: Helmut Olszak; Archiv Deutsches Meeresmuseum). Jahren zu einem touristischen Höhepunkt und wurde. herausragenden Publikumsmagneten in Meck- Zusammenfassung Literatur

Seit über 15 Jahren beschäftigt sich der aus Fornacon, S. & G. Salemke (1988): Lommen Berlin stammende und heute in Wolgast lebende und Buxer. Selbstverlag Arbeitskreis His- Autor mit dem Bau von Schiffsmodellen kleine- torischer Schiffbau e. V. rer Bootstypen aus dem südlichen Ostseeraum. Jaeger, W. (1995): Fischerkähne auf dem Kuri- Helmut Olszak begann seine „Bootsbauerkar- schen Haff: Einblick in die Geschichte des riere“ mit Modellen von bereits in der Literatur Kahnbaus und der Fischerei bis 1945. Bie- beschriebenen Fischerei- und Arbeitsbooten lefeld. aus Ost- und Westpreußen sowie von der pom- Rudolph, W. (1966): Handbuch der volkstümli- merschen Küste. Durch umfangreiches Quellen- chen Boote im östlichen Niederdeutsch- und Literaturstudium schuf er sich das Funda- land. Akademie-Verlag Berlin. ment für seine weitere Tätigkeit, die über den Rudolph, W. (1969): Segelboote der Deutschen Modellbau weit hinaus geht. Er dokumentiert an Ostseeküste, Akademie-Verlag Berlin. der deutschen Ostseeküste noch vorhandene von Fircks, J. (1982): Ewer, Zeesenboot und an- Boote bzw. Wracks durch das Aufmessen und dere ältere Fischereifahrzeuge. Hinstorff das Anfertigen von Rekonstruktionszeichnun- Verlag, Rostock. gen. Durch diese Tätigkeit entstand im Laufe Winkler, H. (1986): Zeesboote. Hinstorff Verlag, der Zeit eine Sammlung von Schiffsmodellen, Rostock, 2. Auflage 1990. die alle mit einer kompletten historischen Doku- mentation versehen sind. Die Modellsammlung wurde in den letzten Jahren bereits in mehreren maritimen Museen an der deutschen Ostsee- küste gezeigt und hatte von Ende 2009 bis An- fang 2012 eine Heimstatt im Alten Rathaus von Wolgast, bis sie dem Deutschen Meeresmuse- um im Januar 2012 zum dauerhaften Verbleib übergeben wurde. Abb. 2: Festakt im FORUM zum 60. Geburtstag inmitten der Sonderausstellung „Explorer“ – Flugobjekte und Zeichnungen von Christian Wielka.

198 199 Merkel als Vertreterin des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Ministerpräsidenten des Landes Mecklenburg- Vorpommern Erwin Sellering (Abb. 3), dem Lan- desminister für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Jürgen Seidel, dem Oberbürgermeister der Han- sestadt Stralsund Dr. Alexander Badrow, dem Vorsitzenden des Fördervereins Holger Brydda und dem Präsidenten der Stralsunder Bürger- schaft Rolf-Peter Zimmer würdigten viele weite- re Vertreter von Einrichtungen und Institutionen die erfolgreiche Arbeit der Stiftung, und – was wichtig war – stellten ihre Unterstützung für die zukünftigen Vorhaben in Aussicht. Ein weiteres wichtiges Ereignis war die Ausrich- Abb. 3: In einer Veranstaltungspause informieren sich Mi- tung der Jahrestagung der European Union of nisterpräsident Dr. Erwin Sellering, Oberbürgermeister Dr. Aquarium Curators (EUAC). Die Leiter und Kura- Alexander Badrow und Dr. Ingeborg Berggreen-Merkel (ver- toren aller großen Aquarien in Europa kamen zu deckt) über das Begleitprogramm. einem Besuch des OZEANEUMs und zum kol- legialen Erfahrungsaustausch nach Stralsund. Als Gäste des europäischen Kreises waren auch lenburg-Vorpommern entwickelt hat und deren Aquarienkuratoren aus den USA und China ver- Ruf weit über die Grenzen des Landes hinaus treten (Abb. 4). Die internationalen Fachkollegen reicht. fanden viele lobende Worte über die neuen An- So ließen es sich viele Vertreter des öffentlichen lagen des OZEANEUMs. und politischen Lebens der Stadt und des Lan- Neben vielen Fachkollegen, Ministern und Pro- des nicht nehmen, dem Museum ihre Glückwün- minenten wie z. B. Frank Schätzing besuchte Abb. 5: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel fütterte die Pinguine im Beisein von Direktor Dr. Harald Benke und Tierpflegerin sche zu der erfolgreichen Arbeit zu übermitteln im Berichtsjahr auch die Abgeordnete der In- Anne Sacher mit Sprotten. (Abb. 2). Neben MD Dr. Ingeborg Berggreen- sel Rügen, der Hansestadt Stralsund und des

Landkreises MdB Dr. Angela Merkel das OZEANEUM. Ein Höhepunkt des Rundganges zu den neuen Errungenschaften in den Ausstellungen war ihre Übernahme einer Patenschaft für das Pinguinmädchen Alexandra (Abb. 5).

Am 11. Juli 2008 wurde das OZEANEUM durch die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel der Öf- fentlichkeit übergeben. Die Mitarbeiter des DMM haben auch im Jahr 2011 wesentliche Tei- le ihrer Arbeitszeit für die weitere Realisierung der Aus­stellungen und Aquarien im OZEANEUM aufgebracht. Es wurden neue Exponate für die Ausstellungen des OZEANEUMs besorgt, gesi- chert bzw. neu hergestellt. Das Landesmarke- ting hat die Bedeutung des OZEANEUMs für Abb. 6: Claus Friedrich Holtmann, geschäftsführender Prä- Mecklenburg-Vorpommern erkannt, und nutzte sident des Ostdeutschen Sparkassenverbandes (links) und es für umfangreiche Marketingaktionen. Uwe Seinwill, Vorsitzender des Vorstandes der Sparkasse Vorpommern (rechts), beglückwünschen Dr. Harald Benke, Nachdem das OZEANEUM als jüngste Einrich- Geschäftsführer des OZEANEUMs, zum Titel „Unternehmen tung des DMM seinen im Jahr 2010 errungenen des Jahres 2011“ in Mecklenburg-Vorpommern. Preis, die Skulptur „The Egg“ von Henry Moore, im Mai 2011 an den neuen Gewinner des „Eu- ropean Museum of the Year“ Awards abgeben stiftung und der SuperIIlu zum „Unternehmen musste, erhielt es zum Ende des Berichtsjahres des Jahres 2011“ in Mecklenburg-Vorpommern eine weitere hohe Auszeichnung: Das OZEANE- gekürt (Abb. 6). Damit wurde zum ersten Mal ein Abb. 4: Über 80 Teilnehmer aus europäischen Aquarien und aus Übersee folgten dem Tagungsprogramm im OZEANEUM. UM wurde von der Ostdeutschen Sparkassen- Museum mit diesem Preis ausgezeichnet.

200 201 ligen Kolleginnen und Kollegen arbeitet in allen Häusern mit großem Enthusiasmus, pragmati- schem Engagement und viel Freude an den viel- fältigen Angeboten für die Besucher. Der Erfolg spiegelt sich in den vielen Menschen wider, die in 2011 die Ausstellungen und Veranstaltungen des DMM besuchten. 242 297 Gäste kamen ins MEERESMUSEUM, das NATUREUM Dar- ßer Ort erlebten 106 045 und das NAUTINEUM Dänholm Stralsund 9 892 Besucher. Das OZE- ANEUM registrierte 649 928 Gäste. Am 28. De- zember begrüßte der Direktor erneut den einmil- lionsten Gast des Deutschen Meeresmuseums im laufenden Jahr (Abb. 7). Insgesamt 1 008 162 Besucher wurden in den vier Einrichtungen der Stiftung verzeichnet. Das DMM gehört damit zu nur ganz wenigen Museen in Deutschland, die jährlich über eine Million Gäste in ihren Ausstel- lungen begrüßen können.

Insgesamt zeigt sich, dass das Renommee der Abb. 9: Am 19. August 2011 eröffnete die Bundesforschungsministerin Prof. Dr. Anette Schavan (3. von rechts) die neue Stiftung mit der Inbetriebnahme des OZEANE- Dauerausstellung „Erforschung und Nutzung der Meere“ im OZEANEUM; zusammen mit den beteiligten Partnern des Bun- UMs substanziell gewachsen ist. Das Deutsche desverkehrsministeriums, des Konsortiums Deutsche Meeresforschung (KDM) und des Worldwide Fund for Nature (WWF). Meeresmuseum schickt sich weiterhin an, seine Von links nach rechts: Prof. Gerold Wefer (MARUM), Holger Brydda (Vorsitzender des Fördervereins DMM), Prof. Dr. Karin Bedeutung auszubauen. Das Hauptanliegen­ der Lochte (Vorsitzende des KDM), Andreas Tanschus (DMM), Dr. Sabine Brasse (OZEANEUM), Eberhard Brandes (Vorstand Arbeit ist, die gesamtstaatlichen Aufgaben als WWF Deutschland), Dr. Alexander Badrow (Oberbürgermeister der Hansestadt Stralsund) und Ralf Drescher (Landrat des Deutsches Meeresmuseum zu erfül­len. Gleich- Landkreises Vorpommern-Rügen). zeitig sind die Voraussetzun­gen zu schaffen, um das Museum entsprechend dem „Leuchtturm- Prog­ramm“ des Bundes und der Aufnahme in „Evolution der Meeressäugetiere“. Das große das BLAUBUCH zu einer Institution zu entwi- montierte Finnwalskelett zeigte nach 35 Jahren ckeln, die der erforderlichen nationalen und eine Reihe von Ermüdungserscheinungen an Abb. 7: Juana Häusler, Leiterin des Besucherservice im internationa­len Reprä­sentanz der Bundesrepu- den Trägerelementen und machte eine vollstän- OZEANEUM und Direktor Dr. Harald Benke begrüßen Chris- blik Deutschland gerecht wird. dige Demontage erforderlich (Abb. 8a). Auf der tel und Wolfgang Reuter als ein millionste Besucher der Stif- Grundlage eines neuen Stahlgerüstes setzten tung. die Präparatoren das Knochengerüst des Tieres AUSSTELLUNGEN vollständig neu zusammen, so dass es nun mit elegant „abtauchendem“ Schwung im Chor der Die Stiftung Deutsches Meeresmuseum blickt Um die Ausstellungen des DMMs für die vielen Katharinenhalle präsentiert wird (Abb. 8b). Für im Berichtsjahr auf eine erfolgreiche Muse- Besucher stets attraktiv zu halten, wur­den im den Korallenriffpfeiler, das größte Exponat in umsarbeit zurück. Die Mannschaft von inzwi- Berichtsjahr einige Positionen im Meeresmuse- der Ausstellung des Meeresmuseums, began- schen 115 fest angestellten und vielen zeitwei- um erneuert bzw. ergänzt, beispielsweise die nen die Arbeiten am Neubau einer Großvitrine. Das Riffmodell wird saniert und inhaltlich voll- ständig überarbeitet. Die Position „Jahreszyklus der Silbermöwen“ aus dem Ostseerundgang wurde zur Gestaltung einer neuen Außenvitrine genutzt, die im Zuge von Straßenbauarbeiten an der Ecke Bielkenha- gen/Mönchstraße aufgestellt wurde.

Ein weiteres wichtiges Projekt im OZEANEUM war die Fertigstellung der Ausstellung „Erforschung und Nutzung der Meere“, die zusammen mit den Instituten des Konsortiums Deutsche Meeres- forschung (KDM), dem Bundesbildungsministe- rium, dem Bundesverkehrsministerium und dem Abb. 8a und b: Das Finnwal-Skelett vor (links) und nach der Sanierung (rechts) – wieder am angestammten Platz im Chor WWF-Deutschland geplant und realisiert wurde. Abb. 10: In der lichtlosen Tiefsee lockt die Staatsqualle mit der Katharinenhalle. Die Ausstellung zeigt die aktuell wichtigsten The- ihren leuchtenden Tentillen Beutetiere an.

202 203 AQUARIEN

Die lebendige Fortsetzung der Ausstellungen des Meeresmuseums sind die 40 Aquarien der Schau- anlage. Schwerpunkte der Arbeiten dort betrafen im Berichtsjahr neben den regelmäßigen Routi- neaufgaben (Abb. 13) die weitere Tierbesetzung der Mittelmeer- und der Tropenabteilung sowie der großen Schildkrötenanlage. Der Besatz mit Rotfeuerfischen hat sich im neuen „Höhlenbe- cken“ bis zum Jahresende prächtig entwickelt.

Die Aquarien im OZEANEUM wurden weiterent- wickelt. Verschiedene Kulissen der Großaqua- rien wurden erneuert und optisch wie inhaltlich aufgewertet. Der „Helgolandtunnel“ wurde neu gestaltet, mit künstlichen Algen besetzt und neu ausgeleuchtet (Abb. 14). Durch die Entfernung von Dekoration auf der einen Seite des Tunnels entstand deutlich mehr Schwimmraum und freie Bodenfläche. Es gelang so, drei Glatthaie in das Becken zu integrieren, und die Haltung weite- rer Rochenarten wird vorbereitet. Auch das Be- cken „Tiefe See“ erhielt eine neue Dekoration: Abb. 11: Das 7,5 Meter lange, originalgetreue Modell eines Riemenfisches befindet sich seit Ende April 2011 im Foyer des Abb. 13: Aquarien-Mitarbeiter Martin Schröder bei der Ge- So wurde der Ausschnitt eines Schiffswracks OZEANEUMs. Sechs Millimeter starke Edelstahlseile tragen das Schauexponat. wichtskontrolle der Echten Karettschildkröte. eingebaut. In den vorhandenen Rohren, Spal- ten und Gegenständen bekamen nun Meeraal und Leng viele Versteckmöglichkeiten. Weitere men und Erkenntnisse der deutschen Meeresfor- eine Fotoausstellung mit den wichtigsten Le- Umgestaltungen wurden vor allem in den Klein- schung. Die in der Ausstellung enthaltene simu- bensstationen des Tauchpioniers gezeigt. Er- becken durchgeführt. Mit diesen Weiterentwick- lierte Tauchfahrt mit einem Forschungstauchboot öffnet wurde sie durch seinen jüngsten Sohn lungen haben die Schauaquarien stark an Viel- auf 4 000 Meter Tiefe gilt als ein Highlight für die Pierre-Yves Cousteau (Abb. 12). falt und Ausstrahlung gewonnen. Besucher und besonders für die jungen Gäste des OZEANEUMs. Am 19. August 2011 wurde die Ausstellung durch die Bundesforschungsministe- rin, die Vorsitzende des KDM und den Geschäfts- führer vom WWF-Deutschland eröffnet (Abb. 9).

Auch in anderen Ausstellungsteilen des OZE- ANEUMs wurden 2011 attraktive Großexpona- te präsentiert. So beginnt der Rundgang durch die Weltmeer-Ausstellung nun mit dem gläser- nen Großmodell einer Staatsqualle, das von Abb. 12: Pierre-Yves Cousteau, hier mit Dr. Harald Benke, der thüringischen Glaskünstlerin Susan Liebold präsentierte als Gast im DMM eine kleine Ausstellung über aus 2 600 am Gasbrenner handgefertigten Ein- das Leben seines Vaters und stellte die Arbeit der Cousteau- zelteilen zusammengesetzt wurde. Die im UV- Gesellschaft vor. Schwarzlicht fluoreszierenden Tentakelfäden des Modells unterstreichen die geheimnisvolle Anmutung dieser Tiefseeorganismen (Abb. 10). Fred Lange die Bilderreihe „Faszination Salz“ Ebenfalls selten zu sehen sind die wundersamen und Christian Wielka seine Schau wunderbarer Riemenfische des offenen Atlantiks, von denen Expeditionsschiffe mit dem Titel „Explorer“ (sie- ein 7,5 Meter langes Modell im Foyer entlang he Abb. 2). Eine eigene Foto-Sonderausstellung des Galerieübergangs zur Ausstellung „Riesen des DMM realisierten Dr. Timo Moritz und Dr. der Meere“ gezeigt wird (Abb. 11). Vivica von Vietinghoff mit dem Titel: „Von Sum- burgh Head bis Herma Nes – Impressionen aus Um den Besuchern stets Abwechslung im Mu- Shetland’s Wildnis“. Anlässlich des 100. Ge- seum zu bieten, wurde eine Reihe von Sonder- burtstages von Jacques Yves Cousteau wurde ausstellungen präsentiert: Als Gäste zeigten in Kooperation mit der Cousteau-Gesellschaft Abb. 14: Mit der neuen Gestaltung ist der Helgoland-Tunnel großzügiger und eindrucksvoller geworden.

204 205 Abb. 17: Treffen zum 20. Geburtstag des NATUREUMs am Abb. 20: Ewa Niescioruk und Matteo Gibb vom deutsch- Darßer Ort (von links: Falk Meyer, Holger Brydda, Dr. Harald polnischen Gemeinschaftsprojekt „Freiwilliges Jahr in der Benke, Rolf Reinicke, Dr. Thomas Förster). Denkmalpflege“ (FJD) beraten mit Modellbauer Helmut Olszak (links) und dem Kurator der Bootssammlung Michael Mäuslein (rechts) die weiteren Arbeiten an den Exponaten.

Abb. 15: Die DMM-Taucher Henning May und Christian Howe beim Deko-Stop im Algenwald der norwegischen Felsküsten.

das erste Pinguin-Küken geboren, seine beiden Paten haben es auf den Namen „Cieco“ getauft (Abb. 16). Abb. 18: Nach der kompletten Sanierung erstrahlt das Un- terwasserlabor HELGOLAND in neuem Glanz. Abb. 21: Das frühere Forschungsschiff PROFESSOR ALB- AUSSENSTELLEN RECHT PENCK wird vom Museum zeitweilig als schwim- mendes Klassenzimmer genutzt. Bereits am 1. Juni 2011 feierte eine Außenstel- le des Museums, das NATUREUM Darßer Ort (NDO), ihr 20-jähriges Bestehen. In Anwesen- tauchers und eines originalen Drägertauchers mit heit von Rolf Reinicke, dem langjährigen Leiter kompletter Ausrüstung ergänzt das Modul „Tau- dieses besonderen Museums am außergewöhn- chen und Tauchgeschichte“. Zwei Praktikanten lichen Standort mitten im Nationalpark Vorpom- der Jugendbauhütte Stralsund-Stettin erfassten mersche Boddenlandschaft freuten sich die und vermaßen den Bootsbestand der Sammlung Abb. 16: Neugierig erkundet Cieco seine Umgebung. Museumsleitung, die beteiligten Vertreter des im NAUTINEUM auf technischen Zeichnungen im Wasser- und Schifffahrtsamtes Stralsund und Maßstab 1:10 (Abb. 20). des Nationalparkamtes, die Sponsoren sowie Wie in den früheren Jahren wurden auch 2011 die Mitarbeiter über den Erfolg des kleinen Aus- Als zeitweilige vierte, mobile „Außenstelle“ der Fangreisen nach Norwegen und Spanien durch- stellungsbetriebes am Leuchtturm (Abb. 17). Mit Stiftung wurde im Berichtsjahr das ausgemus- geführt, die die Beschaffung zahlreicher Arten jährlich über 100 000 Gästen gehört das NATU- Abb. 19: Wolfgang Rudolph (Mitte) übergibt seine Samm- terte Forschungsschiff des Instituts für Ostsee- direkt aus dem Meer ermöglichten (Abb. 15). Die REUM zu den meistbesuchten musealen Ein- lung von Bootsmotoren an das Deutsche Meeresmuseum forschung in Warnemün­ ­de, die Professor Besucher entdecken nun die kleine, teilweise richtungen in Mecklenburg-Vorpommern. (links: Andreas Tanschus, rechts: Michael Mäuslein). Al­brecht P enck eingesetzt (Abb. 21). Im sehr bizarre Tierwelt der kalten Meere wie z. B. Rahmen einer Koope­rations­vereinbarung zwi- die Tote Mannshand, Einsiedlerkrebse, ver- Im NAUTINEUM auf dem Dänholm wurde 2011 schen der Unternehmensgruppe Krebs, dem schiedene Seesterne, Garnelen, aber auch ver- das Unterwasserlabor HELGOLAND vollständig wurde umgestaltet. Aus der Rudolph-Sammlung Deutschem Meeresmuseum und dem Förder- schiedenste Fischarten wie Heilbutt, Leierfisch, konserviert und mit einem neuen Farbanstrich alter Motoren aus Booten der traditionellen Fi- verein Deutsches Meeresmuseum e. V. (Abb. 22) Seeteufel und Leng. versehen (Abb. 18). Weiterhin wurde im Freige- scherei wurden ausgewählte Stücke in die Aus- wurde die Nutzung der PENCK als schwimmen- In der Pinguinanlage wurden weitere techni- lände ein neues Modellnetz im Maßstab 1:15 zwi- stellung integriert (Abb. 19). Der Planktonfänger des Klassenzimmer während der Liegezeit im sche Verbesserungen umgesetzt und die Tiere schen dem Besucherzentrum und der Tonnenhalle HAI hängt nun in der Abteilung Meeresforschung Stralsunder Hafen über die Wintermonate ver- haben sich gut eingelebt. Im Juni 2011 wurde aufgespannt. Die Ausstellung in der Tonnenhalle und das lebensgroße Modell eines Forschungs- einbart. Das Projekt war Bestandteil der Verein-

206 207 WISSENSCHAFTLICHE UND nen abwechslungsreichen Aktionstag zur Phy- KULTURELLE VERMITTLUNG sik und Biologie sowie zum Schutz der Meere (Abb. 25). Während der „Tage des Meeres“ im Zur Vermittlung der vielen Facetten des Themas 60. Geburtstagsjahr stellten sich an vier Tagen „Der Mensch und die Lebewesen der Meere“ der Herbstferienwoche die vier Standorte der wurde im Berichtsjahr eine breite Palette von Stiftung mit ihren bunten Angebotspaletten in Veranstaltungen angeboten. Darunter finden den Ausstellungen des Stammhauses vor (Abb. sich Angebote für unterschiedliche Zielgruppen, 26). Insgesamt wurden von den Mitarbeitern der junge wie ältere Menschen, Stralsunder werden Abteilung Pädagogik im MEERESMUSEUM 445 genauso angesprochen wie die vielen Ferien- Veranstaltungen mit 17 411 Teilnehmern durch- gäste in unserer Region. Die museumspädago- geführt. Im OZEANEUM wurden 477 museum- gischen Aktionen bieten dabei besonders für pädagogische Veranstaltungen mit 25 748 Teil- junge Museumsbesucher eine reiche Auswahl: nehmern durchgeführt. Familiensonntage, Aktionstage, Führungen für Erwachsene und Kinder, ein Schultütenfest für Auch mit den hauseigenen Publikationen werden die i-Dötzchen zum Schulbeginn, Themenwerk- Abb. 24: Auch 2011 vergaß der Weihnachtsmann – der frü- meeresbezogene Themen, teils zu fachlichen stätten, Projekttage, Kindergeburtstagsfeiern, here Aquarienleiter Dr. Karl-Heinz Tschiesche – die Fische im Schwerpunkten, vermittelt. Im Dezember 2011 Schüler-Projekte, Ferienveranstaltungen, Exkur- Meeresmuseum nicht, und viele Kinder kamen zum Helfen. wurde Band 23 der Museumspublikation MEER Abb. 22: Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung sionen sowie die Kinder- und Jugendclubs. Das UND MUSEUM als Doppelband 2010/2011 un- zwischen der Unternehmensgruppe Krebs, dem DMM und neu entwickelte Angebot „NACHTs im Museum“ ter dem Titel „Wale und Robben in der Ostsee“ dem FDM. Andreas Tanschus (links), Detlef Krebs (2. von (Abb. 23), war fast immer ausverkauft. Zum Jah- herausgegeben. Mit 336 Seiten war es der bis- links) und Holger Brydda (rechts) mit Besatzungsmitgliedern resende halfen die Kinder am Familiensonntag lang umfangreichste Band aus dieser Reihe. Die auf dem Arbeitsdeck der PENCK. dem Weihnachtsmann bei der Bescherung für Mitarbeit zahlreicher, auch vieler ausländischer Kraken, Fische, Schildkröten und Co. (Abb. 24). Autoren führte zu einer sehr gehaltvollen Publi- kation. barungen zur Erhaltung und weiteren gemein- Erstmalig wurde der internationale World Oce- Unter dem Motto „365 Entdeckungen im Mee- samen Nutzung des Schiffes, das vom Land an Day auch im Meeresmuseum begangen. resmuseum“ beteiligten sich anlässlich des Mecklenburg-Vorpommern außer Dienst gestellt Museumspädagogen und Aquarianer gestal- Museumsjubiläums viele Mitarbeiterinnen und und verkauft worden war. teten zusammen mit den Wissenschaftlern ei- Mitarbeiter das ganze Jahr hindurch täglich mit Beiträgen über ihre Lieblingsmuseumsobjekte auf der Internetseite des DMMs.

Als bewährtes Format wurde nach längerer Pau- se wieder ein Podiumsgespräch durchgeführt. Abb. 25: Keine Angst vor Krabben! – Viele Kinder nutzten Die 12. Veranstaltung dieser Reihe im DMM den Tag des Ozeans für Begegnungen mit der Wissenschaft: widmete sich am 28. April 2011 dem Thema Ines Podszuck stellte die Krebse der Ostsee vor. „Salzgrasland - im Spagat zwischen Natur- und

Abb. 23: „NACHTs im Museum“ gehen die Kinder unter Leitung von Museumspädagogin Birgit Kadach mit Taschenlampen auf Entdeckungstour. Abb. 26: Die Mitarbeiter des OZEANEUMs präsentierten ihre Angebote für die Besucher im Stammhaus der Stiftung.

208 209 Abb. 27: Die Podiumsdiskussion mit den Referenten bot Gelegenheit zum Nachfragen, aber auch zur Stellungnahme und Abb. 29: In fünf großen LKWs und über 640 Umzugskartons zogen Schränke und die Trockensammlungen der Steinkorallen, kontroversen Positionierung der sehr engagierten Teilnehmer. Krebse und anderer wirbelloser Tiere in die beiden Obergeschosse des Hafenspeichers um.

Kulturlandschaft“. Das Vortragsprogramm stell- Große Teile der bisher nicht inventarisierten Die 2010 erworbenen Bootsmotoren der Samm- te die unterschiedlichen Sichtweisen zum The- Fisch-Sammlung wurden in Alkohol überführt, lung von Wolfgang Rudolph wurde im NAUTI- ma vor und stimulierte angeregte Fachdiskussi- nach Arten sortiert, bestimmt und registriert. Zu- NEUM untergebracht und (teilweise) ausgestellt onen unter der Schirmherrschaft des Ministers sammen mit Neuzugängen wurden 661 Samm- (siehe Abb. 19). Zuletzt wurde eine historische für Landwirtschaft, Ernährung und Verbrau- lungseinheiten neu in das Inventarverzeichnis Hafenschmiede in Sassnitz mit vollständigem cherschutz in Mecklenburg-Vorpommern Dr. Till aufgenommen. Die ichthyologische Sammlung Inventar abgebaut und im NAUTINEUM einge- Backhaus (Abb. 27). Auch zu anderen aktuellen wurde weiterhin im Rahmen einer Sammelreise lagert. Der schwimmfähige Nachbau eines Ein- Themen referierten Fachkollegen und teils Wis- um 126 Einheiten von Fischen aus dem Mittel- baums wurde dem DMM als Dauerleihgabe von senschaftler des DMM in zwei Reihen öffentli- meer ergänzt. Auch die Sammlungen der Kreb- der Universität Greifswald übergeben (siehe Bei- cher Abendvorträge im MEERESMUSEUM und se und Kopffüßer wurden um Sammlungsmate- trag von Steinkühler und Dose in diesem Band). NAUTINEUM. rial und ausgewählte Schaustücke erweitert. Der Jugendklub des DMM erarbeitete sein Pro- Mit dem aktuellen Rückgang der Fischerei wer- Patenschaften im gramm „Mit den Young MeMus auf Exkursion“ Abb. 28: Die „Young MeMus“ führen Schulklassen am Stre- den in vielen Küstenorten der Region die letz- Meeresmuseum (Abb. 28), das beim Wettbewerb der Deutschen lasund durch das selbst erarbeitete Exkursionsprogramm. ten hölzernen Arbeitsboote ausgesondert und Bundesstiftung Umwelt (DBU) „Entdecke die Viel- abgewrackt. Im Rahmen des Projektes SeaSide Auch in den wissenschaftlichen Sammlungen falt“ Ende 2011 als Video-Clip eingereicht wurde. wurden solche Boote systematisch in einer Da- spiegelt sich die 60-jährige Geschichte des In der Kategorie „Kreativ kommunizieren“ erreich- keiten für die alten und neuen Bestände. Nach tenbank erfasst, bestimmte wichtige Bauformen Deutschen Meeresmuseums mit rund 40 000 te der Club damit zum dritten Mal in Folge eine Inbetriebnahme des Neubaus von Sammlungs- detailliert dokumentiert und fünf ausgewählte meereskundlichen Exponaten wider. Das Jubi- Platzierung unter den besten zehn Projekten. räumen am Katharinenberg im Jahr 2010 wur- Boote für die Sammlung des DMM gesichert. läum bot Anlass, auch in der Öffentlichkeitsar- den im Berichtsjahr weitere Sammlungseinhei- Diese stellt mit 50 Booten und Kuttern der tradi- beit mit den Sammlungen neue Wege zu gehen ten in die neuen Magazinsäle im Speicher 08 am tionellen Fischerei in Mecklenburg-Vorpommern und dem Museumspublikum deren Bedeutung WISSENSCHAFTLICHE Hafen überführt. Vom Dach der Katharinenhalle derzeit die größte Sammlung kleiner Arbeits- auf eine neue Art zu präsentieren. Eine Grund- SAMMLUNGEN zogen im Januar die Meeressäugetier-Skelett- boote in Deutschland dar. Die Datenbank dient lage dazu legten das DMM und der Förderver- sammlung und im Juli die Trockensammlungen über den bewahrten Bestand hinaus der dau- ein Deutsches Meeresmuseum e. V. mit einer Die wissenschaftlichen Sammlungen des ver- Marine Botanik, Krebse und Spinnentiere sowie erhaften Dokumentation der historischen Origi- Kampagne zum Aufbau von Patenschaften für gleichsweise jungen Meeresmuseums wachsen die Stachelhäuter und die „Korallensammlung nalbefunden und Dokumente und hilft, weitere ausgewählte Sammlungsobjekte. Ziel des Pro- stetig an. Sie erfordern kontinuierlichen Ausbau H. Schuhmacher“ in den Hafenspeicher um Boote vor dem Abwracken oder Verfall zu retten jektes war neben der themenbezogenen Öffent- und Verbesserung der Unterbringungsmöglich- (Abb. 29). und in der Sammlung des DMM zu bewahren. lichkeitsarbeit die Einwerbung finanzieller Mittel

210 211 für die Pflege der Sammlungen sowie die Ge- winnung neuer Partner und Förderer. Anlässlich des 60. Geburtstages wurden zunächst 60 re- präsentative Objekte ausgewählt.

Im Rahmen des Festaktes zum 60. Geburtstag im Juni präsentierte Holger Brydda als Vorsitzen- der des Fördervereins die Kampagne erstmals der Öffentlichkeit. Zum Auftakt verlieh er drei Eh- renpatenschaften: an die Hansestadt Stralsund, vertreten durch den Oberbürgermeister Dr. Ale- xander Badrow für das Skelett des Finnwals im Chor der Katharinenhalle (Abb. 30), an Elke und Peter Heiden für die Lederschildkröte „Marlene“ (Abb. 31) und an die Eheleute Luzinda und Rudi Abb. 30: Der stellvertretende Direktor Andreas Tanschus Enzenross für drei bedeutende Objekte der von überreichte Oberbürgermeister Dr. Alexander Badrow (links) ihnen zusammengetragenen „Enzenross-Samm- einen handgefertigten Treibholz-Fisch als Dankeschön für lung“ (Abb. 32). Im Berichtsjahr konnten dank in- die Übernahme der Patenschaft. tensiver Information z. B. auch mit einem kleinen „virtuellen Schaumagazin“ auf der Internetseite des Museums der Zugang zu den Sammlungen erleichtert und zunächst fünf weitere Patenschaf- ten vermittelt werden.

FORSCHUNG UND LEHRE

Neben der Forschung an den Sammlungen im eigenen Haus oder in anderen Museen bildet die Forschung an der Lebewelt der Ostsee ei- nen Schwerpunkt der Arbeit. Im Bereich der Abb. 33: Der Kurator der Sammlung Meeressäugetiere Klaus Harder und Präparator Volkhardt Heller vermessen den kleinen Forschung über Meeressäugetiere setzte das Zwergwal aus Rerik. Meeresmuseum im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) das bestehende akusti- Abb. 31: Ehrenpate Dr. Peter Heiden zwischen dem stell- schen Monitoring von Schweinswalen in der Die begonnenen Untersuchungen über Fragen vertretenden Museumsdirektor Andreas Tanschus (links) und östlichen deutschen Ostsee fort. Weiterhin be- der Systematik und Phylogenie der Flösselhech- dem Vorsitzenden des Fördervereins Deutsches Meeres- teiligt sich das DMM an einem internationalen te, Fiederbartwelse und Sandfischartigen Fische museum Holger Brydda (rechts) vor dem „Patenkind“: der Projekt der Ostseeanrainer zur Erfassung der wurden fortgesetzt. Für die Untersuchungen Lederschildkröte. Schweinswale in der Ostsee. Für das aktuelle zur Entwicklungsmorphologie wurde 2011 im Todfund-Monitoring für Meeressäugetiere in der Arbeitsbereich der Abteilung ein Forschungs- Ost- und Nordsee fungiert das DMM als eine Binokular zur Aufnahme von Kleinobjekten mit nationale Schnittstelle. der extended-focus-Technik aufgestellt und in Betrieb genommen. Die Einrichtung eines For- Im Jahr 2011 wurden insgesamt 32 Schweins- schungsaquarienraumes im OZEANEUM wurde wale, acht Kegelrobben und sechs Seehunde begonnen und der erste Teil der neuen Becken- an Stränden von Mecklenburg-Vorpommern tot anlagen wurde in Betrieb genommen. aufgefunden und zur Feststellung der Todesur- sachen bzw. des Gesundheitszustandes gebor- Im Rahmen ihrer Museumsaufgaben betreuen gen. Ein besonderes Ereignis war am 31. De- Wissenschaftler des Deutschen Meeresmuse- Abb. 34: Aus der Arbeitsgruppe der Schweinswalforscher zember 2011 die Strandung und Bergung eines ums Abschlussarbeiten von Studierenden in Zu- präsentierte Jens Koblitz (vorn rechts) ein dreitägiges Semi- Zwergwals in Rerik (Abb. 33). Dieser siebente sammenarbeit mit verschiedenen Universitäten. nar über „Bio-Akustik“ für Kollegen, Studierende und Gäste. seit 1953 an unserer Küste registrierte Zwergwal Im Berichtsjahr wurden drei Bachelor-Arbeiten war mit 3,80 Metern Länge und einem Gewicht erarbeitet und betreut über: „Flussseeschwal- von 550 Kilogramm bisher der kleinste. Das ben auf der Kirr“, ein Konzept zum Ausstel- Dr. Moritz). Bei internen Weiterbildungsveran- Abb. 32: Die Kuratoren der Sammlungen Wirbelloser Tie- Skelettmaterial aller Funde wird nach der Sekti- lungsmodul „Interaktiver Seeigel“ (Universität staltungen werden Gelegenheiten genutzt, fach- re Ines Podszuck und Dr. Götz-Bodo Reinicke präsentieren on mazeriert und in die Sammlung der Meeres- Rostock, Dr. Liebers-Helbig), sowie eine Studie liche Inhalte im Kollegium zu vermitteln und da- zusammen mit der Patenschaftsbeauftragten Anett Stolte säugetiere aufgenommen. Der Bestand umfasst über die „Vergleichende Ontogenese der Fett- bei Kenntnisse für weitere Arbeiten zu vertiefen einige Exponate der „Sammlung Enzenross“. derzeit etwa 762 Einheiten. flossen der Euteleostei“ (Universität Tübingen, (Abb. 34).

212 213 Im Bereich der Drittmittelforschung am Deutschen Meeresmuseum wurden 2011 folgende Projekte fortgesetzt bzw. abgeschlossen: ten T-PODs, deren Produktion eingestellt wurde. 2011 wurden über 100 Geräte in einem neuen Kalibrierungstank am Deutschen Meeresmuseum geeicht (Abb. 36). Wiederansiedlung von Kegelrobben in der südlichen Ostsee Im Projekt COSAMM (Comparison of Static Acoustic Monitoring Methods) werden neben Aktuelles Kartenmaterial über Kegelrobbenschutz und ‑verbreitungsanalysen auf der Grund- der Testbeschallung der Geräte im Tank auch Vergleichsmessungen der verschiedenen Ge- lage von Geo-Informationssystemen (GIS) wurde im Rahmen eines HELCOM-Vorhabens für räte auf See durchgeführt. Vor Fehmarn wurden zudem an fünf Stationen C-PODs auf ver- die Ostsee neu erstellt. Im März 2011 nahm mit ihrem 1. Arbeitstreffen im DMM eine neue schiedenen Tiefen ausgebracht, um den Einfluss der Ausbringungstiefe auf die Erfassung „Arbeitsgruppe Robben-Monitoring“ der mit dem Robbenschutz in Mecklenburg-Vorpom- der Schweinswal-Ortungslaute zu untersuchen. Auch acht SAMBAH-Messstationen wurden mern befassten Einrichtungen ihre Arbeit auf, darunter die Verwaltungen der Nationalparke zu diesem Zweck mit zusätzlichen Instrumenten ausgestattet. und Biosphärenreservate, das Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG), das Bundesamt für Naturschutz (BfN), der WWF und das DMM. Im DMM wurde die Erarbei- tung des Managementplans für den Greifswalder Bodden betreut, eine dreitägige Beobach- tungsfahrt zu den Kegelrobben auf dem Großen Stubber im Greifswalder Bodden sowie eine Fotodokumentation der Kegelrobben auf Helgoland durchgeführt. Akustisches Monitoring von Schweinswalen in deutschen Gewässern Seit 2008 verfolgt das DMM in Kooperation mit dem ITAW der Tiermedizinischen Hochschu- le Hannover in Büsum ein Schweinswal-Monitoring mit dem Ziel der Evaluierung des so genannten Standarduntersuchungskonzeptes 3 im Offshore Testfeld „alpha ventus“ in der Nordsee (Projekt StUKplus). Verhalten und Habitatnutzung von Schweinswalen im Testfeld werden analysiert und im Hinblick auf mögliche Auswirkungen durch den Bau und den fort- währenden Betrieb der Windkraftanlagen überprüft. Die akustische Erfassung von Schweinswalen an sechs Messstationen in der deutschen AWZ der Ostsee wurde im Rahmen der Erprobung eines Bund/Länder-Fachvorschlags für das deutsche Meeresmonitoring von Schweinswalen fortgeführt (Abb. 35). Weiterhin über- nahm das DMM die „Fortsetzung und Weiterentwicklung des akustischen Monitorings für Abb. 37: Durch bewilligte Gelder der SES und wegen des Abb. 38: Mit geduldig-freundlichem Improvisationstalent Schweinswale in der östlichen deutschen Ostsee“ für ein umfassendes „Monitoring und Be- UNESCO-Weltkulturerbe-Status konnte ab Januar 2011 die standen die Kolleginnen des Besucherservice (hier: Eila Gall) wertung von marinen Wirbeltieren“ im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (Cluster 3). Dachsanierung des Katharinenklosters begonnen werden. auch im Museumscafé TARTARUGA mit dem Shopangebot Dies erfolgte in intensiver Kooperation mit dem internationalen Projekt SAMBAH (Static für die Wünsche der Besucher bereit. Acoustic Monitoring of the Baltic Harbour Porpoise), an dem alle Ostseeanrainerstaaten mit Ausnahme Russlands beteiligt sind. Ziel ist ein passiv akustisches Monitoring der Schweins- BAUMASSNAHMEN walpopulation in der Ostsee, um das Vorkommen, die Verbreitung und Bestandszahlen zu ermitteln. In deutschen Gewässern wurden dazu weitere 16 Messstationen installiert. Die Stiftung Deutsches Meeresmuseum betreibt mehrere Ausstellungshäuser, die in historischen Kalibrierung von Schweinswaldetektoren Ge­bäuden in der Altstadt von Stralsund unterge- Begleitend wurden am DMM Kalibrierungen von C-PODs für Forschungsinstitutionen und bracht und damit Teil des UNESCO-Welterbes Consulting-Firmen im In- und Ausland vorgenommen. Für die neueste Generation von sind. Ihre Erhaltungs- und Erweiterungsmaß- Schweinswaldetektoren war die Entwicklung nahmen müssen deshalb hohen Qualitätsan- einer Kalibriermethode notwendig gewor- sprüchen genügen. So wurde die Umsetzung den, da die Geräte in einem breiteren Fre- des Brandschutzkonzeptes mit der nunmehr quenzbereich arbeiten als die bisher genutz- letzten großen Maßnahme in der Katharinenhal- le im Meeresmuseum fortgesetzt. Dazu gehörte auf dem Dachboden die Installation einer me- chanischen Entrauchungsanlage. Die erforderli- Abb. 39: Der neue Sonderausstellungsraum im Ostseerund- chen Luft-Nachströmöffnungen (40 000 m³/Std.) gang wurde mit einer Fotoausstellung über die Inselgruppe wurden mit der Erneuerung der Außentüren auf der Hebriden eingeweiht. der Nordseite der Katharinenhalle geschaffen. Die neue Anlage kann nun im Sommer auch zur Frischluftzufuhr in der Ausstellungshalle genutzt und der Ausstellungsbereich „Ostseerundgang“ werden. komplett für die Besucher gesperrt werden. Ent- sprechend zog der Museumsshop während der Im Zuge der Dachsanierung des Haselbergbaus Bauzeit in die Räume des Bistros um (Abb. 38). ergaben sich wegen erheblicher und nicht vor- Sämtliche von den Baumaßnahmen betroffenen hergesehener Baumängel schwere Eingriffe in Räume wurden vollständig saniert und reno- Abb. 35: Katharina Brundiers und Martin Jabbusch be- Abb. 36: Für die Kalibrierung der Schweinswal-Horch- die Gebäudestruktur, die sich auf den Muse- viert. Dabei waren im Winterhalbjahr leider auch treuen die technischen Monitoring-Systeme und lesen geräte (PODs, links vorne) wurde ein großer Messtank umsbetrieb auswirkten (Abb. 37). Während der Beeinträchtigungen des öffentlichen Betriebes die erfassten Messdaten aus. mit den entsprechenden Geräten aufgestellt. Baumaßnahme mussten die im Haselbergbau unvermeidbar, die aber großenteils auf das Ver- befindlichen Arbeitsräume völlig aufgegeben ständnis der Museumsbesucher trafen.

214 215 Für seine verlässliche und unermüdliche Mitar- konzeptionellen Arbeiten die Überarbeitung des beit dankte die Museumsleitung im März 2011 Riffturmes die Aktivitäten dominieren. Weitere Gerd Bühring als medientechnischem Mitar- Positionen werden nach Maßgabe verfügba- beiter, der nach 22 Jahren das Museum und rer Mittel und Kapazitäten umgesetzt. Die be- Stralsund in Richtung Agadir/Marokko verlas- grenzt verfügbaren finanziellen Mittel im MEE- sen hat (Abb. 40). Auch Bärbel Hoppe, Sophie RESMUSEUM ermöglichen zeitweise nur die Hansen, Dorota Makrutzki, Sylvia Osterrieder Durchführung kleinerer Dekorations- und Tech- und Dr. Stefan Bräger verließen im Berichtszeit- nikarbeiten. Neuer Tierbesatz in den Aquarien raum 2011 das DMM. Sie haben die Arbeit des richtet sich ebenfalls nach den Möglichkeiten, Hauses teils über viele Jahre mit getragen. Das für den Besatz der Korallenbecken wird die ei- Deutsche Meeresmuseum bedankt sich mit den gene kleine Zuchtanlage weiterentwickelt und besten Wünschen für den Ruhestand bzw. für ausgebaut. die weiteren beruflichen Wege. Im OZEANEUM wird der Tierbestand weiterhin Britta Langner, Maria Sauder, Tina Stilau und durch eigene Tierbeschaffungsreisen abgesi- Toni Röschmann haben im Berichtszeitraum chert. Im Februar 2012 soll ein Sandtigerhai in 2011 das OZEANEUM verlassen und sich neuen das große Becken „Offener Atlantik“ einziehen. Aufgaben zugewendet. Die OZEANEUM Stral- Des Weiteren ist geplant, Zuchtanlagen für Al- sund GmbH bedankt sich bei ihnen für die ge- gen, Seepferdchen und Quallen aufzubauen. leistete Arbeit mit den besten Wünschen für die weiteren beruflichen Wege. Für die Sammlungs- und Forschungskonzep- tionen des DMM werden in 2012 anhand einer Folgende neue Kolleginnen und Kollegen ver- umfassenden Revision die aktuellen Zielstellun- Abb. 40: Das Direktorium des DMM Dr. Harald Benke und Andreas Tanschus bedankt sich bei Gerd Bühring für seine lang- stärkten im Berichtszeitraum 2011 die Mu- gen überprüft und ggf. erforderliche Neuaus- jährige, unermüdliche Mitarbeit. seumsmannschaft des DMM: Kristina Weber richtungen erarbeitet. Ziel ist die substantielle und Steffi Apenburg als wissenschaftliche Vo- Konsolidierung und akzentuierte Entwicklung lontärinnen im Fachbereich Wissenschaft; Ute der Sammlungs- und Forschungsaktivitäten des Der ehemalige Ostseerundgang wurde dann als über die Grenzen unseres Landes hinaus, und Granzow und Ricarda Gillner in der Verwaltung, DMM. Zugleich sind für die naturwissenschaft- wesentlicher Bestandteil der Ausstellungen kurz die positive Resonanz auch im internationalen Anett Stolte für das Patenschaftsprojekt; Hein- lichen Sammlungen die weitere Ausstattung vor Weihnachten 2011 u. a. mit einem neuen Umfeld bestätigt die Erfolge der Arbeit. rich Palmer und Heiko Rhode in der Abteilung der neuen Magazine im Speicher 08 am Hafen Son­derausstellungsraum wieder in Betrieb ge­ Technik; Katharina Brundiers, Lena von Nord- nach Maßgabe verfügbarer Mittel vorgesehen. nom­men (Abb. 39). Für ihre langjährige Tätigkeit am DMM wurden heim und Tobias Schaffeld in der Projektgruppe Geplante Neuordnungen werden schrittweise im Jahr 2011 folgende Mitarbeiterinnen und Mit- „Schweinswalforschung“. umgesetzt. Ausgehend von grundlegenden Ar- Im NAUTINEUM wurden im Inneren der Ton- arbeiter besonders geehrt: beiten im Zusammenhang zweier wissenschaft- nenhalle und in den dazugehörigen Anbauten Zur Verstärkung der Mannschaft der OZEANE- licher Volontariate im Zeitraum 2011/12 wird für großflächige Putzarbeiten und Malerinstand- 35-jährige Betriebszugehörigkeit: UM Stralsund GmbH nahmen im Berichtszeit- die kommenden Jahre eine umfassende Konso- setzungen durchgeführt. Die beiden hölzernen Uwe Beese raum 2011 die folgenden Kolleginnen und Kol- lidierung und gezielte Entwicklung des Samm- Plankenwege zu den Anbauten wurden nebst 25-jährige Betriebszugehörigkeit: legen ihre Tätigkeiten in den verschiedenen lungsbetriebes im DMM angestrebt. Unterkonstruktionen erneuert. Weiterhin erfolg- Jens Heischkel Arbeitsbereichen auf: Eileen Werner und Anne- ten Arbeiten durch die Mitarbeiter bei der Innen- 20-jährige Betriebszugehörigkeit: Marie Schmidt in der Verwaltung, Cornelia Kar- Die Eingangs- und Museumsshop-Situation im und Außensanierung des Besucherzentrums. Ines Schult bach und Alexander Grawe im Besucherservice; MEERESMUSEUM werden zukünftig verbessert. Andreas Tanschus Nicole Merten im Bereich Wissenschaft/Muse- So soll die ehemalige Turnhalle, gegenwärtig 15-jährige Betriebszugehörigkeit: umspädagogik und Elisabeth Goldschmidt im als Mehrzweckraum „FORUM Meeresmuseum“ PERSONELLES Brigitte Jarling Bereich Marketing. Alle neu eingestellten Mit- genutzt, zu einem dem Hause angemessenen Ellen Karoske arbeiterinnen und Mitarbeiter heißen das Deut- Foyer mit allen erforderlichen Einrichtungen im Das DMM übernimmt als „kultureller Leucht- sches Meeresmuseum und die OZEANEUM Empfangsbereich eines Museums umgebaut turm“ und „Blaubuch-Einrichtung“ zunehmend Die vielfältigen Aufgaben des Museums erfor- Stralsund GmbH herzlich willkommen! werden. gesamtstaatliche Aufgaben. Die hohen Be- dern immer wieder Verstärkung für die Mann- Auch der Museumsshop, derzeit mitten in der sucherzahlen, besonders nach der Eröffnung schaft, neue Mitarbeiter übernehmen die Auf- Ausstellung untergebracht, wird am Ende des des OZEANEUMs, reflektieren die erfolgreiche gaben früherer Kollegen. Nicht immer lassen ENTWICKLUNGS- UND Rundgangs mit ansprechendeem Verkaufsaus- Arbeit der Stiftung. Die stetig zunehmenden sich alle Vorhaben allein im Haus realisieren, ZUKUNFTSPLANUNG lagen und angegliedertem Lager seinen Platz Aufgaben müssen jedoch von einem zahlen- so dass die Zusammenarbeit mit spezialisierten finden. Die Planungsunterlagen wurden bereits mäßig bisher gleichbleibenden Mitarbeiterstab Partnern erforderlich wird. Verschiebungen von Für die Ausstellungen des Deutschen Meeres- erarbeitet. Es gilt nun, die für die Umgestaltung bewältigt werden. Dies führt auch ein höchst Arbeitsbereichen schaffen dabei auch Freiräu- museums werden die Schwerpunkte der kom- notwendigen Mittel einzuwerben. Ziel ist es, den engagiertes Team erfahrener Mitarbeiterinnen me für neue Aufgaben. Unverändert sichert das menden Jahre auf einer umfassenden Revision Gästen von Beginn bis zum Ende einen ange- und Mitarbeiter gelegentlich an die Grenzen engagierte Team langjährig erfahrener Mitarbei- der Gesamtkonzeption und der Darstellungen nehmen und interessanten Besuch des Muse- des Machbaren. Die Ausstrahlung des Hauses terinnen und Mitarbeiter den Betrieb des Mee- im Stammhaus am Katharinenberg liegen. Im ums zu ermöglichen, an den sie sich noch lange mit seinen vier Standorten reicht dennoch weit resmuseums mit seinen vier Standorten ab. Jahr 2012 wird dabei neben verschiedenen und gerne erinnern.

216 217 Der Förderverein des Deutschen Meeresmuseums Stralsund in seinem 20. Jubiläumsjahr Thomas Förster

Das Jahr 2011 begann für die etwa 700 Mitglieder des Fördervereins Deutsches Meeres- museum e. V. mit einem besonderen Ereignis: Im Rahmen der am 28. Januar 2011 stattfin- denden Generalversammlung begingen die Mitglieder das 20-jährige Jubiläum des Vereins mit einem Festakt. In der stimmungsvollen Atmosphäre in der Ausstellungshalle „Riesen der Meere“ im OZEANEUM wiesen Landtagspräsidentin Sylvia Brettschneider, Oberbürgermeis- ter Dr. Alexander Badrow, Direktor Dr. Harald Benke sowie der amtierende Vorsitzende des Vereins Holger Brydda mit den ehemaligen Vorsitzenden Dr. Henning Klostermann und Falk Meyer auf die Bedeutung der Arbeit der Vereinsmitglieder für das Deutsche Meeresmuseum, die Hansestadt Stralsund und auch für das kulturelle Leben in Mecklenburg-Vorpommern hin. Der ehemalige Geschäftsführer Rolf Reinicke ließ die zwei Jahrzehnte Vereinstätigkeit in einem beeindruckenden Lichtbildvortrag Revue passieren. Die Vereinsmitglieder konnten noch an weiteren Jubiläen teilhaben, an denen sie ebenfalls besonderen Anteil hatten: Am 1. Juni wurde das 20-jährige Bestehen des NATUREUMs auf dem Darß gefeiert, und ab dem 24. Juni beging das Deutsche Meeresmuseum den 60. Jahrestag seiner Gründung mit einer Festwoche. Neben einer Festveranstaltung gab es ein umfangreiches Programm mit Vorträgen, einer Kunstaktion und einen „Open Ship“-Tag mit dem Forschungskutter SEE- FUCHS und dem ehemaligen Forschungsschiff PROFESSOR ALBRECHT PENCK, die vor dem OZEANEUM lagen. Die PENCK gab im Vereinsjahr 2011 dann einen weiteren Grund zum Feiern: Zwischen der Krebsgruppe, die das Schiff erworben hatte, dem Förderverein und dem Deutschen Meeresmuseum wurde ein Kooperationsvertrag geschlossen, mit dem Abb. 42: Unter fachkundiger Anleitung von Verena Kulessa (3. von links neben Holger Brydda) sammelten die Mit- glieder des Fördervereins Fossilien im Kreidebruch Promoisel.

gen Besuch der Vereinsveranstaltungen verschiedene Mitglieder durch ihre tatkräftige Hilfe für das Meeresmuseum engagieren. Allen voran sei hier das Mitglied Dorothea von Saucken genannt, die dem Vereinsvorstand zum 20-jährigen Jubiläum eine sehr aufwendig geführte und bebilderte Vereinschronik übergab. Auch nicht untätig waren das Ehepaar Manfred und Brigitte Langfeld. Durch Frau Langfeld wurde die systematische Aufarbeitung von Archiv- materialien des Museumsgründers Professor Dr. Otto Dibbelt vorgenommen; Herr Langfeld begann im NAUTINEUM mit der Aufarbeitung der Motorensammlung und der Sichtung des dazugehörigen Archivs von Wolfgang Rudolph. Der Förderverein konnte das Deutsche Meeresmuseum und dessen Außenstellen auch in 2011 intensiv finanziell unterstützen. Laut Beschluss der Generalversammlung förderte der Verein das Projekt „Museumspädagogischer Aktionsraum“ mit 17.000 € und konnte zusätz- lich über die Norddeutsche Stiftung für Umwelt und Entwicklung 25.000 € einwerben. Der Aktionsraum wurde nach Abschluss der Dachsanierung am 25. Januar 2012 den Kindern und Museumspädagogen übergeben. Ebenfalls unterstützte der Verein das Projekt „Samm- lungspatenschaften“ mit 17.500 €, der Eigenanteil des DMM betrug 12.500 €. Die Projekter- gebnisse dienen der Einwerbung von Spenden zum Erhalt der musealen Sammlungen des DMM. Dazu ist ein Katalog mit Patenschaftsobjekten erstellt worden, ein entsprechender Flyer und ein Internetauftritt ergänzen den Werbeauftritt. Zusammen mit dem Deutschen Abb. 41: Gruppenfoto der Exkursionsteilnehmer vor dem Fischereimuseum auf der Insel Hel. Meeresmuseum übernahm der Förderverein ab Oktober 2011 auch einen Teil der Kosten, die durch die Liegezeit des ehemaligen Forschungsschiffes PENCK vor dem OZEANEUM anfielen. die museale Bewahrung und Nutzung des Schiffes möglich wurde. Nachdem die PENCK vor Neben der Tätigkeit zur Förderung des Meeresmuseums wurden durch den Vorstand und der Verschrottung gerettet war, konnte Sie ab November für einen gut besuchten maritimen durch Mitwirkung von Vereinsmitgliedern ein interessantes Exkursions- und Vortragspro- Klönsnack unter der Leitung des Vereinsmitgliedes Nicole Merten und durch die Pädagogen gramm organisiert. Im Mai konnte unter der Leitung von Peter Strunk und Dr. Dorit Liebers- des Deutschen Meeresmuseums genutzt werden. In dieser Zeit feierte auch die PENCK den Helbig die Exkursion zur Kormorankolonie Niederhof nachgeholt werden, die im Vorjahr we- 60. Jahrestag ihrer Indienststellung, der durch einen von Dr. Henning Klostermann gehalte- gen starker Regenfälle ausfallen musste. Einen Höhepunkt des Vereinslebens bildete die nen, sorgfältig recherchierten Vortrag zur Person von Professor Albrecht Penck begangen Exkursion nach Danzig und Umgebung (Abb. 41). Stationen waren neben der Altstadt von wurde. Sehr erfreulich ist es, dass sich neben der finanziellen Förderung und dem regelmäßi- Danzig das Maritime Museum, die Marienburg sowie die Robbenaufzuchtstation und das Fi-

218 219 schereimuseum auf der Insel Hel. Unter der Leitung von Verena Kulessa konnten die Vereins- Buchbesprechungen mitglieder im September im Kreidetagebau von Promoisel auf Fossiliensuche gehen (Abb. 42). Unter einer Vielzahl von Veranstaltungen im Deutschen Meeresmuseum und in seinen Außenstellen sei hier an die spannende Präsentation zu den Walhaien von Ralf Sonntag, den Die See- und Küstenfischerei Zeit der Weimarer Republik. Er untersucht die sehr interessanten Vortrag zu Klimaveränderung von Dr. Dirk Notz oder an die Ausführungen Mecklenburgs Veränderungen der Fischereiverwaltungen auf von Professorin Dr. Angelika Brandt zu Meeresasseln erinnert, die sich mit diesem Thema der Reichsebene und die Kontinuität auf der als neues Mitglied des Beirates der Stiftung vorstellte. In der Veranstaltungsreihe „Montag- und Vorpommerns 1918 bis 1960 Länderebene. Während dieser Periode kam es abend im NAUTINEUM“ berichtete Rolf Reinicke über die Aufbauarbeit und die 20-jährige Susanne Raillard, nicht zur Bildung einer von den Fischern ge- Geschichte des NAUTINEUMs, Jörg Lettau ließ die Erfolgsgeschichte der Weißen Flotte Institut für Zeitgeschichte Berlin - München (Hrsg.), forderten Seefischereikammer, so dass eine Revue passieren, Gerhard Parchow stellte sein gut recherchiertes Buch zum Seefahrerdorf Oldenbourg Verlag München (2012), 453 S. öffentlich rechtliche Berufsvertretung der See- Seedorf vor und Markusz Schöne berichtete von den letzten Arbeitsbooten der Fischerei und Küstenfischer fehlte. Ausführlich wird der und dem SEASIDE-Projekt, in das auch das DMM involviert ist. Mit einer Lesung zu stim- Niedergang der Fischerei bedingt durch Inflati- mungsvollen Bildern durch den bekannten Autor und Tierfotograf Rico Nestmann konnten on und Weltwirtschaftskrise sowie die Ausfuhr- die Vereinsmitglieder das Jahr ausklingen lassen. beschränkungen in ausländische Häfen darge- stellt. Das dritte Kapitel ist der See- und Küstenfische- rei in der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 gewidmet. Mit der Beseitigung der föderalen Struktur im Reich wurde auch die Fi- schereiverwaltung zentralisiert und vom Reichs- ministerium für Ernährung und Landwirtschaft übernommen. Die regionale Fischereiverwaltung und -aufsicht wurde beibehalten und der Fische- rei eine besondere Rolle bei der Volksernährung eingeräumt. Mit der Zwangsorganisation des Reichsnährstandes wurde bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges der Fischfang, der Absatz des Fanges und die Preisstruktur geregelt. Das bestehende Vereinswesen in der Fischerei wurde unter nationalsozialistischen Gesichtspunkten reorganisiert. Die Fischer erfuhren im Rahmen der NS-Ideologie eine erhebliche soziale Auf- Die umfangreiche Studie über ein „Traditionelles wertung: Mit Krediten und der Ausweitung der Gewerbe unter ökonomischem und politischem gesetzlichen Rentenversicherung auf die Fischer Wandlungsdruck“ entstand im Rahmen des wurde deren soziale und wirtschaftliche Lage durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft verbessert. Weitere Maßnahmen der Fischerei geförderten Projektes „Mecklenburg-Vorpom- waren die Regelung der Ausbildung und der nur mern im 20. Jahrhundert – Lebenswelten im teilweise erfolgreiche Versuch einer Marktord- Systemwandel“ am Institut für Zeitgeschichte nung. Detailliert beschreibt die Autorin die Lage in Berlin. Der Zeitraum von 1918 bis 1960 um- der See- und Küstenfischerei zum Beginn des fasst einen Abschnitt, in dem die traditionelle Fi- Zweiten Weltkrieges. Starke Einschränkungen scherei in Mecklenburg-Vorpommern durch drei der Hochseefischerei durch den Kriegsverlauf politische Systeme beeinflusst wurde. Die Auto- erhöhten die Bedeutung der Küstenfischerei. rin untersucht das Verhältnis der Fischerei zur Durch die neue Struktur konnte die Leistungsfä- Herrschaft und Gesellschaft in der Demokratie higkeit der Küstenfischerei gesteigert und wäh- und Diktatur. rend des Krieges genutzt werden. Als schwierig Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert. Der erwies sich im Kriegsverlauf der Arbeitskräfte- einleitende Teil legt das methodische Vorgehen mangel. Ein nicht ausgewogenes Preissystem sowie den Forschungsstand und die Quellenla- führte dazu, dass die Fänge nicht komplett ab- ge dar. In kurzer Form wird auf die Organisation geliefert, sondern über den Schwarzhandel ab- der Fischerei mit Fanggebieten und -methoden, gesetzt wurden. die Fischereiverwaltungen, die Fischereivereine Das vierte Kapitel beschreibt die Lage nach sowie die wirtschaftliche und soziale Lage der dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetischen Be- Fischer biszum Ersten Weltkrieg eingegangen. satzungszone (SBZ) bis in die frühen Jahre der In chronologischer Abfolge befasst sich der DDR. Zur Versorgung der Bevölkerung und der nächste Abschnitt mit dem wirtschaftlichen eigenen Truppen war die Besatzungsmacht be- Niedergang der See- und Küstenfischerei zur strebt die Leistungsfähigkeit der See- und Küs-

220 221 tenfischerei wieder herzustellen. Sie erließ eine Schwachpunkte in der Preis- und Subventions- NICKEL’S FERIENBUCH Maschinenbaustudent an der Uni Rostock, der Anzahl von Befehlen zur Verstärkung, Ordnung politik nur bedingt gelang. Einen besonderen seine Schwester Sophie in die Geheimnisse und und Planung der Fischerei und der Bereitstel- Einschnitt für die Fischerei stellten die Kollekti- Jochen von Fircks Probleme des Schiffsvortriebs durch Propeller lung von Fischereifahrzeugen. Auf der Landes- vierungsbemühungen der DDR dar, die der Ar- Engelsdorfer Verlag Leipzig (2011) einweiht und schließlich Jakob aus der fünften und Zentralebene begann sie mit dem Aufbau beitsorganisation in der traditionellen Fischerei 100 S., zahlreiche Abbildungen. Klasse, der seine ältere Schwester Isabell über von Fischereiverwaltungen. Dies erwies sich teilweise widersprachen. den Rotorantrieb auf Schiffen ausfragt. durch das Fehlen von Fachpersonal als schwie- Der Anhang des Bandes liefert ergänzende In- Alle Kapitel sind in erzählender Form verfasst rig. Die bestehenden Vereine und Verbände der formationen mit Übersichten zur Anzahl der Fi- und mit zahlreichen langen Passagen in wört- See- und Küstenfischerei wurden als Teile der schereibetriebe von 1907 bis 1939, den Fang- licher Rede gespickt. Der Mix aus Erzählung, NS-Reichsnährstandorganisation aufgelöst. Das ergebnisse von 1913 bis 1938 und in der SBZ/ Faktenvermittlung und Geschichtsdarstellung Genossenschaftswesen wurde beibehalten und DDR von 1946 bis 1960 sowie zur Gründung der wirkt auf den nicht mehr jugendlichen Leser der weitere Zusammenschluss von Fischern ge- FPGs. Das Quellen- und Literaturverzeichnis zunächst etwas befremdlich. Dieser Eindruck fördert. Die Besatzungsmacht legte ein Fang- weist die genutzten Aktenbestände der Archive schwindet jedoch, wenn man das eine oder soll fest und versuchte, dieses durch Prämien in Rostock, Wismar, Berlin, Greifswald, Schwe- andere Kapitel laut liest bzw. vorliest. Die vom bzw. mit rigiden Strafen durchzusetzen. Mit der rin, Stralsund sowie Periodika, zeitgenössische Großvater vorbereiteten Ferienerlebnisse und Staatsgründung der DDR im Jahr 1949 gab es Veröffentlichungen und aktuelle Publikationen verfassten Geschichten für den Enkel ergeben kaum Veränderungen zu der in der SBZ prakti- nach und schließt mit einem Personenregister. in der Zusammenschau eine überaus fakten- zierten Fischwirtschaft. Die Arbeit ist in gut lesbarer Form abgefasst, reiche und hervorragend illustrierte Darstellung Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit der Kol- ein umfangreicher Fußnotenapparat erlaubt die der Schiffbaugeschichte von den frühgeschicht- lektivierung der See- und Küstenfischerei in der schnelle Zuordnung der genutzten Quellen und lichen Flößen und Booten bis zu modernen DDR in der Zeit von 1953 bis 1960. Es handel- bietet ergänzende Informationen. Einzelne, aber Schiffsdieselanlagen für Großcontainerschiffe. te sich dabei um zwangswirtschaftliche Maß- leider nicht alle Kapitel unterstützen mit einem Trotz der unterschiedlichen Textsorten gibt es nahmen, die weit über jene der NS-Zeit und „Fazit“ das Verständnis der Studie. das Stilmittel des Erzählers – das ist meistens der SBZ hinaus gingen. Die Kollektivierung der Die Verlagsankündigung bezeichnet den Band der überaus belesene und handwerklich begab- Fischerei begann im Gegensatz zur Landwirt- als „erste umfassende Studie zur Geschichte Bücher für Kinder und Jugendliche – auch wenn te Großvater aus Prerow, vereinzelt aber auch schaft erst ab 1953. Die Autorin beschreibt ers- der See- und Küstenfischerei der Ostseeküste“ es sich um Sachbücher handelt – beschäfti- andere Fachleute, wie zum Beispiel der Segel- te Schritte und die fortgesetzten Probleme mit – diese Einschätzung gilt nur bedingt: Fahrzeu- gen sich selten mit angewandten Naturwissen- lehrer. Dieser ungewöhnlich aktive Opa vermit- zu hohen Fangvorgaben. Nach den zentralen ge und Fangmethoden und deren Entwicklung schaften oder Ingenieurwissenschaften. Dieses telt dem Enkel, der eigentlich Kurt Carl heißt, Beschlüssen der SED und des Staates erfolgte werden nur kurz erwähnt, die weitreichende Genre ist meist den Lehr- und Handbüchern für „aber von seiner Familie eben Nickel genannt die eigentliche Kollektivierung in zwei Phasen, Bedeutung der Motorisierung der Fischerei- Schule und berufliche Ausbildung und damit ei- wird“, innerhalb von drei Wochen Sommerferi- die 1954 bis 1957 und von 1957/1958 bis 1960 fahrzeuge im Untersuchungszeitraum wird nicht ner älteren Gruppe von Lesern vorbehalten. en sowohl physikalisches Grundlagenwissen, festgesetzt werden. In der ersten Phase konn- dargestellt. Auch zum Wandel des Transport- Der Autor Jochen von Fircks hat den Versuch historische Fakten zur maritimen Geschichte, ten nur unselbstständige Fischer, Kleinfischer und Absatzsystems der Fänge sind nur wenige unternommen, einen Sachtext über die unter- einen Exkurs über die Rolle des Mittelschwerts und teils berufsfremde Personen mit materiel- Informationen vorhanden. Die Entwicklung der schiedlichen Arten von Schiffsantrieben in eine bei Zeesbooten, Bastelanleitungen für Schiffs- len Anreizen für die Kollektivierung gewonnen Fischereistandorte wird nicht berücksichtigt. Erzählung über die Ferienerlebnisse des Nickel modelle, einen Grundkurs in Seemannsknoten werden. In der zweiten Phase versuchte man Einzelne Fragestellungen bleiben offen, da die genannten 14-jährigen Jungen bei seinen Groß- als auch einen kurzen Überblick über die füh- bereits bestehende traditionelle Vereinigungen genutzten Quellen nur zu bestimmten Aspekten eltern an der Ostseeküste zu integrieren. Als renden Hersteller von Schiffsgroßdieselanlagen. für die Kollektivierung im Rahmen der Fische- aussagefähig sind und auf die Befragung von wenn dieses Unterfangen nicht schon schwierig Nickel wird sich angesichts dieses großelterli- reilichen Produktionsgenossenschaften (FPGs) Zeitzeugen verzichtet wurde. genug wäre, führt der Autor noch eine weitere chen Fortbildungsprogramms also kaum ge- zu gewinnen. Dies gelang nur durch materielle Dennoch ist der Wert der Studie für weitere Textsorte ein, indem Nickel auf dem Dachbo- langweilt haben. Außerhalb des Erzählstranges Zugeständnisse und die Duldung traditioneller Untersuchungen zur Geschichte der See- und den des großelterlichen Hauses eine Kiste mit gibt es am Ende des Buches Kurzbeschreibun- Arbeits- und Eigentumsformen. Mit dem Ab- Küstenfischerei sehr hoch. Die Autorin hat ei- der Aufschrift „Nickels Schatzkiste“ entdeckt. gen erwähnten Schiffe und Schiffstypen, zum schluss der zweiten Phase war etwa die Hälfte nen umfangreichen Akten- und Literaturbestand In dieser befinden sich dicke Briefkuverts und Teil mit Literaturhinweisen ergänzt. Dabei finden der Fischer an der Küste von Mecklenburg-Vor- ausgewertet, auf dessen Grundlage sie wichtige andere Gegenstände. In den Briefumschlägen sich einige kleine Schnitzer (TRACK statt LKW, pommern organisiert. Die FPGs wurden hoch Schlüsse zur Entwicklung der Fischerei in ver- finden sich vier historische Erzählungen bzw. Caterpiller statt Caterpillar). Anzumerken ist subventioniert und arbeiteten nur bedingt nach schiedenen politischen Systemen herausarbei- Geschichten, die sich um die Themen Schiffbau auch die für historische Erzählungen unpassen- den geforderten Prinzipien. Die angestrebte so- tet und belegt. Darüber hinaus gibt die Arbeit und Schiffsantrieb drehen. Diese vier Geschich- de Präsensform. zialistische Umgestaltung der See- und Küsten- einen umfassenden Überblick zu Verwaltungs- ten bilden sozusagen die Ankerpunkte auf Ni- Ob diese Art der Wissensvermittlung wirklich fischerei gelang nur teilweise. und Organisationsformen in der regionalen Fi- ckels Entdeckungsfahrt durch die Geschichte Kinder und Jugendliche anspricht, vermag Das vorletzte Kapitel fasst die Ergebnisse der scherei. Das Werk ist den mit Fischerei- und des Schiffbaus und des Schiffsantriebs, die der Rezensent nicht einzuschätzen. Sicher ist Studie in einer Schlussbetrachtung zusammen: Wirtschaftsgeschichte befassten Historikern, der Großvater – wie man zwischendurch erfährt aber, dass es sich bei Nickels Ferienbuch um Einem nur geringen Interesse an einer staatli- Volkskundlern, aber auch den in der Region tä- – für seinen jungen Feriengast zu Papier ge- eine überaus lesbare und lehrreiche Publikation chen Organisation und Verwaltung in der Wei- tigen Fischereibetrieben als Informationsquelle bracht hatte. In den Geschichten spielen wiede- handelt, die auch Erwachsene mit bedeuten- marer Republik stand während und nach dem zur Entwicklung und Organisation der Fischerei rum Jungen-Figuren die Hauptrolle. Rado, der dem Wissenszuwachs schmökern und vielleicht Zweiten Weltkriegein erhöhter Versorgungsbe- im vergangenen Jahrhundert ausdrücklich zu 10-jährige Sohn eines slawischen Händlers aus auch ihren Kindern oder Enkeln als gemeinsame darf gegenüber. Von Seiten des Staates bzw. der empfehlen. Ralswiek auf Rügen (um das Jahr 1000); Ferdi- Ferienlektüre schenken können. Besatzungsmacht wurde versucht, die Fischerei nand, Neffe eines Zeesenfischers aus Vorpom- neu zu organisieren und zu regulieren, was durch Thomas Förster mern (1880er Jahre); Hannes, gegenwärtiger Peter Danker-Carstensen

222 223 there were some special projects which had there were very few corporative options of ex- Englische Zusammenfassungen the aim to create a database on existing boats, erting influence. The importance of the income boat building sites and on boat building compe- from this large fishing region for the sovereign tence. The Internet database under the domain budget can be regarded as relatively large, at www.seasideboats.eu was filled in by registra- least in the first years after the state partition tors from the participating museums. Blekinge in 1532/41, and the significance that the fishing County Museum was and remains in charge of administration had within the sovereign state the web server. Furthermore the Maritime Muse- development can be regarded as very high. Ac- um Rostock provided a current documentation cording to historical accounts, the sovereign of existing wooden boats at the German coast income from fishing on Stettin Lagoon in high- of the Baltic Sea. The collected data and pho- yielding years in the first half of the 16th cen- tos of this field documentation were put into the tury made up half the budget of one of the two inventory database of the cooperating German part duchies. For the second half of the 16th Maritime ETHNOLOGICAL research culture along the Schleswig fjord coast since Oceanographic Museum in Stralsund to get a and the early 17th century, figures such as this 1945 (Glüsing, Rudolph, Keweloh, Rasmussen). broader basis for a comprehensive overview of are no longer recorded for the leasing income, on the German Baltic Sea A similar documentation in Mecklenburg-West the maritime heritage in this coastal region of at least not in the common accounts (Gemeine coast: large-scale studies Pomerania has been proceeding since 1997 the Baltic. Rechnungen); but at least at the time of the sec- (Steusloff), but here it is because of especially ond state partition in 1569, the sums still corre- Wolfgang Rudolph and Wolfgang Steusloff critical changes in the maritime culture across sponded to those from the levies charged by a broad strata of the coastal population that have The significance of fishing smaller or medium-sized sovereign. Compared Large maritime ethnological projects on the occurred since the . Addi- administration for the to the state taxes or the income that could be German Baltic Sea coast began in 1900 with tional work that should be mentioned includes achieved from the domains as duties, the col- a survey carried out by the German Society cultural-historical studies on the seafarer’s pop- development of the early lection of duties and the fishing levies paid by for Anthropology, Ethnology and Prehistory ular art on of the southern Baltic Sea coast be- modern state on the fishermen on Stettin Lagoon were relatively (Deutsche Gesellschaft für Anthropologie, Eth- fore World War I, investigations on the history of the southern Baltic Sea coast easy to organise from the aspect of the territo- nologie und Urgeschichte - Berlin) relating to the construction of boat motors, and research rial lordship. the state of popular watercraft of the time. This on the records of maritime cultural change on Thomas Haik Porada was followed by studies of boating lore and the the southern Baltic Sea coast during the 20th construction of wooden cargo sailing vessels century Rudolph. From the Middle Ages, the demands on large- On the continuous changes (Szymanski, Mitzka), as well as the art of tattoo- scale fishing, which achieved considerable im- in coastal fisheries ing in German harbour towns (Spamer) and sail- portance in the region at the mouth of the river or’s life in the time of sailing vessels (Wossidlo). SeaSide – An EU-project Oder in the form of trawling, led to the devel- Gerd Wegner In 1956, Steinitz, director of the Academic In- provides the documentation opment of special methods and equipment stitute for German Ethnology (Akademieinstitut for fishing, to the creation of innovative fishing The early mankind started fishing in sea waters für deutsche Volkskunde), instigated a study of of the maritime heritage at vessels (Zeesenkahn, Tuckerkahn) in the North in near shore areas. Up to nowadays, coastal fishing culture (Peesch), which was the southern coast and Baltic Sea regions in the early modern era fisheries have played an important role besides expanded to include a comprehensive inven- of the Baltic and also to particular professional forms of or- high sea fisheries which have their origins in tory of fishery equipment, boats, and conditions ganisations of fishermen who had moved to the coastal sites and developed into all the seas in the boatbuilder’s yards along the coast of Peter Danker-Carstensen economic areas as guilds and were no longer during the latest centuries Archaeological re- Mecklenburg and Western Pomerania (Peesch, predominantly in the towns. cords from extensive medieval coastal fisheries Rudolph). A second phase of the work was From 2008 until 2011 the Maritime Museum Within the of the German at the German Baltic Sea shores give informa- begun in 1973 that incorporated the maritime Rostock was partner in an EU funded project Nation we have records of rivers and lakes with tion about the gears and boats, the fishes caught lifestyle, the cultural situation in harbour towns, named “SeaSide - Developing Excellent Cultural intensive freshwater fishing and also extended – predominantly herring – and the processing of and investigations of the special relationships Destinations in the Southern Baltic Area“. The fish farming, but none of these even closely re- those for local food supply or merchant goods between the harbour town and seaman’s village, SeaSide project team included thirteen partners sembled Stettin Lagoon in terms of the struc- traded over large distances. Although enlarged and documented periods of maritime cultural from four countries of the South Balticregio – tures and functions. The annually changing ad- and produced of modern twines and ropes, the development on the southern Baltic Sea coast Sweden, Lithuania, Poland and Germany. This ministration and jurisdiction of a large fishing old gear types are still recognizable in the in- between the Little Belt and the Kurische “Haff” cooperation of municipalities, museums and region appears to be a special case among the strumentation used today. (lagoon) from around 1600 to 1900 (Rudolph). tourism associations combined efforts from state partitions in the territories of the Holy Ro- Decreased due to political reasons, German Since 1981, modern-day studies have been wid- various fields and know-how on an international man Empire of the German Nation. Baltic Sea coastal fisheries were nearly unim- ening the spectrum of research: documenting basis. Among the 13 SeaSide partners there It can be said that for the Stettin Lagoon and portant during the first half of the 19th century. life on the Rostock merchant vessels from 1950 were five maritime museums: The Polish Mari- its backwaters the fishing administration that Supported by the governments and the Ger- to 1990 and home décor in Mecklenburg-West time Museum, Gdansk; the Lithuanian Sea Mu- was developed in Pomerania in the course of man Fisheries Association (founded in 1870), Pomerania with particular emphasis on deco- seum, Klaipeda; the Blekinge County Museum, the partitions of the 16th century represented the coastal fisheries were strengthened with rative maritime souvenirs (Steusloff). In 1990- Karlskrona; the Swedish Naval Museum Karlsk- an important building block in the evolution of larger boats and suitable equipment. This led 91, the conspicuous absence of these kinds of rona and the Maritime Museum Rostock. These the early modern territorial state. Concentra- to first fisheries in deeper waters by means of studies in Schleswig-Holstein prompted work museums established a professional museum tion processes in the sovereign administration’s sailed cutters during the 1880s. The motoriza- on the documentation of changes in maritime network. Among the main tasks of the project aspirations can be clearly recognised here, as tion of the fleet was started in the 1900s. Inter-

224 225 rupted by the First World War, nearly all cutters tion is very important, but so is their continued lifetime of a dug-out canoe are data that will be thentic tools, in rope-making on the ropewalk, and a larger amount of the coastal fishery boats construction in shipyards and as museum pro- gained from the current replica. The exhibition and also in understanding the principle of the were motorized during the 1920s and 1930s or jects. The construction of wooden boats repre- of the dug-out canoe at the ‘Deutsches Meeres- pulley and its many fields of application. were replaced by motor vessels, respectively. In sents an important part of the regional cultural museum/NAUTINEUM’ provides a link to the 1937, the German fishing fleet in the Baltic Sea heritage of the coastal region. original Mesolithic dug-out canoes of Stralsund, was the second largest and landed one third of which could not be preserved. Historical fishing VESSELS the total landing of that year. in museums collections This study provides some remarks of the devel- Building and testing opment of German coastal fisheries in the Baltic a mesolithic dugout canoe Building a replica of at the German Baltic coast Sea from medieval times until the 1930s. a fishing boat type “Heuer” at replica - results of the Peter Danker-Carstensen collegiate project the Maritime Museum Rostock Traditional wooden boat “Tradition und Meer” Original boats and ships, mostly of regional origin, construction on the coast Peter Danker-Carstensen and can be found in the collections and exhibitions of Johannes Steinkühler and Alexej Dose Alexander Kiencke most maritime museums. This article describes of Mecklenburg-West Pomerania museums and museums-wharfs of the German The project “Tradition und Meer” 2011 was a Boats of the type “Heuer” were universal fishing Baltic coast and their boat collections. These col- Thomas Förster student project at the Institute of Pre- and Pro- vessels which original design had spread from lections and respective exhibitions of traditional toarchaeology of the the along the Baltic coast wooden boats are understandably very varied Based on archaeological evidence, the origins under the auspices of Prof. Dr. T. Terberger. The up to Mecklenburg, and can be found in vari- and usually of rather coincidental origin. Fewest of traditional wooden boat construction on the members of the group were mainly future histo- ous other versions along the entire Pomeranian museums have a distinct collection concept de- coast of Mecklenburg-West Pomerania can be rians and teachers. Building a dugout canoe ac- coastline. “Heuer” in their many variants were fined with regard to original water vehicles at their traced back to the Mesolithic period. Three cording to the findings of the Ertebølle-culture typical vehicles in the Szczecin Lagoon and at disposal. This is also due to the lack of space well-preserved dugouts discovered within the was the major goal of the project. The scientific the Peene-River in the 19th Century, built mainly needed for the appropriate presentation – even urban area of Stralsund have been dated at focus was to test the vessel in local inland wa- at small boatyards or at other boat builder work- when dealing with small ships. Many museums, 5100 to 4000 B.C. The boats provide evidence ters and the Baltic-sea (the Greifswalder Bod- shops in the lagoon area. Originally equipped especially the smaller ones, are unable to cope of how people sought technical solutions in the den and Strelasund). as a sailing vessel with a length up to about 6 with the necessary documentation, care and construction of water craft that they could use The experiments showed that the dugout canoe meters the boats became considerably larger, conservation of value for these objects due to to exploit the marine resources through hunt- is a slow yet high capacity mean of transport, reaching a length of 7 - 8 meters with the in- lack of personnel and subject related resources. ing and fishing. The water also provided trans- especially suitable for inland waters. Trips on troduction of engines. The number of strakes Again and again situations like this result in the portation routes. Based on the discovery of rel- the open sea require calm conditions. Tours at increased to 5 - 7 and more with the scarcity loss of objects of the “maritime cultural heritage” ics, continued development to a sail-powered wind speeds of up to six Beaufort were possible of the wide wooden planks. Depending on the even if these had been classified as preserved pirogue with rudder can be documented. Four close to the shoreline. Replicas of the Mesolithic purpose of the pot fishery, as a towing boat for in museum collections. The paper briefly intro- boats from the 10th century, found at the Slavic paddles from the Duvensee findings functioned fishing nets or rakes, the vehicles were built with duces the museums and collections in Flensburg, Market Place in Ralswiek, are very important. as well as contemporary ones. The use of fire on or without a sword. Schleswig, Kappeln, Rostock, Prerow, Neuendorf They exhibit the Nordic type of clinker construc- board was tested successfully. Transportation In 2008 / 2009 the new established boatyard of on the Island of Hiddensee, in Göhren on the Isle tion. In this method, the hull is first formed by of animals such as sheep and dogs is possible the Maritime Museum Rostock got several old of Rugia, as well as in Stralsund and Greifswald. planks that overlap on their long edges. The and astonishingly easy. wooden fishing boats from the western Pomera- completed hull is then supported by transverse Building this dugout canoe by Mesolithic means nian Baltic coast to start a small collection of battens. This basic construction principle was would have taken the efforts of several students traditional wooden boats. It was decided to use Development of the fishing and still in large-scale use quite recently for building and weeks to complete. Given our lack of ex- the oldest one, a more than 100 years old “Heu- work boat collection in the fishing vessels. perience with the unfamiliar materials and tech- er”, owned before by a fisherman on the island Relic finds from 1523 by Zingst and from 1535 niques we can make only a rough estimation of Usedom as a model for building a 1:1 scale German Oceanographic Museum by Mukran provide evidence of a later method concerning the building time. replica of this nearly 8 meters long boat. To called carvel construction, which began in the The produced dug-out canoe replica has some build this replica only with traditional handcraft Michael Mäuslein early 16th century. Originally, vessels of this construction errors. The bulkheads raise the lat- tools and by only one man with very little help type were also constructed by shaping the hull eral stability but are very difficult to form with from some colleagues took quite a long time, The many differences in fishing conditions in the first and then stabilizing with battens. But in the the adzes. The working effort needed for the but in autumn 2011 the boat was launched and area of the present-day state of Mecklenburg- 17th century the practice of building the frame raising of the bulkheads was not justified by baptized to the (into the water and got its) name West Pomerania is also reflected in the wide first followed by carvel planking became more the possible advantages gained. The shape of “Dwarskopp”, which means “awkward cuss”. variety of boats commonly employed, includ- prominent. This method has persisted even to the bow of our vessel had less of the typical Beside this very first boat building project at the ing types still being used for hand fishing in the the present, both in large seagoing ships and in ‘spoon-form’ of the Mesolithic findings. Raising museums boatyard, visitors and pupils can wit- bodden, lagoonal and coastal waters along this smaller boats. Differences in types of boat con- the bow a little would have been advantageous ness and try out traditional crafting techniques. stretch of the German Baltic Sea coast. struction are the result of their different uses, for sliding through the short waves of the Baltic Demonstration and hands-on parts alternate, With the decline in traditional fisheries in recent the areas in which they are used, and in regional Sea. Experiences gained in building this replica and thus, true to the motto ‘learning by doing’, years, more and more fishermen in the region influences and experiences in boat construc- can be the basis for further future projects. vividly impart techniques that are applied in the are abandoning the fishing trade. The wooden tion. Preserving boats in museums as legacies The material behaviour of the wood in fresh air, maritime working environment. The points of fo- work boats are being scrapped. Some continue of the art of traditional wooden boat construc- the storage underwater during winter, and the cus lie in woodworking by means of ancient, au- to be used by recreational and sport fishermen,

226 227 or as sport boats, while others are adapted as barge had a massive bottom plank, similar to were not able to preserve it. Thus a detailed re- role. Until the second part of the 1900th cen- playgrounds or decoration for inns or restau- a dugout, to which the stem, stern and side construction was carried out based on a picture tury only coastal fishing was conducted in these rants. With time, these valuable cultural lega- planks of the hull were connected. Propulsion of a Zeese boat from around 1870. The AHR-1 areas. The reason for this was mainly that there cies of traditional fishery and boat-building craft was achieved by a single oar that was operated was precisely measured and plans were drawn were no good harbours, no good ways of trans- are being irretrievably lost. with one hand. In order to counteract the insta- based on historical examples. The reconstruction portation to the markets and no tradition among There is an urgent need today to continue to bility caused by one-sided propulsion, the bot- was carried out in 1986-87 at the Dinse Shipyard the local fishermen. record and inventory the remaining traditional tom hull was asymmetrically shaped. The origi- in Stralsund. The result was a Zeese boat rep- When Swedish fishermen, in the late nineteenth wooden fishing and work boats. It is also nec- nal practice of only rowing was later augmented lica registered as STR-9, which, with its typical century, regularly were fishing in Pomeranian essary to underpin the various theoretical sci- by a small spritsail. The boat was subsequently stem, rounded stern, leeboard, and absence of waters, the local fishermen noticed their good entific studies and investigations, as far as it is outfitted with a centre board placed through a superstructure and motor, accurately reflects the catches of mostly salmon, but due to lack of still possible, with originals from a scientifically slot in the hull and with a rudder at the stern. construction of a boat used in 1870. appropriate boats and equipment they were un- curated collection. The Deutsche Meeresmuse- The boats were clumsy vessels with poor sailing Before the STR-9 was integrated into the exhib- able to do the same. um in Stralsund has recognized this need and characteristics, so after 1995 it became increas- its on Dänholm in 2001, graduates and students A few boats were bought from Sweden with procures historical objects specifically related ingly difficult to attract younger fishermen to the of the Engineering College of Seafaring (Inge- support from the Agricultural Ministry. In 1882 to the occupation of fishing and to the boat- use of the Rostock barge design. nieurhochschule für Seefahrt) in Warnemünde/ the first boat was purchased with governmen- building trade from the region of Mecklenburg Wustrow tested the sailing characteristics of the tal funds and handed over to four fishermen in and Western Pomerania for their collection. boat from 1988 to 1992. Without a motor, pro- Kolbergermünde. In the year 1886 were Swed- The opening of the satellite museum NAU- The craft and tradition pelled only the by the power of the wind, the ish boats reported from Kolberg (10), Rügenwal- TINEUM on the island of Dänholm in 1999 es- of Zeese net fishing crew experienced again the tried and true craft dermünde (4) and Stolpmünde (2). Exactly from tablished the necessary conditions for proper of sailing technology. were in Sweden the boats came is not known scientific storage and preservation of the boat Michael Mäuslein Although the old workboats and the techniques but the given description of the boat type corre- collection. In addition to a boat hall newly con- of sailing are being preserved, the art of using sponds with the type of a Blekingseka. This boat structed in 2001, the satellite museum offers a There is a special kind of fishing that was still these boats for trawl fishing seemed to be dis- carried originally a square sail. But the German 40-metre long covered area to store boats un- practised sporadically up until the 1980s in appearing into the past. But Zeese boat owners boats were fitted with; main gaff sail, mizzen der protected conditions. Mecklenburg-West Pomerania – fishing with today are striving to continue the tradition and spritsail, stay jib, jib and topsail. Later on boats The boat collection in the Deutsche Meeresmu- drift nets from work boats with sails. Because of practice of net fishing. In 2002 they founded the were also bought from Bornholm. Originating seum presently comprises 45 boats and cutters technological advances and the development of Society of ‘Zeesers’ (Verein der Zeesner e.v.) with from the Swedish and Danish boats a German of the traditional coastal fishery in Mecklenburg- new fishing methods, trawl-net fishing with sail- the aim of preserving the art of drift-net fishing Baltic sea fishing boat was developed in less West Pomerania. This is the most comprehen- boats had already begun to decline in popularity with a Zeese under sail and demonstrating it to than 20 years. But boats were still bought from sive collection of its kind on the German Baltic in the 1960s. This signalled the disappearance people who are interested in this craft today. The Sweden and Denmark. For instance a trawler Sea coast. of a centuries-old tradition in the region and a legal guidelines applied to trawl fishing under (LAU 1) built at Joggesö in Blekinge and pur- While the collection through the end of the loss of knowledge of this ancient skill. sail are laid out in the Fishing Regulations for the chased in 1933. The last Swedish boat (SAS 70) 1980s displayed exhibits designed to illustrate Some of these heavy work boats are still pre- Coastal Waters of Mecklenburg-West Pomera- was bought from Karlskrona in 1948. the rigorous work of the fishermen and their rug- served today. Some were rebuilt without the nia (Coastal Fishing Regulation – KüFVOM-V) ged history, in the early 1990s the focus shifted mast and sail, equipped with a motor and of 15 Aug. 2005 (Verordnung zur Ausübung der to preventing the destruction of traditional fish- wheelhouse, and used again for fishing as small Fischerei in den Küstengewässern Mecklen- The Blekingseka – a boattype ing vessels and preserving them as a cultural cutters. Because of their distinctive sailing char- burg-Vorpommerns (Küstenfischereiverordnung with different functions legacy. Today the museum is making an effort acteristics, others were rescued from decay by – KüFVOM-V)). Since that time, fishermen and to record, describe, measure and, when possi- sport sailors and restored with faithful attention Zeese boat owners have been demonstrating the from the south-eastern ble, to preserve as many of the fishing and work to detail. This led to the creation of an associa- traditional artisanship and hard work of Zeese coast of Sweden boats of the Baltic Sea coast of Mecklenburg- tion dedicated to Zeese boats in Germany (Klas- fishing every year for interested spectators. What West Pomerania as possible. senvereinigung der Zeesboote), unique because began as an effort to preserve the art of Zeese Karin Nilsson it is a sailing class for former workboats. Thanks fishing has evolved into a solid tradition. to the members of this association, many of the The name blekingseka is a collective term for The Rostock barge (Kahn) – former fishing boats have been preserved. They boats of similar design but with varying pur- a vessel with a long tradition have been converted by the sailors for use as Southern Swedish boat types pose, size and shape. Blekingsekan is clinker- recreational and family vessels, but they retain in Pomerania and on Rugia – built, usually undecked with broad transom Jochen von Fircks their characteristic form and typical brown sail. that ends above the water, short keel, deep A Zeese boat of the type commonly used in 1870 a contribution to the develop- stern and broad stems. It has 5 to 10 planks During the early modern period there was one can be viewed in the NAUTINEUM, on the prem- ment of fishing boats on each side and vary in length from about 4 to fisherman’s guild in Rostock and another in Fis- ises of the Deutsche Meeresmuseum on Dän- at the German Baltic coast 13 meters. The oldest known drawing is from cherbruch, just outside of the town. The same holm. It is a fully rigged Zeese boat, outfitted in the 1800’s century but the boats are certainly legal regulations were applied to fishermen detail just like a typical boat at the turn of the Wolfgang Rudolph older. It’s easy to sail as well as row, even with in both guilds. They all worked with the same century. The boat on exhibit is a reproduction of load. Different types of blekingsekor are still kinds of boats and nets. To inhibit the urge to the Zeese boat AHR-1, which belonged to a fish- Deep-sea fishing in Pomerania and Rugen has quite common in Blekinge and earlier it was the use larger boats, they were not allowed to em- erman named Dade from Althagen. The Meeres- got a relatively short history and for the devel- most common boat along the coast from east- ploy a deck hand. They had to work the nets museum received the original time-worn boat opment that led to sea fishing in a strict sense, ern Skåne through Blekinge and up along the while at the same time piloting the vessel. The AHR-1, but because of its poor condition they fishermen from Blekinge played an essential coast of Småland. The type was also found in

228 229 Bornholm and exported to German fishermen oaken hulls, constructed on a flat keel. The hulls was to build a replica of the kurėnas and to or- many (Sowjetische Militäradministration in on Rugia and at the West Pomeranian coast. are clinker-built, and the strakes, before being ganize educational voyages on the new kurėnas Deutschland – SMAD), with its headquarters in The largest type of blekingseka fraktekan is be- shaped, are wetted or steam-heated in chests. in the Curonian lagoon with international crews Berlin-Karlshorst, decided to have the 17-metre tween 35 - 45 feet. It was used for transportation The assembly begins with the attachment to the on board. Kurenas boats are flat-bottomed sail- cutter (type D) built from Romberg’s design as in the eastern archipelago of Karlskrona. These sternpost of the first plank, to which the remain- ing boats of the Curonian lagoon fishermen with the first cutter for war reparations to the Soviet boats were half-decked. During the 1930s most ing planks of the same strake are joined, until sprit rigging. These sailing boats were called this Union and later for fisheries science in the So- of them got raw oil engines. The second largest the stem is reached. To obtain a flat bottom, the way because fishing method employed: a three viet Occupation Zone (Sowjetischen Besatzung- blekingseka is the vrakeka. It is between 24 and planks are bent to the point where their outer, walled net called kornas was used. Drifting with szone – SBZ). The 17-metre cutter represented 30 feet. It is a sea-going fishing boat that has upper edge lies parallel to the top surface of the their sails, two kurėnas jointly dragged nets 100 – the core of the cutter construction programme been used mainly for drift net fishing after herring. keel. The strakes are then assembled clinker- 120 m long. Kurėnas were used for fishing up to for building a fishery fleet in East Germany. The That is called “vrakfishing”This boat was original- fashion. The planks are attached to one another the 6th decade of the 20th century. The replica of building of the new fishery fleet was expected ly fitted with an asymmetric square sail, but in the not with wooden pegs as in mediaeval times, but the kurėnas Süd 1 was built at the Lithuanian Sea to relieve the extremely stressed food supplies mid-1900th century it got a spritsail with jib stay. with copper nails or with galvanised nails bent Museum in 2000 - 2001. During the last ten years of both the victors and the vanquished. The re- over on the inside. For the convenient use of in its sailing history the Süd 1 did a lot of actions in cords, construction plans and building codes gripes on the stems, there is a modification of spreading the knowledge of Lithuania`s maritime for the type D cutter were provided by the engi- Kashubian Sea-going Boats the stem rabbets: this is a slat nailed to the inner heritage. Events of educational nature using the neering office of the Soviet Ministry for Fisher- surface of the stem or sternpost. One jaw of the kurėnas have been held in settlements at the Cu- ies (sowjetischen Ministeriums für Fischerei der Jerzy Litwin gripe rests on the edge of this slat, while the oth- ronian lagoon for local people and tourists, sailing UdSS - MRP), established on May 1, 1946 and er one holds the plank end in the stem rabbet. trips to the lagoon are a live lessons of history, led by Geheimrat Professor Friedrich Romb- Fishery on the Baltic between the mouths of the While the planks of the upper strakes are be- a contact with the traditions of the fishermen of erg with financial assistance from the SMAD Oder (Odra) and (Wisła) is an occupa- ing joined, their elastic distortion is prevented by the region. Replicas of traditional sailing boats in- in East Berlin. The cutters were built by hand tion pursued by quite a large number of people. transverse battens or timbers. These are boards tended for ethno-tourism are being built in differ- from wood, and were characterized by a meas- It takes two forms: some fishermen make their with rectangular notches in one of the longer ent places at the shores of the Curonian lagoon. ure of improvisation. A 17-metre cutter required catches from port-based vessels, others fish planks placed on the top surface of the planks around 43 cubic metres of oak lumber, twelve from smacks that sail out to sea from beaches. in the middle of the hull. The joints between the bank metres of oak logs, twelve cubic metres Both types of craft have been modernised, but planks are caulked. The hull is then impregnated Standard line of fishery of softwood and one cubic metre of beech only the boats of the fishing in the with wood tar or varnish. The transverse rein- cutters for the Baltic Sea wood, dried and seasoned. This was at a time Gulf of Gdańsk have retained structural elements forcements – the floor timbers and their knees – when even firewood was very scarce. No cutter similar to those used in this region back in the are fitted after the planking has been assembled. Siegfried Möhrmann and Michael Mäuslein was exactly like another. The sizes varied with 10th-12th centuries, regarded as typical of Slavic Kashubian boats had a rig consisting of a square lengths of around 17.0, 17.3, and over 17.6 me- boatbuilding. The Polish Maritime Museum in spritsail and a triangular foresail. The sprit- By the end of the Second World War, after a long tres up to 17.8 metres; the widths ranged from Gdańsk has in its collections the wrecks of boats sail was fixed to the mast by a rope entwined period of development, popular fishing vessels around 5.0 to 5.6 metres. Based on these differ- built a very long time ago as well as newer ones around it in zig-zag fashion to make it easier to of the Baltic Sea had evolved into the large cut- ences and the superstructures on the cutters, from the 20th century. These historical objects haul down and detach from the mast. The mast ters for coastal and high seas fisheries. They which also changed over the years and varied testify to the continuity of local traditions. was placed in a mast-step, lying parallel to the became the modern products of a ship-building as a result of maintenance carried out to retain Ever since the early Middle Ages Kashubian keel on two floor-timbers. industry that continued to develop even larger their classification status as well as general boats have been clinker-built, with a flat bottom, Other types of boats used in the past century by and more modern vessels in the post-war years. repairs, the signatures of the small shipyards which facilitates sailing in shallow waters and Kashubian fishermen – the pomeranka and drift- In 1938, Professor Friedrich Romberg, of the could be recognized. the hauling of boats up on to the beach. Retain- er – though resembling boats from neighbouring Department for Motor and Fishing Vessels in A total of 17 shipyards participated in the ing the correct proportions of the hull is crucial regions in shape, were built by the Kashubians the Reich Office of Fisheries in Berlin (Referat 17-metre cutter program in Mecklenburg-West if the short, high waves that are so dangerous in using the technique described above. The Pol- für Motoren- und Fangfahrzeuge in der Reich- Pomerania. The once-great tradition of hand- the Baltic coastal zone are to be safely negoti- ish Maritime Museum was able to secure the sanstalt für Fischerei Berlin – RfF), together made wooden boats along the coast was thus ated: these waters have to be sailed through in last pomeranka, in operation until 1973, but was with Germanische Lloyd (GL) and the Bremen revived on a large scale. order to reach the open sea. unable to purchase a drifter. construction company Maierform GmbH, be- The fishing cutter SAS 95 ADOLF REICHWEIN In the late 19th century, different types of fishing gan to work on promoting the standardization was among the first of the new East German craft began to appear in Kashubian waters, for and classification of the cutter fleet. Seven cut- models that were built at local shipyards after the example, Scandinavian drifters, and large sail- The return of the Kurėnas - ter classes were developed (A – G) that were Second World War, from the late 1940s to early ing vessels craft from western Pomerania. These Sailing boats of the fishermen considered to be of interest to fishermen on the 1950s. It thus documents a significant period in fresh designs and the new gear used on them North and Baltic Seas. Four size classes were the German post-war fisheries history and in the encouraged the Kashubians to purchase them; of the Curonian Lagoon agreed upon for the Baltic Sea and three for the history of fishing-boat construction in eastern later, by the end of that century, they would (the past and the present) North Sea. Germany. Addressing the goal of integrating a be building their own versions of them. By no These seven cutter designs with the class des- 17-metre cutter into its exhibition on the history means, however, had they given up building their Romaldas Adomavičius and Romualdas ignations A (12-metre cutter) through G (24-me- of fisheries, preferably in its original condition, the smaller, traditional boats, which in the 20th cen- Adomavičius tre cutter) were tested in an extensive series Meeresmuseum added the ADOLF REICHWEIN tury, were driven by petrol engines rather than of experiments and systematic towing tests. to its collection in 1970. The fishing cutter SAS sails; oars were used only occasionally. Hulls In 2000 the Lithuanian Sea Museum in Klaipeda The best results were initially achieved by the 95 is preserved today in the Deutsche Meeres- of this type are still being produced by fisher- started implementing an ethno cultural project type D (17-metre cutter) and type G boats. In museum as a symbol and in remembrance of an men and folk boat-builders. These boats have entitled The Return of the Kurėnas. The intention 1945 the Soviet Military Administration in Ger- era of German fishing history.

230 231 Changes in on-board Building models of traditional technology and boat southern Baltic coast boats Autorinnen und Autoren dieses Bandes construction in Mecklenburg- Helmut Olszak West-Pomeranian coastal fisheries since 1990 The writer from Berlin, now living in Wolgast, has been building models of typical small boats Wolfgang Steusloff of the southern Baltic Sea area for over 15 years. Helmut Olszak began his “boat-building” Conclusions are presented from a documenta- career with models of fishing and work boats tion of the changes in fisheries and boat con- from East and West and from the Po- struction along the coast of Mecklenburg-West meranian coast from descriptions in the litera- Pomerania since the German reunification in ture. Through his extensive resource and liter- 1990, a year that brought an abrupt end to five ature studies, Olszak discovered the basis for Romaldas Adomavičius, Lithuanian Sea Museum, Navigation History Department, decades of extensive government ownership a further occupation, which went far beyond Smiltynės g. 3, 931 00 Klaipeda, LITAUEN; and dirigiste economic control. The unlimited the building of models. He documents exist- and unrestricted incorporation of technical and ing boats and wrecks on the Baltic Sea coast Romualdas Adomavičius jun., Lithuanian Sea Museum, Navigation History Department, electronic innovations very rapidly showed an through measurements and reconstructive Smiltynės g. 3, 931 00 Klaipeda, LITAUEN; influence in the coastal fisheries. The first Dan- drawings. Over time, this work has produced a ish small vessels made of fibreglass (glass rein- collection of boat models that are all accompa- Dr. Harald Benke, Deutsches Meeresmuseum, Katharinenberg 14-20, 18439 Stralsund; forced plastic – GRP), built in Sakskøbing/Lol- nied by complete historical documentation. In land and Faaborg/Fünen, came out in 1991 for recent years the collection of models has been Dr. Peter Danker-Carstensen, Schiffbau- & Schifffahrtsmuseum Rostock, IGA Rostock 2003 use in gillnet fishing. The boats on the Pomera- exhibited in several maritime museums on the GmbH, Schmarl-Dorf 40, 18106 Rostock; nian lagoons coasts have hardly changed, with German Baltic Sea coast. The models enjoyed a net boats made of wood or iron, Reuse boats temporary home from the end of 2009 through Alexej Dose, Neetzow; and Heuers still in use. By contrast, along the January 2012 in the old City Hall of Wolgast, outer coast without harbours, small GRP boats after which they were moved to the Deutsche Dr. Jochen von Fircks, Rostock; with outboard motors are steadily replacing the Meeresmuseum as a permanent exhibit. traditional wooden Strand boats. Dr. Thomas Förster, Deutsches Meeresmuseum, Katharinenberg 14-20, 18439 Stralsund; Funded conversions and modernization of the fisheries were linked to a need to reduce the East Alexander Kiencke, Rostock; German fishing fleet, with reduction encouraged by the payment of premiums. But in addition to Dr. Jerzy Litwin, The Polish Maritime Museum, ul. Olowianka 9-13, 80 751 Gdansk, POLEN; the premiums, numerous problems and increas- ing pressures had decimated two-thirds of the Michael Mäuslein, Deutsches Meeresmuseum, Katharinenberg 14-20, 18439 Stralsund; major fishery operations since 1991. Significant changes can also be documented Siegfried Möhrmann, Loffenau; in the wooden-boat shipyards: Since 1990 the majority of activities have focused on repair Karin Nilsson, Blekinge Museum, Borgmästaregatan 21, 371 35 Karlskrona, SCHWEDEN; work such as plank and frame replacement on fishing boats and traditional sailboats, conver- Helmut Olszak, Wolgast; sion of former fishing boats to recreation boats, and restoration of classic and antique boats. In Dr. Haik Thomas Porada, M.A., Leibniz-Institut für Länderkunde e.V., Schongauerstraße 9, addition, they now offer a wider range of boat 04329 Leipzig; and motor services, modernized and expanded berths, as well as winter storage and modern Dr. Götz-Bodo Reinicke, Deutsches Meeresmuseum, Katharinenberg 14-20, 18439 Stralsund; transport technology. In contrast, a very differ- ent kind of development has been observed at Dr. Wolfgang Rudolph, Berlin; the boat yards in Lauterbach and Greifswald, where GRP yachts are produced in series and Johannes Steinkühler, Greifswald; in quantity in response to the great demand for these recreational vessels. Dr. Wolfgang Steusloff, Universität Rostock, Institut für Volkskunde (Wossidlo-Archiv), Am Reifergraben 4, 18055 Rostock;

Dr. Gerd Wegner, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Institut für Seefischerei, Palmaille 9, 22767 Hamburg.

232 233 Fotonachweise Grünberg, U. (2): Seiten 112 unten, 122. Hagenbach, W. (1): Seite 15 Mitte. Hagenkötter, A. M. (1): Seite 78. Hannig, M. (2): Seite 172 rechts Mitte, links, unten. Hinkeldey, B. (1): Seite 207 rechts oben. Hormann, F./Greenpeace e. V. (1): Seite 204 oben. Kiencke, A. (3): Seiten 79, 80. Kunz, U. (1): Seite 206 oben. Archiv Blekinge Museum, Karlskrona (3): Seiten 134 unten, 136 unten, 137. Löber, A. (1): Foto Rückumschlag. Archiv Deutsches Meeresmuseum (48): Seiten 58, 66, 74, 89 links unten, 91 oben, 93-95, 96 links, 98, 99, 100 oben, 112 oben, 113 oben, 116, 118, 166, 168, 169 oben, 176, 178, 179 Mažūnas, A. (1): Seite 162. unten, 181, 183, 201 unten, 202, 204 unten, 205 oben, 207 links oben, rechts unten, 208, Mäuslein, M. (7): Seiten 111, 119-121, 207 links Mitte. 209 unten, 210, 212 oben, 214 rechts, 215, 216. Möller, G. (1): Seite 56. Archiv Förderverein Deutsches Meeresmuseum e. V. (1): Seite 218. Müllerchen, T. (1): Seite 97. Archiv Hornwerft (1): Seite 173. Olszak, H. (12): Seiten 193-196. Archiv Litauisches Meeresmuseum, Klaipeda (1): Seite 157. Parchow, G. (1): Seite 3. Archiv Siegfried Möhrmann (1): Seite 172 oben. Piechulek, R. (1): Seite 82. Archiv OZEANEUM (3): Seiten 200 unten, 203 unten, 206 unten. Pilz-fotodesign, Berlin (1): Seite 158. Archiv Polnisches Schifffahrtsmuseum, Gdansk (17): Seiten 138, 139, 142, 144-156. Projekt „Tradition und Meer“ (9): Seiten 68-73. Archiv Schiffbau- und Schifffahrtsmuseum, Rostock (1): Seite 85. Reinicke, G.-B. (3): Seiten 209 oben, 211, 213 unten. Archiv Schifffahrtsmuseum Flensburg (1): Seite 16. Rödel, C. (6): Seiten 199, 200 oben, 201 oben, 203 oben, 209 Mitte, 212 Mitte. Archiv Jochen von Fircks (1): Seite 105 oben. Rudolph, W. (10): Seiten 13, 14 unten, 15 oben, 60, 127-129. Berglund, E. (2): Seiten 131 rechts, 135 Mitte. Rudolph, H. (1): Seite 14 oben. Carlsson, L. (1): Seite 130. Sammlung Klaus Mähl (2): Seiten 169 unten, 170. Dame, G. (1): Seite 174. Sammlung Nils Rammin (1): Seite 117. Danielsson, P. (1): Seite 135 oben. Schlorke, J.-M. (5): Seiten 96 rechts, 100 unten, 101, 205 unten, 212 unten. Danker-Carstensen, P. (20): Seiten 21, 22, 81, 83, 86, 87, 89 links oben, rechts, 90, 108, 109, 159-161, 163. Schoerner, Å, (2): Seiten 135 unten, 136 oben. Dunski, H. (4): Seiten 179 oben, 180, 182. Schöne, M. (4): Seiten 23, 91 rechts, 92. Ehmke, R. (2): Seiten 165, 167. Schulze-Jasmer, T. (1): Seite 59. Engelbrecht, I. (1): Seite 207 unten. Steusloff, W. (12): Seiten 15 unten, 17, 185-191. Engelke, L. (2): Seite 172 links oben, rechts unten. Ström, S. (2): Seiten 132, 134 oben. Eschenburg, K. (3): Seiten 12, 104, 106 unten. Subklew, J. (1): Seite 214 links. Eschenburg, W. (1): Seite 175. Thorin, J. E. (1): Seite 133 oben. Ethnografisches Archiv der Universität Lund (1): Seite 131 links. Wegner, G. (3): Seiten 46, 53. Falk, A. (1): Seite 133 unten. Wermke, O. (1): Seite 213 oben. Fircks, J. v. (3): Seiten 105 unten, 106 oben, 107 unten. Wurst, W. (1): Titelbild. Förster, T. (5): Seiten 61, 62, 63 oben, 64, 219. www.Braune-Segel.de (1): Seite 113 unten.

234 235 In dieser Schriftenreihe sind von 1980 bis 2012 die Bände 1 bis 24 erschienen. Die Bände 1 bis 4 und 6 sind vergriffen, die anderen Bände können im DMM bezogen werden. Ausführliche Informationen zu den einzelnen Bänden und ein Bestellformular finden Sie im Internet unter www.meeresmuseum.de.

MEER UND MUSEUM Schriftenreihe des Deutschen Meeresmuseum, Band 24, 2012

Herausgeber Dr. Harald Benke

Redaktion und Gestaltung Dr. Götz-Bodo Reinicke Dr. Peter Danker-Carstensen Dr. Thomas Förster Michael Mäuslein Thomas Korth Sylvia Burwitz

Layout, Druck und Weiterverarbeitung Ostsee Druck Rostock, ODR GmbH Koppelweg 2, 18107 Rostock

Bezug Deutsches Meeresmuseum Museum für Meereskunde und Fischerei · Aquarium Katharinenberg 14-20, 18439 Stralsund

OZEANEUM Stralsund GmbH Hafenstraße 11 18439 Stralsund

ISSN 0863-1131

Die Stiftung Deutsches Meeresmuseum wird gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vom Land Mecklenburg-Vorpommern und von der Hansestadt Stralsund.

236 237 FALZ

70

SCHWEDEN LETTLAND

DÄNEMARK 72 71 74 73 75

LITAUEN

76 69

78 68 12 77 Kurisches Haff 67 82 79 80 Memel / Nemunas 14 13 81 54 52 53 55 56 57 19 65 Saaler Bodden 51 59 58 66 RUSSLAND 4 18 5 8 20 60 3 10 6 Frisches Haff 11 9 50 61 Foto Titelseite: 9 11 22 23 64 8 16 21 63 Fischer einer Reusenbrigade beim Abfischen ihrer Heringsreuse vor Hiddensee. Ab 1883 15 62 2 7 24 48 setzten die Fischer Neuendorfs an den ausgewiesenen Heringsgarnplätzen feste Kam- 4 6 14 17 25 10 12 13 28 Achterwasser merreusen. Da dies eine andere Arbeitsweise erforderte, schlossen sie sich freiwillig zu 5 49 26 zwei Partien mit gemeinschaftlich genutzten Booten zusammen (Quelle: Archiv Heimat- 2 7 27 29 47 1 46 museum Hiddensee). 30 38 1 31 Peene 39 3 34 33 32 40 Stettiner Haff POLEN Foto Rückseite: Warnow 35 Gelebte Tradition – hölzerne Fischerei- und Arbeitsboote bei der 14. Kleinen Fischländer Peenestrom 36 41 Odermündung Wettfahrt 2012 in Wustrow, Fischland. Etwa 30 mühevoll restaurierte Strandboote, Heuer 43 44 Weichsel / Wisła und Polte gehen jährlich im August auf einen Regattakurs im Barther Bodden. Um eine 42 gute Platzierung wird hart gekämpft. Viele interessierte Zuschauer, Einheimische und Fe- DEUTSCHLAND ORTSCHAFTEN Elbe 37 45 riengäste verfolgten von Land aus eine Szenerie wie aus längst vergangenen Tagen. Das WRACKFUNDE

Wichtigste dabei ist: Die hölzernen Boote bleiben in Fahrt und werden erhalten. Oder / Odra

Grafik Einschlagseite hinten: Aufgelegtes Zeesenboot auf der Bootswerft im Hafen von Lauterbach (Rügen) um 1940; DEUTSCHLAND 16 Barth 32 Kamminke 46 Misdroy / Międzyzdroje 61 Zoppot / SCHWEDEN DEUTSCHLAND SCHWEDEN Lithografie von Joachim Daerr. Daerr (geboren 1909 bei Magdeburg, gestorben in 1986 in 1 Dassow 17 Dänholm 33 Ueckermünde 47 Dievenow / Dziwnów 62 Neukrug / Piaski 71 Karlskrona 1 „Reric“ – Groß Strömkendorf 12 „Prahmwracks“ / Witten/Ruhr) lebte als Grafiker und Kunsterzieher auf der Insel Rügen. Er fand seine Moti- 2 Timmendorf/Poel 18 Wiek/Rügen 34 Anklam 48 Kolberg / Kołobrzeg 63 Danzig / Gdansk 72 Ronneby 2 „Wrack Yachthafen“ / Falsterbo ve häufig in den kleinen Inselhäfen und stellte die Boote und Arbeitswelt der Fischer dar. 3 Wismar 19 Vitt/Rügen 35 Mönkebude 49 Köslin / Koszalin 64 Bodenwinkel / Kąty Rybackie 73 Saxemara Rostock – Hohe Düne 4 Kühlungsborn 20 Sassnitz 36 Altwarp 50 Rügenwaldermünde / 74 Karlshamn 3 Darßer Weststrand DÄNEMARK 21 Lauterbach/Rügen 37 Darłowko RUSSLAND 75 Hanö (Insel) 4 „Wrack 1333“ / Prerow 13 Hjortspring Mose Umschlagseiten hinten: 5 Rostock 6 Warnemünde 22 Seedorf 51 Stolpmünde / Ustka 65 Pillau / Baltijsk 76 Simrishamn 5 „Darsser Kogge“ / Prerow 14 Nydam Mose Karte des südlichen Ostseegebietes mit den in diesem Band genannten Ortschaften – 7 Kessin/Warnow 23 Göhren/Rügen POLEN 52 Leba / Łeba 66 Königsberg / Kaliningrad 77 Ystad 6 „Wrack von 1523“ / Zingst Häfen, Fischereistandorte und Bootswerften – in Deutschland, Polen, Russland, Litauen, 8 Dierhagen 24 Gager/Rügen 38 Swinemünde / Świnoujście 53 Wierschutzin / Wierzchucino 78 Trelleborg 7 Stralsund Lettland, Schweden und Dänemark sowie historischen Siedlungsplätzen und Orten wich- 9 Wustrow 25 39 Wollin / Wolin 54 Rixhöft / Rozewie LITAUEN 8 Ralswiek 67 Nidden / Nida tiger Wrackfunde zum Beitrag von Förster (S. 56 ff.). 10 Prerow 26 Greifswald-Wieck 40 Neuwarp / 55 Chlapau / Chłapowo DÄNEMARK 9 „Mukranwrack“ / Mukran 11 Zingst 27 Wolgast 41 Ziegenort / Trzebież 56 Großendorf / Władysławowo 68 Schwarzort / Juodkrante 79 Svaneke / Bornholm 10 „Schiffssperre“ / 12 Ribnitz 28 Freest 42 Stettin / Szczecin 57 Kussfeld /Kuźnica 69 Memel / Klaipeda 80 Rönne / Bornholm Greifswalder Bodden 13 Damgarten 29 Lassan 43 Pöllitz / Police 58 Hela / Hel 81 Saksköbing / Lolland 11 „Schiffssperre“ / Barhöft 14 Althagen 30 Rankwitz 44 Gollnow / Goleniów 59 Putzig / Puck LETTLAND 82 Faaborg / Fyn 15 Bodstedt 31 Zecherin 45 / Stargard 60 Gdynia / Gdingen 70 Ventspils

FALZ