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Einsicht 17 Bulletin des Fritz Bauer Instituts

, Helfer, Widerständler, Nutznießer: Abweichendes Verhalten im Fritz Bauer Institut Nationalsozialismus und seine Deutungen Geschichte und MMitit BeiträgenBeiträgen vonvon SSusannausanna SSchrafstetter,chrafstetter, Wirkung des Holocaust AAhlrichhlrich MMeyer,eyer, MMartinartin SSanderander uundnd JJacobacob SS.. EEderder Mit Booklet Editorial empf VK: € 19,90 empf VK: € 24,90 empf empf VK: € 24,90 empf empf VK: € 39,90 empf 2 DVD, s/w, 298 Min. s/w, 2 DVD, 6 DVD, Farbe, 985 Min. Farbe, 6 DVD, 2 DVD, Farbe, 270 Min. Farbe, 2 DVD, ergänzende PDF-Materialien ergänzende Mit Booklet und PDF-Materialien Mit Booklet und PDF-Materialien 2 DVD, Farbe + s/w, 45 + 180 Min. + s/w, Farbe 2 DVD,

Kinder in die Schweiz organisiert, um sie vor der Ermordung zu retten. Sie wurde brutal ermordet. Die Ermittlungen wurden von deutscher DER PROZESS SHOAH UND DIE FOLGEFILME FRITZ BAUER AUSCHWITZ VOR GERICHT (2013) Seite teils sehr schleppend betrieben, bis heute sind die Täter nicht ge- (EBERHARD FECHNER) Das Meisterwerk und seine vier Fortschreibungen Gespräche, Interviews und Reden aus den STRAFSACHE 4 KS 2/63 (1993) Das Majdanek-Verfahrens in Düsseldorf 1975–1981 Die Fortschreibungen: EIN LEBENDER GEHT VORBEI / Fernseharchiven 1961–1968 Teil 1: Die Ermittlung, Teil 2: Der Prozess, Teil 3: fasst. Diese Geschichte beschäftigt sich also mit der Wiederherstellung Teil 1: Anklage, Teil 2: Beweisaufnahme, Teil 3: Urteile SOBIBOR, 14. OKTOBER 1943, 16 UHR / DER KARSKI- Erstveröffentlichung historischer Fernsehaufnahmen. Das Urteil. Zwei Dokumentationen von Rolf Bickel von Rechtsgrundsätzen mit Blick auf diejenigen, die Juden halfen. BERICHT / DER LETZTE DER UNGERECHTEN Redaktion: Bettina Schulte Strathaus und Dietrich Wagner Martin Sander widmet sich in seinem Text der Diskussion, die in Polen über die Frage des angemessenen Gedenkens an die Taten der Retter geführt wird. Dabei zeichnet er sowohl die Geschichte des polnischen Rettungswiderstandes als auch die lange erinnerungskul- Mit Booklet Mit Booklet turelle Debatte nach, die über das Gedenken an die Retter seit 1945 empf VK: € 9,90 empf empf VK: € 14,90 empf empf VK: € 14,90 empf VK: € 14,90 empf DVD, Farbe + s/w Farbe DVD,

DVD, Farbe, 93 Min. Farbe, DVD, Liebe Leserinnen und Leser, geführt wird. Auf der einen Seite stehen die Bemühungen historiogra- phischer Forschung, die nicht nur auf die besondere Unterdrückung DVD, Farbe + s/w, 30 Min. + s/w, Farbe DVD, 75 Min. + s/w, Farbe DVD, in diesem Heft der Einsicht liegt der der Polen durch die deutschen, sondern auch auf die verhängnisvolle Schwerpunkt auf dem Thema »Helfer, Rolle, die antisemitische Traditionen und Überzeugungen gespielt Widerständler, Nutznießer«. Manche haben und die Polen mancherorts zu Mittätern am Holocaust werden werden mit diesem Thema die Erwar- ließen, hingewiesen hat. Auf der anderen Seite steht das Bedürfnis tung verbinden, dass den unendlich nach nationalistischer Mythenbildung, das in der Gegenwart zuse- NACHT UND NEBEL HELMUT QUALTINGER LIEST HAFEN DER HOFFNUNG SHOAH DURCH ERSCHIESSEN vielen »negativen« Erfahrungen und hends stärker wird und teilweise sogar zu einer Instrumentalisierung Ein Film von Alain Resnais »« Schweden und die Opfer der Shoah IN DER UKRAINE Einsichten, die die Erforschung der Ge- der Retter und der von ihnen geretteten Verfolgten führt. Das Meisterwerk erstmals in Deutschland auf DVD. Die einzig plausible Antwort auf die Gemeinfreiheit von Die legendäre Rettungsaktion der Weissen Busse. Der oftmals übersehene Beginn des Holocaust schichte des Holocaust mit sich bringt, Kerstin Steitz analysiert in ihrem literaturwissenschaftlichen »Mein Kampf«. Qualtingers Lesung offenbart den Text Ein Film von Romain Icard Musik: Hanns Eisler. Deutscher Text: Paul Celan. Ein Film von Magnus Gertten. nun etwas »Positives« entgegengesetzt Aufsatz die sprachlich enge Bindung des Plädoyers Fritz Bauers Mit einem begleitenden Essay von Volker Schlöndorff. in seiner ganzen Absurdität und unfreiwilligen Komik. werde, Beispiele guten Handelns aus im Remer-Prozess 1952 an Friedrich Schillers Wilhelm Tell, womit einer schrecklichen Zeit. Uns geht es Bauer der Widerstandshandlung gegen Despoten rhetorisch den Bei- jedoch nicht um eine solche Form von stand der Weimarer Klassik zuordnete.

Mit Booklet Ausgewogenheit, sondern um eine differenzierte historische Betrach- Wir freuen uns, zum Sommersemester Prof. Devin O. Pendas, empf VK: € 24,90 empf empf VK: € 24,90 empf empf VK: € 14,90 empf empf VK: € 14,90 empf tung. So fassen wir unter diesem Schwerpunkt ganz unterschiedliche Ph.D. als Gastprofessur für interdisziplinäre Holocaustforschung am 2 DVD, s/w, 248 Min. s/w, 2 DVD, DVD, Farbe, 108 Min. Farbe, DVD, Beiträge zum Thema »Hilfe und Widerstand« zusammen. Fritz Bauer Institut begrüßen zu dürfen. Pendas lehrt Geschichte am DVD, 85 Min., Farbe + s/w 85 Min., Farbe DVD,

Mit Hörspiele und Biografie Auch im Nationalsozialismus fanden sich, wie der Beitrag von Boston College in Chestnut Hill, Massachusetts. Bekannt wurde er 2 DVD, s/w + Farbe, 291 Min. s/w + Farbe, 2 DVD, Susanna Schraffstetter zeigt, Menschen, die aus altruistischen Gründen durch sein 2013 im Siedler Verlag auf Deutsch erschienenes Buch Juden halfen, um sie vor der Ermordung zu retten. Oft waren ganze Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht. Neben zwei Lehr- Netzwerke erforderlich, um eine einzelne Person zu verstecken. Ein veranstaltungen am Historischen Seminar wird Pendas auch einen Beispiel dafür ist das Bockenheimer Netzwerk in Frankfurt am Main. öffentlichen Vortrag anbieten. Unser Dank gilt Michael Hauck und Die verschiedenen Formen der Hilfsbereitschaft zeigen auch, dass Oliver Puhl, die die Fortsetzung der Gastprofessur durch eine groß- MONOWITZ UND PO-LIN DAS HAUS NEBENAN AUFSTAND IN SOBIBOR ANDERE TATORTE SPUREN DER ERINNERUNG Chronik einer französischen Stadt im Krieg Der erfolgreichste und am wenigsten bekannte Widerstand möglich war, aber nur selten praktiziert wurde! Bemerkens- zügige Spende erst ermöglicht haben. Die zeitgeschichtlichen Filme von Alfred Jungraithmayr Die verlorene Welt der Schtetl in historischen Film- Teil 1: Der Zusammenbruch, Teil 2: Die Wahl Aufstand in einem Todeslager. wert ist, dass dieser »Rettungswiderstand« erst sehr spät, nämlich Ende Ab Mai dieses Jahres wird Prof. Dr. Sybille Steinbacher die DVD1: Das Frankenburger Würfelspiel / Warschauer Leben aufnahmen. Erzählt von Hanna Schygulla Ein Film von Marcel Ophüls Ein Film von Lily van den Bergh und Pavel Kogan der 1990er Jahre, ins öffentliche Bewusstsein rückte; und bis heute sind Leitung des Institutes übernehmen. Sie wird damit zugleich die DVD 2: Deckname Dr. Friedrich / Monowitz – ein Tatort Ein Film von Jolanta Dylweska manche dieser Hilfeleistungen nicht genügend bekannt und gewürdigt. erste Professur antreten, die in Deutschland zur Erforschung von Aus dem Beitrag von Susanna Schrafstetter geht aber ebenfalls hervor, Geschichte und Wirkung des Holocaust eingerichtet wurde. Wir wie die Situation der Verfolgung auch andere Motive förderte, wie sie freuen uns sehr, dass mit ihr eine Persönlichkeit gewonnen werden Mit Booklet Mit Booklet für viele ein Anlass war, Verfolgte fi nanziell auszuplündern, sexuell konnte, die durch ihre Forschung über die nationalsozialistische auszunutzen, zu betrügen und schließlich zu denunzieren. Vernichtungspolitik und ihre Wirkung bis in die Gegenwart inter- empf VK: € 14,90 empf empf VK: € 14,90 empf empf VK: € 14,90 empf DVD, Farbe, 96 Min. Farbe, DVD,

DVD, Farbe, 114 Min. Farbe, DVD, Jacob Eder beschreibt die geschichtspolitische Aufwertung des national bekannt geworden ist und die Diskussion zu dem Thema militärischen Widerstands während der Kanzlerschaft Helmut Kohls. umfassend in Forschung und Öffentlichkeit voranbringen wird. Ich Diesen als heroischen Akt gegen die NS-Diktatur auch im Ausland möchte mich an dieser Stelle noch einmal bei allen bedanken, die zu verankern war das Anliegen Bonns in der Auseinandersetzung auf vielfältige Weise geholfen haben, diese Professur einzurichten DVD, s/w, 113 Min. + 59 Bonus s/w, DVD, um die Entstehung des United States Holocaust Memorial Museums. und das Institut damit auf eine breitere Grundlage zu stellen. Der Beitrag von Ahlrich Meyer zeichnet die Geschichte der Er- Im Buch- oder Fachhandel oder direkt bei mittlungen zu dem Mord an Marianne Cohn nach. Marianne Cohn apl. Prof. Dr. Werner Konitzer ERHOBENEN HAUPTES KORCZAK HITLERKANTATE hatte an der französisch-schweizerischen Grenze die Flucht jüdischer Frankfurt am Main, im März 2017 Fünf Personen, die zwei Dinge teilen: als Kinder in Der Lebens- und Leidensweg des Kinderarztes, Ein Film von Jutta Brückner absolut MEDIEN GmbH Deutschland von den Nazis verfolgt – Überleben im Schriftstellers und Pädagogen Mit Hilmar Thate und Lena Lauzemis Kibbuz. Ein Film von docview.org Ein Film von Andrzej Wajda Eine Kantate für den 50. Geburtstag des Führers… Am Hasenbergl 12, D – 83413 Fridofing Telefon: 030 285 398 70 Einsicht 17 Frühjahr 2017 Werner Konitzer, Foto: Werner Lott 1 https://absolutmedien.de Inhalt

Einsicht Nachrichten und Berichte Forschung und Vermittlung Information und Kommunikation

Helfer, Widerständler, Nutznießer: Abweichendes Verhalten Aus dem Institut im Nationalsozialismus und seine Deutungen 82 Von der »Euthanasie« zum Holocaust. Parallelität oder 12 Deutsche Juden auf der Flucht vor Deportation und Kausalität. Ein Tagungsbericht / Robert Parzer Ermordung. Bedingungen für ein Leben in der Illegalität, 85 Dr. Heinz Düx. In ehrender Erinnerung 1941–1945 / Susanna Schrafstetter 21 Das Dossier Marianne Cohn. Geschichte einer gescheiter- Aus dem Förderverein ten Ermittlung / Ahlrich Meyer 85 Holocaust-Professur und Institutsleitung. Sybille 26 Verehrung und Missbrauch. Zur polnischen Debatte über Steinbacher kommt nach Frankfurt / Jutta Ebeling die Gerechten / Martin Sander 36 »Good Germans« und der Holocaust. Widerstandserinne- Aus Kultur und Wissenschaft rung zwischen Bonn und Washington / Jacob S. Eder 86 Hilfe bei der Spurensuche: Der lebenslange Identitäts- wechsel von Paul George De Bruyn Ouboter / Stijn Reurs Veranstaltungen Beiträge zu Leben und Wirken Fritz Bauers 90 Deutsches Historisches Museum, : Halbjahresvorschau 46 »Eine Grenze hat Tyrannenmacht«. Wie Fritz Bauer die Prof. Dr. Raphael Gross zum neuen Präsidenten der Attentäter des 20. Juli mittels Schillers Wilhelm Tell Stiftung des DHM berufen 6 Gastprofessur für interdisziplinäre Holocaustforschung: rehabilitierte / Kerstin Steitz 90 Aufruf! Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau Prof. Devin O. Pendas, Ph.D. 91 Museumspreis 2016: Hohe Auszeichnung für besondere 6 Lehrveranstaltungen Museumskonzepte des Museums Judengasse 8 Gedenk- und Lerntag: Anne-Frank-Tag für Menschenrechte 92 AMCHA Deutschland e.V.: Zahl hilfesuchender 8 Blickwinkel-Tagung: Rechtspopulismus und Judenfeind- Überlebender des Holocaust auf dem Höchststand schaft. Kontinuitäten – Brüche – Herausforderungen Rezensionen 92 International Tracing Service: Gesamtinventar online 8 Vortrag von Prof. Devin O. Pendas: »Der magische Buchkritiken 93 Erinnerung an Fritz Bauer. Einweihung einer Gedenktafel Saba-Nur Cheema, 2017: Geruch(ssinn) des Wilden«: Kolonialismus und Legalismus in Frankfurt am Main (K)Eine Glaubensfrage – in der Entstehung der modernen Welt 54 Rezensionsverzeichnis: Liste der besprochenen Bücher 9 Vortrag von Dr. Hans-Ulrich Wagner mit Hörbeispielen: 56 Rezensionen: Aktuelle Publikationen Religiöse Vielfalt im Fritz Bauer. Sein Leben, sein Denken, sein Wirken zur Geschichte und Wirkung des Holocaust pädagogischen Miteinander 9 Wanderausstellung: Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht Ausstellungsangebot Aus der Publikationsreihe der 9 Wanderausstellung: Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Wanderausstellung des Instituts Bildungsstätte Anne Frank mit Ausplünderung der Juden in Hessen 1933–1945 Beiträgen von u.a.: Pädagogisches Zentrum 94 Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht Khola Maryam Hübsch, Volker Ahmad Qasir, Yasemin Shooman, Marwan

Frankfurt am Main Abou-Taam, Pradeep Chakkarath,

Saba-Nur Cheema 80 Angebote und Kontakt Neuerscheinungen 80 Film verstehen – Geschichte: HOLOCAUST ISBN: 978-3-9816243-1-1 Aktuelle Publikationen des Instituts 81 Antisemitismus: Alte Stereotype in neuen Schulbüchern Publikationen Diese und weitere Publikationen stehen 81 Neue Bildungspartnerschaft: Kooperationsvertrag mit des Fritz Bauer Instituts als Download zur Verfügung: 10 David Johst (Hrsg.) im Auftrag des Fritz Bauer Instituts: dem Abendgymnasium Frankfurt www.bs-anne-frank.de/publikationen Fritz Bauer. Sein Leben, sein Denken, sein Wirken (4 CDs) 96 Jahrbuch / Wissenschaftliche Reihe / Schriftenreihe u.a. 11 Jörg Osterloh, Kim Wünschmann (Hrsg.): Printexemplare sind zu beziehen bei »… der schrankenlosesten Willkür ausgeliefert« Bildungsstätte Anne Frank Hansaallee 150 Häftlinge der frühen Konzentrationslager 1933–1936/37 60320 Frankfurt [email protected] 100 Impressum

2 Inhalt Einsicht 17 Frühjahr 2017 3 Fritz Bauer Institut Im Überblick

Mitarbeiter und Arbeitsbereiche

Kommissarischer Direktor apl. Prof. Dr. Werner Konitzer

Administration Dorothee Becker (Sekretariat) Marina Gribanova (Sachbearbeitung Verwaltung) Werner Lott (Technische Leitung/Digital- und Printmedien) Manuela Ritzheim (Leitung Verwaltung und Projektmanagement)

Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Dr. Christoph Dieckmann (Zeitgeschichtsforschung) Dr. Jenny Hestermann (Zeitgeschichtsforschung) Dr. Jörg Osterloh (Zeitgeschichtsforschung) Das Fritz Bauer Institut Dr. Katharina Rauschenberger (Programmkoordination) Werner Renz (Zeitgeschichtsforschung) Das Fritz Bauer Institut ist eine interdisziplinär ausgerichtete, un- abhängige Forschungs- und Bildungseinrichtung. Es erforscht und Archiv und Bibliothek dokumentiert die Geschichte der nationalsozialistischen Massenver- Johannes Beermann (Archiv und Dokumentation) brechen – insbesondere des Holocaust – und deren Wirkung bis in die Josefi ne Ruhe (Bibliothek) Gegenwart. Das Institut trägt den Namen Fritz Bauers (1903–1968) und ist seinem Andenken verpfl ichtet. Bauer widmete sich als jüdischer Pädagogisches Zentrum des Fritz Bauer Instituts Remigrant und radikaler Demokrat der Rekonstruktion des Rechts- und des Jüdischen Museums Frankfurt am Main Stiftungsrat Wissenschaftlicher Beirat systems in der BRD nach 1945. Als hessischer Generalstaatsanwalt Dr. Türkân Kanbıçak hat er den Frankfurter Auschwitz-Prozess angestoßen. Gottfried Kößler (stellv. Direktor) Für das Land Hessen: Prof. Dr. Joachim Rückert Am 11. Januar 1995 wurde das Fritz Bauer Institut vom Land Manfred Levy Volker Bouffi er Vorsitzender, Goethe-Universität Frankfurt am Main Hessen, der Stadt Frankfurt am Main und dem Förderverein Fritz Dr. Martin Liepach Ministerpräsident Prof. Dr. Moritz Epple Bauer Institut e.V. als Stiftung bürgerlichen Rechts ins Leben geru- Sophie Schmidt Boris Rhein Stellv. Vorsitzender, Goethe-Universität Frankfurt am Main fen. Seit Herbst 2000 ist es als An-Institut mit der Goethe-Universität Minister für Wissenschaft und Kunst Prof. Dr. Wolfgang Benz assoziiert und hat seinen Sitz im IG Farben-Haus auf dem Campus Studentische Hilfskräfte Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Westend in Frankfurt am Main. Maximilian Aigner Für die Stadt Frankfurt am Main: Universität Berlin Forschungsschwerpunkte des Fritz Bauer Instituts sind die Be- Vanessa Gelardo Peter Feldmann Prof. Dr. Dan Diner reiche »Zeitgeschichte« und »Erinnerung und moralische Auseinan- Laura S. Tittel Oberbürgermeister Hebrew University of dersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust«. Gemeinsam mit Dr. Ina Hartwig Prof. Dr. Atina Grossmann dem Jüdischen Museum Frankfurt betreibt das Fritz Bauer Institut Freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Projekten Dezernentin für Kultur und Wissenschaft The Cooper Union for the Advancement of Science and Art, das Pädagogische Zentrum Frankfurt am Main. Zudem arbeitet das Dr. des Irene Aue-Ben-David, Johanna Bach, Prof. Dr. Marianne Leuzinger-Bohleber Institut eng mit dem Leo Baeck Institute London zusammen. Die aus Dr. Kata Bohus, Rolf Erdorf, Dr. Lena Folianty, Für den Förderverein Fritz Bauer Institut e.V.: Sigmund-Freud-Institut, Frankfurt am Main diesen institutionellen Verbindungen heraus entstehenden Projekte Dr. Wolfgang Geiger, Dr. Iwona Guść, Dr. David Johst, Jutta Ebeling Prof. Dr. Gisela Miller-Kipp sollen neue Perspektiven eröffnen – sowohl für die Forschung wie Monica Kingreen, Dagi Knellessen, Dr. Sharon Livne, Vorsitzende Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für die gesellschaftliche und pädagogische Vermittlung. Ursula Ludz, Dr. Ingeborg Nordmann, David Palme, Herbert Mai Prof. Dr. Walter H. Pehle Die Arbeit des Instituts wird unterstützt und begleitet vom Wis- Dr. Katharina Stengel, Diane Webb, Dieter Wesp, 2. Vertreter des Fördervereins Verlagslektor und Historiker, Dreieich-Buchschlag senschaftlichen Beirat, dem Rat der Überlebenden des Holocaust Dr. Gerben Zaagsma Prof. Dr. Peter Steinbach und dem Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. Für die Goethe-Universität Frankfurt am Main: Universität Mannheim Prof. Dr. Birgitta Wolff Rat der Überlebenden des Holocaust Universitätspräsidentin Prof. Dr. Susanne Schröter Abb. oben: Das IG Farben-Haus auf dem Campus Westend der Goethe-Universität Fankfurt am Main, Sitz des Fritz Bauer Instituts. Trude Simonsohn (Vorsitzende und Ratssprecherin), Dekanin, Fachbereich Philosophie und Foto: Satellitenbild, Screenshot der Adresse »Norbert-Wollheim-Platz 1«, Siegmund Freund, Inge Kahn, Dora Skala Geschichtswissenschaften Apple Maps, Apple Inc.

4 Fritz Bauer Institut Einsicht 17 Frühjahr 2017 5 Veranstaltungen Halbjahresvorschau

einem Standardinstrument der internatio- to what extent were various non-European ge Recherche der zeitgenössischen Presse- nalen Politik, die den Übergang von einer genocides (Armenia, Cambodia, Rwanda) berichterstattung, die intensive Lektüre gewaltsamen in eine zivile Gesellschaft ge- similar to or different from European geno- der Literatur und die Übernahme eines währleisten sollten. Der Begriff der »Tran- cides? Is there anything particularly »mod- Referats. sitional Justice« beschreibt diesen Prozess. ern« about genocide? Is it even possible to Die Teilnehmerzahl ist auf 25 Studie- Die Ahndung von Kriegsverbrechen ge- speak of »genocide« in generic terms or is rende begrenzt; Teilnahme ausschließlich schieht nicht nur in Form von Strafprozes- it always something unique? And, above all, nach persönlicher Anmeldung per Mail an: sen zum Beispiel vor dem Internationalen what is its relationship to the more general [email protected] Strafgerichtshof in Den Haag, sondern auch phenomenon of war? durch prozessähnliche Institutionen wie die südafrikanische »Truth and Reconciliation Commission«. In diesem Seminar werden wir die Geschichte dieser Entwicklung un- Lehrveranstaltung tersuchen. Lehrveranstaltung Außerschulische HOLOCAUST. DIE GESCHICHTE Lernorte am Beispiel DER FAMILIE WEISS der NS-Geschichte Lehrveranstaltung Ein Fernsehfi lm und seine Folgen Gottfried Kößler, Übung, Freitag, 12.00–14.00 Uhr Gastprofessur für interdisziplinäre sind deutsche Geschichte, Rechtsgeschichte (21. April bis 21. Juli), Seminar für Didaktik der War and Genocide Geschichte, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Holocaustforschung und die Geschichte von Kriegen und Völ- Dr. Jörg Osterloh, Übung, Blockveranstaltung, Campus Westend, IG Farben-Haus, Raum 457 kermord. In zahlreichen Publikationen hat Prof. Devin O. Pendas, Ph.D., Lecture in English, Historisches Seminar, einführende Sitzung: Mittwoch, er sich mit den Prozessen gegen NS-Täter Mittwoch, 10.00–12.00 Uhr (19. April bis 19. Juli), 19. April 2017, 14.00–16.00 Uhr, Goethe-Universität 576 S. Geb. € 34,95 Prof. Devin O. Pendas, Ph.D. Frankfurt am Main, Campus Westend, Seminarhaus, und der juristischen Aufarbeitung von Mas- Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt Die Einbindung außer- ISBN 978-3-406-70710-0 am Main, Campus Westend, Casino, Raum 1.811 Raum SH 3.105. Weitere Termine: Dienstag, 25. April senverbrechen auseinandergesetzt. und Dienstag, 2. Mai, 18.00–22.00 Uhr, Raum schulischer Lernorte in Die Gastprofessur für inter- SH 3.103; Freitag, 9. Juni und Montag, 12. Juni, den zeitgeschichtlichen Unterricht bedarf Christian Gerlach bietet mit 9.00–18.00 Uhr, Raum SH 3.105 disziplinäre Holocaustfor- This course considers the eigener didaktischer Überlegungen und diesem kompakten Überblick schung am Fritz Bauer Institut übernimmt connection between war methodischer Verfahren. Die Übung soll eine nach Themen geordnete zum Sommersemester 2017 Devin O. Pen- and genocide in modern world history. Be- Der vierteilige US-Fernseh- zunächst in die didaktische Literatur zum Analyse der Verfolgung und das. Er ist Associate Professor für Geschich- Lehrveranstaltung ginning with the genocidal dimensions of fi lm von 1978 stellt anhand Thema historische Museen, Denkmäler und te am Boston College, Chestnut Hill, Mas- European imperialism in the late 19th centu- der fi ktiven Geschichte der jüdischen Ber- Gedenkstätten einführen. Danach werden Vernichtung der europäischen sachusetts. Seine Forschungsschwerpunkte Kriegsverbrecherprozesse ry, we move through the industrialization of liner Arztfamilie Weiss die NS-Judenver- exemplarische Lernorte zum Nationalsozi- Juden und schließt zugleich in der Weltgeschichte slaughter in WW I, the folgung und den Holocaust dar. Im Januar alismus in Frankfurt am Main und Umge- eine Lücke. Seine Studie and , to a consideration of post- 1979 strahlten die dritten Programme der bung erkundet. untersucht erstmals syste- Devin O. Pendas, Prof. Devin O. Pendas, Ph.D., Seminar, Dienstag, WW II developments, including the legacy ARD den Film binnen fünf Tagen aus. Ein Die Übung wird sowohl bei Exkursio- matisch das Vorgehen nicht- Der Auschwitz- 14.00–16.00 Uhr (18. April bis 18. Juli), Historisches of colonialism for contemporary genocides Millionenpublikum ließ den Film zu einem nen die Gelegenheit zum praktischen Erfah- deutscher Regierungen und Prozess. Völker- Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am Main, and the return of genocide to the European Medienereignis werden, und der bis dahin ren der Orte als auch im Seminar zur theo- mord vor Gericht. Campus Westend, IG Farben-Haus, Raum 4.501 Gesellschaften gegen Juden. continent in the former Yugoslavia. While in Deutschland weithin unbekannte Begriff retischen Refl exion geschichtsdidaktischer Aus dem Engli- So kann sie zeigen, dass der schen von Klaus clearly not all wars lead to genocide, we will »Holocaust« etablierte sich in der Folge als Fragen bieten. Da verschiedene Exkursio- Binder (Orig.: The Als Kriegsverbrecherpro- ask whether there is anything about the spe- Synonym für den nationalsozialistischen nen in Frankfurt am Main geplant sind, ist es Mord an den europäischen Frankfurt Ausch- zesse gelten nicht erst die cifi c character of modern war that makes Völkermord an den europäischen Juden. notwendig, den Nachmittag im an Juden ein Prozess war, an witz Trial, 1963– 1965: Genocide, Nürnberger Prozesse. Bereits im Mittelalter genocide a particularly likely, if not inevi- Ziel der Übung ist es, die öffentlichen den Sitzungstermin von ständigen Terminen dem sich viele Gruppen mit History, and the wurden Individuen wegen Kriegsverbre- table, outcome. We will also ask whether und wissenschaftlichen Debatten des Jahres freizuhalten. Einige Sitzungen werden als ganz unterschiedlichen Limits of the Law, chen angeklagt. Im 19. Jahrhundert wurde European imperialism laid the foundation 1979 nachzuzeichnen und die weiterreichen- Blöcke zusammengelegt. Motiven beteiligt haben. Cambridge Univer- das Kriegsvölkerrecht zu einem zentralen for genocides both in Europe (i.e. was there den Folgen des Fernsehfi lms zu diskutie- Obligatorische Anmeldung über OLAT sity Press, 2006), München: Siedler Thema in den Kriegen des europäischen a »boomerang« effect?) and abroad (i.e. did ren. Voraussetzung für die Teilnahme ist die vom 3. bis 6. April 2017, ein persönliches Verlag, 2013, Imperialismus. Im 20. Jahrhundert entwik- imperialism render post-colonial societies Bereitschaft zur regelmäßigen Teilnahme an Erscheinen in der ersten Sitzung ist erfor- C.H.BECK mit Abb., 432 S., € 24,99, ISBN: 978-3-8275-0007-6 kelten sich Kriegsverbrecherprozesse zu especially susceptible to genocide?). And den Blockveranstaltungen, die eigenständi- derlich. WWW.CHBECK.DE

6 Veranstaltungen Einsicht 17 Frühjahr 2017 7 Gedenk- und Lerntag Tagung Juden sollen einerseits Muslime exkludiert Imperialismus im 19., den Kalten Krieg und stellte sich nicht nur als Gesprächspartner Wanderausstellung und andererseits – im Falle Deutschlands – die amerikanische Hegemonie im 20. Jahr- zur Verfügung, sondern konzipierte selbst Anne-Frank-Tag Rechtspopulismus und der Schuldzusammenhang gelockert werden, hundert. Es ist auffallend, wie sehr sich diese Sendungen und wirkte in einigen Fällen so- Legalisierter Raub für Menschenrechte Judenfeindschaft welcher die herbeigesehnte Volksgemein- Machtbeziehungen im internationalen Recht gar als Redakteur mit. Nur sehr wenige die- Der Fiskus und die schaft mit dem Nationalsozialismus verbin- niedergeschlagen haben, insbesondere in ser Beiträge sind bisher überhaupt bekannt Kontinuitäten – Brüche – det. Dessen Erbe scheint einer unverbrüchli- Regeln, die dafür gedacht waren, Kriege und oder zugänglich. Aus insgesamt 30 recher- Ausplünderung der Juden Montag, 12. Juni 2017 Herausforderungen chen nationalen Identität im Weg zu stehen. Massengewalt zu regulieren und zu limitie- chierten Beiträgen wurden 14 Sendungen in Hessen 1933–1945 Verschiedene Orte, Frankfurt am Main Eine Fachtagung für Wissenschaftler, ren. Was sind die intellektuellen und poli- ausgewählt und zum Teil ausschnittsweise 8. Tagung der Reihe »Blickwinkel. Antisemitismus- Pädagogen, Akteure aus Stadtteilarbeit, tischen Ursprünge für die Anstrengungen, in einem Hörbuch zusammengestellt. Sie »Wie herrlich ist es, dass niemand eine Dienstag, 7. Februar bis Sonntag, 14. Mai 2017 kritisches Forum für Bildung und Wissenschaft« Mediation, Beratung und Bildungsarbeit. Massengewalt durch internationales Recht decken Themen ab wie die juristische Auf- Museumszentrum Lorsch, Nibelungenstr. 35, 64653 Minute zu warten braucht, um damit zu Montag, 19. bis Dienstag, 20. Juni 2017 Anmeldeschluss: Dienstag, 23. Mai 2017 zu regulieren? Warum haben machtvolle arbeitung der nationalsozialistischen Ver- Lorsch, Öffnungszeiten: Di. bis So., 10.00–17.00 Uhr beginnen, die Welt langsam zu ändern!« Evangelische Akademie Frankfurt, Römerberg 9, Eintritt: frei, Kontakt: Heimat- und Kulturverein Frankfurt am Main Staaten sich dafür eingesetzt, den Gebrauch brechen, Bauers Vorstellung von einem mo- Lorsch e.V., Renate Pratz, Tel.: 06251.7079928, Veranstalter: Bildungsstätte Anne Frank, Stiftung »Er- ihrer eigenen Kraft einzuschränken? Wie sa- dernen Strafrecht sowie Beiträge zu Bauers [email protected], www.kulturverein-lorsch.de Am 12. Juni 1929 wurde Die achte Blickwinkel-Ta- innerung, Verantwortung und Zukunft«, Zentrum für hen diese Beschränkungen aus? Haben die Biographie und persönlichen Erfahrungen. Anne Frank in Frankfurt ge- gung widmet sich der Frage, Antisemitismusforschung der TU Berlin, Pädagogisches Regularien dieses Legalismus tatsächlich die Eine Ausstellung des Fritz Zentrum Frankfurt, mit Unterstützung des Bundesmi- Fritz Bauer, Sein Leben, sein Denken, sein Wirken boren. Heute – mehr als 70 Jahre, nachdem wie antisemitismuskritische Bildung auf das nisteriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in Gewalt begrenzen können, oder legitimieren Bauer Instituts und des Hes- Tondokumente mit Originaltönen von Fritz Bauer, sie von den Nazis ermordet wurde – gilt sie Erstarken rechtpopulistischer Einstellungen Kooperation mit der Evangelischen Akademie Frankfurt sie vielmehr bestimmte Formen von Gewalt, sischen Rundfunks. Mit Unterstützung der hrsg. von David Johst im Auftrag des Fritz Bauer als die berühmteste Frankfurterin. Aber was in der »Mitte der Gesellschaft« reagieren um andere einzudämmen? Die Antworten Instituts, Berlin: Der Audio Verlag, 2017, 4 CDs, Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thürin- Material und Berichte zur Tagungsreihe kann das eigentlich bedeuten? kann. Die Zunahme von Rechtspopulismus auf diese Fragen sind komplex und erlauben 306 Min., mit umfangreichem Booklet, € 19,99 gen und des Hessischen Ministeriums für www.bs-anne-frank.de/projekte/tagungsreihe-blick- Die Geschichte von Anne Frank ermög- und Nationalchauvinismus in Deutschland, winkel und www.stiftung-evz.de/blickwinkel es nicht, eine einfache Geschichte von mo- Wissenschaft und Kunst. Lokaler Veranstal- licht allen Generationen einen Zugang zur Europa und USA stellt die antisemitismus- ralischem Fortschritt und zynischem Macht- ter: Heimat- und Kulturverein Lorsch e.V., Auseinandersetzung mit Nationalsozialis- kritische Bildungsarbeit vor neue Heraus- Kontakt/Anmeldung missbrauch zu erzählen. Der Vortrag wird unter der Schirmherrschaft von Christian mus und Holocaust – sie lässt sich zugleich forderungen. Das lautstarke Wüten gegen Bildungsstätte Anne Frank e.V. diese Variablen umreißen und versuchen, die Engelhardt, Landrat im Kreis Bergstraße. Céline Wendelgaß (Veranstaltungsmanagement) mit aktuellen gesellschaftspolitischen The- eine imaginierte »Überfremdung« des ei- Hansaallee 150, 60320 Frankfurt am Main Verbreitung des internationalen Rechts im Wanderausstellung men, Problemen und Fragen auf besondere genen »Volkes« durch Migranten verdeckt Tel.: 069.56000233, [email protected] 19. und 20. Jahrhundert zu erklären. Dabei Letzte Station der Wanderausstellung Weise verknüpfen. das antisemitische Ressentiment, das sich www.bs-anne-frank.de soll auch die Analyse der unterschiedlichen Fritz Bauer. Der Staatsanwalt Dies ist die 28. und letzte Station der Ausstel- An der Ausgestaltung des Tages arbei- über Umwege Ausdruck verleiht. So ist in Weltordnungen in den letzten 200 Jahren in NS-Verbrechen vor Gericht lung »Legalisierter Raub«. Nach 16 Jahren ten unter der Federführung des Bildungs- der Rede von der »Lügenpresse« unschwer den Blick genommen werden. Wanderschaft kehrt sie nach Frankfurt zu- dezernats der Stadt Frankfurt am Main und das Stereotyp jüdisch kontrollierter Medien rück. Vom 28. Mai bis zum 28. Juni 2002 war Donnerstag, 9. März bis Dienstag, 27. Juni 2017 der Bildungsstätte Anne Frank das Amt für zu erkennen, die »Kritik der Zinsgeldknecht- sie erstmals in der Goldhalle des Hessischen Militärhistorisches Museum der Bundeswehr multikulturelle Angelegenheiten, das Kul- schaft« verweist auf das antisemitische Bild Vortrag Olbrichtplatz 2, 01099 Dresden, Öffnungszeiten: Mo., Rundfunks zu sehen. Ab Februar 2018 wird turamt, das Jüdische Museum Frankfurt, das des jüdischen Wucherers, und die Vorstel- 10.00–21.00 Uhr, Di. und Do. bis So., 10.00–18.00 Uhr, sie abschließend – und erweitert um neue lo- Pädagogische Zentrum des Fritz Bauer Insti- lung, eine sinistre Fremdgruppe orchestriere Prof. Devin O. Pendas, Ph.D., Vortrag mit Hörbeispielen Mi. geschlossen, Kontakt: Militärhistorisches Museum, kale Forschungsergebnisse – im Historischen Tel.: 0351.8232803, [email protected], tuts und des Jüdischen Museums, der Rat der die vermehrte Einwanderung von Flüchtlin- Boston/Frankfurt am Main Museum Frankfurt präsentiert. Dazu ist eine https://www.mhmbw.de Religionen, der Frankfurter Jugendring, die gen, schließt an das alte Phantasma an, die Fritz Bauer Weitere Ausstellungsorte sind in Vorbereitung. umfangreiche Publikation in Vorbereitung. DGB-Jugend, christliche Kirchen und die Juden würden den Nationalstaat untergraben. »Der magische Sein Leben, sein Denken, Jüdische Gemeinde Frankfurt zusammen. Die Bilder, deren sich bedient wird, ver- Geruch(ssinn) des Wilden«: Eine Ausstellung des Fritz Weitere Informationen zur Ausstellung: Neben der Aufführung der Monooper raten ihre antisemitische Abkunft nicht of- sein Wirken Bauer Instituts und des www.fritz-bauer-institut.de/legalisierter- »Das Tagebuch der Anne Frank« von Gri- fen, sondern gerieren sich als Sorge um einen Kolonialismus und Legalis- Jüdischen Museums Frankfurt am Main. raub.html gori Frid und einer Podiumsdiskussion mit wahrgenommenen Verlust »völkischer und mus in der Entstehung der Einführung von Dr. David Johst, Berlin, Ausstellungspräsentation in Dresden in dem Titel »Anne Frank: Ikone, Inspirati- nationaler Selbstbestimmung« – eine Angst, modernen Welt Vortrag von Dr. Hans-Ulrich Wagner, Hamburg Kooperation mit dem Militärhistorischen on – Mittel zum Zweck?« wird es weitere die mit der Wahl Trumps zum 45. Präsidenten Mittwoch, 19. Juli 2017, 18.15 Uhr, Goethe-Univer- Museum der Bundeswehr, dem Münchner- Veranstaltungen an verschiedenen Orten in der USA international ihre Anerkennung zu Mittwoch, 21. Juni 2017, 18.15 Uhr, Goethe-Univer- sität Frankfurt am Main, Campus Westend, Norbert- Platz-Komitee e.V. und der Gedenkstätte Frankfurt geben. fi nden droht. Nicht selten wird dabei in vor- sität Frankfurt am Main, Campus Westend, Norbert- Wollheim-Platz 1, Casino-Gebäude, Raum 1.801 Münchner Platz Dresden. Weitere Veranstaltungsinformationen auseilender Schuldabwehr die vermeintliche Wollheim-Platz 1, Raum N.N. Weitere Informationen zur Wanderaus- entnehmen Sie bitte den Ankündigungen auf Nähere Informationen Nähe zu Juden bemüht, etwa in der Rückbe- Bis in die 1960er Jahre gehör- stellung und ihrer Ausleihe fi nden Sie auf unserer Website: Pädagogisches Zentrum Frankfurt sinnung auf ein »jüdisch-christliches Abend- Die moderne Welt wurde in te das Radio zu den wichtigs- den Seiten 94 f. und auf unserer Website: www.fritz-bauer-institut.de Seckbächer Gasse 14, 60311 Frankfurt am Main Tel. 069.212 74237, [email protected] land«, die den historischen Antijudaismus ig- mehr als einer Hinsicht von ten Informationsquellen. Fritz Bauer nutzte www.fritz-bauer-institut.de/fritz-bauer- und auf unserer Facebook-Seite: www.pz-ffm.de noriert. Mit dieser Instrumentalisierung von »großen Mächten« geschaffen – durch den das Medium Radio in vielfältiger Weise. Er ausstellung.html www.facebook.com/fritz.bauer.institut

8 Veranstaltungen Einsicht 17 Frühjahr 2017 9 Neuerscheinungen Aktuelle Publikationen des Instituts Foljanty) im Auftrag des Fritz Bauer Ins- Jörg Osterloh, Kim Wünschmann (Hrsg.) und -erfahrungen sowie nach den Strategien tituts am Editionsprojekt Fritz Bauer, Ge- der Selbstbehauptung und des Widerstands. sammelte Schriften. »… der schrankenlosesten 10 Millionen Willkür ausgeliefert« Dr. phil. Jörg Osterloh ist wissenschaftli- Burghart Klaußner, geboren 1949 in Ber- cher Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut in Parteigenossen lin, hatte Engagements an allen wichtigen Häftlinge der frühen Frankfurt am Main. deutschsprachigen Bühnen. Einem breiten Konzentrationslager Publikum wurde er durch Kinofi lme wie 1933–1936/37 Dr. phil., Kim Wünschmann ist DAAD- GOOD BYE, LENIN!, DIE FETTEN JAHRE SIND Fachlektorin am Historischen Seminar der VORBEI und DAS WEISSE BAND bekannt. Universität Sussex. Klaußner erhielt zahlreiche Preise, darun- ter den Deutschen Filmpreis, den Preis der Aus dem Inhalt deutschen Filmkritik und den Deutschen › Irene von Götz, Ein stadtumspannendes Terrornetz. Hörbuchpreis als »Bester Interpret«. Für Die frühen Konzentrationslager und Folterstätten in Berlin 1933 ER TAAT seine Rolle in Lars Kraumes Film D S › Dirk Riedel, Vom Terror gegen politische Gegner David Johst (Hrsg.) Auschwitz-Prozess ins Rollen gebracht: GEGEN FRITZ BAUER wurde er für den Euro- zur rassistischen Gesellschaft. Die frühen Häftlinge im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Fritz Bauer, Generalstaatsanwalt von Hes- päischen Filmpreis 2016 nominiert. des Konzentrationslagers Dachau 1933 bis 1936 sen. Er stemmte sich gegen den Zeitgeist › Habbo Knoch, »Endlose Heide. Tempo! Tempo!« Die frühen Emslandlager von 1933 bis 1936 und kämpfte für eine rechtliche Aufarbei- »Nach diesen vier CDs O-Ton-Material, Fritz Bauer › Nicola Wenge, »Das System des Quälens, der Ein- Sein Leben, sein Denken, tung der nationalsozialistischen Vergangen- die gerade inklusive informativem Booklet schüchterung, der Demütigung …« Die frühen heit, eine Humanisierung des Strafrechts beim Audio Verlag erschienen sind, ist es württembergischen Konzentrationslager Heuberg sein Wirken und die Resozialisierung Straffälliger. Seine unmöglich, nicht beeindruckt zu sein von und Oberer Kuhberg › Kurt Schilde, Karoline Georg, Der frühe Terror Wie viele Menschen tatsächlich Vorträge und Interviews bieten einen un- der Leistung und Leidenschaft eines Man- Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2017, gegen die Arbeiterbewegung. Politische Gefangene Mitglied der NSDAP waren, ist weit- ca. 350 S., gebunden, € 34,95, EAN 9783593507026 Fritz Bauer – sein Name ist mittelbaren Zugang zur Person Fritz Bauer nes, der ziemlich allein auf weiten Justiz- in den Konzentrationslagern von Berlin und Bran- Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, gehend unbekannt. War die NSDAP eng verbunden mit der Auf- und zu seiner bewegten Biografi e als Jurist, fl uren kämpfte.« denburg Band 31, Erscheinungstermin: Juni 2017, eine »Arbeiterpartei« oder doch, wie › Siegfried Mielke unter Mitarbeit von Julia Pietsch, arbeitung der NS-Verbrechen in Deutsch- jüdischer Intellektueller, Remigrant und So- B5 aktuell, Hörbuch der Woche, auch als E-Book erhältlich heute noch viele meinen, eine Mittel- Eine signifi kante Gruppe der Häftlingsgesellschaft. schichtbewegung? Wie sah es mit den land. Eine Collage mit unveröffentlichten zialdemokrat. Kirsten Böttcher, 9. Februar 2017 Gewerkschaftsfunktionäre in den frühen Konzentra- Frauen in der NSDAP aus? Wer schaffte tionslagern Schon bald nach der Er- › Kim Wünschmann: Gewaltsam aus der »Volksge- es, ihr in den Jahren beizutreten, in denen die Partei für die Allgemeinheit nennung Adolf Hitlers zum meinschaft« ausgeschlossen. Jüdische Häftlinge in den Konzentrationslagern 1933 bis 1936/37 geschlossen war? Und wer waren die Reichskanzler am 30. Januar 1933 verhaf- › Albert Knoll, Homosexuelle Häftlinge in den frühen Menschen, rund eine Dreiviertelmil- teten die Nationalsozialisten Tausende Geg- Konzentrationslagern lion (!), die zwischen 1925 und 1945 ner. Bis Ende des Jahres wurden mindestens › Oliver Gaida, Als »asozial« Stigmatisierte. Zwi- die NSDAP wieder verlassen haben? 100.000 Menschen in Konzentrationslagern schen Arbeitshäusern und Konzentrationslager Auf diese und viele weitere Fragen gibt 1933–1937 und »Schutzhaftabteilungen« eingesperrt. dieses Buch – zum Teil verblüffend › Hans Hesse, Von Anfang an ein »besonderes Hass- neue – Antworten. Seine Analysen Rechtsgrundlage war die »Verordnung zum objekt«. Zeugen Jehovas in den frühen Konzentra- entstanden im Rahmen des langjähri- Schutz von Volk und Staat« vom 28. Fe- tionslagern gen Mainzer Forschungsprojekts »Die bruar 1933. Die Lager dienten zur Demü- › Stefan Hördler, Die Gefallenen. Nationalsozialisten als KZ-Häftlinge 1933–1939/45 Mitglieder der NSDAP 1925 – 1945«, tigung und Ausschaltung der Opposition, › Jörg Osterloh, »Es wurde ja auch darüber geschrie- das auf dem mit weitem Abstand zur Einschüchterung der Bevölkerung und ben, in der Zeitung …«. Die Berichterstattung im größten Datensatz aus der Zentralen damit zur Sicherung des NS-Regimes. Die- Deutschen Reich über die Häftlinge der frühen NSDAP-Mitgliederkartei fußt. Konzentrationslager ser Band nimmt erstmals systematisch die 2016 · 499 Seiten · Div. Abb. · € 39,95 › Paul Moore, »Es geht ihm soweit ganz gut.« Reak- wichtigsten Häftlingsgruppen der Konzent- Auch als E-Book erhältlich Fritz Bauer, Sein Leben, sein Denken, sein Wirken tionen auf die Konzentrationslager im Arbeitermili- www.campus.de Originaltönen führen durch sein Leben und Dr. David Johst, geboren 1977 in Berlin Tondokumente mit Originaltönen von Fritz Bauer, kom- rationslager im Zeitraum von 1933–1936/37 eu, 1933–1936 zeigen auch den privaten Fritz Bauer. (Ost), ist promovierter Historiker. Seine Ar- mentiert und eingeleitet von Burghart Klaußner. Hrsg. in den Blick, darunter Kommunisten, Sozi- › Carina Baganz, »… eine dem Ansehen der natio- 1963 begann in Frankfurt am Main ein beitsgebiete sind Erinnerungskultur, Recht von David Johst im Auftrag des Fritz Bauer Instituts, aldemokraten, Gewerkschafter, Juden, Zeu- nalsozialistischen Bewegung abträgliche Wirkung«. veröffentlicht mit Unterstützung der Friedrich-Ebert- Der Hohnstein-Prozess 1935 Prozess, der bei der Aufarbeitung der NS- und Geschichtspolitik in Westdeutschland gen Jehovas, Homosexuelle und »Asoziale«. Stiftung und der Gerda Henkel Stiftung. Berlin: Der › Henning Borggräfe, Potentiale für neue Foschungper- Verbrechen als Wendepunkt gilt. Ein Mann und der DDR nach 1945 und 1989. Der- Audio Verlag, 2017, 4 CDs, 306 Min., mit umfangrei- Die Beiträge fragen nach den Arrest- und spektiven. Das Archiv des International Tracing Ser- hatte gegen viele Widerstände den ersten zeit arbeitet er (gemeinsam mit Dr. Lena chem Booklet, € 19,99, ISBN: 978-3-86231-994-7 Entlassungspraxen, den Haftbedingungen vice und die Häftlinge der frühen Konzentrationslager

10 Neuerscheinungen Einsicht 17 Frühjahr 2017 11 Einsicht Forschung und Vermittlung

kaum bestimmen, denn in vielen Fällen gibt es nur vage bzw. gar Widerstand als »non-konformes Verhalten« keine Hinweise auf Fluchtversuche. Unser Verständnis vom Leben im Untergrund ist geprägt von den Darstellungen der Überlebenden. Die Geschichte der untergetauchten Juden ist bisher hauptsächlich 5.000–7.000 dieser Fluchten geschahen in Berlin, wo 1941 als Teil der Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialis- 73.000 der bis dahin noch in Deutschland verbliebenen knapp mus wahrgenommen worden. Zum einen geht es dabei um jüdischen Deutsche Juden auf der Flucht 170.000 Juden lebten.3 Aufgrund der Tatsache, dass die große Mehr- Widerstand, dem Sich-Widersetzen gegen die eigene Deportation. heit der untergetauchten deutschen Juden in Berlin lebte, hat sich Konrad Kwiet und Helmut Eschwege haben diese Form des jüdischen vor Deportation und Ermordung verständlicherweise die historische Forschung bisher weitgehend Widerstands als »non-konformes Verhalten« eingestuft und folgen auf Berlin konzentriert,4 gerade auch da viele Memoiren, Tagebü- damit einem Widerstandsverständnis, das zwischen eigentlichem Wi- Bedingungen für ein Leben in cher und andere Selbstzeugnisse überlebender »U-Boote« (wie sich derstand und dem »Bereich des weiteren Widerstandes« differenziert.8 die versteckt lebenden Personen selbst nannten) von Berlinern und Sie subsumieren darunter alle Versuche, »sich den Anforderungen des der Illegalität, 1941–1945 Berlinerinnen stammen.5 Wir wissen weniger über Juden in anderen Systems zu verweigern und so die von außen gesetzten Normen nicht Teilen Deutschlands, die sich der Deportation entzogen.6 Auch wenn anzuerkennen, der Flucht vor dem Zugriff der Nationalsozialisten bis die Zahlen außerhalb deutlich geringer sind, so lohnt es sich hin zur extremsten Form des Sich-Entziehens: dem Selbstmord.«9 von Susanna Schrafstetter dennoch den Blick auf fl üchtige Juden andernorts zu richten. Wie Tatsächlich lagen Flucht und Suizid nahe beieinander. Viele fl üchtige Im Juni 1942 erhielt die Münchener Jü- unterschieden sich die Bedingungen für illegales Leben in Städten Juden führten eine tödliche Dosis des Schlafmittels Veronal mit sich, din Anna Riemer ihren Gestellungsbefehl wie Berlin, Frankfurt oder München, vormaligen Zentren jüdischen um im Falle einer Verhaftung und Deportation selbstbestimmt aus dem zur Deportation nach Theresienstadt. Die Lebens in Deutschland? Des Weiteren lassen sich so auch regionale, Leben scheiden zu können.10 Zum anderen wird die Unterstützung 48-jährige Frau war verwitwet, ihr nichtjü- überregionale und transnationale Fluchtverbindungen nachzeichnen. für Juden durch Nichtjuden, die Bemühungen, Juden vor den Depor- Prof. Dr. Susanna Schrafstetter discher Ehemann war bereits 1939 verstorben. Anna Riemer igno- Die bisherige Forschung hat kaum berücksichtigt, dass Flucht und tationen zu bewahren, heute als Rettungswiderstand bezeichnet. Der forscht und lehrt seit 2009 als rierte ihren Deportationsbescheid. Nachdem sie von einem Polizisten Versteck dynamische Prozesse waren, bei denen viele Betroffene Begriff wurde 2001 von dem Historiker und Holocaustüberlebenden Associate Professor of History an der über ihre bevorstehende Verhaftung gewarnt worden war, tauchte hunderte Kilometer zurücklegten und in manchen Fällen auch Lan- Arno Lustiger eingeführt.11 Er impliziert eine gewisse Ohnmacht und University of Vermont in Burlington, sie unter. Sie fl üchtete über Saarbrücken, ihre Geburtsstadt, nach desgrenzen überwanden.7 Passivität der Opfer, deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Vermont (USA). Sie ist derzeit Senior Frankfurt am Main, wo sie sich versteckt hielt. Einige Monate später in vielen Fällen »nicht nur die Initiative zur Flucht, sondern auch Research Fellow am Leibnitz-Institut wurde sie in Frankfurt verhaftet und im Januar 1943 nach Auschwitz Planung und Koordination der verschiedenen für das Überleben not- für Europäische Geschichte in Mainz. deportiert. Dort wurde sie kurz nach ihrer Ankunft ermordet.1 Sehr wendigen Aktivitäten bei den Verfolgten« lag.12 Auch bei den Helfern Sie forschte in den letzten Jahren viel mehr wissen wir nicht über die Umstände der Flucht von Anna 3 Zahlenangaben nach Kosmala, »Deportation,« S. 115; Wolfgang Benz, »Juden im handelte es sich überwiegend um nichtkonformes Verhalten, auch Untergrund und ihre Helfer«, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Überleben im Dritten hauptsächlich über deutsche Juden Riemer, ihr Leben in der Illegalität und ihre Verhaftung. Welche Reich. Juden im Untergrund und ihre Helfer, München 2003, S. 12. wenn bei einigen von ihnen die Unterstützung der Verfolgten Teil in der NS-Zeit, bundesdeutsche und Erfahrungen hatte sie gemacht? Hatte sie Helfer? Wie kam es zur 4 Siehe zum Beispiel jüngst: Richard Lutjens, »Vom Untertauchen: ›U-Boote‹ und ihrer politischen Widerstandsarbeit war. britische Geschichtspolitik und die Verhaftung? Und doch zeigen sich in dieser kurzen Biographie viele Berliner Alltag 1941–1945«, in: Andrea Löw, Doris Bergen, Anna Hajkova Flucht vor der Deportation und Leben in der Illegalität waren Karrieren nationalsozialistischer Charakteristika des Lebens deutscher Juden im Versteck: Die meis- (Hrsg.), Alltag im Holocaust. Jüdisches Leben im Großdeutschen Reich 1941– jedoch komplexe soziale Prozesse, für die der Widerstandsbegriff 1945, München 2013, S. 49–63; Marten Düring, Verdeckte soziale Netzwerke im Funktionseliten in der Bundesrepublik. ten Fluchten endeten mit Verhaftung und Deportation, bei vielen Nationalsozialismus. Die Entstehung und Arbeitsweise von Berliner Hilfsnetz- – so breit er auch gefasst sein mag – oft zu kurz greift. Das non- Veröffentlichungen (Auswahl): Flucht der Gefl üchteten handelte es sich um Frauen mittleren Alters, oft werken für verfolgte Juden, München 2015. konforme Verhalten der jüdischen Verfolgten steht dabei außer Frage, und Versteck. Untergetauchte Juden in legten untergetauchte Juden auf der Flucht auch größere Distanzen 5 Einige Beispiele: Michael Degen, Nicht alle waren Mörder. Eine Kindheit in Ber- dies gilt ebenso für viele Helfer. Aber die Verfolgten hatten mit München – Verfolgungserfahrung und zurück. Anna Riemer war eine von 10.000–15.000 deutschen Juden lin, München 1999; Margot Friedlander, Malin Schwerdtfeger, »Versuche dein einer Fülle von Menschen zu tun. Darunter waren Helfer, die aus Leben zu machen.« Als Jüdin versteckt in Berlin, Hamburg 2010; Marie Jalowicz Nachkriegsalltag, Göttingen 2015. und Jüdinnen, die sich nachweislich ihrer Deportation durch Flucht Simon, Untergetaucht. Eine junge Frau überlebt in Berlin 1940–1945, Frankfurt den unterschiedlichsten Motiven handelten, Helfer die zu Verrätern und Untertauchen widersetzten.2 Ihre tatsächliche Zahl lässt sich am Main 2014. 6 Es gibt Studien zu Frankfurt und Hamburg und seit kurzem auch zu München, aber für viele Teile Deutschlands ist diese Frage noch nicht grundlegend erforscht. Zu Frankfurt: Petra Bonavita, Mit falschem Pass und Zyankali. Retter und Geret- 8 Konrad Kwiet, Helmut Eschwege, Selbstbehauptung und Widerstand. Deutsche tete aus Frankfurt am Main in der NS-Zeit, Stuttgart 2009; Heike Drummer, Ge- Juden im Kampf um Existenz und Menschenwürde 1933–1945, Hamburg 1984, 1 Susanna Schrafstetter, Flucht und Versteck. Untergetauchte Juden in München – gen den Strom. Solidarität und Hilfe für verfolgte Juden in Frankfurt und Hessen, S. 19. Diese Unterscheidung verschiedener Formen bzw. gradueller Abstufung Verfolgungserfahrung und Nachkriegsalltag, München 2015, S. 136. Begleitbuch zur Ausstellung im Museum Judengasse, hrsg. von Fritz Backhaus von Widerstand fi ndet sich auch andernorts. Wegweisend Detlev Peukert, Volks- 2 Zahlenangaben nach Claudia Schoppmann, »Rettung von Juden: ein kaum beach- und Monica Kingreen, Frankfurt am Main 2012. Zu Hamburg: Beate Meyer, »A genossen und Gemeinschaftsfremde. Anpassung, Ausmerze und Aufbegehren un- teter Widerstand von Frauen«, in Beate Kosmala, Claudia Schoppmann (Hrsg.), conto Zukunft. Hilfe und Rettung für untergetauchte Hamburger Juden«, in: Zeit- ter dem Nationalsozialismus, Köln 1982, S. 97. Überleben im Untergrund: Hilfe für Juden in Deutschland (Solidarität und Hilfe schrift des Vereins für hamburgische Geschichte, Jg. 88 (2002), S. 205–233; sowie 9 Kwiet, Eschwege, Selbstbehauptung, S. 141. für Juden während der NS-Zeit, Band 5), Berlin 2002, S. 114. Es werden auch et- Ulrike Hoppe (Hrsg.), »… und nicht zuletzt Ihre stille Courage«. Hilfe für Verfolg- 10 Siehe zum Beispiel: Marion Kaplan, Der Mut zum Überleben. Jüdische Frauen was niedrigere Zahlen zwischen 10.000 und 12.000 Personen genannt. Zur Dis- te in Hamburg, 1933–1945, Hamburg 2010. Zu München: Schrafstetter, Flucht. und ihre Familien in Nazideutschland, Berlin 2001, S. 300. kussion um die Zahlen: Beate Kosmala, Marnix Croes, »Facing Deportation in 7 Hierbei geht es nicht nur um die vergleichsweise häufi gen Fluchtversuche in die 11 Wolfram Wette, »Vorwort« in: Arno Lustiger, Rettungswiderstand. Über die Ju- and the . Survival in Hiding«, in: Beate Kosmala, Georgi Schweiz, die gut erforscht sind. So reiste zum Beispiel Marie Jalowicz-Simon als denretter in Europa während der NS-Zeit, Göttingen 2011, S. 13. Verbeek (Hrsg.), Facing the Catastrophe: Jews and Non-Jews in Europe during »U-Boot« bis nach Bulgarien und wieder zurück nach Berlin. Jalowicz-Simon, 12 Isabel Enzenbach, »Zur Problematik des Begriffs Retter«, in: Kosmala, Schopp- World War II, Oxford 2011, S. 115 und 151. Untergetaucht, S. 141–158. mann, Untergrund, S. 243.

12 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 13 wurden, Menschen, die spontan kleinere Gesten der Solidarität zeig- gemeinsam die Deportation antreten und durchstehen wollten. Zum ten, nichtjüdische Verwandte, stille Mitwisser, aber auch Anbieter Teil sollten auch in den ersten Deportationen Familien explizit nicht von kommerzieller Hilfe, Betrüger und Erpresser, um nur einige auseinandergerissen werden.16 Vielfach mögen die Menschen im Gruppen zu nennen. Darunter waren selbstverständlich auch unfrei- Herbst 1941 noch die Mär vom »Arbeitseinsatz im Osten« geglaubt willige Helfer, die keinerlei Ahnung hatten, wen sie beherbergten. haben. Später war das wohl kaum noch der Fall. Ältere »U-Boote« Es wäre daher wichtig, das Thema breiter zu verorten: Flucht und waren öfters alleinstehend und unabhängig. Das galt auch für Anna Versteck sind Teil der Sozialgeschichte der Deportation der deut- Riemer: Ihr Mann war verstorben, ihre Tochter emigriert. Claudia schen Juden. Nicht zuletzt sind sie Teil der Geschichte jüdischen Schoppmann hat gezeigt, dass auch bei den Helfern der Frauenanteil Lebens in NS-Deutschland.13 überwog: Frauen konnten sich in der Kriegsgesellschaft unauffälliger Ausgehend von diesen einführenden Überlegungen sollen im bewegen, waren weniger Kontrollen unterworfen als Männer im Folgenden in einer vergleichenden Analyse die Rahmenbedingun- wehrfähigen Alter. Dies galt gleichermaßen für männliche Helfer und gen für ein Untertauchen in verschiedenen deutschen Städten be- »U-Boote«. Widerstand wurde von Frauen zudem sehr viel weniger handelt werden. Wer waren die fl üchtigen Juden und ihre Helfer? erwartet als von Männern.17 Welche Helfernetzwerke es? Gab es bestimmte Fluchtwellen? Im Zentrum des Vergleichs stehen München und Berlin, aber auch für andere Regionen lassen sich Aussagen treffen. München war ein Flüchtende Juden in München und Berlin Zentrum jüdischen Lebens in Süddeutschland und verfügte 1933 über eine jüdische Gemeinde, die in ihrer Größe vergleichbar mit Flüchtenden Juden in München wurde zumeist von engen Freunden einigen anderen deutschen Städten, wie Köln oder Leipzig, war. Im oder Lebenspartnern geholfen, eher selten kam es zu Hilfe durch Vergleich zu Berlin waren diese Gemeinden klein, fl üchtende Juden Fremde. Da waren zum Beispiel die Freundinnen aus der Studien- handelten daher unter anderen Gegebenheiten. Insofern bietet sich zeit, die im Fall der Fürsorgerin Dr. Else Behrend Rosenfeld die ein Vergleich an. Abschließend wird dann der Umgang mit der The- Fluchtoptionen recherchierten und ein Versteck für ihre Freundin Ilse Basch 1937 vor ihrer Heirat mit Werner Rewald 18 matik nach 1945 behandelt und auf die Probleme mit der Verortung organisierten. Sigmund Weis half seiner langjährigen Lebensge- Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, im Widerstand rekurriert. fährtin, verschiedene Verstecke zu fi nden. Das Paar hatte schon eine Sammlung Rewald Verhaftung aufgrund einer Denunziation wegen »Rassenschande« gemeinsam durchgestanden.19 Der Rechtsanwalt Benno Schülein Dr. Sophie Mayer (rechts) mit ihrer Schwester Mehr Frauen als Männer hatte enge Freunde in der Familie Jordan. Der Vater von Otto Jordan, Lieselotte Mayer. Sophie Mayer lebte von Juli 1942 bis Kriegsende versteckt bei der Familie des 20 seinem Helfer, hatte lange Jahre als Mentor von Schülein fungiert. Polizisten Paul Mayer (Namensgleichheit ist Zufall) Anna Riemer war 48 Jahre alt, als sie sich 1942 zur Flucht entschloss. Dies bedeutete für die Flüchtenden auch, dass sie in einem familiären in Lenggries. Ihre Schwester Lieselotte Mayer war Gertrud Lustig, die mit Hilfe ihres nichtjüdischen Freundes in Mün- sozialen Umfeld blieben. In manchen Fällen wurde auch Hilfe von zusammen mit ihrer Mutter in Niederbayern chen untertauchte, war damals 47 Jahre alt, die Münchner Schwestern außen angeboten: Die jüdische Ärztin Dr. Sophie Mayer kam über untergetaucht. Lieselotte Mayer und ihre Mutter begingen im Frühjahr 1944 Suizid, als ihr Leben Sophie und Lieselotte Mayer waren 45 und 41 Jahre alt und fl üchteten eine Bekannte an den Polizeiwachtmeister Paul Mayer (Namens- im Versteck unerträglich wurde. 1942 zusammen mit ihrer 71-jährigen Mutter vor der Deportation gleichheit ist Zufall) in Lenggries, wo sie über drei Jahre in einem Foto: Stadtarchiv München nach Piaski.14 Auch in der zahlenmäßig deutlich kleineren Gruppe der Versteck über der Polizeistation ausharrte.21 In Berlin fanden gerade männlichen Münchner »U-Boote« befanden sich Männer mittleren während der »Fabrikaktion« im Februar/März 1943 zahlreiche Ju- Alters und ältere Herren. In dieser Hinsicht war München keine Aus- den bei Fremden Zufl ucht.22 Für sie bedeutete dies oft zum ersten nahme, denn auch in Berlin waren viele der fl üchtigen Juden bereits über 40 Jahre alt, darunter waren ebenfalls mehr Frauen als Männer.15 Der hohe Anteil an älteren Menschen mag verwundern, aber man 16 Dies galt zum Beispiel für die erste Massendeportation von 1.000 Personen aus muss berücksichtigen, dass überwiegend junge Menschen und vor München, vgl. Maximilian Strnad, Zwischenstation »Judensiedlung«. Verfolgung allem junge Männer emigrierten. Dazu kam, dass junge Familien oft und Deportation der jüdischen Münchner 1941–1945, München 2011, S. 111. 17 Schoppmann, »Rettung«, S. 122 f., 126. 18 Else Behrend-Rosenfeld, Siegfried Rosenfeld, Leben in zwei Welten. Tagebücher eines jüdischen Paares in Deutschland und im Exil, hrsg. und kom. von Erich 13 Diesen Aspekt hat Marion Kaplan eindrucksvoll erörtert: Kaplan, Mut. Auch im Kasberger und Marita Krauss, München 2011, S. 195 f. folgenden Band wird das Überleben im Untergrund im Kontext der Geschichte 19 Schrafstetter, Flucht, S. 58. jüdischen Lebens in NS-Deutschland behandelt: Wolfgang Benz (Hrsg.), Die 20 Ebd., S. 88 f. Juden in Deutschland 1933–1945. Leben unter nationalsozialistischer Herr- 21 Ebd., S. 69–72. schaft, München 1988. 22 Während der »Fabrikaktion« wurden die bis dahin noch in der Stadt verbliebenen 14 Schrafstetter, Flucht, S. 69–73, 80, 130 f. Juden in Razzien verhaftet und deportiert. Der Begriff leitet sich aus dem Um- 15 Kosmala, »Deportation«, S. 119. stand ab, dass viele jüdische Zwangsarbeiter an ihrem Arbeitsplatz verhaftet wur-

14 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 15 Mal Kontakt mit sozialen Milieus, die sie bisher kaum kannten: Sie falschem Namen überleben konnte, und dem aus Hanau stammenden als die ausgebombte Tante des Mannes.36 In der gesamten Zeit wech- von der nichtjüdischen Bevölkerung getrennt werden. In München fanden zeitweise Zufl ucht in heruntergekommenen Elendsquartie- Robert Eisenstädt bei dessen Flucht in die Schweiz.31 Das Bocken- selte sie ihr Versteck nicht ein einziges Mal, was bei den »U-Booten« waren die 1941 noch verbliebenen Juden in einigen »Judenhäu- ren und mussten zusätzlich zum Untertauchen eine enorme soziale heimer Netzwerk unterhielt auch Kontakte zur Württembergischen im ländlichen Bayern nicht ungewöhnlich war. Wir wissen nicht, ob sern« und zwei Lagern zusammengepfercht. Die beiden Lager, das Anpassungsleistung vollbringen. Else Krell ekelte sich nicht nur vor Pfarrhauskette, die ihrerseits in ländlichen Pfarrhäusern Württem- dies aus Mangel an Alternativen oder aus einem Gefühl relativer Barackenlager Milbertshofen und das Sammellager Berg am Laim, der schmutzigen Wohnung einer Gastgeberin, sie konnte auch deren bergs Juden Zufl ucht gewährte. Oft stammten diese Personen, wie Sicherheit geschah. Ludwig Collm in Berlin erklärte später, er habe lagen am Stadtrand und wurden überwacht.44 Damit war eine weit- abendliche Trinkgelage nur schwer ertragen.23 In München dagegen das Ehepaar Krakauer, ursprünglich aus Berlin und gelangten über im Schnitt alle drei Wochen das Quartier gewechselt, andere noch gehende Trennung von der nichtjüdischen Bevölkerung erreicht, die lebten »U-Boote« seltener bei fremden Helfern, und selbst wenn verschiedenen Stationen in den württembergischen Raum.32 Nahezu häufi ger.37 Trotz dieser Mühen, der alliierten Bombenangriffe und eine Flucht ungleich schwieriger gestaltete. So schrieb eine Berliner es dazu kam, wie im Fall von Sophie Mayer, bewegten sie sich in 70 verschiedene Verstecke hatten die Krakauers auf ihrer Flucht der Präsenz der jüdischen Fahnder (auch »Greifer« genannt) blieben Überlebende 1946 an ihre Verwandten: »Tante Annie kam im Maerz einem ähnlichen sozialen Milieu. durchlaufen.33 In München gab es wohl eine Helfergruppe um den die meisten der Berliner »U-Boote« im Großraum Berlin. Bei den 1943 weg, als wir auf die Flucht gingen. Ich schrieb ihr damals noch, Zahlreiche fl üchtende Berliner Juden konnten auf Netzwerke Schweizer Verleger Walter Classen, die sich der Bekennenden Kirche jüdischen Fahndern, die es nur in Berlin gab, handelte es um Juden, dass ich es versuchen wolle und sie solle es auch tun, aber sie hatte von Helfern zurückgreifen, die in der Stadt, aber auch überregional zugehörig fühlte und einigen Menschen zur Flucht über die Schwei- die gegen das Versprechen, von den Deportationen ausgenommen anscheinend nicht den Mut dazu, auch war es bei ihr schwieriger, operierten.24 So brachte zum Beispiel eine Gruppe um Louise Meier zer Grenze verhalf. Allerdings sind die Informationen über diese zu bleiben, jüdische Untergetauchte in Berlin aufspürten und an die weil in Muenchen damals schon alle lange kaserniert waren.«45 und Josef Höfl er 28 aus Berlin stammende Juden über die Schweizer Gruppe so spärlich, dass keine Aussagen darüber gemacht werden verrieten.38 Bombenangriffe bargen Gefahren, da sich nur Gleichzeitig führte die Situation in Berlin dazu, dass nichtjüdi- Grenze, bevor das Netzwerk auffl og. Louise Meiers Arbeit hatte als können, wann genau wie viele Personen auf diese Weise in Sicherheit wenige »U-Boote« in öffentliche Luftschutzkeller wagten, aber sie sche Deutsche in Berlin sehr viel mehr als anderswo mit dem Leid Hilfe für gute Bekannte begonnen und weitete sich nach und nach gebracht wurden bzw. wer diese fl üchtenden Menschen waren.34 eröffneten auch Möglichkeiten: Man konnte sich als ausgebombter der jüdischen Bevölkerung konfrontiert waren. Auf diese Weise ent- aus.25 Höfl er »lehnte das NS-Regime ab«, ließ sich aber im Gegen- Wahrscheinlich handelte es sich nur um einige wenige Personen. »Volksgenosse« ausgeben und so eine neue Identität erhalten.39 standen Helfernetzwerke und organisierte Hilfe für fl üchtige Juden, satz zu Meier für seine Hilfe bezahlen.26 Für die Gruppe »Onkel Anders als Berlin erschien München fl üchtenden Juden nicht aber auch spontane Unterstützung sowie kommerzielle Angebote, Emil« war die Unterbringung fl üchtiger Juden Teil ihrer politischen als günstiger Standort für ein Leben in der Illegalität. Die meisten Betrug und Ausbeutung. Im März 1943 waren über 4.000 Personen Widerstandsarbeit.27 Die zionistische Jugendgruppe Chug Chaluzi Münchner »U-Boote« verließen die Stadt nach ihrem Untertauchen. Die »Fabrikaktion« und ihre Folgen auf der Flucht, davor waren schon etwa 2.500 untergetaucht.46 In hatte sich im Zuge der »Fabrikaktion« zusammengeschlossen und Dabei lassen sich zwei Fluchtrouten erkennen: Während eine Gruppe Berlin und nur in Berlin wurden fl üchtige Juden als bestehende half sich gegenseitig beim Leben in der Illegalität.28 Hilfsnetze der illegal von München nach Berlin ging, suchte eine zweite Gruppe In Berlin geschahen die meisten Fluchten in Folge der sogenannten soziale Gruppe innerhalb der Stadtbevölkerung wahrgenommen. Bekennenden Kirche organisierten Quartiere in Berlin und Umge- Zufl ucht in den ländlichen Regionen Ober- und Niederbayerns. Of- Fabrikaktion im Februar/März 1943. Zu diesem Zeitpunkt war das Es entstand ein Schwarzmarkt für untergetauchte Juden, den es an- bung, hauptsächlich für Juden, die zum Christentum konvertiert fenbar wurden sowohl in Berlin, in der Anonymität der Großstadt, Wissen, was die »Evakuierung in den Osten« wirklich bedeutete, dernorts nicht gab. Auf dem Schwarzmarkt wurden Unterkünfte, waren, aber von den Nationalsozialisten als Juden verfolgt wurden. als auch in der ländlichen Abgeschiedenheit die Überlebenschancen weit verbreitet. Viele Menschen fl üchteten spontan, in allerletz- Lebensmittel, Lebensmittelkarten, Kleidung, falsche Papiere, Waffen Sie standen auch in Kontakt mit Pfarrhäusern in ganz Deutschland.29 höher eingeschätzt als in München. Auf dem Land war die Lebens- ter Minute, als die Gestapo bereits vor der Tür stand.40 Im Februar und Schleuser für einen Grenzübertritt in die Schweiz gehandelt. Auch in Frankfurt gab es eine Helfergruppe: das Bockenheimer mittelversorgung einfacher für Menschen, die meist über keinerlei 1943 lebten noch rund 33.000 Juden in Berlin, während in anderen Berliner Juden, die sich mit dem Gedanken einer Flucht trugen, Netzwerk, ein verschwiegener Zirkel um den Arzt Dr. Fritz Kahl Lebensmittelkarten verfügten. Zahllose ausgebombte Städter suchten Teilen Deutschlands die Deportationen bereits weitgehend abge- hatten somit vergleichsweise mehr Optionen als Juden in anderen und den Pfarrer Heinz Welke.30 Sie halfen unter anderem der Frank- Schutz auf dem Land. Fremde, vor allem Frauen und Kinder, fi elen schlossen waren.41 So waren in Frankfurt die Massendeportationen Teilen Deutschlands. Andererseits wurde in Berlin auch intensiver furter Jüdin Tuschi Müller, nach Wien zu entkommen, wo sie unter daher kaum auf. Die ländlichen Regionen Südbayerns wurden zu bereits im September 1942 beendet.42 Aus München wurden noch nach ihnen gefahndet. Viele von ihnen stützten sich sowohl auf einem Zufl uchtsort zahlreicher Juden, nicht nur aus dem nahen Mün- 219 Münchner und Augsburger Juden nach Auschwitz verschleppt. altruistische Helfer als auch auf bezahlte Hilfe, denn in aller Re- chen. Unter ihnen war Eva Guttmann, die über Umwege von Berlin Diese Deportation vom März 1943 kann als das Münchner Äquiva- gel war eine Vielzahl von Personen notwendig, um ein jahrelanges 35 47 den. Damit blieben mit wenigen Ausnahmen nur diejenigen Juden in der Stadt nach Mittenwald gelangte. Die Münchnerin Elfriede Seitz fl üchtete lent zur »Fabrikaktion« in Berlin gesehen werden. Trotzdem kam Untertauchen möglich zu machen. Nicht wenige der überlebenden zurück, die durch eine »Mischehe« geschützt waren. Zur Fluchtwelle während vor ihrer Deportation in das Dorf Grucking bei Erding. Seitz hatte, es, anders als in Berlin, in München 1943 nicht zu einer Massen- Berliner »U-Boote« unterstrichen später, wie wichtig Geld bei der der »Fabrikaktion«: Claudia Schoppmann, »Die ›Fabrikaktion‹ in Berlin. Hilfe wie Anna Riemer, den Schutz der »Mischehe« verloren, ihre Toch- fl ucht.43 In Berlin hatte sich die 1939 beginnende Ghettoisierung der Finanzierung des Lebens im Untergrund war.48 für untergetauchte Juden als Form humanitären Widerstandes«, in: Zeitschrift für ter war nach Großbritannien emigriert. Sie fand Zufl ucht bei Alois verbliebenen jüdischen Bevölkerung in »Judenhäuser« und Lager Geschichtswissenschaft, Jg. 53 (2005), S. 138–148. 23 Else Krell, Wir rannten um unser Leben. Illegalität und Flucht aus Berlin 1943, Rauch, einem Kriegskameraden ihres verstorbenen Mannes. Rauch als unmöglich erwiesen, die Berliner Juden konnten räumlich nicht hrsg. von Claudia Schoppmann, Berlin 2015, S. 98 ff. hatte bis zum Tod von Heinrich Seitz mit dem Ehepaar Kontakt ge- 24 Zu den Netzwerken in Berlin siehe Düring, Netzwerke. halten. Elfriede Seitz lebte auf dem Hof von Alois und Maria Rauch 44 Ebd. 25 Claudia Schoppmann, »Fluchtziel Schweiz. Das Hilfsnetz um Louise Meier und 45 Anonymous, Complaint of a Jewish Survivor Against Allied Occupation Forces. Josef Höfl er«, in: Benz, Überleben, S. 205–219. 36 Ebd., S. 106. The Fate of Survivors: General Eyewitness Accounts, 1946 (approx.), Testaments 26 Claudia Schoppmann, »Das Fluchthilfenetz um Louise Meier und Josef Höfl er«, 37 Benz, »Untergrund«, S. 665, 677 f. to the Holocaust, Archives of the Wiener Library, London [http://go.galegroup. in: Krell, Leben, S. 208. 38 Doris Tausendfreund, Erzwungener Verrat. Jüdische »Greifer« im Dienst der com/gdsc/i.do?&id=GALE%7CSC5106976903&v=2.1&u=mainz&it=r&p=GDS 27 Ruth Andreas Friedrich, Der Schattenmann. Tagebuchaufzeichnungen 1938– 31 Zu Robert Eisenstädt: Beate Kosmala, »Robert Eisenstädts Flucht aus dem KZ Gestapo 1943–1945, Berlin 2006. C&sw=w&viewtype=fullcitation]. 1945, Berlin 1947. Majdanek. Über Frankfurt in die Schweiz«, in: Benz, Überleben, S. 287–300; 39 Kaplan, Mut, S. 292. 46 Schoppmann, »Fabrikaktion«, S. 141. 28 Zu Chug Chaluzi siehe zum Beispiel Christine Zahn, »›Nicht mitgehen, sondern Bonavita, Pass, S. 17–23; Drummer, Strom, S. 37 f. Zu Tuschi Müller: Bonavita, 40 Ebd., S. 286. 47 Im Durchschnitt waren mindestens zehn Helfer notwendig, oftmals deutlich mehr. weggehen!‹ Chug Chaluzi – eine jüdische Jugendgruppe im Untergrund«, in: Pass, S. 24–27; Drummer, Strom, S. 37 f. 41 24.000 von ihnen waren von der »Fabrikaktion« betroffen, Schoppmann, »Fa- Beate Kosmala, Claudia Schoppmann, »Überleben im Untergrund. Zwischenbi- Wilfried Löhken, Werner Vathke (Hrsg.), Juden im Widerstand. Drei Gruppen 32 Max Krakauer, Lichter im Dunkel, Stuttgart 1947. brikaktion«, S. 138. lanz eines Forschungsprojekts«, in: Kosmala, Schoppmann, Untergrund, S. 22. zwischen Überlebenskampf und politischer Aktion, Berlin 1993, S. 159–205. 33 Wolfgang Benz, »Überleben im Untergrund, 1943–1945«, in: Benz, Juden, 42 Monica Kingreen, »Gewaltsam verschleppt aus Frankfurt. Die Deportationen der 48 Zum Beispiel: Lotte Heskel, Our Underground Life in Berlin during the War. The 29 Ursula Büttner, »Die anderen Christen. Ihr Einsatz für verfolgte Juden und S. 672. Juden in den Jahren 1941–1945,« in: Monica Kingreen (Hrsg.), »Nach der Kri- »«: Illegal Life and Escapes, Eyewitness Accounts, Testaments to ›Nichtarier‹ im nationalsozialistischen Deutschland«, in: Kosmala, Schoppmann, 34 Einige Details in Hermann Diem, Ja oder Nein. 50 Jahre Theologe in Kirche und stallnacht.« Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main the Holocaust, Archives of the Wiener Library London [http://go.galegroup.com/ Untergrund, S. 127–150, insb. S. 145 f. Staat, Stuttgart 1974, S. 132 ff. 1938–1945, Frankfurt am Main 1999, S. 389. gdsc/i.do?&id=GALE%7CSC5106929895&v=2.1&u=mainz&it=r&p=GDSC&s 30 Bonavita, Pass, S. 11–51; Drummer, Strom, S. 34–44. 35 Schrafstetter, Flucht, S. 188. 43 Schrafstetter, Flucht. Siehe zu dieser Deportation: Strnad, Zwischenstation, S. 135. w=w&viewtype=fullcitation].

16 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 17 Betrug, Denunziation und Ausbeutung gefl üchteten Jüdin Unterkunft an. Nach einer Weile bemächtigte sie sich deren Habe und denunzierte sie bei der Polizei. Wahrscheinlich Oft entpuppten sich die vermeintlichen Hilfsangebote als Betrüge- hatte sie ursprünglich nicht vor, eine Jüdin zu berauben, konnte aber reien.49 Zahllose Berliner sahen und nutzten die Möglichkeit, fl üch- dann der Versuchung nicht widerstehen.55 Marie Jalowicz Simon war tenden Juden ihre letzten Habseligkeiten abzujagen. Ilse Rewald und für ihre Quartiergeberin, eine überzeugte Nationalsozialistin, »ei- ihrem Mann widerfuhr eine typische Geschichte: »Wir haben unsere nerseits eine Jüdische, die man selbstverständlich anzufeinden und jüdischen Kennkarten, die mit einem J gekennzeichnet sind, längst auszubeuten hatte«, andererseits auch die Tochter, die sie nie hatte.56 in einem Garten vergraben und erkennen, daß es für uns unbedingt Widerstand spielte nicht selten keine oder nur eine untergeordnete notwendig ist, falsche Papiere zu besitzen. Bekannte raten uns, ihnen Rolle. Es gab auch Fälle, in denen »U-Boote« gegen Unterkunft zur unsere Fotos zu geben, denn sie haben durch Dritte gehört, daß ein Widerstandsarbeit herangezogen wurden. Zvi Aviram musste für Beamter für 300 Mark Kennkarten ausschreibt. Wir entschließen seinen kommunistischen Quartiergeber Flugblätter verteilen, was uns schweren Herzens dazu, ihnen das Geld auszuhändigen, denn sein Risiko, verhaftet zu werden, noch einmal deutlich erhöhte.57 Die unser Bankkonto ist ja durch unsere Illegalität für uns nicht mehr Quellen, die diese Facetten des Lebens in der Illegalität beleuchten, zugänglich […]. Aber der Gedanke, in den Besitz falscher Papiere sind vergleichsweise spärlich, nicht nur da viele Betroffene, die in zu kommen, ist wichtig genug. Es vergehen Wochen voll bangen die Hände von Betrügern fi elen, nicht überlebt haben, sondern auch Wartens, bis wir erkennen, daß wir einem Schwindler in die Hände weil Überlebende die unangenehmeren Erfahrungen häufi g nur in gefallen sind […].«50 Sogenannte »Aufbewarier« boten an, den Be- wenigen dürren Sätzen erwähnen und sich auf die positiven Begeg- sitz von gefl üchteten Juden aufzubewahren. Darunter gab es ehrliche nungen konzentrieren. Manche fürchteten wohl auch, als undankbar Menschen, die diese Güter tatsächlich verwalteten und den illegal zu erscheinen.58 Lebenden zum Bestreiten ihres Lebensunterhaltes immer wieder Wertgegenstände oder Geldsummen aushändigten, und andere, die Fragen nach den anvertrauten Besitztümern mit der Drohung einer »Unbesungene Helden« Denunziation beantworteten.51 Häufi g wurden auch Quartiere zu Wucherpreisen angeboten, standen dann aber nach der Bezahlung Anfang 1945 waren sicher nicht wenige Hilfsangebote von dem nicht zur Verfügung bzw. mussten nach einem kurzen Aufenthalt Gedanken geleitet, mit einem positiven Leumundszeugnis eines wieder geräumt werden.52 Betrug – nicht selten gefolgt von einer überlebenden Juden im Nachkriegsdeutschland unter alliierter Be- Denunziation – gab es nicht nur in Berlin, sondern auch andernorts, satzung keine Nachteile zu erleiden, sondern vielleicht sogar poli- auch wenn es dazu weniger Gelegenheiten gab.53 tische Vorteile zu erlangen. Im Februar 1945 sollten in einer letzten Auch diese Aspekte sind Teil der Geschichte des Lebens im Deportationswelle die jüdischen Ehepartner in den bestehenden Untergrund. Sie bilden ein bisher kaum beachtetes Kapitel in der Ge- »Mischehen« nach Theresienstadt deportiert werden. In mehreren schichte der »Arisierung« von jüdischem Eigentum. Die »U-Boote« Städten, darunter in München und Hamburg, fanden die meisten hatten eben auch mit vielen Betrügern zu tun sowie mit Helfern mit Fluchten von Juden in dieser Kriegsendphase statt.59 Sie geschahen sehr unterschiedlichen Motiven: sexuelle Ausbeutung, Ausbeutung unter anderen Vorzeichen als diejenigen, die 1943 oder gar schon als Haushaltshilfe, versuchte Konversion zum Christentum, komple- im Herbst 1941 unternommen worden waren: Das Kriegsende war xe emotionale Abhängigkeiten – alle diese und viele weitere Fakto- absehbar, es galt einen überschaubaren Zeitraum zu überstehen. ren konnten eine Rolle spielen.54 In München bot eine Dame einer In manchen Städten Deutschlands wurden kaum noch Transporte durchgeführt, wie zum Beispiel in Berlin, in anderen, vor allem in Frankfurt, wurde noch eine Vielzahl von Menschen verschleppt.60

49 Viele »U-Boote« waren sich der Gefahr bewusst. Krell, Leben, S. 148 f. 50 Ilse Rewald, Berliner, die uns halfen, die Hitlerdikatur zu überleben. Vortrag an der Gedenk-und Bildungsstätte Stauffenbergstraße am 14. März 1975, Berlin 1975, S. 8. 55 Schrafstetter, Flucht, S. 154 f. Merkblatt der 51 Else Krell erlebte beides, siehe Krell, Leben, S. 154 f., 158. 56 Jalowicz-Simon, Untergetaucht, S. 268. Geheimen Staatspolizei, 52 Anna Drach, Deportations from Berlin. The »Final Solution«: Deportations and 57 Zvi Aviram, Mit dem Mut der Verzweifl ung. Mein Widerstand im Berliner Unter- Staatspolizeistelle Transports, Eyewitness Accounts, Testaments to the Holocaust, Archives of the grund 1943–1945, hrsg. von Beate Kosmala und Patrick Siegele, Berlin 2015, Frankfurt am Main, Wiener Library London [http://go.galegroup.com/gdsc/i.do?&id=GALE%7CSC5 S. 68–71. 1942. Empfänger sind 106929379&v=2.1&u=mainz&it=r&p=GDSC&sw=w&viewtype=fullcitation]. 58 Schoppmann, »Rettung«, S. 125. Beamte, die für die 53 Schrafstetter, Flucht, S. 152–157. 59 Schrafstetter, Flucht, S. 111. Deportation der 54 Wolfgang Benz, »Gegenleistungen. Stationen eines Kirchenasyls zwischen 60 Maximilian Strnad, »The Fortune of Survival – Intermarried German Jews in the jüdischen Bevölkerung Weserbergland und Lausitz«, in: Benz, Überleben, S. 220–228; Jalowicz-Simon, Dying Breath of the ›Thousand-Year Reich,‹« in: Dapim: Studies on the Holo- abgestellt wurden. Untergetaucht, S. 115, 369. caust, Jg. 29 (2015), S. 189–192. Foto: bpk

18 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 19 Mit Kriegsende und Befreiung begann der Prozess des Wieder- fordern, als »Gerechte unter den Völkern« geehrt.69 Diese Ehrungen auftauchens, der von vielen »U-Booten« auch als Übergangsphase und die Geschichten der Geehrten haben erst in den letzten Jahren wahrgenommen wurde. Viele der Überlebenden waren krank, un- vermehrt Aufmerksamkeit erhalten. terernährt und völlig erschöpft. In dieser Situation brachen auch Spannungen auf: Belastende Beziehungen zwischen Helfern und Verfolgten mussten nun nicht mehr aufrechterhalten werden.61 Helfer Flucht und Untertauchen als Forschungsgegenstand Das Dossier Marianne Cohn und Überlebende gingen meist getrennte Wege. Viele jüdische Über- lebende emigrierten aus Deutschland. Diejenigen, die in Deutschland Auch die Widerstandsgeschichte hat den Rettungswiderstand erst vor Geschichte einer gescheiterten Ermittlung blieben, waren überwiegend älter und langfristig von den Strapazen einiger Zeit für sich entdeckt. Blättert man in dem Band Widerstand gezeichnet. Für viele begann ein jahrelanges Ringen um ein Mini- gegen den Nationalsozialismus aus dem Jahr 1994 fi ndet sich dort kein mum an fi nanzieller Entschädigung.62 Und viele von ihnen hüllten Beitrag zum Rettungswiderstand.70 Selbst das Kapitel zum jüdischen von Ahlrich Meyer sich wohl in Schweigen über das Erlebte, weil sie nicht wollten, Widerstand behandelt das illegale Leben nicht.71 Flucht und Untertau- »dass ihre Vergangenheit ihre Gegenwart beherrschte«.63 chen galten lange eben nicht unbedingt als Widerstandshandlungen.72 Im Nachkriegsdeutschland wollten wenige Menschen etwas wis- Das Verständnis dessen, was als Widerstand gilt, hat sich nicht nur sen über Geschichten von ganz normalen Deutschen, die Juden ge- gewandelt, es lässt sich auch nicht eindeutig defi nieren. Als Folge holfen hatten.64 Die Mehrheitsgesellschaft hatte kein Interesse daran, des Forschungsprojektes »Solidarität und Hilfe für Juden in der NS- Als der Kölner Staatsanwalt Rolf Holtfort sich unangenehme Fragen zu stellen, warum man den Deportationen Zeit«, das Mitte der 1990er Jahre am Zentrum für Antisemitismus- im Jahr 2009 verstarb, fand man auf seinem schweigend zugesehen hatte. Nur in Westberlin kam es 1958 zur forschung in Berlin ins Leben gerufen wurde, erschienen zahlreiche Schreibtisch eine alte Ermittlungsakte mit Ehrungsinitiative »unbesungene Helden« für Menschen, die Juden wegweisende Studien, die Hilfe für Verfolgte in Deutschland und im dem Betreff: »Tötung jüdischer Kinder in 73 1 »tatkräftig, uneigennützig und häufi g unter eigener Gefährdung« bei- nationalsozialistisch besetzten Europa beleuchten. Seit 2008 gibt Prof. Dr. Ahlrich Meyer, von 1975– «. Holtfort hatte sich seit den 1970er Jahren von Amts gestanden hatten.65 Die »unbesungenen Helden« sollten nun die ihnen es die »Gedenkstätte Stille Helden« in Berlin, die an die verfolgten 2000 Professor für Politikwissenschaft wegen intensiv mit der Aufklärung von NS-Gewaltverbrechen zustehende Anerkennung für ihr mutiges Verhalten erhalten. Die Ter- Juden und ihre Helfer erinnert.74 In dem späten Bemühen, Hilfe zu an der Universität Oldenburg. Er während der deutschen Besatzungszeit in Frankreich beschäftigt. minologie und Defi nition von ehrungswürdiger Hilfe ist rückblickend dokumentieren und anzuerkennen, ist jedoch ein wenig aus dem Blick leitet zurzeit ein Forschungsprojekt Nicht zuletzt seinem Engagement war es zu verdanken, dass drei der sicher nicht unproblematisch, und man fragt sich, inwieweit »Tatkraft« geraten, dass die Darstellung des Überlebens in NS-Deutschland nicht der DFG über die Zwangsliquidierung Hauptverantwortlichen für die »Endlösung der Judenfrage« in Frank- und »Uneigennützigkeit« klar abgegrenzt werden können.66 Dem auf fl üchtige Juden und widerständige Helfer reduziert werden kann. der jüdischen Gewerbe in Belgien. reich, die SS-Angehörigen , Herbert Hagen und Ernst Berliner Senat ging es darum, eine eng begrenzte Gruppe »ehrungs- Die Spannbreite der Begegnungen war deutlich größer und die Grau- Veröffentlichungen u.a. zur deutschen Heinrichsohn, angeklagt und nach einem exemplarisch geführten würdiger« Helfer zu bestimmen. Im Rahmen dieser Initiative wurden zonen müssten noch weiter ausgeleuchtet werden.75 Die Darstellung Besatzung in Frankreich während Prozess vor dem Landgericht Köln 1980 wegen Beihilfe zum Mord bis 1966 insgesamt 760 Berliner geehrt.67 Die Berliner Initiative fand von Hilfe dominiert über die Dokumentation von Ausbeutung und des Zweiten Weltkriegs und zum verurteilt werden konnten. Ein von Holtfort vorbereitetes Sammel- jedoch außerhalb Berlins keine Nachahmer und geriet auch in Berlin Betrug, erfolgreiche Überlebensgeschichten über die zahlreicheren, Holocaust. verfahren gegen die in Frankreich eingesetzten Kommandeure der bald in Vergessenheit.68 Die Helfer der Verfolgten konnten damit nur kaum bekannten Schicksale mit tödlichem Ausgang. Wie viele von Zuletzt erschienen: Die deutsche Sicherheitspolizei und des SD kam nicht mehr zustande, weil man von der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem Anerken- denen, die beraubt, denunziert und deportiert wurden, konnten Zeug- Besatzung in Frankreich 1940–1944. ihm die Zuständigkeit dafür entzogen und den Komplex durch »Aus- nung erfahren. Seit 1963 werden dort Menschen, die nachweislich an nis hinterlassen? Widerstandsbekämpfung und trennung« einzelner Fälle zerschlagen hatte. Was der pensionierte der Rettung von Juden beteiligt waren, ohne dafür Gegenleistungen zu Judenverfolgung, Darmstadt 2000; Staatsanwalt mit einer Akte wollte, die Unterlagen aus der Zentralen Täter im Verhör. Die »Endlösung Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg enthielt und die der Judenfrage« in Frankreich 1940– er längst hätte abgeben müssen, zumal die Ermittlungen eingestellt 69 http://www.yadvashem.org/yv/de/righteous/program.asp. 70 Peter Steinbach (Hrsg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin 1994. 1944, Darmstadt 2005; Das Wissen worden waren, entzieht sich unserer Kenntnis. Vielleicht ließ ihm 71 Sylvia Rogge-Gau, »Widerstand von Juden im Alltag und in nationalsozialisti- um Auschwitz. Täter und Opfer der unaufgeklärte Fall, um den es hier ging und mit dem er selber 61 Jalowicz Simon, Untergetaucht, S. 384. Siehe hierzu auch Riffel, Helden, S. 23. schen Lagern«, in: Steinbach, Widerstand, S. 513–525. der »Endlösung« in Westeuropa, als Sachbearbeiter befasst gewesen war, keine Ruhe. 62 Schrafstetter, Flucht, S. 254–270. 72 Zusammenfassend zum Wandel: Riffel, Helden, S. 33 ff. Für das unterschiedliche Paderborn 2010; Verfolgt von Land Holtfort konnte wissen, dass die bereits 1962 in Ludwigs- 63 Mark Roseman, In einem unbewachten Augenblick. Eine Frau überlebt im Unter- Verständnis z. B. Rogge-Gau, »Widerstand«, demgegenüber wie einleitend darge- grund, Berlin 2002, S. 496. stellt, Kwiet, Eschwege, Selbstbehauptung. zu Land. Jüdische Flüchtlinge in burg angelegte Akte tatsächlich nicht die Tötung jüdischer Kin- 64 Siehe auch Dennis Riffel, Unbesungene Helden: die Ehrungsinitiative des Berli- 73 Solidarität und Hilfe. Rettungsversuche für Juden vor der Verfolgung und Ver- Westeuropa 1938–1944, Paderborn der betraf, denn die genannten Kinder waren zwar 1944 bei einem ner Senats 1958 bis 1966, Berlin 2007, S. 31 f. nichtung unter nationalsozialistischer Herrschaft, hrsg. im Auftrag des Zentrums 2013 (zusammen mit Insa Meinen). 65 Riffel, Helden, S. 62. Zum Zustandekommen und zur Durchführung der Ehrun- für Antisemitismusforschung von Wolfgang Benz, 7 Bände, Berlin 1996– 2004; gen grundlegend: ebd. Benz, Überleben; Lustiger, Rettungswiderstand. 66 Siehe hierzu auch ebd., S. 148 f., 180 f. 74 http://www.gedenkstaette-stille-helden.de/gedenkstaette/entstehung/. Die Bezeich- 67 Ebd., S. 129. Antragsteller mussten in Berlin leben. Der Name »Unbesungene nung »stille Helden« entstand offenbar in Anlehnung an die »unbesungenen Helden« 1 Staatsanwaltschaft Köln, 130 AR 17/74 (Z), Bd. I–II u. Handakten, bzw. Zentrale Helden« geht auf den Titel eines Buches von Kurt Grossmann zurück. Gross- und fand infolge des Buchtitels von Heinz David Leuner, Als Mitleid ein Verbrechen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Ver- mann fi ng bald nach Kriegsende an, Geschichten von Hilfe für untergetauchte Ju- war. Deutschlands stille Helden, 1939–1945, Wiesbaden 1967, weite Verbreitung. brechen Ludwigsburg, 114 AR-Z 1554/62; alle folgenden Zitate sind, wenn keine den zu sammeln, Grossmann, Unbesungene Helden. Menschen in Deutschlands 75 Zum Teil ist das schon geschehen, siehe zum Beispiel Benz, »Gegenleistungen« andere Fundstelle nachgewiesen wird, dieser Akte entnommen, die an das Bun- dunklen Tagen, Berlin 1957. Siehe hierzu auch Riffel, Helden, S. 37–47. oder Marion Neiss, »›Herr Obersturmbannführer lässt daran erinnern, dass die Rate desarchiv zurückgegeben wurde. Ich danke Dr. Stephan Stracke für Hinweise und 68 Ebd. , S. 240 f. noch nicht da ist.‹ Eine Rettung auf Abzahlung«, in: Benz, Überleben, S. 198–204. die Überlassung von Dokumenten.

20 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 21 Fluchtversuch an der französisch-schweizerischen Grenze nahe An- Versäumnissen bei der justitiellen Ahndung von NS-Verbrechen in nemasse festgenommen worden, hatten aber überlebt. Die Grenzorte der alten Bundesrepublik. Holtfort war einer der wenigen Staats- südlich des Genfer Sees bildeten damals die letzte Etappe für ein anwälte seiner Generation, die sich nicht mit der Straffreiheit von klandestines Rettungsunternehmen, das von Emanuel Racine und NS-Tätern abfi nden wollten. Sieht man sich das Dossier näher an, Georges Loinger organisiert wurde2 und an dem eine Gruppe junger das er nicht aus der Hand gegeben hatte, dann bekommt man ein Widerstandskämpfer aus dem Umkreis der jüdischen Pfadfi nder und Bild davon, was zum Versagen der Justiz in diesem wie in zahllosen der zionistischen Jugend beteiligt war, darunter Racines Schwester ähnlich gelagerten Fällen geführt hat. Mila und die 21-jährige Kinderfürsorgerin Marianne Cohn. Nach- Ein Hindernis stellte zweifellos die Tatsache dar, dass Unterlagen dem Mila Racine verhaftet worden war, übernahm Marianne Cohn aus französischen Nachkriegsprozessen gegen deutsche Kriegsver- Anfang 1944 die Aufgabe, gefährdete jüdische Kinder aus Heimen brecher erst relativ spät – seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre im besetzten Frankreich zur Grenze zu bringen und zusammen mit – von den Verfolgungsorganen der Bundesrepublik genutzt werden ortskundigen »Passeuren« bei Nacht illegal auf Schweizer Territo- konnten. Daher blieb zunächst unberücksichtigt, dass das Verbre- rium zu geleiten. Ende Mai 1944 wurde ein solcher Transport mit chen von Ville-la-Grand in Frankreich nach 1944/45 gründlich unter- 28 Kindern im Alter von 2½ bis 18 Jahren vom deutschen Zoll- sucht worden war und auch vor Gericht zur Sprache kam. Deutsche grenzschutz angehalten. Marianne Cohn wurde in das berüchtigte Kriegsgefangene wurden als Zeugen vernommen, beispielsweise der Foltergefängnis in Annemasse, ein Nebengebäude des von deut- Aufseher des Pax-Gefängnisses, der einen dortigen »Chef der Ge- schen Truppen requirierten Hôtel Pax, eingeliefert und am 8. Juli stapo« namens Meyer und dessen Stellvertreter Mansholt belastete.4 1944 in einem nahe gelegenen Waldstück bei Ville-la-Grand von Das Ständige Militärtribunal verurteilte 1947 einen »Friedrich unbekannten Deutschen auf grauenhafte Weise zu Tode gebracht. Meyer, Hauptmann beim Sicherheitsdienst Annemasse«, in Ab- Außerdem ermordeten die Täter dort fünf weitere Gefangene aus wesenheit zum Tode.5 Die genaue Identität Meyers wurde damals dem Pax, vier Männer und eine Frau, die der Zugehörigkeit zur allerdings nicht geklärt. Ein wichtiges Beweisdokument, das Arres- französischen Résistance verdächtigt wurden, während die Kinder tantenbuch des Gefängnisses, aus dem hervorgeht, dass ein »S.D. der Intervention des mutigen Bürgermeisters von Annemasse und Meyer« und Mansholt für die Entlassung bzw. Überstellung der vom der Befreiung Frankreichs ihr Leben verdankten. deutschen Zoll eingelieferten Häftlinge, darunter Marianne Cohn und mehrere Gruppen jüdischer Kinder, verantwortlich waren, gelangte offenbar zu keinem Zeitpunkt zur Kenntnis der deutschen Ermittler.6 Das Versagen der Justiz Auffällig sind aber vor allem die Nachlässigkeit, mit der in der Bundesrepublik ermittelt wurde, und die Verschleppung des Das kurze Leben der 1922 in Mannheim geborenen, in Berlin auf- Verfahrens, das aufgrund einer Mitteilung des Jüdischen Doku- gewachsenen und 1934 mit ihren Eltern nach Spanien, später nach mentationszentrums in Wien in Gang kam. Dessen Leiter Simon Frankreich emigrierten Marianne Cohn ist oft gewürdigt worden, Wiesenthal übersandte der Zentralen Stelle Ludwigsburg Ende 1962 wenngleich eine Biographie bis heute fehlt.3 Ihr unter ungeklär- eine Erklärung des Bürgermeisters von Annemasse, Jean Deffaugt, ten Umständen geschriebenes Gedicht »Je trahirai demain, pas in der die Tatumstände beschrieben, der »Gestapochef Meyer« er- aujourd’hui« (Ich werde morgen verraten, nicht heute) hat als Zeug- wähnt und die Exhumierung von sechs Leichen bei Ville-la-Grand nis eines ungebrochenen Widerstandswillens Berühmtheit erlangt. Dass es den deutschen Strafverfolgungsbehörden trotz jahrzehnte- langer Ermittlungen nicht gelungen ist, die Mörder der jungen Frau zu identifi zieren und vor Gericht zu bringen, gehört zu den vielen 4 Vernehmung E. Wiechmann, 6.5. u. 18.6.1946, Zentrale Stelle Ludwigsburg, Mi- litärgericht Lyon, Bl. 8/3271–8/3272. Oben links: Marianne Cohn, 1942, Foto: public domain 5 Urteil Militärgericht Lyon vom 16.10.1947; die VVN hatten die Zentrale Stelle Ludwigsburg mit Schreiben vom 6.3.1974 auf diese Verurteilung aufmerksam ge- Oben rechs: Informationstafel für Marianne Cohn im 2 Siehe George Loinger, Aux frontières de l’espoir, 2006, S. 93–121, 201– macht, wobei es allerdings zu Namensverwechslungen kam. In Verdacht geriet Museum »Musée de la Mémoire – Camp du 211. auch ein Georg Meyer aus Bremen. Récébédou«, Portet-sur-Garonne. 3 Vgl. u.a. den Artikel »Marianne Cohn«, in: François Marcot (Hrsg.), Dictionn- 6 Marianne Cohn wurde demnach am 1.6.1944 vom Zoll Annemasse eingeliefert Quelle: www.gedenkorte-europa.eu, Studienkreis naire historique de la Résistance, Paris 2006, S. 392–393; sowie Arno Lustiger, und unter dem Namen »Marie Colin«, geb. 17.9.1922 in Montpellier, wohnhaft Deutscher Widerstand 1933–1945, Frankfurt am Main Zum Kampf auf Leben und Tod. Vom Widerstand der Juden 1933–1945, Köln Grenoble, Französin, registriert; der letzte sie betreffende Eintrag lautet: »8.7.44 1994, S. 439–442; Ingrid Strobl, Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im nach Lyon S.D. Meyer«. Ein Faksimile der fraglichen Seite des Arrestantenbu- Unten links: Gruppenfoto von Kindern, die dank Marianne Widerstand 1939–1945, Frankfurt am Main 1998, S. 73–75, 91–94; Kurt Schilde, ches wurde u.a. abgedruckt in: Michael Kreutzer, »Die Gespräche drehten sich Cohn und Mila Racine überlebt haben. Annemasse, »›Geht die Arbeit weiter?‹ Marianne Cohn – illegale Sozialarbeiterin in der Rési- auch vielfach um die Reise, die wir alle antreten müssen.« Leben und Verfolgtsein Frankreich, 18.8.1944. Foto: Yad Vashem Fotoarchiv stance«, in: ders., Jugendopposition 1933–1945. Ausgewählte Beiträge, Berlin der Juden in Berlin-Tempelhof – Biographien, Dokumentation, hrsg. Evangeli- 2007, S. 63–75. scher Kirchenkreis Tempelhof, Berlin 1988, S. 20. Unten rechts: Stolperstein für Marianne Cohn in Mannheim

22 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 23 bezeugt wurden.7 Deffaugt, der bei der Exhumierung anwesend ge- Mai jenen Jahres kategorisch fest: »Einen Gestapochef Meier hat Zeit, bis 1979/80 die früheren Kompaniechefs Friedolin Guth und wohin sich Meyer und seine Leute, die deutschen Zollbeamten sowie wesen war und der die jüdischen Kinder selbst in Sicherheit gebracht es in Annemasse nicht gegeben. In Annemasse selbst war auch kein Johannes Lottmann sowie eine Reihe von Regimentsangehörigen ein Teil der Angehörigen des Polizeiregiments 19 im August 1944 – hatte, sprach von der Tötung einer »Gruppe von sechs Personen«, Kommando der Sipo und des SD stationiert.«9 zu dem Vorwurf vernommen wurden, für die Tötung zahlreicher womöglich aufgrund eines Handels mit der französischen Résistance zu der außer Marianne Cohn die erwähnten fünf französischen Wi- Zwar wurden in der Folgezeit noch verschiedene ehemalige französischer Staatsangehöriger verantwortlich gewesen zu sein. – hatten absetzen können und wo sie interniert und registriert worden derstandsangehörigen zählten. In der deutschen Übersetzung seiner Angehörige deutscher Dienststellen in Frankreich namens »Meier« Guth war nach dem Krieg in Argentinien untergetaucht und sagte waren, unterblieben so gut wie ganz. Und als die Zentralstelle Köln Erklärung, die die Zentrale Stelle anfertigen ließ, hieß es dagegen (oder Meyer) als Tatverdächtige überprüft, und zeitweilig setzte sich dort in der Deutschen Botschaft aus, er entsinne sich an »eine Gruppe das dort anhängige Sammelermittlungsverfahren gegen Beteiligte irrtümlich: »Am 3. Juli [sic] führte die Gestapo von diesen älteren in der Zentralen Stelle, wie ihr Dienstherr Adalbert Rückerl dem von 25 jungen französischen Juden, die vom Zollgrenzschutz beim an der »Endlösung der Judenfrage« in Frankreich 1985 einstellte,15 Kindern sechs, darunter auch Marianne, außerhalb der Stadt und Justizministerium von Baden-Württemberg 1970 mitteilte, auch Versuch, die Grenze zu überschreiten, festgenommen worden wa- gab die deutsche Justiz – nach insgesamt 23 Jahren schleppend wir fanden die Kadaver dieser sechs unglücklichen Jugendlichen die Vermutung durch, »Meier« müsse mit alias Klaus ren«. Im Pax-Gefängnis habe der SD Häftlinge geschlagen. »Chef verlaufener Ermittlungsarbeit – die Suche nach den Mördern von auf einem Leichenfeld bei Ville-la-Grand einige Tage nach der Altmann identisch sein, dem früheren Gestapochef von Lyon, der des SD«, das wusste Guth noch nach Jahrzehnten, »war Meyer aus Marianne Cohn endgültig auf. Welcher Deutsche namens Meyer die Befreiung der Stadt«. So lag den Ermittlungen von Beginn an ein in Südamerika vermutet wurde10 – was wiederum langwierige Aus- München«. Auch Lottmann, der in Frankreich in Abwesenheit zum junge Frau am Morgen des 7. August 1944 unter dem Vorwand, sie Irrtum zugrunde. kunftsersuchen, Aufenthaltsermittlungen, Beschaffung von Personal- Tode verurteilt worden war und seinen Lebensabend unbehelligt in werde zur Aburteilung nach Lyon überstellt, aus dem Gefängnis von Kurz darauf führte die Untersuchungsstelle für NS-Gewaltver- akten, Lichtbildern usw. nach sich zog. Aber Mitte der 1970er Jahre Bochum verbrachte, gab zu Protokoll, dass ihm der »Name Meyer Annemasse hatte holen lassen, um sie einer enthemmten Soldateska brechen beim Landesstab der Polizei Israel, vermutlich auf Anfrage kam die Zentralstelle für die Bearbeitung von NS-Massenverbrechen […] irgendwie in Erinnerung« sei: »es könnte der Leiter der Außen- auszuliefern, wissen wir bis heute nicht. aus Ludwigsburg, die Vernehmung von drei Überlebenden durch, in Köln, die das Verfahren inzwischen übernommen hatte,11 zu dem stelle des SD in Annemasse gewesen sein«.13 unter ihnen Emanuel Racine und Leon Eisikman, und schickte 1963 Schluss, dass die Ermittlungen ausgeschöpft seien. Staatsanwalt Weitere Zeugen bestätigten diese Angaben, so dass der ermit- einen Zwischenbericht über die Vorgänge in Ville-la-Grand nach Holtfort – damit endet die in seinem Nachlass vorgefundene Akte telnde Dortmunder Oberstaatsanwalt Hermann Weissing, der in- Nachtrag Deutschland.8 Während Racine angab, er habe bei der Exhumierung – legte nach Rücksprache mit seinem Vorgesetzten 1976 einen Ver- zwischen auch Unterlagen des Militärgerichts Lyon ausgewertet die Leiche Marianne Cohns identifi ziert, lieferte der Zeuge Eisikman, merk an, in dem es hieß: »Weitere Erkenntnisse über die Identität hatte, im Jahr 1981 den Sachstand – soweit man heute sagen kann Im Jahr 2004 startete das Center in Jerusalem die der als Zwölfjähriger mit einer anderen Kindergruppe ebenfalls vom des ›Gestapo-Chef von Annemasse‹ Meyer haben sich auch nach – erstmals annähernd richtig zusammenfasste. Er konstatierte jetzt, Operation Last Chance, mit der bislang unbestrafte NS-Verbrecher deutschen Zoll verhaftet und im Pax-Gefängnis festgehalten worden der Vernehmung weiterer Zeugen durch das LKA nicht ergeben. Der im Gegensatz zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen, dass es aufgespürt werden sollten. Die Fernsehsendung »Monitor« berichtete war, eine genaue Beschreibung des Offi ziers, der ihn dort verhört Vorgang ist als abgeschlossen (ausermittelt) anzusehen.« »in Annemasse eine dem Grenzkommissariat unterstellte, darüber, und dabei wurde eine Fotografi e in Ausschnitten zum ersten hatte. Dieser sei von den Gefangenen als »Gestapochef Mayer« mit drei Männern besetzte Dienststelle des SD und der Gestapo, die Mal öffentlich verbreitet, die den Atem stocken lässt. Bei deutschen bezeichnet worden. Über den Tathergang konnte der Zeuge nur vom Grenzpolizeistelle«, gegeben hatte. Damit klärten sich auch die Um- Soldaten, die 1944 von der französischen Résistance gefangen ge- Hörensagen berichten. Französische Partisanen, so erinnerte er sich, 23 Jahre schleppend verlaufene Ermittlungsarbeit stände der Ermordung von Marianne Cohn: »Am 8.7.1944 verbrach- nommen oder getötet worden waren, waren drei Fotos gefunden hätten ihnen später erzählt, dass Marianne Cohn und eine Reihe älte- ten die Angehörigen der Grenzpolizeistelle Annemasse Mansholt worden, von denen eines augenscheinlich die Vergewaltigung ei- rer Kinder erschossen worden seien und »Mayer« sich in die Schweiz Nun hätten schon die Ludwigsburger Ermittler die Möglichkeit in und Pilz auf Befehl ihres Vorgesetzten Friedrich Meyer und nicht ner noch lebenden Frau mit einem scharfen Gegenstand zeigt. Die abgesetzt habe. Diese Version ging in den israelischen Bericht ein, Erwägung ziehen können, dass »Gestapo« für die Franzosen ein ermittelte Zollbeamte sechs im Gefängnis in Annemasse festge- Frau ist umgeben von vier uniformierten Männern mit lachenden und sie schien den Irrtum der deutschen Behörden zu stützen. Sammelbegriff für den Repressionsapparat der Besatzer gewesen haltene französische Staatsangehörige, und zwar Marianne Collin Gesichtern, die sie niederhalten. Die Vermutung, dass es sich um Zwischen 1963 und 1967 geschah in Ludwigsburg so gut wie war. Zudem wurden Angehörige der Sicherheitspolizei und des SD [sic], Marthe-Louise Perrin, Felix-François Debore, Julien-Edmond die wenig später ermordete Marianne Cohn handelt, beruht darauf, nichts, was die Aufklärung des Mordfalles hätte voranbringen kön- auch bei anderen Stellen, unter anderem bei Grenzorganen, ein- Deuparc, Henri-François Jaccaz und Paul-Léon Regard, in den Bois dass Zeugen bei der Exhumierung ihre Bekleidung und Schuhe wie- nen, so dass die Israelis 1968 eine noch immer ausstehende Antwort gesetzt. Die Staatsanwaltschaft Köln ließ 1976 eine Vernehmung de la Rape in Ville-la-Grand bei Annemasse. Dort erschossen oder dererkannt hatten.16 Die Veröffentlichung des Fotos im Fernsehen auf ihren fünf Jahre zuvor übermittelten Zwischenbericht anmahnen durchführen, bei der ein Beschuldigter einräumte, dass er sich erschlugen sie die Franzosen unter Mitwirkung Kollibays, eines und auf Flugblättern brachte, trotz der gut erkennbaren Gesichter mussten. Und nachdem die Zentrale Stelle die Vernehmung einer Ende 1943 bei der Sicherheitspolizei und dem SD in Lyon zum Zollbeamten namens Rogenstein und nicht ermittelter Angehöriger der Täter, keine Hinweise, die die Justiz zur Wiederaufnahme des Reihe von Zeugen aus dem Befehlsbereich des Kommandeurs der Dienst gemeldet und unmittelbar darauf seine Kommandierung der 2. [Kompanie]/SS-Polizeiregiment Nr. 19. Bei der Exhumierung Verfahrens hätte veranlassen können. Sicherheitspolizei Lyon durch die zuständigen Landeskriminaläm- zum »Grenzpolizeikommissariat in Annemasse« erhalten habe.12 der Leichen Ende August 1944 wurden die Opfer mit zertrümmertem ter veranlasst hatte, die erwartungsgemäß alle ergebnislos blieben, Im gleichen Jahr 1976 geriet zudem das SS-Polizeiregiment 19, beziehungsweise gespaltenem Schädel vorgefunden.«14 wurde 1967 ein zweiter Irrtum zu den Akten genommen, der das das 1944 in Annemasse stationiert und im Hôtel Pax untergebracht Was hier zitiert wird, stammt allerdings nicht, wie man vermuten ganze Verfahren praktisch zum Stillstand brachte. Der mit den Vor- war, in den Blick der Dortmunder Zentralstelle für die Bearbeitung könnte, aus einer Anklageschrift, sondern aus der Verfügung, mit ermittlungen gegen den »Gestapochef« von Annemasse befasste von NS-Massenverbrechen. Es verging allerdings wiederum viel der das Verfahren gegen den Kompaniechef Lottmann und andere Ludwigsburger Oberstaatsanwalt Heinz Artzt, der die Zahl der an- 1981 von der Zentralstelle Dortmund eingestellt wurde. Alle als geblich erschossenen Kinder nunmehr mit sechs angab, hielt im Täter angeführten Männer waren inzwischen entweder verstorben oder wurden für unbekannt erklärt. Nachforschungen in der Schweiz, 15 Vfg. Zentralstelle Köln, 130 (24) Js 1/66, 21.6.1985, Hauptstaatsarchiv Düssel- 9 Zentrale Stelle Ludwigsburg an das LKA Nordrhein-Westfalen, 18.5.1967. dorf, Gerichte Rep. 158, Nr. 1577, Bl. 7783–7794. In dieser Einstellungsverfü- 10 Schreiben Rückerl an das Justizministerium Baden-Württemberg, 4.2.1970, gung wird das nach Köln abgegebene Verfahren gegen den »Gestapochef von Zentrale Stelle Ludwigsburg, 114 AR-Z 390/59, Bd. III, Bl. 511–515. Annemasse« allerdings nicht eigens genannt. 7 Jüdisches Dokumentationszentrum Wien an die Zentrale Stelle Ludwigsburg, 11 Zur Abgabe des Ludwigsburger Ermittlungsverfahrens 114 AR-Z 1554/62 nach 16 In der »Monitor«-Sendung vom 8.7.2004 wurde der Historiker Stefan Klemp zur 6.11.1962; Attestation Jean Deffaugt, 29.9.1962 (Kopie). Köln siehe Schreiben Rückerl an das Justizministerium Baden-Württemberg, 13 Vernehmung F. Guth, 12.5.1980, Zentrale Stelle Ludwigsburg, 114 AR-Z 175/76, Herkunft der Fotografi en befragt. Klemp legte der Zentralstelle Dortmund 2004 8 Vernehmung L. Eisikman, 15.2.1963; Vernehmung E. Racine, 17.2.1963; Unter- 19.1.1972, Zentrale Stelle Ludwigsburg, 114 AR-Z 390/59, Bd. II, Bl. 414–419. Bd. II, Bl. 424–431; Vernehmung J. Lottmann, 22.4.1980, ebd., Bd. I, Bl. 61–66. neues Beweismaterial vor und benannte weitere frühere Angehörige des SS-Poli- suchungsstelle für N.S. Gewaltverbrechen beim Landesstab der Polizei Israel, 12 Vernehmung H. Hebestreit, 20.7.1976, zit. in: Vfg. Staatsanwaltschaft München I, 14 Vfg. Zentralstelle Dortmund 45, Js 14/78, 9.6.1981, Zentrale Stelle Ludwigsburg, zeiregiments 19, die an der Ermordung von Marianne Cohn beteiligt gewesen Zwischenbericht No. 1, 25.2.1963. 7.5.1985, Zentrale Stelle Ludwigsburg, 114 AR 105/85, Bl. 19–20. 114 AR-Z 175/76, Bd. II, Bl. 594. sein könnten.

24 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 25 ihrer Gesamtheit. Sobald die Initiative aus dem Umkreis des libe- Bruchteil der Gesamtbevölkerung. In ihrer absoluten Mehrheit hätte ralkonservativen Staatspräsidenten Komorowski bekannt wurde, sich die polnische Gesellschaft gleichgültig oder feindlich gegenüber setzte eine intensive, auch emotional geführte Debatte ein. Barbara den Juden in Not verhalten, und zwar – so die drei Autorinnen – nicht Engelking, Leiterin des Zentrums für Holocaustforschung an der deshalb, weil die deutschen Besatzer diese Hilfe mit der Todesstrafe Polnischen Akademie der Wissenschaften, schrieb am 4. April 2013 bedrohten, sondern aus Mangel an Überzeugung. Die Denkmal-Idee Verehrung und Missbrauch in der führenden, linksliberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, sei daher Ausdruck »polnischer moralischer Panik«. »Die Hilfe für ein solches Denkmal dürfe nicht am Ort jüdischen Leidens und Juden war immer vereinzelt und sie wurde gegen die allgemein Zur polnischen Debatte über die Gerechten Sterbens errichtet werden. Engelking sprach von einer polnischen herrschende Einstellung geleistet, nicht im Einklang mit ihr. Und Einverleibung und Deformation eines jüdischen Erinnerungsorts.1 deshalb war sie so extrem gefährlich.« Daraufhin verteidigte der ehemalige polnische Außenminister und Zygmunt Rolat und sein Denkmalkomitee ließen sich nicht von Martin Sander Auschwitz-Häftling sowie 1965 als Gerechter unter den Völkern beirren. Ein weiteres prominentes Mitglied des Komitees, der Grün- ausgezeichnete Władysław Bartoszewski die Denkmalinitiative mit der und langjährige Herausgeber der Zeitschrift Midrasz, Kons- dem Hinweis, es gebe auf dem Platz seit 2000 auch ein Denkmal tanty Gebert, argumentierte auf einer Tagung Ende 2014: »Soll für .2 Ende 2013 stellte sich ein »Komitee zum Bau dieses Denkmal also öffentlich zum Ausdruck bringen, dass sie eines Denkmals der Gerechten am Museum der Geschichte der rechtschaffen, würdig und edel handelten, während ihre Nachbarn, Um den Platz der Helden des Ghettos an polnischen Juden« öffentlich vor. Ihre Mitglieder bekannten sich vor denen sie Angst haben mussten, sich schändlich und unwürdig der Ludwik-Zamenhof-Straße im Zen- zur »jüdischen Identität«; sie betonten, das Denkmal sei Ausdruck verhielten? Ja, lasst uns das in aller Öffentlichkeit sagen. Natürlich trum von Warschau rankt sich eine viel- »jüdischer Dankbarkeit« und werde aus »jüdischen Geldern« fi - werden Schufte dieses Denkmal für ihre Ziele missbrauchen. Aber deutige Symbolik. Im Warschauer Ghetto, nanziert. Eine maßgebliche Rolle im Komitee spielt seither der Schufte werden alles nutzen, um ihre schuftige Sicht der Welt zu Dr. Martin Sander, geboren 1958, dem größten Ghetto Europas, schlossen die deutschen Besatzer US-amerikanische Geschäftsmann Zygmunt Rolat, der den Ho- verteidigen. Hier geht es um einen Ort, an dem man öffentlich dem studierte Germanistik, Slawistik und über 400.000 Juden ein, um sie später ins NS-Vernichtungslager locaust in Tschenstochau mit polnischer Hilfe überlebt hat. Rolat Anstand huldigt.«5 Philosophie an der Freien Universität Treblinka zu deportieren. Im Frühjahr 1943 brach am heutigen gehörte zu den bedeutendsten Sponsoren des Polin-Museums. Im Heute, nach mehr als zwei Jahren Debatte, steht vor dem Polin- Berlin. Promotion über polnisch-deut- Platz der Helden des Ghettos der bewaffnete Aufstand der Juden Denkmal für die Gerechten sieht er eine unentbehrliche Ergänzung Museum noch kein Denkmal zu Ehren der polnischen Gerechten. sche Literaturbeziehungen nach 1945. los. Deshalb enthüllte man hier 1948 – noch inmitten einer Rui- des Museums.3 Dies hat nichts mehr mit der Frage zu tun, ob es das Monument 1986–1991 DAAD-Lektor in Lublin nenlandschaft – das Denkmal von Nathan Rapaport zu Ehren der Im März 2014 erhob sich erneut Widerspruch gegen die Denk- geben soll oder nicht. Denn sein Bau ist inzwischen beschlossene (Polen), 1998 und 2001 DAAD-Gast- jüdischen Aufständischen und der ermordeten jüdischen Nation. malpläne. Zweihundert Wissenschaftler in Polen und im Ausland Sache. Offen ist nur noch, welche Form es haben und von wem es dozent in Mostar (Bosnien-Herzego- Rund zwei Jahrzehnte später, im Dezember 1970, kniete der deut- bezeichneten diese Pläne als Exorzismus und Versuch, eine natio- errichtet werden soll. Zugleich verschärft sich derzeit der Ton in wina). Arbeitet seit 1995 regelmäßig sche Bundeskanzler Willy Brandt vor Rapaports Denkmal nieder. nalpolnische Geschichtspolitik auf dem ehemaligen Ghettogelände der polnischen Gesellschaft über die Rolle der katholischen Polen als freier Mitarbeiter für das Deutsch- Brandt erklärte später dazu, er habe das Gefühl gehabt, vor dem durchzusetzen. Die Wissenschaftlerinnen Elżbieta Janicka, Helena im Holocaust. Die Position der seit Herbst 2015 amtierenden natio- landradio, den SWR und WDR, gele- Abgrund der deutschen Geschichte zu stehen. Siebzig Jahre nach Datner und Bożena Keff schrieben in einem mehrfach veröffent- nalkonservativen PiS-Regierung unter der informellen Leitung von gentlich für die Neue Zürcher Zeitung dem Ghettoaufstand wurde neben dem Rapaport-Denkmal das lichten Protestbrief an das Komitee: »Das Denkmal der Dankbarkeit Jarosław Kaczyński ist eindeutig: Die Polen sollen vor allem als und weitere Printmedien. Übersetzer Polin-Museum der Geschichte der polnischen Juden eröffnet. Das gegenüber den Rettern soll auf der Asche derer stehen, denen nie- Gerechte in die Geschichte eingehen. Retter-Denkmäler sollte es aus dem Polnischen (Die Welt des Jan Museum dokumentiert nicht nur den Holocaust, sondern eintausend mand half und helfen wollte. Der hier geführte Streit über Symbo- daher so viel wie möglich geben, auf dem Platz der Ghettohelden und Himilsbach). Von 2010 bis 2015 war Jahre jüdischer Geschichte in Polen. le verdrängt die Tatsachen, verschleiert die Offensichtlichkeit des andernorts in Polen, am liebsten so viele wie für den Staatsgründer Sander als Kulturkorrespondent in Während man das Polin-Museum baute, entstand eine weitere Schicksals der Juden, die hier und andernorts in extremer Einsamkeit Józef Piłsudski oder den polnischen Papst Johannes Paul II. Wäh- Warschau tätig und hat sich intensiv Initiative zur Ausstattung des Erinnerungsraums auf dem Platz der starben.«4 rend Rolat und Gebert mit dem geplanten Denkmal die polnischen mit der Kultur- und Geschichtspolitik Helden des Ghettos. Aus der Kanzlei des damaligen polnischen Die im Vergleich mit anderen Ländern hohe Zahl von 6.500 Gerechten für ihre persönliche Leistung ehren wollen, geht es den Polens beschäftigt. Staatspräsidenten Bronisław Komorowski drang zwei Wochen oder sogar 10.000 polnischen Gerechten umfasse nur einen kleinen Nationalkonservativen um das Image der Nation und darum, ihre Arbeitsschwerpunkt: Literatur, Kultur vor dem 70. Jahrestag des Ghettoaufstands der Vorschlag an die Kritiker zum Schweigen zu bringen. Dieser derzeit staatsoffi ziellen und Geschichte in Mittel- und Südost- Öffentlichkeit, neben dem neuen Museum solle ein Denkmal für Version zufolge war der gesamte polnische Untergrundstaat, die europa. Aktuelles Forschungsprojekt: die polnischen Gerechten errichtet werden, also für jene Polen, AK (Armia Krajowa, dt. Heimatarmee), ihre Verbündeten und die Recherchevorhaben zu Alltag und die im Zweiten Weltkrieg ihre jüdischen Nachbarn vor den Deut- 1 Barbara Engelking, »Getto, powstanie, pomnik Sprawiedliwych. Cierpienie wy- polnische Exilregierung seit Beginn der deutschen Vernichtungs- Widerstand im besetzten Warschau. schen retteten. Wer zu den polnischen Gerechten zählt, wurde in maga ciszy i przestrzeni«, in: Gazeta Wyborcza, 4.4.2013. politik auf allen Ebenen damit beschäftigt, den bedrohten Juden zu 2 Eine genaue Zusammenfassung der Debatte fi ndet sich bei Katrin Stoll, »Der der darauf folgenden Debatte unterschiedlich interpretiert. Für die Raum des (eh.) Warschauer Gettos. Eine topographische Annäherung«, Vortrag helfen. Die polnische Regierung bereitet sogar ein Gesetz vor, nach einen ging es um jene 6620 Polen (Stand von 2016), welche die für werkraum bild und sinn, Berlin, 12.12.2014, unveröffentlichtes Manuskript. dem mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden kann, wer israelische Gedenkstätte Yad Vashem »Gerechte unter den Völkern« 3 Zygmunt Rolat, »Jak uczcić sprawiedliwych. Nie twórzmy nowego getta«, in: nennt. Für andere ging es um eine weitaus größere Gruppe von Gazeta Wyborcza, 19.4.2013. 4 Elżbieta Janicka, Bożena Keff, Helena Datner, »Polska panika moralna. Czy upa- Menschen, die unter deutscher Terrorherrschaft unter Einsatz ihres miętnić Sprawiedliwych koło Muzeum Historii Żydów Polskich«, in: Gazeta Wy- 5 Konstanty Gebert, Mitschrift der Podiumsdiskussion des Jüdischen Historischen Lebens Juden halfen, für wieder andere um die polnische Nation in borcza, 30.5.2014. Instituts am 13.11.2014, unveröffentlichtes Manuskript im Besitz des Autors.

26 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 27 der polnischen Nation eine Mitverantwortung an den Verbrechen Siły Zbrojne (dt. Nationale Streitkräfte), der militärische Arm der Nazideutschlands zuschreibt. Sollte dieses Gesetz in Kraft treten, nationalen Rechten im Untergrund, arbeiten beim Judenmord direkt müssten viele polnische und internationale Forscher verurteilt oder mit den Deutschen zusammen. gar interniert werden, da sie die Teilnahme von Polen am Holocaust Prekär war die Lage der Juden bereits in den 1930er Jahren in ihren Arbeiten dokumentieren.6 gewesen – gekennzeichnet von Wirtschaftsboykotten, Zulas- sungsbeschränkungen an den Hochschulen und wachsendem An- tisemitismus. Unter der deutschen Besatzung und ihrer radikalen Juden, Polen und der Terror der Deutschen »Endlösungs«-Politik, die vor den Augen der Polen stattfi ndet, radikalisiert sich auch die ablehnende Einstellung innerhalb der Im September 1939 verschwindet Polen als souveräner Staat ein polnischen Mehrheitsgesellschaft gegenüber den Juden. Auf diese weiteres Mal in seiner Geschichte von der Landkarte, diesmal auf- Haltung müssen und wollen die Anführer des Untergrundstaats geteilt zwischen Hitlerdeutschland und Stalins Sowjetunion. Aber Rücksicht nehmen, um nicht an Popularität einzubüßen. De facto bereits wenige Wochen darauf ersteht Polen wieder als Staat im laviert man zwischen den eigenen Ansprüchen und den Erwartungen Untergrund. Aus dem »Dienst für den Sieg Polens« entwickelt sich vieler Polen im besetzten Land. Als nach der Wannseekonferenz im später die AK. Die AK kooperiert mit jenen ins Ausland gefl üch- Laufe des Jahres 1942 das Ausmaß der deutschen Vernichtungspo- teten Vertretern der zerschlagenen Republik, die sich zunächst im litik klar wird, schlagen Vertreter des polnischen Untergrundstaats französischen Angers und später in London zur polnischen Regie- bei der Exilregierung Alarm. Diese leitet Informationen über den rung im Exil aufgeschwungen haben und dort engen Kontakt zu deutschen Judenmord auf polnischem Boden an die Regierungen den Westalliierten unterhalten. Unter der militärischen Führung in Großbritannien und den USA weiter, allerdings mit zeitlicher der AK arbeitet eine Vielzahl von Einrichtungen konspirativ. Die Verzögerung und erst, als die Jewish Agency ähnliche Berichte Besatzer können meist nur ahnen, was im Untergrund passiert: Es von Flüchtlingen in Palästina bekannt gemacht hat. Entscheidenden gibt politische Parteien von den Sozialisten bis zur antisemitischen Anteil an der Information der Weltöffentlichkeit über den Holocaust nationalen Rechten, Gerichte, Schulen, Theater und eine weit ge- hat indes ein katholischer Pole, der seit Anfang des Krieges als fächerte Presselandschaft. Das bedeutendste Blatt im Untergrund Untergrundkurier zwischen Warschau und London unterwegs ist – ist das Biuletyn Informacyjny, herausgegeben im Auftrag des Büros der junge Diplomat Jan Kozielewski, später international bekannt für Information und Propaganda der AK. Dieses Blatt wird zum geworden unter seinem Decknamen Jan Karski. Karski hat in gehei- wortmächtigen Sprachrohr der liberalen Demokraten im Untergrund mer Mission das Warschauer Ghetto besucht, sich in ein Konzent- und kommentiert von Beginn an die Entrechtung der Juden, die rationslager einschleusen lassen und mit führenden Vertretern der in Warschau über ein Drittel der Bevölkerung stellen. Mit Jerzy polnischen Juden gesprochen. Im Sommer 1943 trifft Karski dann Grasberg beschäftigt das Biuletyn einen eigenen Korrespondenten mit US-Präsident Roosevelt zusammen, um ihn über die Lage im im Ghetto. Die Linie des Biuletyn Informacyjny gibt in grundsätz- besetzten Polen zu informieren. Eines der Themen ist die deutsche Oben, von links nach rechts: lichen Fragen die Auffassung der Führung des Untergrundstaats Vernichtungspolitik gegenüber den Juden.7 In seiner Berichterstat- Wanda Krahelska-Filipowicz (1886–1968) war Aktivistin der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) sowie Mitbegründerin des »Rats für die und der Exilregierung wieder. Diese proklamieren die Gleichbe- tung für die Exilregierung äußert sich Jan Karski zum Missfallen Unterstützung der Juden« (Żegota). rechtigung aller polnischen Bürger – unabhängig von religiösem einiger Vorgesetzter auch kritisch über das Verhältnis von Polen Irena Sendler (1910–2008) organisierte die Kindersektion der 1942 Bekenntnis und ethnischer Zugehörigkeit, also auch die Rechte der und Juden unter deutscher Besatzung. Karski diagnostiziert einen gegründeten Żegota. polnischen Juden. Doch es gibt ein Problem: Teile der polnischen zwar minimalen, gleichwohl fatalen Konsens zwischen deutschen Zofi a Kossak-Szczucka (1889–1968) war eine polnische Schriftstellerin, Widerstandskämpferin und Initiatorin der Żegota. Bevölkerung denken anders. Ausschreitungen gegen Juden sind an Besatzern und zahlreichen ethnischen Polen bei der Verdrängung Fotos: public domain der Tagesordnung. Juden, die den Deportationen aus den Ghettos der Juden aus der Gesellschaft.8 durch Flucht auf die »arische Seite« entkommen, fürchten sich oft Jan Karski steht in Verbindung mit einer polnischen Katho- Mitte: Ruinen des Warschauer Ghettos im Jahre 1945; links der eher vor einer Denunziation durch ihre polnischen Nachbarn als likin, die eine herausragende Rolle bei der Rettung von Juden im Krasiński-Garten und die Straße Swiętojerska. Der ganze Stadtbezirk wurde nach der Unterdrückung des Warschauer Ghettoaufstandes 1943 vor dem direkten Zugriff der weniger orts- und menschenkundigen besetzten Polen spielt. Zofi a Kossak-Szczucka ist vor dem Zweiten eingeebnet. Foto: Zbyszko Siemaszko, publik domain Deutschen. Es kommt zu Massakern an jüdischen Zivilisten durch Weltkrieg als Autorin historischer Romane, aber auch durch Pam- unterschiedliche Partisanengruppen. Beteiligt sind auch unterge- phlete aufgefallen, in denen sie die Juden aus ultrakatholischer Links: Bronzetafel am »Denkmal des Kniefalls«. Am 7. Dezember 1970 ordnete Einheiten der AK. Die mit der AK verbündeten Narodowe Position angreift und ihnen vorwirft, die polnische Gesellschaft legte Bundeskanzler Willy Brandt am Ehrenmal der Helden des Ghettos in Warschau einen Kranz nieder. Nach dem Richten der Kranzschleife sank er auf die Knie und verharrte schweigend. Foto: public domain

6 Ein bedeutender Beitrag aus jüngster Zeit dazu stammt von , Hunt 7 Vgl. Jan Karski, Mein Bericht an die Welt. Geschichte eines Staates im Unter- for the Jews. Betrayal and murder in German-occupied Poland, Bloomington, grund, München 2011. Indiana 2013. 8 Vgl. Andrzej Żbikowski, Karski, Warszawa 2011.

28 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 29 zu korrumpieren. Unter dem Eindruck des deutschen Besatzungs- Unter diesen Voraussetzungen gestaltete sich das Leben der amerikanischen Botschaft, die Juden seien verhasst, weil sie den nationale Loyalität jüdischer Kommunisten und Intellektueller in terrors ändert sie ihre Haltung. In der Untergrundpresse prangert jüdischen Rückkehrer als schwierig bis aussichtslos. Zwar genos- Kommunismus propagierten. Kaczmarek nennt als vermutliche Frage. Im Frühjahr 1968 warnt Parteichef Władysław Gomułka vor sie die Deutschen für Verbrechen an den Juden an und warnt ihre sen sie nun einen gewissen, wenn auch keinen sehr weitgehenden Anstifter des »gewisse kommunistische jüdische Elemen- den Umtrieben der angeblich privilegierten Kinder des jüdischen polnischen Leser in einem streng bis verzweifelt unterweisenden Schutz durch das neue Regime. In der Regel waren sie aber keine te«. Außerhalb des Retter-Diskurses bewegt sich der Bischof von Establishments, als diese Kinder an den Universitäten für mehr Ton vor einer Mitwirkung am Holocaust. Die polnischen Nutznie- gern gesehenen Heimkehrer, zumal nicht unter jenen Nachbarn, die Tschenstochau, Teodor Kubin. Er unterweist die Gläubigen mit den Demokratie im Sozialismus demonstrieren. Nationalkommunisten ßer der deutschen Mordtaten befl eckten die Ehre der polnischen zwischenzeitlich ihr Eigentum und oft auch ihre gesellschaftliche Worten, nichts könne das den Zorn Gottes weckende Verbrechen ziehen durch die Betriebe, um die angeblich antipolnische Einstel- Nation. Zwar bleiben die Juden in den Augen von Kossak-Szczucka Position übernommen hatten. Viele Polen sahen in den jüdischen von Kielce rechtfertigen. Es entspringe einem kriminellen Fanatis- lung der wenigen noch in Polen ansässigen Holocaustüberlebenden Gegner, mit denen man nach Kriegsende im polnischen Interes- Rückkehrern natürliche ideologische Verbündete der neuen kommu- mus. Für seine Abweichung von der Bischofslinie wird Kubin vom anzuprangern. Sie seien, so heißt es, illoyal, da sie der polnischen, se abrechnen werde. Im Augenblick gehe es aber im Sinne der nistischen Machthaber. Das spätestens seit der Oktoberrevolution polnischen Episkopat gemaßregelt.10 in diesem Falle kommunistischen, Retternation ihre Dankbarkeit christlichen Gebote darum, das Leben dieser Gegner zu retten. verankerte Feindbild der »Żydokomuna« (dt. Judenkommune), das Zwei Jahrzehnte später ist es weniger die katholische Kirche verweigerten. Deshalb könnten sie ihrerseits nicht mehr auf Soli- Kossak-Szczucka kündigt Strafen des Untergrundstaats für Kol- die Gleichsetzung von Juden und Kommunisten sprachlich ver- als vielmehr die kommunistische Partei, die den Retter-Diskurs in darität zählen. In der Praxis bedeutet dies: Säuberungen im Partei- laborateure an. dichtet, lebt unter den Nachkriegsverhältnissen auf und befeuert den Mittelpunkt ihrer antijüdischen Propaganda stellt. Es rumort apparat, Entlassungen in Betrieben und an Universitäten. Am Ende Im September 1942 geht die »große Aktion« im Warschauer den Hass. Juden werden nach Kriegsende weiterhin verfolgt. Die unter den national gesinnten Parteifunktionären spätestens seit steht die erzwungene Ausreise von ungefähr 13.000 Juden unter Ghetto dem Ende entgegen: Die deutschen Besatzer hatten seit dem Zahl der Todesopfer bei antisemitischen Überfällen, Ausschreitun- 1967, als Israel im Sechstagekrieg siegt und im ganzen Ostblock Aberkennung der polnischen Staatsbürgerschaft. National gesinnte 22. Juli täglich Tausende Juden aus dem Warschauer Ghetto in das gen und Pogromen in der unmittelbaren Nachkriegszeit schätzen eine antizionistische Kampagne anhebt. Immer lauter stellt man die Genossen übernehmen die frei gewordenen Plätze. Nur eine kleine in einem Wald an der Bahnstrecke von Warschau nach Białystok Historiker auf ein- bis zweitausend. Für diese Bilanz tragen auch Gruppe von Studenten und Intellektuellen der Mehrheitsgesellschaft gelegene Vernichtungslager Treblinka deportiert. In dieser Situation die kommunistischen Machthaber Verantwortung. Während also protestiert – ohne Erfolg. Die Partei trumpft vor allem mit einer gründet die gläubige Katholikin Zofi a Kossak-Szczucka gemeinsam polnische Antikommunisten die neuen Machthaber als jüdisch eti- allumfassenden Medienkampagne gegen die angebliche Undank- 10 Vgl. Bożena Szaynok, Żydów w Kielcach 4 lipca 1946 roku, Warszawa mit der Sozialistin Wanda Krahelska-Filipowicz und anderen die kettieren, spielt das Regime selbst sein eigenes Machtspiel mit dem 1992; vgl. auch Łukasz Kamiński, Jan Żaryn (Hrsg.), Wokół pogromu kieleckie- barkeit der Geretteten auf. Mit Ausnahme der Wochenzeitschrift Żegota. Dieses Komitee zur Hilfe für Juden unterstützen verschie- Antisemitismus. Dies zeigt sich besonders deutlich im Pogrom von go, Bd. 1, Warszawa 2006. Polityka, einem Forum der Reformkräfte in der Partei, machen dene demokratische Parteien im Untergrund, abgesehen von der Kielce, dem am 4. Juli 1946 vierzig Menschen zum Opfer fallen, Nationalen Rechten. Die Żegota erhält Gelder von jüdischen Or- darunter 37 Juden. Ein Gerücht von einem angeblichen Ritualmord ganisationen in den Ländern der Alliierten. Damit kann sie falsche macht die Runde und bringt den Mob in Aufruhr. Juden hätten ein Papiere beschaffen, Verstecke außerhalb der Ghettos organisieren, christliches Kind entführt, um sein Blut für rituelle Zwecke zu ver- Lebensmittel, Medikamente und Kleidung für Bedürftige auftrei- wenden. Die kommunistischen Sicherheitskräfte schützen die Juden ben. Von herausragender Bedeutung ist auch das von Irena Sendler von Kielce nicht. Polizisten und Soldaten beteiligen sich sogar an geleitete Kinderreferat der Żegota. Die Sozialarbeiterin Sendler und den Ausschreitungen. ihre Helfer schmuggeln Tausende von Kindern aus dem Warschauer In der Folge fl üchtete ein großer Teil der etwa 300.000 pol- Beliebt und gefürchtet Ghetto und bringen sie in Kinderheimen oder Familien unter. Wie nischen Holocaustüberlebenden ins Ausland, weil niemand mehr Die bayerischen Landräte im Dritten Reich viele Juden die Żegota insgesamt unterstützte und wie viele sie retten für ihre Sicherheit garantieren konnte oder wollte. Kielce wurde konnte, ist unbekannt. Die Zahl aller, die im besetzten Polen den Ho- zum Symbol einer auf ethnische Säuberung zielenden polnischen Von Dr. German Penzholz locaust überlebten, wird in neueren Untersuchungen auf höchstens Nachkriegspolitik. Die Motive für das Verhalten der Kommunisten 2016, 740 S., geb., 149,– € 50.000 geschätzt. Weitaus mehr Juden überlebten durch die Flucht sind bis heute umstritten: Antisemitismus oder ein Manöver zur ISBN 978-3-8329-7444-2 in die Sowjetunion.9 Ablenkung von anderen gesellschaftlichen Problemen. Die katho- eISBN 978-3-8452-3610-0 lische Kirche positioniert sich indes deutlich. Zwar missbilligen (Historische Grundlagen der Moderne, Bd. 8) ihre Vertreter die Gewalttaten an der jüdischen Bevölkerung in nomos-shop.de/14611 Das Echo der Vernichtung nach der Befreiung Kielce. Im Mittelpunkt steht aber der Gedanke, das Toben des Mobs von Kielce habe mit der Grundeinstellung der polnischen Mehrheit Im Dritten Reich entschied der Landrat über Freiheit oder Unfreiheit der Bewohner des ländlichen Für große Teile der polnischen Gesellschaft endete das Besatzungs- gegenüber den jüdischen Überlebenden nichts zu tun. Denn die Bayerns. Diese Studie untersucht zum ersten Mal die Rolle von bayrischen Landräten im nationalsozialistischen Regime und zeigt, warum sie, obwohl sie Hand in Hand mit der NSDAP trauma nicht mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die militärische Polen hätten als Retter der Juden vor den Deutschen ihre Solidarität zusammenarbeiteten, nach dem Krieg ihre Karrieren fortsetzen konnten. Befreiung Polens durch die Rote Armee markierte für die Juden eine unter Einsatz des eigenen Lebens während der deutschen Besatzung Befreiung von der Vernichtungspolitik. Für die Angehörigen des bewiesen. Der Primas der polnischen katholischen Kirche, Kardi- Untergrundstaats, dessen Tätigkeit sowohl gegen Hitlerdeutschland nal August Hlond, erklärt, das Verbrechen in Kielce sei keinem als auch gegen Stalins Sowjetunion gerichtet war, bedeutete der Rassismus zuzuschreiben, sondern der Zerstörung der zuvor guten eLibrarNomosy Einmarsch der Roten Armee Bedrohung und Verfolgung. Beziehungen der Polen zu den Juden, wofür im hohen Maße die Unser Wissenschaftsprogramm ist auch online verfügbar unter: www.nomos-elibrary.de Juden verantwortlich seien, die in Polen führende Positionen im Bestellen Sie jetzt telefonisch unter (+49)7221/2104-37. Staat bekleideten und dem Land ein System aufzwingen wollten, Portofreie Buch-Bestellungen unter www.nomos-shop.de das die ganz überwiegende Mehrheit des Volkes ablehne. Der Bi- Alle Preise inkl. Mehrwertsteuer 9 Vgl. Grabowski, Hunt of the Jews, S.127. schof von Kielce, Czesław Kaczmarek, argumentiert gegenüber der

30 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 31 alle mit. Der Journalist und Staatssicherheitsagent Ryszard Gontarz Retter für eine nationalkonservative Zukunft dreht 1968 sogar einen erfolgreichen Propagandafi lm unter dem Titel DIE GERECHTEN. Der Film sei, so Gontarz, als Antwort auf eine Noch vor wenigen Jahren galt die antisemitische Kampagne von unzureichende Ehrung der Gerechten durch Israel gedacht. »Dort 1968 unter dem Vorzeichen des Retter-Diskurses als einzigartiges wurden einige Polen von den Machthabern Israels als Gerechte der Relikt aus ferner Vergangenheit. Denn spätestens seit den 1980er Völker ausgezeichnet, als einzige Repräsentanten unseres Volkes, Jahren unter dem Einfl uss des demokratisch-bürgerrechtlich ori- die den Juden zur Zeit der Judenvernichtung Hilfe leisteten. Die entierten Teils der Solidarność-Opposition und vor allem nach der Botschaft lautete natürlich, dass es von solchen Gerechten in Polen Wende von 1989 hat sich die Betrachtung des polnisch-jüdischen so furchtbar wenige gab, dass es nur einzelne waren. Sie zeichnete Verhältnisses grundlegend gewandelt. Es sind Forschungszent- man aus, aber daneben währte eine gigantische antipolnische Kam- ren und Arbeitsschwerpunkte zur Aufarbeitung aller Aspekte des pagne in Israel und weltweit. Sie dauert übrigens bis heute an. Daher polnisch-jüdischen Verhältnisses entstanden. Wer heute etwa das die Idee zu diesem Film und seinem Titel ›Die Gerechten‹. Wir Jahrbuch des Holocaust-Zentrums der Polnischen Akademie der hielten es für angemessen, einen Film zu drehen, der die Wahrheit Wissenschaften zur Hand nimmt, wird mit einer Fülle neuer Detail- über die Hilfe zeigt, die das polnische Volk den Juden erwiesen studien zum Holocaust konfrontiert. Man untersucht die Planung und hat. Die These des Films lautet, dass es nicht nur ein Dutzend Ge- Durchführung der Verbrechen durch das deutsche Besatzungsregime, rechte gab, sondern Millionen.«11 Ferner erklärt Gontarz im Namen aber auch alle Schattierungen des polnisch-jüdischen Verhältnisses des polnischen Volkes: »Als wir den Juden halfen, trafen wir nicht im Zweiten Weltkrieg, vom gemeinsamen Widerstand gegen den nur auf den Widerstand der deutschen Besatzer, sondern auch auf NS-Terror über Themen der deutsch-polnischen Kollaboration bis die Passivität der jüdischen Massen und die Gegnerschaft diverser hin zu den psychosozialen Alltagsbeziehungen zwischen Judenret- jüdischer Einrichtungen, der jüdischen Polizei, des Judenrats, der tern und Geretteten.14 jüdischen Gestapo. Um zu helfen, mussten wir auch noch gegen Maßgeblich geprägt haben die öffentliche Debatte nach der Oben: Druckerei im Untergrund (ausgestellt im Museum des Warschauer Aufstands) diese Art von Kollaboration kämpfen.«12 Jahrtausendwende die Bücher Nachbarn und Angst des polnisch- Rechts: »Denkmal der Helden des Ghettos« – das vom Bildhauer Nathan Rapaport 15 Die Juden tragen dieser Logik zufolge selbst die Verantwortung amerikanischen Soziologen und Historikers Jan Tomasz Gross. erstellte Ehrenmal zum Gedenken des Aufstands im Warschauer Ghetto wurde am für ihre physische Bedrohung. Hierbei bedienen sich der kommu- Gross untersucht polnische Morde an Juden im und kurz nach dem 16. April 1948 in Warschau enthüllt. nistische Agent Gontarz und die vielen anderen regimetreuen Jour- Zweiten Weltkrieg. Nachbarn behandelt die Ermordung mehrerer Unten: Familie-Ulma-Museum in Markowa, für Polen, die Juden im Zweiten Welt- nalisten der gleichen Denkfi gur, welche die katholischen Bischöfe Hundert Juden durch ihre christlichen Nachbarn in der nordostpolni- krieg gerettet haben. In der Wand eingraviert die Namen von Rettern aus der Region. 1946 im Blick auf das Pogrom von Kielce benutzt hatten. Der Un- schen Kleinstadt Jedwabne im Sommer 1941. Gross’ These lautete, terschied: Die Kirchenoberen behaupteten, die Juden verdienten bei dem Massaker von Jedwabne und anderen Mordaktionen habe Fotos auf dieser Seite: Martin Sander keine Solidarität, weil sie die Polen an die Sowjets verraten hätten. es sich um eigenmächtige Gewalt von Polen gehandelt, selbst wenn Die Nationalkommunisten erklären, die Juden wären keiner Unter- diese den Deutschen ganz und gar entgegenkam. Damit löste der stützung würdig, weil sie der polnischen Nation nie loyal gegen- Autor ein Erdbeben aus, denn in Polen ist der im 19. Jahrhundert übergestanden hätten und im Krieg sogar lieber mit den Deutschen erwachsene Nationalmythos vom unschuldigen Opfer der Fremd- zusammengearbeitet hätten. herrschaft und vom polnischen Christus unter den Völkern bis heute Die intensive Phase dieser antisemitischen Kampagne währt wirkungsmächtig. Gross hatte demnach die Reinheit der Nation nur wenige Monate – von den Studentenunruhen im März 1968 bis befl eckt. Nach anfangs heftigem Widerspruch einiger Historiker Ende Juni des Jahres. Von einem Tag auf den anderen bricht der bestätigte das polnische Institut für Nationale Erinnerung (IPN) Propagandafeldzug dann ab. Die Zensurbehörde hat angeordnet, sich seine Darstellung in einem zweibändigen Sammelband. Das Buch mit jüdischen Themen fortan wieder zurückzuhalten. Die jüdische Nachbarn und die Debatte um Jedwabne brachten zugleich ans Licht, Ausreisewelle ist im Gang. Das Thema scheint ausgereizt.13 wie vereinsamt und zum Teil verhasst die wenigen Polen waren, die den Juden im Zweiten Weltkrieg zu Hilfe kamen. Dieses Muster wur- de erneut sichtbar, als der Bürgermeister von Jedwabne, Krzysztof

11 Ryszard Gontarz, Komentarz do fi lmu Sprawiedliwich, 1968, unveröffentlichte 14 Vgl. dazu zum Beispiel: Justyna Kowalska-Leder. »Coraz to nowe żądania, coraz Mitschrift des Interviews im Privatbesitz des Autors. to nowe grymasy – relacja władzy i podporządkowania między Polakami i Żyda- 12 Ebd. mi w kryjówkach po aryjskiej stronie«, in: Zagłada Żydów. Studia i Materiały, 13 Vgl. Hans-Christian Dahlmann, Antisemitismus in Polen 1968. Interaktionen zwi- Nr. 12, Jg. 2016, S. 209–241. schen Partei und Gesellschaft, Osnabrück 2013; vgl. auch Jacek Leociak, »In- 15 Vgl. Jan Tomasz Gross, Nachbarn: der Mord an den Juden von Jedwabne, Mün- strumentalizacja Zagłady w dyskursie marcowym«, in: Kwartalnik Historii chen 2001; vgl. ders. Angst – Antisemitismus nach Auschwitz in Polen, Berlin Żydów, Dezember 2008, Nr. 4 (228), S. 447–458. 2012.

32 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 33 Godlewski, 2001 eine Gedenkfeier für die Opfer des Massakers Szpytma war Ideengeber und Gründungsdirektor des Ulma- ein enormer Image-Erfolg für das Land gewesen, denn in 40 Ländern Gruppen der extremen Rechten noch einmal in eine antisemitische organisierte und daraufhin vor einer Hasskampagne ins Ausland Museums, das am 17. März 2016 im Beisein des polnischen Staats- der Welt hätten Journalisten über polnische Juden-Retter gesprochen, Kampagne münden könnte, wie sie etwa die Nationalkommunisten fl üchten musste. Das auf Nachbarn folgende Buch Angst von Jan präsidenten Andrzej Duda in Markowa, einem Dorf im Südosten und »90 Prozent der Texte waren günstig vom Standpunkt des polni- vor einem halben Jahrhundert vorexerziert haben, ist schwer abzu- Tomasz Gross zeigte ähnliche Strukturen, hier aber bezogen auf die des Landes, eröffnet wurde. Der Landwirt Józef Ulma und seine schen historischen Narrativs, also vom Standpunkt der Wahrheit.«19 sehen. Die aktuelle Konzentration auf das Feindbild Islam spricht unmittelbare Nachkriegszeit. Gross ist seit über fünfzehn Jahren die Frau Wiktoria hatten unter deutscher Besatzung mehrere jüdische Polens Nationalkonservative betrachten ihre Imagekampagne, als die dagegen ebenso wie die guten diplomatischen Beziehungen zu Israel beliebteste Zielscheibe des Hasses für Politiker und Medien, die sich Familien auf ihrem Hof versteckt. Im Frühjahr 1944 denunzierte geeignete Strategie, um den nationalen Zusammenhalt und damit und gewisse Rücksichten auf die Mitgliedschaft des Landes in der gegen die Dekonstruktion nationaler Mythen stemmen. Die erste ein einheimischer Polizist die Ulmas. Daraufhin erschossen deut- ihre eigene Popularität in der Bevölkerung wie auch im Ausland zu EU. Immerhin sieht Henryk Grynberg, einer der herausragenden nationalkonservative PiS-Regierung der Jahre 2005–2007 versuchte sche Gendarmen die Schutz suchenden Juden, Józef Ulma, seine festigen. Dieses Konzept scheint aufzugehen. Das Ulma-Museum ist polnischen Nachkriegsschriftsteller, der als Kind den Holocaust Gross wegen Verleumdung der polnischen Nation anzuklagen. Das schwangere Ehefrau und ihre gemeinsamen sechs Kinder. Das trotz seiner abgelegenen Lage in kurzer Zeit zu einem viel besuchten überlebte und im Zuge des Antisemitismus der 60er Jahre in die hat dem öffentlichen Interesse an seinen Themen keinen Abbruch Ulma-Museum widmet sich über die Familie hinaus allen Polen Ort geworden, auch international. USA fl oh, den aktuellen Retter-Diskurs mit großer Sorge: »Meiner getan. Die von Gross angeregte geschichtspolitische Debatte ist die der Region, die im Zweiten Weltkrieg Juden retteten. Zur Aus- Bei der derzeitigen Debatte um die Gerechten geht es kaum Meinung nach erinnert das sehr an die antisemitische Kampagne, in bedeutendste ihrer Art nach 1989. stellung, die in polnischer, hebräischer und englischer Sprache noch um die Retter oder die Juden, für die sie ihr Leben aufs Spiel der man Ende der 1960er Jahre Juden mit Berufung auf ihre polni- Seit der zweiten Machtübernahme durch die nationalkonserva- präsentiert wird, diskutierten Fachleute kontrovers, ob der Kontext setzten. Beide Gruppen werden vor allem für die Selbstdarstellung schen Retter verfolgte. Derzeit ist es zu solchen Verfolgungen noch tive PiS-Partei von Jarosław Kaczyński im Herbst 2015 verschieben der polnischen Rettung von Juden und des deutschen Judenmordes der Nation im Sinne von PiS instrumentalisiert. Ob die Geschichtspo- nicht gekommen. Aber es fängt schon wieder an.«20 sich die Gewichte im historischen Meinungsstreit jedoch unaufhalt- in Markowa und Umgebung zutreffend wiedergegeben und die litik der Nationalkonservativen durch deren Schulterschluss mit den sam.16 Wie bereits zwischen 2005 und 2007 versuchte PiS, Jan To- ambivalente, teils feindliche Haltung der Polen gegenüber den masz Gross als Verleumder des polnischen Volkes zu diskreditieren, jüdischen Nachbarn und den polnischen Rettern eine angemessene 17 und brachte abermals ein Strafverfahren in Gang. Abgesehen davon Bewertung fand. 19 Vgl. div. Presseberichte, hier in: http://www.radiomaryja.pl/informacje/polska- setzt sie ihre vergangenheitspolitischen Vorstellungen in weitaus Die Ausstellung wählt eine andere Sprache als die national- informacje/j-dziedziczak-otwarciu-muzeum-ulmow-o-polakach-ratujacych-zy- 20 Henryk Grynberg, Interview für den Deutschlandfunk, 16.4.2016, Aufnahme und radikalerer Form durch, indem sie diesmal, anders als vor einem kommunistische Propaganda von 1968. Es gibt im Ulma-Museum dow-pis [15.2.2017]. Mitschrift im Privatbesitz des Autors. Jahrzehnt, die Grundlagen des Rechtsstaats und der offenen Gesell- Dokumente, die auf die schwierige Lage der polnischen Juden in schaft antastet. Ihr Vorgehen ähnelt der nationalkommunistischen der eigenen Gesellschaft sowohl unter deutscher Besatzung als auch Herrschaft der Nachkriegszeit. nach Kriegsende schließen lassen. Es gibt keine Schuldzuweisungen Nationale Geschichtspolitik ist für PiS ein Fundament der an »undankbare« oder »unpatriotische« Juden. Dennoch steht das Herrschaftssicherung. Daher hat die Regierung die fi nanzielle Un- Museum in Markowa in der Tradition des aus den Jahren 1946 und terstützung für die Holocaustforschung der Polnischen Akademie 1968 bekannten Retter-Diskurses. Der Bezug offenbart sich weniger der Wissenschaften und vergleichbare Institutionen herunterge- in den Texten der Ausstellung als vielmehr durch die hochoffi ziel- fahren. Einschlägige Einrichtungen und Projekte unterstützt diese le Einbindung des Museums in die geschichtspolitische Doktrin Regierung nur unter der Voraussetzung, dass darin die Alleinschuld der Nationalkonservativen, die da lautet, es werde in Polen in den Schriftenreihe wissenschaftlicher Deutschlands für alle Verbrechen an Juden hervorgehoben wird. letzten Jahren zu viel über polnische Kollaborateure und zu wenig Abhandlungen des Leo Baeck Instituts Fragen der polnischen Mitwirkung an historischem Unrecht jeder über polnische Gerechte gesprochen. Dass man über die polnischen Art sind tabu, weil sie den PiS-Dogmen zur polnischen Staatsräson Gerechten spricht und sie verehrt, erscheint im nationalkonserva- Herausgegeben vom Leo Baeck Institut London unter Mitwirkung von Michael Brenner, und einer heroischen Nationalgeschichte widersprechen. Als aus- tiven Diskurs auch in Bezug auf Markowa als absolutes Novum. Astrid Deuber-Mankowsky, Sander Gilman, Raphael Gross, Daniel Jütte, Miriam Rürup, führendes Organ dieser Politik dient das personell und inhaltlich Man bemüht sich um die Konstruktion einer heroischen polnischen Stefanie Schüler-Springorum und Daniel Wildmann (geschäftsführend) neu ausgerichtete Institut für Nationale Erinnerung. Dessen Lei- Nation, die, wie Mateusz Szpytma unlängst verlauten ließ, keinen tung hat seit Sommer 2016 der regierungstreue Historiker Jarosław Augenblick am Holocaust beteiligt gewesen sei, da diejenigen, die Dokumente zur Geschichte des deutschen Zionismus 1933–1941 Szarek inne. Nach der Doktrin, dass jeder Staat eine eigene Sicht mit den Deutschen zusammengearbeitet hätten, Verräter der Nation Herausgegeben von Francis R. Nicosia der Geschichte entwerfe, begann Szarek seine Tätigkeit mit der gewesen seien. Daher könne ihr Erbe die nationale Gemeinschaft Entlassung von Krzysztof Persak, jenes Mitarbeiters, der für die nicht belasten.18 Diese Quellensammlung zum Thema des Hitlers Machtergreifung 1933 bis ins Jahr IPN-Aufarbeitung des Massakers von Jedwabne verantwortlich Der stellvertretende polnische Außenminister Jan Dziedziczak deutschen Zionismus in der NS-Zeit enthält 1941 und verdeutlichen die wachsende war. Dafür holte er sich mit Mateusz Szpytma als neuen Stellver- registrierte Anfang Februar 2017, das Ulma-Museum in Markowa sei 2017. Ca. 560 Seiten (SchrLBI). 208 Dokumente aus 23 Archiven in vier Bedeutung des Zionismus für die deutschen treter einen Historiker an seine Seite, der zuvor den polnischen ISBN 978-3-16-155021-8 Ländern. Die Textquellen dokumentieren Juden dieser Zeit. Festeinband ca. € 70,– (Juni) Diskurs über Judenretter auf eigene Weise wieder hatte aufl eben die Verschärfung der Judenverfolgung von lassen. 17 Vgl. Jan Grabowski, Dariusz Libionka, »Bezdroża polityki historycznej. Wokół Markowej, czyli o czym nie mówi Muzeum Polaków Ratujących Żydów podczas Mohr Siebeck II Wojny Światowej im. Rodziny Ulmów«, in: Zagłada Żydów. Studia i Tübingen Maßgeschneiderte Materiały, Nr. 12, Jg. 2016, S. 619–642. Informationen: [email protected] 16 Vgl. dazu Magdalena Saryusz-Wolska, Sabine Stach, Katrin Stoll, »Verordnete 18 Vgl. dazu das Interview mit Mateusz Szpytma, in: http://dzieje.pl/aktualnosci/dr- www.mohr.de www.mohr.de Geschichte? Zur Dominanz nationalistischer Narrative in Polen«, in: http://www. mateusz-szpytma-z-ipn-polska-w-holokauscie-nie-uczestniczyla-ani-przez-chwile zeitgeschichte-online.de/thema/verordnete-geschichte [13.1.2017]. [15.2.2017].

34 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 35 Längst der Erinnerung entfallen war zu diesem Zeitpunkt wahr- Library of Congress im 50. Jubiläumsjahr des gescheiterten Attentats scheinlich, dass zu Zeiten, als in Bonn regierte, gerade vom 20. Juli. dem militärischen Widerstand eine wichtige geschichtspolitische Funktion in den deutsch-amerikanischen Beziehungen zugeschrie- ben wurde. So verfolgte die Regierung Kohl nicht nur eine viel Die amerikanische Holocaust-Erinnerung »Good Germans« und der Holocaust diskutierte und umstrittene Geschichtspolitik in der Bundesrepub- und die Bundesrepublik lik – man denke an die Debatten um die großen Museumsprojekte Widerstandserinnerung zwischen in Bonn und Berlin oder den Streit über »Bitburg«. Sondern diese Die Beschäftigung mit dem Holocaust-Museum sowie die Ausstel- 1 Politik, die einen ausgewogenen Umgang mit dem als nationale Last lung »Against Hitler« sind im Kontext der bundesrepublikanischen Bonn und Washington wahrgenommenen Nationalsozialismus und den positiven Aspekten Konfrontation mit der öffentlichen Erinnerung an den Holocaust deutscher Geschichte postulierte, aber als relativierend, gar revisi- in den Vereinigten Staaten zu verorten. Während es in der frühen onistisch interpretiert werden kann, hatte auch eine transatlantische Nachkriegszeit außerhalb der jüdischen Gemeinden in den USA von Jacob S. Eder Dimension.6 Und hier war es gerade die in den USA seit den siebziger keine nennenswerte Auseinandersetzung mit dem Schicksal der eu- Jahren wachsende Beschäftigung mit dem Holocaust, zumal aus der ropäischen Juden gegeben hatte, änderte sich dies mit wachsendem Perspektive der Opfer, die bei Kohl und in dessen Umfeld für Unbe- zeitlichen Abstand merklich.8 Freilich hatten Schlüsselereignisse der Als vor rund einem Jahrzehnt im politischen hagen sorgte. Nicht nur, weil dies eine Rhetorik und Gedenkpraxis Nachgeschichte des Holocaust, zum Beispiel der Eichmann-Prozess Berlin das Gerücht kursierte, Hollywood pla- infrage stellte, die den Opferbegriff auch für die deutschen Gefal- (1961) oder der Diskurs über einen möglichen »zweiten Holocaust« ne einen Film über den 20. Juli, schlug das lenen und Zivilisten reklamierte, sondern auch, weil man darin eine im Kontext des Sechstagekriegs (1967), vor dessen Ausbruch der CDU-geführte Verteidigungsministerium Bedrohung für die deutsch-amerikanische Partnerschaft zu erkennen ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser die Vernichtung Dr. Jacob S. Eder studierte Ge- Alarm: Für den Bendlerblock würde man keinesfalls eine Drehgeneh- glaubte: Sollten die Deutschen nur noch als »Teufel« wahrgenom- Israels als primäres Kriegsziel vorgegeben hatte, auch in den USA schichte und Amerikanistik in Mün- migung erteilen. Grund dafür war die Besetzung der Rolle des Claus men werden, so der im Kanzleramt für USA- und Sicherheitspolitik hohe Wellen geschlagen. Aber zu einer amerikanischen Erinnerung chen, Leeds und Lincoln, NE; Pro- Schenk Graf von Stauffenberg mit dem Superstar . Ein zuständige Hubertus von Morr einmal, würden gerade zukünftige wurde der Holocaust erst gegen Ende der siebziger Jahre. Mehrere motionsstudium an der University of amerikanischer History-Blockbuster mit dem wohl berühmtesten Sci- Generationen von Amerikanern das Bündnis infrage stellen.7 Faktoren waren dafür verantwortlich: Wie auch in zahlreichen eu- Pennsylvania. Seit 2012 wissenschaft- entologen in der Hauptrolle – das erschien Verteidigungsminister Franz In diesem außenpolitischen Kontext avancierte der Rekurs ropäischen Ländern wuchs das Interesse an den Erinnerungen der licher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Josef Jung, aber auch der Sektenbeauftragten der Union als untragbarer auf den Widerstand zu einem geschichtspolitischen Argument: als Überlebenden der NS-Vernichtungspolitik, von denen viele in die Neuere und Neueste Geschichte der Affront gegen das Erbe einer Ikone des deutschen Widerstands.2 Beweis für die Existenz eines »anderen« Deutschland im »Dritten USA ausgewandert waren und nun ein fortgeschrittenes Alter erreicht Friedrich-Schiller-Universität Jena. Bekanntlich löste sich der Konfl ikt auf, und OPERATION WALKÜRE Reich«, auf dessen Tradition sich die erfolgreiche Nachkriegsdemo- hatten. Auch änderte sich deren Einstellung zur Deutung der eigenen Zahlreiche Forschungsstipendien konnte an den begehrten Originalschauplätzen gedreht werden. Ge- kratie im Westen Deutschlands berufen konnte, sowie um zu zeigen, Lebensgeschichte. Wie Peter Novick gezeigt hat, wollten viele von und Auszeichnungen, darunter der nauere Angaben zum »Sinneswandel« der Regierungsvertreter gab es dass nicht alle Deutschen überzeugte Nationalsozialisten gewesen ihnen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten, als Amerika die Sieger Fraenkel Prize der Wiener Library. nicht,3 aber das Studio Babelsberg verkündete: »Wir sind froh, dass waren, sondern es auch »gute Deutsche« gegeben hatte, die sich des Krieges feierte und optimistisch in die Zukunft blickte, zunächst Veröffentlichungen (Auswahl): dieser Weltstar in Babelsberg dreht und die Figur des Widerstands- gegen ein Regime gestellt hatten, das letztlich nur von einer kleinen nicht als »Opfer« wahrgenommen werden.9 Der Nahostkonfl ikt schuf Holocaust Angst. The Federal kämpfers verkörpert, das kann das Image Deutschlands weltweit nur Gruppe von Verbrechern getragen worden war. In den USA setzte aber ein breites gesellschaftliches Bewusstsein für die bedrohte Lage Republic of Germany and American stärken.«4 Und Jungs Sprecher zeigte sich ebenfalls erfreut darüber, man daher auf die Vermittlung dieser Interpretation des Widerstands, von Juden in Israel, die auch in den USA oft in Analogien zur NS- Holocaust Memory since the 1970s, dass es im Film »einen Spannungsbogen zum demokratischen Deutsch- welche aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft mindestens Zeit gekleidet wurde. Auch wurde der Holocaust vor dem Hinter- New York 2016. Holocaust Memory in land geben [solle] als Signal, dass die Barbarei nicht gesiegt habe«.5 als fragwürdig erscheinen musste, um eine Kategorisierung von grund des gesellschaftlichen Konfl ikts über den Vietnamkrieg zur a Globalizing World, Göttingen 2017 Deutschen ausschließlich als »Täter« zu durchbrechen. Kontrastfolie und einem Vergleichsmaßstab, anhand dessen man nun (gem. mit Philipp Gassert und Alan Diese Bemühungen sollen im Folgenden anhand von zwei Bei- das Verhalten der eigenen Regierung bewertete. E. Steinweis als Herausgeber). spielen erörtert werden: dem letztlich gescheiterten Versuch, die Des Weiteren trug politisches Kalkül zur Institutionalisierung der 1 Dieser Aufsatz basiert auf meinem Buch Holocaust Angst. The Federal Republic Geschichte des militärischen Widerstands in die Dauerausstellung Holocaust-Erinnerung bei. So basierte die Initiative von Präsident of Germany and American Holocaust Memory since the 1970s, New York 2016. Auf weitere Verweise auf das Buch in den Fußnoten verzichte ich. Siehe dazu des nationalen Holocaust-Museums in Washington zu integrieren, so- Jimmy Carter, eine nationale Holocaust-Gedenkstätte einzurichten, auch »Die Holocaust-Angst der Bundesrepublik«, in L.I.S.A., 10.1.2017, wie der Installation der Wanderausstellung »Against Hitler: German nicht zuletzt auf wahltaktischen und außenpolitischen Überlegungen. http://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/holocaust_angst. Resistance to National Socialism, 1933–1945« in der Washingtoner Carter hatte durch die Ankündigung von Waffengeschäften mit Saudi- 2 Andrian Kreye, »Blamiert in Hollywood«, in: Süddeutsche Zeitung vom Arabien und Ägypten, aber auch durch seinen Einsatz für die Rechte 28.6.2007. 3 »Cruise darf doch im Bendlerblock drehen«, in Spiegel Online vom 14.9.2007, http://www.spiegel.de/kultur/kino/stauffenberg-fi lm-cruise-darf-doch-im-bendler- block-drehen-a-505689.html. darf-doch-im-bendlerblock-drehen-1463108.html. 4 »Grünes Licht für Cruise«, in: Focus Online vom 6.7.2007, http://www.focus.de/ 6 Vgl. Andreas Wirsching, Abschied vom Provisorium. 1982–1990. Geschichte der 8 Peter Novick, The Holocaust in American Life, Boston 1999. Vgl. Hasia R. kultur/kino_tv/stauffenberg-fi lm_aid_65753.html. Bundesrepublik Deutschland, München 2006, S. 474 f. Diner, We Remember with Reverence and Love: and the Myth of 5 So paraphrasiert in: »Cruise darf doch im Bendlerblock drehen«, in: faz.net vom 7 Zit. nach Marc Fisher, After The Wall. Germany, the Germans and the Burdens of Silence after the Holocaust, 1945–1962, New York 2009. 14.9.2007, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/stauffenberg-fi lm-cruise- History, New York 1995, S. 287. Alle Übersetzungen aus dem Engl. vom Verf. 9 Novick, Holocaust, S. 83 f. und 189 f.

36 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 37 der Palästinenser im Nahostkonfl ikt jüdische Wähler brüskiert, wel- seit 1973 auf dem Botschafterposten in Washington, bereits im Som- che traditionell zum demokratischen Lager zählten.10 1978 verkün- mer 1977 über »weite öffentliche Bereiche erfassende Bemühun- dete Carter, gleichsam um ein politisches Zugeständnis zu machen, gen, den Leidensweg des jüdischen Volkes während der NS-Zeit im offi ziell die Einsetzung einer Kommission, die mit der Konzeption Bewusstsein der Amerikaner wieder wachzurufen«.15 Zwar zielten eines nationalen Holocaust-Mahnmals betraut sein würde. Bis zur entsprechende Veranstaltungen in den jüdischen Gemeinden oder an Eröffnung der später »United States Holocaust Memorial Museum« Universitäten, aber auch die Pläne des Senders NBC nicht darauf (USHMM) genannten Institution vergingen fast 15 Jahre: Erst 1993 ab, »das Verbrechen der – gar als kollektiv beschuldigten Deutschen wurde sie in Anwesenheit von Bill Clinton feierlich eröffnet. im Dritten Reich zu geißeln«. Dennoch zeichnete sich aus der Per- Das USHMM – nur wenige Minuten vom Weißen Haus und spektive des Botschafters ein Problem für die Bundesrepublik ab: in bester Lage nahe der National Mall gelegen – symbolisiert die »Dass die Veranstaltungen dennoch auf das Bild Deutschlands in Links: Außenansicht des »Amerikanisierung« des Holocaust wie keine zweite Institution: seiner dunkelsten Epoche hinweisen, ist unvermeidlich.« Offensive United States Holocaust Obgleich die Museumsmacher sich um eine historisch akkurate Prä- Gegenmaßnahmen oder Interventionen zum Beispiel bei NBC, er- Memorial Museum in sentation der Geschichte des Nationalsozialismus und der Judenver- schienen von Staden aber nicht angeraten. Zu groß sei die Gefahr, Washington, D.C. Es befi ndet sich am nichtung bemühten (freilich auf dem Stand der frühen neunziger so das »Missverständnis eine[r] Identifi kation des heutigen Deutsch- Raoul Wallenberg Platz Jahre), steht im Zentrum und auch im Rahmen eines umfangreichen lands mit dem NS-Staat« zu provozieren. Von Stadens Einschätzung südlich der National Begleit- und Bildungsprogramms doch die pädagogische Absicht, gab im Großen und Ganzen die Linie vor, die die westdeutschen Mall, zwischen einen bestimmten Kanon demokratischer und moralischer Werte Diplomaten bis zum Ende der Regierung verfolg- Washington Monument und Jefferson Memorial. zu vermitteln. , einer der Gründungsväter des ten: Man beobachtete, berichtete, kooperierte bei Veranstaltungen, Foto: Jacob S. Eder Museums, bezeichnete den Holocaust einmal als »Verletzung aller stellte Informationsmaterial zur Verfügung, organisierte Reisen für essentiellen amerikanischen Werte«.11 Aufgabe des Museums müs- Vertreter jüdischer Organisationen in die Bundesrepublik; aber man Unten: »Hall of se es daher sein, diese Geschichte nicht nur für die Überlebenden, unternahm keinen direkten Versuch, in die amerikanische Diskussion Remembrance« im United States Holocaust sondern auch für einen Farmer aus dem Mittleren Westen oder einen über den Holocaust einzugreifen. Memorial Museum, 12 Industriearbeiter aus dem Rust Belt aufzubereiten. Dies änderte sich mit der Wahl Helmut Kohls zum Bundeskanz- Foto: public domain, Die Kommission Carters war jedoch nur eine Wegmarke hin ler im Herbst 1982. Bereits als Oppositionsführer hatte Kohl seine CC BY-SA 3.0 zu einer amerikanischen Holocaust-Erinnerung. Wie auch in der Sorge über die zunehmende Bedeutung zum Ausdruck gebracht, die Bundesrepublik ein knappes Jahr später, entfaltete die Fernsehse- der Holocaust in der amerikanischen Öffentlichkeit einnahm. Um- rie HOLOCAUST eine enorme Breitenwirkung in den USA: In etwa fassend nahm Kohl dazu am 25. April 1983 vor dem CDU-Bundes- 120 Millionen Amerikaner sahen zumindest Teile der Serie, die der vorstand Stellung: »Die amerikanischen Juden haben 120 Millionen Fernsehsender NBC mit einer umfassenden PR-Kampagne beglei- Dollar gesammelt, um in der besten Lage Washingtons, unmittelbar tet hatte.13 Und nicht zuletzt richtete sich zum Ende der siebziger neben dem Nationalmuseum für amerikanische Geschichte und dem Jahre die Aufmerksamkeit von Schulen und Universitäten auf die Weißen Haus und Kongress, dem Hill, ein Holocaust-Museum zu Geschichte des Nationalsozialismus. Aus zunächst lokalen, meist errichten, wo Fachleute sagen – ich kann es nicht beurteilen –, dass von jüdischen Verbänden getragenen Initiativen, die auf die Er- es jährlich drei bis fünf Millionen Besucher haben wird.«16 mordung der Juden gleichsam als Lehrstück gegen Intoleranz und Mit der Unterstellung, amerikanische Juden verfolgten eine Diskriminierung setzten, entwickelte sich in vielen Bundesstaaten gemeinsame politische Agenda zu Lasten der Bundesrepublik, stand ein institutionalisierter »Holocaust-Unterricht«.14 Kohl in diesen Jahren nicht allein. In seinem Umfeld, aber auch unter Schon früh beobachteten bundesdeutsche Diplomaten diese Ent- den westdeutschen Diplomaten in den USA war es durchaus üblich, wicklung mit Sorge und Skepsis. So berichtete Berndt von Staden, in negativer Weise über Juden zu sprechen, gerade wenn es um die Frage nach der Bedeutung des Holocaust für die amerikanische Gesellschaft ging. In diesem Kontext rekurrierte man auf klassi- sche antisemitische Stereotype, sprach von der »Macht« der Juden 10 Umfassend: Edward T. Linenthal, Preserving Memory: The Struggle to Create America’s Holocaust Museum, New York 2001. 11 Zit. nach Tim Cole, Selling the Holocaust: From Auschwitz to Schindler. How History is Bought, Packaged, and Sold, New York 1999, S. 154. 15 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (AA), Zwischenarchiv, Bd. 110.298, 12 Hilene Flanzbaum, »Introduction: The Americanization of the Holocaust«, in: dies. von Staden an das AA, 9.7.1977. Alle Zitate aus Archivquellen der neuen Recht- (Hrsg.), The Americanization of the Holocaust, Baltimore 1999, S. 1–17, hier S. 5. schreibung angepasst. 13 Umfassend: Jeffrey Shandler, While America Watches: Televising the Holocaust, 16 Helmut Kohl, »Lagebericht im Bundesvorstand der CDU, 25. April 1983«, in: New York 1999, S. 155–178. Günter Buchstab, Hans-Otto Kleinmann (Hrsg.), Helmut Kohl. Berichte zur Lage 14 Thomas D. Fallace, The Emergence of Holocaust Education in American Schools, 1982–1989. Der Kanzler und Parteivorsitzende im Bundesvorstand der CDU New York 2008. Deutschlands, Düsseldorf 2014, S. 78–95, hier S. 83.

38 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 39 über Politik und Presse, warf ihnen pauschal eine politische oder wird, in das Besichtigungsprogramm miteinschließen wird. Die in Wiesel, initiiert hatte und dem neben Petersen auch der ehemalige das USHMM: »Der Zustand der Westberliner Gedenkstättenland- kommerzielle Instrumentalisierung des Holocaust vor und zeigte der Gedenkstätte vermittelten Informationen über den Ablauf deut- deutsche Botschafter in Israel, Klaus Schütz, der Theologe Eugen schaft und ihre Unzulänglichkeit ist von zentraler Bedeutung für das wenig Empathie für die Leidensgeschichte von Überlebenden wie scher Geschichte und das Verhalten der Deutschen in den Jahren Biser und der Historiker Klaus Hildebrand angehörten. Ebenfalls USHMC [US Holocaust Memorial Council], da sie die […] Vorbehal- beispielsweise Elie Wiesel. Zwar ging Kohl davon aus, dass die 1933–45 werden für viele amerikanische Besucher, insbesondere für nahm der damalige Botschafter Günter van Well an der Tagung te vieler deutscher CDU-Politiker gegen das USHMC widerspiegelt »Intention der führenden amerikanischen Juden […] natürlich nicht die Jugendlichen, den einzigen Berührungspunkt mit Deutschland teil und nutzte die Gelegenheit, die Bedeutung des Widerstands zu und es uns ermöglicht, die Position Helmut Kohls zu verstehen, dass primär eine antideutsche Sache« sei, aber die Auswirkungen auf darstellen und der seit Kriegsende nie erloschenen Gefahr einer betonen. Er appellierte an die amerikanische Delegation, der bei- das USH Memorial Museum per defi nitionem anti-deutsch ist«.22 das Ansehen der Bundesrepublik in den USA, zumal bei jüngeren Identifi zierung des gesamten deutschen Volkes mit dem totalitären spielsweise Raul Hilberg angehörte, die »ganze Wahrheit« über die Aufgrund derart verhärteter Fronten gestalteten sich die weiteren Amerikanern, geradezu fatal sein würden: »Aber wenn eine ganze Regime Hitlers auf unbegrenzte Zeit erneut Vorschub leisten.«18 Geschichte des »Dritten Reichs« auszustellen, zu der insbesondere transatlantischen Gespräche über Inhalt und Aufbau des Museums Schülergeneration aufwächst und deutsch als Synonym für Holocaust Nur kurze Zeit nachdem Hermes diese Warnung an das Aus- auch das »Blutopfer« der Männer des 20. Juli zählte, aber auch die äußerst schwierig. In Washington einigte man sich im Laufe der Jahre empfi ndet, dann ist das eine fürchterliche Sache. Die Dinge stellen wärtige Amt und das Bundeskanzleramt geschickt hatte, begannen weitgehend unbekannte Geschichte von deutschen Familien, die trotz auf die Position, zwar mit bundesdeutschen Gesandten zu sprechen sich heute viel negativer dar als zur Adenauerzeit.« deutsche Emissäre damit, Einwände und Befürchtungen gegen- Lebensgefahr ihren jüdischen Freunden das Überleben gesichert und vor allem die Kooperation mit Wissenschaftlern und Archiven Der Hinweis auf junge Amerikaner und insbesondere Schüler, über den für die Planung des USHMM zuständigen Gremien zu hätten.20 Dies sollte in der Ausstellung, so konnte man aus van Wells zu suchen, aber keine Zugeständnisse hinsichtlich der Gestaltung des die auf obligatorischen Klassenfahrten in die Bundeshauptstadt das formulieren. Als es vor allem dank der Bemühungen des CDU- Ausführungen schließen, größeres Gewicht einnehmen als die breite Museums zu machen. Man berief sich offi ziell auf den regierungsamt- USHMM besichtigen würden, erfolgte keinesfalls zufällig. Dahinter Bundestagsabgeordneten Peter Petersen gelungen war, eine Basis Unterstützung, die der NS in der deutschen Bevölkerung erfahren lichen Auftrag der Carter-Kommission, eine staatliche Gedenkstätte standen Ängste um die zukünftige Basis des deutsch-amerikanischen für Gespräche zu etablieren, verfolgten diese das Ziel, die Gestaltung hatte. Obgleich weder Widerstands- noch Opfererfahrung repräsen- für den Holocaust zu schaffen, in welcher weder die Nachkriegsge- Bündnisses, die schon während der Regierungszeit von Schmidt der Dauerausstellung des Museums im Interesse der Bundesrepub- tativ für die meisten Deutschen im »Dritten Reich« gewesen waren, schichte noch Ereignisse ohne historische Relevanz für den Ablauf der zu einer Reihe von kulturpolitischen Maßnahmen geführt hatten.17 lik zu beeinfl ussen, um die befürchtete Beschädigung des deutsch- lag diese Argumentationslinie für einen Botschafter durchaus nahe. Judenvernichtung einen Platz fi nden sollten. Intern ging man mit der Gerade vor dem Hintergrund des Nato-Doppelbeschlusses und der amerikanischen Verhältnisses abzuwenden. Neben Petersen war In Washington hatte das Pochen auf die Geschichte des deut- Geschichtspolitik Kohls und den deutschen Emissären, denen man ge- Nachrüstungsdebatte in den frühen achtziger Jahren, als viele jüngere von den frühen achtziger Jahren bis kurz vor der Eröffnung des schen Widerstands aber geradezu einen gegenteiligen Effekt. Hier schichtsrevisionistische Ziele unterstellte, deutlich härter ins Gericht. Deutsche und Amerikaner ihre Skepsis gegenüber dem Militärbünd- Museums auch eine Reihe von anderen Akteuren in die Verhandlun- las man den Widerstand nicht als Beweis für die Existenz von »good Dennoch versuchten bundesdeutsche Emissäre weiterhin, das nis zum Ausdruck brachten, war dies eine Sorge über die Partei- und gen involviert, beispielsweise Walther Leisler Kiep, Michael Roik, Germans«, sondern folgerte aus den Bemühungen um die Wider- Ausstellungsnarrativ im Sinne der bereits skizzierten Positionen Landesgrenzen hinweg. Darüber hinaus befürchtete man, dass das Vertreter der Botschaft und Repräsentanten des Washingtoner Büros standsgeschichte vielmehr, dass es mit der »Erfolgsgeschichte« und zu erweitern. So bemühte sich der Diplomat Wolf Calebow Ende USHMM eine Interpretation der Geschichte des »Dritten Reichs« in der Konrad-Adenauer-Stiftung.19 der ernsthaften Konfrontation mit dem Holocaust in der Bundesrepu- der achtziger und in den frühen neunziger Jahren um die Berück- der amerikanischen Öffentlichkeit verankern würde, welche der Ge- Zwar hatten die deutschen Verhandlungspartner zunächst kaum blik eben nicht sehr weit her sei. Aus der Sicht der Museumsmacher sichtigung des Widerstands im USHMM. Calebow fungierte als schichtspolitik der Regierung Kohl widersprach. Zwar distanzierte eine Vorstellung davon, wie das Museum – geschweige denn die war der deutsche Widerstand ein marginales Phänomen ohne jede Verbindungsmann der Botschaft zu jüdischen Organisationen, wel- sich der Kanzler eindeutig vom NS-Regime und dessen Verbrechen, Ausstellung – aussehen würde. Denn auch intern stritten sich die Auswirkung auf die Judenvernichtung gewesen, das aber in der chen er äußerst kritisch gegenüberstand und denen er eine gegen die schrieb jedoch der Erinnerung gerade an die deutschen Opfer des Planungsgremien heftig über Inhalt, Aufbau und Aussehen der Bundesrepublik unverhältnismäßig überhöht wurde – um den Preis, Bundesrepublik gerichtete Instrumentalisierung des Holocaust aus Nationalsozialismus und des Kriegs große Bedeutung zu. Aus dieser Einrichtung, und es bestand keine Einigkeit über die alles ent- sich nicht eingehend mit der Geschichte vor allem der jüdischen politischen Zwecken unterstellte. In Absprache mit dem amtierenden Perspektive stand zu befürchten, dass das Holocaust-Museum nur scheidende Frage, wie nämlich der Holocaust überhaupt zu defi - Opfer des NS-Regimes beschäftigen zu müssen. Botschafter Jürgen Ruhfuß oder auch mit Walther Leisler Kiep, der an Juden als Opfer erinnern, Amerikaner als Befreier ehren, aber das nieren sei. Dennoch standen vor allem zwei inhaltliche Ziele auf Zu diesem Schluss kam beispielsweise die Chefhistorikerin des als Vorsitzender der Atlantik-Brücke ebenfalls zwischen Bonn und Bild der Deutschen als Täter perpetuieren würde. der Agenda: Das Museum müsse zum einen die Geschichte des Museumsprojekts, Sybil Milton, die sich im Herbst 1985 zu Re- Washington vermittelte, wollte Calebow die Verantwortlichen des deutsche Widerstands berücksichtigen und einem amerikanischen cherchezwecken in Berlin aufgehalten hatte. Wieder in Washington, USHMM von der Wichtigkeit des militärischen Widerstands für das Publikum vor Augen führen, dass es im »Dritten Reich« auch »gu- berichtete sie ihren Kollegen von ihrem Besuch der Gedenkstätte Ausstellungsnarrativ überzeugen. Fraglos hatte aus seiner Sicht ein »Good Germans« im Holocaust-Museum te Deutsche« gegeben habe. Zum anderen sollte den Besuchern Deutscher Widerstand. Hier meinte sie, eine maßlose Überhöhung kausaler Zusammenhang zwischen den Attentatsplänen vom 20. Juli unmissverständlich klargemacht werden, dass die Geschichte der der Bedeutung des Widerstands für die Tradition der bundesrepu- und dem Holocaust bestanden. Hierin meinte er, das schlagende In diesem Kontext wurde der Rekurs auf den deutschen Wider- Bundesrepublik eine »Erfolgsgeschichte« sei, wie die stabile De- blikanischen Demokratie zu erkennen, eine »unverhohlene Verfäl- Argument gefunden zu haben, um die Museumsmacher für sich zu stand, insbesondere auf das Attentat vom 20. Juli 1944, zu einem mokratie, die erfolgreiche Vergangenheitsbewältigung und Part- schung der Geschichte« zu einem »fragwürdigen Zweck«.21 Gerade gewinnen: Nicht nur musste der Widerstand aus dieser Perspektive geschichtspolitischen Argument: Es sollte dazu dienen, mögliche nerschaft mit Israel belege. Ohne eine Berücksichtigung dieser Helmut Kohls Einsatz für das Gedenken an den Widerstand erschien als unzweideutiger Beleg für die Existenz von »good Germans« Annahmen über kollektive Verhaltensweisen von Deutschen zu zer- Aspekte, so das in Washington oft vorgetragene Argument, sei die Milton als »unangemessen,« besonders weil es in Berlin keine er- erscheinen, sondern auch das Problem der Einbettung in das Narra- streuen. Der Nachfolger von Stadens auf dem Botschafterposten, Ausstellung unvollständig. kennbaren Bemühungen von staatlicher Seite für ein angemesse- tiv des Holocaust-Museums schien gelöst. Calebow bemühte sich , äußerte sich Anfang 1983 entsprechend: »15 Mio. Eine Gelegenheit, Hintergründe über die Museumspläne zu nes Gedenken an die jüdischen Opfer des NS-Regimes gäbe. Darin ebenfalls, den in Kanada lehrenden Widerstandshistoriker Peter Touristen besuchen jährlich Washington. Es kann davon ausgegan- erfahren, aber auch, um Vorbehalte zu äußern, bot sich für eine läge auch der Kern, so Milton, der Vorbehalte gegen die Pläne für Hoffmann für dieses Anliegen zu gewinnen, allerdings vergeblich. gen werden, dass die Mehrheit den Besuch der Gedenkstätte, die trotz westdeutsche Delegation Mitte 1985. In New York traf sich die- Während man in Washington in der Zwischenzeit entschieden hatte, Randlage zur berühmten ›Museumsinsel‹ der Hauptstadt gehören se zu einem Gesprächskreis, den Petersen gemeinsam mit dem die Münchner Widerstandsgruppe »Weiße Rose« in der Ausstellung Holocaust-Überlebenden und Spiritus Rector des Museums, Elie zu präsentieren, weil sie in einem Flugblatt den Massenmord an den 20 USHMM Institutional Archives (IA), Accession No. 1997-014, Records Wein- berg, Box 154, Folder 4, USHMC, Joint United States-West German Committee, 17 Reinhild Kreis, »Bündnis ohne Nachwuchs? Die ›Nachfolgegeneration‹ und die 24.6.1985, S. 51–53. deutschamerikanischen Beziehungen in den 1980er Jahren«, in: Archiv für Sozi- 18 Bundesarchiv (BArch) B 136/33866, Hermes an das AA, 5.3.1983. 21 Zit. in USHMM IA, Accession No. 2001.165, Reports to the USHMC, Chamber- algeschichte, Jg. 52 (2012), S. 607–631. 19 Kiep war von 1984 bis 2000 Vorsitzender des Vereins Atlantik-Brücke, Roik lin to Wiesel, 12.12.1985. 22 Ebd.

40 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 41 Juden angeprangert hatte, sprach man sich gegen den militärischen einer deutschen Delegation gebracht, der Mitglieder der CDU/CSU- Widerstand mit dem Hinweis auf die ideologische Kongruenz der Bundestagsfraktion angehört hatten. Hier hieß es nun, »es stehe nicht nationalkonservativen Verschwörer mit dem NS-Regime beinahe zu befürchten, dass das Bild des heutigen Deutschlands durch das Mu- bis zum Ende des Kriegs aus. Raul Hilberg, der als historischer seum in Misskredit gebracht werde«.27 Wie ein Delegationsmitglied Berater fungierte, brachte später die Position auf den Punkt: Es wäre näher ausführte, lag dies nicht nur an der kritischen Auseinanderset- einfach undenkbar gewesen, den »maßvollen Antisemitismus« eines zung mit der »Haltung der amerikanischen Regierung gegenüber dem Stauffenberg in einem Museum Raum zu geben, das den Opfern des Nationalsozialismus«, sondern vor allem daran, dass die Ausstellung Holocaust gewidmet sein sollte.23 »unmissverständlich deutlich [mache], dass der Holocaust allein ein Kurz vor der Eröffnung des USHMM im April 1993 wurden die Werk der Nazis und nicht aller Deutschen war«.28 Auch wenn der mili- deutschen Vorbehalte publik. Aufhänger für die kritische Berichter- tärische Widerstand – insbesondere der 20. Juli – nicht die erwünschte stattung in der Washington Post waren Informationen aus dem Mu- Würdigung erfahren hatte, so trug zumindest die Darstellung der seum, die Bundesregierung oder einer ihrer inoffi ziellen Vermittler »Weißen Rose« aus Sicht des Kanzleramts dazu bei, Pauschalurteile hätten dem USHMM mehrere Millionen Dollar angeboten, um die über das Verhalten der Deutschen im »Dritten Reich« als Kollektiv erwünschte Modifi zierung der Ausstellung zu fi nanzieren.24 Auch zu zerstreuen: »Zu beachten ist auch, dass im letzten Fünftel der wenn sich der genaue Sachverhalt aufgrund der Aktenlage nicht Schau die Aktivitäten der Widerstandsgruppe ›Weiße Rose‹ ausführ- klären lässt, so lag die deutsche fi nanzielle Beteiligung durchaus lich dargestellt werden. Sie hatte z.B. in ihrem zweiten Flugblatt die im Bereich des Möglichen, da man eine ähnliche Zuwendung – in Ermordung von 300.000 Juden in Polen angeprangert.«29 Erwartung einer entsprechenden Gegenleistung hinsichtlich der in- haltlichen Ausrichtung – gegenüber dem Holocaust Memorial Center in Detroit ernsthaft in Erwägung gezogen hatte. Die Bundesregierung Die Ausstellung »Against Hitler« in der Library of Congress stritt derartige fi nanzielle Offerten ab, gestand die inhaltliche Kritik Buchcover: Jacob S. Eder, Holocaust Angst, Oben: Der »Tower of Faces (the Yaffa Eliach Shtetl Collection)« im United States aber offen ein. In einer Gegendarstellung in der Washington Post Wenn am Ende der Beschäftigung mit dem USHMM die Erkenntnis New York: Oxford University Press, 2016. Holocaust Memorial Museum, Foto: public domain, CCO Bundeskanzler Helmut Kohl mit US-Präsident Ronald erklärte Regierungssprecher Dieter Vogel, dass man den »erfolgrei- stand, dass der Handlungsspielraum für geschichtspolitische Maß- Reagan und dessen Frau Nancy Reagan beim Besuch Unten: Der Eingangsbereich des Museums, die »Hall of Witness«, chen Aufbau eines Rechtsstaats und einer liberalen Demokratie« im nahmen in den USA begrenzt war, und obwohl sich der befürchtete der Gedenkstätte Bergen-Belsen am 5. Mai 1985. Foto: public domain, CC BY-SA 3.0 (siehe auch die Abbildung auf der Titelseite) Nachkriegsdeutschland sowie den »deutschen Widerstand gegen den Imageschaden durch das Museum nicht bestätigt hatte, hielt man Nationalsozialismus« gerne im USHMM gesehen hätte.25 weiterhin an dem Ziel fest, die amerikanische Öffentlichkeit über Bereits im vorangegangenen Herbst war man im Kanzleramt die Geschichte des deutschen Widerstands aufzuklären. Im Zentrum aber zu der Einsicht gekommen, dass für die Gestaltungswünsche stand dabei eine Ausstellung über die Geschichte des Widerstands, der Bundesregierung keine Aussichten auf Erfolg bestehen würden. die im Juli 1994, also ein gutes Jahr nach Eröffnung des USHMM, in So fasste von Morr für Kohl zusammen: »Wir müssen zur Kenntnis der Madison Gallery der Library of Congress in Washington gezeigt nehmen, dass sich unser Anliegen und das Anliegen des Memorial wurde – in etwas zeitgleich mit dem 50. Jahrestag des 20. Juli und Council konzeptionell nicht haben vereinbaren lassen. Wir soll- kurze Zeit nach den internationalen Feierlichkeiten zum Jahrestag ten – auch aus Gründen der Selbstachtung – keine weiteren Versu- der Landung der Alliierten in der Normandie, die ohne deutsche che unternehmen, auf die Gestaltung der Gedenkstätte Einfl uss zu Regierungsvertreter in Frankreich begangen wurden. nehmen.«26 Kohl stimmte in einer Marginalie zu. Die Ausstellung »Against Hitler: German Resistance to Nati- Im Nachgang der Auseinandersetzung mit dem USHMM kam onal Socialism, 1933–1945« lässt sich im Kontext der Bemühun- man im Kanzleramt recht schnell zu der Überzeugung, dass das Mu- gen verorten, dem befürchteten (image-)politischen Schaden durch seum dem Ansehen der Bundesrepublik nicht in der befürchteten das USHMM entgegenzuwirken, aber auch um das angebliche Weise schaden würde – auch wenn man an der kritische Haltung Informationsdefi zit hinsichtlich der Geschichte des Widerstands festhielt. Entwarnung hatte zum Beispiel der Besichtigungsbericht zu konterkarieren. Sie war nicht der erste Versuch, die Breitenwir- kung des USHMM auszubalancieren. Schon während der achtziger Jahre hatten eine Reihe anderer Maßnahmen die Verhandlungen in Washington fl ankiert. Der Widerstand stand beispielsweise im 23 Zeitzeugengespräch mit Raul Hilberg am 28.6.2006, der vom »reasonable anti- Semitism« Stauffenbergs sprach. 24 Marc Fisher, »Germany’s Holocaust Fears«, in: Washington Post vom 30.3.1993. 25 Dieter Vogel, »The Holocaust Museum: Two Replies«, in: Washington Post vom 3.4.1993. 27 BArch B 136/42199, Bierett an Kohl, 3.5.1993. 26 Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Bestand Michael Mertes, 01-747, 28 BArch B 136/42199, Pohlmann, »Das Holocaust Memorial Museum in Armonk-Institute/William S. Trosten (1992–1995), von Morr an Kohl, 6.10.1993 Washington D.C.«, 29.4.1993. [korrekt: 1992]. 29 Ebd.

42 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 43 Rahmen der Diskussionen über die Aufgaben des 1987 gegründeten Über die Eindrücke und Reaktionen der fachunkundigen Be- Die schärfste Kritik kam jedoch von Sybil Milton.37 Auf einer die Leistung und das Schicksal von »good Germans« betonen, aber Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Washington auf der Ta- sucher gibt es keine Überlieferung, und somit lässt sich über die Podiumsdiskussion, an der auch Stabreit teilnahm, stellte sie die auch zeigen, dass die bundesrepublikanische Demokratie aus dem gesordnung. Die Erwartungen im Kanzleramt sowie im zuständigen Breitenwirkung der Ausstellung nur spekulieren. Diese dürfte – zu- Wissenschaftlichkeit der Ausstellung in Abrede: Es handle sich bei Vermächtnis von deutschen Helden entstanden war. Erst sehr spät Bundesministerium für Forschung und Technologie gingen über rein mindest in Washington – angesichts der Vielzahl der konkurrierenden »Against Hitler« um eine »westdeutsche Version des Widerstands«, haben die Verantwortlichen in Bonn erkannt, dass es sich beim ame- wissenschaftliche Zwecke hinaus. Das Institut sollte, so Minister Museen und der – allemal aus der Perspektive eines durchschnittli- die alles ausblende oder negiere, was nicht in die geschichtspoli- rikanischen Diskurs über den Holocaust und dessen Bedeutung für Heinz Riesenhuber in einer Vorlage für das Bundeskabinett, für chen amerikanischen Hauptstadttouristen – randständigen Thema- tische Argumentation passe, eine direkte Linie vom 20. Juli zum die Gegenwart, versinnbildlicht durch das Washingtoner Museum, eine »erkennbare Präsenz deutschen Geschichtsverständnisses in tik eher gering gewesen sein. Beim Fachpublikum hingegen stieß Bonner Grundgesetz aufzuzeigen. Bonn »beute« die Geschichte um einen nationalen Diskurs handelte. Es ging um die Erinnerung Washington« sorgen.30 Von politischer Seite aus gab es durchaus den »Against Hitler« auf heftige Kritik. Für den Historiker Jon Wiener, des Widerstands »aus« und spiele die Bedeutung eines marginalen an die Opfer des Holocaust, aber auch um dessen Nutzbarmachung Willen, das Institut für die bereits erörterten geschichtspolitischen der für The New Republic schrieb, war die Stoßrichtung eindeutig: Phänomens hoch. Zudem sei die historische Kontextualisierung für pädagogische Zwecke. Die Bundesrepublik spielte im Kontext Zwecke zu bemühen, nämlich um über die »Erfolgsgeschichte« der Es handle sich bei der Ausstellung um Bonner »Propaganda«.35 Die irreführend. Über die Opfer des NS-Regimes erfahre man nichts, dieser Überlegungen nur eine marginale Rolle – wenn überhaupt. Bundesrepublik und den deutschen Widerstand zu informieren.31 Bundesregierung würde – wegen der Eröffnung des USHMM, aber ebenso wenig über die wesentlich erfolgreicheren Widerstandsbe- Es war vielmehr die Hartnäckigkeit der deutschen Akteure, aber Das wissenschaftliche Personal unter Gründungsdirektor Hartmut auch des Kinostarts von Steven Spielbergs SCHINDLERS LISTE und der wegungen in Belgien oder Jugoslawien. Der deutsche Widerstand auch deren Interpretation des Widerstands, die in Washington auf Lehmann konnte sich jedoch weitgehend der politischen Erwar- kritischen Presseberichterstattung über ausländerfeindliche Gewalt habe hingegen »keinen einzigen Deportationszug gestoppt«. Bonn Skepsis und Ablehnung stießen. Allerdings zog man in Bonn aus den tungshaltung entziehen und den Auftakt der Institutsarbeit mit einem und Neonazis in der Bundesrepublik – alles daransetzten, in Amerika nehme, so Milton, »die Ausnahme« und mache sie zur »Regel«. In Erfahrungen mit der amerikanischen Holocaust-Erinnerung auch wissenschaftlichen Projekt setzen und so verhindern, dass das DHI, zu zeigen, dass es im »Dritten Reich« auch »good Germans« gegeben einem Positionspapier für ihre Kollegen am USHMM fand sie noch Schlüsse, die bis heute weiterwirken: Man gab letztlich den Mitbe- wie auch von Arnulf Baring befürchtet, eine »Kulturtribüne der habe. Die Ausstellung sei jedenfalls »zutiefst irreführend«, da sie deutlichere Worte. Sei man der Regierung Kohl wohlgesonnen, kön- stimmungsanspruch hinsichtlich des Gedenkens an den Holocaust Regierung« werden würde32: einer Tagung zur Geschichte von aus »die politische Bedeutung des Widerstands überbewertet, die Ziele ne man die Ausstellung bestenfalls als »langweilige Wiederholung im Ausland auf, erkannte aber auch, dass ein eindeutiges Bekenntnis NS-Deutschland in die USA emigrierter Historiker. der Anti-Hitler-Deutschen verzerrt darstellt und deren Rolle bei der der Debatten der späten sechziger Jahre« betrachten – schlechtesten zur historischen Verantwortung der Bundesrepublik ihrem Ansehen Auch die Wanderausstellung »Against Hitler«, die am 14. Juli in Etablierung einer Demokratie nach dem Krieg überhöht«. Alles sei Falles sei »Against Hitler« jedoch eine »tendenziöse Neuinterpreta- keineswegs abträglich, sondern letztlich sogar nützlich ist. Washington Premiere feierte und anschließend an mehreren Univer- darauf zugeschnitten, die bundesrepublikanische Demokratie als tion des westdeutschen Nationalcharakters«.38 sitäten gezeigt wurde, erwies sich in geschichtspolitischer Hinsicht Vermächtnis der »Helden« des 20. Juli 1944 zu zeigen. Der Botschafter selbst, in Washington als Kritiker der »amerika- als Fehlschlag.33 Die Basis für diese auf Kosten Bonns in die ameri- Ähnlich, aber doch ausgewogener und umfangreicher äußerte nischen Obsession mit der NS-Zeit« bekannt, ließ sich von diesem kanische Hauptstadt transportierte und dort installierte Schau hatte sich der Journalist und ehemalige Deutschlandkorrespondent der Frontalangriff jedoch nicht beirren.39 Im Gegenteil: Im Rahmen ein Konzept des Militärgeschichtlichen Forschungsamts Potsdam und Washington Post, Marc Fisher, dessen kritische Berichterstattung der Podiumsdiskussion fasste er noch einmal die Quintessenz der der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin geliefert. Jedoch war schon länger für Ärger in Bonn gesorgt hatte. So war es Fisher Bonner Interpretation des Widerstands zusammen. Die Widerstands- dieses dem Ziel entsprechend – und ohne Beteiligung von amerika- gewesen, der über die deutschen Vorbehalte gegen das USHMM kämpfer, so Stabreit, seien »eine wahre Elite in moralischen Sinne« nischer Seite – zugeschnitten worden: Im Zentrum stand der mili- berichtet hatte. »Against Hitler« beschrieb er als eine insgesamt eher gewesen und ein Vorbild für die gesamte »Menschheit«. Der Kern tärische Widerstand, in dessen Tradition die bundesrepublikanische langweilige, textlastige und ermüdende Schau – sie sei eben »typisch der Aussage des Botschafters lag aber in seiner Charakterisierung Demokratie verortet wurde. Über den Beitrag der USA zum Aufbau deutsch«. Auch er kritisierte die »Umdeutung« (»rewriting«) der des NS-Staats, die sich exakt mit der Interpretation deckte, die man der Demokratie in Westdeutschland konnte man auf den Tafeln kein Geschichte heftig, wonach eine »Handvoll erfolgloser Widerstand- auch im USHMM hatte verwirklicht sehen wollen – und die auf Wort fi nden, statt Anpassung und Kollaboration der Kirchen wurde kämpfer den Weg für die westdeutsche Demokratie« bereitet hätte.36 eine Exkulpierung der Deutschen als Volk abzielte: Der NS-Staat Saskia Müller / deren Opposition betont, die kommunistischen Widerstandskämpfer Ebenso skandalös wie die Stoßrichtung der Ausstellung war aus sei nicht von der breiten Masse der Bevölkerung getragen worden, Benjamin Ortmeyer wurden marginalisiert, und diejenigen, die später wichtige Funktionen Fishers Sicht aber das Agieren Bonns und der Botschaft hinter den sondern die »paranoide Vision eines einzelnen Mannes« gewesen. Die ideologische Ausrichtung in der DDR einnahmen, blieben gänzlich unerwähnt: Diese hätten, so Kulissen – und die Tatsache, dass sich die Library of Congress für der Lehrkräfte 1933–1945 Botschafter Immo Stabreit, nach 1945 »Verrat« begangen. Und auch die bundesrepublikanische Geschichtspolitik instrumentalisieren Herrenmenschentum, auf die Frage, warum so viele Deutsche das NS-Regime begeistert habe lassen. Laut Fisher war es letztlich der persönlichen Inter- Widerstand als geschichtspolitisches Argument Rassismus und Judenfeindschaft unterstützt und gerade keinen Widerstand geleistet hatten, ging die vention Stabreits beim Librarian of Congress, James Billington, des Nationalsozialistischen Lehrerbundes Ausstellung nicht ein. Dass die Wissenschaftler, die an deren Kon- geschuldet, dass die Madison Gallery kurzfristig für »Against Hitler« In der transatlantischen Diskussion über die Frage, wie das Han- Eine dokumentarische Analyse zept beteiligt gewesen waren, zu einer wesentlich differenzierten freigeräumt worden war. Die ursprüngliche Idee der Bibliothek, für deln der Deutschen während des »Dritten Reichs« für eine brei- des Zentralorgans des NSLB Betrachtungsweise tendierten, zeigte beispielsweise der Essay von die Ausstellung mit NS-Propagandaplakaten aus der hauseigenen te Öffentlichkeit in den USA interpretiert werden sollte, war der Peter Steinbach im Begleitmaterial zur Ausstellung.34 Sammlung zu werben, musste in Stabreits Ohren wie ein schlechter militärische Widerstand für die Bundesregierung ein zentrales ge- Der Nationalsozialistische 2016, 206 Seiten, Lehrerbund hatte 97 % der Scherz geklungen haben. Sie wurde dann auch fallen gelassen. schichtspolitisches Argument: Seine Geschichte sollte Annahmen broschiert, € 19,95 Pädagoginnen und Pädagogen über kollektive Verhaltensweisen im »Dritten Reich« zerstreuen, ISBN 978-3-7799-3414-1 organisiert. Anhand seines Zen- Auch als E-Book tralorgans wird gezeigt, inwiefern 30 BArch B 136/24443, Bundesministerium für Forschung und Technologie, »Bericht erhältlich zur Errichtung eines Deutschen Historischen Instituts in den USA«, 30.10.1985. der NSLB seit 1933 fester Bestand- 31 BArch B 136/24443, Lutz an Kohl, 6.5.1986. many«, o.O. 1994, enthalten in: »Against Hitler: German Resistance to National teil des Nazi-Systems war. 32 Archiv des Liberalismus, N49-0059, Sammlung Hildegard Hamm-Brücher, Ge- Socialism, 1933–1945«, Loseblattsammlung, Bibliothek des USHMM. Ich danke 37 Ebd. sprächsnotiz, 2.7.1987. Ron Coleman für die Bereitstellung der Quelle. 38 USHMM IA, Accession No. 2005.154, Research Subject Files Milton, Sybil Mil- www.juventa.de 33 Marc Fisher, »The Rewriting on the Wall?«, in: Washington Post vom 24.7.1994. 35 Jon Wiener, »Good Germans«, in: The New Republic vom 6.3.1995, S. 28. ton, »Background Paper«, 12.10.1994. JUVENTA 34 Peter Steinbach, »The resistance movement during the Nazi dictatorship in Ger- 36 Fisher, »Rewriting«. 39 Fisher, »Rewriting«.

44 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 45 Beiträge zu Leben und Wirken Fritz Bauers Remers das Ziel, eine öffentliche Debatte in Nachkriegsdeutschland mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener« zu einer dreimo- über Widerstand während des Nationalsozialismus anzuregen und natigen Freiheitsstrafe verurteilt, der er sich jedoch durch Flucht die Öffentlichkeit zu erziehen. ins Ausland entzog.8

Remer-Prozess: Historischer Kontext und Hintergrund Bauers didaktische Konzeption des Remer-Prozesses »Eine Grenze hat Tyrannenmacht« und sein Engagement für politischen Widerstand Der Angeklagte Otto Ernst Remer, der sich im März 1952 wegen Wie Fritz Bauer die Attentäter des übler Nachrede vor dem Landgericht Braunschweig zu verantworten Bauers Intention, die Hitler-Attentäter als Widerstandskämpfer zu hatte, war im Jahr 1944 Kommandeur des Wachregiments »Groß- rehabilitieren, zeigt, dass seine Konzeption des strafrechtlichen Ver- 20. Juli mittels Schillers Wilhelm Tell deutschland« in Berlin. Neben anderen war Remer an der Verei- fahrens gegen Remer über die bloße Anklage und strafrechtliche telung des Umsturzversuchs beteiligt, der trotz des gescheiterten Verfolgung Remers hinausging. Er erachtete den Remer-Prozess rehabilitierte Attentates auf Hitler am 20. Juli 1944 durch Claus Schenk Graf wie beispielsweise auch den Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963– von Stauffenberg und andere in Berlin unternommen wurde. Für 1965) als Instrumente, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, um seine Loyalität beförderte Hitler ihn zum Oberst. Im Jahre 1951 diese über die nationalsozialistischen Verbrechen und die Notwen- von Kerstin Steitz war Remer zweiter Vorsitzender der rechtsextremen Sozialistischen digkeit zum Widerstand aufzuklären. Wenn Bauer im Remer-Prozess Im Jahre 1952 zitierte Generalstaatsanwalt Reichspartei (SRP), die auch als Remer-Partei bezeichnet wurde.3 eine bekannte Passage aus Wilhelm Tell zitierte, so führte er als Fritz Bauer in seinem Plädoyer im Prozess In der niedersächsischen Landtagswahl 1951 erhielt die SRP elf Ankläger aus und vor, was Schiller fast 170 Jahre zuvor, 1784, in gegen Otto Ernst Remer eine bekannte Pas- Prozent der Wählerstimmen. Während des Wahlkampfes bezeichnete seinem Aufsatz »Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet« sage der Rütli-Szene aus Friedrich Schil- Remer die Hitler-Attentäter um Stauffenberg in der Öffentlichkeit postuliert hatte: »Die Gerichtsbarkeit der Bühne fängt an, wo das Dr. Kerstin Steitz (Ph.D.) ist Assis- lers Wilhelm Tell (1804).1 Dieses Zitat aus dem paradigmatischen als »Verschwörer« und »Landesverräter.«4 Gebiet der weltlichen Gerichte sich endigt.« Als Staatsanwalt plante tant Professor of German an der deutschen Drama des Widerstandes in einen Zusammenhang mit Der Remer-Prozess fand vom 7. bis 11. März 1952 vor dem Bauer den Remer-Prozess als Lehrstück.9 Der Einschätzung des His- Old Dominion University in Norfolk, diesem Prozess zu bringen war ein rhetorischer Kunstgriff. His- Landgericht Braunschweig statt.5 Bauer, der als Generalstaatsanwalt torikers Norbert Frei zufolge verwirklichte Bauer seine didaktischen . Sie arbeitet derzeit an ih- toriker, Politikwissenschaftler und Bauers Biographen haben den beim Oberlandesgericht Braunschweig das bei der landgerichtli- Intentionen im Remer-Prozess: Der Prozess wurde ein »öffentliches rer Habilitation »Im Labyrinth des Remer-Prozess eingehend erforscht, jedoch Bedeutung und Funktion chen Staatsanwaltschaft anhängige Verfahren an sich gezogen hatte, Lehrstück«, auch wegen der breiten Berichterstattung in der Presse, Frankfurter Auschwitz-Prozesses des Wilhelm-Tell-Zitats sowohl im Gerichtssaal als auch im Hinblick klagte Remer der üblen Nachrede an, basierend auf §186 des deut- die den Prozess dokumentierte und kommentierte und Bauers Bot- (1963–1965). Fritz Bauer und die auf dessen Bedeutung in der deutschen Nachkriegszeit weitgehend schen Strafrechtes, nach dem »üble Nachrede« als die Behauptung schaft an die Öffentlichkeit weitergab.10 Für die Politikwissenschaft- literarische und fi lmische Bearbei- unberücksichtigt gelassen.2 und Verbreitung einer unwahren Tatsache, die rufschädigend ist, lerin Claudia Fröhlich markiert der Remer-Prozess den Beginn von tung des ersten großen Strafprozesses Im Folgenden wird argumentiert, dass das Wilhelm-Tell-Zitat defi niert ist.6 Bauers Anklagestrategie verfolgte das Ziel, Remers Bauers Engagement in der Aufarbeitung der nationalsozialistischen gegen Nazi-Verbrecher in Nachkriegs- Bauer ermöglichte, verschiedene Publikumsgruppen zu adressieren Behauptung, die Hitler-Attentäter seien Verräter, zu widerlegen, Verbrechen und Vergangenheit in den fünfziger Jahren. deutschland«. 2015 erhielt sie das und aufgrund der performativen Qualität der Passage, der Rezep- um stattdessen zu belegen, dass sie aus Patriotismus und Sorge Hinsichtlich der Fülle literarischer Beispiele über Widerstand Gerald Westheimer Career Develop- tionsgeschichte des Dramas und des Bezugs zu Bauers Biographie ums Vaterland Deutschland vor dem drohenden Untergang und in der Weltliteratur erscheint die Wahl des Wilhelm-Tell-Zitats im ment Fellowship vom Leo Baeck zahlreiche Aspekte anzusprechen, die außerhalb des Prozessgegen- der Zerstörung des Reichs zu schützen versuchten und daher als Remer-Prozess als eine dezidierte Entscheidung – Bauer hätte zum Institute in New York. standes lagen. All diese Aspekte verfolgten neben der Verurteilung Widerstandskämpfer erinnert werden sollten. Bauer plädierte dafür, Beispiel ebenfalls Antigone oder Hamlet als Widerstandsdramen »die Helden des 20. Juli ohne Vorbehalt und ohne Einschränkung zu im Braunschweiger Gerichtssaal zitieren können. Wilhelm Tell rehabilitieren, aufgrund der Tatsachen, die uns heute bekannt sind, thematisiert den Widerstand der Schweiz gegen die Besetzung der auf Grund des damals und heute, des ewig geltenden Rechts.«7 Re- Habsburger. Der Protagonist, der Jäger Wilhelm Tell, erschießt den 1 Fritz Bauer, »Eine Grenze hat Tyrannenmacht: Plädoyer im Remer-Prozeß«, mer wurde am 15. März 1952 »wegen übler Nachrede in Tateinheit Landvogt Gessler zum Schutz seiner Familie vor dem Tyrannen, in: Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften, hrsg. von nachdem dieser Tell gezwungen hatte, einen Apfel vom Kopf seines Joachim Perels und Irmtrud Wojak, Frankfurt am Main, New York 1998, S. 169–179. 2 Norbert Frei, »Erinnerungskampf: Zur Legitimationsproblematik des 20. Juli 3 Steinke, Fritz Bauer, S. 123. im Nachkriegsdeutschland«, in: Festschrift für Hans Mommsen zum 65. Ge- 4 Ebd., S. 126; Frei, »Erinnerungskampf«, S. 671; Fröhlich, »Wider die Tabuisie- burtstag. Von der Aufgabe der Freiheit. Politische Verantwortung und bürger- rung«, S. 50. 8 Fröhlich, »Wider die Tabuisierung«, S. 119. liche Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Christian Jansen, 5 Ebd., S. 33. 9 Für die weitere Diskussion siehe Joachim Perels und Irmtrud Wojak, »Einleitung Lutz Niethammer und Bernd Weißbrot, Berlin 1995, S. 664–676. Die folgenden 6 Bauer, »Eine Grenze«, S. 170. §186 StGB »Üble Nachrede«: »Wer in Beziehung der Herausgeber. Motive im Denken und Handeln Fritz Bauers«, in: Die Humani- Autoren untersuchen den Remer-Prozess im Kontext von Bauers Biographie auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben ver- tät der Rechtsordnung, S. 9–33; Werner Renz, »Der Frankfurter Auschwitz- und seinem Widerstandsbegriff: Claudia Fröhlich, »Wider die Tabuisierung ächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet Prozess: ›Rechtsstaatliches Verfahren‹ oder ›Strafrechtstheater‹? Kann mithilfe des Ungehorsams«. Fritz Bauers Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu der Strafjustiz politische Aufklärung geleistet werden?«, in: Wolfgang Form, von NS-Verbrechen, Frankfurt am Main, New York 2006, S. 31–128; Ronen einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich oder durch Verbrei- Theo Schiller, Lothar Seitz (Hrsg.), NS-Justiz in Hessen. Verfolgung, Kontinuität, Steinke, Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, München 2013, S. 123–151; ten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jah- Erbe, Marburg 2015, S. 439–451. Irmtrud Wojak, Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie, München 2009, ren oder mit Geldstrafe bestraft.« 10 Frei bezeichnete den Remer-Prozess als »Lehrstück«, siehe Frei, »Erinnerungs- S. 265–283. 7 Bauer, »Eine Grenze«, S. 170. kampf«, S. 673.

46 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 47 Sohnes zu schießen, um ihn zu schikanieren und seinen Mut auf die des Widerstandes. Er leitete das Zitat ein mit den Worten, dass es Probe zu stellen. Dass die Wahl auf Schillers Wilhelm Tell fi el, ist »die Ironie des Schicksals« sei, dass selbst Hitler als Befürworter sicherlich unter anderem auf Bauers Wertschätzung für den Dichter des Widerstandes diesem als Diktator beinahe zum Opfer fi el.19 Wei- und seine eigene humanistische Bildung zurückzuführen. Weitere terhin grenzte sich Bauer von Hitler ab, indem er ihn nicht direkt gewichtigere Gründe für das Zitat mögen das politisch gemischte zitierte, sondern daran erinnerte, dass der Zeuge Kleffel vor Ge- deutsche Publikum, dem die Verse vertraut waren, die rhetorischen richt die Geschichte Carl Friederich Goerdelers zu Protokoll gab, Eigenschaften des Textes, die Bauers Argument unterstützten und der eine Passage über Widerstand aus Mein Kampf zitiert hatte.20 veranschaulichten, und seine autobiographische Verbindung zur Bauer bettete das Zitat ein in eine Vielzahl von Aussagen verschie- Textstelle gewesen sein. dener Personen, was seine Distanzierung deutlich machte. Letztlich unterminierte er nochmals die Autorität Hitlers explizit, als er mit Nachdruck hinzufügte: »Aber wir wollen nicht Hitler das letzte Wort Bauers Plädoyer im Remer-Prozess lassen.«21 Bauers Rhetorik macht deutlich, dass er Hitler lediglich in dem Zusammenhang mit Widerstand erwähnte, um sodann dessen In seinem Plädoyer verteidigt Bauer die Hitler-Attentäter, indem er Autorität in Frage zu stellen und dem Publikum eine bedeutendere zunächst argumentiert, dass »Ungehorsam gegen menschenverach- alternative deutsche Autorität in Sachen Widerstand vorzustellen: tende Gesetze […] christlich« sei.11 Zur Unterstützung seines Ar- den humanistischen Dichter Friedrich Schiller. Durch die öffentli- guments hatte Bauer evangelische und katholische Moraltheologen che Ablehnung von Hitlers Widerstandsbegriff und damit ebenfalls als Gutachter eingeladen.12 Bauer argumentierte ferner, dass es sich von Hitler führte Bauer selbst öffentlichen Widerstand vor. Bauer bei dem NS-Staat um einen Unrechtsstaat gehandelt habe und daher zufolge habe »[d]as Schönste über das Widerstandsrecht von Volk jegliche Form von Widerstand als Notwehr laut §35 Strafgesetzbuch und Mensch […] Schiller im Tell gesagt«22, aus dem er sodann zitiert: zu erachten sei.13 Ausgehend von der Prämisse des nationalsozia- listischen Unrechtsstaates folgerte Bauer, dass es unmöglich war, »Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht. Hochverrat gegen ein solches Regime zu begehen.14 Bauer verwies Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann fi nden, auf Ungehorsam und Widerstand gegen Tyrannei im germanischen Wenn unerträglich wird die Last, greift er Recht, um deren Verwurzelung im Recht und der Geschichte der Ger- Hinauf getrosten Mutes in den Himmel manen zu belegen und sie als germanische Werte aufzuzeigen.15 Als Und holt herunter seine ew’gen Rechte, Beispiel dafür führte er den Sachsenspiegel an.16 Mit dem Verweis Die droben hangen unveräußerlich auf Widerstand und Ungehorsam in der germanischen Rechtsge- Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst. schichte ging er ebenfalls auf die Einwände der politischen Rech- Der alte Urstand der Natur kehrt wieder, ten ein, dass in diesem Gerichtssaal »deutsches Recht« gesprochen Wo Mensch dem Menschen gegenüber steht; werden solle, und vereinnahmte dieses Argument für seine Position. Zum letzten Mittel, wenn kein anderes mehr Um die Argumente der politischen Rechten weiterhin zu unter- Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben. minieren und gegen sie selbst zu verwenden – viele SRP-Mitglieder Der Güter höchstes dürfen wir verteid’gen waren anwesend im Braunschweiger Gerichtssaal und verfolgten Gegen Gewalt.«23 das Verfahren in den Medien17 –, nahm Bauer sogar Bezug auf Mein Kampf. Bauer zufolge war es Hitler, »der dieses Widerstandsrecht Das Zitat stammt von Stauffacher in der zweiten Szene des zwei- wieder in das Bewusstsein der deutschen Bevölkerung brachte«.18 ten Aktes, ebenfalls bekannt als »Rütli-Szene«. Stauffacher plant Jedoch distanzierte sich Bauer unmittelbar von Hitler als Autorität mit Rösselman und Melchtal die Befreiung der Schweiz von der Habsburger Herrschaft auf der Bergwiese Rütli. Er erklärt, dass Widerstand gegen Tyrannen und Gewaltherrschaft ein ewiges, un- veräußerliches und unzerbrechliches Recht sei.24 11 Bauer, »Eine Grenze«, S. 194; Steinke, Fritz Bauer, S. 144. 12 Fritz Bauer, »Eine Grenze«, S. 170. 13 Ebd., S. 177; Steinke, Fritz Bauer, 145–146. Steinke verweist darauf, dass Gustav Die drei Eidgenossen beim Schwur Radbruch zuvor so argumentiert habe, ebd., S.176 f. auf dem Rütli (Ölgemälde von Johann 14 Bauer, »Eine Grenze«, S. 177. 19 Ebd. Heinrich Füssli, 1780), Standort: 15 Ebd.; Steinke betont Bauers Hinweis darauf, Widerstand sei »so urdeutsch wie 20 Ebd. Kunsthaus Zürich, Sammlung. nur irgendetwas«, Steinke, Fritz Bauer, S. 148. 21 Ebd. Public domain, Quelle: Wikipedia/ 16 Bauer, »Eine Grenze«, S. 177. 22 Ebd. S. 179. The Yorck Project: 10.000 Meister- 17 Ebd. 23 Ebd. werke der Malerei. DVD-ROM, Berlin: 18 Ebd., S. 178. 24 Ebd. Directmedia Publishing GmbH, 2002.

48 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 49 Während Bauer Schiller rezitierte aufgrund seines Respekts für letztlich zur Aufl ehnung führt. Die doppelte Verwendung des Apo- Im Himmel »droben« befi nden sich die Rechte, die der Despot abschließend die Grundthese sowie den performativen Widerstands- diesen und dessen Autorität als deutscher Dichter, der der Mehrheit koinu der beiden Bedingungssätze »Wenn der Gedrückte nirgends auf Erden verletzt und auf die sich der Unterdrückte berufen kann. charakter der Passage. Da »Gewalt« und »Tyrannenmacht« als der Deutschen bekannt war, verweist seine Einführung des Zitats Recht kann fi nden,/Wenn unerträglich wird die Last […]« beziehen Diese Rechte beschreibt Schiller als »ew’g […]«, »unveräußerlich« Synonyme gelesen werden können, rahmen der erste und letzte bereits auf die spezifi schen rhetorischen Qualitäten der Passage, de- sich auf die folgenden vier Verse »greift er/Hinauf getrosten Mutes und »unzerbrechlich«. Diese Passage bezieht sich ebenfalls auf eine Vers diese Passage ein. ren sich Bauer sicherlich bewusst war. Prozessbeobachter bemerkten in den Himmel/Und holt herunter seine ew’gen Rechte,/Die droben frühere Bemerkung Bauers in seinem Plädoyer, in der er erklärt, dass Es ist wahrscheinlich, dass Bauer sich der Performativität der Bauers Rhetorik und Eloquenz während des Verfahrens. Fröhlich hangen unveräußerlich/Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst.« er es als Staatsanwalt als seine Aufgabe und die der Richter erachtet, Passage bewusst war.33 Dass Sprache in Handlung übergehen kann, zufolge charakterisierten Journalisten den Generalstaatsanwalt als Da das Apokoinu als Variation der Wiederholung häufi g in epischen »die Helden des 20. Juli zu rehabilitieren, […] auf Grund des damals vertrat Bauer auch später in seiner Einleitung zu Widerstand ge- »Verhandlungsstratege[n] hohen Grades«.25 Heldensagen verwendet wird, suggeriert dies, dass Widerstand in und heute, des ewig geltenden Rechts«.32 gen die Staatsgewalt. Dokumente der Jahrtausende. Die von ihm Inhaltlich fasst die Passage Bauers Anklagestrategie pointiert dieser Passage als Heldentat gepriesen wird. Diese Interpretation In diesen Versen bringt der Unterdrückte, der sich aufgerichtet ausgewählten Texte seien »selber Widerstandsaktionen, […] ein zusammen und unterstützt sie. Bereits im ersten Vers wird die Li- wird weiterhin unterstützt durch die Worte »getrosten Mutes«, die hat gegen den Tyrannen, diese Rechte herunter auf die Erde, was Aufbegehren in Wort und Tat«.34 Aufgrund seiner Performativität mitierung der Tyrannenherrschaft betont. Doch nicht nur inhaltlich Widerstand mit Courage gleichsetzen. Die Darstellung von Wider- »de[n] alte[n] Urzustand der Natur« wiederherstellt. Die Herbeifüh- war das Zitat aus Wilhelm Tell rhetorisch wirkungsmächtiger als thematisiert die Passage Tyrannenwiderstand, sondern setzt ebenfalls standskämpfern als Helden ist grundlegend für Bauers Argumentati- rung des ursprünglichen natürlichen Gleichgewichts durch Rechte andere literarische Widerstandsbeispiele, die Bauer ebenfalls hätte Aufbegehren an mehreren Stellen selbst um, leistet also Widerstand. on im Remer-Prozess. Bereits zu Beginn seines Plädoyers bezeichnet impliziert, dass die Natur Tyrannenmacht und Machtmissbrauch anbringen können. Mit der rhetorischen Durchführung von Widerstand ist diese Passage er die Widerstandskämpfer als »Helden«.27 nicht vorgesehen hat. Statt Tyrannenmacht ist der natürliche Ur- Bauer beendet sein Plädoyer überraschenderweise mit einer ein performativer Sprechakt nach der Defi nition des Begründers der Die Verkehrung der Machtverhältnisse – der Unterdrückte wird zustand durch die Gleichheit der Menschen gekennzeichnet: »Wo Anekdote über seine persönliche Verbindung zu dem Drama Wil- Sprechakttheorie, John Langshaw Austin.26 als Held gepriesen, während der Tyrann weder als Subjekt noch Mensch dem Menschen gegenüber steht.« Mit dem Verzicht auf helm Tell und Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Erinnerung und Das eindrücklichste Beispiel für die Performativität dieser Pas- als Person, sondern lediglich als abstrakte »Tyrannenmacht« dis- die Dichotomie »Tyrannenmacht« und »Gedrückter« zugunsten autobiographischer Verweis sind weiterhin Teil von Bauers rhetori- sage ist die emphatische Partikel »Nein« zu Beginn. Als grundlegen- kreditiert wird – ist weiterhin durch die Dichotomie von »niedrig« des Begriffes »Mensch« spielt Schiller ebenfalls an auf Hobbes scher Strategie und erlauben ihm, Aspekte anzusprechen, die über de Äußerung von Widerstand steht es in Opposition zur Willkürherr- und »hoch« veranschaulicht. Als Konsequenz des fortschreitenden bekanntes Diktum »homo homini lupus est«, der Mensch ist dem den Verhandlungsgegenstand des Remer-Prozesses hinausgehen schaft des Tyrannen und widersetzt sich dessen Autorität. Stauffacher Machtmissbrauchs wendet sich der Unterdrückte »hinauf […] in Menschen ein Wolf. Schiller variiert das Hobbs’sche Polypton, und sonst keinen Einzug in den Prozess gefunden hätten. Bauer schränkt die Macht des Tyrannen ein. Mit dem emphatischen Ausruf den Himmel«. Vermutlich bezog sich Bauer auf diese Passage, als die Wiederholung des Wortes »Mensch» im Nominativ und »dem erinnert, dass er, Stauffenberg und weitere Schulkameraden des »Nein« beginnt die Passage in medias res und wirkt daher ebenfalls er in seinem Aufsatz »Widerstandsrecht und Widerstandspfl icht des Menschen« im Dativ, und nutzt es dazu, der Autorität Hobbes’ zu Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums in Stuttgart die Rütli-Szene in der als Negation Remers und seiner Verteidiger. Staatsbürgers (1962)« betont: »[E]ine der schönsten Formulierungen widersprechen und diesem sein philanthropisches Menschenbild Schule aufführten: Aufbegehren wird ferner ebenfalls syntaktisch durchgeführt. John Lockes hat Schiller fast christlich in die deutsche Sprache über- entgegenzusetzten – ein weiteres Beispiel der Performativität dieser »Wenn ich nach vielen, langen Jahren vor ihnen heute wie- Anstatt mit dem Tyrannen als Subjekt des Satzes zu beginnen – das tragen. Wir fi nden sie in den Worten der Rütli-Szene.«28 Es scheint Passage, in der einer Autorität Widerstand entgegengesetzt wird. der die Rütli-Szene beschwöre, so gehen meine Gedanken zurück heißt mit »Tyrannenmacht hat eine Grenze« –, verkehrt Schiller kein Zufall zu sein, dass Bauer das Tell-Zitat im Remer-Prozess mit Im Einklang mit seinem Glauben an die Menschlichkeit erinnert zum humanistischen Gymnasium in Stuttgart. Die Schüler des den Satzbau zu »[e]ine Grenze hat Tyrannenmacht«. Diese Inver- ähnlichen Worten einleitet: dem Superlativ »das Schönste«.29 Bauer Stauffacher seine Kameraden auf dem Rütli daran, dass Gewalt, humanistischen Gymnasiums in Stuttgart […] hatten es als ihre sion unterminiert die Macht des Tyrannen. Ferner verursacht und erwähnt ferner in seinem Aufsatz »Ungehorsam und Widerstand in symbolisiert durch das »Schwert«, nur als »das letzte Mittel« in Aufgabe angesehen, das Erbe Schillers zu wahren […] Wir ha- verdeutlicht die Inversion ebenfalls eine Umkehrung der Hierarchie Geschichte und Gegenwart«, dass Schiller Lockes Überlegungen Verteidigung »der Güter höchstes«, also der unveräußerlichen ben in unserem Gymnasium den Wilhelm Tell und die Rütli-Szene von Unterdrücker und Unterdrückten und nimmt dadurch bereits zum Widerstand in die Dichtung übertragen habe.30 Locke prägt im Menschenrechte, angewandt werden solle. Die Platzierung die- aufgeführt. Was dort Stauffacher sagte, tat später Stauffenberg, er vorweg, dass der Fokus auf dem Letzteren liegen wird. Durch die »Chapter XIV Of Prerogativ« seines Two Treatises of Government ser Rechte im Himmel beschreibt nicht nur ihre natürliche und und seine Kameraden des 20. Juli, eingedenk dessen, was unsere Verkehrung des Satzbaus, ebenfalls durchaus üblich in der Dichtung, (1689) den Begriff des »appeal to Heaven«: gottgegebene Herkunft, sondern ebenfalls metaphorisch ihre hohe Dichter und Denker gelehrt haben, eingedenk unseres guten alten erscheinen Beginn und Ende des ersten Verses wie eine Parole des »[…] as in all other cases where they have no Judge on Earth, Wertigkeit. Stauffacher beschwört seine Kameraden, dass Gewalt deutschen Rechts.«35 Protests: »Nein [...] Tyrannenmacht.« but to appeal to Heaven. […] And where the Body of the People, lediglich als Notwehr, als Verteidigung »gegen Gewalt«, im Sinne Zunächst macht diese biographische Verbindung Bauers Inter- Stauffacher fährt fort und erläutert die Behauptung des ersten or any single Man are deprived of their Right, or are under the von Machtmissbrauch, angewendet werden solle. Dies unterstützt pretation der Passage unmissverständlich deutlich: Widerstand ist Verses mit Beispielen der Konsequenzen von Machtmissbrauch. Die Exercise of a power without right, having no Appeal on Earth, they erneut Bauers Argument, dass die Widerstandskämpfer gegen ein Akt in der humanistischen Tradition Schillers, tief verwurzelt in folgenden Verse, die alle den Unterdrückten als Subjekt fokussieren, have a liberty to appeal to Heaven whenever they judge the Cause Hitler aus Notwehr handelten. Die Worte am Ende der Passage deutscher Geschichte und Tradition. Noch wichtiger ist, dass Bauer evozieren Empathie für ihn durch Metaphern wie »der Gedrückte« of suffi cient moment.«31 »[g]egen Gewalt« muten an wie ein Echo auf den Schlachtruf des seine persönliche Verbindung zum Remer-Prozess, die Bekannt- und »unerträglich wird die Last«. Dieses Synonym und die Be- ersten Verses »Nein […] Tyrannenmacht« und betonen noch einmal schaft und gleiche Bildungstradition mit Stauffenberg preisgibt. schreibung veranschaulichen die Folgen der Tyrannenmacht bildlich. Bauer machte in diesem Zusammenhang ebenfalls deutlich, dass er Die Anapher »wenn« betont die fortschreitende Unterdrückung, die es als Ehre erachte, sich »zu dessen Mitschülern […] rechnen« zu 27 Bauer, »Eine Grenze«, S. 169. dürfen, was den Heldenstatus der Widerstandskämpfer um Stauf- 28 Bauer, »Widerstandsrecht und Widerstandspfl icht des Staatsbürgers (1962)«, ernment, London 1698. The Making Of The Modern World, S. 297. Web. 23 Jan. fenberg nochmals unterstreicht.36 in: Die Humanität der Rechtsordnung, S. 181–205, hier S. 187. Bauer meint hier 2017. URL: [http://fi nd.galegroup.com/mome/infomark.do?&source=gale&prodI 25 Fröhlich, »Wider die Tabuisierung«, S. 105. John Lockes Two Treatises of Government. d=MOME&userGroupName=viva_odu&tabID=T001&docId=U100377833&typ 26 John Langshaw Austin, Zur Theorie der Sprechakte (How To Do Things With 29 Bauer, »Eine Grenze«, S. 179. e=multipage&contentSet=MOMEArticles&version=1.0&docLevel=FASCIMILE]. Words), deutsche Bearbeitung von Eike von Savigny, bibliographisch ergänzte 30 Fritz Bauer, »Ungehorsam und Widerstand in Geschichte und Gegenwart«, in: Bauer übernahm ebenfalls einen Auszug aus diesem Kapitel Lockes in deutscher Ausgabe, Stuttgart 2014, S. 31. »Das Äußern der Worte ist (…) das entscheiden- Vorgänge. Eine kulturpolitische Korrespondenz, Jg. 7 (1968), H. 8–9, S. 289. Übersetzung, »Der Appell des Volkes an den Himmel (1690)«, in seinem Buch 33 Ebd, S. 179. de Ereignis im Vollzuge der Handlung, um die es in der Äußerung geht (…); aber 31 John Locke, Two treatises of government: in the former, the false principles and Widerstand gegen die Staatsgewalt. Dokumente der Jahrtausende, zusammenge- 34 Widerstand gegen die Staatsgewalt, S. 10. es ist alles andere als üblich (…), daß nur das Äußern der Worte nötig ist, wenn foundation of Sir Robert Filmer, and his followers, are detected and overthrown. stellt und kommentiert von Fritz Bauer, Frankfurt am Main 1965, S. 143 f. 35 Bauer, »Eine Grenze«, S. 179. die Handlung vollzogen sein soll.« Ebd., S. 31. The latter is an essay concerning the true original, extent, and end of civil-gov- 32 Bauer, »Eine Grenze«, S. 169 f. 36 Ebd.

50 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 51 Hinsichtlich Bauers Konzeption des Prozesses als Lehrstück bezichtigen. Nur die öffentliche Rezitation und Interpretation des ist sein Verweis auf Stauffenbergs und seine eigene humanistische Tell im Gerichtssaal erlaubten es Bauer, Schiller zu verteidigen und Erziehung ein wichtiger Aspekt. Bauer führt Stauffenbergs Cha- ihm zu literarischer Gerechtigkeit zu verhelfen. rakter und Motive zurück auf dessen Erziehung, die Einfl uss auf Bauers Verweis auf die Schulaufführung der Rütli-Szene und sein Handeln gehabt habe. Bauer impliziert mit den Worten »[…] seine Rezitation eines zentralen Ausschnittes betonen nochmals die was unsere Dichter und Denker gelehrt haben«37, dass Stauffenberg performativen Eigenschaften der Passage und verdeutlichen, dass diesen humanistischen Wert des Widerstandes, den er im Hitler- es sich um ein Drama handelt. Seine Wiedergabe eines zusammen- Attentat zu verwirklichen versucht hatte, von Schiller gelernt habe. hängenden Abschnittes aus dem Drama, gesprochen von der dra- Die Einbeziehung einer Schlüsselszene seiner eigenen Erziehung matischen Person Stauffacher, kommt dadurch einer dramatischen und die Betonung von Dichtern und Denkern als Lehrer und Vor- Inszenierung gleich. Bauer verwandelte damit den Braunschwei- bilder unterstützt die These von Bauers didaktischen Absichten für ger Gerichtssaal kurzzeitig in eine Schaubühne. Dies erinnert an den Prozess. Schillers Diktum, die Rechtsprechung der Bühne beginne dort, wo Bauers Hauptziele im Remer-Prozess waren die Rehabilitie- die juristische ende – was auch für die literarische Rückeroberung rung der Widerstandskämpfer und die Erziehung der Öffentlichkeit, Schillers galt. Die Erinnerung an die Schulaufführung des Dramas die zu der Erkenntnis zu führen war, dass Hitlers »Volksgenossen« im Prozess und der Hinweis auf die Absicht der Schüler um Stauf- hätten Nein sagen, den Gehorsam verweigern müssen. Gleichzeitig fenberg und Bauer, die humanistische Tradition zu wahren, ver- befreite er Schiller aus der ideologischen Vereinnahmung durch wandelten den Remer-Prozess gewissermaßen in die Rütli-Szene die Nationalsozialisten, wie Irmtrud Wojak bemerkt.38 Vornehmlich Nachkriegsdeutschlands: An ihm wurde ein Akt deutschen Wider- Wilhelm Tell spielte für die Legitimierung der frühen »Bewegung« standes aufbereitet und gleichzeitig vollzogen. Er wurde zu einem eine große Rolle. So bezeichnete den Dichter im öffentlichen Lehrstück über den Widerstand gegen Remer und den offi ziellen Schiller-Jahr 1934 als »Vorkämpfer der nationalsozialis- Nationalsozialismus. Mit seinem Anknüpfen an Schiller ging Bauer 39 tischen Bewegung«. Wilhelm Tell stieg während der frühen Jahre über die Grenzen des Remer-Prozesses hinaus und gab vor, wie Links: Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (links) und des Nationalsozialismus zum »National- und Führerdrama« auf.40 der Nationalsozialismus und das Hitler-Attentat zukünftig in der Staatsanwalt Rolf Herzog im Gespräch während des Das Drama wurde auf den großen Theaterbühnen Deutschlands Öffentlichkeit erinnert werden sollten. Remer-Prozesses am Landgericht Braunschweig im aufgeführt, und die Rütli-Szene wurde sogar auf besonderen Partei- Gleichzeitig betont Bauer ebenfalls mit der wiederholten Ver- März 1952. Rechts: Der ehemalige Generalmajor Otto Ernst Remer 41 veranstaltungen der NSDAP zitiert. Im Jahre 1941 wurde Wilhelm wendung des Possessivpronomens »unsere Dichter und Denker« auf der Anklagebank. Tell aus Schauspielhäusern und Schulen verbannt, da die Interpre- und »unseres guten alten deutschen Rechts« seine Identität als Fotos: Gerhard Gronefeld/Deutsches Historisches tation Bismarcks, es handele sich um ein »Separatisten-Drama«, Deutscher, die ihm die Nationalsozialisten abgesprochen hatten.44 Museum, Berlin in dem sich die Schweiz von der Habsburger-Okkupation befreien Als jüdischer Deutscher und Sozialdemokrat musste Bauer vor den wolle, wieder an Gültigkeit gewann.42 Indem Bauer den Tell in den Nationalsozialisten ins Exil fl üchten. Im Gerichtssaal des Remer- Kontext des Widerstands gegen den Nationalsozialismus setzte, Prozesses, gefüllt mit Remer und seinen Partei-Anhängern, und interpretierte er das Drama als ein humanistisches und widersprach in Nachkriegsdeutschland gehörte Bauer als jüdischer Deutscher damit der nationalsozialistischen Deutung – ein weiterer Akt des einer Minderheit an. Seine Verwendung des Possessivpronomens zum Widerstand. Nebenbei ging es auch um seine Anerkennung als verstand. Die Rehabilitation der Attentäter als Widerstandskämpfer Widerstandes. Schiller und sein Held Wilhelm Tell wurden wie die »unser« ist daher nicht nur Teil der rhetorischen Strategie, um auf Deutscher. Obgleich Remer lediglich wegen Beleidigung zu einer und als Männer, die einem humanistischen Ideal verbunden waren, Widerstandskämpfer des 20. Juli miteinander in Verbindung gebracht die lange Tradition des Widerstandes in der deutschen Literatur- und dreimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde und nicht wegen mit Hilfe des Tell-Zitats war eine rhetorische Meisterleistung Bau- und auf die ursprüngliche humanistische Bedeutung des Textes zu- Rechtsgeschichte hinzuweisen, sondern dient ihm ebenfalls dazu, übler Nachrede, kann der Prozess dennoch als Erfolg erachtet wer- ers. Er selbst zeigte sich so der humanistischen Bildungstradition rückgeführt.43 Während es Bauer juristisch möglich war, Remer sich der nationalsozialistischen Fremdzuschreibung, er sei Jude und den, da er dazu beitrug, wie der Widerstand des 20. Juli noch heute verpfl ichtet und verwahrte sich damit gegen die nationalsozialisti- wegen »übler Nachrede« anzuklagen, um das Ansehen der Wider- kein Deutscher, zu widersetzen und seine Identität als Deutscher zu erinnert wird. sche Fremdzuschreibung, als Jude kein Deutscher zu sein. Generell standskämpfer wiederherzustellen, konnte er die Nationalsozialisten behaupten und zurückzuerobern. ermöglicht die rhetorische Performativität des Zitats die Auf- und nicht vor Gericht der Falschauslegung und Rufschädigung Schillers Hinsichtlich dieser Widerstands-Agenda überrascht es wenig, Ausführung von Widerstand: Die Passage führt den von ihr postulier- dass Bauer am Ende seines Plädoyers die Forderung des Strafmaßes Schlussbetrachtung ten und gepriesenen Ungehorsam rhetorisch vor und wird so selbst vergaß. Für Bauer lag die Priorität des Prozesses auf der Rehabili- zum Widerstandsakt. Auf einer Metaebene fungiert diese Passage tierung der Hitler-Attentäter als Widerstandskämpfer und Schillers Die Rezitation der Passage von Schillers Wilhelm Tell erfüllte zahl- im Kontext von Bauers Biographie und seinem Selbstverständnis 37 Ebd. 38 Wojak, Fritz Bauer, S. 275. Wilhelm Tell, auf der Aufklärung der deutschen Öffentlichkeit über reiche Funktionen und adressierte eine Vielzahl von Aspekten au- als Schüler seines Namensvetters Friedrich Schiller als Kommentar 39 Georg Ruppelt, Schiller im nationalsozialistischen Deutschland. Der Versuch die nationalsozialistischen Verbrechen und auf der Notwendigkeit ßerhalb des Remer-Prozesses. Da die Mehrheit der deutschen Bevöl- auf die Lehrstückkonzeption des Remer-Prozesses als Rütli-Szene einer Gleichschaltung, Stuttgart 1979, S. 33–45, hier S. 36. kerung mit dem Tell und der Rütli-Szene vertraut war, fungierte das Nachkriegsdeutschlands. Bauers Absicht, die deutsche Öffentlichkeit 40 Ebd., S. 40. Drama als kleinster gemeinsamer Nenner und wirkte dadurch auf ein zu erziehen und sie von der Relevanz von Widerstand zu überzeu- 41 Ebd. 42 Ebd., S. 41. 44 Steinke verweist ebenfalls auf Bauers Verwendung des Personalpronomens »wir« breites und gemischtes Publikum. Diesem gegenüber machte Bauer gen, hatte das Ziel, eine Diktatur, wie sie im Nationalsozialismus 43 Wojak, Fritz Bauer, S. 275. und ebenfalls auf den Begriff des Vaterlandes, Steinke, Fritz Bauer, S. 143. deutlich, dass er Schiller als Dichter des humanistischen Widerstands herrschte, zukünftig unmöglich zu machen.

52 Einsicht Einsicht 17 Frühjahr 2017 53 Rezensionen Buchkritiken

60 Mark Mazower: Griechenland unter Hitler. 72 Oliver von Wrochem (Hrsg.) unter Mitarbeit von 77 Tommaso Speccher: Die Darstellung des Holocausts Das Leben während der deutschen Besatzung 1941–1944 Christine Eckel: Nationalsozialistische Täterschaften. in Italien und Deutschland. Erinnerungsarchitektur – Rena Molho: Der Holocaust der griechischen Juden. N achwirkungen in Gesellschaft und Familie Politischer Diskurs – Ethik Studien zur Geschichte und Erinnerung Oliver von Wrochem, Ute Wrocklage: Ein Täter, von Aloysius Widmann, München von Rainer Liedtke, Regensburg Mitläufer, Zuschauer, Opfer in der Familie? Materialien zu biographischen Familienrecherchen 78 Jörg Ganzenmüller, Raphael Utz (Hrsg.): 62 Karin Orth: Die NS-Vertreibung der jüdischen Gelehrten. von Gottfried Kößler, Pädagogisches Zentrum Frankfurt Orte der Shoah in Polen. Gedenkstätten zwischen Die Politik der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Mahnmal und Museum die Reaktionen der Betroffenen 74 Thorsten Fehlberg, Jost Rebentisch, Anke Wolf (Hrsg.): von Babette Quinkert, Berlin von Jenny Hestermann, Fritz Bauer Institut Nachkommen von Verfolgten des Nationalsozialismus. Herausforderungen und Perspektiven 79 Thomas Sandkühler: Adolf H. Lebensweg eines 64 Sarah Helm: Ohne Haar und ohne Namen. von Anne Klein, Köln Diktators Im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück von Sophie Schmidt, Pädagogisches Zentrum Frankfurt von Jochen August, Berlin/Oświęcim 75 Petra Schweizer-Martinschek: Die Strafverfolgung von NS-»Euthanasie«-Verbrechen in SBZ und DDR 65 Gideon Greif, Peter Siebers: Auschwitz. Todesfabrik. von Katharina Rauschenberger, Fritz Bauer Institut Topografi e und Alltag in einem Konzentrations- und Vernichtungslager 76 Annette Weinke: Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. von Werner Renz, Fritz Bauer Institut Transnationale Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert Rezensionsverzeichnis 66 Paul Weindling: Victims and Survivors of Nazi Human von Katharina Stengel, Frankfurt am Main/Leipzig Liste der besprochenen Bücher Experiments. Science and Suffering in the Holocaust von Mathias Schütz, München

67 Akim Jah, Gerd Kühling (Hrsg.): Fundstücke: Die 56 Susanna Schrafstetter: Flucht und Versteck. Deportation der Juden aus Deutschland und ihre Untergetauchte Juden in München – verdrängte Geschichte nach 1945 www.fischerverlage.de Verfolgungserfahrung und Nachkriegsalltag von Johannes Beermann, Fritz Bauer Institut von Monica Kingreen, Pädagogisches Zentrum Frankfurt 68 Eliad Moreh-Rosenberg, Walter Schmerling (Hrsg.): 57 Jim G. Tobias, Nicola Schlichting (Hrsg.): Kunst aus dem Holocaust. 100 Werke aus der Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte. Gedenkstätte Yad Vashem Jahrbuch des Nürnberger Instituts für NS-Forschung von Babette Quinkert, Berlin und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Schwerpunktthema: Kinder (nurinst 2016) 69 Christian Adam: Der Traum vom Jahre Null – EUROP von Siegbert Wolf, Frankfurt am Main Autoren, Bestseller, Leser: Die Neuordnung der Götz Aly eröffnet erstmals Bücherwelt in Ost und West nach 1945 einen gesamteuropäischen 58 Wolf Gruner: Die Judenverfolgung im Protektorat von Stephan Braese, Aachen Blick auf den Antisemitismus Böhmen und Mähren. Lokale Initiativen, zentrale und den Weg in den Holocaust. Entscheidungen, jüdische Antworten 1939–1945 70 Raphael Ben Nescher (Hrsg.): Götzen. GEGE von Andrea Löw, München Die Autobiografi e von von Werner Renz, Fritz Bauer Institut 59 Nikolaus Wachsmann: KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager 71 Lawrence Douglas: The Right Wrong Man. John von Kurt Schilde, Berlin/Potsdam Demjanjuk and the Last Great Nazi War Crimes Trial DI UDEN von Ruth Bettina Birn, Stuttgart

54 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 55 Untergetauchte Juden und ausführlich im 4. Kapitel. Die Antwort auf die Frage, warum es in Jüdische Kinder in DP-Camps von Kindern in der jahrhundertealten Ritualmordlegende am Beispiel ihre Helfer in München München nicht wie in Berlin zu einer Fluchtwelle kam, da zu diesem Frankens (Nicole Grom). Als feste Rubrik stellt das Jahrbuch wieder »späteren« Zeitpunkt dort schon mehr Kenntnisse über die Morde eine deutsch-jüdische Institution vor: das im Herbst 1985 eröffnete

vorhanden waren, verweist insbesondere auf die Isolation der in den Jüdische Kulturmuseum Augsburg-Schwaben (Benigna Schönha- Lagern Milbertshofen und Laim am Berg seit Frühjahr bzw. Juli 1941 gen) – zugleich das »älteste selbständige Jüdische Museum in der zwangsweise untergebrachten Münchener Juden. Nach Abschluss Jim G. Tobias, Nicola Schlichting (Hrsg.) Bundesrepublik« (S. 169). Susanna Schrafstetter der Massendeportationen kam es 1943 zu weiteren Fluchten von Beiträge zur deutschen und jüdischen Insbesondere auf drei Beiträge des lesenswerten Jahrbuches soll Flucht und Versteck. Untergetauchte Juden – belegt sind jeweils sieben Fälle aus und nach München. Geschichte. Jahrbuch des Nürnberger nachdrücklich hingewiesen werden: Die Historikerin in der Gedenk- Juden in München – Verfolgungserfahrung Als Mitte Februar 1945 – wenige Wochen vor der Befreiung Instituts für NS-Forschung und jüdische stätte Bergen-Belsen, Nicola Schlichting, zeichnet in ihrem Artikel und Nachkriegsalltag durch die US-Armee – auch aus München die bis dahin geschütz- Geschichte des 20. Jahrhunderts. über das Lüneburger Heim für jüdische Kinder (1946–1948) den von Göttingen: Wallstein Verlag, 2015, 335 S., ten sogenannten Mischehepartner und deren Kinder als sogenannte Schwerpunktthema: Kinder (nurinst 2016) schulischer Erziehung und Erholung gleichermaßen geprägten Alltag € 38,– »Geltungsjuden« in das Ghetto Theresienstadt verschleppt werden Nürnberg: Antogo Verlag, 2016, 186 S., der dort aus Berlin, später aus dem nahegelegenen DP-Camp Bergen- sollten, entzogen sich zahlreiche Personen dieser Deportation: 17 Abb. s./w., € 14,– Belsen übergangsweise lebenden traumatisierten Heimkinder nach: 39 Personen sind bisher bekannt, eine Dunkelziffer ist zu vermuten. »Das Wohl der Jungen und Mädchen stand im Vordergrund und ihnen Die Stadt München versuchte sich in den Diese »späten Fluchten« stellen – wie in Kapitel 5 beschrieben – den Das seit 2002 erscheinende Jahrbuch nurinst des Nürnberger Instituts kam der Aufenthalt in Lüneburg eindeutig zugute« (S. 42). Als im 1960er-Jahren als »Stadt der zahlreichen Höhepunkt der Fluchtbewegung in München dar. Hilfe kam von für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts stellt Herbst 1948 deutsche und britische Behörden Bedarf anmeldeten, Helfer« für jüdische Verfolgte zu profi lieren. Wie aber stand es Vertrauten, selten von Fremden. Die Gefahren und das Scheitern die deutsch-jüdische Geschichte, vor allem die Erinnerung an die kam es zur endgültigen Schließung dieses Kinderheimes – viele wirklich mit den Münchnern, die im Versteck oder in der Illegalität der Flucht zeigt Kapitel 6. Von Fluchtwegen von und nach Mün- NS-Vergangenheit, in den Fokus wissenschaftlicher Aufmerksamkeit. seiner Bewohner emigrierten nach Israel. überleben konnten? Dieser Frage geht Susanne Schrafstetter in ihrer chen wird im Folgenden berichtet. Zumeist »nichtarische« Kinder Auch das inzwischen achte Jahrbuch betritt eine bislang eher Mit zwei bislang ebenfalls unerforschten jüdischen Kinderheimen sehr lesenswerten Studie nach. Sie präsentiert ein differenziertes und Jugendliche machten etwa 20 Prozent der Gefl üchteten aus: Zu vernachlässigte historische Forschungslandschaft. Diesmal richtet in Hessen beschäftigt sich der Historiker, Journalist und Dokumentar- Bild dieser komplexen Vorgänge unter Berücksichtigung der lokalen ihnen gehörte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden sich der thematische Schwerpunkt auf jüdische Kinder und Jugend- fi lmer Jim G. Tobias (S. 43 ff.): in Lindenfels/Odenwald (1946–1948) Spezifi ka. in Deutschland, Charlotte Knobloch, die unter falscher Identität fast liche als Überlebende der Shoah, auf »ihre Erziehung und Versor- und in Schwebda Castle auf Schloss Wolfsbrunnen (1946/47) – eröffnet Sie fokussiert sowohl auf die Verfolgungserfahrung als auch auf drei Jahre auf einem Bauernhof in Franken lebte. Abgelegene Ge- gung sowie ihre gesellschaftliche Stellung in historischer Sicht«, im Sommer 1946 als unmittelbare Reaktion auf antisemitische Nach- den Nachkriegsalltag von Menschen, die von den Nazis als »Voll- höfte waren oft Zufl uchtsorte für bedrohte Kinder, deren schwierige vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit, so die Herausgeber kriegspogrome in Polen und der daraufhin erfolgten Massenfl ucht juden«, »Mischlinge« oder »Geltungsjuden« klassifi ziert worden seelische Situation auch betrachtet wird. in ihrer Einleitung (S. 7). Circa 1,5 Millionen jüdische Kinder fi elen von Juden in die US-amerikanische Besatzungszone. Auch hier stan- waren, von denen aber nur ein Teil im konfessionellen Sinne jü- Die komplexen Beziehungen von versteckt Überlebenden und den NS-Verbrechen zum Opfer – hinzu kamen geistig oder körper- den für die Kinder und Jugendlichen schulische und handwerkliche disch war. Sie berichtet anschaulich von zahlreichen Fluchten und ihren Helfern in der Nachkriegszeit werden in den folgenden vier lich behinderte Jungen und Mädchen sowie Sinti- und Romakinder: Ausbildung sowie kulturelle und Freizeitaktivitäten im Mittelpunkt Verstecken, betrachtet die Situation der Verfolgten und ihrer jeweils Kapiteln thematisiert und bieten diverse Nachgeschichten der zu- »[…] diese Kinder haben so viel durchgemacht, das sie nie werden ihres Alltags, stets verknüpft »mit der Idee einer neuen Heimstätte in zahlreichen Helfer sehr differenziert und abwägend und ordnet dies vor erzählten Schicksale. So wurde beispielsweise die Familie, bei vergessen können. Daher ist es jetzt, nach dem Krieg, die Pfl icht der Palästina« (S. 52). Ihre neue Heimat fanden die Kinder aus Lindenfels gelungen in den historischen Kontext ein. der Knobloch getarnt als uneheliches Kind gelebt hatte, bedroht. ganzen Welt ihnen dabei zu helfen […], sich in einer angenehmen und Schwebda Castle in Eretz Israel, zumeist in einem Kibbuz. Das Buch zeichnet nach einer fundierten Einleitung in zwei gro- Und der bekannteste Münchner Helfer, der Friedhofswärter Karl Umgebung und unter dem bestmöglichen Einfl uss zu erholen«, heißt Die Historikerin und Sozialwissenschaftlerin Birgit Seemann ßen Teilen – NS-Zeit und Nachkriegszeit – in elf Kapiteln wichtige Schörghofer, stand als Schwarzhändler vor Gericht. Der Umgang es 1946 in einem Bericht der britisch-jüdischen Hilfsorganisation widmet sich im Rahmen ihrer langjährigen Forschungen zur jüdi- Aspekte nach. Grundlegend geht es in den ersten beiden Kapiteln der Nachkriegsgesellschaft mit den versteckt Überlebenden und den Jewish Relief Unit (Schlichting, S. 27). schen Medizin-, Kranken- und Pfl egegeschichte unter der Über- um die Verfolgung und um die Deportation von Juden aus München Helfern, ihre Würdigung runden das Bild ab. Das breite Themenspektrum umfasst eingehende Schilderungen schrift »Stiefkind der Forschung« dem von 1886 bis zur Zwangs- in der NS-Zeit. Insgesamt liegt eine sehr verdienstvolle, gelungene, kenntnisrei- der Lebensverhältnisse jüdischer Kinder im DP-Camp Bergen-Belsen schließung 1941 in Frankfurt am Main bestehenden Mathilde von »Frühe Fluchten« – so das 3. Kapitel – verortet Schrafstetter che Studie zu den – verglichen mit der Zahl der Ermordeten – weni- (Thomas Rahe), in Kinderheimen im niedersächsischen Lüneburg Rothschild’schen Kinderhospital (S. 153 ff.), das zum »Wohlfahrts- zwischen dem Beginn der reichsweiten Massendeportationen im Ok- gen Untergetauchten und ihren Helfern vor. Anzumerken bleibt, dass (Nicola Schlichting), im hessischen Lindenfels und in Schwebda und Pfl egenetz« der »neo-orthodox genannten Israelitischen Reli- tober 1941 und deren weitgehendem Abschluss im Sommer 1942. In bei den ab und zu gezogenen Vergleichen zur Situation in Frankfurt Castle bei Eschwege (Jim G. Tobias), der Kinder- und Jugendfür- gionsgesellschaft (Kehilat Jeschurun – Gemeinde Israels)« zählte diesem Zeitraum sind bisher etwa 20 Fluchten bekannt. Acht dieser nicht alle relevante Literatur berücksichtigt worden ist, wie etwa sorge in den jüdischen Nachkriegsgemeinden (Jael Geis), der für (S. 156 f.). Dort wurden junge Menschen im Alter von mindestens drei Fluchtgeschichten schildert sie mit Blick auf die Untergetauchten der Katalog zur Ausstellung »Gegen den Strom – Solidarität und die Repatriierung von sogenannten Displaced Persons zuständigen Jahren unentgeltlich versorgt. Medizin und Krankenpfl ege (Bikkur und deren zumeist altruistisch handelnden nichtjüdischen Helfern. Hilfe für verfolgte Juden in Frankfurt und Hessen« des Jüdischen Relief and Rehabilitation Administration (Verena Cholim) gehören im Judentum untrennbar zur jüdischen Sozialethik. Ende 1942 lebten in München noch 645 Juden, vor den Deportati- Museums Frankfurt oder ein grundlegender Aufsatz im Band von Buser) und der Geschichte der ehemaligen »Kinderfachabteilung« In ihrem sozialhistorischen Beitrag verbindet die Autorin die 55-jähri- onen zumeist geschützt durch ihre als »arisch« geltenden Ehepart- Kosmala/Schoppmann zu Solidarität und Hilfe. Inwieweit die lite- der Landesheil- und Pfl egeanstalt Lüneburg (Carola S. Rudnick). ge Geschichte der Kinderklinik mit biographischen Forschungen über ner; etwa die Hälfte von ihnen musste Zwangsarbeit leisten. Als ein rarischen Einlassungen, beispielsweise zu Jurek Beckers Roman Hinzu kommen Beiträge über das von 1886 bis 1941 bestehende die Stifterinnen, das Pfl egepersonal, die Chefärzte und Oberinnen. großer Teil der jüdischen Zwangsarbeiter in der »Fabrikaktion« im Bronsteins Kinder, die die historische Ebene verlassen, der Analyse Mathilde von Rothschild’sche Kinderhospital in Frankfurt am Main Dem empfehlenswerten nurinst-Jahrbuch ist ein breites Leserinte- Februar 1943 deportiert wurde, entzogen sich dieser in Berlin etwa dienlich sind, hat sich nicht erschlossen und muss dahingestellt sein. (Birgit Seemann), die Rolle jüdischer Kinder als Laienschauspieler resse zu wünschen – und den Herausgebern weiterhin ein langer Atem. 4000 Personen durch Flucht, während dies in München keinen zehn in Fred Zinnemanns Nachkriegsfi lm THE SEARCH (1948; Imme Kla- Personen möglich war. Hier waren Paare, die in »Mischehe« lebten, Monica Kingreen ges), zur Erinnerung und ihrer Weitergabe durch einen französisch- Siegbert Wolf oft wichtige Helfer. Vier Fluchtschicksale schildert Schrafstetter Pädagogisches Zentrum Frankfurt jüdischen Kriegsgefangenen (Janine Doerry) sowie über die Rolle Frankfurt am Main

56 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 57 Eine überfällige Gesamtdarstellung Ausgrenzung der Juden auch nutzte. Offi ziell lag die Gestaltung der »Das KL-System war ein Es wird auf die Massenvernichtung von Gefangenen eingegangen, antijüdischen Politik in den Händen der tschechischen Regierung, großer Werte-Wandler« die mit Mordexperimenten (Genickschussanlagen, medizinische wenn der Reichsprotektor dies auch durchaus überging. Zahlreiche Versuche, Erfi ndung der Gaskammer) den Holocaust vorbereiteten.

Initiativen gingen von einzelnen tschechischen Stellen aus, hinzu In diesem Kontext wurden das KL Auschwitz von Häftlingen in ein kamen freilich die Anordnungen der deutschen Stellen: Immer wie- Todeslager umgewandelt und von Gefangenen weitere temporäre Wolf Gruner der schränkten Verbote, die auf lokale Initiativen zurückgingen, das Todesfabriken gebaut. Die Judenverfolgung im Protektorat Leben in einzelnen Orten stark ein. Diese wiederum provozierten Nikolaus Wachsmann Hier kommen Oswald Pohl – »der oberste Kopf des Konzen- Böhmen und Mähren. Lokale Initiativen, häufi g neue zentrale Regelungen. KL. Die Geschichte der nationalsozialis- trationslagersystems« (S. 453) – und das von ihm geführte SS-Wirt- zentrale Entscheidungen, jüdische Für die jüdischen Verfolgten war die Situation angesichts derart tischen Konzentrationslager schafts-Verwaltungs-Hauptamt zur Sprache. Diese Behörde mit etwa Antworten 1939–1945 vieler, sowohl deutscher als auch tschechischer Akteure verwirrend München: Siedler Verlag, 2016, 984 S., 1.700 Mitarbeitern beaufsichtigte die Ausbeutung der Häftlinge in Göttingen: Wallstein Verlag, 2016, 430 S., und nur schwer zu durchschauen. Die Kultusgemeinde in Prag or- € 39,99 den SS-Rüstungsunternehmen. Angesprochen werden auch das All- € 34,90 ganisierte Hilfen für die verzweifelten Juden, bemühte sich, die tagsleben der Häftlinge und des SS-Bewachungspersonals im besetz- Auswanderung möglichst vieler Juden allen Widrigkeiten zum Trotz ten Osteuropa sowie die medizinischen Experimente an Häftlingen zu ermöglichen, und versuchte, den ihr verbliebenden Spielraum Nikolaus Wachsmann erzählt die Geschichte (S. 493–512). Es geht weiter mit der Entwicklung des KL-Systems Im Februar 1941 verbot der Landespräsident in Böhmen Juden das auszunutzen. Sie organisierte Umschulungskurse und versorgte die der Wandlungen der nationalsozialistischen (Ausweitung der Außenlager und als Schutz vor Bombenangriffen Fischen, nahezu zeitgleich bestimmte das tschechische Finanzmi- Armen. Keineswegs war sie, wie der Autor betont, ein bloßes Hilfs- Konzentrationslager, »die brutalste Gewalt, Folter und Mord zur die Verlagerung der Rüstungsproduktion unter die Erde) sowie der nisterium, dass private Briefmarkensammlungen in Bankdepots hin- oder Ausführungsorgan der Gestapo. Norm machte« (S. 721). Die fast tausend Seiten umfassende Dar- Sklavenarbeit. Wachsmann weist auf die sehr unterschiedlichen Über- terlegt werden mussten. Das Landwirtschaftsministerium schloss Mit Reinhard Heydrichs Ankunft in Prag Ende September 1941 stellung liegt nach der englischsprachigen Originalausgabe KL. A lebenschancen der männlichen und weiblichen KZ-Gefangenen hin: Juden im Protektorat im Januar 1942 – die Deportationen nach – er war offi ziell Stellvertretender Reichsprotektor, de facto führte History oft the Nazi Concentration Camps (London 2015) nun auf »Männliche Häftlinge in Außenlagern kamen mit deutlich höherer Theresienstadt waren längst in vollem Gange – vom Bezug von er nun aber die Amtsgeschäfte – begann eine zentralisiertere und Deutsch vor. Wachsmanns an Saul Friedländer orientierte »inte- Wahrscheinlichkeit ums Leben als weibliche« (S. 549), und: »Jüdi- Knoblauch aus. Und am 7. Februar verbot die Postdirektion Trägern radikalere antijüdische Politik. Wenig später liefen die Deportationen grierte Geschichte« der nationalsozialistischen Konzentrationslager sche Frauen überlebten oft eher als nichtjüdische Männer.« (S. 550) des »Judensterns« die Nutzung öffentlicher Telefonapparate. zahlreicher Juden zunächst in das Ghetto Litzmannstadt (Lodz) an, – von ihm historisch korrekt »KL« abgekürzt – verbindet »die Prak- Der Autor beschäftigt sich anschließend mit den Häftlings- Dies sind Beispiele dafür, wie sich verschiedenste Stellen im zudem wurde das Ghetto Theresienstadt eingerichtet. Von dort führte tiken der Täter, die Einstellungen der umgebenden Gesellschaft und zwangsgemeinschaften und den sich herausgebildeten Hierarchien, »Protektorat Böhmen und Mähren« in die Verfolgung der jüdischen der Weg für die meisten Jüdinnen und Juden weiter in den Osten, in die Welt der Opfer« (Friedländer). Jedes Kapitel beginnt mit einer der Rolle der Kapos sowie Häftlingswiderstand und Fluchten bzw. Bevölkerung einbrachten. So unbedeutend und geradezu absurd sie die Vernichtung. Während die Deportationen zentral von Berlin aus Fallgeschichte, ist in drei Abschnitte mit Untertiteln übersichtlich Fluchtversuchen. Auch hier hat es bis in die letzten Tage des »Dritten im Einzelnen erscheinen mögen, Verbote dieser Art prasselten von gesteuert wurden, lagen zahlreiche andere Bereiche in lokaler oder gegliedert und enthält zahlreiche biografi sche Einsprengsel. Reiches« selten Unterstützung von der Bevölkerung gegeben: »Zum allen Seiten auf die Verfolgten ein, sukzessive wurden sie aus dem regionaler Verantwortung. Die in elf Kapitel gegliederte Studie greift auf die »riesige For- Handeln angespornt, meldeten alte Volkssturmmänner, Burschen öffentlichen Leben ausgeschlossen, sie verarmten, wurden ghettoi- Gruners Studie ist extrem faktenreich, doch folgen auf Daten, schungsliteratur« (S. 29) und umfangreiche Primärquellen (SS- und aus der Hitlerjugend, untere Parteichargen und aufrechte Bürger siert, mussten Zwangsarbeit leisten, schließlich wurden die meisten Zahlen und verschiedenste Anordnungen immer wieder auch die Polizeiakten, Zeugnisse von Gefangenen) zurück, die auf über 200 entfl ohene Häftlinge bei den Behörden oder beteiligten sich gleich von ihnen deportiert und ermordet. Von gut 118.000 Juden, die 1938 Stimmen Einzelner. Zudem erleichtern kurze und präzise Zusam- Seiten aufgelistet sind. Sie beginnt mit einer Einführung in die Ge- selbst an den Menschenjagden – typisch für die Dezentralisierung in Böhmen und Mähren gewohnt hatten, erlebten nur etwa 14.000 menfassungen am Ende jedes Kapitels es, sich in der Fülle der In- schichte der frühen Lager, die meist für die politischen Gegner der des NS-Terrors gegen Ende des Dritten Reiches.« (S. 677) dort das Kriegsende. formationen zurechtzufi nden. Dies ist ein gutes und wichtiges Buch Nationalsozialisten – anfangs vor allem Kommunisten und dann auf Es wird betont, dass die Geschichte der KL bis zu den letzten Mit Wolf Gruners Studie zur Judenverfolgung im »Protektorat mit zahlreichen neuen Erkenntnissen; der Autor müsste daher nicht die organisierte Arbeiterschaft ausgedehnt – bestimmt waren. Weiter Gewaltexzessen zum Ende des NS-Regimes nicht geradlinig verlief: Böhmen und Mähren« liegt nun endlich die erste Gesamtdarstellung permanent betonen, dass er der Erste ist, der dieses und jenes zeigen geht es mit der Entstehung und dem Ausbau des Lagersystems der »Die Verhältnisse wurden nicht immer nur schlimmer; gelegentlich zu diesem Thema und dieser Region vor. Bisher standen zumeist nur konnte. Das stört (zumindest mich) irgendwann. Doch bleibt der SS zwischen 1933 und 1939. Das Leben der Gefangenen galt wenig: verbesserten sie sich vor und während des Krieges sogar, um sich Teilaspekte im Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. Gruner überaus positive Gesamteindruck. Endlich liegt eine fundierte und »Am gefährdetsten waren vor allem Juden und prominente politische schließlich später wieder zu verschlechtern.« (S. 32) Zu Beginn des bemüht sich um einen möglichst umfassenden Blick, untersucht die kenntnisreiche Darste llung der Judenverfolgung im »Protektorat Gefangene.« (S. 54) Am Anfang steht das als »Dachauer Modell« ausführlichen Epilogs wird die im März 1933 in Dachau begonnene verschiedenen deutschen Verantwortlichen, die tschechische Re- Böhmen und Mähren« vor, die die »wechselseitige Dynamisierung bekannte 1934/35 vom Inspekteur der Konzentrationslager Theodor Entwicklung der NS-Konzentrationslager abgeschlossen, indem auf gierung, die Reaktionen der jüdischen Bevölkerung (wobei hier die lokaler, regionaler und zentraler Verfolgungsmaßnahmen« (S. 299) Eicke entwickelte Konzept: »Die neuen KL wurden als kleine Städte den schwierigen Lebensweg von zwei Dachauer Häftlingen nach unterschiedlichen Gruppen etwas blass bleiben, bildete die jüdische aufzeigt, die Parallelen zur Entwicklung andernorts ebenso deutlich des Terrors konzipiert, die große Mengen an Häftlingen aufnehmen 1945 hingewiesen wird. Die Biografi en der Opfer unterschieden sich Minderheit doch keineswegs eine Einheit) sowie die Wechselwirkun- macht wie eigenständige Entwicklungen im Protektorat. Und auch konnten.« (S. 121) In einer ersten Zwischenbilanz hält Wachsmann erheblich von denen der Täter: »Denn die Erinnerung an die Verbre- gen zwischen der Politik im Protektorat und der zentral gesteuerten den Reaktionen sowohl der Kultusgemeinde als auch individueller fest: »Die Fähigkeit des Konzentrationslagersystems, Veränderungen chen war für Überlebende weit quälender als für die Täter, die oft in im Reich. Dieses Buch war überfällig. Juden und ihren Versuchen, sich der Verfolgung zu entziehen, dem aufzunehmen und sich anzupassen, ohne seine Kernaufgabe aus dem ein geruhsames Leben fanden und die KL vergaßen, sofern sie sich Das im März 1939 errichtete Protektorat hatte insofern eine Druck zu widerstehen und sich Anordnungen zu widersetzen, gibt Auge zu verlieren, sollte sich in den kommenden Jahren als eine der Justiz entziehen konnten.« (S. 687) Ein umfangreiches Register Sonderstellung, als es zwar Teil des Großdeutschen Reiches war, der Verfasser Raum. seiner erschreckendsten Stärken erweisen.« (S. 228) rundet das reichhaltig bebilderte Standardwerk zur Geschichte der der Reichsprotektor und verschiedene deutsche Instanzen dort wirk- In den folgenden Kapiteln werden die Expansion der KL und nationalsozialistischen Konzentrationslager ab. ten, trotzdem aber eine tschechische Regierung im Amt blieb, die Andrea Löw die Kriegszeit beschrieben. Neben deutschen Juden und Jüdinnen, durchaus über gewisse Freiräume verfügte – und diese, wie Gru- München politischen Gegnern und gesellschaftlichen Außenseitern internier- Kurt Schilde ner betont und immer wieder zeigen kann, gerade in Fragen der ten die Nazis zunehmend Bürger anderer Länder in den Lagern. Berlin/Potsdam

58 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 59 Deutsche Besatzung, Widerstand und Griechenlands in der bundesdeutschen Wissenschaft und Öffentlich- Ende der Besatzungsherrschaft befassten sich die deutschen Behör- Der Kontrast zwischen Mazowers Studie und Rena Molhos Es- Judenvernichtung in Griechenland keit ist, dass es zweier Jahrzehnte und einer erheblichen Krise in den den akribisch mit der Vernichtung der griechischen Juden, die zum saysammlung könnte größer nicht sein. Die unmittelbar nach dem deutsch-griechischen Beziehungen bedurfte, bis diese Übersetzung allergrößten Teil in und um Thessaloniki lebten. Mazower erörtert Zweiten Weltkrieg geborene promovierte Historikerin Molho, die in überhaupt zustande kam. Aufbauend auf dieser Studie hat Mazower, den Prozess ausführlich und nimmt dabei den durchaus umstrittenen der winzigen jüdischen Rumpfgemeinde Thessalonikis aufgewach- ein in Großbritannien ausgebildeter Historiker, der inzwischen an der Standpunkt ein, dass die griechische nichtjüdische Bevölkerung sen ist, hat sich nie in der griechischen Akademikergemeinschaft Columbia University in New York lehrt, in den vergangenen zwei erhebliche Anstrengungen unternommen habe, um jüdische Mitbür- etablieren können. Eigentlich spezialisiert auf die reichhaltige Ge- Mark Mazower Jahrzehnten weitere Arbeiten zur Geschichte des Balkans, zur histori- ger zu retten. Rund 90 Prozent der etwa 80.000 griechischen Juden schichte der Juden Thessalonikis bis zur Inkorporation der Stadt in Griechenland unter Hitler. schen Entwicklung der Stadt Thessaloniki über fünf Jahrhunderte und wurden mit brutaler Effi zienz innerhalb kürzester Zeit ermordet. den griechischen Staat im Jahr 1913, hat sich Molho in den letzten Das Leben während der deutschen zum Vergleich deutscher nationalsozialistischer Besatzungsherrschaft Thematische Lücken in Mazowers ausgezeichnetem Narrativ zwei Jahrzehnten ebenfalls stark mit dem Schicksal der griechischen Besatzung 1941–1944 in verschiedenen europäischen Ländern veröffentlicht. fi nden sich, wenn es um die Einbeziehung der bulgarischen Besat- Juden während der Okkupationszeit auseinandergesetzt. Der hier Frankfurt: S. Fischer, 2016, 528 S., Unterteilt in vier Hauptkapitel, erörtert Mazower, wie die Be- zungszone im Nordosten des Landes, die Rolle der griechischen vorliegende Band bündelt zwölf kürzere bislang auf Griechisch veröf- € 29,99 satzungsherrschaft etabliert wurde, welche Widerstandshandlungen Exilregierung oder die Tätigkeit britischer und auch amerikanischer fentlichte Einzelstudien, die notwendigerweise keine Einheit bilden. es gab, unter welchen Umständen die hauptsächlich gegen die Zivil- Agenten in den Reihen der Widerstandskämpfer geht. Letzteres ist Molho beginnt mit einer ausführlichen Erörterung der Historiogra- Rena Molho bevölkerung gerichteten deutschen »Vergeltungsaktionen« durchge- allerdings bereits seit den 1970er Jahren in einigen Spezialstudien fi e des Holocaust in Griechenland mit Stand 2011. Die von ihr gewür- Der Holocaust der griechischen Juden. führt wurden und wie die Nationale Befreiungsfront (EAM) und ihr aufgearbeitet worden. Die Leser erfahren auch nichts zur Bedeutung digten wissenschaftlichen und publizistischen Auseinandersetzungen Studien zur Geschichte und Erinnerung militärischer Arm (ELAS) seit 1943 im »Freien Griechenland« eine von Kontakten der griechischen Widerständler schon während der mit der Materie verdeutlichen, dass es bis vor kurzem kaum ein ernst- Bonn: J.H.W. Dietz Nachfahren, 2016, »Volksdemokratie« aufbauten, die nach der Befreiung 1944 in Konfl ikt Besatzungszeit zu anderen balkanischen kommunistischen Gruppen, haftes Bemühen griechischer Historiker gegeben hat, die griechisch- 264 S., € 24,90 mit konservativen griechischen Kräften und ihren alliierten Unterstüt- was sich schließlich auf die Entwicklung des Bürgerkriegs ausgewirkt jüdische Geschichte in ihrer dunkelsten Zeit aufzuarbeiten. Der auch zern geriet. Den sich mittelbar daraus ergebenden, extrem blutigen hat. Mazower schreibt klar, verständlich und spannend, eben in der in Griechenland vorhandene Antisemitismus wird erst seit kurzem von Bürgerkrieg zwischen 1946 und 1949 thematisiert das Buch nicht. analytisch-erzählenden Tradition anglo-amerikanischer Historiker, professionellen Historikern und Historikerinnen als Problem anerkannt Seit dem Beginn der griechischen »Schul- Die Studie basiert auf umfangreicher Archivarbeit vor allem was durch eine sehr gute deutsche Übersetzung unterstützt wird. und nicht beschwiegen oder beschönigt. Zu Recht kritisiert Molho die denkrise« im Jahr 2009 sind die europä- in Griechenland, Deutschland, Großbritannien und den USA. Ma- isch-griechischen und speziell die deutsch- zower hat viele Bestände erstmals ausgewertet, so beispielsweise griechischen Beziehungen erheblichen die deutschen Wehrmachtsakten zur griechischen Besatzung, die Belastungsproben ausgesetzt. Neben häss- mikroverfi lmt in den National Archives in Washington liegen. In den lichen Pressekampagnen, gegenseitigen frühen 1990er Jahren waren die griechischen Archive noch nicht in Schuldzuweisungen und politischen Instrumentalisierungen ergab einem Zustand, der eine systematische Benutzung zugelassen hät- Fritz Bauer Institut sich für die Geschichtswissenschaft immerhin der positive Neben- te, was sich mittlerweile jedoch zum Positiven gewendet hat. Die effekt, dass das Interesse an den historischen Beziehungen Griechen- Breite der behandelten Themen ist frappierend. Die administrativen Geschichte und lands und Deutschlands erheblich gestiegen ist. Dies hat sich in den Voraussetzungen für die Besatzungsherrschaft, Einstellungen deut- Wirkung des Holocaust vergangenen Jahren in erheblichen Fördergeldern, gemeinsamen scher Kommandierender zur griechischen Bevölkerung, der Aufbau Forschungsprojekten und einer Reihe von Publikationen niederge- einer Kollaborationsregierung, der sich langsam, aber dann immer Hier könnte Ihre schlagen, zu denen die beiden hier besprochenen Bücher gehören. mächtiger formierende Widerstand – maßgeblich von linker bzw. Dabei handelt es sich um zwei Werke, die in englischer bzw. griechi- kommunistischer Seite –, die Kooperation und Konfrontation zwi- Anzeige stehen! scher Sprache schon seit längerem vorliegen, nun aber endlich auch schen deutschen und italienischen Besatzungsbehörden und anderes einer deutschsprachigen Leserschaft zugänglich gemacht werden. mehr werden ausführlich dargestellt und in ihrem Zusammenwirken Formate und Preise Mazowers Forschungen spiegeln den Stand der frühen 1990er analysiert. Ein besonderer Fokus liegt im ersten Teil auf der kata- Doppelseite 460 x 295 mm + Beschnitt 1.090,– Jahre wider. Sein Inside Hitler’s Greece. The Experience of Occu- strophalen Hungersnot, die vor allem Athen, aber auch einige andere Umschlagseite U4 230 x 295 mm + Beschnitt 950,– pation, 1941–1944 (New Haven: Yale UP, 1995) ist bis heute das Städte im ersten Besatzungswinter traf, weil die neuen Machthaber Umschlagseite U2 / U3 230 x 295 mm + Beschnitt 850,– Standardwerk zur Besatzungszeit. Die deutsche Ausgabe wurde ledig- rücksichtslos Nahrungsmittel für sich selbst und die Versorgung der lich um zahlreiche nachrecherchierte deutsche Zitate ergänzt, die im Deutschen im Reich requirierten. Ganzseitige Anzeige 230 x 295 mm + Beschnitt 690,– Original in englischer Übersetzung vorlagen; neuere Forschungen sind Das Großkapitel »Die Logik der Gewalt« befasst sich mit dem 1/2-seitige Anzeige vertikal 93 x 217 mm 390,– nicht berücksichtigt. In einer ausführlichen Erörterung der damaligen für die griechische Erinnerungskultur bis in die unmittelbare Ge- 1/2-seitige Anzeige horizontal 192 x 105,5 mm 390,– Quellenlage erwähnt Mazower, dass seither erhebliche Fortschritte vor genwart besonders bedeutsamen Thema der – von deutscher Seite 1/3-seitige Anzeige vertikal 60 x 217 mm 320,– allem durch eine jüngere Generation griechischer Wissenschaftlerin- so euphemistisch bezeichneten – »Partisanenbekämpfung«. Ange- 1/4-seitige Anzeige vertikal 93 x 105,5 mm 270,– nen und Wissenschaftler gemacht worden sind. Dennoch trifft seine sichts einer schwer zu fassenden und immer mächtiger werdenden Aufl age: 5.500 Exemplare, Preise in Euro, zuzügl. gesetzl. MwSt. Feststellung zu, dass diese Gesamtdarstellung in ihren Grundzügen griechischen Guerillabewegung war dies nichts anderes als syste- und auch in vielen Details immer noch maßgebend ist. Bezeichnend matischer Terror gegen die Zivilbevölkerung, der dazu beitrug, dem Kontakt: Dorothee Becker, Tel.: 069.798 322-40, [email protected] für das eklatante Desinteresse an der Geschichte des neuzeitlichen Widerstand ständig neue Rekruten hinzuzufügen. Ebenfalls bis zum

60 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 61 Einseitigkeit und das Desinteresse der etablierten griechischen Histori- Wissenschaftspolitik im 20. Jahrhundert die Rassegesetze fi elen. Mit diesem Sample gelingt ihr ein ein- erhielten, in den Statuten zählte allein die Wissenschaftlichkeit. kerschaft, wenn es um die Erforschung des Holocaust geht. Jedoch ist drucksvoller Einblick in die akademische Kultur der 1920er Jahre Praktisch wurde in den Akten die erlittene Verfolgung jedoch sie in ihrer Kritik zu umfassend und generell, schließt beispielsweise sowie das Schicksal der emigrierten jüdischen Wissenschaftler sehr wohl thematisiert und die besondere Lebenssituation gewür- auch Mazower ein, dem sie, aus welchen Gründen auch immer, Israel- in den 1930er und 1940er Jahren. Die zunächst vielleicht überra- digt. feindlichkeit und damit indirekt Antisemitismus unterstellt. schende Tatsache, dass prozentual nur wenige jüdische Mitglieder In ihrer sehr detailreichen Untersuchung zeichnet Karin Orth Die nachfolgenden Kapitel erörtern diverse Teilaspekte, wie Karin Orth der NDW im Jahr 1933 vertrieben worden waren, ist der bereits die Förderpolitik der größten Selbstverwaltungsorganisation der die Ausplünderung der Juden Thessalonikis durch die deutschen Die NS-Vertreibung der jüdischen antisemitisch und konservativ geprägten Wissenschaftskultur der Wissenschaft in Deutschland von der Weimarer Republik bis in die Besatzer, aber auch griechische Profi teure, den Umgang – oder Gelehrten. Die Politik der Deutschen Weimarer Republik und der schon vor 1933 restriktiven Poli- Bundesrepublik nach. Im Rahmen der vergangenheitspolitischen Nichtumgang – mit dem Holocaust in griechischen Schulen oder Forschungsgemeinschaft und die tik der NDW gegenüber jüdischen Wissenschaftlern geschuldet Aufarbeitung deutscher Institutionen, die sich nach dem Ende des die problematische Aufarbeitung der Vernichtung der jüdischen Reaktionen der Betroffenen (S. 68, 73). »Dritten Reiches« wieder gründeten, kommt ihr damit ein wichtiger Gemeinde von Ioannina und anderes mehr. Molhos Forschungen Göttingen: Wallstein Verlag, 2016, 480 S., Der Versuch, verschiedene methodische Ansätze zu verschrän- Platz zu. basieren zu einem erheblichen Teil auf Interviews mit Zeitzeugen € 80,– ken, stößt aber bisweilen an Grenzen. Zum einen ist die Lektüre und ihrer Interpretation und Gegenüberstellung von Publikationen des mit Zahlen gespickten empirischen ersten Teils streckenweise Jenny Hestermann anderer Wissenschaftler und Publizisten. Nur selten arbeitet sie aus etwas mühsam – da es sich zum anderen, wie von Orth selbst Fritz Bauer Institut Akten. Die Beiträge, aus denen der Band zusammengestellt worden Die 1920 gegründete Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft begründet, um eine qualitative, nicht um eine quantitative Er- ist, sind teilweise redundant und ergänzen sich nicht immer optimal. (NDW) machte es sich in der Weimarer Republik zur Aufgabe, die fassung handelt, ist der Sinn ihrer Statistiken auch nicht immer Obwohl insgesamt gefällig übersetzt, fallen einige Ungereimtheiten Forschung in einem fi nanzschwachen Staat materiell zu fördern. offenkundig. Gewünscht hätte man sich zudem eine Erläuterung, auf, wie nicht übersetzte griechische Titel in den Fußnoten. Für Nach dem Zweiten Weltkrieg als Deutsche Forschungsgemeinschaft wie sie den von ihr sehr häufi g verwandten Begriff der wissen- deutschsprachige Leser überfl üssig ist der ohne Übersetzung auf (DFG) wieder gegründet, ist sie bis heute einer der wichtigsten schaftlichen »Community« begreift – da er so zentral für ihre Griechisch gehaltene Anhang mit den jüdischen Besitz betreffenden Geldgeber für die Wissenschaft in Deutschland. Damit befi ndet sie Untersuchung der Inklusions- und Exklusionsmechanismen der Gesetzen vor und nach 1944. Hilfreich ist die umfangreiche Biblio- zugleich über Ein- und Ausschluss in die wissenschaftliche Com- NDW und ab 1945 der DFG ist, hätte eine über das landläufi ge grafi e griechisch- und anderssprachiger Literatur. munity. Karin Orth untersucht, wie die Förderorganisation in den normative Verständnis hinausgehende Defi nition ihrem Anliegen Aus Sicht des professionellen Historikers wäre es ein Leichtes, Gremien und bei der Fördergeldvergabe mit jüdischen Gelehrten gutgetan (z.B. S. 63, 107) Molhos gesammelte Schriften in Grund und Boden zu kritisieren, umging und wie die Betroffenen reagierten. Spannend hingegen liest sich der zweite große Hauptteil, in aber das würde zu kurz greifen. So eklektisch, zumindest zum Teil Ihr Untersuchungszeitraum erstreckt sich von den frühen 1920er dem sie Einzelschicksale näher beleuchtet. Beispielsweise jenes von methodisch fragwürdig und vor allem unverhohlen parteiisch ihre Jahren bis in die Bundesrepublik. Die Studie ist sowohl chrono- Ernst Berl, dessen Studenten im Jahr 1933 bei der Universitätsleitung Der Verlag für Jüdische Ausführungen auch sein mögen, sie verdeutlichen ein Grundproblem logisch als auch methodisch in drei Teile geteilt. Das erste Kapi- gegen seine Entlassung protestiert hatten. Die um Unterstützung Kultur und Zeitgeschichte der griechischen Historiografi e der vergangenen Jahrzehnte. Aufgrund tel befasst sich mit der Rolle der NDW von 1920 bis 1933, der ersuchte Notgemeinschaft unternahm aber nichts, um Berl zu hel- ihrer Themen, aber auch ihrer Herkunft war und ist Molho eine häufi g zweite Teil skizziert die Biografi en einer Reihe von vertriebenen fen. Intensiv beleuchtet Orth auch die »Deutsche Kolonie B«, die BlankaBlankaa AlperowitzAlperowitz als störend wahrgenommene Außenseiterin in der griechischen Histo- jüdischen Forschern, im dritten Kapitel steht die Vergangenheits- sich in Istanbul bildete: Im Zuge der kemalistischen Bildungspolitik DieDie letztenletztztten TageTage desdes deutschendeutschen JudentumsJudentums rikerzunft, die besonders laut rufen musste, um überhaupt wahrgenom- politik der DFG nach 1945 im Mittelpunkt. Orth knüpft damit an erhielten deutsch-jüdische Wissenschaftler Stellen an türkischen Die Lehrerin weiß um die Züge, men zu werden und die beständig um Anerkennung ringen musste. die Forschungen von Michael Schüring und Reinhard Rürup zur Universitäten. die mit unbekanntem Ziel in den Es ist daher unbedingt zu begrüßen, dass die Sammlung ihrer Max-Planck-Gesellschaft bzw. zur Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Orth interpretiert die Schicksale vieler der von ihr untersuch- Osten fahren, kennt manche der Texte einer deutschsprachigen Leserschaft einen ersten Zugang zur an. Bewusst vollzieht sie dabei mehrere Perspektivwechsel: von ten Wissenschaftler nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor mit ihnen Deportierten, aber sie griechisch-jüdischen Geschichte vermittelt, wobei aber zu berück- einer Organisations- über eine Biographiegeschichte hin zu einer dem Hintergrund ihrer Verfolgungsgeschichte und ihres Heimat- ahnt nur, dass es Transporte in sichtigen ist, dass es sich um eine sehr persönliche und häufi g zu Synthese der beiden. Ihr Anspruch ist es, die Erfahrungs- mit der verlusts: Ihre Verfolgungserfahrungen seien in vielen Fällen dafür den Tod sind. einseitige Perspektive handelt, die bereits in Teilen überholt ist. In Organisationsgeschichte zu verschränken. verantwortlich gewesen, dass sie körperlich schwer erkrankten oder Ihr Bericht wird 1943 in Tel Aviv den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren ist eine jüngere, weniger Den Gründern der NDW, Friedrich Schmidt-Ott und Fritz früh starben (z.B. S. 127, 129). In den Akten würden die auffällig politisierte und ideologisierende Generation von Historikerinnen Haber, ging es ursprünglich um die »Schaffung einer von Staat häufi gen Selbstmorde hingegen zumeist als Herzschlag beschönigt veröffentlicht – ein authentisches und Historikern in Griechenland herangewachsen, die sich mit den und Industrie fi nanzierten, sich aber dennoch selbst verwaltenden (S. 136). Zeugnis der NS-Verfolgung. immer noch hochproblematischen Themen Besatzungsherrschaft, Körperschaft« (S. 34). Der Erlass des »Berufsbeamtengesetzes« Der dritte Teil mündet in die Untersuchung der Vergangen- Der Politikwissenschaftler und Journalist Klaus Hillenbrand hat Widerstand, Judenvernichtung und Bürgerkrieg auseinandersetzt. im April 1933 führte zu umgehenden staatlichen Eingriffen in die heitspolitik der DFG nach 1945. Orth geht dabei der Frage nach, ihren kaum bekannten Text ediert und um eine Biographie von Leider ist es bislang nur wenigen dieser Wissenschaftlerinnen und Personalpolitik der Universitäten und einer Entlassungswelle »po- ob die Vertreibung der jüdischen Wissenschaftler überhaupt ein Blanka Alperowitz erweitert. Wissenschaftler gelungen, in Griechenland selbst professionell Fuß litisch unerwünschter Personen« (S. 11). Da keine »vollständige Thema war und ob die DFG eine auf »Wiedergutmachung« und Blanka Alperowitz, Klaus Hillenbrand (Hg.) zu fassen, so dass viele von ihnen zum allgemeinen brain drain ins Aufstellung aller im »Dritten Reich« vertriebenen Wissenschaftler Rückholung zielende Vergangenheitspolitik betrieb (S. 318). Spiel- DieDie letztenletztztzten TageTage desdes deutschendeuttschen JudentumsJudentums (Berlin Ende 1942) Herausgegeben und kommentiert von Klaus Hillenbrand Ausland gehören, den Griechenland momentan erleidet. vorliegt, entschied sich Orth für einen »pragmatischen Zugang« ten die Biographien der Präsidiumsmitglieder eine Rolle für ihre Mit einem Geleitwort von Hermann Simon (S. 22) und wählte 46 Wissenschaftler für die Untersuchung aus, Handlungen als Repräsentanten der Forschungsgemeinschaft? 144 Seiten, Hardcover, 3 Abbildungen Rainer Liedtke die Gremienmitglieder der Notgemeinschaft waren oder vor 1933 Sie kommt zu dem Schluss, dass in der Forschungsförderung die ISBN: 978-3-95565-192-3, 17,90 € Regensburg ein Gesuch auf Unterstützung eingereicht hatten und ab 1935 unter durch das NS-Regime vertriebenen Wissenschaftler keine Vorteile www.hentrichhentrich.de

62 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 63 Den Frauen von Ravensbrück Gehör geben Lagers, eine Analyse des Verhaltens der SS-Aufseherinnen und der Darstellbarkeit von Auschwitz Siebers hat die bewundernswerte Anstrengung unternommen, als Funktionshäftlinge eingesetzten Frauen aus einer genderorien- »den Lagerkomplex Auschwitz zeichnerisch zu rekonstruieren« tierten Perspektive, das SS-Medizinpersonal, den Arbeitseinsatz (S. 9), wie Werner Jung (Direktor des NS-Dokumentationszentrums

für SS-Zwecke und Industrie, die gegenseitige Hilfe, den Protest der Stadt Köln) in seinem Vorwort schreibt. Nicht wenige Zeichnun- und Widerstand sowie die Massentransporte gegen Kriegsende aus gen sind überaus aufschlussreich und eignen sich für Ausstellungen Sarah Helm den weiter östlich gelegenen Lagern. Die extensiv angeführten In- Gideon Greif, Peter Siebers und für die pädagogische Arbeit. Einige sind aber zu detailverliebt, Ohne Haar und ohne Namen. Im Frauen- terviews, Berichte und Aussagen vermitteln gerade für schwierig Auschwitz. Todesfabrik. Topografi e und überfl üssig und redundant. Geben die Zeichnungen von Block 11 des Konzentrationslager Ravensbrück zu rekonstruierende Geschehnisse, wie die Frühphase der Experi- Alltag in einem Konzentrations- und Stammlagers und des »Alten Krematoriums« zum Beispiel wichti- Aus dem Englischen von Martin Richter, mente der SS-Mediziner (S. 119 ff., 235 ff., 247 ff.), das 1942 von Vernichtungslager. gen Aufschluss über die Örtlichkeiten, ist die Darstellung der Häft- Annabel Zettel und Michael Sailer, mit Ravensbrück aus errichtete Frauenlager im KZ Auschwitz (S. 200 NS-Dokumentationszentrum der Stadt lingsküche verzichtbar. Gleiches gilt für die Lagerkommandantur einem Vorwort von Bärbel Schindler- ff.) und die Anfang 1945 zur Ermordung von Häftlingen eingesetzte Köln in Zusammenarbeit mit dem Staatli- von Birkenau und das 1944 fertiggestellte SS-Lazarett. Gar nicht Saefkow. Gaskammer (S. 537 ff., 554 ff., 598 ff., 625 ff.), neue Erkenntnisse. chen Museum Auschwitz-Birkenau (Hrsg.) überzeugen kann die Struktur des Buches. Aufgeteilt in die Kapitel Darmstadt: Theiss Verlag 2016, 820 S., € 38,– Beim Lesen wird ständig erkennbar, dass das in diesem Buch [deutsch-englisch-polnische Ausgabe] Stammlager, Birkenau und Buna/Monowitz wird die Baugeschichte zusammengetragene Wissen weitgehend auf dem direkten Kontakt Köln: Hermann-Josef Emons Verlag, der verschiedenen Lager, Lagerabschnitte und ausgewählter Baulich- Sarah Helm erfuhr Ende der1990er Jahre von Ravensbrück, als sie für mit Überlebenden und dem Gespräch mit ihnen beruht; häufi g war es 2016, 338 S., € 49,95 keiten wenig strukturiert erzählt. Weder die Geschichte der einzelnen 1 ihr Buch über Vera Atkins das Schicksal von drei durch die britische Sarah Helm, die sie erstmals befragte und zum Sprechen ermunterte. Lager noch das Verbrechensgeschehen werden stringent dargestellt. Special Operations Executive nach Frankreich gesandten Frauen Weitgehend unbekannt ist zum Beispiel auch der Bericht über die junge Wie lässt sich Auschwitz darstellen? Die Antwort muss unklar Chronologie oder Systematik dienen nicht als Maßgabe. Auch fi nden rekonstruierte, die 1945 in diesem Konzentrationslager ermordet Norwegerin Wanda Hjort, die 1943 aus eigener Initiative begann, den bleiben, weil die Frage ersichtlich ungenau ist. Meint Auschwitz, sich in den von Karola Fings, Jürgen Müller (NS-Dokumentations- worden waren (S. XII, 574 f.). In Atkins’ Nachlass fand sie Auf- Häftlingen zu helfen und Informationen über die in Ravensbrück ge- laut Yehuda Bauer ein »mysteriöse[r] Ort« (S. 326), die drei Lager zentrum der Stadt Köln) und Łukasz Martyniak (Staatliches Museum zeichnungen von früheren Häftlingen und Namenslisten, die auf nach fangenen Frauen nach Skandinavien und an das Internationale Komitee Auschwitz, Birkenau und das IG Farben-eigene Buna/Monowitz? Auschwitz-Birkenau) gewiss mühevoll redigierten und lektorierten Großbritannien gelangte Überlebende hinwiesen. Daraufhin begann vom Roten Kreuz zu übermitteln, womit sie die Häftlingsevakuierun- Meint es die Verbrechen, die Tag für Tag von der SS und ihren Hand- Texten noch Unklarheiten und Fehler. Auschwitz lag nicht »mitten sie, Kontakte mit früheren Ravensbrück-Häftlingen aufzunehmen; gen nach Schweden 1945 anbahnte (S. 357 ff., 586 ff., 610 ff.). lagern an Lagerinsassen oder an deportierten Juden begangen worden im Deutschen Reich« (S. 21). Das vom Konzern IG Farben errichtete auch die Gespräche mit John da Cunha, 1946 als junger Mann im Sarah Helms zeitbedingt erst circa 50 Jahre nach Kriegsende sind? Oder meint Auschwitz das Verbrechen, den insbesondere in Werk »IG Auschwitz O/S« sollte nicht allein der Produktion von Anklageteam in den britischen Ravensbrück-Prozessen, motivierten beginnende Annäherung an Ravensbrück und ihr unabhängig von Birkenau implementierten Massenmord: die Shoah? Welche Formen Buna (synthetischem Gummi) dienen. Die Rede von »Buna-Werken« sie, eine Geschichte der Frauen von Ravensbrück zu schreiben (S. einem nationalen oder politischen Bezug entstandenes Forschungs- der Darstellung gibt es, das begriffl ich schwer fassbare Auschwitz (S. 32) ist deshalb irreführend. Im Januar 1945 wurden die Häftlinge 766) und dafür möglichst viele von ihnen zu fi nden und zu befragen. interesse trugen dazu bei, dass die Verfasserin bewusst Überlebende anschaulich und vorstellbar – oder wie immer die hilfl osen Vokabeln nicht »teils in Zügen, teils zu Fuß auf […] Todesmärsche Richtung Sarah Helm will mit ihrem Buch nicht die wissenschaftlichen aus allen Häftlingsgruppen und Herkunftsländern suchte, interviewte lauten mögen – zu machen? Westen getrieben« (S. 45). Die Todesmärsche endeten in Gleiwitz und Monographien über Ravensbrück ersetzen (Bernhard Strebels Studie und in ihrem Buch zu Wort kommen lässt. Ihre Darstellungsweise Das Buch von Greif/Siebers im Groß-Quart-Format, das »die Loslau in Oberschlesien. Hier wurden die Überlebenden in Waggons beispielsweise führt sie oft an) und auch nicht die von Überlebenden, eröffnet angesichts des inzwischen bereits mehrfachen Generations- gleichnamige« 2014/15 in Köln gezeigte »internationale Wanderaus- gepfercht und abtransportiert. Hermann Langbein wurde nicht 1941 etwa die Darstellungen von Wanda Kiedrzyńska oder Germaine Tillion, wechsels und der Aufgabe, auch für außereuropäische Gesellschaf- stellung […] dokumentiert« (S. 337), enthält »Lagerpläne, Bauzeich- von Frankreich »nach Deutschland ausgeliefert« (S. 120). Von den ersetzen. Sie plante, »die Geschichte von Ravensbrück vor allem durch ten nach Zugängen zur Vermittlung dieses zunächst deutschen und nungen, isometrische (räumliche) Darstellungen und Handzeich- über eine Million nach Auschwitz deportierten Juden wurden nicht die eigenen Stimmen der Frauen« zu schreiben (S. 763), und reiste durch kontinentaleuropäischen Themas zu suchen, neue Ansätze. nungen« (S. 9) von Peter Siebers. Gideon Greif hat die deutschen »nur wenige« (S. 135), sondern rund 200.000 »im Lager registriert«. Europa und nach Israel, um sie und auch ihre Angehörigen und Nach- In den letzten Zeilen des Gedichts, mit dem Primo Levi seine Texte zur Baugeschichte der drei Lager und zum Lagergeschehen wurde nicht zur »fabrikmäßigen Tötung von Millionen 3 kommen kennenzulernen und zu interviewen. Ebenso nutzte sie bereits Erinnerungen Ist das ein Mensch? einleitete und dessen den in verfasst. Alle Texte, Lagerplan-Legenden und Bildunterschriften Menschen […] in den Vernichtungslagern des deutsch besetzten seit den Kriegsjahren vorliegende Berichte und seit 1945 veröffentlichte Auschwitz gefangenen Frauen gewidmetes Fragment diesem Buch liegen auch in englischer und polnischer Übersetzung vor. Zudem Ostens« (S. 230) verwendet. Die überlebenden Sklavenarbeiter der Erinnerungen, bisher nicht oder selten ausgewertete Zeugnisse, wie die vorausgeschickt ist (S. V), ruft der italienische Dichter auf, die Be- sind rund 65 von Siebers gemachte Fotografi en der Gedenkstätte IG Farben erhielten nicht »in einem weiteren Verfahren« (S. 295) vor Sammlung des Polish Research Institute in der Universitätsbibliothek richte der Überlebenden zu erinnern und weiterzugeben: »Ihr sollt Auschwitz-Birkenau, circa 55 Zeichnungen von neun Häftlingen, dem Landgericht Frankfurt am Main Entschädigungszahlungen. Die 2 Lund , sowie Dokumente und Berichte im Besitz früherer Häftlinge sie einschärfen euern Kindern […]«.Für Ravensbrück ist jetzt mit einige Täterfotos und vier Porträts der Auschwitz-Überlebenden Angaben zu den Frankfurter Auschwitz-Prozessen sind gleichfalls und ihrer Familien, unter anderem in Russland und in Polen. Sarah Helms Buch ein wertvolles Kompendium zugänglich, das Hermann Langbein, Miklos Nyiszli, Filip Müller und Norbert Woll- mangelhaft (S. 307). Auch die Karte mit den »Deportationsrouten Das Ergebnis ist eine chronologisch-thematisch gegliederte Herz und Sinne ansprechen kann. heim sowie Kurzbiografi en der Künstlerinnen und Künstler, deren nach Auschwitz« (S. 23) bedarf der Korrektur. Die Juden Norwegens Darstellung, die – immer personenorientiert – die Entwicklung des Gemälde Aufnahme in das Buch gefunden haben, enthalten. Außer- wurden nicht von der westlich gelegenen Hafenstadt Bergen, sondern KZ Ravensbrück zeigt: die einzelnen Häftlingsgruppen (unter ihnen Jochen August dem leiten Vor- und Geleitworte das Werk ein oder schließen es ab. von Oslo aus mit dem Schiff nach Stettin deportiert. Zuvor waren sie auch britische Staatsangehörige; S. 472 f.), die Organisation des Berlin/Oświęcim Robert Jan van Pelt, Yehuda Bauer und Serge Klarsfeld haben teils zumeist in dem nahe Oslo gelegenen Lager Berg interniert worden. überschwängliche Nachworte verfasst. Das Buch mit Siebers Zeichnungen ist gleichwohl ein wichtiger Was leistet die Publikation, was nicht bereits aus Auschwitz- Versuch, »Auschwitz« darzustellen. Ausstellung und Buch werden Monografi en, aus den umfangreichen, auch auf Deutsch vorliegen- im In- und Ausland vom deutschen Menschheitsverbrechen zeugen. 1 Sarah Helm, A Life In Secrets. The Story of Vera Atkins and the Lost Agents of 3 Primo Levi, Ist das ein Mensch?, Frankfurt am Main, Hamburg 1961, S. 11. Über den Darstellungen der Historikerinnen und Historiker des Staatlichen SOE, London 2006. die mit Primo Levi nach Auschwitz deportierten Frauen siehe: Myriam Anissi- 2 Eugeniusz S. Kruszewski (Bearb.), Mówią świadkowie Ravensbrück [Zeugen von mov, Primo Levi. Die Tragödie eines Optimisten. Eine Biographie, Berlin 1999, Museums Auschwitz-Birkenau und aus den zahlreichen Bildbänden Werner Renz Ravensbrück sprechen], Kopenhagen 2001. S. 148 ff., 201–208. bekannt ist? Fritz Bauer Institut

64 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 65 »Das Schrecklichste der Schrecken« Systematik der humanexperimentell-verbrecherischen Entwicklung Suchen und Finden Geschichten des Suchens, Findens und Aufbewahrens der Doku- im Nationalsozialismus präsentiert, springt die Darstellung mitunter mente nach. zwischen Orten, Zeiten, Personen und Institutionen hin und her, um So beschreibt Jah beispielsweise das Wirken des Holocaustüber-

auch wirklich keine der verwickelt-konkurrierenden Verbindungen lebenden Larry Lubetsky, den Leiter des im November 1945 einge- zwischen SS, Universitäten, Industrie, Wehrmacht, Forschungs- richteten Suchbüros des American Jewish Joint Distribution Com- Paul Weindling instituten, Ministerien und Konzentrationslagern unbeleuchtet zu Akim Jah, Gerd Kühling (Hrsg.) mitee (AJDC) in Berlin. Dessen Initiative war es zu verdanken, Victims and Survivors of Nazi Human lassen. Hierdurch wird zwar deutlich, wie intensiv die naturwissen- Fundstücke: Die Deportation der Juden dass bereits im Herbst 1946 Unterlagen des Oberfi nanzpräsidiums Experiments. Science and Suffering in schaftlich-medizinische Forschungslandschaft an Verbrechen und aus Deutschland und ihre verdrängte Berlin-Brandenburg sichergestellt wurden, die Auskunft über die the Holocaust Vernichtungspolitik teilhatte, doch fühlt sich der Leser nicht nur vom Geschichte nach 1945 »Verwertung« des von den Deportierten in der Reichshauptstadt London: Bloomsbury, 2014, 312 S., € 77,99 Inhalt der Darstellung überwältigt, sondern auch von ihrer Form. Die Göttingen: Wallstein Verlag, 2016, 64 S., zurückgelassenen Vermögens gaben. Teil dieses »papiernen Fried- Dichte der Beschreibung dient einem offensichtlichen Zweck: Die € 9,90 hofs« – wie ihn ein Mitarbeiter einer jüdischen Hilfsorganisation Als der Münsteraner Anatom Johann Paul Medizinverbrechen und ihre Opfer, welche von den etablierten NS- nannte – waren Transportlisten und eine Deportationskartei der Kremer im August 1942 nach Auschwitz Narrativen angeblich – so Weindling – vollkommen vernachlässigt Fundstücke heißt die Publikationsreihe, mit Berliner Gestapo, die von derselben zwar noch vor Kriegsende abkommandiert wird, um als SS-Arzt Selektionen vorzunehmen, wurden, sollen vom Nebenschauplatz zu einem essentiellen, geradezu der der International Tracing Service (ITS) vorsorglich vernichtet, von den akribischen Finanzbeamten jedoch scheint er kaum zu verkraften, was er erlebt: »das Schrecklichste der bedingenden Aspekt des Holocaust erhoben werden. in Bad Arolsen »auf wenig bekannte, aber historisch bedeutsame in Kopie aufbewahrt worden war. Erstmals konnten mit ihrer Hilfe Schrecken« am »anus mundi«, dem »Lager der Vernichtung«. Doch Weindling dient hierfür eingangs das Bild des »iconic medical Zeugnisse aus den Jahren des Nationalsozialismus und der Nach- die Namen von 50.000 Menschen rekonstruiert werden, die von schon nach kurzer Zeit erfreut er sich an der reichhaltigen Verpfl e- killer« (S. 9) und dessen doppelter Funktion, an der kriegszeit« in seinen Beständen hinweisen möchte.1 Und tatsächlich Berlin aus in den Osten verschleppt und hier zum großen Teil er- gung, den Feiern im Führerheim – sowie an einem außergewöhnli- Rampe in Auschwitz mit seinem ärztlichen Blick nicht nur zu ermor- musste die Überlieferung des ITS nach der Öffnung seines Archivs mordet wurden. chen, »lebendfrischen« Untersuchungsmaterial für seine anatomi- dende, sondern ebenso ihm pathologisch erscheinende Personen zu für die historische Forschung vor zehn Jahren von dieser gewis- Welche Bedeutung dieser Fund – der 1953 an den ITS abge- schen Studien.1 Wie Kremer waren zahllose deutsche Ärzte in die identifi zieren und zu selektieren. Am Ende kommt der Autor auf dieses sermaßen erst neu entdeckt werden. Seitdem hat der Suchdienst geben wurde – für das Gedenken an die Ereignisse hat, skizziert Verbrechen des Nationalsozialismus und seine Vernichtungspolitik Bild zurück und konstatiert, dass beide Funktionen nicht voneinander jedoch eine beeindruckende Tätigkeit entfaltet, um die mehr als Gerd Kühling, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenk- und Bil- involviert und wie Kremer versuchten zahllose dieser Ärzte, wis- zu trennen sind, »that science takes a role in the murder of millions. 30 Millionen Dokumente in seiner Sammlung einer interessierten dungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, in seinem Beitrag über senschaftlichen Profi t aus ihrer mörderischen Tätigkeit zu schlagen. The experiments than can be seen in terms of sharpening the scientifi c Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seit 2016 kann ein umfangrei- den Umgang mit der Geschichte der Deportationen in Berlin nach Die »Victims and Survivors« der Medizinverbrechen hat der edge of lethal science.« (S. 195). Weil Mengele bei der Selektion zur ches Findmittel zu Inhaftierung und Verfolgung während der NS-Zeit 1945. Kühling stellt darin die These auf, dass aufgrund der Selbst- britische Historiker Paul Weindling in einem nicht anders als monu- Vernichtung wie bei der Selektion zum medizinischen Experiment sein im Portal des European Holocaust Research Infrastructure-Projekts wahrnehmung vieler Deutscher als Opfer des Krieges und um die mental zu bezeichnenden Projekt identifi ziert, über 27.000 Personen, ärztliches Wissen anwandte, müssen Vernichtung und Experiment in (EHRI) eingesehen werden,2 seit Januar 2017 steht das Gesamtin- Frage nach den Verantwortlichen für den Holocaust zu vermeiden, darunter mehr als 4000 Ermordete. Auf welch bestialische Weise diese denselben Narrativ integriert werden – so scheint Weindlings immer ventar des Archivs zur Online-Recherche bereit.3 auf Denkmälern für die Deportierten lange Zeit Inschriften dominiert Menschen missbraucht und gequält wurden, ist seit dem Nürnberger wiederkehrende Kritik an der Holocaustforschung gemünzt zu sein. Es Die Reihe Fundstücke ist Teil dieses Bemühens um eine ver- hätten, die lediglich pauschal den »Opfern des Nationalsozialismus« Ärzteprozess sowie der noch 1947 von Alexander Mitscherlich und stellt sich auch hier eine grundsätzliche Frage, die in anderem Zusam- stärkte Sichtbarkeit in Forschung und Öffentlichkeit. Der von Akim gewidmet waren, während konkrete Angaben zu Namen, Orten und Fred Mielke herausgegebenen Dokumentation Das Diktat der Men- menhang von Richard Evans formuliert wurde: inwieweit die Medizin- Jah und Gerd Kühling verfasste und herausgegebene aktuelle vier- Schicksalen der Verfolgten fehlten. Dies habe sich erst in den 1980er schenverachtung2 bekannt und seither Thema vieler weiterer Studien verbrechen »can be subsumed under the ›Holocaust‹ as a concept«.3 te Band widmet sich dem Thema »Die Deportation der Juden aus Jahren geändert, als eine junge Generation von Gedenkakteuren die gewesen. Weindling trägt in seinem umfassenden Buch den bisherigen Weindlings Kausalität von Wissenschaft und Vernichtung ist wenig Deutschland und ihre verdrängte Geschichte nach 1945«. verstärkte Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen forderte. Kenntnisstand zusammen und vervollständigt diesen durch seine ei- überzeugend, gerade weil er selbst immer wieder darauf hinweist, die Jah, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Forschung Seither sei die Wiedergabe von Namen, Zahlen und Orten integraler gene, quellenintensive Forschung im Zuge der Opferidentifi zierung. Experimente hätten »outside the routines of death and destruction« und Bildung im ITS, gibt zunächst einen Überblick über den Ver- Bestandteil von Gedenkkonzepten zur Erinnerung an die Deporta- Umfassend ist das Buch, weil es den gesamten Komplex von po- (S. 12) gestanden, dass an den genuinen Ort der Vernichtung – lauf der systematischen Deportation von Juden aus dem Deutschen tionen aus Berlin geworden. Ohne eine Überlieferung, wie die von litischen Umständen und wissenschaftlichen Entwicklungen, indivi- den Lagern der »Aktion Reinhardt« – keine Forschung stattfand Reich zwischen Herbst 1941 und April 1945. Kenntnisreich präsen- Lubetsky 1946 entdeckte – resümiert Kühling zutreffend –, wäre duellen Motiven der Täter und Erfahrungen der Opfer zu präsentieren (S. 49, 193, 198) und dass Mengeles Forschung als »parasitic on tiert er den aktuellen Forschungsstand, wobei er aus Platzgründen dies aber schlechterdings nicht möglich gewesen. versucht. Um diesem Anspruch gerecht zu werden – und Weindling the procedures of extermination« (S. 158) zu charakterisieren ist. einige Aspekte aber lediglich anreißen kann. Den spannendsten Teil Insgesamt legen Jah und Kühling mit ihrem Band eine zwar ist unzweifelhaft der hierzu berufene Wissenschaftler –, wäre eine Deswegen erscheinen die Medizinverbrechen nicht weniger als »das bildet jedoch ohnehin der zweite Abschnitt seines Beitrags. Hier knappe, aber dennoch gelungene Mischung zwischen einer histo- etwas entzerrtere Darstellung überaus sinnvoll gewesen. Auf kaum Schrecklichste der Schrecken«. Und deswegen ist die Arbeit Paul stellt Jah die Bestände vor, die zu den Deportationen im ITS ver- rischen Einführung und einem kommentierten Spezialinventar vor. mehr als 200 Seiten Text, der sowohl die Chronologie als auch die Weindlings, seine Identifi kation der »Victims and Survivors« und sammelt sind, und zeichnet zugleich die bislang wenig bekannten Ergänzt werden die Beiträge der beiden Autoren durch eine Kurzbi- sein Beitrag zur Erinnerung an ihr Leid, nicht weniger bahnbrechend. bliographie zum Thema sowie durch einschlägige faksimilierte Do- kumente aus dem ITS-Archiv. Der Band regt dazu an, die Bestände

1 »›Es gab bulgarischen Rotwein und kroatischen Zwetschgenschnaps‹. Aus dem Mathias Schütz des Internationalen Suchdienstes selbst zu erkunden und sich auf die Tagebuch des SS-Arztes Dr. Kremer«, in: Ernst Klee, Willi Dreßen, Volker Rieß München 1 https://www.its-arolsen.org/infothek/wissenschaftliche-publikationen/ [3.1.2017]. Suche in die Akten zu begeben. Eine Menge Fundstücke warten hier (Hrsg.), »Schöne Zeiten«. Judenmord aus Sicht der Täter und Gaffer, Frankfurt 2 https://portal.ehri-project.eu/units/de-002409-de_its_0_4#desc-eng-0_4_eng noch auf ihre Entdeckung. am Main 1988, S. 231–242. [3.1.2017]. Vgl. hierzu auch ausführlicher Jörn Hendrik Kischlat, Suchen und 2 Seit 1960 erscheint die Dokumentation unter dem Titel Medizin ohne Men- Finden. Neue Erschließungsergebnisse beim International Tracing Service (ITS), schlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, hrsg. und kommentiert 3 Richard J. Evans, »The Anatomy of Hell«, in: The New York Review of Books, 62 in: archivnachrichten aus hessen 16/2 (2016), S. 18–21. Johannes Beermann von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke, 17. Aufl ., Frankfurt am Main 2009. (2015), Nr. 12. 3 Vgl. Pressemitteilung des ITS vom 9.1.2017. Fritz Bauer Institut

66 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 67 Berührende und verstörende Bilder Döpfner, mit der Bedeutung der gezeigten Werke für die deutsche Aus- Vom strukturellen Erbe im Sachbuchs an, die spätestens in den 1920er Jahren eingesetzt hat- einandersetzung mit der Vergangenheit. Eliad Moreh-Rosenberg führt in deutschen Literaturbetrieb te. Das für den Büchermarkt und die Lesegewohnheiten in beiden die Kunstsammlung von Yad Vashem ein und erläutert das kuratorische deutschen Staaten nach 1945 wohl virulenteste Traditionsmoment

Konzept der Ausstellung. Es zielt auf eine mehrschichtige Kontextuali- bestand jedoch im Fortwirken einer vom NS-Propagandaministerium sierung: »Jedes in der Schoa geschaffene Werk erzählt mindestens drei nach Kriegsbeginn gezielt geförderten, vermeintlich ideologiefreien Eliad Moreh-Rosenberg, Walter Geschichten: die im Bild dargestellte Geschichte, die Lebensgeschichte Unterhaltungsliteratur: Das »vermeintlich unpolitische Buch […] Schmerling (Hrsg.) des Künstlers und die Geschichte des Werkes – wie es entstanden ist, Christian Adam konnte im hohen Maße systemstabilisierend wirken, indem es […] Kunst aus dem Holocaust. 100 Werke wie es die Zeiten überdauert hat und wie es in unsere Sammlung gelangt Der Traum vom Jahre Null – Autoren, dem kritischen Blick auf die Herrschenden einen Raum gab, ohne aus der Gedenkstätte Yad Vashem ist.« Allein der Bildinhalt lasse sich darüber hinaus auf mindestens Bestseller, Leser: Die Neuordnung der aber zum Umsturz der bestehenden Verhältnisse aufzurufen.« (S. 303) Köln: Wienand Verlag, 2016, 392 S., drei Ebenen analysieren: der künstlerischen, der historischen und der Bücherwelt in Ost und West nach 1945 Dass unter diesen Bedingungen eine literarische Auseinander- € 48,– psychologischen (S. 35). Der dritte Essay von Jehudit Kol-Inbar ist den Berlin: Galiani, 2016, 441 S., € 28,– setzung mit der NS-Vergangenheit und den Massenverbrechen, die Kinderzeichnungen in der Kunstsammlung Yad Vashems gewidmet. diesen Namen verdient, allenfalls in Ansätzen erfolgte, nimmt nicht Von 26. Januar bis 3. April 2016 zeigte das Deutsche Historische Mu- Der Bildteil gliedert sich in drei große Themenkomplexe – Wirk- Christian Adam widerlegt in dieser quellen- Wunder. Adam kann zeigen, wie die DDR-Literaturpolitik Bemühun- seum (DHM) in Berlin eine aufsehenerregende Ausstellung, die 100 lichkeit, Porträts, Traum und Hoffnung –, die jeweils durch ein litera- gesättigten Darstellung des Buchmarkts in gen unternahm, sich in dieser Hinsicht von der BRD zu unterscheiden: Werke aus der – annähernd 10.000 Originale umfassenden – Kunst- risches Dokument eingeleitet werden.4 Die zusammengestellten Texte Deutschland-Ost wie -West, dass die lange Zeit verbreitete Vorstel- Bruno Apitz’ Nackt unter Wölfen, aber auch Seghers’ Das siebte Kreuz sammlung von Yad Vashem präsentierte.1 Die zwischen 1939 und und Werke zeigen die ungebrochene Kreativität, den Lebenswillen lung einer scharfen Zäsur im Jahre 1945 die tatsächlichen Verhält- erreichten hohe Aufl agen; und im Parteiverlag der Nationaldemo- 1945 entstandenen Zeichnungen, Grafi ken und Gemälde stammen von und den Kampf um Würde der verfolgten und vom Tode bedrohten nisse verfehlt. In seinem fl üssig geschriebenen Abriss zunächst der kratischen Partei Deutschlands, dem »Verlag der Nation«, wurde an Menschen, die vom NS-Regime und seinen Verbündeten als Juden Menschen. Die Begleittexte sind leider sehr unterschiedlich: Mit- alliierten Literaturpolitik, sodann der Entwicklungen in den beiden einer »Wandlungsliteratur« gearbeitet: an Büchern von Autoren, die, defi niert und verfolgt wurden. In Ghettos und Lagern, auf der Flucht, unter dominiert ein kunsthistorischer Ansatz, mitunter stehen der deutschen Staaten, in dem er ein konstantes Augenmerk auf die jewei- einst begeisterte NS-Parteimitglieder, durch NS-Alltag und Krieg zu im Versteck oder bei den Partisanen schufen Berufskünstler, Laien und historische Kontext oder biografi sche Angaben im Vordergrund, nur ligen Bestseller in Ost und West legt, kann er eine Fülle von »Kon- entschiedenen Gegnern des früheren Regimes geworden waren. Die Kinder unter lebensbedrohlichen Bedingungen nicht nur Bilder, die den teilweise werden die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte the- tinuitäten über die vermeintlichen Zäsuren 1933 und 1945 hinweg« Regulierung des Buchmarkts durch die notorische Politik der Papier- Alltag der Verfolgung festhielten, sondern auch Landschaftsdarstel- matisiert. Dies führt dazu, dass der Leser ständig neue Perspektiven (S. 17) nachweisen. Darunter fallen unweigerlich etliche altbekannte: zuteilung wies die DDR jedoch zugleich als einen Staat aus, der, wie lungen, Stillleben, Porträts, Illustrationen und satirische Zeichnungen.2 der Auseinandersetzung mit den Werken einnehmen muss. so die Karrieren, die mehrere Schriftsteller – unter ihnen Wolfgang Adam schreibt, »das strukturelle Erbe des ›Dritten Reichs‹« annahm Von den 50 Personen, deren Werke die Ausstellung zeigte, wurden 24 Ein sorgfältigeres Lektorat hätte dem Katalog zudem gutgetan Borchert und Hans Hellmut Kirst – bereits im NS-Kulturbetrieb – die Bereitschaft zur direkten, regulatorischen Intervention in den ermordet oder starben kurz nach ihrer Befreiung, 26 überlebten. Zur und sperrige oder veraltete Formulierungen im deutschen Text ver- gemacht hatten, die diskrete Verwandlung einstiger ausgewiesener »Markt« –, während die BRD stärker das personelle Erbe akzeptierte: Ausstellungseröffnung in Berlin kam die einzige heute noch Leben- mieden. An etlichen Stellen ist die englische Version inhaltlich exakter NS-Autoren in »Heimatschriftsteller«, aber auch »die völlig unge- schwer- und schwerstbelastete Autoren, bis zu Figuren wie Edwin de: Nelly Toll, die als Achtjährige im Versteck im galizischen Lwów als die deutsche: So wird die Formulierung »occupation and establish- brochene Fortsetzung der nationalsozialistischen Kriegsprosa, […] Erich Dwinger oder dem im einfl ussreichen Europäischen Buchklub tä- Zeichnungen voller Sehnsucht und Lebensmut anfertigte. ment of the Protectorate of Bohemia and Moravia by the Germans in die Verlängerung des Vernichtungskriegs hinein in den Kalten Krieg tigen Gerhard Schumann, die, meist ungehindert und auch kommerziell Die auf eine Initiative der Bild anlässlich des 50. Jahrestages 1939« im deutschen Text verkürzt zu: »Als die Deutschen Böhmen mit unterhaltungsliterarischen Mitteln« (S. 163) etwa bei Heinz G. erfolgreich, auf das literarische Leben in Westdeutschland einwirkten. der Aufnahme der israelisch-deutschen Beziehungen zurückgehende und Mähren besetzten« (S. 294, 305). Auch die Übersetzungen »So- Konsalik. Auch dass Elisabeth Frenzel, Mitherausgeberin der in den Die Analysen der literarischen Texte fallen in Adams Panorama Ausstellung wurde von der Gedenkstätte Yad Vashem (Jerusalem) viets« – »Russen« (S. 64), »ghetto’s functionaries« – »Amtsträger im Nachkriegsjahrzehnten aufl agenstarken Daten deutscher Dichtung, aus Autoren- und Verleger-Viten, Aufl agenziffern, zeitgenössischen und der Stiftung für Kunst und Kultur e.V. (Bonn) in Kooperation mit Ghetto« (S. 328) oder »deported« – »Evakuierung« (S. 333) verfäl- sich 1942 mit ihrer Dissertation Judengestalten auf der deutschen Pressestimmen (meist aus dem Spiegel) und knappen Auszügen aus der Stiftung Deutsches Historisches Museum (Berlin) umgesetzt. Als schen den Inhalt. Von einer »Weiterreise in die Vernichtungslager« zu Bühne einschlägig profi liert und in verschiedenen Funktionen unter aktueller Forschungsliteratur nur skizzenhaft aus – unvermeidlich in Sponsoren fungierten die Daimler AG und die Deutsche Bank AG. sprechen ist befremdlich (S. 338). Für ein nicht fachlich vorgebildetes Alfred Rosenberg gearbeitet hat, ist seit Längerem bekannt. einer Perspektive, die in ihrem weiten Blickwinkel die Geschichte Die Kuratoren Eliad Moreh-Rosenberg (Yad Vashem) und Walter Publikum ist zudem die fehlende Differenzierung von NS-Lagern Umso bedeutender ist das Verdienst des Buches, einige stärker des Büchermarkts in beiden deutschen Staaten über rund eineinhalb Schmerling (Stiftung für Kunst und Kultur e.V.) arbeiteten mit einem mit Internierungslagern in der Schweiz oder Großbritannien (S. 309, strukturelle Aspekte der Buchmarktgeschichte von den 1920er Jahren Jahrzehnte zu umfassen versucht. Im letzten Kapitel, »Zaghafter Projektteam des DHM unter Leitung von Dorlis Blume zusammen, 316) verwirrend. All dies mindert jedoch nicht den großen Wert der bis in die 1950er hinein in den Mittelpunkt zu rücken. So waren die Blick nach vorn«, das unter anderem Werke von Günter Grass, Hans das die Ausstellung gestaltete und realisierte. Ausstellung und des Katalogs: die Präsentation von 100 einzigartigen, ersten von den Alliierten lizenzierten Verleger – Peter Suhrkamp, Werner Richter, Wolfgang Koeppen und Heinrich Böll behandelt, Der dreisprachig (Deutsch, Englisch und Hebräisch) erschienene ebenso berührenden wie verstörenden Werken und der Menschen, die Ernst Rowohlt, Hermann Leins und Kurt Desch – nicht nur alles an- gerät solches Kursorische an seine Grenze: Die Auswahl der For- Ausstellungskatalog umfasst Geleitworte, drei einführende Essays, diese unter unfassbaren Bedingungen geschaffen haben. dere als Neulinge in der Branche, sondern sie wiesen vor allem auch schungsliteratur erscheint willkürlich, die spezifi schen Herausforde- einen Bildteil, die Künstlerbiografi en3 sowie einen Anhang, der un- Erfahrungen mit der Kriegswirtschaft und der NS-Zensurpolitik auf, rungen, vor denen die genannten Autoren standen, nicht ausreichend ter anderem ein Glossar zu Begriffen und Orten enthält. Im Essayteil Babette Quinkert die ihnen nun, unter veränderten Vorzeichen, zum Vorteil gereichten. erkannt. Doch diese Monita beeinträchtigen nicht die Stichhaltigkeit befasst sich der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer SE, Mathias Berlin Auch dass der »Bücherboom im Krieg« (S. 69) zu nennenswerten des zentralen Demonstrandums in diesem Buch: die verblüffende Teilen auf Taschenbuchformaten und Feldpostausgaben beruhte, ging Beharrungskraft von Lesegewohnheiten, an denen auch der Buch- nun – erneut gewinnbringend – etwa in die »Erfi ndung« von »Ro- markt – soweit er sich ihnen nicht ohnehin sofort widerstandslos wohlts Rotations Romanen« (rororo) ein, die ganz so neu nicht waren. unterwarf – nahezu nichts zu verändern vermochte. 1 Die Besucherzahl übertraf mit mehr als 47.000 in knapp zehn Wochen alle Erwartungen. 4 Die in der Ausstellung zusätzlich eingefügten einführenden Texte (Gesamteinführung, Topseller wie C. W. Cerams Götter, Gräber und Gelehrte, Ferdinand 2 Der größte Teil entstand im Ghetto Theresienstadt (39 Werke), gefolgt von den Text zur Gedenkstätte Yad Vashem, Texte zu den drei Themenkomplexen) sind im Ghettos Kaunas (7) und Łódź (7). Katalog nicht dokumentiert. Die literarischen Dokumente waren im DHM nicht an Sauerbruchs Das war mein Leben oder Werner Kellers Und die Bibel Stephan Braese 3 Die Ausstellung subsumiert auch Bilder von Laien und Kindern unter dem Begriff Kunst. den Beginn der Erzählung gestellt, sondern in die Präsentation der Werke integriert. hat doch recht knüpften ihrerseits an eine Tradition des populären Aachen

68 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 69 Immer wieder rekurriert Eichmann auf sein ursprüngliches Vor- Nachprüfung ergab –, werden hingegen schöngeredet. Die Analyse Vergötzter Befehlsempfänger 36 Jahre Verfahren gegen Demjanjuk 1 haben, den Juden Europas die Auswanderung und die Gründung anderer Autoren, zum Beispiel die von Stephan Landsman, fällt eines eigenen Staates zu ermöglichen. Alles Sinnen und Trachten, erheblich kritischer aus.

so seine enervierenden Beteuerungen, seien diesem Ziel gewidmet Douglas gibt den Prozessverlauf in München wieder, zugleich gewesen. Dass die Geschichte einen anderen Verlauf nahm und im vertritt er zwei Thesen: Zum einen unterstreicht er die Wichtigkeit Raphael Ben Nescher (Hrsg.) Massenmord endete, sei ganz und gar ohne sein Zutun geschehen. Lawrence Douglas von Historikern. Dem ist zuzustimmen, auch, dass das OSI ein nach- Götzen. Die Autobiografi e von Adolf Als mediokrer und schuldloser Untergebener, als befehlsabhängiger The Right Wrong Man. ahmenswertes Modell für die Zusammenarbeit von Juristen und Eichmann Referent im RSHA habe er nicht umhin gekonnt, die Befehle seiner and the Last Great Nazi War Crimes Trial Historikern entwickelt hat. Zudem ist in einem Verfahren wie in Kommentiert vom Herausgeber. Vorgesetzten, eben seiner »Götzen«, zu befolgen. Eichmann, häu- Princeton: Princeton University Press, München, wo es zu Sobibór weder Tatzeugen noch Tatbeweise gab, Berlin: Metropol Verlag, 2016, 557 S., € 39,– fi g als »Deportationsspezialist« apostrophiert, erweist sich in den 2016, 331 S. US$ 29,95 ein historischer Gutachter unerlässlich. An anderer Stelle werden zwei Jahren in Jerusalem als fi ndiger Exkulpationsspezialist. Keine aber fälschlicherweise Erfolge Historikern zugeordnet: Es war der Drei »Eichmänner« sind zu unterscheiden: fadenscheinige Ausfl ucht ist ihm zu schade. Gleichwohl ist Eich- Jurist Kurt Hinrichsen von der Zentralen Stelle, der den Nachweis Der Referent im SS-Reichssicherheitshaupt- manns Selbstzeugnis für die Holocaustforschung von Bedeutung. Die Geschichte von Ivan/John Demjanjuk führte, dass die Nichtbefolgung verbrecherischer Befehle nicht hart amt (RSHA), der zuerst die Auswanderung, später die Deportation von Ben Nescher, der über stupende Quellen- und Literaturkenntnisse ist die Geschichte einer Kette von Gerichts- bestraft wurde – was für viele NS-Prozesse relevant war. Juden organisierte (Eichmann in Wien, Prag und Berlin). Der Exilant verfügt und in seiner Einleitung und in seiner Kommentierung mit verfahren von 1975 bis 2011. Es gibt zahlreiche Publikationen dazu. Die zweite These lautet, dass der Umstand, dass in der Bun- in der Willem Sassen-Gesprächsrunde in , der sich zu Kritik an der Eichmann-Literatur nicht spart, hebt zu Recht den Lawrence Douglas hat 2011 dem letzten Verfahren in München bei- desrepublik Nazi-Täter nicht wegen Völkermord oder Verbrechen seinen Taten bekannte (Eichmann vor Jerusalem). Der Beschuldigte, Quellenwert der Autobiografi e hervor, obschon einzuräumen ist, gewohnt und bietet zudem einen Gesamtüberblick. Eine Aufl istung Angeklagte und Verurteilte in Jerusalem, der nichts als fadenscheini- dass sie »neue Erkenntnisse für die Holocaustforschung« (S. 33) lobender Beurteilungen auf dem Schutzumschlag vermittelt den ge Rechtfertigungen vorzubringen wusste (Eichmann in Jerusalem). nicht enthält. Die Wichtigkeit von »Götzen« und von anderen Auf- Eindruck, dass das Buch zum Standardwerk erklärt werden wird. Adolf Eichmanns Rolle beim Mord an den europäischen Juden zeichnungen Eichmanns liegt vor allem in dem Faktum, dass ein Leider weist es Mängel auf. 1 Stephan Landsman: Crimes of the Holocaust. The law confronts hard cases, Phil- adelphia, 2005, S. 110–172. ist gut erforscht und die im Jerusalemer Prozess von der Anklage- Holocausttäter den Verfolgungs- und Vernichtungsprozess ohne jede Zunächst geht Douglas auf die Verfahren in den USA und Israel vertretung vorgenommene Überdimensionierung seiner Funktion ist Einschränkung darstellt. Zudem kommt in Eichmanns unglaubhaften ein. 1975 kam der aus der Ukraine stammenden John Demjanjuk korrigiert. Tonbandmitschnitt und Transkription der Sassen-Gesprä- Bemühungen, seine Rolle zu minimieren und seine Verantwortung ins Visier der US-Behörden, der Vorwurf war Kollaboration mit che aus dem Jahr 1957 hat Bettina Stangneth1 minutiös ausgewertet. kleinzureden, durchaus erhellend die Beteiligung anderer Akteure den Nazis als Wachmann in Trawniki, dann im Vernichtungslager Die »Argentinien-Papiere« stellen den überzeugten, eifrigen und zum Ausdruck, von Mittätern zumal, die von der deutschen Justiz Sobibór. Im Verlauf der daraufhin angestrengten Verfahren zum eigeninitiativen Akteur im Vernichtungsprozess dar. Das Protokoll meist ungeschoren blieben oder aber nicht mehr belangt werden Entzug seiner US-Staatsbürgerschaft und nachfolgenden Auswei- des Polizeiverhörs durch Avner Less, Eichmanns »Memoiren« (ins- konnten. Eichmanns Leugnung seiner Mittäterschaft decouvriert sung wurde Demjanjuk von Treblinka-Überlebenden beschuldigt,        gesamt 8000 Seiten) und Aussageverhalten und Verteidigungsstrate- mithin die mittäterschaftlichen Aktivitäten anderer. Am Beispiel der berüchtigte »Iwan der Schreckliche« im dortigen Vernichtungs-      gie vor dem Jerusalemer Bezirksgericht 1961 sind hingegen von der Ungarn lässt sich der Sachverhalt gut zeigen. Der Höhere SS-und lager gewesen zu sein. In Israel wurde er deswegen 1988 zum To-        Eichmann-Forschung nur teilweise untersucht worden. Polizeiführer in Budapest, Otto Winkelmann, und der Vertreter des de verurteilt, obwohl auf seinem Trawniki-Personalbogen nur der       Der Schweizer Historiker Raphael Ben Nescher legt nunmehr Auswärtigen Amts in der ungarischen Hauptstadt, Reichsbevoll- Dienst in Sobibór vermerkt war. Dokumente aus der Sowjetunion       eine brillant kommentierte und edierte Ausgabe von Eichmanns Au- mächtigter Edmund Veesenmayer, waren maßgeblich an der De- zeigten dann, dass es sich um eine Personenverwechslung handelte.        tobiografi e »Götzen« vor. Wohl im September 1961 (S. 11, 39) hat portation von 438.000 Juden nach Auschwitz beteiligt, auch wenn Nach der Aufhebung des Urteils und seiner Rückkehr in die USA         ! ! Eichmann das Manuskript abgeschlossen. Erst im Jahr 2000 machte die tagtägliche Durchführung der »Ungarn-Aktion« von Eichmann wurde Demjanjuk ein zweites Mal vom Offi ce of Special Inves-   " # das Israelische Staatsarchiv in Zusammenhang mit dem in London und den Angehörigen seines Sondereinsatzkommandos in den rund tigations (OSI) denaturalisiert, 2009 nach Deutschland gebracht $ #  durchgeführten Verleumdungsprozess von David Irving gegen die acht Wochen von Mitte Mai bis Mitte Juli 1944 zusammen mit der und schließlich in München vor Gericht gestellt. Zu Demjanjuks %  &  3   & Historikerin Deborah Lipstadt die Quelle unkommentiert und stel- ungarischen Gendarmerie bewerkstelligt wurde. Eichmanns Beto- Tätigkeit in Sobibór lagen keine weiteren Beweise vor, aber infolge '  lenweise fehlerhaft transkribiert (S. 11) online zugänglich. nung der Rolle dieser in Ungarn führenden Mittäter ist durchaus der Vorermittlungen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwal- & ()  !  *+&   Eichmanns Rechtfertigungsschrift ist nicht leicht zu lesen. Der zutreffend. Ridikül ist hingegen Eichmanns Strategie, seine eigenen, tungen in Ludwigsburg sahen Staatsanwaltschaft und Gericht den ,  *# ,       Nazi, der »Götter« anhing, die sich im Verlauf seines befl issenen ihm nachgeordneten Mitarbeiter – Ben Nescher zählt sie (S. 42–45) Dienst in einem Vernichtungslager per se als Behilfe zum Mord  "  -!.  Dienstes für »Führer, Volk und Vaterland« als »Götzen« erwiesen, auf – mehr oder weniger in seiner Verlaufsdarstellung der Vernich- an. Der Bundesgerichtshof äußerte sich bis zum Tod Demjanjuks  ist penetrant darum bemüht, sich als pfl ichtgetreuer, willenloser und tungspolitik ungenannt zu lassen. Indem er die organisatorische 2012 nicht dazu. befehlsergebener »Diener der Götzen« (S. 432) zu präsentieren, Mitwirkung seiner Untergebenen an den Deportationen weitgehend Die Fehler, die zu dem Fehlurteil in Israel führten, schätzt der im Krieg aus Gehorsamspfl icht und »Führertreue« gezwungen verschweigt, vermeint Eichmann, seine eigene Rolle herunterspielen Douglas unterschiedlich ein. Er schildert die problematische Vor- war, die Vernichtungspolitik der Staatsführung zu implementieren. zu können. Ben Neschers herausragende Edition macht die Notwen- gehensweise des »Landesstabs der Israel Police« (nicht identisch

digkeit deutlich, das Transkript der Sassen-Runde zu veröffentlichen. mit dem in den Eichmann-Prozess involvierten Büro 06) bei der     Zeugenbefragung angemessen kritisch. Die erheblich schwerwiegen- !     "    #$%&'(')*   1 Bettina Stangneth, Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Mas- Werner Renz deren Fehler, die die amerikanischen Behörden begingen – bis hin + #($(,-.*(%.(/& ($(,-.*(%.(* senmörders, Hamburg 2011. Fritz Bauer Institut zur Unterdrückung von Entlastungsmaterial, wie eine gerichtliche 000#  # & 12  # 

70 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 71 gegen die Menschlichkeit abgeurteilt wurden, sondern die Justiz auf Familiengeschichten gerade nicht die bürokratische Einbindung – seien Voraussetzun- von den meisten Teilnehmenden wiederholt wird. Das relativiert dem deutschen Strafgesetzbuch beharrte, als eine Form von Täter- gen für die Radikalisierung der Täter. Täterforschung sei »keine den Stellenwert der Familiengeschichten und verändert die Be- schutz anzusehen sei. Dieser Teil des Buches überzeugt nicht, weil Methode, sondern vor allem eine Perspektive« (S. 30). Die Gesell- deutung des Gegenstandes selbst. Genannt werden zum Beispiel deutlich wird, dass Douglas die Materie nicht genügend beherrscht. schaftsgeschichte des Nationalsozialismus insgesamt als zentrale »Erinnerungsgeschichte«, die größere Bedeutung von Vergleichen Im knappen Rahmen dieser Rezension können nur zwei Beispiele Bedingung des Holocaust kommt so in den Blick. Diese gerade für mit anderen Genoziden (Eckmann, S.174, 182) und die Frage der herausgegriffen werden: Nicht erst nach dem Staschinsky-Urteil von Oliver von Wrochem (Hrsg.) die pädagogische Annäherung an die Thematik bedeutende Auswei- Repräsentation von unterschiedlichen Gruppen (Messerschmidt, 1962 wurde in »Haupttäter« – die NS-Führung – und »Gehilfen« unter Mitarbeit von Christine Eckel tung der Perspektive spiegelt sich in weiteren Beiträgen des Bandes. S. 177). Dieser letzte Punkt sollte betont werden, denn Messerschmidt unterschieden, sondern schon vorher. Zudem wurden in der Folge Nationalsozialistische Täterschaften. Sebastian Winter beschäftigt sich aus psychoanalytischer Sicht spricht hier einen Aspekt an, der bei der Fokussierung auf die Bedeu- nicht alle Angeklagten als Gehilfen angesehen. Douglas erwähnt N achwirkungen in Gesellschaft und Familie mit der unterschwelligen Weitergabe von »Haltungen«, von »habitua- tung von Tradierung für die Aneignung von NS-Geschichte heute Otto Bradfi sch (S. 188), Führer des Einsatzkommandos 8, der 1961 Berlin: Metropol Verlag, 2016, 535 S., lisierten Erziehungsstile(n) und Gewaltmuster(n)« (S. 109) durch die zentral ist. Die Tatsache, dass wir in einer postnationalsozialistischen als Gehilfe nur zehn Jahre erhielt, aber nicht den Einsatzkomman- DVD, € 24,– Generation, die in der NS-Volksgemeinschaft sozialisiert wurde. Seine Gesellschaft leben, prägt nicht nur die biologischen Nachkommen der doführer 9, Alfred Filbert, der 1962 zu lebenslanger Haft verurteilt Feststellungen haben Konsequenzen für die Thematisierung der NS- Generation der »Volksgenossen«. Dieser zentrale Aspekt der Vermitt- wurde. Die Urteilspraxis der Gerichte ist insgesamt keineswegs Oliver von Wrochem, Ute Wrocklage Verbrechen in Familien, in der Öffentlichkeit und in pädagogischen lung und Aneignung von (NS-)Geschichte kommt in dem Band zu kurz. einheitlich. Ein Täter, Mitläufer, Zuschauer, Handlungsfeldern. Ein anderer Aspekt dieser veränderten Schwer- Der lehrreiche und anregende Sammelband ermöglicht sowohl Noch problematischer ist der Rückgriff auf das berüchtigte Ur- Opfer in der Familie? Materialien zu punktsetzung ist die Vermittlung und Aneignung von NS-Geschichte einen Gewinn für die wissenschaftliche Erschließung des Themas als teil des SS-Polizei-Gerichts 1943 gegen Max Täubner, in dem nicht biographischen Familienrecherchen in Schulen und außerschulischen Lernorten. Astrid Messerschmidt auch einen Zugang für Laien, die sich der Verstrickung der eigenen die Tötung von Juden als strafwürdig angesehen wurde, sondern dass Hamburg: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, formuliert in ihrem Beitrag den Anspruch an Bildungsarbeit, »sich von Familie nähern. Wer selbst die Auseinandersetzung mit der eigenen diese ohne Befehl erfolgt war. Ohne eine angemessene Kontextuali- 2014, 64 S., € 5,– dem Wunsch nach einer unmittelbaren Nähebeziehung zu den Opfern Familiengeschichte angehen möchte, fi ndet in dem Materialien-Heft sierung konstruiert Douglas eine Kontinuität: »… postwar German wie auch von dem Wunsch nach einer eindeutigen Abgrenzung von eine zuverlässige Unterstützung. courts essentially employed SS standards of legality, limiting the Das Thema NS-Täterschaft wird zumeist mit den Tätern zu verabschieden«. (S. 121) Eine einleuchtende Forderung, universe of perpetrators to individuals who, like Täubner, could have der Forschung über einzelne Verbrecher ver- die allerdings davon ausgeht, dass die pädagogisch Handelnden und Gottfried Kößler been condemned by the SS own tribunals.« (S. 190) Auch BRD- bunden. Der Band von Oliver von Wrochem die Lernenden eine deutsche Familiengeschichte haben. Angesichts Pädagogisches Zentrum Frankfurt Gerichte hätten nur einige wenige »sociopaths« (S. 190) verurteilt. untersucht den Zusammenhang von Famili- der Heterogenität der Lerngruppen und auch zunehmend des pädago- Das ist unhaltbar. engeschichten und Täterschaften. Diese Perspektive ist eng mit der gischen Personals ist das häufi g nicht der Fall. Die persönlichen Ge- Der Demjanjuk-Prozess ist nicht »groß« zu nennen, wie Douglas Arbeit des Studienzentrums der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ver- schichtsbezüge in ihrer Komplexität – und im Rahmen der historischen das tut, weder im Bezug auf seine Dimension noch seine Bedeutung. bunden, das seit 2009 das Seminar »Ein Täter, Mitläufer, Zuschauer, Forschung – zu begreifen ist die Anforderung an die pädagogische Auch das zeigt Unkenntnis. Zahlreiche deutsche NS-Verfahren hat- Opfer in der Familie?« anbietet. Es entstand zunächst eine praktische Praxis, die aus allen Beiträgen dieses Teils des Bandes deutlich wird. ten ganz andere Dimensionen, wenn hunderte von Zeugen ermittelt Handreichung für Personen, die sich mit der Rolle eigener Familien- Die beiden Beiträge von Oliver von Wrochem setzen den Unter- und befragt werden mussten. Zudem hätte eine frühere Anwendung angehöriger in der NS-Zeit eingehend beschäftigen möchten. Darin schied zwischen einer Bildungsarbeit, die als Zielgruppe Erwachsene der Argumentation des Demjanjuk-Urteils umfangreiche Ermittlun- fi nden sich Hinweise zur Recherche in Archiven und Gedenkstätten, mit dem Interesse an der Geschichte ihrer Familie hat, und der Ver- gen dieser Art nicht überfl üssig gemacht, weil davon nur ein Teil aber auch zu den Themen, die hierbei relevant werden. mittlung von historischem Wissen (oder einer Haltung zu Geschichte von NS-Tätern betroffen ist. Größere Bedeutung kommt Prozessen Der Band Nationalsozialistische Täterschaften basiert auf zwei Ta- und Vermächtnis) an Schulklassen voraus. Vor dem Hintergrund der zu, wo zum ersten Mal Massenverbrechen in vollem Umfang ge- gungen, die die KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Kooperation mit der Täterforschung und einer grundsätzlichen Klärung der Funktion der zeigt werden konnten. Zudem kann jeder, der rechtsstaatlich denkt, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg durchgeführt hat. Die Seminare, die Nachkommen von Täterinnen und Tätern sowie von angesichts des in Israel zu Unrecht ergangenen Todesurteils nur Beiträge behandeln drei unterschiedliche Zugänge zum Thema: erstens Verfolgten ansprechen, beschreibt von Wrochem, wie Familienge- Unbehagen empfi nden. eine Bestandsaufnahme der NS-Täterforschung, zweitens öffentliche schichten über Recherchen, Auseinandersetzung und Begegnungen Formen des Umgangs mit Täterschaft in Bildung, Gesellschaft und angeeignet wurden. Besonders in der Sorgfalt und Geduld, die aus der Ruth Bettina Birn künstlerischer Repräsentation sowie drittens Erfahrungen bei der Aus- Begleitung des Projektes der Familie Schwerdt deutlich wird, zeigt Stuttgart einandersetzung mit Täterschaft in der eigenen Familie. Das Buch und sich die Verschränkung von geschichtswissenschaftlicher und päda- das Seminarangebot des Studienzentrums intendieren, die Spaltung des gogischer Kompetenz. Dieser Prozess wird in dem Interview mit dem 3.100 likes Zugangs zur Geschichte der NS-Verbrechen in Deutschland in eine Ehepaar Schwerdt, das auf der DVD dokumentiert ist, noch klarer. Danke für Ihr Interesse! familiäre Dimension des Schweigens und eine öffentliche Dimension Die Gedenkstätte als Institution, die ein solches Angebot trägt, Folgen auch Sie uns auf Facebook? des Gedenkens zu überwinden (vgl. Täterschaften, S.11). wird ihrer Funktion als Ort, der Archiv, Forschung und kommuni- Aktuelle Informationen aus dem Fritz Bauer Institut, Frank Bajohr präsentiert einen dichten und instruktiven Über- kative Kompetenz verbindet, gerecht. Das Ergebnis ist eben die ver- Veranstaltungshinweise, neue Publikationen, blick zum Forschungsstand, der zeigt, wie differenziert Täterschaften änderte Haltung zu Täterschaft als Teil der Gesellschaftsgeschichte Nachrichten und Berichte aus Kultur und Wissenschaft heute betrachtet werden müssen. Nicht mehr die Einbindung der – und vor allem auch zum Umgang mit der Prägung der deutschen Einzelnen in das System und die Bürokratie bildet den Rahmen des Gegenwart durch die so verstandene NS-Täterschaft. www.facebook.com/fritz.bauer.institut Verständnisses. Sowohl der »weltanschauliche Referenzrahmen« Diese Gegenwart ist von Heterogenität geprägt, eine Feststel- als auch die Entgrenzung der Handlungsräume der Einzelnen – also lung, die vor allem in dem Panel zum »Umgang mit Täterschaft«

72 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 73 Trauma zweiter Ordnung von Einzelpersonen, auch wenn sie nicht als NS-Verfolgte anerkannt Die »Euthanasie«-Prozesse als historischen Kontext. Mit nüchternem Blick lotet die Autorin das sind. Dies ist wichtig zu betonen, denn die ganz unterschiedlichen Instrumente im Systemkonfl ikt Agieren der Gerichte und die Rechtsfertigungsmuster der Angeklag- Verfolgungserfahrungen werden doch nach wie vor in scheinbar kol- ten aus. Insbesondere den Sachsenberg-Prozess in Schwerin sowie

lektive, dabei aber stigmatisierende Zugehörigkeiten kategorisiert. das Dresdner Sonnenstein-Verfahren von 1947 würdigt Schweizer- Der Sammelband ist grundlegend in zwei Kapitel gegliedert. Martinschek als Instrumente der Aufklärung über die nationalsozi- Thorsten Fehlberg, Jost Rebentisch, Kapitel I, »Trauma und Erinnerung«, umfasst acht Beiträge auf 66 alistischen »Euthanasie«-Verbrechen. In diesen beiden Verfahren Anke Wolf (Hrsg.) Seiten; Kapitel II, »Aufarbeitung und Zukunft«, umfasst zehn Beiträge Petra Schweizer-Martinschek wurde bereits das differenzierte System von Einzelhandlungen bei Nachkommen von Verfolgten des auf 106 Seiten. Anliegen der Konferenz war es, »die Vielfalt der die Die Strafverfolgung von NS-»Euthanasie«- der Tötung der Anstaltsinsassen offengelegt, das erst 1963 wieder Nationalsozialismus. Herausforderungen Zweite Generation betreffenden Themen möglichst breit abzubilden« Verbrechen in SBZ und DDR im Großprozess gegen Auschwitz-Personal vor dem Schwurgericht und Perspektiven (S. 10). Erinnerungserzählungen weniger bekannter Opfergruppen wie Thalhofen: Bauer-Verlag, 2016, 388 S., Frankfurt ausgebreitet wurde. Diese aufklärerische Funktion verloren Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag, 2016, der Kinder des Widerstands und der Bericht einer Tochter über ihren € 49,90 die ostdeutschen Gerichte durch den SMAD-Befehl Nr. 201 vom 211 S., € 19,95 homosexuellen Vater sind ebenso im Band vertreten wie Darstellungen 16. August 1947. Er regelte nicht nur die Rechtsgrundlage für die zur jüdischen Perspektive und den Nachwirkungen der Verfolgung für Die von Petra Schweizer-Martinschek vor- Prozesse, sondern schuf spezielle Sonderstrafkammern, die unter der Ausgehend von dem erinnerungskulturellen Gebot, das die Opfer und Sinti und Roma. Während Micha Brumlik narrative Identitätsbildungs- gelegte Dissertation untersucht sämtliche in Kontrolle der Sowjetischen Besatzungsmacht standen. Diese Auf- Überlebenden des nationalsozialistischen Völkermords ins Zentrum prozesse im Kontext von Familienerzählungen herausarbeitet, schlägt der SBZ und in der späteren DDR durchgeführten Prozesse zum sicht ging nach Gründung der DDR im Oktober 1949 auf die SED des Gedenkens rückt, wird inzwischen verstärkt die Frage nach dem Marina Chernivsky die Brücke von den intra- über die interpersonellen Tatkomplex der »Euthanasie«-Morde. 23 Verfahren wurden durch und die von ihr gelenkten Ministerien über. Die NS-Prozesse wurden intergenerationellen Transfer der Gewalterfahrung gestellt. Die Ange- Beziehungen bis hin zur sozialen Ordnung einer Gesellschaft. Insbe- die sowjetische Militärregierung oder später von deutschen Gerich- immer mehr zu einer Waffe im Systemkonfl ikt, in dem es darum hörigen der Nachfolgegeneration sollen stärker Gehör fi nden in der sondere im Kontext von Heterogenität und Transkulturalität, so betont ten durchgeführt. ging, zu zeigen, wie konsequent die DDR mit der NS-Vergangenheit Annahme, dass gerade sie es sind, die Wichtiges zur kritisch-ethischen die Psychologin, »entstehen assoziative Geschichtsverbindungen, die In den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche Publikationen über gebrochen habe, während im Westen frühere Funktionäre wieder Orientierung unserer Gesellschaft zu sagen haben. Folgt man der Argu- […] in verschiedenen Momenten der Interaktion aktiviert werden« das Rechtssystem in der SBZ und in der DDR sowie über die NS- wichtige Positionen in Politik und Wirtschaft innegehabt hätten. Ge- mentation des Historikers Reinhard Koselleck, dass jeder »geschicht- können (S. 122). Da »Irritationen […] eng mit dem Geschichtsbewusst- Prozesse in beiden deutschen Staaten erschienen.1 Darunter sind auch rade im Hinblick auf die Aufklärung von »Euthanasie«-Verbrechen liche Wandel […] von den Besiegten«1 zehrt, so gehen eben nicht die sein der Beteiligten verbunden sind« (S. 125), sollte eine pädagogische viele Untersuchungen einzelner Heil- und Pfl egeanstalten im Natio- verhinderte die DDR-Führung jedoch die strafrechtliche Verfolgung Sieger als Helden aus der Geschichte hervor. Vielmehr sind es die Bearbeitung des Themas genau hier ansetzen. nalsozialismus sowie zu deren Personal. Schweizer-Martinschek legt von Ärzten, die in das Gesundheitssystem der DDR integriert worden Opfer und Überlebenden ebenso wie die ihnen nachfolgenden Gene- Dass die »Arbeit der Nachkommen […] für unsere Gesellschaft nun eine Überblicksdarstellung für alle »Euthanasie«-Strafverfahren waren, wie dies am Beispiel der Ermittlungen gegen das Personal rationen, deren Gerechtigkeitsbegehren bei positiver Beantwortung wichtiges Wissen« (S. 11) hervorbringt, zeigen insbesondere Praxis- in der SBZ und der DDR vor, die die Herausbildung verschiedener der Landesheilanstalt Stadtroda nachvollzogen werden kann. als Gelingensbedingung einer Demokratie gelten kann. Eine historisch und Begegnungsprojekte, die die intergenerationelle Kommunikation Rechtssysteme und Gesetzesgrundlagen in den Besatzungszonen Zu welchen Absurditäten das Primat der ideologischen Nutzbar- begründete und in der Gegenwart wirksame politische Verantwortung zwischen Überlebenden und Jugendlichen aus der Mehrheitsgesell- im beginnenden Kalten Krieg ebenso berücksichtigt wie die politi- machung der NS-Prozesse führte, zeigt Schweizer-Martinschek unter zu übernehmen bedeutet, die öffentlichen Belange so zu steuern, dass schaft fördern. Oliver von Wrochem (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) schen und ideologischen Motive für die Durchführung oder Nicht- anderem an der Rechtshilfepraxis für westdeutsche Prozesse durch zukünftig Schädigungen oder gar Verletzungen (von Einzelnen, von begreift die dialogische Aufarbeitung von Familiennarrativen als zentra- durchführung von Prozessen. Die Studie gibt einführend nicht nur die Regierung der DDR. Als dem Leiter der Kinderfachabteilung der »Anderen«, von Minderheiten) auf jeden Fall unterbunden und ge- le Aufgabe von Gedenkstätten. Der Raum für Recherche und Refl exion einen kurzen Abriss über verschiedenen Phasen des »Euthanasie«- Heil- und Pfl egeanstalt Sachsenberg, Alfred Leu, im September 1950 ahndet, besser aber noch präventiv und strukturell vermieden werden. sollte primär den Familien der Opfer und Überlebenden, insbesondere Programms und die Tatorte; sie fasst auch die juristische Ahndung in Köln der Prozess gemacht werden sollte, verweigerte die Landes- Die pädagogische Reaktualisierung der Holocaust-Erinnerung auch den Angehörigen der »vergessenen Opfer«, zur Verfügung gestellt dieser Verbrechen im Westen des Landes zusammen und erläutert die staatsanwaltschaft Mecklenburg die Herausgabe von Akten aus dem räumt der Zeitzeugenschaft eine zentrale Rolle ein (vgl. den Beitrag werden, aber auch den Nachfolgegenerationen aus Täterfamilien offen- Entwicklung des Rechtssystems in der DDR bis zur Schaffung eines Sachsenberg-Prozess. Dies war auch eine Retourkutsche dafür, dass von Michael Teupen in dem besprochenen Band).2 Das Nicht-Erzählba- stehen. Was ist zu beachten, wenn über die Formen intergenerationeller eigenen Strafgesetzbuches im Jahr 1968. Sie zeigt die institutionellen sich die schleswig-holsteinischen Behörden 1947 geweigert hatten, re des Völkermords wurde jedoch meist ausgeklammert, ebenso wie die Tradierung geforscht werden soll? Jelena Wachowski verlangt, dass und ideologischen Abhängigkeiten der ostdeutschen Justiz von der Leu für den Sachsenberg-Prozess an die DDR-Behörden auszulie- traumatischen Spuren der Todesbedrohung.3 Genau an diesen Leerstel- »an erster Stelle ein Bewusstsein« notwendig ist, »dass Traumata von sowjetischen Besatzungsmacht und der SED. fern. Dieser wurde daher im Urteil des Kölner Landgerichts vom len setzt nun die Untersuchung der intergenerationellen Tradierung an. Verfolgten sich – auf welchem Wege auch immer – auf die Folgege- Die vorliegende Studie ist ein Nachschlagewerk für die ein- 24. Oktober 1951 freigesprochen – angeblich wegen mangelnder Be- Ergebnisse aus Praxis und Forschung zu bündeln war das Anliegen nerationen auswirken können« (S. 97). Die »Mitgefühlserschöpfung« zelnen »Euthanasie«-Verfahren und stellt diese in den jeweiligen weise aufgrund der fehlenden Akten des Schwurgerichts Schwerin. einer Konferenz, die der Bundesverband für Information & Beratung für – so die Bezeichnung für ein Übermaß an Einfühlung in nicht selbst Schweizer-Martinschek kommt in ihrer Beurteilung der justi- NS-Verfolgte 2015 in Berlin durchführte. Der vor 25 Jahren gegründete erlebtes Leid! – führt nach der Psychologin Susanne Guski Leinwand ziellen Ahndung von »Euthanasie«-Verbrechen in Ostdeutschland Verband vertritt die Interessen der Angehörigen aller Opfergruppen und zu starker Belastung (S. 27). In der »zweiten und dritten Generation« nicht zu einer Neubewertung der DDR-Justizgeschichte. Der Wert geht es daher vor allem um Ressourcenaktivierung, indem implizite 1 Siehe u.a. Annette Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutsch- der Arbeit liegt vielmehr darin, die Forschung zusammengetragen Familienaufträge erkannt und das Selbstkonzept prospektiv ausgerichtet land. Vergangenheitsbewältigungen 1949–1969 oder: eine deutsch-deutsche Be- und systematisiert zu haben. Zu bedauern ist, dass die Autorin ihre ziehungsgeschichte im Kalten Krieg, Paderborn 2002; Roger Engelmann, Cle- 1 Reinhard Koselleck, »Erfahrungswandel und Methodenwechsel«, in: Christian wird. Eine interdisziplinär verankerte, partizipativ gestaltete und poli- mens Vollnhals (Hrsg.), Justiz im Dienste der Parteiherrschaft: Rechtspraxis und Dissertation nicht in einem wissenschaftlichen Verlag publiziert hat. Meier, Jörn Rüsen (Hrsg.), Theorie der Geschichte, Beiträge zur Historik, Bd. 5: tisch engagierte Erinnerungskultur trägt dazu bei, die »Weitergabe an Staatssicherheit in der DDR, Berlin 2000; Hermann Wentker, »Die juristische So hätten einige formale und inhaltliche Fehler vermieden werden Historische Methode, München 1988, S. 62–80, hier S. 62. die nächste Generation zu unterbrechen« (S. 29). Ahndung von NS-Verbrechen in der Sowjetischen Besatzungszone und in der können. 2 Nina Schulz, Elisabeth Mena Urbitsch, Spiel auf Zeit. NS-Verfolgte und ihr DDR«, in: Kritische Justiz 35 (2002), S. 60–78; Falco Werkentin, »Die Waldhei- Kampf um Anerkennung, Hamburg, Berlin 2016. mer ›Prozesse‹ – ein Experimentierfeld für die künftige Scheinjustiz unter der 3 Ulrich Baer (Hrsg.), »Niemand zeugt für den Zeugen«. Erinnerungskultur und Anne Klein Kontrolle der SED?«, in: Klaus Bästlein, Annette Rosskopf, Falco Werkentin, Katharina Rauschenberger historische Verantwortung nach der Shoa, Frankfurt am Main 2000. Köln Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte der DDR, Berlin 2007, S. 33–52. Fritz Bauer Institut

74 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 75 Das Völkerrecht als Diskursraum orientierte Transformation ein. Als Protagonisten der Debatten um Erinnerung als Einschreibungsprozess »Holocaust« versuchte das Gesamtnarrativ des Genozids am Schick- die rechtlichen Grundlagen des Nürnberger Militärtribunals und sal einer einzelnen Familie festzumachen. Autoren wie Daniel J. die Transformation des Völkerrechts stellt die Autorin die beiden Goldhagen deuteten den Massenmord an den europäischen Juden als

jüdischen Juristen Raphael Lemkin (mit seinem Werk Axis Rule logische Konsequenz der Entwicklung der deutschen Gesellschaft in Occupied Europe, Erstausgabe: 1944) und Jacob Robinson (In- bis zum Nationalsozialismus. Die deutsche Wiedervereinigung führte Annette Weinke stitut of Jewish Affairs) vor, die versucht haben, die Interessen der Tommaso Speccher schließlich weltweit zu einer publizistischen Beschwörung des Ge- Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. jüdischen Gemeinschaft in Nürnberg starkzumachen. Ausführlich Die Darstellung des Holocausts in Italien fahrenpotenzials eines vereinigten Deutschland, mit dem auch der Transnationale Debatten über deutsche geht sie auch auf Wissenschaftler aus dem Umfeld des Instituts für und Deutschland. Erinnerungsarchitektur Nationalsozialismus wieder erwachen könnte. Die deutsche Teilung Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert Sozialforschung ein (v.a. auf Franz L. Neumann), die mit ihren Ana- – Politischer Diskurs – Ethik war bis dahin in politische Tatsachen gegossene Erinnerung an die Göttingen: Wallstein Verlag, 2016, 372 S., lysen den US-amerikanischen Anklägern und Besatzungsbehörden Bielefeld: Transcript, 2016, 392 S., € 39,99 deutsche Schuld – würden die Deutschen nun vergessen? € 34,90 zuarbeiteten. An diesem Punkt irritiert eine recht kurz greifende Dis- Mit dem Fall der Mauer kam auch in Italien ein Erinnerungs- kussion der problematischen Repräsentation der Judenvernichtung in Woran erinnern wir uns, wenn wir des Ho- diskurs auf. Dabei wurde das Gedenken an den Holocaust oft po- Der Umgang mit von Deutschland ausge- Nürnberg. Dass die Positionen der jüdischen Juristen und Sozialwis- locaust gedenken? An Auschwitz? An die litisch instrumentalisiert. Speccher nennt ihn die einzige politische hender, staatlich organisierter Gewalt, mit senschaftler hier nicht stärker zueinander in Bezug gesetzt werden, Wannsee-Konferenz? An all die Helfer, die die Massendeportationen Schandtat, die in Italien von allen verurteilt wird – und deshalb Kriegsverbrechen und Genozid war im 20. Jahrhundert ein The- ist bedauerlich, hätte aber wohl den Rahmen gesprengt. Überzeugend und -morde erst möglich machten? An die Opfer? Sind Holocaust oft moralisch beansprucht wird, um eigene Positionen attraktiv zu ma, dem sich die deutschen Gesellschaften und die internationale führt Weinke als dritten Debattenpol den Völkerrechtler Hermann und Shoah Synonyme? Die Fragen sind komplex. Einerseits mar- machen. Das zeigt zum Beispiel der Fall des Ex-Bürgermeisters von Gemeinschaft mehrfach stellen mussten. Eine der internationalen Jahrreiß ein, im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess Gutachter kiert der Massenmord an den europäischen Juden ein materielles Rom, Giovanni Alemanno, der trotz seiner Verfl echtungen mit der Antworten darauf war die Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts. und Hilfsverteidiger von General Alfred Jodl. Er steht für das sich historisches Ereignis, das vielfach dokumentiert ist. Andererseits neofaschistischen Szene und politischer Rhetorik gegen »Zigeuner« Die Haltung der Deutschen dazu schwankte zwischen indignierter nun entwickelnde nationale Opfernarrativ der besiegten Deutschen wird der Holocaust mit dem Verblassen der subjektiven Erinnerung ein großer Fürsprecher des Museo della Shoah war und ist. Der Ablehnung und aktiver Beteiligung. Die Autorin unternimmt mit und für die Abwehr der Prinzipien von Nürnberg, die jahrzehntelang – in wenigen Jahren wird es keine Zeitzeugen mehr geben – immer italienische Erinnerungsdiskurs wurde zudem von der katholischen ihrer Habilitationsschrift den Versuch, das moderne Völkerstrafrecht die politische Kultur der Bundesrepublik prägte. Dass die BRD trotz mehr zum Produkt einer kollektiven, nie abgeschlossenen Narration. Kirche geprägt, die den Holocaust früh universalistisch gedeutet und als ein »Medium der gesellschaftlichen Fremd- und Selbstbeobach- der reservierten Haltung gegenüber dem Völkerstrafrecht 1954 die Augenzeugenberichte, KZ-Ruinen, Alltagsgegenstände der Opfer – allgemein als Verfolgung von Menschen durch Menschen verurteilt tung« (S. 10) zu betrachten. Als heuristische Instrumente dienen ihr Genozid-Konvention ratifi zierte, ging laut Weinke nicht zuletzt auf all dies führt als Spur zu den materiellen Ereignissen im Zweiten hat. Das hat dazu geführt, dass der Holocaust lange nicht als singulär Begriffe und Fragestellungen aus der Transitional Justice, die sie eine eigenwillige, dem Kalten Krieg geschuldete Koalition zwi- Weltkrieg. Die Semantik dieser Dokumente ist jedoch diskursiv in der Geschichte gesehen wurde. Hinzu kommt, dass die italienische kenntnisreich und kritisch diskutiert. Mit dem modernen Völkerrecht schen Raphael Lemkin und den Vertriebenen-Lobbyisten zurück. konstruiert, Ergebnis eines historischen Einschreibungsprozesses. Widerstandsbewegung Resistenza bereits in den letzten Kriegsjahren entstand ein nationaler und internationaler Diskursraum, in dem Im dritten Kapitel befasst sich Weinke mit der bundesdeutschen Es steckt viel Dekonstruktivismus, Diskursanalyse und Struktu- zu einer zivilen Verbindung jüdischer Gemeinden und der italieni- über Legalität und Legitimität staatlichen Gewalthandelns, über »Vergangenheitsbewältigung« – begriffen als mehr oder weniger ralismus in Tommaso Specchers Monographie. Der Titel des Werkes schen Zivilgesellschaft geführt hat. Einen von den Nachkommen dessen Entstehungsgeschichte und Folgen, über mögliche Konse- bewussten Gegenentwurf zur Nürnberger »Siegerjustiz«. Auch für lässt eine architektonische Fallstudie vermuten. Jedoch präsentiert der Täter initiierten und vorangetriebenen Erinnerungskurs wie in quenzen und Aufarbeitungsformen gestritten wurde. Das trug zur dieses vielfach bearbeitete Feld fi ndet die Autorin aufschlussreiche der italienische Philosoph und Historiker ein komplexes geschichts- Deutschland hat es in Italien nicht gegeben. Vielmehr wurde der Verrechtlichung historischer und politischer Auseinandersetzungen Debattenbeispiele – etwa mit den »Euthanasie«-Prozessen oder den philosophisches Werk, in dem die Analyse des Eisenmann-Monu- Diskurs stets durch die jüdischen Gemeinden angestoßen und selten bei; staatliche Gewalt wurde in Hinblick auf rechtliche Normen Diskussionen um den »Endlösungsbefehl« –, die die postulierte ments in Berlin und von Luca Zevis noch unfertigem Museo della national geführt. So konzentriert sich das Holocaust-Gedenken in verurteilt oder verteidigt, historische Urteile wurden im Medium Verschränkung von juristischen, politischen und geschichtswissen- Shoah in Rom als relativ frei gewählter Beleg theoretischer Überle- Italien bis heute auf die Städte mit den größten jüdischen Gemeinden des Rechts gefällt. Die um das Völkerrecht kreisenden Debatten schaftlichen Zugriffen verdeutlichen. gungen wirkt. Der Begriff »Erinnerungsarchitektur« im Titel bezieht und wird von diesen Gemeinden aktiv eingefordert. werden von Weinke anhand verschiedener Akteure aus Wissenschaft, Das abschließende Kapitel wendet sich der deutschen Vergan- sich also nicht bloß auf das in Monumente gegossene Erinnern in Der mit der deutschen Wiedervereinigung angestoßene Diskurs Publizistik und Politik vorgestellt. Deren Auswahl ist nicht immer genheitspolitik nach 1989/90 zu. Weinke diskutiert die internatio- Italien und Deutschland. Er meint auch die Architektur der Erinne- kulminiert in dessen architektonischer Aufarbeitung in Berlin. Das nachvollziehbar, die Ausführungen zu ihren Debattenbeiträgen aber nalen Debatten zur Transitional Justice, um dann mit Blick auf den rungsdiskurse und -prozesse in beiden Ländern und ihre historische Eisenmann-Monument in der deutschen Hauptstadt markiert für fast durchweg erhellend. gesamtdeutschen Umgang mit der DDR-Vergangenheit festzustellen, Konstruktion. Zuletzt löst sich Specchers Analyse in eine allgemeine Speccher den Punkt, an dem die Frage der Schuld und des Deutsch- Die Autorin teilt ihr Untersuchungsfeld in vier Kapitel. Das erste dass hier weder die internationalen Erfahrungen mit Systemum- Refl exion über die ethischen Implikationen der monumentalen Er- Seins zurückgelassen werden sollen und mit der verallgemeinern- befasst sich mit den Debatten im Anschluss an den Ersten Weltkrieg, brüchen noch das Völkerrecht zentrale Bezugspunkte wurden. Der innerungspraxis als solcher auf. den Narration gebrochen wird. Es ist postnational, richtet sich an in denen sich die vernehmbarsten Stimmen aus Deutschland vehe- Horizont der Auseinandersetzung blieb ein nationalgeschichtlicher; In Deutschland wurde der Gedenkdiskurs von den Nachkom- das Subjekt, das sich in einem Wald von Betonstelen desorientiert, ment gegen eine Subsumtion deutscher Kriegshandlungen unter das der »antitotalitäre Konsens«, als identitätsstiftende Klammer ge- men der Täter geführt und konzentrierte sich von Anfang an auf die einsam und beklemmt fühlen soll. Erinnern wird durch aktives Weg- Völkerstrafrecht wehrten. Zur Abwehr ausländischer Schuldvorwür- dacht, trübte eher den Blick, als dass er für Aufklärung sorgte. Die Schuldfrage. Speccher deutet den Eichmann-Prozess als zentrales lassen von monumentaler Repräsentation erreicht, es bezieht sich auf fe wurden nicht nur politische, sondern auch große wissenschaftliche Ausgangsüberlegung der Autorin, dass sich aus den Debatten um Ereignis für die Holocaust-Aufarbeitung in Deutschland; der Prozess das in seiner ganzen Fülle Unsagbare, das Ereignis des Holocaust. Anstrengungen unternommen, die hier unter anderem am Beispiel das Völkerrecht eine erhellende Erzählung über die wechselhaften sollte der Welt ins Gewissen reden, habe dabei aber die Relevanz Damit wird die Unmöglichkeit, den Holocaust zu defi nieren und Max Webers und der »Heidelberger Vereinigung« vorgestellt werden. Verschränkungen von Recht, Politik und Geschichte herausarbeiten Eichmanns als Einzelperson überstiegen. Vielmehr sei er repräsenta- symbolisch zu repräsentieren, anerkannt. Die Verbrechen des Nationalsozialismus lösten die weitreichends- lässt, hat sich jedenfalls bestätigt. tiv gegen den »Deutschen Täter« geführt worden und habe zur Ver- ten Debatten über das Völkerstrafrecht aus. Dessen Fixierung auf anschaulichung der Zerstörung des europäischen Judentums gedient. Aloysius Widmann zwischenstaatliche Gewalt musste angesichts der NS-Massenver- Katharina Stengel Damit sei aber vorgegeben gewesen, wie sich der deutschlandbezo- München brechen unter Druck geraten, es setzte eine an Menschenrechten Frankfurt am Main/Leipzig gene Erinnerungsdiskurs weiter entwickeln würde. Die Fernsehserie

76 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 77 Vom schwierigen Umgang und ermordeten Menschen übereinstimmte, bevorzugt er – und die Ein Jugendbuch über Hitler Hitler nach Wien zu kontextualisieren. » war einer von mit den Orten der Shoah Autorinnen und Autoren des Bandes folgen ihm darin weitgehend vielen Hunderttausenden jungen Männern, die von der Aussicht auf – die Umschreibung »als jüdisch defi nierte Menschen« bzw. »als Freiheit und Erfolg nach Wien gelockt wurden. Er war also Teil der

jüdisch defi nierte Bevölkerung«. Auch der Begriff des (Vernich- Moderne mit ihren riesigen Wanderungsbewegungen.« (S. 26) Hier tungs-)Lagers beschreibe nur allzu ungenau die Orte, an denen es wird deutlich, was sich durch das ganze Buch zieht: Die Lebens- allein um die unmittelbare Beraubung und Ermordung von Menschen Thomas Sandkühler geschichte Hitlers wird stets vor dem Hintergrund der Geschichte Jörg Ganzenmüller, Raphael Utz (Hrsg.) ging. Utz schlägt deshalb den Begriff der »Massentötungsanlagen« Adolf H. Lebensweg eines Diktators der deutschen und österreichischen Gesellschaft erzählt. So gerät Orte der Shoah in Polen. Gedenkstätten vor. Ein umsichtiger Umgang mit Sprache gerade bei dem Thema München: Hanser 2015, 350 S., € 19,90 auch das Verhalten der Mehrheitsbevölkerung etwa in Bezug auf zwischen Mahnmal und Museum nationalsozialistische Massenverbrechen (und dies betrifft nicht nur den Novemberpogrom 1938 oder die Reaktionen im »Altreich« auf Köln u.a.: Böhlau Verlag, 2016, 358 S., die Shoah) ist unbedingt erforderlich, dennoch bleiben Bedenken. Informationen über Massenmorde in den Blick. € 35,– In der Umsetzung seiner Überlegungen ersetzt Utz (wie die meisten In den Kapiteln 4 und 5 (»Der Kriegsherr« und »Der Massen- der Autorinnen und Autoren des Bandes) den Begriff des Mordens mörder«) wird, anders als die Überschriften suggerieren, gerade Der Band stellt Gedenkstätten in Polen vor, konsequent durch den des Tötens und spricht von Tötungspolitik, Leistet ein Jugendsachbuch mit dem Titel die Wechselwirkung zwischen dem Agieren Hitlers und anderen die an historischen Orten der Shoah errichtet Tötungssystem, Tötungsorten, Tötungsgebäuden, Tötungspraktiken, Adolf H. Lebensweg eines Diktators nicht Akteuren herausgearbeitet. Das Buch erklärt verständlich und dicht wurden: in Chełmno nad Nerem, Treblinka, Sobibór, Bełżec, Maj- mobilen Tötungseinheiten etc. Dies führt im Endeffekt allerdings zu der bei Jugendlichen sowieso häufi g vorherrschenden monokausalen geschrieben, dass lokale Initiativen bei Massenmorden und dem danek, Krakau und Auschwitz. An diesen Tatorten ermordeten die einer irritierenden sprachlichen »Versachlichung« der beschriebenen Erklärung, Adolf Hitler sei als Alleinverantwortlicher für die in der Bau von Vernichtungsstätten ausschlaggebend waren, und macht Deutschen insgesamt etwa drei Millionen Menschen. Doch das, was Inhalte. Eine Lösung für die von Utz eingeforderte auch sprachli- Zeit des Nationalsozialismus von Deutschen verübten Verbrechen deutlich, dass es für viele lokale Mordaktionen keinen direkten Be- wir heute dort vorfi nden, ist vielfach verändert: nicht nur durch den che Anerkennung des Leidens und Sterbens der Menschen und der zu betrachten, Vorschub? Braucht es ein Jugendsachbuch mit zwei fehl von Hitler gab. Sandkühler schreibt über die ersten Morde an Versuch der Täter, die Spuren ihrer Verbrechen zu beseitigen, sondern Wahrung ihrer und unserer Würde (S. 48) ist damit meines Erachtens Hitler-Köpfen auf dem Buchcover, während die Mystifi zierung des Juden auf sowjetischem Boden: »Im Oktober 1941, dem entschei- auch durch die unmittelbare Nachkriegsgeschichte, die oftmals von noch nicht erreicht. Diktators in den Medien allgegenwärtig ist? Ja, denn das Verdienst denden Monat, brauchte Hitler eigentlich nichts anderes zu tun, als Grabräuberei geprägt war, oder die vielfältigen, sich zeitlich verän- Phillip Weigel problematisiert in seinem Beitrag zum Einsatz von Thomas Sandkühlers Werk ist es, den Aufstieg dieses Mannes, die Vorschläge seiner Unterführer entgegenzunehmen und ihnen dernden Formen des Bewahrens, Erinnerns, Gedenkens und Trauerns von Fotografi en in Ausstellungen in polnischen Shoah-Gedenkstät- das unter seiner Herrschaft verübte Unrecht und die Massenver- zuzustimmen« (S. 263). an diesen Orten. Die Herausgeber verfolgen das Ziel, anhand der ten den Rückgriff auf Bildmaterial der Täter. Konstantin Heinisch- brechen unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands Insgesamt werden der Holocaust und die deutschen Massenver- von ihnen ausgewählten Orte diese »unterschiedlichen Zeitschich- Fritzsche nähert sich dem Thema Widerstand, indem er anhand der unter die Lupe zu nehmen und aufzuräumen mit längst überholten brechen breiter und differenzierter dargestellt als in den sonst für ten« sichtbar zu machen und »zum Nachdenken über den heutigen schr iftlichen Zeugnisse von drei Überlebenden deren individuelle einfachen Erklärungen. ein jugendliches Publikum verfassten Darstellungen. Die Genese Umgang mit diesen Orten« anzuregen (S. 23). Dabei gehen sie von Wahrnehmungen und Sinnstiftungen rekonstruiert. Gerade für Bildungskontexte ist es von Vorteil, dass das Buch der »Endlösung der Judenfrage« wird vor dem Hintergrund des der Grundüberzeugung aus, dass es sich um »Lernorte für ein selbst- Zwei weitere Beiträge des Bandes befassen sich mit der Perspek- auch als ausführliches Nachschlagewerk genutzt werden kann. ideologischen Weltanschauungs- und rassistischen Vernichtungs- refl exives Geschichtsbewusstsein und eben keine Erlebnisräume für tive bzw. der sozialen Praxis der Besucher der Gedenkstätten: Sven Aufgeteilt in sieben Kapitel, enthält es jeweils ein- bis achtseitige krieges entfaltet. Dabei richtet Sandkühler das Augenmerk auch auratische Identitätserfahrungen« (S. 22) handelt. Der Band beinhaltet Urban untersucht auf der Grundlage der Auswertung von Fragebögen Unterkapitel mit thematischen Überschriften, wichtige Ereignisse auf sonst weniger beachtete Orte, wie zum Beispiel Chelmno, und neben Beiträgen, die sich mit den Orten selbst auseinandersetzen, einer elfköpfi gen Gruppe jugendlicher Schülerinnen und Schüler die sind mit Jahreszahlen am Seitenrand hervorgehoben. Ein Personen- marginalisierte Opfergruppen wie Sinti und Roma, Zivilisten oder auch solche, die sich dem Themenkomplex systematisch nähern. Wirkung des Ortes Auschwitz auf ihr Wissen und ihre Emotionen; register, ausführliche Quellennachweise und ein Literaturverzeichnis sowjetische Kriegsgefangene. Gelungen sind zudem die sich durch Die Texte zu Chełmno nad Nerem (Christian Jänsch, Alexander Cornelia Bruhn und Samuel Kunze stellen spezifi sch israelische runden den Band ab. Ob die durchgängig kurzen Sätze, die präzise das Buch ziehenden Andeutungen, wie der geschichtliche Verlauf Walther), Bełżec (Jörg Ganzenmüller, Raphael Utz), Treblinka (Julia Gedenkformen an den ehemaligen Tötungsorten vor. und nüchterne Sprache ausreichen, damit auch leseschwächere Ju- auch anders hätte weitergehen können. Etwa heißt es in Bezug auf Matthes, Felix Roth), Sobibór (Klara Muhle), zum KZ Lublin in Abschließend fragen Christian Jänsch und Alexander Walther gendliche Nutzen aus der Lektüre ziehen können, bleibt abzuwarten. den im November 1923 misslungenen Putschversuch Hitlers und Majdanek (Sarah Kunte), zum Lager Płaszów in Krakau (Christina danach, auf welche Weise wir uns heute den Orten der Shoah nähern Die Fotos und Abbildungen, die die Texte illustrieren, bergen einige Ludendorffs: »Hätte die Kugel, die Scheubner-Richter traf, Hitler Heiduck) und zu den Lagern in Auschwitz (Linda Ferchland) skiz- und diese gestalten können, ohne die Würde der Opfer abermals zu unbekannte Überraschungen, so werden die gängigen Bildikonen in getroffen, so wäre die Weltgeschichte anders verlaufen.« zieren jeweils zunächst die Geschichte der Tatorte und der dort be- verletzen und zugleich unsere eigene Würde zu bewahren. Ein wich- Schulbüchern durch bislang unbekannte Einblicke ergänzt. Das siebte und letzte Kapitel »Der Untote« beschäftigt sich mit gangenen Verbrechen. Danach gehen die Autorinnen und Autoren auf tiger Aspekt dieser Problematik ist, dass es sich bei den Orten nati- Das erste Kapitel leistet hinsichtlich der Erzählung über Hitlers der Rezeption Hitlers nach 1945 bis heute und greift dabei dezidiert die unmittelbare Nachgeschichte ein und befassen sich schließlich onalsozialistischer Massenverbrechen auch um Friedhöfe handelt. familiären Hintergrund und seine frühen Jahre bis zu seinem Ein- »Hitler als Medienstar« auf. Dabei fordert Sandkühler einen »kriti- mit den heutigen Formen des Trauerns und Erinnerns am jeweiligen Dennoch wird an diesen Orten die Würde der Ermordeten mitunter tritt in die Deutsche Arbeiterpartei 1919 dreierlei: Der Leser erhält schen Blick« auf die Vermittlung von Wissen über die NS-Zeit und Ort. Deutlich wird dabei, dass die Geschichten dieser Orte nicht nur auch heute noch verletzt – zum Beispiel durch die Präsentation von Informationen aus Hitlers frühem Privatleben. Zudem arbeitet Sand- Adolf Hitler nach dem »Ende der Zeitzeugenschaft«. Die Frage, die Gemeinsamkeiten, sondern auch große Unterschiede aufweisen. menschlichen Überresten wie Asche, Knochensplittern oder Haaren. kühler Diskrepanzen zwischen Erlebnissen Adolf Hitlers und seinen er am Ende mit Saul Friedländer jedem selbst überlässt – »wie dieses Raphael Utz plädiert für eine kritische Refl ektion darüber, wie Insgesamt birgt der wichtige Band vielfältige und anregende späteren Schilderungen in Mein Kampf heraus. »In Mein Kampf Starren auf die deutsche Vergangenheit zu bewerten ist: als nostalgi- wir heute über die Shoah sprechen. Er schlägt vor, Begriffe der Beiträge zur Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, Konfl ikten deutete er an, er habe sich in der Zeit nach seinem Schulabgang sche Träumerei, als Gier nach Spektakulärem und/oder anhaltendes Täter zu ersetzen, um nicht unfreiwillig deren Perspektiven und und Grenzen des Umgangs mit den Orten nationalsozialistischer ernsthaft auf die Aufnahmeprüfung an der Wiener Akademie der Bemühen um Verständnis« –, beantwortet er mit seinem Buch für Exkulpationsstrategien zu übernehmen. Konkret problematisiert er Massenverbrechen. Künste vorbereitet. In Wirklichkeit wurde er bodenlos faul.« (S 18) sich eindeutig, ihm geht es um die Analyse und das Verstehen. die Begriffe »Juden« und »Vernichtungslager«. Da es sich im ersten Schließlich wird die gesellschaftliche Modernisierung um 1900 auf Fall um eine Zuschreibung durch die Nationalsozialisten handelte, Babette Quinkert technischer, wirtschaftlicher, ideengeschichtlicher und politischer Sophie Schmidt die nicht zwangsläufi g mit dem Selbstverständnis der verfolgten Berlin Ebene auf sieben Seiten umrissen, um so den Umzug des 17-jährigen Pädagogisches Zentrum Frankfurt

78 Rezensionen Einsicht 17 Frühjahr 2017 79 Pädagogisches Zentrum Frankfurt am Main

Film verstehen Antisemitismus Geschichte: HOLOCAUST Alte Stereotype in neuen Schulbüchern Allzu oft werden Spielfi lme in den Unterricht eingeführt In einem Schulbuch eines als mehr oder minder genaue visuell-auditive renommierten Verlages Umsetzung bestimmter Wirklichkeitsmo- soll Schülern der Klassen 7 bis 9 die Eu- mente historischer Ereignisse wie zum Bei- ropäische Union erklärt werden. Über dem spiel des Holocaust. Die Darstellungs- und Text ist eine Illustration zu sehen, sie zeigt Produktionslogiken des narrativen Films mit eine Figur, die dem Videospiel Pac-Man ihrem nachhaltigen Einfl uss auf das jeweilige nachempfunden ist und die die EU-Staaten Sujet bleiben dabei ebenso unbedacht wie der aufessen will. Neben dieses Monster hat spezifi sche emotionale und affektive Einbe- jemand zur Illustration »Rothschildbank« zug der Zuschauer. Beiden Aspekten jedoch geschrieben. Pädagogisches Zentrum Das Pädagogische Zentrum bietet Fort- gilt es Aufmerksamkeit zu schenken, um der Als dieser offensichtliche Fall von An- Angebote und Kontakt bildungen und Workshops zu folgenden Wirkungsweise der Filme gewahr zu wer- tisemitismus entdeckt wurde, handelten die Themen und Arbeitsbereichen: den. Damit die fi lmische Form (ihre Gren- zuständigen Stellen schnell: Der Stuttgarter › Deutsch-jüdische Geschichte im europä- zen und Möglichkeiten) selbst Gegenstand Ernst Klett Verlag zog das Buch zurück und Das Pädagogische Zentrum ischen Kontext der Auseinandersetzung und somit Lernin- entschuldigte sich. Ein Fall von bewusstem, Frankfurt am Main ist eine › Jüdische Gegenwart und Religion im Ver- halt werden kann, werden in der DVD »Film politisch motiviertem und auf Provokation Antisemitische Schulbuchillustration gemeinsame Einrichtung des Fritz Bauer gleich verstehen | Geschichte: HOLOCAUST« zielendem Antisemitismus liegt hier mit Instituts und des Jüdischen Museums Frank- › Holocaust und Nachgeschichte des Nati- Fragen des fi lmischen Erzählens nah an den ziemlicher Sicherheit nicht vor. Aber gerade furt. onalsozialismus historischen Sachgehalten einerseits und mit deshalb müssen wir fragen, wie es dazu kom- Raffgierige jüdische Banken – am liebsten Neue Bildungspartnerschaft Das Pädagogische Zentrum verbindet › Antisemitismus und andere Formen des Blick auf konkrete Darstellungsformen aus- men konnte. Denn Schulbücher sind keine bekanntlich die Rothschilds – haben ganze zwei Themenfelder: jüdische Geschichte Rassismus gewählter Filme andererseits erschlossen. schnell und nebenbei produzierten Werke. Länder im Griff. Kooperationsvertrag mit und Gegenwart sowie Geschichte und Nach- Weitere Angaben zu den Workshops fi nden Die von Christoph Schneider konzi- Wer schon einmal mit der Herstellung von Dass das Schulbuch vor ein paar Jahren dem Abendgymnasium geschichte des Holocaust. Juden und jüdi- Sie hier: www.pz-ffm.de/191.html pierte DVD enthält Arbeitsmaterialien und Lehrmaterialien beschäftigt war, weiß: Da von Verlag und Ministerien durchgewunken Frankfurt sches Leben werden als Teil der deutschen Filmsequenzen, die in inhaltliche Modu- wird jede Seite, jede Grafi k, jedes Foto, jeder wurde, ist ja nur ein Teil des Skandals. Ein Geschichte und Gegenwart thematisiert. Der Kontakt le gegliedert sind. Die behandelten Filme Textkasten diskutiert und in langwierigen anderer Teil ist, dass es so lange niemand Das Pädagogische Zentrum Nationalsozialismus wird vor allem unter Pädagogisches Zentrum Frankfurt werden zusätzlich über die Medienzentren Verfahren von verantwortlichen Redakteu- bemerkt hat. Dies zeigt, dass wir schlicht hat zum 27. Januar 2017 ei- der Fragestellung der Beteiligung der Mehr- Seckbächer Gasse 14 bereitgestellt. Das Pädagogische Zentrum ren und kontrollierenden Kultusministerien nicht vorwärtsgekommen sind mit unse- ne Bildungspartnerschaft mit dem Abend- 60311 Frankfurt am Main heitsbevölkerung an den Massenverbrechen Tel.: 069.212 742 37 war an der Entwicklung gemeinsam mit abgenommen. Gerade für die Bebilderungen ren Bemühungen um bessere Schulbücher. gymnasium Frankfurt abgeschlossen. thematisiert. [email protected] Prof. Dr. Ulrike Weckel von der Universi- werden stets mehrere Vorschläge eingereicht Wenn die entscheidenden Stellen für so et- Die Schule liegt mitten im Frankfurter Das Pädagogische Zentrum unterstützt www.pz-ffm.de tät Gießen durch Gottfried Kößler in einem und geprüft. Unbesehen rutscht nichts in ein was nicht sensibilisiert sind, haben wir in Ostend, einem ehemals jüdischen Viertel, Schulen bei der Beschäftigung mit jüdischer Beirat beteiligt. Schulbuch. unserer Arbeit in den vergangenen Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft zur Erinne- Geschichte und Gegenwart sowie bei der Wenn aber sowohl bewusster Judenhass nichts bewirkt. Dieser Befund ist traurig und rungsstätte an der Großmarkthalle – deren Annäherung an die Geschichte und Nach- Didaktische DVD: als auch Unachtsamkeit als Erklärung weg- ernüchternd. Keller von 1941 bis 1945 als Sammelstelle geschichte des Holocaust. Hierzu bietet es Film verstehen | Geschichte: HOLOCAUST fallen, dann bleibt nur dies: Es gibt anschei- für die Deportation der Frankfurter Juden 8 Unterrichtsmodule zum Thema Holocaust für die Lehrerfortbildungen und Lehrveranstaltun- Sekudarstufen I und II mit 29 Ausschnitten aus nend eine innere Akzeptanz. Menschen, die Manfred Levy diente, heute Sitz der Europäischen Zent- gen an der Goethe-Universität Frankfurt, 8 Spielfi men. Autor: Christoph Schneider; hrsg. von aufrichtig gegen Antisemitismus eintreten, Pädagogisches Zentrum Frankfurt ralbank – und nicht weit vom Museum Ju- Workshops und Studientage an Schulen VISION KINO – Netzwerk für Film- und Medienkom- schauen auf eine solche Grafi k und – ihnen dengasse entfernt. petenz in Kooperation mit dem Fritz Bauer Institut, und für Institutionen der Jugend- und Er- fällt nichts Besonderes auf. Es sind nämlich Der Beitrag ist zuerst in der Jüdische Allgemeine vom Mit der Kooperation wird die Schule dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Techni- 2. Februar 2017 erschienen. wachsenenbildung sowie themenbezogene schen Universität Berlin und der Justus-Liebig-Univer- die Bilder, die von vielen Menschen bei ei- nun darin unterstützt, die Geschichte ihrer Führungen, Vorträge, Unterrichtsmaterialien sität Gießen; gefördert durch die Beauftragte der Bun- nem Thema wie Finanzmärkte abgerufen nahen Umgebung stärker zum Lerngegen- und Beratung an. Begleitend zu den aktuel- desregierung für Kultur und Medien und die Stiftung werden. Ein verinnerlichter Antisemitis- stand zu machen. Im Gegenzug wird die len Ausstellungen des Jüdischen Museums »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« e.V. mus. Tradierte Vorstellungen, die immer da Schule Unterrichtsmaterial, das vom Pä- Info und kostenfreie Bestellung: Frankfurt gibt es Fortbildungen mit Pers- https://www.visionkino.de/publikationen/didaktische- sind, egal wie alt sie sind, wie oft sie schon dagogischen Zentrum entwickelt wurde, pektiven für den Unterricht. dvds/dvd-fi lm-verstehen-geschichte-holocaust widerlegt und kritisch behandelt wurden: erproben.

80 Pädagogisches Zentrum Einsicht 17 Frühjahr 2017 81 Nachrichten und Berichte Information und Kommunikation

»Dritten Reichs« bis Kriegsbeginn aus dem Blickwinkel der öffentlichen Fürsorge. Ge- Die tragische Geschichte meinsamkeiten zur später durchgeführten vom Leben und Sterben Aktion T4 seien im Zusammenspiel ver- schiedener Instanzen der öffentlichen Ver- des „ersten Märtyrers der waltung zu fi nden, ein Unterschied bestand Bekennenden Kirche“ darin, dass es keine zentrale koordinierende Instanz gab. Dies änderte sich erst ab 1941, als der Patientenmord dezentralisiert und der Judenmord zentralisiert wurde. Uwe Kaminski (Bochum) betonte, dass die »Eu- thanasie« zu lange als Programmgeschich- te geschrieben und die Dynamik sowie die Marginalisierung der Opfer bisher zu wenig beachtet wurden. Es habe eine Selbststeu- Leseproben Aus dem Institut In der von Ulrike Weckel (Gießen) erung des Mordes an Patienten zugunsten unter moderierten ersten Sektion »Gesellschaft- von als höherwertig eingeschätzten Insassen www.v-r.de Von der »Euthanasie« liche und ideelle Grundlagen« stellte zuerst von Heil- und Pfl egeanstalten stattgefunden. zum Holocaust Michael Schwartz (Berlin) die lange, über Den öffentlichen Abendvortrag über die Parallelität oder Kausalität den Nationalsozialismus sowohl geogra- Reaktionen der Bevölkerung auf Euthanasie phisch wie chronologisch hinausweisende und Holocaust hielt Frank Bajohr (München). Vortrag von Frank Bajohr, München: Reaktionen der Bevölkerung auf »Euthanasie« und Holocaust, Foto: Werner Lott Geschichte der Eugenik als einer pluralis- Er zeigte, dass es sowohl einen antijüdischen Ein Tagungsbericht tischen Idee vor. Er verwies insbesondere Konsens wie eine Hinnahme des Patienten- Manfred Gailus auf die facettenreiche Debatte unter sozial- mordes gab. Die Zustimmung zur »Eutha- Patienten 1940 und deren Konzentration in Hagen Markwardt (Pirna) führte in der Friedrich Weißler Vom 24. bis 26. November demokratischen Anhängern einer Geburten- nasie« war unter Ärzten und Pfl egern weiter einigen wenigen Anstalten, von wo aus De- anschließenden, von Wolf Gruner moderier- Ein Jurist und bekennender Christ 2016 fand die vom Fritz verhinderungspolitik in der Weimarer Repu- verbreitet als im Rest der Gesellschaft, und portationen erfolgten. Über jüdische Patien- ten vierten Sektion »Transfer und Personal im Widerstand gegen Hitler Bauer Institut und der Gedenkstätte Ha- blik und die vielfältige Anschlussfähigkeit Bajohr betonte, dass im Gegensatz zu älterer ten als erste Opfer der Mordaktionen in der von Technologie?« die Überlegungen zur 2017. 320 Seiten mit 31 Abb., gebunden damar organisierte Tagung »Von der ›Eu- der Eugenik als Ausdruck einer autoritären Forschung die widerständigen Reaktionen Heil- und Pfl egeanstalt Tiegenhof im Warthe- Aktion 14f13 anhand des Beispiels des € 30,– D thanasie‹ zum Holocaust. Parallelität oder Moderne. Thomas Etzemüller (Oldenburg) gegenüber dem Patientenmord nicht als eine gau sprach anschließend Enno Schwanke Transports von KZ-Häftlingen aus Ausch- ISBN 978-3-525-30109-8 Kausalität« auf dem Campus Westend der präsentierte sein Verständnis der Gewaltge- Erfolgsgeschichte gelesen werden sollten. (Köln), der für die dem Reich inkorporier- witz nach Pirna am 28. Juli 1941 fort. Er Der Jurist Friedrich Weißler, Sohn jü- Goethe-Universität Frankfurt am Main und schichte des 20. Jahrhunderts auch als eine Der zweite Konferenztag fand in der ten besetzten polnischen Gebiete feststellte, stellte klar, dass sich dieser Transport nicht discher Eltern, schloss sich nach seiner an der Gedenkstätte Hadamar statt. Folge des social engineering. Kombiniert mit Gedenkstätte Hadamar statt. Dort konnten dass dort in Bezug auf die Patientenmorde die als Chiffre für den Übergang von »Euthana- Entlassung als Landgerichtsdirektor 1933 In der Einführung zur Tagung beton- der Konzeption von Gesellschaft als organi- sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Germanisierungspolitik wichtiger war als die sie« zum Holocaust eigne, er sei viel eher der Bekennenden Kirche an. 1936 war er an einer nichtöffentlichen Denkschrift ten Jörg Osterloh (Fritz Bauer Institut) und scher Gemeinschaft, die vor allem von Inge- jeweils an einer von drei thematischen Füh- sozialbiologische Fragestellung. Tiegenhof aus der Binnenstruktur der Lager zu verste- der Kirchenopposition an Hitler betei- Jan Erik Schulte (Hadamar) die hohe wis- nieuren so verstanden wurde, seien Prozesse rungen über das Gelände der ehemaligen Tö- steht exemplarisch für das Ausblenden von hen. Sara Berger (Rom) hob hervor, dass ligt und geriet in Verdacht, diese an die senschaftliche wie gesellschaftliche Rele- von social engineering parallel zu Diskur- tungsanstalt beteiligen. Danach beleuchtete Euthanasieverbrechen im besetzten Osten bei aller Betonung der strukturellen Ähn- Auslandspresse weitergereicht zu haben. vanz des Tagungsthemas. Osterloh wies sen der Biologisierung verlaufen. Da Volker in der von Jörg Osterloh moderierten dritten und damit für die Perspektivverengung der lichkeiten der Mordaktionen der Aktion T4 Nach Gestapohaft wurde Weißler in das auf zahlreiche themenbezogene Beiträge Roelcke (Gießen) kurzfristig absagen muss- Sektion »Übergänge zwischen ›Euthanasie‹ deutschen Geschichtswissenschaft auf die und im Holocaust der fehlende bürokrati- Lager Sachsenhausen eingeliefert, wo in der wissenschaftlichen Arbeit des Fritz te, war breiter Raum für die Diskussion der und Holocaust« Monica Kingreen (Pädago- großen Mordzentren und nationalsozialisti- sche Überbau in den Vernichtungslagern ein er »als Jude« zu Tode geprügelt wurde. Bauer Instituts hin, während Schulte be- Vorträge, in der vor allem die Fragen nach gisches Zentrum des Fritz Bauer Instituts) die schen Taktgeber im sogenannten Altreich. wichtiges Unterscheidungskriterium ist. In Manfred Gailus erzählt die Familien- geschichte der Weißlers seit 1900 und richtete, dass im Zuge der Erinnerung an der Bedeutung des Zweiten Weltkriegs für im Jahr 1940 durchgeführte Sonderaktion ge- Astrid Ley (Oranienburg) diskutierte im Erweiterung hierzu verwies Jan Erik Schulte bettet sie in umfassender Weise in die die »Euthanasie«-Opfer die Gedenkstätte die Radikalisierung eugenischen Denkens gen jüdische Patienten am Beispiel Hessens. Anschluss verschiedene Thesen zur Aktion (Hadamar) in seinem Vortrag auf parallele politik- und kulturgeschichtlichen Kon- Hadamar im Jahr 2015 von fast 20.000 Be- und der (unterbliebenen) Stellungnahmen Wesentliche Wendepunkte in der Behandlung 14f13. Im Fokus der Mordaktion standen Entwicklungen von Krankenmord und Ho- texte des 20. Jahrhunderts ein. suchern aufgesucht wurde, von denen zwei der Religionsgemeinschaften zu Eugenik jüdischer Patienten gab es schon vor dem Be- kranke Häftlinge, wobei es erhebliche lokale locaust. Hinsichtlich der Kontinuitätslinien Drittel Schüler waren. Die Tagung solle, so und Patientenmorden aufgeworfen wurden. ginn der Morde, wie Kingreen anhand der Abweichungen der Selektionspraxis gab. Für hin zur Aktion T4 seien die funktionalen Schulte, die Beziehung zwischen Holocaust Im ersten Vortrag der von Jan Erik 1937 erfolgten Satzungsänderungen in christ- Himmler bot die Aktion die Gelegenheit, sich Ähnlichkeiten wichtiger als die personalen. und »Euthanasie« hinterfragen. Es gehe da- Schulte moderierten zweiten Sektion »Nati- lich-konfessionellen Anstalten darstellte, die Zugriff auf Personal und Einrichtungen der Am dritten und letzten Tag der Tagung rum, einen Raum für den Austausch und das onalsozialistische Politik« betrachtete Wolf oft den »Arierparagraphen« enthielten. Dies Aktion T4 zu verschaffen, wobei auch diese eröffnete Paul Weindling (Oxford) die von www.v-r.de Gespräch zu schaffen. Gruner () die Judenpolitik des kumulierte in der Erfassung aller jüdischer ihren Radius erweitern wollte. Jörg Osterloh moderierte abschließende

82 Nachrichten und Berichte Einsicht 17 Frühjahr 2017 83 Sektion »Justizielle Ahndung und gesell- Aus dem Institut Ein von Werner Renz verfasster Nachruf ist am Geschichte gilt es, demokratische Struktu- schaftliche Reaktionen« mit einem Vortrag 16. Februar 2017 in der Jüdischen Allgemeinen ren zu verteidigen, Gefahren frühzeitig zu erschienen: »Recht im Namen der Opfer. Zum Tod zum Nürnberger Ärzteprozess, wobei er Dr. Heinz Düx des Juristen Heinz Düx, Untersuchungsrichter im erkennen und dem Antisemitismus und der akzentuierte, dass auch in anderen Nürn- In ehrender Erinnerung Frankfurter Auschwitz-Prozess« Ausgrenzung eine Absage zu erteilen. berger Prozessen medizinische Kriegsver- www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/27794 Mit der Einrichtung der Holocaust- brechen verhandelt wurden. Insgesamt ist 24. April 1924 – 3. Februar 2017 Professur knüpft die Goethe-Universität an das von den Prozessbeteiligten angelegte die Tradition der Frankfurter Schule an und Dokumentenmaterial bisher noch nicht ge- Mit Heinz Düx verliert die entwickelt diese weiter. Der Universitäts- nügend erforscht worden. Auch EdithRaim Frankfurter Justiz einen präsidentin Prof. Dr. Brigitta Wolff sei dafür (Wien) betonte das Quellenpotenzial, das Streiter für Recht und Gerechtigkeit. Als Aus dem Förderverein herzlich gedankt, wie auch dem hessischem in den Verfahrensunterlagen der Gerichte Untersuchungsrichter in den Auschwitz- Minister für Wissenschaft und Kunst Boris und Staatsanwaltschaften liegt. Bereits in Verfahren und als Vorsitzender Richter bei Holocaust-Professur Rhein, der die dauerhafte großzügige Finan- einem frühen Verfahren waren im Jahr 1948 dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main und Institutsleitung zierung sichergestellt hat. Für das Fritz Bau- 24 Personen wegen Verbrechen in Zusam- setzte er sich gegen alle Widerstände für die Sybille Steinbacher er Institut ergeben sich durch die Verknüp- menhang mit der Tötungsanstalt Grafeneck Belange der Opfer des Nationalsozialismus fung von Professur und Leitungsfunktion angeklagt worden. Diese Unterlagen wurden ein. Als engagierter Publizist wies er auf das kommt nach Frankfurt neue Kooperationsmöglichkeiten, und seine erst unlängst vom Staatsarchiv Sigmaringen Versagen der Justiz bei der Aufarbeitung der wichtige, auch bisher schon viel beachtete digitalisiert und online zur Verfügung ge- NS-Verbrechen hin. Als Mitglied des Vor- Ein langer Weg seit dem Arbeit wird weiter aufgewertet. stellt.1 Hagen Markwardt (Pirna) stellte in stands des Fördervereins Fritz Bauer Institut Weggang von Prof. Dr. Ra- Der Förderverein des Fritz Bauer In- seinem Vortrag den Dresdner Prozess gegen e.V. stritt er für die Wahrung des Vermächt- phael Gross ist dank engagierter Unterstüt- stitut will auch zukünftig dafür sorgen, Paul Nitsche und andere Verantwortliche Führung für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung durch die Gedenkstätte Hadamar, Foto: Werner Lott nisses Fritz Bauers. zung der Goethe-Universität Frankfurt und dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein als Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Hessischen Ministerium für Wissen- des Instituts einer breiten Öffentlichkeit ein komplexes Zusammenspiel aus Justiz, des Fritz Bauer Instituts und der Vorstand schaft und Kunst erfolgreich abgeschlossen. zugänglich gemacht und sowohl in uni- Medien und sowjetischen Besatzungsbehör- sein könne. Zuletzt wurde über vergleichba- die nach Jahren des Hyperempirismus und des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. Am 1. Mai 2017 wird die Zeithistori- versitäre wie in gesellschaftliche Diskurse den dar. Überhaupt sei ein sehr selektiver re Verbrechenskategorien debattiert, wobei der Betrachtung immer kleinerer Einheiten werden Heinz Düx in ehrender Erinnerung kerin Prof. Dr. Sybille Steinbacher die Lei- eingebracht werden. Wir freuen uns, Sie Umgang mit den Euthanasieverbrechen in insbesondere die Ermordung der sowjeti- nun verstärkt wieder die »großen Fragen« in behalten. tung des Fritz Bauer Instituts übernehmen auch zukünftig zu den Veranstaltungen des der DDR festzustellen. Katharina Rauschen- schen Kriegsgefangenen und die Bedeutung den Blick nehmen. Die Tagung in Frankfurt und im Fachbereich Philosophie und Ge- Instituts und des Fördervereins begrüßen zu berger (Fritz Bauer Institut) stellte Fried- der Arbeitsfähigkeit für die Einbeziehung in und Hadamar vermochte es, sowohl einen schichtswissenschaften die neu eingerichtete dürfen. Dabei werden neben der Aufarbei- rich Karl Kauls Rolle in den westdeutschen die Mordpläne angeführt wurden, während Überblick über die Forschungslage zu geben Heinz Düx, Justiz Holocaust-Professur antreten. Über 70 Jahre tung der NS-Geschichte, bei der noch im- »Euthanasie«-Prozessen vor. Selbst NS-Ver- technische Details und das Verständnis von als auch den Raum für einen höchst pro- und Demokratie. nach dem Menschheitsverbrechen der Shoah mer vieles unerforscht ist, auch weiterhin Anspruch und folgter, konnte der DDR-Anwalt durch seine Einsatzgruppenaktionen keine brauchbaren duktiven Austausch zu schaffen, der in den Realität in West- wird damit die erste (!) Holocaust-Profes- die Themen Antisemitismus, Rechtsradika- Mitgliedschaft in der Westberliner Rechts- Vergleichskategorien für die Forschungen nächsten Jahren sicher noch an Bedeutung deutschland nach sur in Deutschland die Arbeit aufnehmen. lismus, Populismus, Menschenrechte und anwaltskammer als Nebenklagevertreter in zur NS-»Euthanasie« seien. gewinnen wird. Insbesondere die aufgrund 1945. Gesammelte Natürlich sind profunde Forschungen zur die Flüchtlingsfrage im Fokus des Interesses Prozessen gegen Täter der NS-»Euthanasie« Die Tagung war bereits die zweite im neuer Einschätzungen des postmortalen Per- Schriften 1948– NS-Zeit in den letzten Jahrzehnten national stehen. Das aktuelle Veranstaltungsangebot 2013, hrsg. von auftreten, wobei er häufi g für Verurteilungen Jahr 2016, die sich mit den Kontinuitäten sönlichkeitsrechtes und der schützenswerten Friedrich-Martin und international erarbeitet worden. Anders entnehmen sie bitte den Ankündigungen des nach den Standards des Nürnberger Haupt- und der Vergleichbarkeit zwischen NS- Belange von Angehörigen möglichen Pub- Balzer, Bonn: als in angelsächsischen Ländern gab es je- Instituts. kriegsverbrecherprozesses plädierte. »Euthanasie« und Holocaust befasste.2 Dies likation von Namen der Opfer der Patien- Pahl-Rugenstein, doch bisher keinen ausgewiesenen Lehr- Zum Schluss wie immer und dringlicher Die Tagung endete mit einer Abschluss- mag als ein zufälliges Zusammentreffen tenmorde3 werden noch vielfältige Chancen 2013, 982 S. stuhl für Holocaustforschung, der sich mit denn je die Bitte an Sie, neue Mitglieder für Inhaltsverzeichnis: diskussion, die vor allem um den Mentali- erscheinen, ist aber dennoch bezeichnend und Herausforderungen für Forschung und http://d-nb.info/ der Entstehung der NS-Barbarei und deren den Förderverein zu werben. Angesichts von tätsbegriff der Täter kreiste. Der Topos des für eine Neuausrichtung der Forschungen Gedenken hervorbringen. 1042841349/04 Wirkungsgeschichte bis heute befasst. Mit nationalistischen und antidemokratischen »Reinschlitterns« wurde demnach sowohl zu NS-»Euthanasie« und zum Holocaust, Sybille Steinbacher ist es gelungen, eine Tendenzen ist zivilgesellschaftliches En- von Holocaust- wie von T4-Tätern bemüht. Robert Parzer Dr. Heinz Düx: Auschwitz im Gerichtssaal: ausgewiesene Expertin zu berufen, die bis- gagement gefragt, ganz im Sinne von Fritz der sog. Auschwitzprozess in Frankfurt Die Diskutanten betonten auch, dass das Berlin Der Video-Mitschnitt eines Vortrags beim 2. Rosen- her das Institut für Zeitgeschichte in Wien Bauer, dessen Name für uns Programm ist. Konzept der Nahtäterschaft für beide Grup- 2 Verbindungslinien zwischen den Euthanasie-Mor- burg-Symposium der Unabhängigen Wissenschaftli- leitete. pen ein tragfähiges Beschreibungsmodell den und den Holocaustverbrechen. Internationale chen Kommission beim Bundesministerium der Justiz Die politische Entwicklung in Europa Jutta Ebeling Tagung zu Ehren Henry Friedlanders (1930–2012) zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, »Verantwor- und Amerika – im praktischen Diskurs oft Vorsitzende des Fördervereins tung der Juristen im Aufarbeitungsprozess«, gehalten und Ernst Klees (1942–2013), 10.6.–12.6.2016, 3 Andreas Nachama, Uwe Neumärker (Hrsg.), Geden- von einer beängstigenden Geschichtsverges- Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Ge- ken und Datenschutz. Die öffentliche Nennung der am 5. Februar 2013 im Schwurgerichtssaal des Land- 1 https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/bild_ex- denkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde Namen von »Euthanasie«-Opfern in Ausstellungen, gerichts Nürnberg-Fürth, ist online verfügbar: senheit – verleiht diesem Vorhaben hohe Ak- plorer/index.php?bestand=657. Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Gedenkbüchern und Datenbanken, Berlin 2017. https://youtu.be/qcYBmZrct-w tualität. Gerade mit Blick auf die deutsche

84 Nachrichten und Berichte Einsicht 17 Frühjahr 2017 85 Aus Kultur und Wissenschaft die Lebensläufe von mehr als 500 Kollabo- und zumeist für Zwangsarbeiter ausgestellt rateuren, darunter niederländische SS-Offi - wurde. Als Eigentümer dieses Passes war ziere, KZ-Wachmänner und Frontsoldaten, ein gewisser Paul George De Bruyn Oubo- links: Erkennungsbilder von Paul Hilfe bei der Spurensuche George De Bruyn Ouboter, Der lebenslange Identitäts- rekonstruieren. Diesbezüglich besitze ich ter, geboren am 6. Mai 1917 in Amsterdam aufgenommen 1950 in wechsel von Paul George das größte Archiv in den Niederlanden, be- in den Niederlanden, eingetragen. Untersuchungshaft stehend aus einigen tausend Privatfotos und De Bruyn Ouboter Dokumenten sowie vielen Interviews. Verhaftung an der Grenze unten: Gefälschtes Dokument? Vorläufi ger Fremdenpass auf den Aufgrund meiner Forschungen bat mich De Bruyn Ouboter beantwortete die Fra- Namen Paul George De Bruyn Im August 1945 versuchte ein Zivilist die im Jahr 2012 das Stadsarchief Amsterdam, gen der niederländischen Polizei in einem Ouboter, ausgestellt am 1. August deutsch-niederländische Grenze zu über- eine seiner sonderbarsten Polizeiakten zu Mischmasch aus Deutsch und Niederlän- 1945 von einer Verwaltungsan- queren. Er wurde jedoch als SS-Angehö- untersuchen. Der gesamte Vorgang umfasst disch, wobei nicht deutlich wurde, welches gestellten der Ortspolizeibehörde Schwerin/Mecklenburg für die riger enttarnt und für fünf Jahre in den insgesamt etwa 1.500 Seiten und ist verteilt von beidem seine Muttersprache war. Des- Gültigkeitsdauer von einem Jahr. Niederlanden in Untersuchungshaft ge- über verschiedene Archive in den Niederlan- halb zweifelten die Grenzpolizisten sofort nommen. Vieles fand man über den Mann den. Seitdem beschäftigt mich die Aufklä- an seiner angeblich niederländischen Staats- Quelle: Stadsarchief Amsterdam heraus, nur nicht seine wahre Identität. rung dieser rätselhaften Geschichte. Zwar angehörigkeit. Trotz dutzender Verhöre, polizeilicher Er- ist es mir in den vergangenen Jahren gelun- Laut eigener Angabe geriet De Bruyn mittlungen und internationaler Recher- gen, an einigen Punkten Licht ins Dunkel zu Ouboter im Mai 1945 in der Nähe von Svita- chen der niederländischen Polizei muss- bringen, vieles jedoch liegt nach wie vor im vy (dt.: Zwittau) in der Tschechoslowakei in ten die Untersuchungen 1950 aufgrund Schatten. Ich hoffe nun, durch diesen Artikel die Gefangenschaft der Roten Armee. Wenn mangelnder Hinweise eingestellt und der an weitere Informationen zu gelangen und dies der Wahrheit entspricht, so muss es ihm Mann, der sich Paul George De Bruyn Kontakt zu Zeitzeugen zu bekommen. anschließend gelungen sein, zu entkommen Ouboter nannte, freigelassen werden. Bis und von dort nach Schwerin in Deutschland zum heutigen Tag ist unbekannt, wer diese Nachkriegschaos zu gelangen, wo er seinen »Vorläufigen Person war, die offensichtlich schon vor Am 27. August 1945 traf ein eher unauffäl- Fremdenpass« erhielt. Wenn man seinen Kriegsende damit begonnen hatte, sich liger, wie ein Zivilist gekleideter Mann mit Aussagen weiter Glauben schenkt, über- eine neue Identität aufzubauen. dem Zug aus Richtung Gronau kommend querte De Bruyn Ouboter bei Schwerin an der holländischen Grenze bei Glanerbrug die sowjetisch-britische Zonengrenze und Die Vorgeschichte ein. Inmitten einer Gruppe von zumeist nie- gelangte über Lüneburg und Gronau in die Als Journalist beschäftige ich mich seit derländischen Zwangsarbeitern versuchte er Niederlande. einigen Jahren mit der Geschichte von die Grenze zu passieren. Doch er wurde von Da De Bruyn Ouboter eine SS-Blut- Niederländern, die während des Zweiten der niederländischen Polizei aufgehalten, gruppentätowierung trug, seine Mutterspra- Weltkrieges freiwillig der Waffen-SS bei- die ihn routinemäßig kontrollierte. che nicht eindeutig zuzuordnen war und sei- traten. Im europäischen Vergleich waren Dem Mann fehlten außer seinem Dau- ne Angaben in Glanerbrug nicht kontrolliert die Niederlande das Land, aus dem sich die men an der linken Hand alle Finger. Da werden konnten – zumal sie den Polizisten meisten SS-Freiwilligen meldeten. Dieser erfahrungsgemäß viele der ehemaligen einigermaßen unzuverlässig erschienen Teil der Geschichte des Zweiten Weltkriegs Waffen-SS-Angehörigen versuchten, sich –, entschied man sich, ihn zu inhaftieren. stellt in den Niederlanden bis heute ein un- nach Kriegsende unter den ehemaligen Er wurde in das nächstgelegene Internie- viele Male von der Polizei verhört. Er gab De Bruyn Ouboter behauptete, in den Sohn kümmern können und habe ihn im verarbeitetes Tabuthema dar. Während über Zwangsarbeitern zu verstecken, hatte seine rungslager für niederländische Kollabora- dabei Details über sein Leben preis, die Niederlanden geboren zu sein. Er sei der Landeserziehungsheim St. Josef in Landau den niederländischen Widerstand, wie auch Verletzung bei der Grenzpolizei vermutlich teure überstellt, das Sammellager Erica, das sich jedoch im Verlauf der Untersuchun- Sohn von Max Paul De Bruyn Ouboter untergebracht. den Holocaust, bereits viel publiziert wor- Verdacht erregt. Man bat ihn, sich zu ent- sich in der Nähe der Stadt Ommen befand. gen wiederholt als falsch erweisen sollten. und von Johanna Pauline Smit. Von seiner Im Zuge ihrer Untersuchungen wandte den ist, ist über die niederländische Kolla- kleiden, woraufhin man auf der Rückseite Nach vier Wochen wurde De Bruyn Ouboter Je mehr die Polizei Nachforschungen über Mutter behauptete er später, sie hätte pol- sich die niederländische Polizei 1949 an das boration mit den Nationalsozialisten bislang seines linken Oberarmes tatsächlich eine von dort aus nach Amsterdam verlegt, da es ihn anstellte, desto rätselhafter wurde sei- nische Wurzeln. Seinen Aussagen zufolge Erziehungsheim in Landau und bekam von vergleichsweise wenig bekannt. tätowierte 0 fand – die Blutgruppentäto- üblich war, mit der Untersuchung der Ge- ne Vergangenheit. Dennoch lassen sich aus hätten sich seine Eltern bereits kurz nach dort folgende Antwort: »Unter Rückgabe Gemeinsam mit dem Historiker Cees wierung der SS. fangenen an ihrem Geburts- oder Wohnort den widersprüchlichen Angaben zumindest ihrer Hochzeit wieder scheiden lassen. Er sei anliegender Photographie diene zur gelf. Kleijn beschloss ich daher, die Geschich- Als die Polizei seine Sachen durchsuch- fortzufahren. einige wenige Übereinstimmungen heraus- deshalb bei seinem Vater aufgewachsen, der Kenntnis, daß ein Paul George De Bruyn Ou- ten von mehr als 25.000 niederländischen te, fand man zwei Dokumente: ein Rezept fi ltern, mit deren Hilfe es mir möglich war, angeblich als Händler in den Niederlanden, boter sich nie in unserem Heime befand. Das Waffen-SS-Freiwilligen zu recherchieren. für das antibakteriell wirkende Medikament Eine bewegte Jugend einen Teil der Wahrheit zu rekonstruieren Deutschland und Frankreich tätig gewesen Lichtbild kann von dem hiesigen Stamm- In den vergangenen Jahren besuchte ich ver- Prontosil und einen »Vorläufi gen Fremden- Während seiner Gefangenschaft in den und einige interessante Fakten aufzude- sei. Da der Beruf des Vaters viele Reisen personal, das seit Jahrzehnten hier tätig ist, schiedene europäische Archive und konnte pass«. Dies ist ein Pass, der übergangsweise Niederlanden wurde De Bruyn Ouboter cken. voraussetzte, hätte er sich nicht um seinen nicht identifi ziert werden. Möglicherweise

86 Nachrichten und Berichte Einsicht 17 Frühjahr 2017 87 handelt es sich bei De Bruyn Ouboter um Er behauptete weiterhin, für das Reichs- Insassen an: »Die sollten mal wissen, wie dass etwas an De Bruyn Ouboters in Schwe- Reichsminister Bormann gehabt zu haben, Mengele. Außer diesen beiden soll De Bru- eine falsche Namensangabe.« kommissariat Ost tätig gewesen zu sein, wo wir solche während des Krieges behandelt rin ausgegebenem »Vorläufi gen Fremden- was eine auffällige Parallele zu Otto De yn Ouboter in Kontakt mit dem nach Chile Nach eigener Aussage begann De Bruyn er sich mit dem Bau der Verteidigungsanla- haben. Wenn sie nur erahnen würden, was pass« nicht stimmig war, wurde dieser von Bruyn Ouboter darstellt. Es erscheint mir ausgewanderten Wehrmachtssanitäter und Ouboter als junger Mann ein Ingenieursstu- gen in Polen beschäftigt habe. Vermutlich ich getan habe und wer ich bin, wäre mein der niederländischen Polizei nie intensiver schlüssig, anzunehmen, dass der Mann, Gründer der Colonia Dignidad, Paul Schä- dium an der Technischen Hochschule Köln, meinte er damit die Bauinspektion der Waf- Leben keinen Pfennig mehr wert.« geprüft. Ich habe den Ausweis vor kurzem der sich Paul De Bruyn Ouboter nannte, zu fer, gestanden haben. das er allerdings bereits nach kurzer Zeit fen-SS und Polizei Reich Ost/Schlesien, der Dr. Kasten vom Schweriner Stadtarchiv einem bestimmten Zeitpunkt während des In Santiago nahm De Bruyn Ouboter abbrach, um es an der Staatlichen Ingenieur- die Zentralbauleitung der Waffen-SS und In der Not frisst der Teufel Fliegen vorgelegt, der zu folgendem Ergebnis kam: Krieges Otto De Bruyn Ouboter kennenlern- seine Ingenieurslaufbahn wieder auf und Akademie für Bauwesen in Buxtehude in Polizei Auschwitz untergeordnet war. Beide Im Laufe seiner weiteren Gefangenschaft »Das Foto ist nur geklebt und nicht gelocht. te und sich dessen niederländischen Nachna- wurde Vorgesetzter von etwa 7.500 Arbei- der Nähe von Hamburg fortzuführen. Er gab Abteilungen hatten ihren Sitz in Kattowitz schnitt De Bruyn Ouboter sich die Pulsadern Der Stempel ist nicht von der Ortspolizei- men aneignete, um sich ab August 1945 als tern für das Ministerium für Städtebau. Als vor, Wasserbau studiert zu haben, was ihn und Krakau. Dass De Bruyn Ouboter wie- auf und versuchte sein Blut zu vergiften in behörde Schwerin, sondern von der Stadt niederländischer Staatsbürger auszugeben. 1973 General Augusto Pinochet nach dem während seines Studiums für eine Weile in derholt aussagte, dass er in dieser Region der Hoffnung, auf diese Weise fl iehen zu Schwerin. Unterschrieben hat kein städti- Zumal Otto De Bruyn Ouboter nach Putsch gegen den sozialistischen Präsiden- die Niederlande geführt haben könnte, da beschäftigt gewesen sei, erhöht die Wahr- können. Auch bemühte er sich zweimal ver- scher Beamter, sondern eine Verwaltungs- meinen Recherchen die einzige Person ten Salvador Allende an die Macht kam, dieser Studiengang dort, im Gegensatz zu scheinlichkeit, dass er als Ingenieur und geblich zu heiraten, um die niederländische angestellte. Bei der Unterschrift steht der war, die während des Zweiten Weltkrieges wurde De Bruyn Ouboter zur Persona non Deutschland, weit verbreitet war. In den Un- Fachoffi zier an der Planung und Errichtung Staatsangehörigkeit zu erlangen. Außerdem Nachname vor dem Vornamen. Auf der Au- mit diesem ungewöhnlichen Nachnamen grata. Er wurde verhaftet und in ein Kon- terlagen der Hochschule 21, dem Nachfolger des KZ Auschwitz oder einer der Nebenla- konvertierte er zum Islam und hatte Kontakt ßenseite und dem Deckblatt macht der Stem- in der Region von Kattowitz und Krakau zentrationslager in Antofagasta, im Norden der Staatlichen Ingenieur-Akademie in Bux- ger beteiligt war. Der Zeitpunkt seiner Ver- zu einem Imam, der ihn während dieser Zeit pel überhaupt keinen Sinn. Es kann sein, dass tätig war und überdies noch in Kontakt mit Chiles, eingesperrt, wo man ihn schwer tehude, lassen sich jedoch keine Hinweise setzung an die Ostfront, wo er angeblich in regelmäßigen Abständen besuchte. alle diese Abweichungen dem Verwaltungs- Bormann stand. Laut Aussage seiner Fami- misshandelte. auf einen Studenten namens Paul George De durch einen Granatsplitter seine Handver- Eines der größten Rätsel bleibt, wie De chaos nach Kriegsende und der in Schwerin lie geriet Otto De Bruyn Ouboter am Ende Noch im selben Jahr wurde De Bruyn Bruyn Ouboter fi nden. Auch in den im Nie- letzung erhielt, bleibt ebenso unklar wie die Bruyn Ouboter von der Pontifi ca Commis- seit dem 1.7.45 bestehenden sowjetischen des Krieges in sowjetische Gefangenschaft Ouboter vom norwegischen Staat Asyl ge- dersächsischen Landesarchiv Stade verwar- Einheit, der er dort angehörte. sione Auxilium in Genua in Italien erfuhr – Besatzungsherrschaft geschuldet sind. Viel und verblieb bis zu seiner Haftentlassung währt, so dass er dorthin emigrieren konn- ten 53 Jahrbüchern der Ingenieur-Akademie jener Organisation, die mehreren ehemaligen wahrscheinlicher ist jedoch, dass De Bruyn im Jahr 1947 auf der Krim. Dem Sohn Otto te. Er fand eine Stelle als Ingenieur bei der für den Zeitraum zwischen 1934 und 1940 »Kein Pfennig mehr wert« Nazis, unter anderem Adolf Eichmann und oder einer seiner Vorgesetzten im Frühjahr/ De Bruyn Ouboters, dem ich ein Bild seines norwegischen Bahn und arbeitete sogar ist keine Person mit einem ähnlichen Vor- Da die niederländische Polizei De Bruyn Josef Mengele, zur Flucht nach Südamerika Sommer 1945 über einen Blankopass und angeblichen Namensvetters vorlegte, war im Rentenalter noch freiwillig weiter. Die namen, Familiennamen oder Geburtsdatum Ouboter von Anfang an nicht traute und ihn verhalf. In seinen Briefen an die katholische ungefähr dazu passende Stempel verfügten dieser völlig unbekannt. letzten Jahre seines Lebens verbrachte De verzeichnet. stets verdächtigte, ein Kriegsverbrecher zu Organisation bekannte er offen, dass er als und ihn nach Gutdünken ausfüllten.« Bruyn Ouboter an der spanischen Küste in Gegenüber der niederländischen Polizei sein, der seine wahre Identität verheimlicht, SS-Offi zier tätig gewesen war. Er gab vor, ei- Neuanfang in Chile Alicante, wo er 2005 verstarb. Niemals lüf- gab De Bruyn Ouboter an, er habe im Jahr wurden Interpol sowie die deutschen, tsche- ne italienische Frau zu haben und einen Sohn, Kreisleiter Otto De Bruyn Ouboter Paul George De Bruyn Ouboter wurde auf- tete er sein Geheimnis. 1938 das Ingenieurdiplom erhalten und sich choslowakischen, österreichischen, belgi- die seine Unterstützung in Italien benötigten. Die bislang bemerkenswerteste Entdeckung grund mangelnder Hinweise auf seine wahre Eines der wenigen Erkenntnisse bleibt, daraufhin zusammen mit seinem gesamten schen, italienischen und französischen Be- Wenn man zwischen den Zeilen liest, scheint bezüglich De Bruyn Ouboter habe ich jedoch Identität im Jahr 1950 freigelassen. Er setzte dass De Bruyn Ouboter Ingenieur war und Studienjahrgang der SS angeschlossen. Für hörden in den Fall mit einbezogen. Doch die man zu erkennen, dass er als ehemaliges SS- in Zusammenhang mit den Orten Kattowitz sich nach einigen Monaten nach Chile in an etwas beteiligt gewesen ist, das es not- einen kurzen Zeitraum habe er anschließend umfangreichen internationalen Ermittlungen Mitglied vergeblich um einen Ausweg aus und Krakau gemacht. Meine Nachforschun- Südamerika ab – eines der wenigen Län- wendig erscheinen ließ, ab 1945 lebenslang bei der Reichsbahn gearbeitet, sei jedoch brachten keine neuen Erkenntnisse. Auch seiner aussichtslosen Situation bat. gen im Bundesarchiv Berlin ergaben, dass der, die ihm Asyl gewährt hatten –, wo er in seine wahre Identität zu verbergen und als kurz darauf zum Militär einberufen worden. der Versuch, ihm seine wahre Identität zu An den vielen Briefen, die er während ein Otto De Bruyn Ouboter, geboren 1907 Santiago ein neues Leben begann. Doch die Paul George De Bruyn Ouboter weiterzule- entlocken, indem man nacheinander zwei seiner Gefangenschaft schrieb, ist auffällig, in Hamburg, 1931 der NSDAP beitrat und Geschichte De Bruyn Ouboters endet noch ben. Trotz der zahlreichen Recherchen und Ingenieur in Auschwitz? frühere niederländische Kollaborateure, dass De Bruyn Ouboter zwar in verschiede- ab 1940 als Kreisleiter der Stadt Hindenburg nicht in Südamerika. Erkenntnisse, die während der Untersuchun- De Bruyn Ouboter gab zu Protokoll, dass ehemalige Abwehragenten, mit De Bruyn nen Sprachen schrieb, dabei jedoch immer in Oberschlesien tätig war. Hindenburg O.S. Mit Hilfe von De Bruyn Ouboters gen seines Falles zum Vorschein gekommen er ab 1940 oder 1941 als Leiter eines »SS- Ouboter in einer Zelle sperrte, blieb erfolg- wieder eine deutsche Grammatik bzw. der liegt in der Nähe von Kattowitz, und Otto Sohn, dem die rätselhafte Vergangenheit sind, bleibt es auch nach mehr als 70 Jahren Baukommandos« nach Kattowitz geschickt los. Nach monatelanger Infi ltration musste deutsche Satzbau durchschien. Da er angab, De Bruyn Ouboter hatte sowohl dort ein seines Vaters bislang größtenteils unbe- ein Rätsel, wer dieser Mann wirklich gewe- worden sei, um hier den Straßen- und Brü- die niederländische Polizei resigniert fest- in Köln und nachher in Buxtehude studiert Büro als auch in Krakau. Aus der Personal- kannt war, konnte ich einiges über dessen sen ist. Ich erhoffe mir, durch die Veröffent- ckenbau zu koordinieren. Als ausgebil- halten, dass De Bruyn Ouboter besonders zu haben, besteht die Möglichkeit, dass De akte der NSDAP geht hervor, dass Otto De Nachkriegsleben in Erfahrung bringen. Laut lichung meiner Arbeit weitere Hinweise auf deter Ingenieur wurde er vermutlich zum raffi niert und undurchdringlich sei. Bruyn Ouboter im Nordwesten Deutsch- Bruyn Ouboter als Kreisleiter der NSDAP in seinem Sohn hatte Paul George De Bruyn Paul George De Bruyn Ouboter zu erhalten. Fachoffi zier der Waffen-SS ernannt. Laut Im Jahr 1947 wurde ein polnischer Ge- lands aufgewachsen ist; möglicherweise Kontakt mit dem Leiter der Partei-Kanzlei, Ouboter in Südamerika Kontakt zu »alten Jede noch so kleine Spur würde mir bei mei- eigener Angaben war er anfänglich SS-Un- fangener in das Gefängnis verlegt, in dem nicht weit entfernt von der niederländischen Reichsminister Martin Bormann stand und ab Kameraden«, namentlich dem ehemaligen ner Recherche enorm weiterhelfen. tersturmführer, wurde daraufhin zum SS- auch De Bruyn Ouboter inhaftiert war, wor- Grenze, was auch seine Niederländisch- 1943 die Leitung der Nationalsozialistischen SS-Standartenführer und Entwickler der Obersturmführer befördert, um schließlich aufhin dieser damit begann, sich seine Haare kenntnisse erklären würde. Volkswohlfahrt in Schlesien übernahm. mobilen Vergasungsanlangen Walter Rauff, Stijn Reurs zum SS-Hauptsturmführer aufzusteigen. Er auszureißen, anscheinend getrieben von der Merkwürdigerweise behauptete Paul der nach dem Krieg wie De Bruyn Ouboter Amsterdam, Niederlande war somit verantwortlich für Gruppen von Angst, von dem polnischen Gefangenen er- Einen gefälschten Ausweis George De Bruyn Ouboter bei seiner Ver- nach Santiago gefl üchtet war, oder dem in mehr als hundert Personen, die unter seiner kannt werden zu können. De Bruyn Oubo- Obschon es bereits während der Untersu- haftung in den Niederlanden, Mitglied Südamerika untergetauchten ehemaligen Sachdienliche Hinweise bitte an: Aufsicht arbeiteten. ter vertraute einem der mit ihm bekannten chungshaft zwischen 1945 und 1950 auffi el, der NSV gewesen zu sein und Kontakt zu SS-Hauptsturmführer und KZ-Arzt Josef Stijn Reurs, [email protected]

88 Nachrichten und Berichte Einsicht 17 Frühjahr 2017 89 Aus Kultur und Wissenschaft und ideenreich weiterzuentwickeln. Ich bin Aus Kultur und Wissenschaft Aus Kultur und Wissenschaft Bei der feierlichen Preisvergabe am fest davon überzeugt, dass das DHM mit 16. Dezember 2016 im Museum Judengasse Deutsches Historisches Raphael Gross an der Spitze nachhaltige Aufruf! Museumspreis 2016 sprachen unter anderen Oberbürgermeister Museum, Berlin Akzente setzen wird, museal und im ge- Gedenkstätte Hohe Auszeichnung für Peter Feldmann und der hessische Minister Schmutzige Prof. Dr. Raphael Gross sellschaftlichen Diskurs. Die Auswahl von Auschwitz-Birkenau besondere Museumskonzepte für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein. Raphael Gross ist eine kluge und richtung- Die Laudatio hielt Volker Rodekamp, frü- Geschäfte zum neuen Präsidenten der weisende Entscheidung.« Die Geschichte des deut- des Museums Judengasse herer Präsident des Deutschen Museums- Stiftung des DHM berufen schen nationalsozialisti- bundes. Prof. Dr. Raphael Gross wurde 1966 in schen Konzentrations- und Vernichtungs- Der mit 25.000 Euro dotierte Zwei jeweils mit 5.000 Euro dotierte Das Kuratorium der Stif- Zürich geboren. Er studierte Geschichte, lagers Auschwitz-Birkenau ist noch nicht Museumspreis der Sparkas- Sonderpreise des Museumspreises erhielten tung Deutsches Historisches Philosophie und Literatur in Zürich, Berlin, vollständig erforscht. Wir kennen die Berich- sen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen geht die Stiftung Lutherhaus im thüringischen Ei- Museum (DHM) hat auf seiner Sitzung am Bielefeld und Cambridge. 1997 wurde er an te und Erinnerungen ehemaliger Häftlinge – in diesem Jahr an das »Museum Judengas- senach und das »Museum 642« in Pößneck 24. November 2016 den Schweizer Histo- der Universität Essen mit einer Dissertation das ist die Perspektive der Opfer. Wir kennen se« in Frankfurt am Main. Aus einer hohen (Thüringen). Der Museumspreis wird alle riker Prof. Dr. Raphael Gross einstimmig zu Carl Schmitt promoviert. Von 2001 bis den erhaltenen Teil der Lagerdokumentation Anzahl von Bewerbungen hatte die bun- zwei Jahre von der Sparkassen-Kulturstif- zum neuen Präsidenten der Stiftung in Ber- 2015 war er Direktor des Leo Baeck Instituts – das sind die Verwaltungsdokumente. Wir desweit besetzte Jury des Museumspreises tung Hessen-Thüringen gemeinsam mit dem lin berufen. Der Vorsitzende des Kuratori- in London, von 2004 bis 2006 auch Direktor kennen die Materialien der Nachkriegspro- den Preisträger ausgewählt. Das Haus habe Museumsverband Thüringen (MVT) in Er- ums, Dr. Günter Winands, wurde beauftragt, des Zentrums für Deutsch-Jüdische Studi- zesse – das ist die Sprache der Rechtsver- einen besonderen Bezug zur Stadtgeschichte furt und dem Hessischen Museumsverband mit Raphael Gross Verhandlungen mit dem en an der University of Sussex. Von 2006 teidigung. Das ist zu wenig, um die größte Frankfurts entwickelt, begründete die Ju- (HMV) in Kassel ausgelobt. Ziel aufzunehmen, die Berufung möglichst bis 2015 leitete er das Jüdische Museum Tragödie der Geschichte Europas vollstän- ry ihre Entscheidung. Die Präsentation der zeitnah umzusetzen. Frankfurt am Main, von 2007 bis 2015 war dig zu verstehen. Nach dem Krieg wurden Ausstellung sei eine gelungene Verbindung Kontakt In einem mehrstufi gen Verfahren konn- er zudem Direktor des Fritz Bauer Instituts. nur wenige Bilder, hergestellt von Mitglie- von Authentizität des Ortes und Darstellung Museum Judengasse te sich Raphael Gross gegen rund 30 Mit- Von 2009 bis 2015 war er Reader in History dern der Besatzung des Vernichtungslagers der Rolle der Juden für die Wirtschaft und Battonnstr. 47, 60311 Frankfurt am Main www.museumjudengasse.de bewerberinnen und Mitbewerbern aus dem an der Queen Mary Universität von London Auschwitz-Birkenau, eine geringe Anzahl die Gesellschaft des mittelalterlichen und Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen In- und Ausland durchsetzen. Er wurde dem sowie Honorarprofessor an der Frankfurter privater Briefe, geschrieben von SS-Män- frühneuzeitlichen Frankfurt. www.sparkassen-kulturstiftung Ben UrUrwandwand Der Pakt Kuratorium von der zuvor eingesetzten Fin- Goethe-Universität. Seit April 2015 ist Ra- nern, und äußerst selten andere Dokumente Hollywoods Geschäfte mit Hitler dungskommission empfohlen. phael Gross in Nachfolge von Prof. Dr. Dan oder einzelne Tagebücher gefunden. Ohne 320 S.,23 Abb., geb. mit SU Diner Direktor des Simon-Dubnow-Instituts tiefergehende Analyse und ohne Verständ- € 29,95 ISBN 978-3-8062-3371-1 für Jüdische Geschichte und Kultur e.V. nis von Motivation und Mentalität der Täter sowie Inhaber des Lehrstuhls für Jüdische bleiben unsere Bestrebungen um vernünftige Hollywood schloss einen Pakt Geschichte und Kultur an der Universität Warnung zukünftiger Generationen intuitiv. mit Hitler, keine Filme zu Leipzig. Wer im Besitz von Dokumenten, Bil- produzieren, die das Ansehen der dern, privaten Briefen oder Tagebüchern ist Nationalsozialisten beschädigten. Quelle und unsere Bemühungen um ein besseres Die mächtigen Studiobosse Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Verständnis der Einflüsse populistischer zensierten Filme ohne Druck, Hassmechanismen auf Menschen unterstüt- Kontakt entließen bereitwillig jüdische Deutsches Historisches Museum zen möchte, den bitten wir um Kontaktauf- Mitarbeiter oder realisierten uner- Raphael Gross Unter den Linden 2, 10117 Berlin nahme mit dem Archiv der Gedenkstätte wünschte Projekte erst gar nicht. Foto: Helmut Fricke https://www.dhm.de Auschwitz-Birkenau. Den Überlassern von Es ist die dunkle Seite des Dokumenten und Memorabilia wird volle ›Golden Age of Hollywood‹. Kulturstaatsministerin Monika Grütters er- Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Anonymität garantiert. »eine aufschlussreiche klärte: »Mit Raphael Gross kann das DHM Fritz Bauer Instituts gratulieren Ihrem Studie über Hollywood und die eine international renommierte Persönlich- ehemaligen Direktor Prof. Dr. Raphael Dr. Piotr M. A. Cywinski Nazi-Elite« keit gewinnen. Seine fachliche Expertise als Gross herzlich zu seiner Berufung zum Direktor, Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau Museumsleiter und seine wissenschaftliche neuen Präsidenten des Deutschen Histo- Reputation sind herausragend. Als Direktor rischen Museums in Berlin! Kontakt des Leo Baeck Instituts in London und des Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau Archiv, ul. Wieźniów Oświęcimia 20 Jüdischen Museums in Frankfurt hat Rapha- 32-603 Oświęcim, Poland el Gross die Fähigkeit bewiesen, profi lierte [email protected] Einrichtungen mit ruhiger Hand zu führen http://auschwitz.org Historische Fundamente der Frankfurter Judengasse, Pokal einer Beerdigungsbruderschaft, 18. Jh., Foto: Norbert Miguletz

90 Nachrichten und Berichte Einsicht 17 Frühjahr 2017 91 Aus Kultur und Wissenschaft und dem Mehraufwand für Sozialarbeiter Aus Kultur und Wissenschaft Der International Tracing Service ist ein und Psychotherapeuten nachzukommen. Archiv und Dokumentationszentrum über AMCHA Deutschland e.V.: »Die Aufstockung der fi nanziellen Unter- International NS-Verfolgung und die befreiten Überle- Zahl hilfesuchender Über- stützung ist ein wichtiges erstes Signal und Tracing Service benden. Aus mehr als 30 Millionen Doku- lebender des Holocaust auf Zeichen der Anerkennung. Angesichts des Gesamtinventar online menten erhalten ehemals Verfolgte und ihre weiter zunehmenden Bedarfs an Unterstüt- Nachfahren Informationen zur Inhaftierung, dem Höchststand zung, gerade im Bereich der Traumathera- Zwangsarbeit sowie der Nachkriegsunter- pie und sozialen Arbeit, sowie rückgängiger Der International Tracing stützung durch die Alliierten. Das Archiv 72 Jahre sind seit der Be- Spenden für Organisationen wie AMCHA Service (ITS) hat sein Ge- ist zugleich die Grundlage für Forschung freiung der Überlebenden ist die fi nanzielle Hilfe auch 72 Jahre nach samtinventar im Internet veröffentlicht. Es und Bildung. Um diesen Aufgaben gerecht des Holocaust vergangen. 1987 wurde in der Befreiung weiterhin wichtig, um den bietet einen Überblick über die Archivbe- zu werden, besteht eine internationale Zu- Jerusalem AMCHA, das nationale israeli- Überlebenden einen würdevollen Lebens- stände des ITS, zu denen rund 30 Millionen sammenarbeit mit Gedenkstätten, Archiven sche Zentrum für die psychosoziale Hilfe abend zu ermöglichen«, so Welz weiter. Dokumente über die nationalsozialistische und Forschungsinstitutionen. Der ITS erin- von Überlebenden des Holocaust und ih- Verfolgung und Zwangsarbeit sowie das nert an die Opfer der NS-Verbrechen und ren Familien, als Selbsthilfeorganisation AMCHA (Hebräisch: eine/r von uns) wurde Schicksal der Überlebenden zählen. Seit leistet einen Beitrag zur Gedenkkultur. Sei- gegründet. 1987 in Jerusalem gegründet mit dem Ziel, 2013 sind die Originaldokumente des Ar- ne Aufsicht obliegt einem Internationalen 30 Jahre später ist die Zahl hilfesu- Überlebende des Holocaust und ihre Fami- chivs Teil des UNESCO-Weltdokumenten- Ausschuss mit Vertretern aus elf Mitglied- chender Überlebender des Holocaust bei lien in der Bearbeitung ihrer oft schweren erbes »Memory of the World«. staaten: Belgien, Frankreich, Deutschland, AMCHA auf einem neuen Höchststand. Traumata zu unterstützen. Fast 20.000 Men- »Nutzer des Archivs können sich an- Griechenland, Israel, Italien, Luxemburg, 19.946 Menschen konnte AMCHA 2016 schen hilft AMCHA jedes Jahr in Israel und hand des Gesamtinventars einen guten Ein- Niederlande, Polen, USA, Vereinigtes Kö- in Psychotherapien, sozialen Aktivitäten ist damit eine der größten psychosozialen druck von der Struktur und den Inhalten der nigreich. Finanziert wird der ITS aus dem Einweihung der Gedenktafel für Fritz Bauer am Haus Feldbergstraße 46–48 (von links): Axel Kaufmann, und durch Hausbesuche dabei unterstüt- Hilfsorganisationen für Extremtraumatisier- Bestände verschaffen«, so Archivleiter Dr. Haushalt der Beauftragten der Bundesregie- Hermann-Josef Birk, Dr. Ina Hartwig und Gottfried Kößler, Foto: Werner Lott zen, mit den Folgen der Verfolgung und te weltweit. Seit 1988 unterstützt AMCHA Christian Groh. »Themenrecherchen und die rung für Kultur und Medien (BKM). Sein Text der Gedenktafel: Hier wohnte von 1957 bis zu seinem Tod Fritz Bauer (1903–1968). Als hessischer teils schweren Traumatisierungen ein wür- Deutschland die humanitäre Hilfe fi nanziell Vorbereitung eines Archivbesuchs werden institutioneller Partner ist das Bundesarchiv. Generalstaatsanwalt initiierte er den ersten Frankfurter Auschwitzprozess (1963–1965), in dem ein deutsches devolles Leben nach dem Überleben zu und fördert die Auseinandersetzung mit Fol- für Forscher erheblich leichter.« Das In- Gericht die Verbrechen im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz verhandelte. Frankfurt verneigt gestalten. Damit hat sich die Zahl der Hil- gen der Verfolgung und der Gegenwart von ventar bietet grundlegende Angaben zu den Link zum Gesamtinventar sich vor seinem Mut und seiner Entschlossenheit. fesuchenden seit 2006 mehr als verdoppelt Überlebenden des Holocaust. einzelnen Teilbeständen. Dazu zählen zum https://www.its-arolsen.org/archiv/bestands-ueber- blick/gesamtinventar (2006: 9.692). »Gerade im Alter werden › 75 Prozent der Klienten von AMCHA sind Beispiel der Titel, der Umfang, die Signatur Ortsbeirates 2, Axel Kaufmann, die Frank- Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. zu den die traumatisierenden Erinnerungen zur Überlebende des Holocaust. Ein Drittel und eine kurze inhaltliche Beschreibung. Die Kontakt furter Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig Gründungsstiftern des Fritz Bauer Instituts. Belastung, wenn das soziale Netz schwä- von ihnen sind Kinderüberlebende, die durchsuchbare Inventarstruktur wird als na- International Tracing Service (ITS) und Gottfried Kößler, stellvertretender Di- Eine 2013 im Plenarsaal des Frankfurter Rö- cher wird, die Einsamkeit zunimmt, Partner zum Zeitpunkt ihrer Befreiung nicht älter vigierbarer Baum angezeigt. Daneben kann Große Allee 5–9, 34454 Bad Arolsen rektor des Fritz Bauer Instituts. mer installierte Gedenktafel für Fritz Bauer Tel.: 05691.629-116, Fax: -501 und Freunde sterben. Die Folgen können als 14 Jahre alt waren. nach Stichworten recherchiert werden. Das [email protected] Als hessischer Generalstaatsanwalt in- erinnert an die Frankfurter Auschwitz-Pro- schwere Depressionen, soziale Isolation und › 10 Prozent der Hilfesuchenden sind Kinder Gesamtinventar steht in deutscher und eng- www.its-arolsen.org itiierte Fritz Bauer den ersten Frankfurter zesse. Auch das auf Initiative des Fritz Bau- Angstzustände sein«, erklärt Lukas Welz, von Überlebenden, die durch die Weiterga- lischer Sprache zur Verfügung. Auschwitz-Prozess, der von Dezember 1963 er Instituts und im Auftrag des Magistrats Vorsitzender von AMCHA Deutschland. be von Traumata ebenfalls psychosoziale Die Erschließung der umfangreichen bis August 1965 stattfand und die Verbre- realisierte Denkmal der Künstlerin Tamara Das hohe Durchschnittsalter führt dazu, Hilfe suchen. Bestände ist jedoch nicht abgeschlossen. chen im Konzentrations- und Vernichtungs- Grcic vor dem Oberlandesgericht an der Zeil dass die psychologische und soziale Hilfe › 15 Prozent gehören zu anderen Bevölke- Der ITS hat sich aus Gründen der Transpa- lager Auschwitz verhandelte. Mit diesem 42 würdigt die großen Verdienste des ehe- verstärkt zu Hause, in Altersheimen und rungsgruppen, darunter auch Menschen renz bewusst entschlossen, auch vorläufi g Aus Kultur und Wissenschaft Prozess gewann die Auseinandersetzung maligen hessischen Generalstaatsanwalts. Hospizen organisiert werden muss. Wa- in Krisensituationen außerhalb Israels, oder oberfl ächlich erschlossene Bestände mit dem Holocaust in der Bundesrepub- Auf seiner Sitzung am 2. Mai 2016 hat- ren es 2006 noch circa 8.100 Therapie- denen AMCHA im Rahmen internationaler im Gesamtinventar anzuzeigen. Die bereits Erinnerung an Fritz Bauer lik Deutschland erstmals eine öffentliche te der Ortsbeirat 2 dem Vorschlag der SPD- stunden in häuslicher Betreuung (10,83 Zusammenarbeit hilft. bestehenden Angaben zu den Teilbestän- Einweihung einer Gedenk- Dimension. Fritz Bauers Werk galt dem Fraktion auf Anbringung einer Gedenktafel Prozent der Therapiestunden insgesamt), den werden schrittweise um detaillierte tafel in Frankfurt am Main Aufbau einer demokratischen Justiz, der am ehemaligen Wohnhaus Fritz Bauers zu- so stieg die Zahl 2016 auf etwa 195.000 Kontakt Bestandsbeschreibungen ergänzt, um ei- konsequenten strafrechtlichen Verfolgung gestimmt. Die Idee dazu hatte Hermann- Therapiestunden zu Hause (31,28 Prozent AMCHA Deutschland e.V. nen tieferen Zugang zu den Dokumenten nationalsozialistischen Unrechts und der Josef Birk (SPD) in den Beirat eingebracht. Anteil an den Gesamttherapiestunden). Markgrafenstr. 32, 10117 Berlin zu ermöglichen. Das Gesamtinventar auf Seit 10. März 2017 erinnert Reform des Straf- und Strafvollzugsrechts. Mit der Tafel in der Feldbergstraße 48 im Tel.: 030.2809-8038, Fax: - 9871 2016 hat die Bundesregierung ihre Hil- [email protected] der Website bildet den aktuellen Stand eine Gedenktafel an seinem Vom Magistrat der Stadt Frankfurt wur- Frankfurter Westend kommt ein weiterer Ort fe für Überlebende des Holocaust aufge- http://amcha.de der Erschließung ab, da die Daten direkt ehemaligen Wohnhaus in der Feldberg- den Fritz Bauers große Verdienste mehrfach des Gedenkens an diese herausragende Per- stockt, um damit insbesondere die häus- aus dem digitalen ITS-Archiv abgerufen straße 48 an das Wirken Fritz Bauers. Zur gewürdigt. So gehört die Stadt Frankfurt sönlichkeit hinzu. Hier wohnte Fritz Bauer lichen Pfl egestunden deutlich zu erhöhen werden. Einweihung sprachen der Ortsvorsteher des am Main neben dem Land Hessen und dem von 1957 bis zu seinem Tod im Jahr 1968.

92 Nachrichten und Berichte Einsicht 17 Frühjahr 2017 93 Ausstellungsangebot Wanderausstellung des Fritz Bauer Instituts

› 26. Februar bis 17. April 2015 Landgericht Heidelberg Wallstein Verlag › 7. Mai bis 26. Juni 2015

Landgericht Tübingen Beate Meyer › 27. Januar bis 28. März 2016 Fritz Benscher Museum zur Geschichte von Christen Ein Holocaust-Überlebender als Rundfunk- und Juden in Laupheim und Fernsehstar in der Bundesrepublik › 21. April bis 21. August 2016 Jude, KZ-Überleben- der, Linker, Hambur- NS-Dokumentationszentrum der Stadt ger in Bayern und Köln trotzdem ein Publi- › 9. März bis 27. Juni 2017 kumsliebling: der Schauspieler und Militärhistorisches Museum der Quizmaster Fritz Bundeswehr in Dresden Benscher. 272 S., 48 Abb., geb., Schutzumschlag Zur Ausstellung sind erschienen: 24,90 € (D); 25,60 € (A) Fritz Bauer. Der Staatsanwalt ISBN 978-3-8353-3001-6 NS-Verbrechen vor Gericht Stefan Vogt Subalterne Positionierungen Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts Der deutsche Zionismus im Feld des und des Jüdischen Museums Frankfurt am Main Nationalismus in Deutschland, 1890 –1933 Über das spannungs- geladene Verhältnis Fritz Bauer gehört zu den Weg der Demokratisierung in der frühen von Zionismus und Nationalismus in juristisch einfl ussreichsten Bundesrepublik. Deutschland: ein jüdischen Remigranten im Nachkriegs- Die Ausstellung steht unter der Schirm- Positionierungs- prozess. deutschland. Als hessischer Generalstaatsan- herrschaft des Bundespräsidenten Joachim 496 S., 12 Abb., geb., walt, der den Frankfurter Auschwitz-Prozess Gauck. Sie wird gefördert durch die Stiftung Schutzumschlag 49,90 € (D); 51,30 € (A) auf den Weg brachte, hat er bundesrepub- Polytechnische Gesellschaft, die Hamburger Fritz Backhaus, Monika Boll, Raphael Gross (Hrsg.) ISBN 978-3-8353-1951-6 likanische Geschichte geschrieben. Die Stiftung zur Förderung von Wissenschaft Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht Ausstellung nimmt den Prozess, der sich und Kultur, das Bundesministerium der Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2014, 300 S., zahlr. Abb., € 29,90, ISBN: 978-3-5935-0105-5 Holocaust Memory in a 2013 zum fünfzigsten Mal jährte, zum An- Justiz und für Verbraucherschutz, das Hes- Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts, Band 32 Globalizing World lass, Fritz Bauer einem größeren Publikum sische Ministerium der Justiz, für Integra- Taking a global vorzustellen. tion und Europa, die Georg und Franziska perspective, this Bauers Leben blieb nicht unberührt von Speyer’sche Hochschulstiftung, die Fazit- volume explores the development den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Die Stiftung sowie Christiane und Nicolaus and influence of Ausstellung dokumentiert seine Lebensge- Weickert. Fritz-Bauer-Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln. Fotos: Werner Lott Holocaust memory in a variety of natio- schichte im Spiegel der historischen Ereig- nal and regional nisse, die ihn auch persönlich betrafen. Als Kuratoren der Ausstellung contexts against the Jude blieb Fritz Bauer vom Antisemitismus › Monika Boll (Fritz Bauer Institut): Kon- Aktuelle Ausstellungsstation liehen werden. Das Institut berät Sie gerne backdrop of demo- graphic change and nicht verschont. Als Sozialdemokrat glaubte zeption und Aufbau der Erstausstellung Informationen zur aktuellen Ausstellungs- bei der Organisation des Begleitprogramms the rise of a global er dennoch an den Fortschritt, dann trieben in Frankfurt am Main station in Dresden fi nden Sie auf Seite 9. und bei der Suche nach geeigneten Referen- memory culture. ihn die Nationalsozialisten für 13 Jahre ins › Erik Riedel (Jüdisches Museum Frank- ten. Weitere Informationen und ein Ausstel- Hg. von Jacob S. Eder, Philipp Gassert und Alan E. Steinweis Exil. Als Generalstaatsanwalt hat er das furt): Betreuung der Wanderausstellung Website zur Ausstellung lungsangebot senden wir Ihnen auf Anfrage Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts (hg. von Norbert Frei), Bd. 22 überkommene Bild dieses Amtes revoluti- Fritz Bauer Institut (Hrsg.) www.fritz-bauer-institut.de/fritz-bauer- gerne zu. 280 S., geb., Schutzumschlag oniert. Nicht der Gehorsam der Bürger ge- Bisherige Ausstellungsstationen Redaktion: Bettina Schulte Strathaus ausstellung.html 34,90 € (D); 35,90 € (A) ISBN 978-3-8353-1915-8 genüber dem Staat stand im Vordergrund. › 10. April bis 7. September 2014 Fritz Bauer. Gespräche, Interviews und Reden Kontakt aus den Fernseharchiven 1961‒1968 Fritz Bauer Institut Bauer verstand sich stets als Vertreter der Jüdisches Museum Frankfurt am Main Absolut MEDIEN, Berlin 2014, Dokumente 4017 Ausstellungsausleihe Manuela Ritzheim Menschenwürde vor allem auch gegen staat- › 9. Dezember 2014 bis 15. Februar 2015 2 DVDs, 298 Min., s/w, € 19,90 Die Wanderausstellung »Fritz Bauer. Der Tel.: 069.798 322-33 www.wallstein-verlag.de liche Gewalt – ein großer Schritt auf dem Thüringer Landtag in Erfurt ISBN: 978-3-8488-4017-5, www.absolutmedien.de Staatsanwalt« kann gegen Gebühr ausge- [email protected]

94 Ausstellungsangebot Einsicht 17 Frühjahr 2017 95 Micha Brumlik, Karol Sauerland (Hrsg.) Birgit Erdle, Werner Konitzer (Hrsg.) Ulrich Wyrwa (Hrsg.) Umdeuten, verschweigen, erinnern Theorien über Judenhass – eine Denkgeschichte Einspruch und Abwehr Schriftenreihe Publikationen Die späte Aufarbeitung des Holocaust in Osteuropa Kommentierte Quellenedition (1781–1931) Die Reaktion des europäischen Judentums auf die Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Entstehung des Antisemitismus (1879–1914) des Fritz Bauer Instituts 257 S., € 29,90, EAN 978-3-593-39271-4 361 S., gebunden, € 39,90, EAN 978-3-593-50470-4 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010, Hanno Loewy (Hrsg.) Wissenschaftliche Reihe, Band 18 Wissenschaftliche Reihe, Band 26 372 S., € 29,90, EAN 978-3-593-39278-3 Holocaust. Die Grenzen des Verstehens Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2010, Band 14 Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte Ronny Loewy, Katharina Rauschenberger (Hrsg.) Isabell Trommer Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1992, 256 S., »Der Letzte der Ungerechten« Rechtfertigung und Entlastung Liliane Weissberg (Hrsg.) € 9,60, ISBN 3-499-19367-1 Der Judenälteste Benjamin Murmelstein in Albert Speer in der Bundesrepublik Deutschland Affi nität wider Willen? Schriftenreihe, Band 2 Filmen 1942–1975 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2016, Hannah Arendt, Theodor W. Adorno und die Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011 320 S., gebunden, € 34,90, EAN 9783593505299 Frankfurter Schule Oskar Rosenfeld 208 S., 36 Abb., € 24,90, EAN 978-3-593-39491-6 Wissenschaftliche Reihe, Band 27 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011 Wozu noch Welt Wissenschaftliche Reihe, Band 19 236 S., 18 Abb., € 24,90, EAN 978-3-593-39490-9 Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz Jenny Hestermann Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2011, Band 15 Hrsg. von Hanno Loewy. Verlag Neue Kritik, Werner Renz (Hrsg.) Inszenierte Versöhnung Frankfurt am Main, 1994, 324 S., € 25,–, Interessen um Eichmann Reisediplomatie und die deutsch-israelischen Sybille Steinbacher (Hrsg.) ISBN 3-8015-0272-4 Israelische Justiz, deutsche Strafverfolgung und alte Beziehungen von 1957 bis 1984 Holocaust und Völkermorde Schriftenreihe, Band 7 Kameradschaften Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2016, Die Reichweite des Vergleichs Das Fritz Bauer Institut ver- Wissenschaftliche Reihe Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012, 290 S., gebunden, € 29,95, EAN 9783593506159 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012, Knut Dethlefsen, Thomas B. Hebler (Hrsg.) öffentlicht mehrere Publika- 332 S., € 34,90, EAN 9783593397504 Wissenschaftli che Reihe, Band 28 248 S., € 24,90, EAN 9783593397481 Bilder im Kopf / Obrazy w glowie tionsreihen, darunter das Jahrbuch und die Wissenschaftliche Reihe, Band 20 Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2012, Band 16 Auschwitz – Einen Ort sehen Franziska Krah Oswiecim – Ujecia pewnego miejsca Wissenschaftliche Reihe, jeweils im Cam- Claudia Fröhlich Katharina Stengel: »Ein Ungeheuer, das wenigstens theoretisch Katharina Rauschenberger (Hrsg.) Edition Hentrich, Berlin, 1996, 146 S., 134 Abb., pus Verlag, und die Schriftenreihe, die in Wider die Tabuisierung des Ungehorsams Hermann Langbein besiegt sein muß …« Rückkehr in Feindesland? € 9,90, ISBN 3-89468-236-1 verschiedenen Verlagen erscheint. Daneben Fritz Bauers Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung Ein Auschwitz-Überlebender in den erinnerungs- Pioniere der Antisemitismusforschung in Deutschland Fritz Bauer in der deutsch-jüdischen Schriftenreihe, Band 12 von NS-Verbrechen gibt es Publikationsreihen, die im Eigenver- politischen Konfl ikten der Nachkriegszeit Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2016, Nachkriegsgeschichte Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2006, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012, 466 S., gebunden, € 39,95, EAN 9783593506241 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, Hanno Loewy, Andrzej Bodek (Hrsg.) lag verlegt sind, darunter die Pädagogischen 430 S., € 39,90, ISBN 3-593-37874-4 635 S., € 34,90, EAN 9783593397887 Wissenschaftliche Reihe, Band 29 240 S., € 29,90, EAN 9783593399805 »Les Vrais Riches« – Notizen am Rand Materialien und die Reihe Konfrontationen. Wissenschaftliche Reihe, Band 13 Wissenschaftliche Reihe, Band 21 Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2013, Band 17 Ein Tagebuch aus dem Ghetto Lodz Video-Interviews, Ausstellungskataloge und Christoph Schneider (Mai bis August 1944) Thomas Horstmann, Heike Litzinger (Hrsg.) andere Einzelveröffentlichungen ergänzen Raphael Gross, Werner Renz (Hrsg.) Diener des Rechts und der Vernichtung Werner Konitzer (Hrsg.) Reclam Verlag, Leipzig, 1997, 165 S., € 9,20, An den Grenzen des Rechts Der Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) Das Verfahren gegen die Teilnehmer der Konferenz Moralisierung des Rechts ISBN 3-379-01582 das Publikations-Portfolio des Instituts. Gespräche mit Juristen über die Verfolgung von Kommentierte Quellenedition von 1941 oder: Die Justiz gegen Fritz Bauer Kontinuitäten und Diskontinuitäten Schriftenreihe, Band 13 Eine komplette Aufl istung aller bisher NS-Verbrechen Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2017, nationalsozialistischer Normativität erschienenen Publikationen des Fritz Bau- Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2006, 1.398 S., Hardcover, gebunden, Edition in zwei 242 S., gebunden, € 29,95, EAN 9783593506890 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2014, Margrit Frölich, Hanno Loewy, 233 S., € 19,90, ISBN 3-593-38014-5 er Instituts fi nden Sie auf unserer Website: Teilbänden, € 78,–, EAN 9783593399607 Wissenschaftliche Reihe, Band 30 248 S., € 29,90, EAN 99783593501680 Heinz Steinert (Hrsg.) Wissenschaftliche Reihe, Band 14 Wissenschaftliche Reihe, Band 22 Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2014, Band 18 Lachen über Hitler – Auschwitz Gelächter? www.fritz-bauer-institut.de Jörg Osterloh, Kim Wünschmann (Hrsg.) Filmkomödie, Satire und Holocaust Katharina Stengel (Hrsg.) Jörg Osterloh, Harald Wixforth (Hrsg.) »… der schrankenlosesten Willkür ausgeliefert« Katharina Rauschenberger, Werner Konitzer (Hrsg.) München: Edition text + kritik im Richard Boorberg Bestellungen bitte an die Vor der Vernichtung. Die staatliche Enteignung der Unternehmer und NS-Verbrechen Häftlinge der frühen Konzentrationslager Antisemitismus und andere Feindseligkeiten Verlag, 2003, 386 S., 40 s/w Abb., € 27,50, Juden im Nationalsozialismus Karl Marx Buchhandlung GmbH Wirtschaftseliten im »Dritten Reich« und in der 1933–1936/3 Interaktionen von Ressentiments ISBN 3-88377-724-2 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2007, Bundesrepublik Deutschland Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2017, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Schriftenreihe, Band 19 Publikationsversand Fritz Bauer Institut 336 S., € 24,90, EAN 978-3-593-38371-2 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag 2014, ca. 350 S., gebunden, € 34,95, EAN 9783593507026 197 S., € 29,90, EAN 9783593504698 Jordanstr. 11, 60486 Frankfurt am Main Wissenschaftliche Reihe, Band 15 416 S., € 34,90, EAN 9783593399799 Wissenschaftliche Reihe, Band 31 Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2015, Band 19 Barbara Thimm, Gottfried Kößler, Tel.: 069.778 807, Fax: 069.707 739 9 Wissenschaftliche Reihe, Band 23 Susanne Ulrich (Hrsg.) Christoph Jahr [email protected] Werner Konitzer, David Palme (Hrsg.) Verunsichernde Orte Antisemitismus vor Gericht Katharina Rauschenberger, Werner Renz (Hrsg.) »Arbeit«, »Volk«, »Gemeinschaft« Selbstverständnis und Weiterbildung in der www.karl-marx-buchhandlung.de Debatten über die juristische Ahndung judenfeindli- Henry Ormond – Anwalt der Opfer Ethik und Ethiken im Nationalsozialismus Gedenkstättenpädagogik cher Agitation in Deutschland (1879–1960) Plädoyers in NS-Prozessen Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2016 Frankfurt am Main: Brandes & Apsel Verlag, 2010, Liefer- und Zahlungsbedingungen Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015, Jahrbuch zur Geschichte ca. 320 S., € 29,95, EAN 9783593506227 208 S., € 19,90, Lieferung auf Rechnung. Die Zahlung ist sofort fällig. 476 S., € 39,90, EAN 978-3-593-39058-1 364 S., 27 Abb., € 34,90, EAN 978-3-593-50282-3 und Wirkung des Holocaust Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2016, Band 20 SBN 978-3-86099-630-0 Bei Sendungen innerhalb Deutschlands werden ab Wissenschaftliche Reihe, Band 16 Wissenschaftliche Reihe, Band 24 Schriftenreihe, Band 21 einem Bestellwert von € 50,– keine Versandkosten be- rechnet. Unter einem Bestellwert von € 50,– betragen Wolf Gruner, Jörg Osterloh (Hrsg.) Werner Renz (Hrsg.) Das Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Jaroslava Milotová, Zlatica Zudová-Lešková, die Versandkosten pauschal € 3,– pro Sendung. Für Das »Großdeutsche Reich« und die Juden »Von Gott und der Welt verlassen« Werner Konitzer und Raphael Gross (Hrsg.) Holocaust wird herausgegeben im Auftrag des Fritz Jiří Kosta (Hrsg.): Lieferungen ins Ausland (Land-/Seeweg) werden Ver- Nationalsozialistische Verfolgung in den Fritz Bauers Briefe an Thomas Harlan Moralität des Bösen Bauer Instituts. Es erscheint mit freundlicher Unter- Tschechische und slowakische Juden im sandkosten von € 5,– pro Kilogramm Versandgewicht »angegliederten« Gebieten Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Ethik und nationalsozialistische Verbrechen stützung des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. Widerstand 1938–1945 in Rechnung gestellt. Besteller aus dem Ausland erhal- Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010, 300 S., gebunden, 24 s/w-Fotos, € 29,90 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2009, Mitglieder des Fördervereins können das aktuelle Metropol Verlag, Berlin, 2008, 272 S., € 19,–, ten eine Vorausrechnung (bei Zahlungseingang wird 438 S., , € 39,90, EAN 978-3-593-39168-7 EAN 978-3-593-50468-1 272 S., € 29,90, EAN 978-3-59339021-5; Jahrbuch zum reduzierten Preis von € 23,90 ISBN 978-3-940938-15-2 das Paket versendet). Wissenschaftliche Reihe, Band 17 Wissenschaftliche Reihe, Band 25 Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2009, Band 13 (inkl. Versandkosten) im Abonnement beziehen. Schriftenreihe, Band 22

96 Publikationen Einsicht 17 Frühjahr 2017 97 Irmtrud Wojak Kooperation mit dem Thüringer Justizministerium David Johst im Auftrag des Fritz Bauer Instituts (Hrsg.) Fritz Bauer 1903–1968 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2014, Reihe »Konfrontationen« Zeitzeugen-Videos auf DVD DVD/DVD-ROM Fritz Bauer Eine Biographie 300 S., zahlr. Abb., € 29,90 Bausteine für die pädagogische Annäherung Sein Leben, sein Denken, sein Wirken Verlag C.H. Beck, München, 2009, 24 Abb., 638 S., ISBN: 978-3-5935-0105-5 an Geschichte und Wirkung des Holocaust Tondokumente mit Originaltönen von Fritz Bauer, € 34,–, ISBN 978-3-406-58154-0; Schriftenreihe, Band 32 Die Video-Interviews sind für die pädagogische Arbeit Veröffentlichung elektronischer Medien des Fritz Bauer kommentiert und eingeleitet von Burghart Klaußner Schriftenreihe, Band 23 mit Zeitzeugenaussagen konzipiert. Sie sind für den Ein- Institut und Veröffentlichungen, die mit Unterstützung Veröffentlicht mit Unterstützung der Friedrich-Ebert- Broschierte Sonderausgabe 2011: Martin Liepach, Wolfgang Geiger: satz in der Schule (ab Klasse 8), der Erwachsenenbil- des Fritz Bauer Instituts erschienen sind. Stiftung und der Gerda Henkel Stiftung. Gottfried Kößler, Petra Mumme Verlag C.H. Beck, München, 2011, € 28,– Fragen an die jüdische Geschichte dung, der Lehrerfortbildung und der außerschulische Bil- Berlin: Der Audio Verlag, 2017, 4 CDs, 306 Min., Identität ISBN 978-3-406-62392-9 Darstellungen und didaktische Herausforderungen dungsarbeit geeignet. Die DVD-Reihe wird fortgeführt. Fritz Bauer Institut und Staatliches Museum mit umfangreichem Booklet, € 19,99 › Individuum und Gesellschaft Neuausgabe 2016: Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag, 2014, Auschwitz-Birkenau (Hrsg.): ISBN: 978-3-86231-994-7 › Anfänge des Nationalsozialismus Buxus Edition, München, 2016 Reihe Geschichte unterrichten, 192 S., € 19,80 »Ich habe immer ein bisschen Sehnsucht und Der Auschwitz-Prozess Frankfurt am Main, 2000, 56 S., ISBN 3-932883-25-X 614 S., € 28,– (zuz. € 4,50 Versand) ISBN: 978-3-7344-0020-9 Heimweh …« Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente Konfrontationen Heft 1 Bestelladresse: [email protected] Schriftenreihe, Band 33 Marianne Schwab, geboren 1919 in Bad Homburg, DVD-ROM, ca. 80.000 S. Öffentlicher Vortrag 1992 Berlin: Directmedia Verlag, 2004, Jacqueline Giere, Gottfried Kößler Joachim Perels (Hrsg.) Fritz Bauer Die Digitale Bibliothek 101, € 45,– Gruppe Auschwitz in der deutschen Geschichte Die Wurzeln faschistischen und »Meine Eltern haben mir den Abschied leicht ISBN 3-89853-501-0 › Gemeinschaft und Ausschluss Sonstige Veröffentlichungen Offi zin-Verlag, Hannover, 2010, 258 S., nationalsozialistischen Handelns gemacht« Eine Neuaufl age der DVD ist für € 19,90 (zzgl. › Volksgemeinschaft und Verfolgung von Minderheiten ISBN 978-3930345724, € 19,80; Mit einer Einleitung von David Johst Dorothy Baer, geboren 1923 in Frankfurt am Main Versand) zu beziehen über: www.versand-as.de Frankfurt am Main, 2001, 56 S., ISBN 3-932883-26-8 Schriftenreihe, Band 25 Herausgegeben vom Fritz Bauer Institut Interview 1992 Konfrontationen Heft 2 Hamburg, Europäische Verlagsanstalt, 2016, ca.120 S., Hessischer Rundfunk (Hrsg.) Kersten Brandt, Hanno Loewy, Krystyna Oleksy (Hrsg.) Raphael Gross Broschur, ca. € 15,00, EAN 978-3-86393-085-1 »…dass wir nicht erwünscht waren« Der große Raub (D 2002) Vor der Auslöschung… Heike Deckert-Peaceman, Uta George, Petra Mumme Anständig geblieben Schriftenreihe, Band 34 Martha Hirsch, geboren 1918 in Frankfurt am Main, Wie in Hessen die Juden ausgeplündert wurden Fotografi en gefunden in Auschwitz Ausschluss Nationalsozialistische Moral und Erwin Hirsch, geboren in Straßburg Ein Film von Henning Burk und Dietrich Wagner, Hrsg. im Auftrag des Staatlichen Museums Auschwitz- › Voraussetzungen und Zusammenhänge des Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 2010, 288 S., Interview 1993 Hrsg. in wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit Birkenau. Gina Kehayoff Verlag, München, 2001, Ausschlusses von Minderheiten aus der € 19,95, ISBN 978-3-10-028713-7; dem Fritz Bauer Institut 2. überarb. Aufl ., Bildband, 492 S., ca. 2.400 Farbabb. NS-Volksgemeinschaft Schriftenreihe, Band 26 »Rollwage, wann willst Du endlich aufwachen?« DVD zur Ausstellung »Legalisierter Raub. Der Fiskus und Textband, 158 S., € 124,95; ISBN 3-934296-13-0 › NS-»Euthanasie«-Verbrechen Erinnerungen an die Kinderlandverschickung und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933– › Verfolgung schwarzer Deutscher in der NS-Zeit Rolf Pohl, Joachim Perels (Hrsg.) 1940–1945 1945« des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Hrsg. von Irmtrud Wojak Pädagogische Materialien › Der Weg zum Völkermord an den Sinti und Roma Normalität der NS-Täter? Herbert Rollwage, geboren 1929 in Hamburg Rundfunks im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Frankfurt am Main, 2003, 80 S., ISBN 3-932883-27-6 Eine kritische Auseinandersetzung des Pädagogisches Zentrums des Fritz Bauer Ausschnitte aus einem Gespräch im Rahmen eines DVD, hr media, 2007, 45 Min., € 10,– Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main Konfrontationen Heft 3 Hannover: Offi zin Verlag, 2011, 148 S., € 14,80 Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt Seminars des Fritz Bauer Instituts 1996 ISBN 978-3-89844-311-1 Katalog zur gleichnamigen historisch-dokumentari- ISBN 978-3-930345-71-7 schen Ausstellung des Fritz Bauer Instituts Uta Knolle-Tiesler, Gottfried Kößler, Oliver Tauke Schriftenreihe, Band 27 »Returning from Auschwitz« Fritz Bauer Institut (Hrsg.) Snoeck Verlag, Köln, 2004, 872 S., 100 farb. und Ghetto Bernhard Natt, geboren 1919 in Frankfurt am Main Fritz Bauer 800 s/w Abb., € 49,80, ISBN 3-936859-08 Mirjam Thulin › Vernichtung durch Arbeit: das Ghetto Lodz Monika Boll und Raphael Gross (Hrsg.) Interview 1999 Gespräche, Interviews und Reden aus den Von Frankfurt nach Tel Aviv › Theresienstadt – ein »Musterghetto«? »Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können« Fernseharchiven 1961‒1968 Fritz Bauer Institut und Staatliches Museum Die Geschichte der Erna Goldmann › Der jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto Jüdische Intellektuelle in Deutschland nach 1945 Ein Leben zwischen Konzentrations-lager und Redaktion: Bettina Schulte Strathaus Auschwitz- Birkenau (Hrsg.): Materialheft zum Filmporträt Frankfurt am Main, 2002, 88 S., ISBN 3-932883-28-4 Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2013, Dorfgemeinschaft Erstveröffentlichung historischer Fernsehaufnahmen Der Auschwitz-Prozess Redaktion: Gottfried Kößler, Manfred Levy Konfrontationen Heft 4 384 S., € 14,99, ISBN: 978-3-596-18909-0 Ruth Lion, geboren 1909 in Momberg (Hessen) anlässlich der Ausstellung des Fritz Bauer Instituts Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente Frankfurt am Main, 2012, 48 S., € 5,– Schriftenreihe, Band 28 Interview 1998 und des Jüdischen Museums Frankfurt: »Fritz Bauer. DVD-ROM, ca. 80.000 S., Directmedia Verlag, ISBN 978-3-932883-34-7 Verena Haug, Uta Knolle-Tiesler, Gottfried Kößler Der Staatsanwalt – NS-Verbrechen vor Gericht« Berlin, 2004, Digitale Bibliothek, Band 101, € 45,– Pädagogische Materialien Nr. 01 Deportationen Fritz Backhaus, Dmitrij Belkin, Raphael Gross (Hrsg.): Kindheit und Jugend im Frankfurter Ostend Absolut MEDIEN, Berlin 2014, Dokumente 4017 ISBN 978-3-89853-801-5. › Leben zwischen Novemberpogrom und Deportation Bild dir dein Volk! 1925–1941 2 DVDs, 298 Min., s/w, € 19,90 Eine Neuaufl age der DVD ist für € 10,– (zzgl. Versand) Wolfgang Geiger, Martin Liepach, Thomas Lange › Ausplünderung Axel Springer und die Juden Norbert Gelhardt, geboren 1925 in Frankfurt am Main, ISBN: 978-3-8488-4017-5 zu beziehen bei Versand-AS, Berlin: www.versand-as.de (Hrsg.) › Verschleppung Göttingen: Wallstein Verlag, 2012, 224 S., 64 überw. Interview 2000 http://absolutmedien.com/fi lm-1565 Verfolgung, Flucht, Widerstand und Hilfe farb. Abb., € 19,90, ISBN: 978-3-8353-1081-0 Mit einem Beitrag von Peter Longerich: Deportatio- Dmitrij Belkin, Raphael Gross (Hrsg.) außerhalb Europas im Zweiten Weltkrieg nen. Ein historischer Überblick. Schriftenreihe, Band 29 »Heim ins Reich« Fritz Bauer Institut, Absolut MEDIEN (Hrsg.) Ausgerechnet Deutschland! Unterrichtsmaterialien zum Ausstellungsprojekt Frankfurt am Main, 2003, 64 S., ISBN 3-932883-24-1 Margarethe Eichberger, geb. Drenger; geboren 1926 Auschwitz vor Gericht (D 2013) Jüdisch-russische Einwanderung in die Bundesrepublik »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« Konfrontationen Heft 4 Raphael Gross im Baltikum (heute Lettland), Strafsache 4 Ks 2/63 (D 1993) Essayband zur Ausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, 2013, 76 S., € 7,– November 1938 Interview 2001 Zwei Dokumentationen Frankfurt. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin, ISBN 978-3-932883-35-4 Jacqueline Giere, Tanja Schmidhofer Die Katastrophe vor der Katastrophe von Rolf Bickel und Dietrich Wagner 2010, 192 S., 100 farb. Abb., € 24,95, Pädagogische Materialien Nr. 02 Todesmärsche und Befreiung München: Verlag C. H. Beck, 2013, 128 S., € 8,95 Die DVDs können entliehen werden über: DVD-Booklet mit einem einführenden Text von ISBN 978-3-89479-583-2 › Todesmärsche Beck`sche Reihe: bsr – C.H. Beck Wissen; 2782 Medienzentrum Frankfurt e.V., Ostbahnhofstr. 15, Werner Renz, Fritz Bauer Institut Dagi Knellessen › Befreiung der Lager ISBN 978-3-406-65470-1; Schriftenreihe, Band 31 60314 Frankfurt am Main, Tel.:. 069.949424-0, Extras der DVD-ROM: ergänzende Texte und Fritz Backhaus, Liliane Weissberg, Raphael Gross (Hrsg.) Novemberpogrome 1938 › »Ein Leben auf’s Neu« – Eine Publikation des Leo Baeck Institute London [email protected] Materialien zum Auschwitz-Prozess (pdf-Dateien), Juden. Geld. Eine Vorstellung »Was unfassbar schien, ist Wirklichkeit« Jüdische Displaced Persons 1945 bis 195 www.medienzentrum-frankfurt.de zusammengestellt von Werner Renz. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Jüdischen Mit einem Vorwort von Raphael Gross Frankfurt am Main, 2003, 56 S., ISBN 3-932883-29-2 Fritz Backhaus, Monika Boll, Raphael Gross (Hrsg.) Die DVDs können erworben werden (€ 5,– plus Versand- Absolut MEDIEN, Berlin 2014, Dokumente 4021 Museums Frankfurt und des Fritz Bauer Instituts. Redaktion: Gottfried Kößler Konfrontationen Heft 6 Fritz Bauer. Der Staatsanwalt kosten), Bestelladresse: Karl Marx Buchhandlung, Regie: Rolf Bickel und Dietrich Wagner (hr) Ausstellung vom 25. April bis 6. Oktober 2013 im Frankfurt am Main 2015, 116 S., € 10,– NS-Verbrechen vor Gericht Jordanstraße 11, 60486 Frankfurt am Main, 2 DVDs, PAL, Mono, codefree, 4:3, Farbe + s/w, Jüdischen Museum Frankfurt am Main. IBAN 978-3-932883-36-1 Alle Hefte der »Konfrontationen«-Reihe sind zum Begleitband zur Ausstellung des Fritz Bauer Instituts Tel.: 069.778807, [email protected] 220 Min., € 24,90, EAN: 978-3-8488-4021-2 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, Pädagogische Materialien Nr. 03 Preis von € 7,60 (ab 10 Hefte € 5,10) erhältlich. und des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, in www.karl-marx-buchhandlung.de http://absolutmedien.com/fi lm-1569 436 S., zahlr. Abb., € 19,90, ISBN 978-3-59339-923-2

98 Publikationen Einsicht 17 Frühjahr 2017 99 Impressum Fördern Sie mit uns das Nachdenken

Kontakt: über den Fritz Bauer Institut Norbert-Wollheim-Platz 1 Holocaust D-60323 Frankfurt am Main Telefon: +49 (0)69.798 322-40 Telefax: +49 (0)69.798 322-41 [email protected] www.fritz-bauer-institut.de

Besuchen Sie uns auch auf facebook: Generalstaatsanwalt Fritz Bauer www.facebook.com/fritz.bauer.institut Foto: Schindler-Foto-Report

Bankverbindung: Frankfurter Sparkasse SWIFT/BIC: HELADEF1822 Einsicht 17 IBAN: DE91 5005 0201 0000 3219 01 Fünfzig Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ist am 13. Vorstand des Fördervereins Bulletin des Steuernummer: 45 250 8145 5 - K19 Januar 1995 in Frankfurt am Main die Stiftung »Fritz Bauer Institut, Ergebnis der Vorstandswahl vom 18. März 2017 Finanzamt Frankfurt am Main III Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung Jutta Ebeling (Vorsitzende und 1. Vertreterin im Stiftungsrat), Fritz Bauer Instituts des Holocaust« gegründet worden – ein Ort der Ausein-andersetzung Gundi Mohr (stellvertretende Vorsitzende und Schatzmeisterin), Redaktion: Werner Konitzer (V.i.S.d.P.), unserer Gesellschaft mit der Geschichte des Holocaust und seinen Prof. Dr. Eike Hennig (Schriftführer), Herbert Mai (2. Vertreter im Frühjahrsausgabe, April 2017 Werner Lott, Jörg Osterloh, Katharina Auswirkungen bis in die Gegenwart. Das Institut trägt den Namen Stiftungsrat), Dr. Rachel Heuberger, Dr. Nikolaus Meyer, Gabriele 9. Jahrgang Rauschenberger, Werner Renz Fritz Bauers, des ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts und Mielcke, Staatsanwalt Dr. Christopher Wenzl (Beisitzer/innen) ISSN 1868-4211 Anzeigenredaktion: Dorothee Becker Initiators des Auschwitz-Prozesses 1963 bis 1965 in Frankfurt am Lektorat: Gerd Fischer Main. Fördern Sie mit uns das Nachdenken über den Holocaust Titelabbildung: Gestaltung/Layout: Werner Lott Der Förderverein ist eine tragende Säule des Fritz Bauer Instituts. »The Hall of Witness« im United Herstellung: Vereinte Druckwerke Aufgaben des Fördervereins Ein mitgliederstarker Förderverein setzt ein deutliches Signal bürger- States Holocaust Memorial Museum Frankfurt am Main Der Förderverein ist im Januar 1993 in Frankfurt am Main gegrün- schaftlichen Engagements, gewinnt an politischem Gewicht im Stif- in Washington, D.C. Erscheinungsweise: zweimal jährlich det worden. Er unterstützt die wissenschaftliche, pädagogische und tungsrat und kann die Interessen des Instituts wirkungsvoll vertreten. Foto: Jacob S. Eder (April/Oktober) dokumentarische Arbeit des Fritz Bauer Instituts und hat durch das Zu den zahlreichen Mitgliedern aus dem In- und Ausland gehören Aufl age: 5.500 ideelle und fi nanzielle Engagement seiner Mitglieder und zahlreicher engagierte Bürgerinnen und Bürger, bekannte Persönlichkeiten des Spender wesentlich zur Gründung der Stiftung beigetragen. Der öffentlichen Lebens, aber auch Verbände, Vereine, Institutionen und Manuskriptangebote: Verein sammelt Spenden für die laufende Arbeit des Instituts und Unternehmen sowie zahlreiche Landkreise, Städte und Gemeinden. Textangebote zur Veröffentlichung in die Erweiterung des Stiftungsvermögens. Er vermittelt einer breiten Einsicht. Bulletin des Fritz Bauer Instituts Öffentlichkeit die Erkenntnisse, die das Institut im universitären Raum Werden Sie Mitglied! bitte an die Redaktion. Die Annahme mit hohen wissenschaftlichen Standards erarbeitet hat. Er schafft Jährlicher Mindestbeitrag: € 60,– / ermäßigt: € 30,– von Beiträgen erfolgt auf der Basis einer neue Kontakte und stößt gesellschaftliche Debatten an. Unterstützen Sie unsere Arbeit durch eine Spende! Begutachtung durch die Redaktion. Für Für die Zukunft gilt es – gerade auch bei zunehmend knapper wer- Frankfurter Sparkasse, SWIFT/BIC: HELADEF1822 unverlangt eingereichte Manuskripte, denden öffentlichen Mitteln –, die Projekte und den Ausbau des IBAN: DE43 5005 0201 0000 3194 67 Fotos und Dokumente übernimmt das Fritz Bauer Instituts weiter zu fördern, seinen Bestand langfristig Werben Sie neue Mitglieder! Fritz Bauer Institut keine Haftung. zu sichern und seine Unabhängigkeit zu wahren. Informieren Sie Ihre Bekannten, Freunde und Kollegen über die Möglichkeit, sich im Förderverein zu engagieren. Gerne senden wir Copyright: Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust Ihnen weitere Unterlagen mit Informationsmaterial zur Fördermit- © Fritz Bauer Institut Seit 1996 erscheint das vom Fritz Bauer Institut herausgegebene gliedschaft und zur Arbeit des Fritz Bauer Instituts zu. QR-Code: Link zu allen bisher Stiftung bürgerlichen Rechts Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust im Campus erschienenen Ausgaben Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur Verlag. In ihm werden herausragende Forschungsergebnisse, Reden Förderverein von Einsicht. Bulletin mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. und Kongressbeiträge zur Geschichte und Wirkungsgeschichte des des Fritz Bauer Instituts Fritz Bauer Institut e.V. Holocaust versammelt, welche die internationale Diskussion über als pdf-Dateien. [fritz-bauer-institut.de/ Einsicht erscheint mit Unterstützung des Ursachen und Folgen der nationalsozialistischen Massenverbrechen Norbert-Wollheim-Platz 1 einsicht.html] Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. refl ektieren und bereichern sollen. 60323 Frankfurt am Main Mitglieder des Fördervereins können das Jahrbuch des Fritz Bauer Telefon: +49 (0)69.798 322-39, Fax -41 Instituts zum Vorzugspreis im Abonnement beziehen. [email protected] / www.fritz-bauer-institut.de 100 Impressum NEUERSCHEINUNGEN FRÜHJAHR 2017 (AUSWAHL) METROPOL VERLAG | ANSBACHER STR. 70 | 10777 BERLIN BESTELLUNGEN UND REZENSIONSEXEMPLARE: DR. NICOLE WARMBOLD TEL.: (030) 23 00 46 23 | FAX: (030) 2 65 05 18 | E-MAIL: [email protected]

KARL HEINZ ROTH · HARTMUT RÜBNER MARGRET HAMM (Hrsg.) MATTHIAS GRÜNZIG »ICH HABE NIE EINE HELDIN AUS MIR GEMACHT« REPARATIONSSCHULD AUSGEGRENZT! WARUM? FÜR DEUTSCHTUM UND VATERLAND Die Ravensbrück-Überlebende Hypotheken der deutschen Besatzungsherr- Zwangssterilisierte und Geschädigte Die Potsdamer Garnisonkirche im Alicja Gawlikowska im Gespräch schaft in Griechenland und Europa der NS-»Euthanasie« in der 20. Jahrhundert mit Dariusz Zaborek Bundesrepublik Deutschland Herausgegeben von Insa Eschebach ISBN: 978-3-86331-265-7 ISBN: 978-3-86331-296-1 und Andrea Genest 645 Seiten · Hardcover · 29,90 Euro ISBN: 978-3-86331-335-7 380 Seiten · 24,00 Euro ca. 224 Seiten · 19,00 Euro ISBN: 978-3-86331-334-0 Während die großen Siegermächte in den ersten Jahren Kaum ein Gebäude ist so umstritten wie die Potsdamer ca. 240 Seiten · 19,00 Euro nach 1945 umfangreich entschädigt wurden, gingen die Jahrzehntelang hatten die Opfer von Zwangssterilisation Garnisonkirche. Für die einen ist sie eine »Nazi-Kirche«. kleineren Länder Europas und zahlreiche Opfergruppen und »Euthanasie« geschwiegen. Erst viele Jahre nach Andere behaupten, sie sei vom NS-Regime missbraucht Alicja Gawlikowska war knapp vier Jahre lang im Frauen- weitgehend leer aus. Griechenland fordert bis heute ihrer Verfolgung im NS-Staat fanden einige Betroffene worden. Matthias Grünzig stellt die Fakten hinter den Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert. In Gesprä- Entschädigungen für die Opfer der Massaker und die die Kraft, ihre Stimme zu erheben und für Anerken- Legenden dar: die Nutzung der Kirche durch rechtsex- chen mit dem Journalisten Dariusz Zaborek berichtet Ausplünderung seiner Volkswirtschaft. Karl Heinz Roth nung zu kämpfen. 1987 gründeten sie den Bund der treme Organisationen in der Weimarer Republik, ihre sie von ihrem Engagement in der Polnischen Heimat- und Hartmut Rübner dokumentieren die Strategie des »Euthanasie«-Geschädigten und Zwangssterilisierten. Bedeutung in der NS-Zeit sowie die Hintergründe des armee im besetzten Warschau. Sie schildert ihre Erfah- deutschen Vorgehens, das in der Ausklammerung der Doch sie stießen auf Widerstände: Mechanismen und Abrisses der Kirchenruine 1968. Umfassende Recher- rungen im Konzentrationslager und erzählt aus ihrem Reparationsfrage aus dem De Facto-Friedensvertrag von Strukturen der Ausgrenzung hatten die NS-Zeit über- chen zeichnen ein historisch fundiertes Bild der Ge- Leben als Ärztin im Nachkriegspolen. Seit den 1980er- 1990 (»Zwei plus Vier-Vertrag«) kulminierte. dauert. Die Vorstellungen von »lebenswertem« und schichte der Garnisonkirche. Jahren war die liberal denkende Alicja Gawlikowska in »-un wertem« Leben sind bis heute nicht überwunden. der Solidarność-Bewegung engagiert.

ANNETTE EBERLE

Die Ärzteschaft in Bayern und die Praxis der Medizin im Nationalsozialismus

ANNETTE EBERLE PHILIPP DINKELAKER JERZY JURANDOT INTERNATIONAL HOLOCAUST REMEMBRANCE ALLIANCE (Ed.) DIE ÄRZTESCHAFT IN BAYERN DAS SAMMELLAGER IN DER DIE LIEBE SUCHT EINE WOHNUNG UND DIE PRAXIS DER MEDIZIN BERLINER SYNAGOGE Eine Komödie aus dem Warschauer Getto RESEARCH IN TEACHING AND IM NATIONALSOZIALISMUS LEVETZOWSTRASSE 1941/42 Herausgegeben von Markus Roth und LEARNING ABOUT THE HOLOCAUST David Safier A Dialogue Beyond Borders ISBN: 978-3-86331-338-8 ISBN: 978-3-86331-339-5 ca. 224 Seiten · Hardcover · 19,00 Euro ca. 260 Seiten · 19,00 Euro ISBN: 978-3-86331-333-3 ISBN: 978-3-86331-326-5 160 Seiten · Hardcover · 16,– Euro 404 Seiten · 24,– Euro Im Zentrum der Studie steht die Funktion der ärztlichen Das Sammellager Levetzowstraße wurde im Oktober 1941 Standesorganisationen in Bayern, der Landesärztekam- in der damals zweitgrößten Synagoge Berlins einge- Jerzy Jurandots Komödie »Die Liebe sucht eine Woh- This review includes research conducted in most IHRA mer und der kassenärztlichen Vereinigung, als politische richtet. Es diente dem NS-Regime bis Herbst 1942 als nung«, die im Warschauer Getto entstand und 1942 Member Countries as well as several non-member Verwalter einer Gesundheitspolitik des Ausmerzens zwi- temporärer Haftort zur Vorbereitung der Deportation dort aufgeführt wurde, ist eine außergewöhnliche lite- countries. The multilingual focus of the project enables schen 1933 und 1945. In der »Hauptstadt der Bewegung« von ca. 20 000 Menschen in Gettos und KZ. Die Studie rarische Wiederentdeckung. Das Lustspiel handelt von cross-cultural analyses and the transfer of knowledge waren regionale Ärzteführer an einem ideologischen und schildert die Abläufe im Lager, die Leiden der Opfer, ihre einer Liebesgeschichte im Getto, von Leid, Enge und between various regions and countries. The book’s two strukturellen Umgestaltungsprozess verantwortlich be- Widerstandsstrategien, aber auch die Handlungsräume Hunger, aber auch vom Lachen inmitten des Grauens. parts present the research by language and by selected teiligt, der die Voraussetzung für die Verstrickung in die der Täter. Das Schlusskapitel befasst sich mit der Nach- Jurandot führt in fl otten Dialogen, satirischen Liedern themes. This innovative transnational, translingual study NS-Verbrechen schuf. kriegsgeschichte des Ortes und der gescheiterten justi- und mit manchen Verwicklungen dem Publikum Szenen refl ects IHRA’s core mission: to shape and advance ziellen Aufarbeitung. einer letztlich perspektivlosen Liebe vor. teaching and learning about the Holocaust worldwide.

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