kurz & bündig Mehr Demokratie – die Grundlagen INHALT

MEHR DEMOKRATIE 3 VORWORT 4 DIREKTE DEMOKRATIE: WAS IST DAS EIGENTLICH?

BUNDESWEITE VOLKSENTSCHEIDE 6 ICH HABE JA NICHTS GEGEN DEMOKRATIE, ABER ... 7 WIR WOLLEN BUNDESWEITE ABSTIMMUNGEN, WEIL ... 8 BUNDESWEITE ABSTIMMUNGEN 9 UNSER VORSCHLAG

DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND 10 27 JAHRE MEHR DEMOKRATIE: EINE ERFOLGSBILANZ 14 DIREKTE DEMOKRATIE IN DEN BUNDESLÄNDERN 17 DIREKTE DEMOKRATIE IN STÄDTEN UND GEMEINDEN

DIREKTE DEMOKRATIE INTERNATIONAL 20 DIE SCHWEIZ ALS VORBILD? 22 DIREKTE DEMOKRATIE WELTWEIT

FÜR EINE DEMOKRATISCHE EU 24 DEMOKRATISIERUNG DER EUUROPÄISCHEN UNION 28 GEGEN UNDEMOKRATISCHE HANDELSVERTRÄGE

DEMOKRATIE-THEMEN 32 FÜR EIN FAIRES WAHLRECHT 33 (DIREKTE) DEMOKRATIE BRAUCHT TRANSPARENZ 34 BÜRGERBETEILIGUNG UND DIREKTE DEMOKRATIE ERGÄNZEN SICH SINNVOLL

WIR ÜBER UNS 35 UNSERE PUBLIKATIONEN 36 STRUKTUR VON MEHR DEMOKRATIE 38 KURATORIUM 40 UNSERE PARTNER 42 DIE WICHTIGSTEN BEGRIFFE 43 SERVICE, IMPRESSUM Titelfoto: Michael von der Lohe, Foto links: Moritz Werthschulte Moritz links: Foto der Lohe, Michael von Titelfoto:

2 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 VORWORT

Mehr Demokratie – der Name ist Programm. Seit 1988 engagiert sich der Verein für den Ausbau der Bürgerrechte auf allen politischen Ebenen. Er ist eine der größten Nichtregierungsorganisationen, die sich für Demokratie­entwicklung einsetzt – unabhängig und überparteilich. Wir brauchen mehr demokratische Erlebnisse, Die direkte Demokratie steht im Zentrum unserer politischen Arbeit. Auf Landes- und Gemeindeebene haben wir bisher mehr als 20 Reformen der direkten Demo-­ wenn wir die Demokratie kratie angestoßen. Oft haben wir hierfür selbst Volksbegehren gestartet (Seite 10). stärken wollen.“ Auf der Bundesebene fehlt die direkte Demokratie. Hier sehen wir die derzeit vordringlichste Demokratie-Baustelle. Für die Einführung des bundes­weiten Volks­- CLAUDINE NIERTH entscheids haben wir einen eigenen Gesetzentwurf erarbeitet. Den stellen wir auf Seite 9 vor.

Wir engagieren uns auch für eine Demokratisierung der Europäischen Union und wenden uns gegen undemokratische Handelsverträge wie CETA und TTIP (Seiten 24 und 28). Ein bürgerfreundliches Wahlrecht und Informations­freiheit auf allen Ebenen stehen ebenfalls auf unserer Agenda. Wenn wir aufhören, die Demokratie zu Als Fachverband forschen wir zu direkter Demokratie, schreiben Stellungnahmen entwickeln, fängt und Gesetzentwürfe, erläutern wir in Parlamenten und auf der Straße unsere Demokratie-Ideen. Darüber hinaus beraten wir Initiativen, die ein Bürger- oder die Demokratie an, Volksbegehren starten wollen, verhalten uns jedoch neutral zu den Themen. aufzuhören.“

Mehr Demokratie wird von Beiträgen und Spenden seiner rund 10.000 Mitglieder RALF-UWE BECK und Förderer getragen. Dem Verein steht damit jährlich ein Budget von rund einer Million Euro zur Verfügung. Wir erhalten keine staatliche Förderung. Aktuelle Zahlen finden Sie in unserem Jahresbericht!

Wir setzen uns dafür ein, dass die Menschen die Regeln ihres Zusammenlebens selbst bestimmen können. Bei Mehr Demokratie sehen wir ausnahmslos jeden Menschen als fähig an, für die Gesellschaft bürgen zu wollen und es auch zu können. Die direkte Demokratie verlangt nach einem respektvollen Blick auf die Menschen, sie lebt davon und sie verhilft dazu.

Herzlich grüßen

Claudine Nierth (Vorstandssprecherin) Ralf-Uwe Beck (Vorstandssprecher)

3 MEHR DEMOKRATIE

DIREKTE DEMOKRATIE: WAS IST DAS EIGENTLICH?

Ein Interview mit Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie.

Herr Beck, Ihr Verein setzt sich für die direkte Demo- gesetzt sein, damit ausreichend Zeit ist für die Diskussion und kratie ein. Was ist damit gemeint? Meinungsbildung. Wichtig ist, dass die Auseinandersetzung zwi- Wenn die Bürger/innen eine Sachfrage unmittelbar selbst ent- schen Gewählten und Wähler/innen befördert wird und nicht scheiden, dann nennen wir das „direkte Demokratie“. Damit kön- neue Gräben gezogen werden. Deshalb sollten Kompromisse nen sie sich vom Regierungshandeln unabhängig machen und möglich sein und Alternativen mit zur Abstimmung gestellt verbindliche Entscheidungen fällen, die denen eines Gemeinde- werden können. rates oder eines Parlamentes ebenbürtig sind. Dieses Prinzip sollte auf allen politischen Ebenen selbstverständlich sein. Dann kann Aber die repräsentative Demokratie funktioniert doch gut. das Volk – notfalls – das erste und das letzte Wort haben, kann Mehr oder weniger. Das Vertrauen in die demokratischen Institu- Politik korrigieren oder Themen auf die politische Agenda und zur tionen ist im Keller. Was ist beispielsweise übrig von der Idee, Abstimmung bringen. Dann ist das Volk wirklich der Souverän. dass Regierung und Opposition um die beste Lösung ringen? Heiner Geißler nennt es den Krebsschaden der repräsentativen Aber beim Brexit und dem Volksentscheid in Ungarn zur Demokratie, dass Vorschläge der Opposition schon deshalb nicht Flüchtlingspolitik hat sich das Volk doch nicht von der ernst genommen werden, weil sie eben von der Opposition kom- Regierung unabhängig gemacht? men. Der Wille, an die Macht zu kommen oder dort zu bleiben, In der Tat. Premierminister David Cameron hat das Brexit- gehört zu den Parteien wie der Wind zum geblähten Segel. Das Referendum eingestielt in der Hoffnung, damit seinen Machter- ist gut so, es hält sie auf Spannung, treibt sie an. Aber mitunter halt zu sichern. Und das ungarische Referendum war ebenfalls geht es etwas mehr um die eigenen Interessen oder die der Partei „von oben“ angesetzt. Solche Befragungen sind – das zeigen die und etwas weniger um die des Volkes. beiden Beispiele – anfällig für Missbrauch: Die Regierung for- muliert die Frage, legt den Abstimmungstag fest und blendet Gibt es nicht eine Fülle von Mitwirkungsrechten, die nur Alternativen aus. Das ist nicht die direkte Demokratie, wie wir genutzt werden müssten? sie in Deutschland kennen und anstreben. Aber ja, die Palette ist gerade in den Kommunen recht breit. Dennoch gibt es ein „Aber“: Alles, was Menschen an Kritik Wie sollte die direkte Demokratie denn gestaltet sein? oder Ideen vorbringen, immer bleibt es im Belieben von Politik Sie sollte ein Instrument in der Hand der Bürger/innen sein – fair oder Verwaltung, ob die Anregungen aufgenommen werden und nachvollziehbar gestaltet, mit Hürden, die Initiativen nicht oder nicht. Wir haben ein Recht darauf, uns Gehör zu verschaf- vor die Wand laufen lassen. Zudem sollten die Fristen nicht eng fen, nicht aber darauf, gehört zu werden.

4 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 MEHR DEMOKRATIE

Ich freue mich sehr über Ihre bisherigen Aktivitäten und habe große Zuversicht, dass wir etwas Positives im Sinne einer wahren Demokratiebewegung für uns selbst, unsere Kinder und für ALLE Menschen weltweit erreichen werden!“

BERND H. (MÜNSTER)

Und da kommt die direkte Demokratie ins Spiel … den Ausbau gegeben. Und noch immer gibt es in vielen Ländern Genau. Mit der direkten Demokratie können wir – notfalls, erheblichen Reformbedarf. Wie soll die direkte Demokratie wenn unsere Interessen ignoriert werden – eine Sache selbst in ihre Wirkungen ausspielen, wenn ein Bürgerrecht nur vorge- die Hand nehmen. Diese Möglichkeit sorgt dafür, dass Men- gaukelt wird und nicht nutzbar ist? Auf Bundesebene muss die schen ernster genommen und weniger abgebügelt werden. direkte Demokratie überhaupt erst noch erkämpft werden. Wir sind das einzige Land in der Europäischen Union, das noch nie Aber das muss doch die Gewählten verunsichern? einen Volksentscheid über ein bundespolitisches Thema erlebt Das darf es auch, macht aber den Mandatsträger/innen nicht hat. Hier haben wir die größte demokratiepolitische Baustelle die politische Bühne streitig. Das Volk wird nicht aus Jux und Deutschlands vor uns. Eine Peinlichkeit. Immerhin verlangt die Tollerei eine Entscheidung nach der anderen fällen. Die reprä- Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger danach – und auch die sentative Demokratie ist und bleibt das Standbein im demokra- deutliche Mehrheit der CDU-Wählerschaft. tischen System, die direkte Demokratie das Spielbein. Warum unterstreichen Sie das? …ein Spielbein, das die repräsentative Demokratie Weil bisher alle Versuche, die direkte Demokratie auf Bundes- antreibt. ebene einzuführen, an der Unionsfraktion im ge- Damit sie so wirkt, muss die direkte Demokratie nicht einmal scheitert sind. genutzt werden, sie muss nur fair geregelt sein. Dann hören die Gewählten aufmerksamer die Anliegen und Interessen der Bür- Sind die Menschen denn wirklich bereit, Verantwortung ger/innen an, reden mehr mit ihnen und entscheiden weniger zu übernehmen? über deren Köpfe hinweg. Letztlich wirkt die direkte Demokra- Demokratie will eingeübt werden. Mit jeder Erfahrung, die tie wie ein Gummiband, das die Gewählten immer wieder zu Menschen mit dem Gewicht ihrer eigenen Stimme machen, den Interessen der Menschen zurückholt. Das schwächt die re- wird sich das Wort Bürgerin, Bürger würdevoller anhören, we- präsentative Demokratie nicht, sondern stärkt sie. Die repräsen- niger nach Spießbürger, nach Zaungast oder Bittsteller, mehr tative Demokratie wird repräsentativer. nach Verantwortung. Bei Mehr Demokratie sehen wir aus- nahmslos jeden Menschen als fähig an, für die Gesellschaft Wo klemmt es? bürgen zu wollen und es auch zu können. Die direkte Demokra- Die direkte Demokratie ist in Deutschland eine junge Pflanze. tie verlangt nach einem respektvollen Blick auf die Menschen, Erst die Herbstrevolution 1989 hat einen deutlichen Impuls für sie lebt davon und sie verhilft dazu.

5 BUNDESWEITE VOLKSENTSCHEIDE

Weil es um die gemeinsame Erledigung der gemeinsamen Angelegenheiten geht!“

MARTIN BURWITZ ()

ICH HABE JA NICHTS GEGEN DEMOKRATIE, ABER …

In unserer täglichen Arbeit begegnen uns immer wieder auch Vorbehalte gegen- über der direkten Demokratie. Unsere Antworten auf die häufigsten Zweifel.

… man kann doch nicht dauernd über alles abstimmen! schwedische Ministerpräsident Olof Palme geantwortet. Auch wenn die direkte Demokratie gut ausgebaut ist, werden „Akzeptiert man einen solchen Gedanken, so hat man einen die allermeisten Gesetze vom Parlament beschlossen. Die ersten Schritt in Richtung Technokratie, Expertenherrschaft, repräsentative Demokratie bleibt das Standbein. Das Spielbein, Oligarchie getan.“ die direkte Demokratie, wird nur dann genutzt, wenn den Men- Die direkte Demokratie gibt oft den Anstoß, komplexe schen tatsächlich etwas auf den Nägeln brennt. Schließlich ist Sachverhalte verständlich darzustellen und sich mit ihnen aus- ein Volksbegehren kein Spaziergang, sondern bedeutet erhebli- einanderzusetzen. chen Aufwand und braucht einen langen Atem. … und wenn Rechtsradikale die direkte Demokratie nutzen? … nicht jede Entscheidung lässt sich auf ein einfaches In der Tat stehen die demokratischen Instrumente allen in der „Ja“ oder „Nein“ reduzieren! Gesellschaft zur Verfügung. Jede und jeder kann in einer Im Bundestag kann eine Vorlage bis unmittelbar vor der Ja/ Demokratie über das Volksbegehren eine Frage stellen. Zur Nein-Entscheidung noch geändert werden. So flexibel geht es Antwort ist dann das ganze Volk aufgerufen. Volksbegehren, bei einem Volksentscheid nicht zu. Doch wird jedes Volksbe- die Grund- und Minderheitenrechte antasten, wären unzuläs- gehren auch vom Parlament behandelt, so dass alle Vorteile des sig. Im Übrigen: Weder Wahlen noch Abstimmungen sind parlamentarischen Verfahrens zum Tragen kommen können verantwortlich für den Zustand einer Gesellschaft, sie spie- – insbesondere wenn das Parlament beim Volksentscheid einen geln ihn nur. Alternativentwurf mit zur Abstimmung stellt oder Initiative und Parlament einen Kompromiss aushandeln. … bedient sich das Volk dann nicht einfach selbst? Falsch. Studien belegen drei Effekte, wenn die Menschen wie in … viele Themen sind doch viel zu komplex! der Schweiz über den Einsatz ihrer eigenen Steuergelder ent- „Es ist eine Irrlehre, dass es Fragen gibt, die für normale Men- scheiden können: Die Ausgaben der öffentlichen Hand, die Ver- schen zu groß oder zu kompliziert sind“, hätte der ehemalige schuldung und sogar die Steuerhinterziehung gehen zurück.

6 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 BUNDESWEITE VOLKSENTSCHEIDE

WIR WOLLEN BUNDESWEITE ABSTIMMUNGEN, WEIL …

Mit der direkten Demokratie gewinnen die Bürger/innen an Einfluss, die Parlamente an Bürgernähe.

… wählen allein nicht reicht! lang Millionen Menschen vorgestellt werden. Das weckt das Nur alle paar Jahre ein Kreuz zu machen, das ist eine demokra- Interesse der Bürger/innen und rückt politische Sachdebatten in tische Unterforderung. In den Kommunen gab es bisher rund die Mitte der Gesellschaft. 7.000 Bürgerbegehren, von denen die Hälfte in einen Bürger­ entscheid mündete. Auf Landesebene liefen bisher 85 Volksbe- … wichtige Themen Karriere machen können! gehren und 22 Volksentscheide. Nur auf Bundesebene wird uns Die direkte Demokratie macht Ideen und Konzepte politikfä- dieses Recht vollständig verweigert. Deutschland ist das einzi- hig. Das belebt politische Debatten und kann verkrustete „alter- ge unter den Ländern der EU, das noch nie einen bundesweiten nativlose“ Politik aufbrechen. Im Verfahren der dreistufigen Volksentscheid erlebt hat. Volksgesetzgebung zeigt sich, ob das Anliegen genügend Rück- halt in der Bevölkerung findet und ob die Frage so wichtig ist, … sie die repräsentative Demokratie repräsentativer dass sie dem gesamten Volk zur Entscheidung vorgelegt werden machen! sollte. Die direkte Demokratie zieht wie ein Gummiband die Gewähl- ten immer wieder zurück an die Interessen des Volkes. Weil die … gerade Schicksalsfragen von den Bürger/innen ent- Bürger/innen, wenn sie wollen, selbst entscheiden können, schieden werden sollten! kommen die Volksvertreter/innen an deren Anliegen weniger Volksabstimmungen stellen politische Grundsatzentscheidun- vorbei. Sie müssen mehr mit uns reden und können weniger gen, die sich auf spätere Generationen auswirken, auf eine breite über unsere Köpfe hinweg entscheiden – und repräsentieren da- Basis. Die Bürger/innen können dann auch Schicksalsfragen an- durch ihre Wähler/innen besser als ohne direkte Demokratie. gehen, die von der Politik nur zaghaft angefasst werden – etwa die Altersversorgung, der Klimawandel, das Finanzsystem. … Volksbegehren aufdecken, wo Probleme liegen! Wird ein Volksbegehren gestartet, signalisiert das der Politik: … wir so den aufrechten Gang üben können! Hier ist den Menschen ein Thema wichtig, es gibt Handlungsbe- Freiheit, Verantwortung, Menschenwürde – diese Werte sind darf. Das Parlament kann dann darauf reagieren. für Mehr Demokratie untrennbar. Bürger/in zu sein meint, bürgen zu können für das Gemeinwohl. Die Menschenwürde … die direkte Demokratie Gespräche auf Augenhöhe fördert! verlangt danach, selbstbestimmt zu leben. Mit der direkten De- Für die Unterschriftensammlung zu einem Volksbegehren mokratie können sich die Menschen in ihre eigenen Angelegen- muss das Anliegen in die Öffentlichkeit getragen und monate- heiten einmischen.

7 Die zentrale Forderung von Mehr Demokratie als Fotomontage.

BUNDESWEITE ABSTIMMUNGEN

„... alle Staatsgewalt geht vom Volke aus ...“

Die direkte Demokratie als Ergänzung zur repräsentativen De- Grundgesetzes ausgearbeitet und in einer Mitgliederurabstim- mokratie – dieses Prinzip ist in ausnahmslos allen Bundesländern mung beschlossen. Außerdem wurde ein Ausführungsgesetz auf kommunaler und auf Landesebene verwirklicht. Die Kommu- (Bundesabstimmungsgesetz) erarbeitet. Damit schlägt Mehr nalordnungen bieten Bürgerbegehren und Bürgerentscheide und Demokratie zugleich vor, wie der bundesweite Volksentscheid die Landesverfassungen Volksbegehren und Volksentscheide an. konkret ausgestaltet werden soll. Das Instrument soll fair gere- gelt sein und so von den Bürger/innen auch genutzt werden kön- Auf Bundesebene jedoch können die Bürger/innen bisher nicht nen. Gleichzeitig soll der Dialog zwischen den Bürger/innen direkt mitentscheiden. Im Artikel 20 des Grundgesetzes heißt es und dem Bundestag befördert werden. zwar: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Vol- ke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe Mehr Demokratie novelliert damit seinen eigenen Entwurf aus der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtspre- dem Jahr 2001. In dem hier vorgelegten, vollständig überarbei- chung ausgeübt.“ Eingelöst aber ist dieses Versprechen bisher teten Vorschlag sind vor allem Erfahrungen aus der Schweiz nicht. Deutschland ist damit das einzige Land in Europa, das seit und den USA sowie aus der Praxis der direkten Demokratie in Ende des zweiten Weltkrieges noch nie einen Volksentscheid auf den deutschen Bundesländern eingeflossen. nationaler Ebene erlebt hat. Das soll sich ändern. Die Forderung von Mehr Demokratie lautet: Volksentscheid – bundesweit! Dafür ist eine Grundgesetzänderung notwendig, die mit Zweidrittel- DER GESETZENTWURF IM WORTLAUT mehrheit vom Bundestag und vom Bundesrat zu beschließen ist. Hier finden Sie den vollständigen Gesetzentwurf: Für die Einführung des bundesweiten Volksentscheids hat www.mehr-demokratie.de/gesetzentwurf Mehr Demokratie einen Gesetzentwurf zur Änderung des

8 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 BUNDESWEITE VOLKSENTSCHEIDE

UNSER VORSCHLAG

1. Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide Konkreter Vorschlag für (Volksgesetzgebung) die Volksgesetzgebung (zu 1.)

Hier kommt der politische Vorschlag aus der Mitte des Volkes. Bürgerinnen und Bürger erar­beiten Bis der Vorschlag Gesetz werden kann, sind drei Stufen zu einen Gesetzentwurf oder einen politischen Vorschlag. Dabei können überwinden: Volksinitiative, Volksbegehren und Volksent- sie all das zum Thema machen, was scheid – erläutert in der nebenstehenden Zeichnung. auch Sache des Bundestages ist.

Für eine Volksinitiative sind 100.000 Unterschriften zu sammeln.

Der Vorschlag wird im Bundes­­­tag behandelt. Die Initiative hat Rede­ recht. Lehnt der Bundestag den Vorschlag ab, kann ein Volksbegeh- 2. Volksbegehren, mit denen verlangt werden kann, ren beantragt werden. Gesetzentwürfe und Entscheidungen des Bundestages Bestehen Zweifel an der Verfassungs­ per Volksentscheid zu überprüfen (fakultative Referenden) gemäßheit des Vorschlages, kann die Gesetze, die vom Bundestag verabschiedet werden, sollen erst Bundesregierung­ oder ein Drittel des Bundestages das Bundesverfassungs- nach 100 Tagen in Kraft treten. Wird in dieser Zeit ein Volksbe- gericht anrufen. gehren gegen das Gesetz gestartet und kommen 500.000 Unterschriften zusammen, muss das Gesetz vors Volk. Erst Für ein Volksbegehren sind eine Million Unterschriften notwendig, wenn das Gesetz bei einem Volksentscheid die Mehrheit der für grundgesetz­ändernde Volks­ Stimmen erhält, tritt es in Kraft – wenn nicht, dann nicht. begehren 1,5 Millionen.

3. Zwingend stattfindende Volksentscheide, wenn Volksentscheid: Der Bundestag­ kann einen Alternativvorschlag mit Kompetenzen auf die EU übertragen werden und zur Abstimmung stellen. An alle wenn das Grundgesetz geändert werden soll Haushalte geht ein Abstimmungs- (obligatorische Referenden) heft. Es entscheidet die einfache Mehrheit. Grundgesetzändernde Änderungen des Grundgesetzes, die der Bundestag beschlossen Volksentscheide benötigen hat, müssen zwingend vom Volk bestätigt werden. Gibt der außerdem das „Ländermehr“, eine Mehrheit in den Bundesländern. Bundestag Kompetenzen auf EU-Ebene ab, muss auch hier das Volk zustimmen.

9 DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND

27 JAHRE MEHR DEMOKRATIE: EINE ERFOLGSBILANZ

Seit mehr als 25 Jahren machen wir uns für Mitbestimmung stark, in Gemeinden, in Bundesländern, auf Bundesebene und in der EU. Dank der Unterstützung unserer Mitglieder konnten wir schon viele Erfolge feiern.

Der Landesverband Bayern bildet den Ursprung von Mehr Campact und foodwatch mehr als 125.000 Unterstützer/in- Demokratie in Deutschland. Hier feierte der Verein den ersten nen gewonnen haben großen Erfolg seiner Strategie, Verbesserungen für die direkte n die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative Stop TTIP Demokratie durch direkte Demokratie zu erreichen. Am 25. Ok- angestoßen, deren Unterstützerbündnis aus europaweit über tober 1992 trafen sich in Nürnberg 18 engagierte Leute, die ein 500 Organisationen mehr als 3,3 Millionen Unterschriften Volksbegehren für „Mehr Demokratie in Bayern“ anschieben gegen die demokratiegefährdenden Abkommen CETA und wollten. Es sollte Bürgerentscheide in Gemeinden und Kreisen TTIP gesammelt hat ermöglichen. Am 3. April 1993 gründete sich der Verein „Mehr n in rund 20 Fällen bessere Mitbestimmungsrechte für die Bür- Demokratie in Bayern“ offiziell. Das Volksbegehren war ein ger/innen erkämpft und als „demokratisches Gewissen“ un- Riesen-Erfolg: In nur zwei Wochen trugen sich 1,2 Millionen durchsichtige und unfaire Regelungen angeprangert. Menschen (13,7 Prozent der Wahlberechtigten) in den Ämtern ein. Möglich war dies auch durch ein großes, bayernweites Bundesebene Bündnis quer durch die Zivilgesellschaft. Auf der Bundesebene steht die Einführung der Volksgesetzge- Im Volksentscheid am 1. Oktober 1995 gewann in 86 von bung noch aus. Doch wir lassen nicht locker. Für die Einführung 94 Landkreisen und kreisfreien Städten der Gesetzentwurf bundesweiter Volksabstimmungen haben wir schon etliche Kam- von Mehr Demokratie. Die regierende CSU kassiert ihre erste pagnen und Aktionen gestartet. Im Jahr 2002 stimmte erstmals landesweite Abstimmungsniederlage. Der Erfolg von „Mehr eine Mehrheit von 63,38 Prozent im Bundestag für die Einfüh- Demokratie in Bayern“ hat über die Landesgrenzen hinaus viel rung bundesweiter Volksentscheide. Die nötige Zweidrittel- Mut gemacht. Initiativen in anderen Bundesländern folgten. Mehrheit scheiterte knapp an der Union und Teilen der FDP. 2009 folgte die Kampagne „Volksentscheid ins Grundgesetz“. Unter Insgesamt hat Mehr Demokratie bis heute: dem Motto „Volksentscheid – bundesweit“ schaffte Mehr Demo- n mehr als 20 Volksbegehren und Volksinitiativen initiiert kratie es immerhin, das Thema 2013 in die Koalitionsverhandlun- n rund fünf Millionen Unterschriften gesammelt gen zu bringen. Buchstäblich in letzter Minute scheiterte die Ein- n die größte Verfassungsbeschwerde der deutschen Geschichte führung direkter Demokratie auf Bundesebene am Veto von initiiert („Nein zu CETA“), für die wir im Bündnis mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

10 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND

Die Demokratie muss immer wieder modernisiert und sie muss gegen ständige Angriffe verteidigt werden.“

HELENA PELTONEN (HAMBURG)

Faire Volksabstimmungen liefern uns die Bildung, die wir brauchen, um als Gesellschaft weiterzukommen.“

MATTHIAS KLAREBACH (LAUBACH)

DIE BUNDESWEITE VOLKSABSTIMMUNG IM BUNDESTAG

Datum einbringende Gegenstand Fraktion

25.11.1992 B‘ 90/DIE GRÜNEN Volksgesetzgebung

24.03.1998 B‘ 90/DIE GRÜNEN Volksgesetzgebung

09.06.1999 PDS Volksgesetzgebung

13.03.2002 SPD und Volksgesetzgebung Niemals aufgeben! Ihr leistet B‘ 90/DIE GRÜNEN verdammt gute und wichtige 04.06.2003 FDP Referendum über Arbeit.“ EU-Verfassung

Volksgesetzgebung 25.01.2006 FDP VANESSA LIEBIG (FRANKFURT/MAIN) 15.02.2006 B‘ 90/DIE GRÜNEN Volksgesetzgebung

09.05.2006 DIE LINKE Volksgesetzgebung

24.03.2010 DIE LINKE Volksgesetzgebung

07.11.2012 DIE LINKE Referendum bei EU-Vertragsänderungen

14.06.2013 SPD Volksgesetzgebung, fakultatives Referendum

17.03.2014 DIE LINKE Volksgesetzgebung

24.10.2017 DIE LINKE Volksgesetzgebung

11 DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND

REFORMEN IN DEN BUNDESLÄNDERN 2006 BERLIN Volksbegehren und Volks­ entscheide erleichtert 1989 SCHLESWIG-HOLSTEIN Direkte Demokratie auf Kommunal- und Landesebene 2005 eingeführt BADEN-WÜRTTEMBERG Direkte Demokratie in den Kommunen verbessert

BERLIN Direkte Demokratie in den 1995 Bezirken eingeführt BAYERN Direkte Demokratie in MEILENSTEINEKommunen durch Volks­ entscheid eingeführt 2002 NORDRHEIN-WESTFALEN Reform der direkten Demo­ 1998 kratie auf Landesebene 2008 HAMBURG HAMBURG Direkte Demokratie in Verbindlichere Volksentscheide Kommunen durch Volks­ durch Volksbegehren DERentscheid eingeführt DIREKTEN 2003 THÜRINGEN Reform der direkten Demo­ kratie auf Landesebene, angestoßen durch Volks­ DEMOKRATIEbegehren SCHLESWIG-HOLSTEIN Direkte Demokratie in den Kommunen verbessert

EUROPA Europäische Bürgerinitiative ins Vertragswerk der Euro­ päischen Union aufgenommen

12 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND

2013 SCHLESWIG-HOLSTEIN Direkte Demokratie in den Kommunen verbessert nach Volksinitiative

SAARLAND Reform der direkten Demo­ kratie auf Landesebene BREMEN 2014/16 Reform der direkten Demo­ SCHLESWIG-HOLSTEIN kratie auf Landesebene und Reform der direkten Demo­ 2009 in der Stadt Bremen kratie auf Landesebene THÜRINGEN SACHSEN Bürgerbegehren vereinfacht Direkte Demokratie in den durch Volksbegehren Kommunen leicht verbessert BREMEN Reform der direkten Demo­ kratie auf Landesebene 2016 RHEINLAND-PFALZ Reform der direkten Demo­ MEILENSTEINEkratie auf Landes- und 2014 Kommunalebene SACHSEN-ANHALT MECKLENBURG-VORPOMMERN 2011 Direkte Demokratie in den Reform der direkten Demo­ kratie auf Landesebene NORDRHEIN-WESTFALEN Kommunen und auf Landes­ ebene verbessert Reform der direkten Demo­ HESSEN kratie auf Landes- und Direkte Demokratie in den Kommunalebene Kommunen reformiert

HESSEN THÜRINGEN DER DIREKTENDirekte Demokratie in den Direkte Demokratie in den Kommunen reformiert Kommunen verbessert

BRANDENBURG NIEDERSACHSEN Volksbegehren verbessert Direkte Demokratie in den Kommunen verbessert NIEDERSACHSEN Direkte Demokratie in den Kommunen leicht verbessert 2015 BREMEN Direkte Demokratie in der DEMOKRATIEStadt Bremerhaven verbessert 2012 BADEN-WÜRTTEMBERG Reform der direkten Demo­ EUROPA kratie auf Landes- und Europäische Bürger­ Kommunalebene initiative (EBI) eingeführt

HAMBURG Direkte Demokratie in den Kommunen verbessert

BREMEN Direkte Demokratie in der Stadt Bremerhaven verbessert

13 DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND

DIREKTE DEMOKRATIE IN DEN BUNDESLÄNDERN

Mit Volksbegehren und Volksentscheiden können sich die Bürger/innen direkt in die Landespolitik einmischen und in wichtigen Sachfragen selbst entscheiden.

AUTOR FRANK REHMET

Es gibt sie, aber noch nicht überall Durchschnittliche Beteiligung Volksentscheide sind noch relativ rar in Deutschland. Rund 25 An Volksentscheiden, die nicht gleichzeitig mit einer Wahl statt- Volksbegehren haben es bisher zum Volksentscheid geschafft. finden, nehmen im Schnitt 34,1 Prozent der Abstimmenden teil Sie fanden in sieben der 16 Bundesländer statt: Berlin, Bayern, – rund 18 Prozent weniger als bei Landtagswahlen. Schließlich Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt geht es bei Volksentscheiden nur um eine einzige Sachfrage, von und Schleswig-Holstein. In manchen Bundesländern sind die der nicht alle in gleichem Umfang betroffen sind. Oft fühlen sich Gesetze eher dazu geschaffen, Mitbestimmung zu verhindern. ganze Bevölkerungsgruppen gar nicht angesprochen. Vor diesem Saarland und Baden-Württemberg zum Beispiel haben noch Hintergrund ist eine Beteiligung von knapp 34 Prozent ein guter nicht einmal ein Volksbegehren erlebt. Wo die direkte Demokra- Wert. An Volksentscheiden, die zeitgleich mit Wahlen stattfin- tie fair geregelt ist, lebt die Mitbestimmung dagegen auf. den, beteiligen sich durchschnittlich 60,5 Prozent der Stimmbe- Im Vergleich der Regelungen haben es die Bürger/innen in rechtigten. Die Menschen ergreifen also die Chance auf Mitbe- Hamburg, Bayern und Bremen am leichtesten, sich mit Volks- stimmung, wenn sie ihnen geboten wird. begehren und Volksentscheiden in die Landespolitik einzumi- schen. Am schwierigsten ist dies im Saarland und in Hessen. Thematische Schwerpunkte: Bildung, Kultur, Demokratie Hier sind die Gesetze so restriktiv, dass sie faktisch direkte De- Volksbegehren beschränken sich auf Themen der Landespoli- mokratie auf Landesebene verhindern. tik. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der Themenkom- plex „Bildung und Kultur“ die meisten Begehren beschäftigt Aufschwung nach 1989 (27 Prozent). Ebenfalls stark vertreten sind Fragen der Demo- Im Zuge der Friedlichen Revolution verstärkte sich der Aufbau kratie, Staatsorganisation und Innenpolitik (24 Prozent). Mit der direkten Demokratie in ganz Deutschland. Die Landes- und etwas Abstand folgen dann Wirtschaft (14 Prozent), Soziales Kommunalverfassungen aller ostdeutschen Bundesländer (11 Prozent), Umwelt (9 Prozent) und Verkehr (7 Prozent). Lei- enthielten die direkte Demokratie von Anfang an. In den meis- der dürfen bisher vielerorts Volksbegehren nicht zu allen lan- ten westdeutschen Bundesländern dagegen existierten diese despolitischen Themen stattfinden. Instrumente wegen der viel zu strengen Regeln nur in der Theo- rie. In den 43 Jahren zwischen 1946 und 1989 starteten insge- Wie erfolgreich sind Volksbegehren? samt 28 Verfahren, in den 25 Jahren zwischen 1990 und 2015 Damit eine Initiative Erfolg hat, muss sie nicht unbedingt im elfmal so viele, nämlich 337. Seitdem schwanken die Fallzah- Volksentscheid gewinnen. Übernimmt der Landtag die For- len. Mal gibt es 22 direktdemokratische Verfahren pro Jahr, mal derungen des Volksbegehrens, hat sie ihr Anliegen ebenfalls nur sechs. Ein eindeutiger Trend ist nicht auszumachen. durchgesetzt. Das erreicht jede fünfte Initiative. Ein Kompro-

14 mehr demokratie | die grundlagen | 2017 DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND

Hamburg befriedigend (2,6) 1

Bremen befriedigend (2,7) 2

Bayern befriedigend (2,9) 3

Schleswig-Holstein befriedigend (3,3) 4

4 Baden-Württemberg befriedigend (3,4) 5 12 1 2 Nordrhein-Westfalen ausreichend (3,5) 6 14 9 - 11

13 Sachsen ausreichend (3,8) 7 8

6

Sachsen-Anhalt ausreichend (3,9) 8 7 15 9 - 11

9 - 11 Thüringen ausreichend (4,0) 9 - 11

16 Rheinland-Pfalz ausreichend (4,0) 9 - 11 3 5

Berlin ausreichend (4,0) 9 - 11

Mecklenburg-Vorpommern ausreichend (4,1) 12

Brandenburg ausreichend (4,2) 13

Niedersachsen ausreichend (4,4) 14

Hessen mangelhaft (4,5) 15

Saarland mangelhaft (4,7) 16

Anzahl der Volksinitiativen/Anträge auf Färbung der Bundesländer: Je dunkler das Volksbegehren seit Einführung des Instruments Land, desto besser die Regelungen

Anzahl der Volksbegehren

Anzahl der Volksentscheide Quellen: Datenbank Bürgerbegehren, Volksentscheids- Ranking von Mehr Demokratie 2016 sowie eigene Erhebungen.

15 DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND

VORSCHLÄGE FÜR EINE BÜRGERFREUNDLICHE DIREKTDEMOKRATIE

n Streichung des Finanztabus. Auch Volksbegehren, deren n In der Abstimmung soll – wie bei Wahlen – die Mehrheit Umsetzung weiter reichende finanzielle Folgen hat, sollen entscheiden. Quoren, die eine Mindestzustimmung oder zulässig sein. In Berlin, Bremen, Hamburg und Sachsen ist Mindestbeteiligung vorschreiben, gehören gestrichen, dies schon teilweise der Fall. zumindest aber deutlich gesenkt. Drei Bundesländer n Senkung des Unterschriftenquorums beim Volksbegeh- kommen bei Abstimmungen über einfache Gesetze ohne ren auf etwa drei Prozent der Stimmberechtigten. Vier zusätzliche Hürden aus (Bayern, Hessen, Sachsen). Bei Länder setzen mit vier bis fünf Prozent bereits moderate Verfassungsänderungen gelten überall zusätzliche Hürden. Abstimmungsquoren. In Hessen sind Verfassungsänderun- n Zulassung der freien Unterschriftensammlung und gen per direkter Demokratie überhaupt nicht möglich. ausreichende Fristen. Bürger/innen sollten nicht mehr n Zentrale Fragen – zum Beispiel Verfassungsänderungen aufs Amt müssen, wenn sie für ein Volksbegehren oder die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen – sollten unterschreiben wollen. Momentan ist das noch in vier zwingend in einer Volksabstimmung entschieden werden Bundesländern Pflicht. (sogenanntes „obligatorisches Referendum“).

miss mit dem Parlament sichert der Initiative wenigstens ei- te Stufe Volksbegehren) nicht genügend Unterschriften sammelt nen Teilerfolg. Insgesamt kommen auf Landesebene nur – hier sind die Hürden in fast allen Ländern angemessen –, hat knapp ein Drittel aller direktdemokratischen Verfahren durch dies in der Regel der eigenen organisatorischen Schwäche oder (29 Prozent). Zwei von drei Initiativen scheitern. Was sind die der mangelnden Popularität des Themas zuzuschreiben. Gründe dafür? Hürden beim Volksentscheid Stolpersteine für Volksbegehren Kann ein Volksbegehren all diese Hürden meistern, kommt es Unzulässigkeit zum Volksentscheid. Hier steht ihm der letzte Stolperstein be- Viele Volksbegehren scheitern schon in der Antragsphase. Sie vor. Denn während bei Abstimmungen in der Schweiz und in werden für unzulässig erklärt, häufig aufgrund des so genannten fast allen Bundesstaaten der USA die Mehrheit der abgegebe- Finanztabus. Anders als in der Schweiz und in den USA ist es nen Stimmen entscheidet – wie bei Wahlen auch –, schreibt die den Bürger/innen der meisten Bundesländer nicht erlaubt, über Mehrzahl der Bundesländer für Volksentscheide ein Zustim- die Verwendung von Steuern zu bestimmen. Dieses Finanztabu mungsquorum vor. Das bedeutet, bei einfachen Gesetzen muss behindert die direkte Demokratie erheblich, denn es gibt nur in der Regel mindestens ein Viertel, bei Verfassungsänderun- wenige Entscheidungen ohne finanzielle Folgen. gen oft die Hälfte der Stimmberechtigten zustimmen. Für eine Verfassungsänderung ein „Ja“ von 50 Prozent der Stimmbe- Unterschriftenquorum rechtigten zu erhalten, ist praktisch unmöglich. Noch nie hat Rund die Hälfte aller Anträge, die die zweite Verfahrensstufe eine Initiative diese Hürde geschafft. – das Volksbegehren – erreichen, scheitern an der Unterschrif- tenhürde. Zwischen 8 und 20 Prozent der Stimmberechtigten Etappensiege auf dem Weg zu mehr Mitbestimmung müssen ein Volksbegehren unterzeichnen, damit es durchkommt. Mehr Demokratie hat in den Ländern etliche Reformen durch- Unter diesen Bedingungen wird ein Volksbegehren zum Kraft- gesetzt, zum Teil mit eigenen Volksbegehren. Mittlerweile wer- akt. Bisher ist das Unterschriftenquorum nur in Brandenburg und den Regierungen und Landtage auch selbst aktiv und bauen re- Schleswig-Holstein mit rund vier Prozent sowie in Hamburg und striktive Regeln ab. Hier ist viel in Bewegung gekommen! / Bremen mit fünf Prozent bürgerfreundlich geregelt. Neben ho- hen Quoren erschwert bisweilen der Zwang, die Unterschrift auf Frank Rehmet einem Amt leisten zu müssen, den Erfolg von Volksbegehren. Politikwissenschaftler, wissenschaftlicher Koordinator Natürlich scheitern Initiativen nicht nur an zu strikten gesetz- von Mehr Demokratie. lichen Regeln. Wer in der Antragsphase (Volksinitiative oder ers- Kontakt: [email protected]

16 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND

DIREKTE DEMOKRATIE IN STÄDTEN UND GEMEINDEN

Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind die „Schule der direkten Demokratie“. Hier entscheiden Menschen über Dinge, die sie unmittelbar betreffen. In den vergangenen 20 Jahren hat sich eine lebendige Praxis entwickelt.

AUTOR FRANK REHMET

Wenig, aber immer mehr Themenvielfalt bei Bürgerbegehren und -entscheiden Seit dem Jahr 1956 bis Ende 2015 fanden in deutschen Städten Rund ein Fünftel aller Bürgerbegehren zielt auf Wirtschaftspro- und Gemeinden etwa 5.800 Bürgerbegehren und 1.200 Ratsre- jekte wie den Bau von Supermärkten; etwas weniger häufig ferenden statt. Davon mündeten 3.500 in einen Bürgerentscheid. sind Entscheidungen rund um öffentliche Sozial- und Bildungs- Im Schnitt entspricht das 250 bis 300 Bürgerbegehren pro Jahr. einrichtungen wie Schulen oder Kindergärten (18 Prozent). Der große Siegeszug der direkten Demokratie begann 1989. 17 Prozent der Begehren behandeln Verkehrsprojekte wie bei- Vorher waren nur in Baden-Württemberg Bürgerbegehren spielsweise Umgehungsstraßen, 14,5 Prozent die öffentliche möglich. Mit der Demokratisierungswelle nach der Friedlichen Infrastruktur und Versorgungseinrichtungen, etwa die Wasser- Revolution wurde das Recht auf kommunale direkte Mitbestim- versorgung oder einen Rathausneubau. Bürgerbegehren zu mung in ganz Deutschland verankert – teilweise unter Mithilfe Bauprojekten sind in vier von 16 Bundesländern nicht erlaubt von Mehr Demokratie. und in vier weiteren nur teilweise zulässig.

Regionale Unterschiede Fast die Hälfte aller Bürgerbegehren erfolgreich Insgesamt betrachtet stecken Bürgerbegehren und -entscheide Rund 40 Prozent aller bisherigen Bürgerbegehren waren erfolg- noch in den Kinderschuhen: Viele deutsche Städte und Gemein- reich im Sinne der Vorlage. Dafür ist nicht unbedingt ein Bürger­ den haben noch nie ein direktdemokratisches Verfahren erlebt! Die regionalen Unterschiede sind enorm. Im Saarland gab es bisher 16 Bürgerbegehren, während Bayern mit rund 2.300 fast die Hälfte aller Bürgerbegehren in Deutschland auf sich verei- nigt. Dort, wo wie in Bayern die Spielregeln für Bürgerbegehren ZUM WEITERLESEN: Volksentscheids-Ranking fair sind, nutzen die Menschen dieses Instrument häufig und Das Ranking vergleicht die Regelungen für haben inzwischen auch die meisten Kommunalpolitiker/innen direkte Demokratie der einzelnen Bundesländer. davon überzeugt, dass Bürgerbegehren die Demokratie vor Ort www.mehr-demokratie.de/volksentscheidsranking beleben und verbessern. Am besten geregelt sind Bürgerbegeh- ren derzeit in Bayern, Thüringen, Schleswig-Holstein, Hamburg Bürgerbegehrensbericht und Berlin. Er wertet die direktdemokratische Praxis in den Städten und Gemeinden wissenschaftlich aus. www.mehr-demokratie.de/buergerbegehrensbericht Direkte Demokratie ist keine Nischenveranstaltung Im Schnitt beteiligt sich rund die Hälfte der Stimmberechtigten Volksbegehrensbericht an einem Bürgerentscheid. Das ist ein guter Wert, auch gemes- Er wertet die direktdemokratische Praxis in den sen an Wahlbeteiligungen. Er zeigt, dass die Bürger/innen sich Bundesländern wissenschaftlich aus. für Mitbestimmung interessieren, gerade wenn es um Fragen www.mehr-demokratie.de/volksbegehrensbericht geht, die sie unmittelbar betreffen.

17 DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND

Thüringen gut (1,6) 1

Bayern gut (1,7) 2

Schleswig-Holstein gut (1,8) 3

Bremen gut (1,95) 4

Nordrhein-Westfalen befriedigend (2,5) 5

Berlin befriedigend (2,6) 6- 7

Hamburg befriedigend (2,6) 6- 7

Baden-Württemberg befriedigend (2,7) 8

Sachsen befriedigend (3,1) 9

3 Hessen befriedigend (3,2) 10 -11 15 6- 7 4 Rheinland-Pfalz befriedigend (3,2) 10 -11 14 12 13 6- 7 Niedersachsen ausreichend (3,8) 12 5

1 9 Sachsen-Anhalt ausreichend (4,0) 13 10 -11

Brandenburg ausreichend (4,2) 14 10 -11

16 2

Mecklenburg-Vorpommern ausreichend (4,3) 15 8

Saarland mangelhaft (5,1) 16

Anzahl der Bürgerbegehren seit Einführung des Färbung der Bundesländer: Je dunkler das Instruments Land, desto besser die Regelungen

Anzahl der Bürgerentscheide (inkl. Ratsreferenden)

Quellen: Datenbank Bürgerbegehren, Volksentscheids- Ranking von Mehr Demokratie 2016 sowie eigene Erhebungen.

18 DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND

WIR BRAUCHEN REFORMEN!

Für mehr und fairere Bürgerbegehren und Bürgerentscheide Bürger/innen. In Deutschland kennen nur die Städte Bremen müssen in den meisten Bundesländern die Gesetze geändert und Bremerhaven lokale obligatorische Referenden zu werden. Folgende zentrale Reformbereiche gibt es: Privatisierungen.

1. Themenausschluss Weitere wichtige Punkte für Reformen: Oft bleiben gerade die wichtigsten Themen den Bürger/innen n Ein Begehren sollte auch ohne Kostendeckungsvorschlag verschlossen, zum Beispiel die Bauleitplanung. Solche zulässig sein. Diese Erklärung, wie aus Sicht der Initiative Themenverbote gehören abgeschafft oder deutlich reduziert. entstehende Kosten zu decken sind, wird in Bayern gar nicht verlangt, anderswo von der Verwaltung erstellt – wie 2. Unterschriftenquorum etwa in Berlin oder Schleswig-Holstein. In manchen Bundesländern werden viel zu viele Unterschriften n Die Verwaltung sollte verpflichtet sein, Bürgerbegehren zu verlangt, damit ein Bürgerbegehren Erfolg hat. Das verhin- beraten und ihnen benötigte Auskünfte zu erteilen. dert politische Teilhabe. Deshalb sollten die Quoren je nach n In Baden-Württemberg und Hessen fehlen Bürgerbegeh- Gemeindegröße auf zwei bis drei Prozent gesenkt werden. ren noch auf der Ebene der Landkreise. Hilfreich sind auch Staffelungen nach Gemeindegröße. n Bürgerbegehren, die sich gegen einen Beschluss des Gemeinderates richten, sollten keiner Frist für die 3. Zustimmungsquorum Unterschriftensammlung unterliegen. In Bayern, Berlin, Bei Bürgerentscheiden soll die Mehrheit der abgegebenen Hamburg und Schleswig-Holstein kommt man bereits Stimmen entscheiden, wie dies bei Wahlen selbstverständlich heute ohne aus. Zumindest sollte die Frist vielerorts ist. Zustimmungsquoren, die eine bestimmte Mindestzustim- verlängert werden. mung vorschreiben, sollten abgeschafft oder zumindest n Ein Bürgerbegehren soll aufschiebend wirken. Das heißt, deutlich reduziert werden. die Gemeinde- beziehungsweise die Landkreisverwaltung darf keine vollendeten Tatsachen schaffen, während das 4. Obligatorische Referenden Begehren noch läuft. In den Kommunen der Schweiz und der USA sind zu beson- n Vor einem Bürgerentscheid soll eine Abstimmungsinforma- ders wichtigen Fragen – etwa bei der Aufnahme größerer tion umfassend über Vor- und Nachteile des Vorschlages Kredite – obligatorische Referenden vorgesehen. Dieses informieren. Darin sollen die Pro- und die Contra-Seite Verfahren verbessert die Kontrolle der Politik durch die gleichberechtigt zu Wort kommen.

entscheid nötig. In rund 14 Prozent der Fälle haben Gemeinderat stimmte Frist. Zu kurze Fristen und zu hohe Unterschriftenquo- oder Stadtparlament den Vorschlag der Initiative übernommen. ren verhindern mancherorts fast jedes Bürgerbegehren. Im Bürgerentscheid kommen 49 Prozent der Initiativen mit ih- Ist der Weg zum Bürgerentscheid frei, bleibt ein weiteres rem Anliegen durch. Setzt der Gemeinderat eine Abstimmung an Hindernis: Anders als bei Wahlen genügt nicht allein die Mehr- (Ratsreferendum), beträgt die Erfolgsquote rund 58 Prozent. heit der Stimmen für den Erfolg. Außer in Hamburg gilt überall ein Zustimmungsquorum. Das bedeutet, der Entscheid ist nur Stolpersteine für Bürgerbegehren dann erfolgreich, wenn ein bestimmter Anteil der Stimmberech- Fast ein Drittel aller Bürgerbegehren (29 Prozent) wird für unzu- tigten – oft 20 oder 25 Prozent – zustimmt. Rund 13 Prozent der lässig erklärt. Oft sind zu enge gesetzliche Bestimmungen Verfahren scheiterten „unecht“ am Zustimmungsquorum und schuld, besonders dort, wo viele wichtige Themen – wie in eini- nicht etwa daran, dass die Bevölkerung das Anliegen ablehnte. gen Bundesländern die Bauleitplanung – für Bürgerbegehren Sie erreichten die Mehrheit im Bürgerentscheid,­ aber nicht genug tabu sind. Oft müssen die Initiativen einen Kostendeckungsvor- Ja-Stimmen gemessen an der gesamten Wahlbevölkerung. schlag vorlegen, also genau beschreiben, wie ihr Vorhaben zu finanzieren wäre. Das gelingt oft nur mit Detailkenntnissen­ aus Nicht nachlassen! der Verwaltung, und die berät die Initiativen oft nicht gut. Am Viele Bundesländer haben ihre Regeln für die direkte Demo- häufigsten erklären Kommunen im Saarland Bürgerbegehren für kratie in Städten und Gemeinden verbessert. Häufig hilft Mehr unzulässig (56 Prozent), am seltensten in Bayern (16 Prozent). Demokratie dabei, Reformen auf den Weg zu bringen. / Ist diese Hürde geschafft, müssen die Initiativen­ für das Bürger- begehren eine bestimmte Anzahl von Unterschriften sammeln. Wenn sich das Bürgerbegehren gegen einen Beschluss beispiels- Frank Rehmet weise des Gemeinderates richtet, gilt für die Sammlung – außer Politikwissenschaftler, wissenschaftlicher Koordinator in Bayern, Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein – eine be- von Mehr Demokratie. mehr demokratie | die grundlagen | 201 7 19 SCHWEIZ

In einigen Schweizer Gemeinden versammeln sich die Bürger/innen noch heute, um direkt über ihre Angelegenheiten abzustimmen. Foto: Ludovic Péron (CC-BY-SA)

DIE SCHWEIZ ALS VORBILD?

Direktdemokratische Verfahren gehören heute zur Grundausstattung moderner Demokratien weltweit.

TEXT PROF. DR. HERMANN K. HEUSSNER

Keine Verfassungsänderung ohne das Volk das Volk eine wirksame Bremse in der Hand. So gingen bis Bereits seit 1848 sind Änderungen der Bundesverfassung nur Februar 2014 in den 175 Abstimmungen knapp 44 Prozent der möglich, wenn das Volk ihnen zustimmt (obligatorisches Ver- in Frage stehenden Gesetze „bachab“. fassungsreferendum). Es reicht die einfache Mehrheit. Zusätz- Dieses Gesetzesreferendum nutzen die unterschiedlichsten lich muss das Volk in einer Mehrheit der Kantone zustimmen gesellschaftlichen Gruppen. Es hat damit sowohl konservative (Ständemehr). als auch progressive Wirkung. Es integriert die schweizerische Gesellschaft. „Um zu verhindern, dass oppositionelle Kräfte Die Bürger/innen können „Halt“ sagen ... die Entscheidung des Parlaments durch das Referendum zu Fall Ein Vierteljahrhundert später (1874) etablierte sich das fakultati- bringen, werden alle referendumsfähigen Gruppen am vorpar- ve Gesetzesreferendum auf Bundesebene. Damit können 50.000 lamentarischen Verfahren beteiligt und in eine Kompromisslö- Schweizer/innen (das entspricht etwa einem Prozent der Stimm- sung eingebunden“, schreibt Wolf Linder in seinem Standard- berechtigten) verlangen, dass ein Parlamentsgesetz nur dann in werk zur Schweizerischen Demokratie. Politische Minderheiten Kraft tritt, wenn ihm das Volk mit einfacher Mehrheit zustimmt. finden Gehör. Auch Regierungsparteien machen in Abstim- Auch Steuergesetze können auf diese Weise angegriffen werden. mungen die Erfahrung, manchmal zur Minderheit zu zählen. So Dennoch bleibt die Schweiz regierbar. Denn mehr als 90 Prozent bleibt keine größere Gruppe dauerhaft ohne politischen Ein- der Gesetze treten unangefochten in Kraft. Doch wenn ein Ge- fluss. Alle sind immer wieder zum Kompromiss gezwungen. setz sehr umstritten ist und das Parlament gewichtige Ansichten Dies hat auch dazu geführt, dass seit 1959 alle größeren Parla- und Interessen der Bürger/innen nicht gebührend beachtet, hat mentsparteien gemeinsam in der Regierung vertreten sind.

20 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 DIREKTE DEMOKRATIE INTERNATIONAL

... aber auch „Gas geben“ schriftensammlung entscheidet, ob die Vorlage gegen höherran- Wenn das Parlament ein Thema nicht aufgreift, können die giges Recht oder das Völkerrecht verstößt. Da in Deutschland Schweizer/innen selbst „Gas geben“ und sie direkt zur Abstim- EU-Recht Vorrang vor deutschem Recht hat, wären hier Vorla- mung bringen. Dazu dient ihnen auf Bundesebene die seit 1891 gen, die gegen EU-Recht verstoßen, unzuzulässig. Eine Initiati- bestehende Verfassungsinitiative (Volksinitiative). Dafür sind ve wie jene gegen die sogenannte Masseneinwanderung, die in 100.000 Unterschriften (also von etwa zwei Prozent der Stimm- der Schweiz 2014 mit 50,3 Prozent erfolgreich war, wäre in berechtigten) innerhalb von 18 Monaten zu sammeln. Auch fi- Deutschland somit nicht möglich. nanzielle Themen sind zulässig. Die Initiativen und das Parla- Diese rechtsstaatlichen Schwächen dürfen aber nicht ment haben viel Zeit, über Kompromisse zu verhandeln. Das darüber hinwegtäuschen, dass auch in der schweizerischen Parlament darf einen eigenen Gegenentwurf mit zur Abstimmung direkten Demokratie Minderheiten in der Regel zu ihrem stellen und Initiativen können ihre Vorschläge wieder zurückzie- Recht kommen. Der Ausländeranteil und die Asylbewerber- hen. Leider gibt es keine Gesetzesinitiative auf Bundesebene, quote sind wesentlich höher als in Deutschland. weshalb die Verfassungsinitiative auch für Regelungen genutzt wird, die eigentlich in der Verfassung nichts zu suchen haben. Große Demokratiezufriedenheit Die Volksinitiative wird ebenso wie das fakultative Refe- Insgesamt ziehen die Schweizer/innen eine positive Bilanz ihrer rendum quer durch das politische Spektrum genutzt. Zwar wa- direkten Demokratie. Durchschnittlich 83 Prozent äußerten sich ren bis Februar 2014 von den insgesamt 189 Vorlagen nur elf in den zehn Jahren 2000 bis 2009 mit dem Funktionieren der De- Prozent direkt an der Urne erfolgreich. Dennoch wirken sich mokratie in ihrem Land sehr oder ziemlich zufrieden. Mehr als viele Initiativen auf die Gesetzgebung aus, weil das Parlament zwei Drittel sind der Meinung, das Mitspracherecht des Volkes auf sie reagiert – sei es mit eigenen Gegenvorschlägen, sei es führe zu einer stabilen und ausgewogenen Politik, und die Behör- mit einem Kompromissgesetz, das zumindest Teilanliegen der den (Staatsorgane) würden in der Schweiz mehr auf das Volk hö- Initiative aufnimmt. Häufig ziehen die Initiant/innen dann ihre ren als anderswo, schreiben die Politikwissenschaftler/innen Vorlage zurück. Ungefähr die Hälfte der Urheber/innen von Claude Longchamp und Blanca Rousselot. Laut Longchamp Volksinitiativen sei deshalb der Meinung, sie hätten „mit ihrem werden in der Regel die Entscheidungen, die partizipatorisch direktdemokratischen Engagement etwas bewirkt, was dem vorbereitet und gefällt wurden, stärker akzeptiert. Nicht selten Aufwand in etwa entspreche und ohne Gebrauch der Volksrech- gelinge auf diese Weise eine friedliche Konfliktlösung. te nicht hätte erreicht werden können“, beschreibt Andreas Zwar nehmen an Volksabstimmungen und Wahlen durch- Gross die Zufriedenheit mit diesem System. Direkte Demokra- schnittlich jeweils nur zwischen 40 und 50 Prozent der Stimm- tie kann also einen fruchtbaren Dialog zwischen Volk und Par- berechtigten teil. Allerdings gibt es pro Jahr mehrere Abstim- lament und daraus resultierende Kompromisse erzeugen, was mungstermine. Longchamp und Rousselot schätzen, dass sich sich in der reinen Parlamentsdemokratie so kaum einstellt. mehr als 80 Prozent der Schweizer/innen zwischen zwei Wahl- terminen mindestens einmal an einer Volksabstimmung auf Reformbedarf bei Minderheitenschutz und Rechtsstaat Bundesebene beteiligen. Insgesamt ist das Partizipationsniveau Damit eine Volksinitiative Erfolg hat, benötigt sie wie im obliga- also ziemlich hoch. Und die relative Bedeutung von Wahlen torischen Verfassungsreferendum neben dem Ständemehr nur nimmt natürlich ab, wenn die Bürger/innen Sachfragen, die ih- eine einfache Mehrheit. Das ist zu wenig. Auf diese Weise rer Ansicht nach vom Parlament nicht befriedigend entschieden konnten 2009 die berüchtigte Minarettverbotsinitiative der worden sind, in Abstimmungen selbst regeln können. rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei mit nur 57,5 Prozent und ein Jahr später die sogenannte Ausschaffungs- Positive Auswirkungen auf Wirtschaftskraft initiative derselben Partei, nach der Ausländer „ohne wenn und Die direkte Demokratie schadet der Wirtschaft nicht, ganz im aber“ auszuweisen sind, wenn sie bestimmte Delikte begangen Gegenteil. Sie bewirkt geringere öffentliche Ausgaben, weniger haben, mit knappen 53 Prozent siegen. Wenn für Verfassungsän- Steuern, geringere Staatsverschuldung, weniger Steuerhinter- derungen eine Zweidrittel-Mehrheit notwendig wäre, wie dies ziehung und eine höhere Wirtschaftskraft. So hatte die Schweiz zum Beispiel in Deutschland üblich ist, hätten sie verloren. Hier 2014 eine Gesamtstaatsverschuldung von 34,5 Prozent des liegt eine Schwäche des Schweizerischen Modells der direkten Bruttoinlandsprodukts, während die Schuldenlast in Deutsch- Demokratie. Denn die Verfassung und vor allem die Grundrech- land 70,3 Prozent beträgt. Dennoch oder gerade deshalb ist die te haben die Aufgabe, Minderheiten zu schützen. Schweiz ein vorbildlicher Sozialstaat. / Die Schweiz kennt zudem keine ausgebaute Verfassungsge- richtsbarkeit auf Bundesebene. Volksinitiativen werden nur vom

Parlament darauf überprüft, ob sie gegen zwingendes Völker- Prof. Dr. Hermann K. Heußner recht verstoßen. Dies hat zur Folge, dass die Bürger/innen zuwei­ Professor für Öffentliches Recht und Recht der Sozialen len über völkerrechtswidrige Vorlagen abstimmen. Stattdessen Arbeit an der Hochschule Osnabrück. Er ist Deutscher wäre zu wünschen, dass ein Verfassungsgericht vor der Unter­ und Schweizer. Kontakt: [email protected]

21 DIREKTE DEMOKRATIE WELTWEIT

Jugendliche in Uruguay demonstrieren 2014 für ein „Nein“ im Volksentscheid über eine frühere Strafmündigkeit. Foto: Cintya Posse

DIREKTE DEMOKRATIE WELTWEIT

Volksgesetzgebung „von unten“ auf Bundesebene, mit fairen Regelungen und niedrigen Hürden, kennen bisher die Schweiz, Liechtenstein und Uruguay.

TEXT BRUNO KAUFMANN

Weltweite Ausbreitung immer direktdemokratischer. Ein großer Teil aller je durchge- Mit der globalen Ausbreitung der Demokratie werden auch die führten nationalen Volksabstimmungen fand in den letzten direktdemokratischen Volksrechte weltweit gestärkt. Die Zahl 25 Jahren statt. Die Karte der Länder, die direktdemokratische jener Staaten, die als formale Demokratien bezeichnet werden Verfahren auf der nationalen Ebene und den subnationalen Ebe- können, verdreifachte sich zwischen 1980 und 1995 von unter 50 nen kennen, erstreckt sich mittlerweile über die ganze Welt. auf über 150. Gleichzeitig führten mehr als 100 Staaten direktde- Dabei spielen die direktdemokratischen Verfahren sehr un- mokratische Verfahren auf nationaler Ebene ein. Nach der vom terschiedlich große Rollen. In Asien und Lateinamerika International Institute for Democracy and Electoral Assistance zum Beispiel, wo sich die Demokratie als politisches System erst (International IDEA) eingesetzten globalen Expertengruppe ge- in den letzten 20 bis 30 Jahren mehrheitlich etablieren konnte, hören „direktdemokratische Verfahren heute zur Grundausstat- wird selbst das repräsentative System immer wieder grundlegend tung der modernen repräsentativen Demokratie“. Allerdings hal- in Frage gestellt, teils durch direkt gewählte Präsident/innen ten die IDEA-Fachleute auch fest, dass in der Praxis erst relativ wie in Südamerika, teils durch das Militär wie in manchen wenige Verfahren auch tatsächlich angewendet werden (kön- asiat­ischen Staaten. In beiden Fällen neigen die Machthaber/in- nen). Gründe dafür: benutzerunfreundliche Regelungen, wie viel nen dazu, die direktdemokratischen Verfahren durch plebiszitäre zu hohe Hürden oder Ausnahmebestimmungen, die die span- Elemente zu ersetzen. Das läuft letztlich auf eine Pervertierung nendsten Themen dem direktdemokratischen Prozess entziehen. der Volksrechte hinaus, denn Plebiszite werden von oben ange- Sie verhindern eine echte und nachhaltige Praxis. Und dennoch setzt, zu willkürlichen Themen und Zeitpunkten, und dienen so sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Unsere Welt wird dem Machterhalt der politischen Führung, nicht dem Volk. Wo

22 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 DIREKTE DEMOKRATIE INTERNATIONAL das repräsentative System schwach ist, können auch die direkt- GESAMTSTAATLICHE ABSTIMMUNGEN SEIT 1874 demokratischen Verfahren bestenfalls nur schwach sein. In eta­ Volksentscheide und Volksentscheide und blierten Demokratien, wo das repräsentative System gefestigt ist Referenden gesamt Referenden „von unten“ – in erster Linie in Europa und Nordamerika – geht es heute 1793-2015 1874-2015 vorrangig um die Mischung aus indirekter und direkter Beteili- 1. Schweiz 298 1. Schweiz 378 gung der Bürger/innen. Vor allem in Ländern, die zentralstaatlich regiert sind und über ein relativ starkes Parteiensystem verfügen, 2. Liechtenstein 81 2. Italien 70 werden indirekte und direkte Verfahren zuweilen gegeneinander 3. Neuseeland 44 3. Liechtenstein 61 auszuspielen versucht. 4. Irland 28 4. San Marino 19

5. Ägypten 26 5. Uruguay 18 Weltweite Analyse Eine Reihe von Organisationen – nationale und internationale, 6. Frankreich 24 6. Slowenien 14 staatliche wie nicht-staatliche – haben es sich zur Aufgabe ge- 7. Uruguay 23 6. Slowakei 14 macht, direktdemokratische Verfahren möglichst flächende- 7. Australien 23 8. Lettland 11 ckend zu erfassen, qualitativ zu prüfen und aus den Erkenntnis- sen Richtlinien für eine moderne direkte Demokratie zu ziehen. 9. Italien 21 8. Litauen 11 Diese Anstrengungen haben gemein, dass sie direktdemokrati- 10. Palau 20 8. Ungarn 11 sche Verfahren zu einem integralen und komplementären Be- standteil des repräsentativen Systems machen wollen. Darüber Quelle: Centre for Research on Direct Democracy am Zentrum hinaus geht es vielen Organisationen darum, Fehlentwicklun- für Demokratie Aarau (www.c2d.ch), TopTen-Bericht 2015 gen zu beheben. Diese kommen sowohl in etablierten Systemen vor – wie etwa den US-Bundesstaaten oder den Alpenstaaten – als auch in jüngeren Demokratien. Stichworte sind hier die dern Direct Democracy zu einem Netzwerk zusammengetan, Kommerzialisierung direkter Demokratie oder Verfassungsre- das nicht nur an einer gemeinsamen Bestandsaufnahme aller geln, mit denen direktdemokratische Prozesse unvereinbar sind. Verfahren und Praktiken weltweit arbeitet, sondern auch ver- Generell kann es ein nach­haltiges institutionelles Gleichge- sucht, gemeinsame Richtlinien und Begriffe für faire Initia­ wicht zwischen der direkten und der indirekten Teilnahme der tiven, Referenden und Volksabstimmungen zu erarbeiten. Sie Bürger/innen an politischen Entscheidungen nur geben, wenn wollen dazu beitragen, dass direktdemokratische Verfahren in das repräsentative System eingebettet werden und auf diese Weise eine gute Balance entsteht zwischen indirekten und di- Erst in der Praxis können sich rekten Beteiligungsverfahren einerseits und weiteren zentralen repräsentative und direkte Aspekten einer modernen Demokratie, wie dem Rechtsstaat Demokratie befruchten und aus und dem Minderheitenschutz, andererseits. Das Initiative and Referendum Institute Europe und Demo- ihren Fehlern lernen. cracy International haben gemeinsam einen „Navigator“ für direkte Demokratie entwickelt. Er stellt die meisten vorhande- nen Verfahren der modernen direkten Demokratie vor (Ini­ die direktdemokratischen Instrumente auch umfassend und re- tiative, Referendum, Volksabstimmung und Plebiszit) und er- gelmäßig angewendet werden. Erst in der Praxis können sich klärt sie. Der Navigator verwendet erstmals überhaupt eine repräsentative und direkte Demokratie befruchten und aus ih- gemeinsame Typologie, welche verschiedene Instrumente ren Fehlern lernen. Werden die Volksrechte nur selten genutzt, miteinander vergleicht und Menschen damit weltweit hilft, besteht zudem die Gefahr, dass sich im Rahmen einer einzigen ihre Demokratie vor Ort gezielt weiterzuentwickeln. Sachabstimmung Frustrationen Luft machen. Ein Beispiel da- Für die Einführung direktdemokratischer Elemente auf der für sind die EU-Plebiszite in Frankreich und den Niederlanden deutschen Bundesebene gilt es deshalb, nicht nur aus den eige- 2005, wo sich handfeste Argumente für und gegen die Abstim- nen Erfahrungen auf lokaler und regionaler Ebene Lehren zu mungsvorlage – den EU-Verfassungsentwurf – mit Motiven ziehen, sondern auch einen Blick über die Grenzen hinweg zu für und gegen die Behörde vermischten, die den Urnengang werfen und von anderen Ländern zu lernen. / beschlossen hatte (den Präsidenten in Frankreich, das Parla- ment in den Niederlanden).

Bruno Kaufmann Weltweite Vernetzung Leiter des Initiative and Referendum Institute und Fachleute und Aktivist/innen aus der ganzen Welt haben sich in Gründer des Global Forum on Modern Direct Democracy. den vergangenen Jahren im Rahmen des Global Forum on Mo- Kontakt: [email protected]

23 DEMOKRATISIERUNG DER EU

DEMOKRATISIERUNG DER EUROPÄISCHEN UNION

Die EU hat ein Demokratiedefizit. Deshalb mischt sich Mehr Demokratie auch hier ein. Wir fordern eine grundlegende Reform der europäischen Institutionen!

TEXT DR. MICHAEL EFLER, KARL-MARTIN HENTSCHEL

Die Bürger/innen Europas haben jenseits aller Unterschiede insgesamt, sondern viel eher ihren Nationalstaaten verpflich- und Besonderheiten viele Aufgaben und Probleme gemeinsam. tet fühlen. Gleichzeitig eröffnet die Machtfülle des Rats den Deshalb setzt sich Mehr Demokratie dafür ein, möglichst ge- Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, nationale demokratische meinsame Lösungen in Europa zu suchen. Voraussetzung dafür Kon­trollen zu umgehen. Gesetze, bei denen sie Gegenwind von ist ein gemeinsames Dach, die Europäische Union. Allerdings Wähler/innen und Abgeordneten befürchten müssen, beschlie- leidet die EU an einem gravierenden Demokratiedefizit. Auch ßen die Regierungen einfach auf EU-Ebene statt in den natio- der Vertrag von Lissabon konnte dies nicht beheben. Dabei nalen Parlamenten und vermeiden so schwierige Diskussionen. werden heute rund Zweidrittel aller neuen Gesetze, die unser So ist es zum Beispiel bei der Einführung biometrischer Reise- tägliches Leben regeln, in Brüssel gemacht oder beeinflusst. Mehr Demokratie hat kräftig daran mitgewirkt, dass den EU-Bürger/innen heute zumindest das Instrument der Europäi- Trotz aller Defizite sehen wir die EU als schen Bürgerinitiative (EBI) zur Verfügung steht. Es fehlt aber weltweit einmaliges, wegweisendes wie in Deutschland auf Bundesebene die Möglichkeit, einen Gebilde. Dafür gibt es keine Vorbilder. verbindlichen Volksentscheid auf EU-Ebene einzuleiten. Wir werden etwas ganz Neues Im Urwald der europäischen Institutionen erfinden müssen. Fehlende Gewaltenteilung Der demokratische Grundsatz der Gewaltenteilung wird in der EU systematisch ausgehebelt. Das mächtigste Organ der EU, pässe geschehen. Für die Bürger/innen hat dies zur Folge, dass der Europäische Rat, agiert gleichzeitig als Legislative (durch sie nicht mehr nachvollziehen können, wer eigentlich für eine den Ministerrat) und als Exekutive (er gibt der EU die politi- Entscheidung verantwortlich ist. schen Leitlinien vor). Fehlende demokratische Legitimation Fehlende Verantwortung Geradezu vordemokratisch ist der Umstand zu nennen, dass Der Europäische Rat setzt sich aus Vertreter/innen der nationa- nicht das von den Bürger/innen direkt gewählte EU-Parla- len Regierungen zusammen, die sich nicht den Europäer/innen ment, sondern nur die EU-Kommission ein Initiativrecht in

24 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 DEMOKRATISIERUNG DER EU der Gesetzgebung hat, also neue Regeln auf den Weg bringen EU-Verfassung kann. Das stärkt Exekutive und Bürokratie, schwächt dage- Die EU braucht eine Verfassung, die auf den Grundsätzen der gen das Europäische Parlament – und damit die einzige durch Menschenrechte, der Freiheit, der Demokratie, der Rechts- Wahlen legitimierte Institution der EU. staatlichkeit und der Gewaltenteilung fußt. Die Grund- rechtecharta der EU soll Teil dieser neuen Verfassung sein, Das neue Europa: demokratisch, schlank, dezentral mit der eine weitere politische Ebene errichtet wird. Die Mit- Eine demokratische EU braucht andere Institutionen und eine neue gliedsstaaten verlieren dadurch jedoch nicht ihre völkerrecht- Machtverteilung zwischen den politischen Ebenen (Kommunen, liche Souveränität. Regionen, Nationalstaaten, EU). Dazu hat Mehr Demokratie in einem intensiven Diskussionsprozess Vorschläge erarbeitet. Das Bürgerkonvent und europaweite Abstimmung Leitmotiv: Mehr Kompetenzen an die Ebenen zurückzugeben, Wir schlagen vor, einen Verfassungskonvent einzuberufen die den Menschen näher sind und die Kompetenzen der EU auf – einen Bürgerkonvent, der direkt von den Bürger/innen der das zu konzentrieren, was ein gemeinsames Europa erfordert. EU gewählt wird. Nur ein solcher Konvent wird die Kraft ha- Trotz aller Defizite sehen wir die EU als weltweit einmali- ben, sich über Bedenken und Blockaden aus allen politischen ges, wegweisendes Gebilde. Sie ist die einzige transnationale Richtungen hinwegzusetzen und eine echte europäische Ver- Einheit mit Rechtsetzungskompetenz. Dafür gibt es keine Vor- fassung zu schaffen. Das setzt eine große politische Mobilisie- bilder. Wir werden kreativ werden und etwas ganz Neues er- rung von Bürger/innen, Zivilgesellschaft, Parteien und Parla- finden müssen, so wie vor über 200 Jahren der Nationalstaat menten und eine breite politische Debatte voraus, in die sich erfunden wurde. viele Bürger/innen einbringen.

Eine Aktion der selbstorganisierten Europäischen Bürgerinitiative „STOP TTIP“ 2015 in Brüssel. Foto: Alexander Garrido Delgado

25 DEMOKRATISIERUNG DER EU

Das Ergebnis des Konvents – die neue Verfassung – sollte dann Kollegialrat in einer europaweiten Abstimmung dem Souverän, also den Die EU-Kommission wird abgeschafft. An ihre Stelle – die Bürger/innen, vorgelegt werden. Zusätzlich bedarf die Verfas- Spitze der europäischen Verwaltung – tritt ein Kollegialrat. sung einer qualifizierten Mehrheit aller Staaten. Wenn diese Dieses Modell ist ebenfalls von der Schweiz inspiriert. Es soll doppelte Mehrheit nicht zustande kommt, ist die Verfassung vermeiden, dass Regierungen der Mitgliedsländer Opposition abgelehnt, und es muss neu beraten und verhandelt werden. gegen „die“ EU-Regierung machen und so politische Sachde- Kommt die doppelte Mehrheit zustande, tritt die Verfassung für batten national aufgeladen werden. Dieser Kollegialrat würde in gemeinsamer Sitzung von Parlament und Senat alle vier Jahre gewählt. Die Fraktionen Mehr Demokratie setzt sich für das schlagen entsprechend ihrer Größe eine/n oder mehrere Recht auf Volksinitiative, Volksbegehren Kandidierende/n vor. Das Kollegium entscheidet als Ganzes, und Volksabstimmung auch auf aber die einzelnen Mitglieder sind zugleich zuständig für eine EU-Fachverwaltung (entsprechend einem Ministerium). Der EU-Ebene ein. Vorsitz wechselt jährlich durch Beschluss der europäischen Versammlung. alle Länder in Kraft. Anschließend müssen die Länder, in denen Direkte Demokratie es keine Mehrheit gegeben hat, entscheiden, ob sie aus der EU Mehr Demokratie setzt sich für das Recht auf Volksinitiative, austreten und andere vertragliche Beziehungen zur EU aufneh- Volksbegehren und Volksabstimmung auch auf EU-Ebene men wollen. ein. Wir wollen, dass diese Rechte Teil der neuen Verfassung werden. Demokratisch legitimierte Institutionen Bei EU-weiten Volksentscheiden soll stets das Prinzip der Die EU bedarf eines gut durchdachten und ausbalancierten doppelten Mehrheit gelten. Dann benötigt ein Vorschlag nicht Machtgefüges. Wir empfehlen, dass die EU sich am Konsens- nur die Mehrheit der Abstimmenden, sondern auch eine qualifi- und Kollegialsystem der Schweiz orientiert, weil dies am Ehes- zierte Mehrheit der Staaten, damit er als angenommen gilt. ten einem gemeinsamen Dach für autonome Mitgliedsstaaten entspricht. Für die Legislative schlagen wir ein Zweikammer- Dezentralität und Regionalisierung modell vor, wie es in einigen föderalen Staaten üblich ist. Mehr Demokratie fordert ein dezentrales Europa. Die neue EU kann kein Nationalstaat sein. Dezentraler Staat bedeutet für Parlament uns, dass die Kompetenzen auf den Ebenen angesiedelt sind, Die erste Kammer entspricht dem heutigen EU-Parlament. Sie auf denen sie am sinnvollsten bearbeitet und verwaltet werden wird von allen Bürger/innen der EU nach einheitlichem Wahl- können. Das bedeutet im Vergleich zu heute, dass Zuständigkei- recht gewählt. Der relativ offene Charakter der Debatten, die ten nach unten abgegeben werden. Als vorbildlich empfinden durch die Frage „Bist du für oder gegen die Regierung?“ nicht wir die entsprechenden Regelungen in Dänemark oder Schwe- verfälscht sind, sollte unbedingt erhalten bleiben. Dennoch den, wo die Mehrzahl aller politischen Entscheidungen in den braucht das EU-Parlament das Initiativrecht im Gesetzgebungs- Kommunen getroffen wird. verfahren und das alleinige Haushaltsrecht. Dezentralität setzt auch voraus, dass jede Ebene ihre eigenen Einnahmen hat und darüber verfügen kann. Anstelle der zahlrei- Senat chen Förderprogramme der EU, mit denen sich die europäische Ein Europäischer Senat bildet als zweite Parlamentskammer Ebene auch in Details vor Ort einmischt, sollte schrittweise ein die Vertretung der Mitgliedsstaaten. Auch seine Mitglieder finanzieller Ausgleichsmechanismus treten, wie er innerhalb der wählen die Bürger/innen jeweils für ihre Nation beziehungs- Nationalstaaten zwischen Regionen (Bundesländern) und zwi- weise Region direkt. Eine neue EU braucht eine solche zweite schen Kommunen existiert. Dann können die kommunalen, Kammer, damit die kleineren, bevölkerungsärmeren Mit- regionalen­ oder nationalen Parlamente autonom und demokra- gliedsstaaten nicht gegenüber den großen Staaten ins Hinter- tisch entscheiden, wofür sie die eingeworbenen Steuermittel ein- treffen geraten. setzen. Wir halten es dabei für anstrebenswert, dass der vertikale

26 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 DEMOKRATISIERUNG DER EU

Wir brauchen die direkte Demokratie, um über die (zukünftigen) Herausforderungen wirklich miteinander ins Gespräch zu kommen!“

SARAH HÄNDEL (STUTTGART)

Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ [Mahatma Gandhi]

CHARLIE RUTZ (BERLIN)

Finanzausgleich der EU direkt an die Regionen geht, weil dies n die wachsende Kluft zwischen der reicheren Mitte und dem sie gegenüber den Nationalstaaten stärken würde. ärmeren Süden und Osten in der EU, die durch Konstruktions­ mängel beim Euro verschärft worden ist; Weitere Fragen der europäischen Demokratie n die Rolle der EU in der internationalen Politik, etwa in trans- Neben der demokratischen Gestaltung von Exekutive und nationalen Gremien wie der UNO, den G7 oder der WTO Legislative erkennt Mehr Demokratie weitere Schwierigkeiten und bei internationalen Vereinbarungen wie TTIP und CETA. für die Demokratie, die in einer neuen Verfassung berücksich- tigt werden müssen. Wir denken hier zum Beispiel an: Diese und ähnliche Fragen sollte eine zukünftige verfassungs- mäßige Ordnung der EU berücksichtigen und einen Rahmen n Übergriffe von Regierungen auf die Justiz, wie sie beispiels- abstecken, innerhalb dessen sich die Politik auf europäischer weise derzeit in Polen und Ungarn zu beobachten sind; Ebene bewegen darf. / n die hohe Konzentration in Rundfunk, Fernsehen und Zeitungs­ verlagen, die wachsende Kommerzialisierung der Medien, aber auch die teilweise restriktive Mediengesetzgebung in einigen Staaten, die die Pressefreiheit einzuschränken drohen; MITMACHEN IM AK „EUROPA UND WELT“ n den großen Einfluss und die überproportionale Macht interna- Mehr Informationen auf der Website www.mehr-demokratie.de/ueber-uns/ tional agierender Wirtschaftsunternehmen. Diese können die organisation/arbeitskreise/europa-und-welt Gesetzgebung stark zu ihren Gunsten beeinflussen, so dass oder im Berliner Büro unter 030-420 823 70. der soziale Ausgleich in unseren Gesellschaften nicht mehr richtig funktioniert und immer mehr Menschen verarmen; n die starke politische Rolle der Zentralbanken sowie die Macht global agierender Banken und Hedgefonds, die mitt- Dr. Michael Efler, Karl-Martin Hentschel lerweile selbst Regierungen großer Staaten zu für sie vorteil- Mitglieder des Bundesvorstands von Mehr Demokratie haften Entscheidungen drängen können; und des Arbeitskreises „Europa und Welt“ des Vereins.

27 Auf der Großdemo gegen TTIP und CETA am 10. Oktober 2015 in Berlin. Foto: Jan Hagelstein

28 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 DEMOKRATISIERUNG DER EU

GEGEN UNDEMOKRATISCHE HANDELSVERTRÄGE

Warum engagiert sich Mehr Demokratie gegen TTIP und CETA?

TEXT NEELKE WAGNER

Was ein Demokratie-Verein mit Handelspolitik zu tun hat? Mehr Bis dahin war es die EU-Kommission gewohnt, dass sich kaum Demokratie stellt die Frage umgekehrt: Warum wird Demokratie in jemand für die Handelsverträge interessierte, die sie im Verbor- einem Handelsabkommen zur Verhandlungsmasse? In Handels- genen abschloss. Weder das Verhandlungsmandat – also die verträgen mit den USA und Kanada will die EU-Kommission Grundlage, auf der ein Abkommen überhaupt verhandelt wird – Maßnahmen vereinbaren, die demokratische Entscheidungspro- noch die Inhalte, über die verhandelt wurde, kamen normaler- zesse beiderseits des Atlantiks blockieren, verlangsamen und weise ans Licht der Öffentlichkeit. Das änderte sich erst, als im- umgehen. Dazu gehören private Schiedsgerichte, die Sonder- mer mehr Menschen wissen wollten, was sich hinter den Kürzeln rechte für internationale Konzerne durchsetzen und fragwürdige „TTIP“ und „CETA“ verbirgt. Erste Veröffentlichungen gescha- Riesenbehörden, die Gesetze und Verordnungen weit ab von de- hen fast immer illegal – die Dokumente wurden „geleakt“, mokratischen Entscheidungswegen beurteilen, angleichen, ver- anonym an die Presse oder NGOs weitergegeben. Erst, nachdem werfen dürfen – allein getreu der Vorgabe, dass nichts den inter- vieles schon bekannt war, zog die EU-Kommission nach. nationalen Handel stören darf. Damit würden diese Verträge nicht nur Handelsfragen re- Bürgerinitiative „Stop TTIP“ gegen TTIP und CETA geln – etwa Zölle senken oder Kontingente für bestimmte Wa- Mehr Demokratie hat das europäische Bündnis, das die bislang ren vereinbaren – sondern in die Gesetzgebung der beteiligten größte Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Stop TTIP“ lancier- Länder eingreifen. Viele politische Entscheidungsprozesse te, mit aufgebaut und die EBI entscheidend mit vorangetrieben. entzögen sich der Öffentlichkeit, den Parlamenten und letzt- Sie musste außerhalb des offiziellen Rahmens selbst organisiert lich auch den Bürger/innen, weil sie in intransparente Aus- werden, weil die EU-Kommission sie für unzulässig erklärte. schüsse verschoben würden. Die Grundsatzfrage, ob freier Trotzdem sammelte „Stop TTIP“ innerhalb eines Jahres 3,3 Mil- Handel oder Arbeits-, Verbraucher- und Verbraucherschutz lionen Unterschriften in der gesamten EU, die sie unter anderem höher zu gewichten seien, wäre immer schon zugunsten des EU-Parlamentspräsident Martin Schulz übergab. Das Ende der Handels beantwortet, ohne dass dies ein Parlament oder eine Sammelzeit krönte in Deutschland eine Groß-Demonstration mit Volksabstimmung so beschlossen hätte. Dagegen wehren sich 250.000 Teilnehmenden in Berlin, die größte seit den Massen- inzwischen hunderte Organisationen und Millionen von Men- protesten gegen den Irakkrieg 2004. Immerhin bewegte die harte schen auf beiden Seiten des Atlantiks – und Mehr Demokratie Kritik an den Investor-Staats-Schiedsverfahren die EU dazu, mit mischt intensiv mit. Kanada nachzuverhandeln. Deshalb enthält CETA nun eine

29 DEMOKRATISIERUNG DER EU

Eure Arbeit ist für uns in Deutschland wichtig. Da ich nicht diese Energie aufbringen kann, schicke ich dem Verein eine andere Energieform – meinen Mitgliedsbeitrag.“

RALF BURGER (SCHWÄBISCH HALL)

reformierte Version der Schiedsgerichtsbarkeit, die etwas trans- wir für verfassungswidrig. Denn sie verpflichten den Staat zu parenter und strukturierter ausfällt als die ursprüngliche Rege- Schadensersatz, wenn ein Gesetz den CETA-Grundsätzen wi- lung. Wirklich gewonnen ist damit aber noch nichts. derspricht. Das schränkt den Bundestag faktisch darin ein, frei über neue Gesetze zu entscheiden – weil möglicherweise Verfassungsbeschwerde und Volksinitiativen gegen CETA teure, langwierige Prozesse und Strafzahlungen drohen. Au- Im Jahr 2016 verschob sich der Fokus auf das Abkommen mit ßerdem laufen diese Verfahren außerhalb und unabhängig von Kanada CETA, da es unterschriftsreif auf dem Tisch lag. Erneut rechtsstaatlichen Verfahren ab. Nur internationale Investoren, gingen die Menschen auf die Straße: Im März anlässlich des die einen Sitz im jeweils anderen Vertragspartnerstaat haben, Messebesuchs von US-Präsident Barack Obama in Hannover, können davon Gebrauch machen. Das verschafft ihnen einen im September gleichzeitig in sieben Städten in Deutschland und Vorteil gegenüber inländischen Konkurrenten und hebelt das weiteren beispielsweise in Österreich und Belgien. Da sich trotz Rechtsstaatsprinzip aus. allen Widerstands eine Zustimmung Deutschlands zu CETA Regulatorische Kooperation CETA soll einen so genannten „Gemischten Ausschuss“ instal- Mit den USA und Kanada will die lieren, der über weitreichende Kompetenzen verfügt. Unter EU-Kommission Maßnahmen anderem soll er Gesetze und Verordnungen daraufhin prüfen, vereinbaren, die demokratische ob sie den Handel beeinträchtigen und Änderungen verlangen oder sogar beschließen können. Dabei ist weder geklärt, wie Entscheidungsprozesse beiderseits genau der Gemischte Ausschuss und seine Unterausschüsse des Atlantiks blockieren, zusammengesetzt werden noch, ob und vor wem sie sich ver- verlangsamen und umgehen. antworten müssen. Selbst wenn in diesen Gremien Entschei- dungen nur vorbereitet werden sollen – sie sind weder demo- kratisch legitimiert noch arbeiten sie öffentlich. Das verstößt gegen das Demokratie-Prinzip. abzeichnete, erarbeitete Mehr Demokratie gemeinsam mit Campact und foodwatch eine Verfassungsbeschwerde, der sich Das europäische Vorsorgeprinzip rund 125.000 Menschen anschlossen. Sie rückte noch einmal die Außerdem würde CETA durch die gegenseitige Anerkennung demokratiepolitischen Kritikpunkte an CETA in den Mittelpunkt: von Standards das europäische Vorsorgeprinzip aushebeln. Es besagt, das Produkte erst dann in Umlauf gebracht werden dür- Investor-Staat-Schiedsverfahren fen, wenn sichergestellt ist, dass von ihnen keine Gefahren aus- Auch wenn sie für CETA verbessert wurden – die Regeln zum gehen. In Kanada gilt dagegen ein Nachsorgeprinzip: Unterneh- Investitionsschutz, die das Abkommen etablieren will, halten men müssen im Nachhinein für Schäden aufkommen, falls ihr

30 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 DEMOKRATISIERUNG DER EU

Nur wer sich einmischt, kann etwas verändern!“

KURT JÜRGEN GAST (WESEL)

Wir müssen die repräsentative Demokratie direkter, partizipativer und deliberativer gestalten, sonst verwandelt sie sich schleichend in eine marktkonforme Demokratie.“

GISELA VON MUTIUS (BONN)

Produkt welche verursacht hat. Erkennt die EU – wie es CETA ... und wie weiter mit TTIP? zum Abbau von „Handelshemmnissen“ vorsieht – das kanadische Parallel zur CETA-Verabschiedung hat das Abkommen mit Prinzip an, öffnet sie damit die hiesigen Märkte für potentiell den USA, TTIP, vor den Präsidentschaftswahlen deutlich an gefährliche Produkte: Das wäre das Ende des Vorsorgeprinzips. Fahrt verloren. In wesentlichen Punkten konnten sich die Verhandlungsführer bisher nicht einigen. Es bleibt abzuwar- CETA: Unterschrieben, aber noch zu stoppen ten, wie sich TTIP unter einem US-Präsidenten Donald Kurz vor der offiziellen Unterzeichnung des Vertrages über- Trump entwickelt – und was passiert, wenn es uns gelingt, schlugen sich die Ereignisse. Das Bundesverfassungsgericht CETA noch zu stoppen. / verhandelte über den Eilantrag, der deutschen Regierung die Zustimmung zu CETA zu untersagen. Dem erteilte es zwar eine Absage, verlangte aber zugleich, dass unter anderem die Arbeit der CETA-Ausschüsse transparenter und stärker demo- kratisch kontrolliert werden müsse. Außerdem müsse die Bun- desregierung garantieren, dass Deutschland jederzeit aus CETA aussteigen kann, falls sich das Abkommen als verfas- ZUM WEITERLESEN: sungswidrig erweist. Zu Redaktionsschluss stand die Haupt- Mehr über das Demokratieproblem CETA: verhandlung und das Urteil in der Hauptsache noch aus. www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/ Dann errang das belgische Regionalparlament der Wallo- Themen24_Demokratieproblem_CETA.pdf nie in letzter Sekunde das Zugeständnis, der EUGH müsse überprüfen, ob die Investor-Schiedsverfahren überhaupt mit Die Verfassungsbeschwerde gegen CETA: europäischem Recht vereinbar sind und machte deutlich, dass www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/ Hintergrundpapier_zur_CETA-Klage.pdf es dem Investorenschutz in seiner vorliegenden Form nicht zu- stimmen werde. Obwohl am Ende alle EU-Regierungen und Demokratisierung von EU-Handelsverträgen: Kanada das Abkommen unterzeichneten, ist also noch nicht www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/ ausgemacht, dass CETA jemals endgültig in Kraft treten kann. demokratisierung_handelsvertraege.pdf Um CETA im Bundesrat die Zustimmung zu verweigern, hat Mehr Demokratie mit Bündnispartnern in Bayern ein Volksbegehren gestartet, das die bayerische Staatsregierung dazu verpflichten soll, CETA abzulehnen. Für Schleswig-Hol- stein und Nordrhein-Westfalen wollen dies Volksinitiativen Neelke Wagner erreichen, die ebenfalls Mehr Demokratie mit auf den Weg Politikwissenschaftlerin, Leitung Publikationen bei Mehr gebracht hat. Demokratie. Kontakt: [email protected]

31 DEMOKRATIE-THEMEN

FÜR EIN FAIRES WAHLRECHT

TEXT NEELKE WAGNER

Mehr Demokratie hat auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene Dann könnten die Wähler/innen angeben, welche Partei sie wäh- einige wichtige Reformen des Wahlrechts durchgesetzt, in den len, wenn die erstgenannte nicht ins Parlament einzieht. Ländern oft per Volksbegehren. Auf Bundesebene ist dieser Weg (noch) versperrt; gleichzeitig gab und gibt es großen Reformbe- 3. Proteststimme darf. 2011 reichte der Verein gemeinsam mit Wahlrecht.de Es sollte möglich sein, bei einer Wahl Protest auszudrücken, sich Verfassungsbeschwerde gegen die zunehmende Zahl der Über- für keine der antretenden Parteien zu entscheiden – zum Beispiel, hangmandate ein. Die Berechnung der Überhangmandate hatte indem leer abgegebene Wahlzettel gesondert gezählt werden. in einigen Fällen dazu geführt, dass weniger Zweitstimmen einer Partei mehr Sitze im Parlament brachten und mehr Zweitstim- 4. Personalisierung men die Zahl der Mandate verringerten. Dieser Beschwerde gab Die Bürger/innen sollten mehr als bisher Personen statt Parteien das Bundesverfassungsgericht 2012 statt und erklärte damit wählen können. In einigen Bundesländern geht das bereits. das Wahlrecht, wie es von 1957 bis 2009 gegolten hatte, erneut Parteien sollen zudem die Möglichkeit erhalten, Kandidierende für verfassungswidrig. Bereits 2008 hatten die Karlsruher Rich- per Mitglieder-Urwahl zu bestimmen. Außerdem schlägt Mehr ter/innen das Wahlgesetz aus denselben Gründen beanstandet. Demokratie vor, dass ein Heft mit Informationen über sämtli- Im Herbst 2013 fanden erstmals Bundestagswahlen nach che Kandidierenden rechtzeitig vor der Wahl an alle Wahlbe- dem neuen Gesetz statt, das Mehr Demokratie nach wie vor für rechtigten verschickt wird. reformbedürftig hält. Generell strebt der Verein auf allen politischen Ebenen ein Wahlrecht an, das den Wähler/innen 5. Wahlalter größtmögliche Entscheidungsfreiheit sichert und möglichst Mehr Demokratie fordert eine generelle Absenkung des Wahl- alle Menschen einschließt, die in Deutschland dauerhaft leben. alters auf 16 Jahre. Folgende Forderungen hat die Bundesmitgliederversammlung 2013 verabschiedet: 6. Wahlrecht für Menschen ohne deutschen Pass Mehr Demokratie setzt sich dafür ein, dass Menschen, die dau- 1. Sperrklausel erhaft in Deutschland leben, das aktive und passive Wahlrecht Mehr Demokratie setzt sich für eine Drei-Prozent-Hürde auf auf allen politischen Ebenen bekommen. / Bundesebene ein. Für die Europawahlen hat der Verein sogar eine Abschaffung der Sperrklausel durchgesetzt, ebenfalls auf dem Wege einer Verfassungsbeschwerde. Da das Europäische Parlament keine Regierung wählen muss und aufgrund seiner MITMACHEN IM AK WAHLRECHT internationalen Zusammensetzung sowieso auf die Bildung grö- Mehr Informationen auf der Website ßerer Fraktionen angewiesen ist, gelten die Argumente für eine www.mehr-demokratie.de/ueber-uns/organisation/ arbeitskreise/wahlrecht/ oder im Berliner Büro unter Sperrklausel hier nicht. 030-420 823 70.

2. Ersatzstimme zum Weiterlesen Bei der Bundestagswahl 2013 fielen knapp 15 Prozent der Wäh- www.mehr-demokratie.de/themen/wahlrecht lerstimmen unter den Tisch: Sie gingen an Parteien, die weniger als fünf Prozent der Stimmen erhielten, und konnten deshalb die Zusammensetzung des Bundestags nicht mitbestimmen. Eine Ersatzstimme kann dies verhindern. Sie kommt dann zum Tra- Neelke Wagner gen, wenn die favorisierte Partei an der Sperrklausel scheitert. Politikwissenschaftlerin, Leitung Publikationen bei Mehr Auf dem Stimmzettel gäbe es einfach ein weiteres Ankreuzfeld. Demokratie.

32 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 DEMOKRATIE-THEMEN

(DIREKTE) DEMOKRATIE BRAUCHT TRANSPARENZ

TEXT NICOLA QUARZ

Um einer neuen Schulaula einen Namen zu geben, engagiert eine 2. Behörden müssen Informationen auf Antrag herausgeben Stadt im Kreis Gütersloh ein Marketingunternehmen. Es soll die (Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg- Jury beraten, die aus den von Bürger/innen der Stadt eingereich- Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen- ten Vorschlägen den besten wählen soll. Diese Jury, die sich aus Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen) Politiker/innen und Verwaltungsfachleuten zusammensetzt, kann 3. Gesetzliche Regelungen fehlen ganz (Bayern, Hessen, Nie- sich jedoch nicht einigen. Ein Bürger will wissen, wieviel Geld dersachsen, Sachsen). das Marketingunternehmen bekommen hat und fragt auf Grund- lage des Informationsfreiheitsgesetzes nach. Eine Auskunft be- Doch auch dort, wo es Transparenzgesetze gibt, steckt der kommt er nicht. Die Stadt erklärt, sie müsse die Geschäftsge- Teufel im Detail. Zum Beispiel verpflichtet das 2015 in Kraft heimnisse des Unternehmens schützen und könne deshalb dessen getretene rheinland-pfälzische Transparenzgesetz nicht die Preise nicht offenlegen. Näher begründet sie dies nicht. Kommunen. Anderswo sind die Ausnahmen von der Veröf­ Dieser Fall stellt nur einen der zahlreichen „Heimlichtuer fent­lichungspflicht so weit gefasst, dass wichtige Infomationen des Monats“, die das Bündnis „NRW blickt durch“ regelmäßig doch verborgen bleiben – zum Beispiel, wenn Betriebs- und Ge- kürt. Was hier im Kleinen geschieht – Bürger/innen wird der schäftsgeheimnisse ins Spiel kommen. Zugang zu Informationen verweigert –, passiert regelmäßig auch auf Landes- und Bundesebene. Deshalb fordert Mehr De- Warum gewinnt die Demokratie durch mehr Transparenz? mokratie Transparenzgesetze, die Politik und Verwaltung dazu Transparenz erleichtert Korruptionsbekämpfung und Kontrolle verpflichten, Daten von sich aus zu veröffentlichen. und stärkt damit das Vertrauen der Bürger/innen in Politik und Verwaltung. Nur wer von einem Vorgang weiß, kann sich aktiv Transparenzhauptstadt Hamburg einbringen, kann ein Bürgerbegehren, eine Volksinitiative starten. Hamburg machte sich im Jahr 2012 zur Transparenz-Haupt- Transparenz fördert Meinungsbildung und politische Teilhabe. stadt. Als erstes Bundesland in Deutschland beschloss die Nicht nur die der Bürger/innen – auch die Presse und die politische­ Hansestadt ein umfassendes Transparenzgesetz. Die Behör- Opposition profitieren. Und dem Staat selbst bringt Transparenz den des Landes sind seither verpflichtet, amtliche Informatio- ebenfalls Vorteile. Bevor die Verwaltung ihre Informationen nen frei im Internet zugänglich zu machen. Dazu gehören öffentlich zur Verfügung stellt, muss sie die Daten aufbereiten.­ etwa Gutachten, Senatsbeschlüsse und Verträge ab 100.000 Das verschafft auch behördenintern einen besseren Überblick. Euro, die die Daseinsvorsorge betreffen. Mehr Demokratie hat Auch fließen Informationen zwischen verschiedenen Behörden dieses Gesetz gemeinsam mit Bündnispartnern angeschoben: leichter, wenn die Daten frei zugänglich zur Verfügung stehen. mit der erfolgreichen Volksinitia­tive „Transparenz schafft Deshalb wird sich Mehr Demokratie weiterhin für mehr Vertrauen“, unter dem Eindruck der Kostenexplosion beim Transparenz in allen Bundesländern einsetzen. An Entwürfen für Bau der Hamburger Elbphilharmonie. gute Transparenzgesetze mangelt es nicht. Beispielsweise hat das Bündnis „NRW blickt durch“ dem Landtag in Düsseldorf bereits Wie regeln die anderen Bundesländer Transparenz? 2014 einen solchen Vorschlag überreicht. Laut Grundgesetz hat jede/r das Recht, sich aus allgemein zu- gänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Das hört sich Transparenz-Ranking: erst einmal vielversprechend an. Doch an genau diesen allgemein www.mehr-demokratie.de/transparenzranking zugänglichen Quellen fehlt es. Die Regelungen auf Landesebene sind ausbaufähig. Man kann die Transparenz-Entwicklung in den Bundesländern grob in drei Stufen unterteilen: Nicola Quarz 1. Behörden sind zur eigenständigen Veröffentlichung von arbeitet als Juristin für Mehr Demokratie, Mitautorin des Daten verpflichtet (Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz) Transparenz-Rankings.

33 DEMOKRATIE-THEMEN

BÜRGERBETEILIGUNG UND DIREKTE DEMOKRATIE ERGÄNZEN SICH SINNVOLL

TEXT CLAUDINE NIERTH

Mit direkter Demokratie ist die unmittelbare Mitwirkung der bare Verknüpfung beider Instrumente innerhalb eines Verfahrens, Bürger/innen an der Gesetzgebung gemeint – durch Volksinitia­ wenn zum Beispiel die Initiator/innen eines erfolgreichen Bür- tive, Volksbegehren und Volksentscheid auf Landesebene bezie- gerbegehrens noch vor dem Bürgerentscheid in einem dialogo- hungsweise Bürgerbegehren und Bürgerentscheid auf kommu- rientierten Beteiligungsprozess Alternativen oder Kompromisse naler Ebene. Die Abläufe und Anforderungen sind gesetzlich erarbeiten, über die dann abgestimmt werden kann. Idealerweise geregelt, die Ergebnisse verbindlich. kommt es sogar zu einem Dialog, in dem sich alle Beteiligten Bürgerbeteiligung bezeichnet die dialogorientierte Einbin- einigen, so dass ein Bürgerentscheid überflüssig wird. dung der Bürger/innen in politische, planungs- oder genehmi- Spätestens seit Stuttgart 21 gewinnt die frühe öffentliche Be- gungsrechtliche Prozesse. Förmliche Bürgerbeteiligung wird zum teiligung an Popularität. Je größer ein Planungsvorhaben, desto Beispiel im Planungsrecht durch das Bundesverwaltungsgesetz wichtiger ist es, bereits vor Planungsbeginn alle Interessenver- oder für die Bauleitplanung im Baugesetzbuch geregelt. Darüber treter/innen und Betroffenen an einen Tisch zu holen, um das hinaus gewinnt die nicht-förmlich geregelte Beteiligung an Be- Projekt bekannt zu machen, es auszuloten, für dessen Akzeptanz deutung. Immer mehr Länder, Städte und Kommunen erarbeiten zu werben oder es durch Alternativen zu ersetzen. So gab es zum verbindliche Beteiligungsleitfäden. Diese beschreiben Möglich- Beispiel einen Bürgerentscheid­ über den Bau der Allianzarena­ in keiten, Bürger/innen von Beginn an in Planungen einzubinden München, noch bevor die Planung überhaupt losging. In dem Ent- und unterschiedliche Interessen auszuloten. Baden-Württemberg scheid sprach sich die Mehrheit für das Stadion aus und so wurde ist das erste Bundesland, welches 2014 solche Vorgaben für sei- gebaut. Ein solches Vorgehen fordern nicht nur Bürgerinitiativen ne Landesplanungsverfahren in einer die Verwaltung bindenden oder Umweltverbände. Auch Industrieverbände haben den Wert Verwaltungsvorschrift erlassen hat. einer frühzeitigen echten Bürgerbeteiligung erkannt. Im Falle der Während also Bürgerbeteiligung eine Form des Dialogs dar- Allianzarena hatte das planende Architekturbüro den Bürgerent- stellt, bedeutet direkte Demokratie das Recht, durch verbindliche scheid gefordert. Der Verband der Deutschen Ingenieure (VDI) Volksabstimmungen Sachentscheidungen zu treffen. Die dialog- hat bereits eine eigene Richtlinie (VDI 7000) erarbeitet, die ver- orientierte Bürgerbeteiligung versammelt meist eine ausgewählte schiedene Beteiligungsmöglichkeiten vorstellt und den Planer/ Anzahl von Menschen in Anhörungen, Mediationen, Foren, Bür- innen großer und kleiner Vorhaben so eine Orientierung bietet. gertischen oder Planungszellen. Solche Methoden dienen eher In der Verknüpfung von Bürgerbeteiligung und direkter der Beratung. Sie konkretisieren das „Wie“ eines Vorhabens oder Demokratie steht die Entwicklung noch ganz am Anfang. Die suchen einen Interessenausgleich. Direkte Abstimmungsverfah- Ernsthaftigkeit, das wirkliche Interesse am Mehrwert von Bür- ren hingegen ermöglichen allen Bürger/innen gleichermaßen die gerbeteiligung – der weit über die bloße Akzeptanzbeschaffung Teilnahme. Hier wird vor allem über das „Ob“ eines Vorhabens hinausgeht –, wird ihren zukünftigen Erfolg bestimmen. / mehrheitlich und verbindlich entschieden. Das Ergebnis einer Abstimmung bindet das Parlament oder den Gemeinderat. An- ders bei der Beteiligung: Hier bleibt die Entscheidung über das MITMACHEN IM AK BÜRGERBETEILIGUNG Ergebnis meist im Parlament beziehungsweise im Gemeinderat Mehr Informationen auf der Website oder – wenn es um die Genehmigung eines Vorhabens geht – www.mehr-demokratie.de/ueber-uns/organisation/ bei der zuständigen Verwaltung. arbeitskreise/buergerbeteiligung oder im Berliner Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie können sich sinn- Büro unter 030-420 823 70. voll ergänzen: So kann es zum Beispiel hilfreich sein, dass sich eine Kommune zuerst per Bürgerentscheid auf das „Ob“ eines Vorhabens einigt, um dann in einem dialogorientierten Beteili- Claudine Nierth gungsprozess das „Wie“ mit den Bürger/innen zu erarbeiten. Sprecherin des Bundesvorstands von Mehr Demokratie Auch ein umgekehrtes Verfahren ist möglich oder die unmittel- und Mitglied im Netzwerk Bürgerbeteiligung.

34 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 WIR ÜBER UNS

UNSERE PUBLIKATIONEN

Mehr Demokratie erstellt regelmäßig wissenschaftliche Berichte zum Stand der direkten Demokratie in Deutschland. Außerdem geben wir zu vielen Demokratie­ themen Positions- und Themenpapiere heraus und veröffentlichen Stellung­ nahmen unserer Sachverständigen für Landtage und den Bundestag.

Positionspapiere mdmagazin – Zeitschrift für direkte Demokratie Sie stellen von der Mitgliederversammlung beschlossene Posi- Die Vereinszeitschrift mdmagazin richtet sich an Mitglieder, tionen des Vereins zu verschiedenen Themen vor. Bisher sind Fachleute und die interessierte Öffentlichkeit. Sie berich­tet erschienen: vierteljährlich über Entwicklungen und Debatten im Bereich 1. Pro&Contra Volksentscheid (auf Englisch) (direkter) Demokratie sowie über die Aktivitäten des Vereins. 2. Gefährden Volksentscheide Minderheiten? 3. Die Weimarer Erfahrungen Berichte und Rankings 4. Antworten auf die Einwände der CDU/CSU Der Volksbegehrensbericht stellt die Praxis direkter Demokra- 5. Droht bei Volksentscheid die Todesstrafe? tie in den Bundesländern dar, der Bürgerbegehrensbericht be- 6. Mehr Demokratie in Europa fasst sich mit der Praxis auf kommunaler Ebene. Sie erscheinen 7. Der Einfluss finanzstarker Interessengruppen auf abwechselnd: der Volksbegehrensbericht in ungeraden und der Volksabstimmungen Bürgerbegehrensbericht in geraden Jahren. 8. Sinn oder Unsinn von Abstimmungsquoren Die Rankings vergleichen die Bundesländer untereinander 9. Faire Bürger- und Volksentscheidsregeln als Schlüssel – das Wahlrechtsranking prüft die Wahlgesetze und das Volks- für lebendige Demokratie entscheidsranking die Gesetze für die direkte Demokratie auf 10. Chaos oder Sanierung? Wie sich Volksentscheide auf Landes- und Kommunalebene nach einem von Mehr Demokra- die öffentlichen Haushalte auswirken tie entwickelten Kriterienkatalog. Neu dazu gekommen ist das 11. Europa neu denken und gestalten (auch auf Englisch) Transparenzranking, das Mehr Demokratie gemeinsam mit der 12. Themenausschlüsse bei Bürgerbegehren und -entscheid Open Knowledge Foundation erstellt hat. Alle Rankings stellen 13. Bürgerbegehren und -entscheide in anwendungsfreund- die Ergebnisse übersichtlich in Form von Schulnoten und Rang- licher Regelung listen dar./ 14. Integrierte Stichwahl 15. Vorschlag für einen Europäischen Bürgerkonvent 16. E-Demokratie BESTELLEN ODER HERUNTERLADEN 17. Reform des Bundestagswahlrechts Eine Übersicht unserer Publikationen finden Sie unter 18. Artikel 146 GG www.mehr-demokratie.de/publikationen.html 19. Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung verbinden mdmagazin – Zeitschrift für direkte Demokratie Themenpapiere www.mehr-demokratie.de/ueber-uns/mdmagazin Sie behandeln verschiedene Aspekte der Demokratiepolitik, Rankings und Berichte oft aus aktuellem Anlass. Anders als die Positionspapiere ge- siehe Kasten auf Seite 17, Transparenzranking auf Seite 33 ben sie nicht die Meinung des Gesamtvereins wieder, sondern verstehen sich als Diskussionsgrundlage. Eine Übersicht Unsere Publikationen sind in der Regel auch in Papierform sämtlicher Themenpapiere finden Sie auf unserer Internetseite erhältlich. Bestellen Sie sie unter 07957-923 90 50 oder (siehe Kasten). Im Jahr 2017 neu erschienen sind „Direkte De- im Webshop unter mokratie und Gewerkschaften“ sowie die Themenflyer zum www.mehr-demokratie-shop.de/Publikationen Brexit und zur sozialen Exklusion.

35 WIR ÜBER UNS

STRUKTUR VON MEHR DEMOKRATIE

setzt Beschlüsse um

BUNDESMITGLIEDERVERSAMMLUNG BUNDESVORSTAND n alle Mitglieder sind teilnahme- und n koordiniert die laufende Arbeit stimmberechtigt n trägt Gesamtverantwortung für den Verein n legt die Grundlinien des Vereinsarbeit fest n kontrolliert die Finanzen von Bundesverband n entscheidet über Satzungsänderungen und Landesverbänden n wählt Vorstandsprecher/innen, Geschäftsführung und Kassierer/in. wählt, entlastet Dem Bundesvorstand gehören derzeit neun Personen an:

BEGLEITEND ARBEITEN Kuratorium Das Kuratorium berät den Verein. Ihm gehören Persönlich- keiten aus Wissenschaft, Kultur, Kunst und Wirtschaft an, die vom Bundesvorstand berufen werden. Eine Übersicht aller Mitglieder befindet sich auf den Seiten 38/39.

Themenbezogene Arbeitskreise Ralf-Uwe Beck Claudine Nierth Roman Huber Sie erarbeiten Vorschläge für Vorstand und Mitgliederversammlung. Derzeit gibt es: n AK Wahlrecht n AK Bürgerbegehren n AK Bürgerbeteiligung n AK Europa/Welt n AK Digitalisierung

KOOPERATIONEN n OMNIBUS für Direkte Demokratie Susanne Socher Alexander Bertram Böhm n Democracy International Trennheuser n abgeordnetenwatch.de n Initiative and Referendum Institute Europe (IRI Europe) n Stiftung Mitarbeit n Forschungsstelle für Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie (Universität Marburg) n Forschungsstelle für Bürgerbeteiligung (Bergische Universität Wuppertal) n mehr demokratie! Österreich Karl-Martin Felix Hoffmann Sarah Händel n Meer Democratie Niederlande Hentschel

36 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 WIR ÜBER UNS

BÜRO HAMBURG LV Hamburg BÜRO BREMEN Wissenschaft LV Bremen/Niedersachsen Fundraising BÜRO ROSTOCK LV Mecklenburg-Vorpommern

MEER Bremen DEMOCRATIE NL

Berlin Hannover Münster Osnabrück

Kreis Lippe BÜRO BERLIN Kreis Wesel LV Berlin/Brandenburg Dortmund Presse- und Öffentlich- Krefeld keitsarbeit, Lobby­ Düsseldorf Bergisch-Gladbach arbeit Rhein-Erft-Kreis Köln Bonn Siegerland

BÜRO KÖLN BÜRO ERFURT LV Nordrhein-Westfalen LV Thüringen

BÜRO SCHLOSS TEMPELHOF Frankfurt/Main Geschäftsführung, Buchhaltung, Mitglieder­betreuung

Nürnberg Mannheim Ortenaukreis/ BÜRO MÜNCHEN Karlsruhe Stuttgart LV Bayern Böblingen Bürgerbegehrens­beratung BÜRO STUTTGART LV Baden-Württemberg München MEHR DEMOKRATIE! Freiburg i. Br. Bodensee ÖSTERREICH

Landesverbände Mitmachen! LEGENDE Mehr Demokratie ist in 14 Landesverbän- Wer sich dafür interessiert, in einem der Aktionskreis den organisiert (Adressen siehe Seite 43). Aktionskreise mitzuarbeiten, erfährt In allen Landesverbänden versammeln beim jeweiligen Landesverband Zeit und dunkelgrau: Bundesland mit sich die Mitglieder zu Landesmitglieder- Ort der nächsten Treffen. eigenem Büro versammlungen, die unabhängig vom Selbstverständlich können Mitglieder hellgrau: Bundesland ohne Bundesverband Entscheidungen über die und Aktive jederzeit selbst einen Aktions- eigenes Büro eigene Arbeit treffen und eigene Landes- kreis in ihrer Stadt oder Region gründen. vorstände wählen. Der jeweilige Landesverband unterstützt Sie dabei gerne! Aktionskreise In einigen größeren Städten oder Regio- nen existieren lokale Aktionskreise oder Regio­nalgruppen, die von dortigen Akti- ven organisiert sind.

37 WIR ÜBER UNS

KURATORIUM

Das Kuratorium berät den Vorstand.

Prof. em. Dr. Andreas Auer Prof. Dr. Reiner Eichenberger Prof. Dr. Barbara Holland-Cunz Lehrstuhl für Öffentliches Recht Wirtschafts- und Finanzwissenschaft Politikwissenschaft Universität Zürich Université Fribourg, Schweiz Justus-Liebig-Universität Gießen

Prof. em. Dr. Hans Herbert von Arnim Prof. Dr. Lars P. Feld Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ismayr Forschungsinstitut für öffentliche Politische Ökonomie, Finanzwissenschaft Forschungsstelle Parlamentarismus Verwaltung Universität Freiburg Technische Universität Dresden Speyer Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Bruno S. Frey PD Dr. Otmar Jung Ulrich Bachmann Politische Ökonomie Politik- und Sozialwissenschaften Hessisches Ministerium für Soziales und Universität Basel Freie Universität Berlin Integration Wiesbaden Angelika Gardiner Prof. em. Dr. Gebhard Kirchgässner Journalistin Wirtschaftspolitik und Ökonometrie Lukas Beckmann Hamburg Universität St. Gallen, Schweiz Vorstand der GLS Treuhand e.V. Bochum Dr. Ing. Peter H. Grassmann Apl. Prof. Dr. Franz Kohout Ehemaliger Sprecher des Vorstands Carl Innenpolitik, Politische Systemforschung Prof. Dr. Joachim Behnke Zeiss, Oberkochen und Jena Universität der Bundeswehr München Politikwissenschaften Zeppelin Universität Friedrichshafen Andreas Gross Prof. Dr. Andreas Kost Schweizer Nationalrat, Parlamentarischer Referatsleiter der Landeszentrale für Prof. em. Dr. Dirk Berg-Schlosser Vertreter der Schweiz im Europarat politische Bildung NRW Vergleichende Politikwissenschaft Düsseldorf Philipps-Universität Marburg Gerald Häfner Mitbegründer von Mehr Demokratie e.V. Prof. Dr. Hans-Joachim Lauth Dr. Wolfgang Berger und der Partei Die Grünen Vergleichende Politikwissenschaft und Richter a.D. Dornach Systemlehre Berlin Julius-Maximilians-Universität Würzburg Dr. Klaus Hahnzog Dr. Nadja Braun Binder Rechtsanwalt, MdL a.D., Bürgermeister a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Forschungsinstitut für öffentliche München Bundesministerin der Justiz a.D. Verwaltung Speyer Prof. Dr. Hermann K. Heußner Prof. em. Dr. Diemut Majer Öffentliches Recht und Recht Öffentliches Recht, Verfassungsgeschichte Dr. Herta Däubler-Gmelin der sozialen Arbeit Universität Bern Bundesministerin der Justiz a.D. Fachhochschule Osnabrück Prof. em. Dr. Ingeborg Maus Prof. Dr. Christoph Degenhart Prof. Dr. Martin Hochhuth Politische Theorie und Ideengeschichte Staats- und Verwaltungsrecht Staats- und Verwaltungsrecht Goethe-Universität Frankfurt am Main Universität Leipzig Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

38 mehr demokratie | die grundlagen | 2017 WIR ÜBER UNS

Thomas Mayer Apl. Prof. Dr. Johannes Rux Wilfried Telkämper Mitbegründer und langjähriger Öffentliches Recht Vizepräsident des Europäischen Geschäftsführer von Mehr Demokratie Eberhard-Karls-Universität Tübingen Parlaments a. D. Kempten Freiburg/Bonn Prof. Dr. Birgit Sauer Prof. em. Dr. Peter C. Mayer-Tasch Professorin für Politikwissenschaften Prof. em. Dr. Franz Thedieck Ehem. Rektor der Hochschule für Politik Universität Wien Staats- und Europarecht München Hochschule für öffentliche Verwaltung Prof. em. Dr. Theo Schiller Kehl Prof. em. Dr. Dr. Hans Meyer Politisches System der Bundesrepublik Ehem. Präsident der Deutschland, direkte Demokratie Dr. Rhea Thönges-Stringaris Humboldt-Universität Berlin Philipps-Universität Marburg Kunsthistorikerin und Kulturschaffende Kassel Dr. Peter Neumann Prof. Dr. Utz Schliesky Rechtsanwalt, Direktor des DISUD Direktor des Lorenz-von-Stein-Instituts Prof. Dr. Silvia Serena Tschopp Dresden für Verwaltungswissenschaften Direktorin des Instituts für Europäische Christian-Albrechts-Universität Kiel Kulturgeschichte Dr. Claus-Henning Obst Universität Augsburg Rechtsanwalt (Verwaltungsrecht) Renate Schmidt Düsseldorf Vizepräsidentin des Deutschen Bundes- Prof. Dr. Christian Welzel tages a.D., Bundesfamilienministerin a. D. Politische Kulturforschung Prof. Dr. Arne Pautsch München Leuphana Universität Lüneburg Öffentliches Recht (Verwaltungsrecht), Hochschule Osnabrück Prof. em. Dr. Hans-Peter Schneider Dr. Hanns-Jürgen Wiegand Staats- und Verwaltungsrecht Rechtswissenschaftler Stefan von Raumer Technische Universität Hannover Darmstadt Rechtsanwalt Berlin Marie-Luise Schwarz-Schilling Prof. Dr. Fabian Wittreck Unternehmerin Öffentliches Recht Dr. Adrian Reinert Büdingen/Berlin Westfälische Wilhelms-Universität Münster Schwerpunkt Bürgerbeteiligung Volkshochschule Bonn Professor i. R. Dr. Gerhard Stuby Wilko Zicht Öffentliches Recht und Abgeordneter der Bürgerschaft Prof. Dr. Matthias Rossi wissenschaftliche Politik Bremen Staats-, Verwaltungs- und Europarecht Universität Bremen Universität Augsburg Verstorbene Mitglieder des Kuratoriums: Johannes Stüttgen Prof. Dr. Peter C. Dienel (Wuppertal) Prof. em. Dr. Roland Roth Künstler, Gesellschafter des Omnibus für Prof. Dr. Roland Geitmann (Kehl) Professor für Politikwissenschaft Direkte Demokratie Jaroslav Langer (Bonn) Hochschule Magdeburg-Stendal Düsseldorf Prof. Dr. Joachim Linck (Erfurt) Dr. Wolfgang Ullmann (Berlin) mehr demokratie | die grundlagen | 2017 39 WIR ÜBER UNS

UNSERE PARTNER

Mehr Demokratie arbeitet regelmäßig mit vielen verschiedenen Demokratie-Initiativen zusammen. Unsere drei wichtigsten Partner, den OMNIBUS für Direkte Demokratie, Democracy International und abgeordnetenwatch.de stellen wir hier vor.

Der OMNIBUS für Direkte Democracy International e.V. abgeordnetenwatch.de Demokratie gGmbH Der Verein setzt sich ein für mehr Demo- „Bürger fragen, Abgeordnete antworten“ Der OMNIBUS für Direkte Demokratie kratie auf europäischer und internationa- – nach diesem Prinzipt ermöglicht wurde 1988 als gemeinnützige GmbH ler Ebene, informiert über (direkte) De- abgeordnetenwatch.de einen öffentlichen gegründet. Den Impuls für die Arbeit an mokratie weltweit und fördert junge Austausch auf Augenhöhe. So wollen die einer selbstbestimmten, freien Gesell- Demokratie-Initiativen beim Aufbau ih- Macher/innen Transparenz schaffen und schaft bezieht das Unternehmen aus der rer Organisation. Politischer Schwer- den Graben zwischen Bevölkerung und Kunst, seine Philosophie ist von Joseph punkt 2016 war die Kampagne „Demo- Politik überwinden. Das Frageportal gibt Beuys‘ Idee der „Sozialen Plastik“ geprägt. cratic Europe Now!“, mit der die EU es aktuell für den Deutschen Bundestag, Es versteht sich selbst als „Forschungs- demokratischer und transparenter wer- das EU-Parlament sowie für 12 Landes- und Entwicklungsunternehmen der Direk- den soll. Seinen Anfang nahm Democra- parlamente. ten Demokratie“ und arbeitet seit seiner cy International in einem Netzwerk von Mit dem Projekt PetitionPlus will Gründung dafür, dass die dreistufige Demokratie-Aktiven, das sich um die abgeordnetenwatch.de außerdem Petitio- Volksabstimmung realisiert wird. Seit Millenniumswende zusammenfand und nen von Bürger/innen wirksamer machen 13 Jahren fährt der weiße OMNIBUS ständig wuchs. Seit 2011 ist Democracy und bittet Abgeordnete um ihren Stand- kreuz und quer durch Deutschland, um International ein eingetragener Verein. punkt zu besonders relevanten Petitio- mit den Menschen über direkte Demo- nen, für die es in der Bevölkerung eine kratie ins Gespräch zu kommen. Er war Mehrheit gibt. aber auch schon in Europa unterwegs, Die dritte Säule von abgeordneten- unter anderem in Großbritannien und watch.de bildet die investigative Recher- Griechenland. Außerdem unterstützt der che. Durch Veröffentlichungen zu The- OMNIBUS landesweite Volksbegehren men wie Lobbyismus, Parteispenden und Ansprechpartnerin und macht Unterricht an Schulen. Caroline Vernaillen Nebentätigkeiten von Volksvertretern Tel. 02203-102 14 75, macht abgeordnetenwatch.de auf Miss- [email protected] stände aufmerksam und tritt für deren Be- www.democracy-international.org seitigung ein.

Ansprechpartnerin Brigitte Krenkers Tel. 02302-956 70 76, [email protected] www.omnibus.org, Ansprechpartner www.democracy-in-motion.eu Roman Ebener Tel. 040-317 69 10 26, [email protected] www.abgeordnetenwatch.de

40 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 GLOSSAR

DIE WICHTIGSTEN BEGRIFFE

Abstimmungsquorum Verfahrensstufe auf kommunaler Ebene, entspricht dem  Volks- Legt fest, dass ein Volksentscheid nur dann gültig ist, wenn entscheid auf Landesebene. ein bestimmter Mindestanteil der Stimmberechtigten sich am Volksentscheid beteiligt hat (Beteiligungsquorum) beziehungs- Direktdemokratische Verfahren weise ein bestimmter Mindestanteil der Stimmberechtigten einer Sammelbegriff für Verfahren, in denen Bürger/innen verbind- Vorlage zugestimmt hat (Zustimmungsquorum). lich über eine Sachfrage entscheiden. Es werden drei Verfah- renstypen unterschieden: Amtseintragung 1) Dreistufige Volksgesetzgebung/Volksinitiative In vielen Bundesländern können Volks- und Bürgerbegehren 2) Fakultatives Referendum nur in Amtsräumen unterschrieben werden. Die  freie Samm- 3) Obligatorisches Referendum lung von Unterschriften auf der Straße ist dann nicht zulässig. Dreistufige Volksgesetzgebung Antrag auf Volksbegehren Ein Verfahrenstypus der direkten Demokratie. Wird auch Erste Stufe der  dreistufigen Volksgesetzgebung. Anders als  Volksinitiative genannt. Es gibt drei Verfahrensstufen: bei der  Volksini­ tiative­ prüft die Verwaltung hier lediglich formal die Zulässigkeit; der Landtag muss sich auf dieser Stufe 1. Stufe: Volksinitiative/Antrag auf Volksbegehren nicht inhaltlich mit dem Anliegen befassen. Werden genügend Eine Mindestzahl an Unterschriften wird bei der für das jeweili- Unterschriften gesammelt, kommt es zur zweiten Verfahrens- ge Thema zuständigen Behörde eingereicht. Bei einer  Volks- stufe, dem  Volksbegehren. initiative muss sich der Landtag inhaltlich mit dem Anliegen befassen, in allen deutschen Bundesländern findet eine Anhö- Beteiligungsquorum rung der Initiator/innen statt. Beim  Antrag auf Volksbegehren Siehe  Abstimmungsquorum. wird lediglich formal die Zulässigkeit geprüft, eine Befassung im Landtag kann stattfinden. Bauleitplanung Leitplan einer Gemeinde unter anderem für anstehende Bau- 2. Stufe: Volksbegehren maßnahmen. In sechs Bundesländern sind Bürgerbegehren Erneute Sammlung von Unterschriften. Die Hürden liegen hier dazu zulässig. höher als in der ersten Stufe und variieren je nach Bundesland zwischen 3,6 und 20 Prozent. Die benötigte Prozentzahl für das Bürgerbegehren (kommunale Ebene) Volksbegehren wird als  Unterschriftenquorum bezeichnet. Wer- Erste Verfahrensstufe auf kommunaler Ebene, entspricht dem den genugend Unterschriften gesammelt und ubernimmt das Parla-  Volksbegehren als zweiter Verfahrensstufe auf Landesebene. ment die Forderungen nicht, kommt es zu einem  Volksentscheid.

Bürgerentscheid (kommunale Ebene) 3. Stufe: Volksentscheid Oberbegriff für eine Abstimmung der Bürger/innen über eine Abstimmung der Bürger/innen über eine Sachfrage. Das jeweilige Sachfrage aufgrund eines  Bürgerbegehrens oder aufgrund ei- Landesparlament kann einen Gegenentwurf zur Abstimmung stel- nes Beschlusses des Gemeinderats ( Ratsreferendum). Zweite len. In fast allen Bundesländern gilt ein  Abstimmungsquorum.

41 GLOSSAR

Fakultatives Referendum Volksbegehren Bei diesem Verfahrenstypus der direkten Demokratie handelt es Dieser Begriff hat eine doppelte Bedeutung. sich um ein zweistufiges Verfahren (Volksbegehren plus Volks- 1. Zweite Stufe der  dreistufigen Volksgesetzgebung. Wer- entscheid). Das fakultative Referendum richtet sich gegen ein den genügend Unterschriften gesammelt und übernimmt vom Parlament beschlossenes Gesetz. Dieses tritt zunächst nicht das Parlament die Forderungen nicht, kommt es zu einem in Kraft, denn es steht unter Referendumsvorbehalt. Innerhalb  Volksentscheid. einer bestimmten Frist – oft drei Monate oder 100 Tage – kann 2. Umgangssprachliche Bezeichnung für das gesamte „von auf Verlangen einer bestimmten Anzahl von Stimmbürger/ unten“, also durch Bürger/innen initiierte, direktdemokra- innen ein  Volksentscheid durchgeführt werden. tische Verfahren. Zwecks Trennschärfe verwendet die Wis- senschaft deshalb den Begriff  Volksgesetzgebung für das Finanztabu/Finanzvorbehalt gesamte Verfahren. Unzulässigkeit von Volksbegehren zu haushaltsrelevanten Themen. In vielen Bundesländern sind Volksbegehren mit weit- Volksinitiative reichenden finanziellen Folgen nicht zugelassen. Dieser Begriff hat eine doppelte Bedeutung. 1. Erste Stufe der  dreistufigen Volksgesetzgebung, sofern Freie Sammlung das Verfahren mit einem Anhörungsrecht der Initiator/ Unterschriften für Volks- oder Bürgerbegehren dürfen frei ge- innen im Parlament ausgestattet ist. Werden genügend sammelt werden. Zum Unterschreiben muss man nicht aufs Amt. Unterschriften gesammelt und das Parlament lehnt das Anliegen ab, kommt es zur zweiten Verfahrensstufe, dem Obligatorisches Verfassungsreferendum  Volksbegehren. Verpflichtend vorgeschriebener Volksentscheid bei Verfas- 2. Wird auch synonym für die  dreistufige Volksgesetzgebung sungsänderungen; ein entsprechender Beschluss des Landes- – als einer der drei direktdemokratischen Verfahrenstypen­ – parlaments geht dem Volksentscheid voraus. verwendet. In der Schweiz seit mehr als einem Jahrhundert etablierter Begriff hierfür, gemeinsam mit dem fakultativen Quorum Referendum und dem obligatorischen Referendum. Siehe  Abstimmungsquorum. Volksgesetzgebung Ratsreferendum (kommunale Ebene) Bezeichnet den gesamten dreistufigen Gesetzgebungsprozess Der Gemeinderat kann in manchen Bundesländern von sich „von unten“ (siehe  Volksbegehren). aus beschließen, einen  Bürgerentscheid durchzuführen. Je nach Bundesland ist hierfür eine einfache Mehrheit oder eine Volkspetition Zweidrittelmehrheit im Gemeinderat erforderlich. Auch „Rats- Einstufiges, unverbindliches Bürgerbeteiligungsverfahren, das begehren“ oder „Ratsbürgerentscheid“ genannt. zur Behandlung des Anliegens im Gemeinderat/Landtag führt. Heißt in manchen Bundesländern  Volksinitiative, auf kommu- Unterschriftenquorum naler Ebene wird von „Einwohnerantrag“ oder „Bürgerantrag“ Die benötigte Prozentzahl für ein  Volksbegehren als zweiter gesprochen. Verfahrensstufe wird als „Unterschriftenquorum“ bezeichnet. Alternativ wird manchmal der Begriff „Einleitungsquorum“ Zustimmungsquorum verwendet. Siehe  Abstimmungsquorum.

42 mehr demokratie | die grundlagen | 2018 SERVICE

KONTAKT ARBEITSBEREICHE BUNDESBÜROS

Landesbüro Baden-Württemberg Geschäftsführung und Kuratorium Bundesbüro Tempelhof Rotebühlstr. 86/1, 70178 Stuttgart Roman Huber, Büro Tempelhof Tempelhof 3, 74594 Kreßberg Tel. 0711-509 10 10, Fax 0711-509 10 11 [email protected] Tel. 07957-923 90 50, Fax 07957-924 99 92 [email protected] Tim Weber, Büro Bremen [email protected] [email protected] Landesbüro Bayern Bundesbüro Berlin Schwanthalerstr. 120, 80339 München Service für Mitglieder und Förderer Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin Tel: 089-462 242 05 oder 08071-597 51 20 Carola Hadamovsky, Büro Tempelhof Tel. 030-420 823 70, Fax 030-420 823 80 [email protected] [email protected] [email protected]

Landesbüro Berlin/Brandenburg Pressesprecher/in Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin Anne Dänner, Büro Berlin Tel. 030-420 823 70, Fax 030-420 823 80 Anselm Renn, Büro Berlin [email protected] [email protected]

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Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern Finanzierung und Stiftung Hermannstr. 36, 18055 Rostock Katrin Tober, Büro Bremen [email protected] [email protected]

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43 [ ] Ja, ich werde Mitglied bei Mehr Demokratie e.V. [ ] Ja, ich erteile ein SEPA-Lastschriftmandat

Ich zahle einen jährlichen Beitrag von _____ EUR Ich ermächtige Mehr Demokratie e.V. bis auf Widerruf, Zahlungen von meinem Konto mittels Last- schrift einzuziehen. Zugleich weise ich mein Kreditinstitut an, die von Mehr Demokratie e.V. auf (Einzelbeitrag 78 EUR, ermäßigt 30 EUR) mein Konto gezogenen Lastschriften einzulösen. Hinweis: Ich kann innerhalb von acht Wochen, beginnend mit dem Belastungsdatum, die Erstattung des belasteten Betrages verlangen. Es gelten dabei die mit meinem Kreditinstitut vereinbarten Bedingungen. Das SEPA-Lastschriftmandat gilt für wiederkehrende und einmalige Zahlungen. Für die Vorabinformation über den ersten Zahlungseinzug und die Übermittlung der Mandatsreferenz- nummer wird eine Frist von mindestens fünf Kalendertagen vor Fälligkeit vereinbart.

Anschrift: Mehr Demokratie e.V., Tempelhof 3, 74594 Kreßberg Vorname, Nachname Gläubiger-ID: DE26ZZZ00000033645 Mandatsreferenznummer: wird separat mitgeteilt Mitgliedsbeiträge sind steuerlich absetzbar. Als Mitglied erhalten Sie Straße, Nr. vierteljährlich kostenlos unsere Mitgliederzeitschrift.

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E-Mail Bank Der Einzug erfolgt: [ ] 1/4jährlich [ ] 1/2jährlich [ ] jährlich Telefon Ort, Datum, Unterschrift Mitgliedsbeiträge sind steuerlich absetzbar. Als Mitglied erhalten Sie vierteljähr- lich kostenlos unsere Mitgliederzeitschrift. [ ] Ja, ich bin damit einverstanden, dass Mehr Demokratie mich per Bitte senden Sie die Antwortkarte im Umschlag und ausreichend fran- E-Mail kontaktiert. Ort,kiert Datum, an Mehr Unterschrift Demokratie e.V. Tempelhof 3, 74594 Kreßberg oder als [ ] Ja, ich bin damit einverstanden, dass Mehr Demokratie mich per Scan per E-Mail an [email protected] Telefon kontaktiert.

Datenschutzrechtliche Unterrichtung laut Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 DS-GVO

Verantwortlicher ist Mehr Demokratie e.V., Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin. Kontakt zur Datenschutzbeauftragten: [email protected] Wir weisen darauf hin, dass zum Zweck der Mitgliederverwaltung und -betreuung folgende Daten der Mitglieder automatisiert verarbeitet werden: Namen, Anschrift, Telefonnummer, Geburtsdaten, Zahlungsdaten, ggf. Bankverbindung und E-Mail. Die Daten sind zur Erfüllung der Mitgliedschaft notwendig nach Rechtsgrundlage des Art. 6 Abs. 1 lit. b) DS-GVO. Bei Einwilligung zur E-Mail nehmen wir Sie in den Newsletter auf. Eine Weitergabe der Daten an Dritte findet nur statt, wenn wir mit einem Versanddienstleister oder Telefondienstleister zusammenarbeiten, der direkt nach Zweckerfüllung zur Löschung der Daten verpflichtet ist. Ihre Daten speichern wir nur über die Dauer der Zweckerfüllung bzw. nach gesetzlicher Vorgabe. Sie haben ein Recht auf Auskunft, Berichtigung, Löschung, Einschränkung der Verarbeitung und das Recht auf Widerspruch sowie das Recht auf Datenübertragbarkeit. Ein Widerruf der Einwilligung ist jederzeit formlos möglich, z.B. per Anruf oder E-Mail (030-42082370, [email protected]). Sie haben das Recht auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde, sollten Sie den Eindruck haben, Ihre Daten werden unrechtmäßig genutzt. Mit Ausfüllen des Mitgliedsantrags erklären Sie Ihr Einverständnis zur genannten Verarbeitung Ihrer Daten. 44 mehr demokratie | die grundlagen | 2018