Kant on Intuition and Experience
Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München
vorgelegt von Xing Nan Aus Hubei, China 2017 Erstgutachter: Prof. Dr. Axel Hutter Zweitgutachter: Prof. Dr. Thomas Zwenger Datum der mündlichen Prüfung: 13.07.2017 To my Father
Zusammenfassung
Anschauung ist einer der bedeutendsten, aber zugleich verwirrendsten Begriffe in Kants Transzendentalphilosophie. In dieser Abhandlung versuche ich die genaue Bedeutung dieses Begriffs zu erklären, indem ich seine systematische Rolle in Kants Theorie bzw. Metaphysik der Erfahrung untersucht. Der kantischen Unterscheidung zwischen Anschauung und Begriff liegt seine Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Verstand zu Grunde, die m.E. dadurch erklärt werden soll, dass man sie mit derselben Unterscheidung bei zwei wichtigsten Vorgängern, nämlich Aristoteles und Leibniz, vergleicht. Sofern Kant Anschauung und Begriff deutlich entgegensetzt, scheint ihre Unterscheidung in naher Beziehung zu der aristotelischen zu stehen. Aber die aristotelische Unterscheidung führt zu vielen schwierigen Problemen, insbesondere dem Problem der Möglichkeit der rationalen Erkenntnisse von sinnlichen Gegenständen, welche Probleme im Rahmen einer strengen Entgegensetzung der Sinnlichkeit zum Verstand nicht zu lösen sind. Dagegen wird die Leibniz’sche Unterscheidung zwischen sinnlichen und intellektuellen Erkenntnissen häufig von Kant kritisiert. Es wird aber gezeigt, dass die meisten Kritiken Kants auf Missverständnisse basiert sind, und dass der Hauptzweck seiner Theorie bzw. Metaphysik der Erfahrung erst dann verständlich wird, wenn man die Leibniz’sche Unterscheidung und Humes Herausforderung an sie genauer betrachtet. Auf den historischen Teil folgt eine kritische Prüfung von Kants Lehre der Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen in Prolegomena sowie ihrer Verwandlung in der B-Deduktion. Es wird gezeigt, dass es trotz vieler wichtigen Einsichten dem gesamten Argument Kants nicht gelingt, eine zufriedene Erklärung für die Natur der bloß subjektiv gültigen und der objektiv gültigen Vorstellungen zu geben und Humes Herausforderung zu beantworten. Meine Kritik bezieht sich hauptsächlich auf zwei Punkte: erstens ist der Zusammenhang zwischen den logischen Formen der Urteilen und den Kategorien besonders fragwürdig, zweitens werden in Kants Argument unterschiedliche Ebenen des Ichs bzw. des Selbst involviert, die Kant nicht immer deutlich unterscheidet. Deshalb kann er die Existenz eines durchgängig identischen Ichs nicht einfach behaupten. Nach der Kritik an Kants eigenen Argument versuche ich, ein neues, sich aus der Rekonstruktion anhand einiger zentralen Einsichten von Kant ergebendes Argument zu präsentieren, das von allen von mir genannten Problemen frei ist und eine Antwort auf Humes Herausforderung anbieten kann. Zum Schluss schlage ich vor, dass Kants Begriff der Anschauung nach dem Leibniz’schen verworrenen Begriff verstanden werden soll. Contents
Note on Sources and Abbreviations
1 Introduction
3 Chapter 1 Sense, Intellect, and Imagination in the Aristotelian Tradition
23 Chapter 2 The Genesis of Kant’s New Doctrine of Sensibility
42 Chapter 3 Leibniz, Hume, and the Problem of Experience
65 Chapter 4 What is Kant’s Metaphysics of Experience?
87 Chapter 5 Judgments of Perception and Judgments of Experience
112 Chapter 6 Objectivity and the Categories
142 Conclusion What is Intuition?
173 Bibliography
177 Acknowledgments
183
Note on Sources and Abbreviations
References to Kant:
References to the Critique of Pure Reason are to the pagination of the first (A) and/or the second (B) editions of it. Other references to Kant are to the volume and page of the Akademieausgabe (AA), i.e., Kant’s gesammelte Schriften, edited by the Preussische (later Deutsche) Akademie der Wissenschaften (Berlin: Walter de Gruyter, 1900-), with the abbreviations suggested by Kant-Studien. All translations of Kant’s works are from The Cambridge Edition of the Works of Immanuel Kant (Cambridge: Cambridge University Press, 1992-), with occasional revisions. Kant’s original emphases are marked in bold, and the emphases added by me are in italics. A complete list of Kant’s works quoted or referred to in the present study is the following:
A/B Kritik der reinen Vernunft Anth Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (AA 07) Br Briefe (AA 10-13) DfS Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren erwiesen (AA 02) FM Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolff's Zeiten in Deutschland gemacht hat? (AA 20) GUGR Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume (AA 02) KpV Kritik der praktischen Vernunft (AA 05) KU Kritik der Urteilskraft (AA 05) Log Logik (AA 09) MAN Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (AA 04) MSI De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (AA 02) Prol Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik (AA 04) R Reflexion (AA 14-19) UD Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral (AA 02)