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München von A bis Z

Eine Zusammenstellung auf der Basis von Beiträgen in der Süddeutschen Zeitung

von Mitarbeitern des SZ-Archivs: Cornelius Esau, Andreas Holderried, Dr. Alexander Holthaus, Michael Langgärtner und Andreas Vogt

wie Architektur A München leuchtet. Es war Thomas Mann, der München eines der berühmtesten Zitate über die Stadt geschenkt hat. „München leuchtete”, so be­ ginnt Thomas Manns Novelle „Gladius Dei” aus dem Jahr 1902 lapidar. Und dann folgen diese Sätze: „Über den festlichen Plätzen und weißen Säulentempeln, den antikisierenden Monumenten und Barockkir­ chen, den springenden Brunnen, Palästen und Gar­ tenanlagen der Residenz spannte sich strahlend ein Himmel von blauer Seide ...“ Doch „verklärt” wird München in dieser Novelle nicht. In „Gladius Dei“ gibt es den Glanz der Kunststadt, aber auch die Kritik an einer Haltung, die sich mit dem Dekorativen be­ gnügt, den Nachbildungen und Kopien. Ein Hang zum schönen Schein wird München nachgesagt. Seit je liebt man hier die Maskerade, was auch dem Bildhauer Hermann Obrist aufgefallen ist, Oben: Blick auf der 1902 schrieb, München sei ein „Dauerkostümfest”. die Münchner Obrist spielte damit auf die Architektur an, und frag­ Innenstadt (SZ los hatte er die Prachtbauten König Ludwigs I. im Photo / Scherl) Sinn, die mal im florentinischen, mal im antiken Gewand posieren. Links: Odeons­ München, das ist Kulissen-Glamour aus dem 19. platz mit Thea­ Jahrhundert – ein oft gehörtes Vorurteil. Keine an­ tiner­kirche (SZ dere Großstadt Deutschlands ist so markant von den Photo) Bauten ihres ehemaligen Fürstenhauses geprägt wie München, das von den Wittelsbachern so reich mit fürstlichen Stiftungen, mit Schloss-, Kirchen- und Klosterbauten, Museen, Bildungsanstalten, Plätzen und Gartenanlagen beschenkt wurde. Als Bayern 1806 Königreich wurde, musste in der noch mittelal­ Wie alle großen deutschen Städte wurde Mün­chen terlich anmutenden Stadt plötzlich europäische durch Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg schwer ge­ Bedeutung simuliert werden. Die Baumeister Carl troffen. Während in anderen Städten häufig neu ge­ von Fischer, Leo von Klenze und sein Konkurrent baut wurde, entschied man sich in München für eine Friedrich von Gärtner gaben München mit zahlrei­ weitgehende Wiederherstellung. Auch die prägen­ chen Bauten, die in den Reiseführern als besondere den Architekturmonumente zwischen Peterskir­che, Höhepunkte für jeden Besuch in der bayerischen Liebfrauendom und Ludwigstraße, zwischen Königs­ Landeshauptstadt aufgeführt sind, eine neue archi­ platz und Residenz sind im Kern gewissermaßen tektonische Dimension und Größe. Produkte der Nachkriegszeit – Rekonstruktionen, 18 SPEZIAL info7 1|2012

Nachempfindungen und Neubauten mit vorgeblende­ rierenden Städten abverlangt wird: den zunehmen­ ten alten oder dem alten Stil angeglichenen Fassaden. den Verlust des Typischen, Charakteristischen. Zum Glück, denn so wurde das historische Erschei­ Gleich­­wohl hat sich die Stadt ihren eigentümlichen nungsbild erhalten. Charme bewahrt. Das alte München sollte bewahrt werden, gleich­ Das ist gewiss mit ein Grund, warum München zeitig die Stadt dem Neuen geöffnet werden. Das ist als Wohnort begehrt ist wie keine andere deutsche die Grundhaltung, die im Prinzip bis zur Gegenwart Großstadt, auch wenn das Leben hier teuer ist. Ein die Stadtplanung bestimmt. Hauch mediterraner Leichtigkeit weht durch die Aber es gab dennoch eine Reihe von hässlichen Stadt. Wer es schafft, an einem sommerlichen Abend Bau- und Abbruchsünden, die der Architekt Erwin einen der begehrten Sitzplätze in einem Café zu er­ Schleich 1978 in seinem Buch „Die zweite Zerstörung obern, wird die prächtige Architekturkulisse beson­ Münchens“ dokumentierte. In den 60er Jahren wa­ ders genießen, beispielsweise am , wohl ren die Planungen dann stark auf den Autoverkehr dem schönsten „italienischen“ Platz nördlich der Alpen, fixiert, die in das innerstädtische Ensemble schmerz­ wenn sich unter blauem Himmel der Son­nenglanz liche Eingriffe vornahmen. Wie ein Riegel schiebt golden in der Kuppel und der ockergelben Fassade der sich seitdem der Altstadtring auf weiten Strecken Theatinerkirche spiegelt. München leuchtet noch immer. zwischen die früher von Stadtmauern umsäumte Innenstadt und die ehemaligen Vororte. Der viel­ wie Bier leicht schlimmste Baufrevel, die Unterführung am B Weltruf genießt München auch als Stadt des Prinz-Carl-Palais, löste allerdings heftige Gegenwehr Bieres. Die Wittelsbacher, die München im Jahre 1255 aus: Bürger, Journalisten, Künstler und Architekten zu Ihrer Residenzstadt machten, erkannten rasch die schlossen sich damals zur ersten Bürgerinitiative Bedeutung, die das „Pir“ für die städtischen Steuerkas­- Münchens zusammen. sen hatte, und auch die eigene Schatulle ließ sich mit Immer wieder gab es turbulente Diskussionen den Erlösen aus den Braurechten ordentlich füllen. wie im Hochhaus-Streit, der 2004 geführt wurde. In Das Brauen selbst war Sache der Mönche. Ihre einem Bürgerentscheid haben sich die Münchner strengen Fastenregeln ließen sich mit dem „flüssi­ Wähler dafür ausgesprochen, die Maximalhöhe für gen Brot“ erträglicher gestalten und auch die Ein­ neue Hochhäuser auf 100 Meter zu begrenzen (so künfte aus dem Verkauf des Biers wussten sie zu musste unter anderem der Süddeutsche Verlag sein schätzen. Das wussten allerdings nicht nur die bra­ Hochhaus-Projekt überarbeiten). ven Mönche. Um Bierpanschern Vorschub zu leisten, München hat sich mit der Moderne nicht immer erließ Herzog Albrecht IV. im Jahre 1487 eine strenge leicht getan. Am augenfälligsten spiegelt sich dies in „Bierordnung“ und schrieb so, noch vor dem be­ der Architektur. München hatte nicht unbedingt den rühmten „bayerischen Reinheitsgebot“ von 1516, das Ruf als experimentierfreudige Architektur-Stadt. erste Lebensmittelgesetz der Welt fest. Bis heute hal­ Aber hier sind einige der bedeutendsten Monumente ten sich die bayerischen Brauer an diesen histori­ der deutschen Baugeschichte nach dem Krieg ent­ schen Erlass und schwören am traditionellen Brauer­ standen wie die Olympialandschaft mit ihren küh­ tag, der im Juni gemeinsam mit dem Stadtgrün­ nen Zeltdachkonstruktionen. Der mit dungsfest begangen wird, feierlich ihren Eid darauf. seinen Sportstätten war eine herausragende Gemein­ 25 große Brauereien gab es zu Beginn des 20. schaftsleistung des Architekten Günter Behnisch, Jahrhunderts in München. Heute sind es derer noch des Konstrukteurs Frei Otto, des Landschaftplaners sechs, von denen nur zwei noch nicht im Besitz von Günter Grzimek und des Gestaltungsbeauftragten internationalen Getränkekonzernen sind: Die Hof­ Otl Aicher. Ansonsten herrschte lange Zeit eher Mit­ braue­rei als Eigentum des Freistaats Bayern und der telmaß. Das hat sich zum Glück geändert. Erwähnt Augustiner-Bräu als letzte unabhängige Münchner seien unter anderem die vielgelobten Hochhäuser Brauerei. Seitdem 1328 Augustiner-Mönche die Bier­ von BMW (1970 bis 1973 errichtet) und des Hypo- herstellung aufnahmen, wird unter diesem Namen in Bank-Verwaltungszentrums. Und inzwischen gibt es München Bier gebraut. die Herz-Jesu-Kirche in Neuhausen, das Jüdische Zen­- Ob es wohl Zufall ist, dass gerade deren Produkt trum am St.-Jakobs-Platz, die BMW Welt des Archi­ das mit weitem Abstand beliebteste Bier bei den tekturbüros Coop Himmelb(l)au, die Allianz-Arena Münchnern ist, mit einem Ausstoß von mittlerweile von Herzog & de Meuron, das Brandhorst-Museum ... fast 1,3 Millionen Hektolitern im Jahr? Zwei von drei Es scheint, als habe sich das Neue mit dem Alten Flaschen hellen Lagerbiers, das in der Stadt verkauft versöhnt – und umgekehrt. Die Stadt ist spätestens wird, stammen inzwischen aus der Traditionsbrauerei seit der Modernisierung für die Olympischen Spiele an der Landsberger Straße. Das Bier der Hofbrauerei kein zu groß geratenes Freilichtmuseum. München kann der Interessierte unter anderem im Hofbräuhaus ist eine Großstadt, die für ihre wirtschaftliche Dyna­ probieren, jenem riesigen Münchner Biertempel, der mik allerdings auch den Preis bezahlt, der allen flo­ vor allem Touristen aus aller Welt magisch anzieht. München von A bis Z SPEZIAL 19

Genießen mag der Münchner sein Bier zu allen Scharnagel, Mitbegründer der CSU, der im Mai 1945 Jahreszeiten und Gelegenheiten, am liebsten trinkt von den Amerikanern eingesetzt wurde und bis 1948 er es jedoch im Freien. Schon die ersten lauen Früh­ OB war, außer Acht lässt. lingslüfterl ziehen ihn hinaus zum Starkbier auf den 1948 folgte ihm, als erster gewählter Nachkriegs- Nockherberg. Dort findet unter allerhand medialer Oberbürgermeister, Thomas Wimmer, „Wimmer Da­ Anteilnahme alljährlich im März der Salvator­anstich merl” genannt. Der liebevolle Kosename verrät be­ statt, bei dem Politiker und andere Groß­kopferte das reits, dass es sich um einen volkstümlichen Bürger­ „Derblecken“ (eine Spott- und Schmäh­rede) über meister gehandelt hat, der bei den Münchnern be­ sich ergehen lassen müssen, dazu tunlichst eine gute liebt war. Der Wiederaufbau der in Schutt und Asche Miene sich abringen sollten, dann dafür aber auch liegenden Stadt ist unzertrennlich mit seinem Namen mit reichlich Freibier (Stammwürze 18,3 %) entschä­ verbunden. Unvergessen ist sein Aufruf „Rama da­ digt werden. ma“ zur Trümmerbeseitigung, sie ist Legende gewor­ Solange die Temperaturen es zulassen und oft den. Wimmer begründete auch jene Anzapf-Tra­dition bis weit in den Spätherbst hinein dauert Münchens zur Eröffnung des , die nach wie vor je­ Biergartensaison. Rund 180.000 Gästen bieten die 26 des Jahr durch Funk und Fernsehen in alle Welt traditionellen Biergärten und die ungezählten übri­ übertragen wird. Dass die Stadt im Kern ihr gewach­ gen Freischankflächen Platz. Ob im Hirschgarten, im senes Bild weitgehend bewahrt hat, ist den Weichen Augustiner oder am Chinesischen Turm, eine gern zu verdanken, die er in seiner Amtszeit gestellt hat, genutzte Besonderheit der Münchner Biergärten ist die bis 1960 dauerte. es, dass der Gast sich seine Brotzeit selbst mitbrin­ Er wurde abgelöst von Hans-Jochen Vogel. Der gen kann, ein Brauch, der sich bislang gegen alle Jurist konnte sich gegen seinen Konkurrenten von Münchner Bestrebungen der (traditionell Not leidenden) Mün­ der CSU, Josef Müller, souverän durchsetzen und Kellnerin, 1909 chner Wirte behauptet hat. wurde mit 34 Jahren zum jüngsten Oberbürgermeister (SZ-Photo / Noch ärger wäre die Not der Gastronomen, gäbe einer deutschen Großstadt. Unter ihm hat die Stadt Scherl) es nicht das Münchner , mit dem alljähr­ einen stürmischen Aufstieg genommen, von dem sie lich im September das Münchner Bierjahr in seine heute noch profitiert. Obwohl gänzlich ein anderer Zielgerade einbiegt. Seit sich im Jahre 1810 der Kron­ Typ als Thomas Wimmer, war Vogel nicht weniger prinz und nachmalige König Ludwig I. von Bayern populär. Er war bis 1972 OB. Er verzichtete auf eine und die Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburg­ erneute Kandidatur, weil er der Flügelkämpfe, die es hausen das Ja-Wort gaben und zu diesem Anlass ein in der Münchner SPD gab, überdrüssig wurde. Er Pferderennen stattfand, trifft sich Jahr um Jahr „tout übernahm bekanntlich neue Aufgaben und war un­ “ mit dem Rest der Welt für zwei Wochen auf ter anderem Regierender Bürgermeister in Berlin, der Theresienwiese, um unter dem ehernen Blick der Justizminister, Kanzlerkandidat, Fraktionschef und das zu feiern, was sich in seiner zweihun­ Parteivorsitzender der SPD. dertundeinjährigen Geschichte zum „größten Volks­ Auch sein Nachfolger plagte fest der Welt“ gemausert hat. Zum Auftakt muss der sich mit dem linken Parteiflügel der SPD. Kronawitter Münchner Oberbürgermeister ein Fass anstechen gewann 1972 die OB-Wahl. Aber es gelang ihm nicht, und vernehmlich „Ozapft is“ rufen. Dann trinken die Grabenkämpfe in der SPD-Fraktion zu beenden. rund 7 Millionen Menschen an die 8 Millionen Liter 1976 verzichtete Kronawitter auf eine erneute OB- Bier, verspeisen 118 Ochsen und mehrere Hundert­ Kandidatur. Neuer Oberbürgermeister, der einzige tausend Brathendl, stehlen 260.000 Maßkrüge, er­ gewählte CSU-OB, wurde Erich Kiesel. Die Sozial­ muntern die Polizeibeamten der Wiesn­wache zu demokraten hatten sich in jahrelangen Flügelkämpfen 2175 Einsätzen und verlieren 1300 Kleidungsstücke, so sehr aufgerieben, dass sich Erich Kiesel knapp ge­ 1045 Ausweise, 520 Geldbörsen, 425 Schlüssel, 390 gen seinen SPD-Kontrahenten, Max von Heckel, Handys, zwei Krücken und eine acht Zentimeter durchsetzen konnte. Doch Erich Kiesl verkörperte ei­ große Blattheuschrecke. nen Politiker-Typus, der nicht so recht zu München Wenn das Oktoberfest dann nach 16 Tagen zu passen wollte. Ende ist, gibt der Oberbürgermeister eine Presse­ Es blieb bei einer Episode. Kronawitter ließ sich konferenz und verkündet ebendiese Zahlen. Die wieder als OB-Kandidat der SPD aufstellen und ge­ Mün­chner Zeitungen vermelden dann bedauernd wann 1984 das Oberbürgermeister-Amt von Kiesl zu­ und mit leisem Vorwurf, dass es sich schon wieder rück. Aber die Mehrheitsverhältnisse waren schwie­ um keine „Rekordwiesn“ gehandelt habe. rig. Dennoch konnte sich Kronawitter behaupten und 1990 wurde die SPD wieder stärkste politische Kraft wie CSU und das Rathaus in München. Nach insgesamt 15 Jahren Amtszeit er­ C Von einem kurzen Intermezzo (Erich Kiesl klärte Georg Kronawitter seinen Rücktritt. von 1978 bis 1984) abgesehen stellte die SPD stets Sein Nachfolger wurde im Herbst 1993 Christian den Oberbürgermeister in München, wenn man Karl Ude, der gegen die Oberhand gewin­ 20 SPEZIAL info7 1|2012

nen konnte. Seitdem herrscht Christian Ude über die einmal mehr die 20-%-Marke und erzielte in Bayern Stadt in einem rot-grünen Bündnis, das seit 1990 be­ ihr schlechtestes Ergebnis nach 1945. Seit im vergan­ steht. Christian Ude, seit über 18 Jahren im Amt, ist genen Sommer bekannt wurde, dass Chris­tian Ude, der am längsten herrschende OB Münchens nach dessen Amtszeit im Frühjahr 2014 wegen der 1945. Die eigene SPD disziplinierte unterdessen die Altersgrenze endet, als Herausforderer von Minis­ Einsicht, dass ihre Wahlerfolge vor allem von ihrem terpräsident Horst Seehofer bei der Land­tags­wahl Spitzenmann abhängt. Christian Ude ist die Personi­ 2013 antreten wird, kommt in der Münchner Stadt­ fizierung des weltläufigen, liberalen Münchens und politik und in der bayerischen Landespolitik Span­ der eloquente Repräsentant einer Stadt, die auch nung auf. Ude hat auf einen Schlag die politische ihre Sorgen hat, der es aber deutlich besser geht als Landschaft in Bayern durcheinander gewirbelt. vergleichbaren Metropolen. Die SPD setzt nun auf den Ude-Effekt für die Aufgrund seiner Entscheidung, im nächsten Jahr Landtagswahl. Die jüngste Umfrage sieht die CSU als Spitzenkandidat der SPD bei der Landtagswahl derzeit bei 44 %, der Vorsprung gegenüber dem anzutreten, beschränken wir uns im Folgenden nicht Dreierbündnis aus SPD, Grünen und Freien Wählern mehr nur auf das politische Geschehen in der Stadt. schwindet. Würde die FDP als Koalitions­partner der Die CSU, die in Bayern eine einzigartige Erfolgs­ CSU den Einzug in den Landtag verfehlen, könnte es geschichte feiert, tut sich in Großstädten schwer (in für die CSU eng werden. Nürnberg verhält es sich ähnlich wie in München). Ein Erfolg der SPD bei der Landtagswahl wäre Während die CSU landesweit erstmals 1962 die abso­ auch der erhoffte Rückenwind für den designierten lute Mehrheit der Mandate mit 47,5 % erringen OB-Kandidaten der SPD, . Bis 2014 fließt Glockenspiel konnte und bei der Landtagswahl 2003 – beispiellos noch viel Wasser die hinab. Aber der Wahlkampf des Münchner in der Geschichte der Bundesrepublik – sogar die hat bereits zweieinhalb Jahre vor der Kommunalwahl Rathauses (SZ Zweidrittelmehrheit der Mandate erreichte, waren begonnen. Dieter Reiter und Josef Schmid (CSU) sind Photo / Scherl) die Ergebnisse für die Münchner CSU bei den Ober­ bereits ins Rennen gestartet. Die Grünen ringen der­ bürgermeister-Wahlen in München hingegen häufig zeit noch um die Details des Bewerbungsverfahrens, verheerend. 1966 wurde Hans-Jochen Vogel mit 78 % mit dem sie ihren OB-Kandidaten finden wollen. gewählt und Christian Ude schaffte bei seiner dritten Favorisiert bei den Grünen ist Hep Monatzeder, der Wiederwahl im März 2008 fast 67 %. für sich auch bei der OB-Wahl gute Chancen sieht, da Dabei hat die CSU in der Landeshauptstadt durch- nach der Ära Ude die Karten neu gemischt werden. ­aus Wahlerfolge vorzuweisen. München wählt nicht Die Kommunalwahl 2014 scheint aus heutiger Sicht immer mehrheitlich die SPD. Die CSU hat mehrmals so offen wie lange nicht. die stärkste Stadtratsfraktion gestellt und in München bei den Landtags-, Bundestags- und Europawahlen wie häufig glänzende Ergebnisse eingefahren. Bei der D Sammeln, Bewahren, Ausstellen, Dokumen­ letzten Bundestagswahl gewann die CSU alle vier tie­ren und Bilden. Dies sind die musealen Grund­ Direktwahlkreise und war auch bei den Zweitstimmen aufgaben, denen sich das Deutsche Museum in sei­ die stärkste politische Kraft in München. ner 109-jährigen Geschichte verschrieben hat. Offenbar hatten die Sozialdemokraten einfach Gegründet wurde das Deutsche Museum anläss­ die stärkeren Oberbürgermeister-Kandidaten. Aber lich einer Jahrestagung des Vereins deutscher Inge­ es gibt auch andere Gründe. Die Münchner CSU war nieure im Sommer 1903. Oskar von Miller, ein weit­ zu wenig großstädtisch, sorgte auch über Jahre für hin angesehener Pionier der Elektrotechnik machte negative Schlagzeilen, es gab heftige Affären zuhauf. den Vorschlag, ein „Museum von Meister­werken der Die Protagonisten des Bezirksverbands machten sich Naturwissenschaft und Technik“ zu gründen. Miller das Leben selbst schwer. Die Partei hat in der Ver­ gelang es nicht nur, Vertreter von Politik, Industrie gangenheit nur wenig ausgelassen, um sich selbst zu und Wissenschaft für seine Idee zu begeistern, son­ schwächen. Seit dem letzten großen Knall im Jahr dern auch Geld für das Projekt aufzutreiben. Lange 2004 hat sich die Münchner CSU vor allem eines ver­ wurde zunächst über den möglichen Standort des ordnet: Ruhe, damit sich die in aller Öffentlichkeit Museums debattiert, bis die Stadt Mün­chen schließ­ ausgetragenen Schlachten um Mandate und lich die sogenannte Kohleninsel als Bau­grund zur Parteiposten sich tunlichst nicht wiederholen. Verfügung stellte, eine Isarsandbank, die bis dahin Nun, die CSU, „die Partei, die das schöne Bayern der Lagerung von Bauholz und Kohle diente und bis erfunden hat“ (Herbert Riehl-Heyse), die (ehemalige) 1885 auch eine Kaserne beherbergte. Staats und Hegemonialpartei, hat in der letzten Den Grundstock der Exponate bildete eine Landtagswahl 2008 unglaublich viele Federn lassen Sammlung von 2023 wertvollen wissenschaftlichen müssen und ihre absolute Mehrheit eingebüßt. Sie Instrumenten, die die Bayerische Akademie der verlor mehr als 17 % im Vergleich zu 2003. Freuen Wissenschaften im Juni 1903 dem neu gegründeten konnte sich die SPD nicht, denn sie erreichte nicht Museum stiftete. Durch Weltkrieg, Revolution und München von A bis Z SPEZIAL 21

Inflation immer wieder verzögert, wurde am 7. Mai 1925, Millers 70. Geburtstag, das Museum feierlich eröffnet, das nach einem Entwurf des Architekten Gabriel von Seidl in 16-jähriger Bauzeit errichtet worden war. Es folgten in den dreißiger Jahren die Bibliothek und der Kongresssaal. Der Aufbau und die didaktischen Einrichtungen des Museums galten als bahnbrechend und wurden alsbald international kopiert. Begehbare Schiffsdecks, ein Kohlebergwerk, ein Projektionsplanetarium, La­ bo­­ratorien in Originalgröße, das Unterseeboot U1, das Flugboot Dornier Wal und eine Reihe weiterer Schiffe, Lokomotiven und Flugzeuge machten großen Eindruck auf die Besucher aus aller Welt, unter ih­ nen so prominente wie Henry Ford, Robert Millikan und Niels Bohr. Nachdem 1944 bei Luftangriffen 80 % der Ge­ bäude und 20 % der Exponate zerstört wurden, er­ folgte nach Kriegsende der Wiederaufbau und am 7. Mai 1948 die offizielle Wiedereröffnung. Jahr für Jahr vergrößerte sich nun das Museum, aber erst zwanzig wie Deutsches Jahre nach Kriegsende erreichte die Aus­stel­lungs­ E Heute ist es nicht nur „Munichs“, sondern auch Museum fläche wieder den Vorkriegsstand, wuchs dann aber „Germanys biggest (und best) Inner-City-Outdoor- (SZ – Photo / schnell darüber hinaus und liegt heute bei 73.000 Zone“. Damals, 1789, war der Plan von Kurfürst Karl Knorr + Hirth) Quadratmetern. Theodor „... den bisherigen Hirschanger zur allge­ 1992 erfolgte die Eröffnung der Zweigstelle „Flug- meinen Ergötzung für dero Residenz-Stadt München werft Schleißheim“ und drei Jahre darauf die Eröff- herstellen zu lassen ...“. Das ist dem damaligen Karl nung des Zweigmuseums „Deutsches Museum Bonn“. Theodor wohl vortrefflich gelungen, denn an sonni­ Ein Verkehrsmuseum, das „Deutsche Museum Ver- gen, arbeitsfreien Tagen tummeln sich auf den 373 kehrszentrum“ auf dem ehemaligen Münchner Messe- Hektar Tausende Menschen. Die ersten vier Jahre ein gelände folgte dann in zwei Ausbauschritten 2003 Jagdpark für den Adel, wurde er erst 1793 für die und 2006. Seit 2003 gibt es auch das „Kin­derreich“, Allgemeinheit geöffnet. Die internationalen Einflüsse eine Dauerausstellung, die Kindern im Alter von 3 bis des im englischen Stil von Friedrich-Ludwig von 10 Jahren einen spielerischen Zu­gang zur Welt der Sckell gebauten Parks reichen bis zum Fernen Osten, Technik und Naturwissenschaften vermitteln soll. in Gestalt des Chinesischen Turms, der von Anfang Heute ist das Deutsche Museum das größte na­ an Teil des Gartens war. Dessen Vorbild fand sich in turwissenschaftlich-technische Museum der Welt. der Porzellanpagode, die in den kaiserlichen Gärten Alljährlich besichtigen etwa 1,5 Millionen Besucher von Nanking thronte. Der Bau des Turms zeigte, dass die rund 28.000 Ausstellungsstücke aus 50 Bereichen damals China groß „en vogue“ war. Nach der der Naturwissenschaft und der Technik. Weitere Zerstörung 1944 wurde er 1952 neu errichtet mit ei­ 70.000 Exponate lagern in Depots. Das Archiv des nem angeschlossenen Biergarten. Am Chinesischen Deutschen Museums zählt zu den bedeutendsten Turm findet frühmorgens an einem Sonntag im Juli Spezialarchiven zur Geschichte der Naturwissenschaft der Kocherlball statt, der 1904 verboten wurde (we­ und der Technik in Europa und in der Bibliothek war­ gen Unzüchtigkeiten). Der frühere Dienstbotenball ten über 295.000 Bände auf den interessierten Nut­ hat sich heute zu einem Tanzvergnügen für jeder­ zer, davon gut 25.000 frei zugänglich im Lesesaal. Dort mann gewandelt. Wiederbelebt wurde die Veran­ liegen auch rund 1.600 laufende Zeitschriften auf. staltung zum 200. Geburtstag des Englischen Gar­ Und doch gilt das Haus bei Kritikern als etwas in tens. Seitdem kommen bis zu 10.000 Tanzlustige, die Jahre gekommen. Deshalb stellte der derzeitige ausstaffiert in Trachten und historischer Mode, zu­ Generaldirektor Prof. Dr. Wolfgang Heckl im Sommer sammen und lassen sich von der Tanzmeisterin 2011 der Öffentlichkeit das ehrgeizige Projekt „Zu­ Katharina Mayer durch die Schritte traditioneller kunftsinitiative Deutsches Museum“ vor: Für 400 Tänze leiten. Mil­lionen Euro soll das Museumsgebäude renoviert Alljährlich im Juli findet auch z. B. das Japanfest und das museale Konzept modernisiert werden. Dies am Teehaus statt, bei dem sich die Vielfalt japani­ soll laut Heckl allerdings behutsam geschehen: „Wir scher Kultur präsentiert, und so die Verbindung verstehen uns als Hüter von Kulturgut und wollen Münchens zu Japan, schon vorgeprägt durch die kein Disneyland werden“. Partnerstadt Sapporo, festigt. 22 SPEZIAL info7 1|2012

Ob mit oder ohne offizielle Leitung, es finden das ist gespickt mit berühmten Namen, an allen Ecken ganze Jahr über eine Vielzahl von sportlichen, kultu­ stehen Filmkulissen, die jeder kennt: das U-Boot aus rellen und Freizeit-Aktivitäten im Englischen Garten Wolfgang Petersens „Boot”, der Drache Fuchur aus statt, vom Frisbeewerfen, über Reitsport bis zu Michael Endes „Unendlicher Geschichte”, das gallische Freiluft-Theater. Über München hinaus bekannt sind Dorf von Asterix, Gudrun Ensslins Zelle aus dem die auf der „stehenden Welle“ reitenden Surfer di­ „Baader-Meinhof-Komplex”. Auch Billy Wilder arbei­ rekt an der Prinzregentenstraße neben dem Haus der tete in München, Rainer Werner Fassbinder sowieso, Kunst. Der liefert die nötige Flüssigkeit und und Steve McQueen flüchtete hier für „The Great erfrischt die Besucher des Englischen Gartens auf Escape” aus einem Kriegsgefangenenlager der Nazis. den gut zwei Kilometern, die er ihn durchfließt. Seit 1959 ist man bei der Bavaria auch eingebun­ Einiges Spektakel spiegelt sich auch wider in den in die „Fernsehmaschine“. Deshalb feiern sie in den Regeln zur Benutzung des Parks, da die Besucher diesen Tagen nicht nur 90 Jahre Filmstadt, sondern nicht immer auf einander oder „ihren Garten“ acht­ noch ein zweites Jubiläum: Am 1. August vor 50 geben. Entspannung ist jedoch der Hauptzweck des Jahren wurde die Bavaria Atelier GmbH gegründet, Englischen Gartens und so findet sich immer ein be­ mit ihr begann das Fernsehzeitalter. Kultserien wie ruhigender Ausgleich. Sei es beim Rudern auf dem „Funkstreife Isar 12” und „Raumpatrouille Orion” Kleinhesseloher See oder beim Verweilen auf einer entstanden hier, TV-Sendungen wie „Formel Eins”, der vielen Parkbänke. Oder sei es am Monopteros, „Gottschalk” oder „Der Preis ist heiß”, aber auch den Leo von Klenze 1838 auf die höchste Erhebung Tatort-, Polizeiruf-110- und Rosenheim-Cops-Folgen im Park gestellt hat, um dort den wunderbaren sowie aufwendiges Fernsehen wie Heinrich Breloers Ausblick zu genießen. „Die Manns” und „Speer und Er”. Immer noch wer­ Englischer Garten, den aktuelle Großproduktionen wie „Wickie“ (von Monopteros, Blick wie Filmstadt Michael Bully Herbig) hier in dieser grandiosen auf München, 1919 F Seit 90 Jahren werden im Süden Münchens Film- und Fernsehfabrik gedreht, nicht zu vergessen (SZ Photo) Filme gedreht. Die Filmstadt im Grünwalder Ortsteil 40 000 Sendeminuten, die jedes Jahr auf diesem Geiselgasteig umfasst zwölf Filmstudios auf dem Gelände produziert werden. Gelände, das größte ist 3.000 Quadratmeter groß und 1967 nahm die Hochschule für Film und Fern­ 15 Meter hoch. Darin waren schon ein Bunker aufge­ sehen München (HFF) ihren Lehrbetrieb auf, von der baut, ein Wikingerschiff und ein Flugzeug. In dieser Bavaria damals mit gegründet. Die anderen Grün­ kleinen Stadt ist nicht alles echt und schon gar nichts dungsmitglieder waren der Bayerische Rundfunk, endgültig. Kulissen werden auf- und abgebaut, ganze das ZDF, der Freistaat Bayern und die Stadt München, Filmteams rücken für Tage oder für Monate an, bele­ die damit ihren Ruf als Medienstadt festigte. Viele Ab­- ben ein Viertel – und sind plötzlich wieder ver­ solventen, wie z.B. Wim Wenders, Doris Dörrie, Roland schwunden. Manchmal laufen mitten im Sommer Emmerich oder Bernd Eichinger trugen zum Ruhm Weihnachtsmänner über die Straße, weil gerade eine der „kleinsten Hochschule Deutschlands“ bei, die Adventsshow aufgezeichnet wird. Manchmal werden noch an der Gabelsberger Str. 33 zu finden ist, bald Tonnen Schnee über eine ausrangierte Kulisse ge­ aber eine neue Anschrift hat: Bernd-Eichinger-Platz 1. kippt – für einen Lawinenkatastrophenfilm. Seit 1981 besuchen hunderttausende (2009: 400.000) wie Gastronomie Fans die Stuntshows in den berühmten Kulissen. G Restaurantkritiker geben der Landes­haupt­ Über hundert Firmen, von denen ca. 40 zur Bavaria stadt gute bis sehr gute Noten, die Bewertungen vom Holding gehören, sind Mieter auf dem Gelände, auf Michelin und Gault Millau adeln etliche Münchner dem rund 1.000 Menschen arbeiten, als Schauspieler, Spitzenrestaurants mit Sternen bzw. hoher Punkt­ Regisseure, an den Kameras, den Computern, am zahl. Wie in jeder Metropole hat auch in München Licht, in den Requisiten, der Verpflegung oder der längst die internationale Gastronomie einen Sieges­ Verwaltung. zug angetreten, Kulinarisches wird aus sehr vielen Es war der Filmpionier Peter Ostermayr, der das Ländern angeboten. Erfreulich ist, dass traditionelle 300.000 Quadratmeter große Gelände vor den Toren Gasthäuser eine gewisse Renaissance erleben und der Stadt kaufte und dort am 1. Januar 1919 mit sei­ sich viele Wirte wieder auf alte Werte besinnen. Wer ner Firma „Münchner Lichtspielkunst AG”, der in München ein Lokal Traditionsgaststätte nennt, Steckerlfisch auf Emelka, einzog. Die Wände der ersten Studiohalle verleiht ihm gleichsam ein Gütesiegel. In der Küche dem Oktoberfest, bestanden ausschließlich aus Glas – wie sonst hätte setzt man vermehrt auch wieder auf Regionales, so 1923 (SZ Photo) man damals genügend Licht vor die Kameralinsen kommen das Fleisch und sämtliche Zutaten häufig bringen sollen? Ostermayrs Bruder nutzte als Erster aus der näheren Umgebung. Die traditionelle bayeri­ das aufsehenerregende neue Studio, er drehte 1920 sche Küche bietet nicht nur Weißwürste oder Le­ „Der Ochsenkrieg”, fünf Jahre später Alfred Hitchcock berkäs. Ein Hort echter bayerischer Küche serviert „The Pleasure Garden”. Die Geschichte der Filmstadt Spezialitäten vom Böfflamott über Kalbskron bis zur München von A bis Z SPEZIAL 23

Surhaxn. Aus der Mode gekommen und inzwischen Garten zu schaffen. Um die dafür nötigen Mittel auf­ eigentlich verpönt ist die Unsitte, die vor einigen zubringen, wurde 1905 der „Verein zoologischer Jahren noch auf vielen Speisekarten zu finden war, Garten München e.V.“ gegründet. Die Stadt überließ und zwar die Gerichte urtümlich anzupreisen – meist dem Verein das Grundstück kostenlos zur Nutzung, mit falschem Apostrophengebrauch wie etwa „A und so konnte nach fünf Jahren des stetigen Geld­ Schweinsbrater’l mit am zünftig´n Soßer´l“. So wird sammelns am 1. August 1911 der erste Tierpark Hel­ manchmal eine Authentizität vorgegaukelt und eine labrunn feierlich eröffnet werden. Mit großer Mühe Tradition betont, die das Lokal deswegen nicht unbe­ überstand man den Ersten Weltkrieg, aber die dingt haben muss. Und natürlich sollte auf der Spei­ Inflation bereitete dem Unternehmen 1921 schließ­ se­karte auch nicht ein Klassiker wie der „Schweins­ lich den Garaus. Alle Tiere samt beweglichem Inven­ braten“ fehlen, wie der Münchner korrekt zum tar wurden verkauft und erst als 1925 der Kom­mer­ „Schwei­nebraten“ sagt. zienrat August Baumgartner einen „Hilfsbund der Wenigstens zwei kulinarische Spezialitäten sei­ Münchner Einwohnerschaft“ gegründet hatte, be­ ­en hier näher beschrieben: Die Weißwurst und der stand die Chance für einen Neubeginn. Der erfolgte Leber­käs. Von der Weißwurst heißt es, dass sie das dann 1928, als unter der Leitung von Heinz Heck der Zwölf­uhrläuten nicht hören soll. Da es früher keine zweite Münchner Tierpark seine Tore öffnete, dies­ Kühl­schränke gab, nahm man das Gericht möglichst mal als Aktiengesellschaft auf solideren finanziellen vor dem Beginn der Mittagshitze ein. Geteilte Mei­ Füßen als der Vorgänger. Heinz Heck wollte großzü­ nung herrscht darüber, ob man die Weißwurst auf­ gige Anlagen schaffen, in denen Tiere eines Kon­ schneidet oder zuzelt (aussagt). Wer sich nicht bla­ tinents zusammen gehalten wurden. So wurden die mieren möchte, sollte lieber Messer und Gabel be­ Tiere gemäß ihrer geographischen Verbreitung in nutzen. Die Haut wird übrigens nicht mitgegessen. den Erdteilen Europa, Amerika, Asien, Afrika und Die Weißwurst gilt als Münchner Errungenschaft, ob Australien gezeigt – der erste „Geozoo“ der Welt war die Geschichte ihres Ursprungs wahr ist, lässt sich entstanden. nicht mit letzter Gewissheit sagen, aber der Legende In den folgenden Jahren wuchs Hellabrunn rasch nach, machte der Wirt Sepp Moser am 22. Februar zu einem Tierpark internationalen Rangs heran. Der 1857, einem Rosenmontag, am im Tierbestand erweiterte sich kontinuierlich und die Gasthaus „Zum ewigen Licht“ (später „Peterhof“) aus Zuchterfolge ließen den Namen Heck in Fachwelt der Not eine Tugend. Die Schafsaiten für seine und Öffentlichkeit zu einem Begriff werden. Be­ Kalbsbratwürste waren beim Ansturm der Faschings­ sonders durch die Rückzüchtung ausgestorbener gäste ausgegangen, worauf er flugs dicke Schwei­ Arten wie Auerochse und Tarpan, und die Erhal­ nedärme zum Einfüllen des Bräts verwendete. Die tungszucht von Wisent und Przewalski-Urwildpferd brühte er in heißem Wasser – beim Braten, so fürch­ erlangte man Weltruhm. Doch nach der Eröffnung tete er, könnten die Därme platzen. Die neuen Würste, der Menschenaffenstation und des darunterliegen­ wurden mit verfeinertem Rezept, zur begehrten Spe- den Aquariums 1936 brachte der Zweite Weltkrieg zialität, besonders geschätzt als zweites kräftiges Früh- alle weiteren Pläne zum Erliegen. Futterknappheit, stück mit süßem Senf, Brezen und einem Weißbier. zerbombte Häuser und Stallungen ließen den Tier­ Auch um das andere Grundnahrungsmittel der bestand auf nur noch wenige Hundert Tiere schrump­ Münchner, den Leberkäs, ranken sich Geheimnisse. fen, und so musste Hellabrunn nach Kriegsende zum So enthält der Münchner Leberkäs keine Leber. Er dritten Mal neu beginnen. enthält meist zu gleichen Teilen Schweinefleisch und Der Wiederaufbau verlief zunächst recht zäh, mageres Rindfleisch, Speck, Gewürze und Wasser in denn öffentliche Gelder waren knapp und erst 1970 Form von Eis. Und der Käse? Da man das Fleischbrät beschloss der Aufsichtsrat einen Generalausbauplan, ursprünglich vor dem Garen in Käseformen legte, der dann ab 1973 von Dipl.-Ing. Jörg Gribl ins Werk gab man ihm den Namen „Laib wie ein Käse“, woraus gesetzt wurde. Unter der Ägide von Zoochef Henning Leberkäse wurde. Wiesner erwiesen sich nun der großzügige Umbau des Parkteils „Europa“ und vor allem die Errichtung wie Hellabrunn einer Vogel-Großvoliere als zukunftsweisend. Bis zu H München war spät dran: Als der Tierpark einer Höhe von 18 m und einer Fläche von 5.000 qm Hellabrunn 1911 eröffnete, hatten Städte wie Köln, überspannt dort ein dünnmaschiges Netzgitter eine Berlin oder Hannover längst ihren Zoo. Das Warten idyllische Landschaft mit Bachlauf, in der die Vögel aber hat sich gelohnt: Hellabrunn wurde einzigartig. wie in freier Wildbahn fliegen und nisten können. Mehrere Anläufe, in München einen Tierpark zu eta­ Weitere Attraktionen sind das 1995 fertig gestellte blieren waren schon gescheitert, als im Jahre 1902 Dschungelzelt, in dem verschiedene Großkatzen zu der Oberstleutnant Hermann von Manz beschloss, in sehen sind, das 2000 entstandene Urwaldhaus für den südlichen Isarauen, wo einst das Lustschlösschen die Schimpansen und Gorillas, sowie die 2007 eröff­ Hellabrunn sich befunden hatte, einen zoologischen nete Orang-Utan-Anlage. 24 SPEZIAL info7 1|2012

Auro Isarae“-Dukaten aus dem 18. Jh. bezeugen. Heute fließt die Isar auf knapp 14 Kilometern unter 25 Brücken durch die Stadt und versorgt sie mit Strom, wie schon seit über hundert Jahren. Um die zerstörerische Kraft des Wassers zu bän­ digen, wurde die Isar im 19. Jh. in ein Bett aus Stein und Beton gezwängt. Die Hochwasser wurden ge­ zähmt, seit die Isar erst durch den Sylvensteinspeicher, der 1959 fertiggestellt wurde, fließen muss. Ein wei­ teres, aber nun naturnahes Einhegen geschah, als die Isar von 2000 bis 2011 von dem Stein-Korsett wieder befreit und renaturiert wurde. Die Feuerprobe bestand dieses Werk beim „Jahrhundert-Hochwasser“ von 2005, als 1.000 Kubikmeter pro Sekunde durch das erst halbfertige neue Bett flossen. Mit der Fer­ tigstellung letztes Jahr hat München eine acht Kilo­ meter lange Freizeitzone, mit Grill- und Badebe­rei­ chen, als einzige Stadt Europas mit zertifizierter Badewasserqualität. Nur die „Nackerten“, für die die Isarauen be­ rühmt sind, gibt es (fast) nur noch im Text von Willy Michl in seiner Hymne an den Fluss, „Isarflimmern“. Aber am Flaucher sind einige textilfreie Sonnenbader, hier ist Sommerland. Ob mit oder ohne Badehose, auf Isar: Hochwas­ Auf einer Fläche von 36 Hektar können heute all­ den Kiesinseln ist man der Zivilisation entrückt und ser (SZ Photo / jährlich mehr als 1,7 Millionen Besucher aus aller mancher würde am liebsten wie Tscharlie in Helmut Scherl) Welt über 700 Tierarten sehen, insgesamt mehr als Dietls legendärer TV-Serie „Münchner Geschichten“ 17.000 Tiere. Ein besonderes Anliegen ist dem an der Isar kampieren. Tierpark Hellabrunn seit jeher die Problematik von Artensterben und Arterhaltung. In einem 2007 eröff­ wie Jüdisches Leben am St.-Jakobs-Platz neten Artenschutzzentrum werden die bestehenden J Der St.-Jakobs-Platz war lange Zeit eine Art Hinter- Artenschutzprojekte und die Auswilderungsini­ti­a­ hofbrache, ein diffuses Konglomerat von Flächen tiven Hellabrunns vorgestellt und in der sogenann­ ohne Gesicht und Funktion, als „Platz" kaum erkennbar. ten „Arche-Noah-Air“ in Computerspielen erfahrbar Und dann, plötzlich, ging es blitzschnell. 2003 gemacht. gewannen die Berliner Architekten Regina Poly und Nachdem der Münchner Tierpark zuletzt durch Thomas von Thadden den Realisierungswettbewerb, den tragischen Tod der Elefantenbabies Jamuna Toni am 9. November 2006 eröffnete das Jüdische Gemein­ und Lola für traurige Schlagzeilen gesorgt hat, hat dezentrum und die Synagoge, der 22. März 2007 war die Tierparkleitung unter Dr. Andreas Knieriem für der Tag der Eröffnung des von der Stadt München er­ die Zukunft ehrgeizige Pläne: Auf der Agenda stehen bauten Jüdischen Museums und am 15. November eine Giraffensavanne mit großem Haus, die Sa­nie­ 2007 schließlich wurde der neue St.-Jakobs-Platz of­ rung des Elefantenhauses und ein modernes pädago­ fiziell eingeweiht. gisches Konzept. Und auch für die Verbesserung des Schon rein optisch gab es nun eine herzerfri­ gastronomischen Angebots im Tierpark könnten ihm schende Metamorphose im Zentrum der Stadt zu be­ die Münchner dereinst dankbar sein. wundern: Synagoge, Museum und Jüdisches Gemein­ dezentrum, dazwischen strukturierende Freiflächen wie Isar mit Bänken, Bäumen, Kinderspielplatz, Flanierräume, I von (lat.) Isara (auch Isaria), die Reißende, neu­ Restaurant, Kaffeetische und großzügige Räume zur erdings auch gelesen als „Wasser aus dem Eis“ (des nachdenklich stimmenden Umrundung des Jüdi­schen Karwendelgebirges). Eine Brücke über die Isar, Museums, dessen Außenflächen mit Zitaten jüdi­ wurde abgebrannt, im Auftrag von Heinrich des scher Zeugen des Nationalsozialismus beschriftet sind. Löwen im Jahre des Herrn 1157, und an der Stelle der Aber all dies steht auch für eine innere Di­ heutigen Ludwigsbrücke 1158 am Ort „Munichen“, mension, die sich in vielfältiger Weise im Leben und frisch versehen mit Stadt- und Salzzoll-Rechten, wie­ den Herzen der Münchner zu entfalten begann. Bei der aufgebaut, so die gängige Geschichte. Damit be­ der Eröffnung ging es nicht nur darum, dass der gann der Aufstieg und der Reichtum Münchens, Stellenwert aktuellen jüdischen Lebens in München denn sogar Gold fließt im Strom mit, wie die „Ex Ausdruck finden soll, sondern auch um eine Anknüp­ München von A bis Z SPEZIAL 25

fung an den Punkt, an dem die Existenz der Juden in der „Hauptstadt der Bewegung” angegriffen, be­ droht, schließlich vernichtet wurde. Wer es damals schaffte, die Stadt zu verlassen, im Exil zu überleben, soll nun zurückkehren können an einen Glaubensort, der kein verbarrikadierter Hinterhof mehr ist wie das Quartier in der Reichenbachstraße, sondern ein großzügiges, sichtbares Begegnungszen­trum mitten in der Stadt – in „ihrem Herzen” (Char­lotte Knobloch, Präsidentin der Jüdischen Kultus­ge­meinde). Die Öffnung des Gemeindezentrums für die Mün­chner Bürger wurde als „Tag der Begegnung“ be­ gangen. Der Andrang war enorm. Der Platz musste abgeriegelt werden, weit mehr als 15.000 Besucher waren gekommen. Es war eine Initialzündung. Viel­ leicht war dies auch die Geburtsstunde eines ganz neuen Verhältnisses zur jüdischen Kultur in Mün­ chen und zum jüdischen Glauben. Die Münchner nahmen scharenweise an den Führungen und Gottes­ diensten in der neuen Ohel-Jakob-Synagoge teil. Das Interesse am Judentum sei „wie ein Wunder er­ große und kleine Museen, teilweise von Weltruf, wacht“ (Charlotte Knobloch). dazu eine traditionsreiche Kunstakademie und eine (SZ Photo) Das Leben auf dem Jakobsplatz steht auch für Vielzahl privater Galerien sind hier beheimatet. Will eine Veränderung im Leben der jüdischen Mitbürger man München als Kunststadt und seine Museen ent­ und Mitbürgerinnen. Steven Langnas, der bis 2011 decken, bedarf es keiner weiten Wege. Die meisten Rabbiner der Kultusgemeinde war, sagte, immer Museen befinden sich im Kunstareal in der Max­ mehr Gemeindemitglieder leben ihren Glauben „of­ vorstadt (u. a. am Königsplatz die und die fen und ohne Angst“ in der Stadtgesellschaft. Dieser Antikensammlung und die Städtische Galerie im Eindruck vermittelt sich auch dem Besucher des St.- mit der Sammlung des „Blauen Reiter“ Jakobs-Platzes, wenn er beispielsweise das Bringen und entlang der Barer Straße die drei Pinakotheken und Abholen der Kindergarten- und Schulkinder und das und in der Prinz­re­ wahrnimmt (Kindergarten und Grundschule stehen gentenstraße das , das Bayerische übrigens auch nicht-jüdischen Kindern offen). Das Nationalmuseum, die Schack-Galerie und noch ein Münchner Judentum ist in der Mitte der Gesellschaft Stück weiter die Villa Stuck). München bietet – besu­ angekommen. Kippot, die jüdischen Kopfbe­deckun­ cherfreundlich konzentriert in fußläufiger Ent­fer­ gen, und breitrandige, schwarze Hüte gehören wie­ nung – 2000 Jahre europäische Kunst- und Kultur­ der selbstverständlich zum Stadtbild. geschichte von der griechischen Antike über Alte Und so ereignete sich am Münchner Startpunkt Meister bis hin zur zeitgenössischen Kunst. für die Pilgerschaft auf dem Jakobsweg „ein Wunder" – Nicht weniger von Bedeutung ist die Musik. So wie es Charlotte Knobloch genannt hat. „Heute befin­ hat sich auch der Begriff „Musikstadt München“ eta­ den wir uns im Herzen der Stadt, wir sind mitten un­ bliert. Seit den Uraufführungen Wagners steht das ter den Münchnern. Erst dieses Gemeindezentrum musikalische Erscheinungsbild der Stadt auf höchs­ hat den Weg geebnet zu einem echten, lebendigen tem Niveau. Man könnte auch zurückgehen bis zum Miteinander, das das jahrzehntelange Nebeneinander Renaissance-Meister Orlando di Lasso, der ab 1564 abgelöst hat“. die Hofkapelle leitete. Mit seinen drei internationa­ In einem der Straßencafés lassen sich die len Spitzenorchestern – die Münchner Philharmoni­ Münchner und die Touristen gut beobachten, wie sie ker, das Bayerische Staatsorchester und das Sympho­ inzwischen mit großer Selbstverständlichkeit diesen nie­­orchester des Bayerischen Rundfunks – steht Platz „im Herzen der Stadt“ genießen. Mün­chen glänzend da. Und immer sind es Topstars, die die großen Münchner Orchester leiten. wie Kunst und Kultur und die Kammerspiele Aber auch die „kleineren“ Orchester haben ihren K Keine Stadt definiert sich wohl so wesentlich Anteil am innovativen Musikleben der Stadt wie das über die Kunst, wie das in München seit dem 19. Münchner Rundfunkorchester, das Münchner Kam­ Jahrhundert der Fall ist. Und kaum eine andere Stadt merorchester und die Münchner Symphoniker. Es hat eine solche Fülle an städtischen und staatlichen reicht hier einfach nicht der Platz, um dem Mu­ Institutionen sowie an privaten Einrichtungen aufzu­ sikgeschehen gerecht werden zu können, die Opern­ weisen. Die Fakten sprechen für sich: Mehr als 50 festspiele, die Neue Musik ... 26 SPEZIAL info7 1|2012

Nationaltheater bis vor Kurzem am – im Vergleich zu den Kammer­ (SZ Photo) spielen – als konservativer geltenden Staatstheater. Frank Baumbauer ging gleichsam den umgekehrten Weg. Er, der 1983 bis 1986 das Bayerische Staats­ schauspiel leitete, wurde Dorns Nachfolger an den Kammerspielen. Das tat beiden Häusern keinen Ab­ bruch. Baumbauer setzte die erfolgreiche Linie fort. Inzwischen hat Johan Simons die Nachfolge von Frank Baumbauer angetreten – und Martin Kusej folgte Dieter Dorn. Johan Simons, der sich als neuer Intendant im Herbst 2010 mit Joseph Roths "Hotel Savoy" vorstellte, erfuhr für sein Erzähltheater von Erwähnt seien wenigstens einige der Münchner Anbeginn viel Lob und Anerkennung. Wie sehr sich Musiktheater, an deren Spitze die Bayerische Staats­ der Holländer sogleich auf die bayerische Metropole oper (Nationaltheater) steht, das Staatstheater am eingestellt hat, zeigte sich auch daran, dass er den Gärtnerplatz, das wunderschöne Cuvilliéstheater im München-Roman schlechthin, Lion Feuchtwangers „Er­- Rokokostil (Ort der Uraufführung von Mozarts „Ido­ folg“, auf den Spielplan setzte, und zwar nicht dra­ meneo“) und das Prinzregententheater. matisiert, sondern als szenische Mammut-Lesung. Bleiben wir beim Theater. Die Geschichte des Literatur nimmt in dieser Stadt eine bedeutende Münchner Theaters (das Kabarett nicht zu verges­ Position ein. München ist auch Literatur- und Ver- sen) könnte auch leicht ein eigenes Buch füllen. Die lagsstadt, die größte in Europa. Die Münchner Bü­ zwei großen Bühnen der Stadt sind die Kammerspiele cherschau macht das breite Angebot bekannt, infor­ und das Residenztheater. Zumindest erwähnt seien miert über aktuelle Strömungen und Neuerschei­ noch das Volkstheater und das renommierte Kinder- nungen. Die Buch- und Lesekultur wird stark ge­- und Jugendtheater, die Schauburg. fördert. In dem 1997 eröffneten Literaturhaus hat die Die Kammerspiele wurden von Otto Falckenberg Szene ihre Heimat gefunden. Zahlreiche Buchhand­ geprägt, unter dessen Leitung Stücke von Bertolt lungen wie Lehmkuhl oder die Literaturhandlung Brecht, Georg Kaiser und Ernst Barlach uraufgeführt von Rachel Salamander organisieren Lesungen. Die wurden. Nach dem Krieg vermochte der neue Bibliotheken und Archive spielen natürlich auch Intendant Hans Schweikart, Fritz Kortner als Regis­ eine große Rolle. Neben der Bayerischen Staats­ seur zu gewinnen (dessen Assistent Peter Stein war). bibliothek sind hier vor allem die Stadtbibliothek An den Kammerspielen, künstlerisch und politisch und die Monacensia, das größte Literaturarchiv engagiert, hat das moderne Gegenwartstheater in Bayerns, zu nennen. Und es gibt viele Autoren­ini­ München seinen Ort gefunden. Nach August Ever­ tiativen, Schreibwerkstätten, traditionsreiche Verei­ ding, ihm ist die Renovierung und Wiedereröffnung nigungen wie den Seerosenkreis und Tukankreis, des Prinzregententheaters und die Gründung der junge Initiativen wie die Poetry Slams und große Theaterakademie zu verdanken, folgten Hans-Rein­ Festivals wie das Literaturfest München, die alle­ hard Müller und Dieter Dorn als regieleitender Inten­ samt zum reichhaltigen und lebendigen literarischen dant. Zu den mit den Kammerspielen eng verbunde­ Leben der Stadt beitragen. nen Dramatikern gehörten unter anderem Heinar Zu allererst wären natürlich die Autoren selbst Kipphardt, Tankred Dorst, Herbert Achtern­busch, zu nennen. Zu den Dichtern und Schriftstellern, die Franz Xaver Kroetz, Botho Strauß, Heiner Müller und nach dem zweiten Weltkrieg hier lebten oder noch Bernard-Marie Koltès. Unter Dieter Dorn festige sich immer hier wohnen, gehören u. a. Carl Amery, der Ruf der Kammerspiele, einer der besten deut­ Friedrich Ani, Annette Kolb, Michael Ende, Wolfgang schen Sprechbühnen zu sein. Er leitete die Koeppen, Walter Kolbenhoff, Helmut Krausser Asta Kammerspiele bis 2001. Dorn, auch das eine Scheib, der „Spaziergänger“ Sigi Sommer, Uwe Liebesgeschichte mit dem Münchner Publikum, öff­ Timm, Joseph von Westphalen und viele andere mehr nete u. a. dem kabarettistischen Großmeister Gerhard (Lion Feuchtwanger, Thomas Mann oder Oskar Maria Polt die Türen, dessen Auftritte in den Kammerspielen Graf, die der Stadt verbunden waren, aber emigrie­ mit der Biermösl Blosn Legende sind. ren mussten, kehrten aus dem Exil nicht mehr dau­ 2001 kam es zu einem spektakulären, bühnen­ erhaft nach München zurück). reifen Akt. Dieter Dorn wurde Intendant des Baye­- So unbestritten der Rang Münchens im Bereich r­ischen Staatsschauspiels, zu dem das neue Resi­ der Hoch- (auch hochsubventionierten) Kultur ist, so denztheater gehört, Mit dem Großteil seines Ensemb­ schwer tut man sich in der Stadt mit der so genann­ les (u. a. Rolf Boysen, Cornelia Froboess, Sunnyi ten Subkultur. Ernsthafte, avantgardistische Kunst Melles, Gisela Stein, Thomas Holtzmann und Rudolf mit Anspruch führe da nur ein Nischendasein, lautet Wessely) wechselte er die Straßenseite und wirkte eine oft gehörte Klage. Die arrivierte Kultur gilt den München von A bis Z SPEZIAL 27

Stadtoberen und dem Staat Bayern nach wie vor als dann brauchte die aufstrebende Stadt etwas Reprä­ Standortfaktor, der jährlich mit vielen Millionen sentativeres. Am 9. Februar 1468 legte Herzog Sigis­ Euro bezuschusst wird, während junge Künstler, mund den Grundstein der heutigen Kirche, das Musiker, Theater- und Filmemacher mit horrenden Datum ihrer Weihe aber war unter Historikern lange Mieten für Ateliers und Übungsräume zu kämpfen strittig. Nach letztem Stand der Forschung war es haben, sofern die überhaupt zu finden sind. wohl der 14. April 1494, andere Quellen weisen je­ Auftrittsmöglichkeiten sind rar und Biotope, in de­ doch auf das Jahr 1488 hin. Die Oberleitung des Baus nen ein kultureller Untergrund wurzeln und gedei­ lag bei Stadtbaumeister Jörg Ganghofer, auch Jörg hen kann, sind eher Mangelware. Und doch gibt es von Halsbach genannt. Der legte den Bau als mäch­ eine alternative Kultur in München, man muss sie tige dreischiffige Hallenkirche an, deren Mittel­ge­ nur zu finden wissen, auch und gerade abseits der wölbe nur geringfügig höher ansetzen, als die der traditionellen Schauplätze, die sich im Münchner Seitenschiffe und der Kirche so ihre wuchtige Ge­ Kulturkalender ihre Stammplätze längst erobert ha­ schlossenheit verleihen. 109 Meter lang ist der spät­ ben. Beim Tollwood-Festival zum Beispiel kann man gotische Backsteinbau mit seinem umlaufenden kaum noch Überraschendes und Neues entdecken. Kapellenkranz, 40 Meter breit und siebenunddreißig Perlen findet man da eher schon auf der Seebühne Meter hoch. des Theatrons im Olympiapark, wo den ganzen Charakteristikum der Frauenkirche – und aus­ Sommer über Bands der verschiedensten Stil­rich­ schweifend photographiertes Wahrzeichen der Stadt – tungen bei freiem Eintritt aufspielen. Ob bei Poetry- sind die beiden Türme mit den berühmten „wel­schen Slams, Bandwettbewerben, in der freien Theaterszene Hauben“. Der Nordturm misst 98,57 Me­ter, der oder der bildenden Kunst: Die Talente sind in reicher Südturm dagegen nur 98,45 Meter. Die kupfernen, Zahl vorhanden. So denkt die Stadt seit längerer Zeit nach venezianischem, also „welschem“ Vor­bild ge­ über ein Kreativ-Quartier, ein Zentrum der freien stalteten Hauben wurden den Türmen allerdings erst Szene, nach, das an der Dachauerstraße entstehen im Jahre 1525 aufgesetzt. Einige Jahre zuvor, wäh­ wird. Das Kulturreferat hat jetzt einen Ideen­wett­ rend des Landshuter Erbfolgekrieges, waren noch bewerb initiiert, aus dem sich bis zum nächsten Jahr Kanonen auf den haubenlosen Türmen aufgestellt, ein tragfähiges Konzept entwickeln soll, wie sich die die der Verteidigung der Stadt dienen sollten. Theater- und Tanzgruppen, die Probenräume, die Im Inneren des Doms finden sich zahlreiche Ateliers, Werk- und Produktionsstätten und Aus­ künstlerisch gestaltete Grabplatten und Sarkophage, Frauenkirche stellungsflächen unterbringen lassen und sich der die wohlhabende Münchner Bürger gestiftet hatten, (SZ Photo) Betrieb einmal gestalten lässt. um sich bei den Nachgeborenen eines gebührenden Andenkens, höheren Ortes aber ihres Seelenheils in wie Liebfrauendom der Ewigkeit zu versichern. So entstanden die einzel­ L „Wir sind ernst, aber nicht unmutig bei dem nen Kapellen im Dom, in denen sich namhafte Anblick jenes barbarischen Doms, der sich noch im- Patrizier- und Bürgerfamilien der Stadt ein Denkmal mer, in stiefelknechtlicher Gestalt, über die ganze Stadt setzten. Berühmte Bischöfe liegen hier, und große erhebt und die Schatten und Gespenster des Mittelalters Fürsten wie beispielsweise Kaiser Ludwig der Bayer, in seinem Schoße verbirgt.“ der in der Fürstengruft unter dem Chor seine letzte Es mag sein, dass nicht wenige Münchner dieses Ruhestätte hat. Und auch die Heiligen kommen im kritische Urteil teilen, das Heinrich Heine in seiner Dom zu ihrem Recht. Der Berühmteste ist wohl St. „Reise von München nach Genua“ über ihren Dom Benno, Bischof von Meißen und Schutzheiliger von fällte. Die Münchner lieben ihren Alten Peter, zur München und Bayern. Ein Silberschrein birgt den Frauenkirche jedoch, der Kathedralkirche des Erz­ Schädel und den Bischofsstab des frommen Mannes bistums München und Freising, haben viele ein et­ und in einem Holzschrank bewahrt man seinen was unterkühltes Verhältnis. Man freut sich an ih­ Wollmantel. Röntgenuntersuchungen des Gewebes rem Anblick, hingehen mag man aber nicht. Dies haben ergeben, dass die Grabbeigaben des Heiligen mag nicht zuletzt an der Nüchternheit des Innen­ tatsächlich aus dem 11. Jahrhundert stammen. raums liegen, der im 19. Jahrhundert aller Orna­ Die künstlerische Ausgestaltung der Frauenkir­ mentik aus Renaissance und Barock zugunsten neu­ che wurde im Laufe ihrer Geschichte häufig verän­ gotischer Kargheit beraubt worden war. So verlieren dert. Im letzten Jahrhundert geschah dies zunächst sich bei sonntäglichen Gottesdiensten meist nur bei der Beseitigung der gewaltigen Schäden, die im rund 120 Gläubige in dem riesigen Kirchenschiff mit Zweiten Weltkrieg entstanden waren, und zuletzt seinen 2000 Sitzplätzen. wurden 1994 zum Anlass des 500-jährigen Kirchen­ Die Domkirche zu unserer lieben Frau, in der jubiläums die Folgen jenes „Bildersturms“ beseitigt, Münchner gelegen, ist nach Sankt Peter den der Bau 1858 im Zuge der damals modischen Münchens zweitälteste Kirche. Ihr ursprünglicher Neugotisierung über sich ergehen lassen musste. Bau von 1271 überdauerte nur zwei Jahrhunderte, Unangetastet aber blieb bei allen Umbauten stets 28 SPEZIAL info7 1|2012

Links: Ehemals der berühmte Teufelstritt. Den hinterließ, einer alten die werden nicht nur als Freie beschäftigt, sondern das Gebäude der Legende zufolge, Satan höchstpersönlich, der mit fest angestellt. Zunehmender Kostendruck lässt an­ Münchner Neu­ dem Baumeister um dessen Seele gewettet hatte, dere Standorte wie Berlin für die kostenintensive este Nachrichten, dass man in der Kirche kein einziges Fenster sehen Filmwirtschaft interessant erscheinen. Filmför­de­ 1945 bis 2008 würde. Topp, die Wette galt, und wie der Teufel nach rung, Logistik, das technische Umfeld, und nicht zu­ dann das Redak­ einer Weile nachschauen kam, hatte Baumeister Jörg letzt München selber, bedeuten jedoch eine hohe tionsgebäude der die Flucht der Säulen so raffiniert angelegt, dass vom Attraktion des Standorts. Fast ein Viertel der Top- Süddeutschen Standpunkt des Teufels aus tatsächlich nicht ein ein­ 100-Medienunternehmen Deutschlands haben ihren Zeitung in der ziges Fenster sichtbar war. Da stampfte der Geprellte Sitz in Bayern; allein Arri hat 16 Technik-Oscars ge­ Sendlinger so wütend mit dem Fuß auf, dass man den Abdruck wonnen. Straße. mit dem Sporn bis heute sehen kann. Beelzebub hat Vom Norden Münchens, Unterföhring, aus be­ (SZ Photo / Scherl) übrigens Schuhgröße 46. treibt die zweitgrößte private Fernsehsenderkette Europas, ProSiebenSat1, ihr Geschäft. Dort finden Rechts: Schloss wie Medienstadt sich auch der Münchner Sitz des ZDF und neben dem Nymphenburg M Um den Titel Medienstadt oder gar Medien­ Standort in Freimann weitere Fernsehstudios des (SZ Photo) hauptstadt streiten sich nicht nur deutschlandweit Bayerischen Rundfunks, dessen Hauptsitz (Funk­ die Städte, gibt es doch „mit Medien“ viel Renommee haus) in der Innenstadt am Rundfunkplatz liegt. (und auch Geld) zu erwerben. Im Süden befindet sich die Bayerische Lan­des­ In München erscheinen die Süddeutsche Zei­ zentrale für Neue Medien, die mit der Erteilung tung, die Abendzeitung, die tz und der Münchner von 182 Rundfunklizenzen die Rundfunklandschaft Merkur sowie die Münchner Ausgabe der Bild-Zei­ gestaltet. Ein gutes Dutzend Lokalradios finden tung. Erwähnt seien auch die Zeitschriftenverlage sich über die Stadt verstreut und senden per Funk wie der Burda-Verlag (Focus, Bunte ...) und der oder Stream von Traditionellem bis zu Alternativem, Condé-Nast-Verlag, der deutsche Ableger des US- wie Radio Lora, für Ihre Hörer. Am südlichen Stadt­ amerikanischen Verlages Advance Publications (Vo­ rand ist das Filmgelände von Geiselgasteig. Über gue, GQ ...), die hier ebenfalls ihren Sitz haben. ganz München hinweg werden 40 % aller bundes­­- Gemessen an den Tageszeitungen liegt Berlin vorne wei­ten Umsätze bei filmwirtschaftlichen Unter­neh­ (9:5) und an der reinen Anzahl der Buchverlage auch men generiert. Daraus, und aus den Pers­pek­tiven (172:126; 2010). Dies liegt daran, dass der Bör­sen­ der anderen Teile der „Informations- und Kommu­ni­ verein des Buchhandels Konzerne wie z. B. Random kations­branche“, wächst die Gewissheit, dass Mün­ House (Dach von 45 Verlagen, davon 40 in München) chen auch auf längere Sicht ein ernsthafter Mitbe­ nur einmal zählt. Wenn man jedoch Umsatz oder werber um den Titel der „Medienhauptstadt“ bleibt. Produktion (Erstauflagen) vergleicht, liegt München in Deutschland an erster Stelle und wird weltweit wie Nymphenburg nur von New York übertroffen. Im Jahr 2010 erschie­ N Bei der Aufzählung der schönsten und belieb­ nen in München über 9100 neue Titel, ca. zehn Pro­ testen Orte seiner Stadt dürfte dem Münchner auf zent aller deutschen Erstauflagen. Auf dem gesam­ Anhieb nur schwerlich das Schloss Nymphenburg ten Mediensektor arbeiten im Einzugsbereich von einfallen. Zu weit draußen an der westlichen Periphe­ München 371.000 Menschen in ca. 29.000 Fir­men, rie gelegen, zu sehr von Touristen überlaufen und die 2009 einen Umsatz von 71 Milliarden Euro er­ vielleicht auch ein wenig zu vornehm und unmünch­ wirtschaftet haben. Das ist heute, nach den krisen­ nerisch mag es wohl manchem erscheinen, das haften Nullerjahren, in denen am Standort 25.000 Schloss, das dem Herrscherhaus der Wittelsbacher Jobs abgebaut wurden. Dieser Trend ist jedoch gebro­ lange Zeit als Sommersitz diente. Eher schon können chen, es werden wieder Mitarbeiter gebraucht und sich die Münchner da für die weitläufigen Park­an­ München von A bis Z SPEZIAL 29

lagen erwärmen, die, durchzogen von Kanälen, den wig I. sind die Attraktionen, die von den alljährlich Schlosskomplex umgeben. Gespeist aus dem Flüss­ mehr als 300.000 Schlossbesuchern besichtigt wer­ chen Würm, teilt der Mittelkanal mit seiner großen den können. 36 schöne Frauen aus allen Gesell­ Kaskade den Nymphenburger Park, der Anfang des schaftsschichten der Stadt ließ der König für seine 19. Jahrhunderts von Friedrich Ludwig von Sckell ge­ Galerie porträtieren und die bekannteste davon ist schaffen worden war. Sckell verwandelte den ur­ wohl seine langjährige Geliebte, die Tänzerin Lola sprünglichen, im Stil des französischen Barocks ge­ Montez. Über diese Amour fou musste der alternde haltenen Schlossgarten in einen nach englischem Herrscher 1848 sogar seinen Thron aufgeben. Zu den Vorbild gestalteten Landschaftspark, und bis zu 2 politischen Spannungen des Revolutionsjahres ge­ Millionen Besucher sind es heute jährlich, die sich sellte sich die Empörung der Münchner über das pro­ an den großzügigen Anlagen mit ihren Seen, Tem­ vozierend zur Schau gestellte Luxusleben der peln, Putten und Wasserspielen erfreuen. Tänzerin, die von dem verliebten Regenten gar ge­ Die Geschichte des Schlosses Nymphenburg be­ adelt und mit einer exorbitant großzügigen Apanage ginnt 1664 mit Kurfürst Ferdinand Maria, der seiner samt eines Palais in der Barer Straße ausgestattet Frau Adelheid von Savoyen zur Geburt des ersehnten worden war. Am 20. März 1848 dankte Ludwig zu­ Thronerben Max Emanuel ein Schlösschen im italie­ gunsten seines Sohnes Maximillian II. ab. Lola aber nischen Landhausstil bauen ließ. Jener Max Emanuel musste bei Nacht und Nebel vor dem Volkszorn aus hatte 40 Jahre später, nun selbst Kurfürst geworden, München fliehen. wesentlichen Anteil an der Erweiterung des Schlos­ ses. Er veranlasste die Errichtung der beiden Galerien wie Olympia neben dem Hauptschloss und der daran sich an­ O Als am 6. Juli 2011 die Mitglieder des Inter­na­ schließenden Pavillons. In einem dieser Pavillons er­ tionalen Olympischen Komitees mit großer Mehrheit baute Giovanni Antonio Viscardi 1713 die Schloss­ka­ für die Winterspiele 2018 in Pyeongchang votierten, pelle, die im Zweiten Weltkrieg durch einen Voll­tref­ trug man die Abstimmungsniederlage alles in allem fer zerstört wurde. 1716 wurden die Fassaden nach mit Gelassenheit, die Enttäuschung hielt sich doch französischem Vorbild verändert und so erhielt das eher in Grenzen. München wäre die erste Stadt in der Schloss sein bis heute gültiges Gesicht. Zahlreiche olympischen Geschichte gewesen, die sowohl Som­ Erweiterungsbauten kamen im Laufe der Jahre mer- als auch Winterspiele ausgerichtet hätte. Kurz hin­zu: die Orangerie im Norden, der Marstall im nach der Entscheidung wurden aber Stimmen laut, Süden, die Rondellbebauung vor dem Haupttrakt mit man solle einen weiteren Anlauf nehmen – für 2022. ihren zehn symmetrisch gegliederten Palais für die Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) zeigt höheren Hofbediensteten und schließlich der über sich offen für eine erneute Bewerbung Münchens um drei Geschosse reichende „Steinerne Saal“ im Haupt­ die Winterspiele. Zumindest bleibt München als bau, 1795 von François de Cuvilliés vollendet. Im mög­licher Austragungsort im Gespräch. Die Bewer­ Jahr 1747 gründete Kurfürst Max III. Joseph die Nym­ bungsfrist für die Winterspiele 2022 endet erst im phenburger Porzellanmanufaktur, die nach Anfängen Herbst 2013. Bis dahin wird man beobachten, ob ein im Neudecker „Grünen Schlössl“ 1761 auf das Nym­ zweiter Anlauf nicht doch Aussicht auf Erfolg hat. phenburger Schlossareal umzog. Im nördlichen Ron­ Ohne Olympia dürfte es jedoch in München schwer dell wurden dort die Produktionswerkstätten errich­ sein, noch einmal einen Aufbruch ähnlich wie bei tet, in denen bis heute feinstes Porzellan von Hand den Sommerspielen von 1972 hinzukriegen. gefertigt wird. 2011 ging das Unternehmen mit sei­ Als Ende Oktober 1965 das deutsche IOC-Mit­ nen 73 Mitarbeitern in die Hände des Prinzen glied Willi Daume den Münchner Oberbür­ger­meister Luitpold von Bayern über, dem auch die Schloss­ Hans-Jochen Vogel ermunterte, München solle sich brauerei Kaltenberg gehört. Das Schloss Nymphen­ um die Olympischen Spiele 1972 bewerben, war das burg hingegen ist seit 1918 Eigentum des Freistaats in Anbetracht des noch nicht überwundenen Kriegs­ Bayern. Die ursprünglichen Schlossherren behielten traumas eine gewagte Idee. Würde das Ausland ein begrenztes Wohnrecht, das vom jeweiligen Ober­ Deutsch­land und München, einst Treibhaus der NS- haupt des Hauses Wittelsbach (derzeit Franz von Bewegung, schon wieder vertrauen? Aber man er­ Bayern) genutzt wird. Zudem ist das Schloss Sitz der kannte die einmalige Gelegenheit, die Spiele zur Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlös­ser, Darstellung eines veränderten, freiheitlich-demokra­ Gärten und Seen. tischen Deutschland zu nutzen. Heitere Spiele: Das Das Interieur des Schlosses präsentiert sich teils war das Versprechen des Olympiakandidaten Mün­ noch im Stil des Barock, teils des Rokoko. Edle chen gewesen, und darin lag mehr als die Aussicht Holzvertäfelungen, opulente Wandteppiche, zahlrei­ auf ein beschwingtes Sportfest. Es war die Verheißung che Portraits von Angehörigen der Herrscherfamilie, größtmöglichen Abstands zu den Propagandaspielen ein „Chinesisches Lackkabinett“, vier Museen und der Nazis 1936. Nicht pompös, nicht steif und schon nicht zuletzt die Schönheitengalerie von König Lud­ gar nicht militärisch würde man sich präsentieren, 30 SPEZIAL info7 1|2012

sondern locker, entspannt, weltoffen, jugendlich und wie Parks und Gärten modern. Ein neues Deutschland sollte es sein, und es P Das Image Münchens ist grün. Trotzdem ist wollte auch ein Stück weit abrücken vom Gigantismus München eine der am stärksten versiegelten Städte der Spiele, wie er längst üblich geworden war. Deutschlands. Meisterlich kaschiert wird dieser Letzteres hat man nicht durchgehalten, die anfangs Eindruck von den Alleen im Stadtgebiet, die von ge­schätzten Kosten von 520 Millionen Mark haben rund 100.000 Bäumen gesäumt werden. Die restli­ sich am Ende fast vervierfacht: 1.972 Milliarden chen 600.000 städtischen Bäume verteilen sich auf Mark. Am heftigsten war die Preisexplosion der viel­ 1189 Parks und Grünflächen. Das grüne Stadtbild gerühmten Dachkonstruktion, von ursprünglich ge­ wird von gärtnerischen Großveranstaltungen (IGA planten 18 Millionen auf 195 Millionen. Aber man 1983, BuGa 2005) bis hin zu Kleinaktivisten (Gue­ bewies auch Kreativität im Bemühen, das Geld wie­ rilla-Gärtner und Grünpaten) gepflegt. der hereinzuholen. Einen großen Teil prägte man Die Parkgeschichte der Stadt beginnt 1613 mit einfach. Die Bundesbank ließ silberne Olympia­ dem . Nach dem Vorbild italienischer Re­ münzen verkaufen. Diese Aktion deckte ein gutes nais­sance-Gärten ist er streng geometrisch angelegt Drittel der Gesamtkosten. Ursprünglich sollten die und heute eine Oase nicht nur für Boule-Spieler. Kosten von Bund, Land und Stadt zu gleichen Teilen 1728 folgt der Nymphenburger Schlosspark, der getragen werden, da der Bund aber seinen Anteil er­ noch das Pompöse des Feudalismus herausstellte. höhte, musste München aus seiner Kasse letztlich Mit dem Englischen Garten änderte sich die Ar­ 154 Millionen Mark aufbringen. Eine Summe, die gut chitektur von einer strengen, die Natur unterwerfen­ angelegt war. Schließlich gaben die Sommerspiele den Haltung zu einem optisch sanfteren, die Natur der Stadt eine enorme Schubkraft. Das Millionendorf nachahmendem Gepräge. wurde zur Weltstadt, mit einer ausgebauten U-Bahn, Die Integration von Natur und Architektur, die mit einem neuen Stadtteil und dem schönsten 1972 im Olympiapark entstand, gelang dermaßen, Stadion der Welt. Das Heitere aber, der Wunsch, bei dass sie einen Weltstandard in der Landschafts­ar­ allem Perfektionismus leicht und frisch daher zu chitektur definierte. kommen, wurde Wirklichkeit. München leuchtete Der Westpark, ein „Überbleibsel“ der Inter­na­ (wieder). All die sanften Regenbogenfarben, in die tionalen Gartenausstellung (IGA) von 1983, spiegelte der Designer Otl Aicher die Münchner Spiele einge­ bei seiner Erschaffung die Ideen der damals noch kleidet hatte, schienen bald sichtbarer Ausdruck ei­ jungen Öko-Bewegung wider, mit naturnah belasse­ ner ganz besonderen Stimmung zu sein. nen Waldstücken und vielen Biotopen. Ein besonde­ Fröhlich war es, bis am Morgen des elften Wett­ rer Schwerpunkt der IGA war Asien, der auch zur kampftages plötzlich Schluss war mit der Heiterkeit Wiederansiedelung des Gingko-Baumes anregte. In und allem Zauber. Mitten im olympischen Frieden der angrenzenden Gilmstraße stehen die Urbäume begann am Morgen des 5. September ein blutiges entlang der einzigen Gingko-Allee Münchens Spalier. Geiseldrama. Palästinensische Terroristen überfie­ Beim letzten Garten-Großereignis in München, len die Sportler aus Israel in ihrem Quartier im olym­ der Bundesgartenschau (BuGa) 2005 auf dem frühe­ pischen Dorf. Sie ermordeten den Ringertrainer ren Flughafengelände von Riem fand das Gegenteil Mosche Weinberg und den Gewichtheber Josef Ro­ statt. Es wurden Strecken, Flächen und scharfe ma­no und nahmen neun Geiseln, die später beim Zu­ Winkel zelebriert, was nüchterne Leute begeisterte, griff der Polizei auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck aber keinen Platz für Romantiker oder Schnörkel getötet wurden. Am Ende der Tragödie waren 17 Tote lies. Im Gegensatz zu den vielen früher entstandenen zu zählen, darunter elf israelische Opfer. Das neue Parks, die sich noch als Fest für den Herrscher be­ Deutschland hatte sich als naiv und blauäugig erwie­ griffen, wie der 1911 eingeweihte Luitpold-Park zu sen. Das Olympische Dorf wurde kaum bewacht, die Ehren des gleichnamigen Prinzregenten. Das Zen­ Terroristen konnten über den Zaun klettern, nie­ trum bildet ein Obelisk und der ursprüngliche mand hielt sie auf. Der Anspruch auf heitere Spiele Baumbestand waren 90 Linden und 25 Eichen, ent­ wurde zum Schicksal. Die schöne Idee wurde grau­ sprechend dem Alter und der Regierungsjahre des sam bestraft. Kaum jemand konnte sich vorstellen, Prinzregenten. dass man nach dieser schrecklichen Zäsur würde zu­ Ein besonderer Fall ist der Botanische Garten, rückkehren können zum sportlichen Spiel. Doch der der angrenzt an den Nymphenburger Schlosspark, Präsident des IOC, Avery Brundage, setzte nach ei­ aber nicht dem Prunk huldigt, sondern sich der Wis­ ner kurzen Unter­brechung die Fortführung der senschaft widmet. In der jetzigen Form besteht er Spiele durch. Und so kam es zu diesem Satz für die seit 1914. Mit seinen 22 Hektar und 14.000 Pflan­ Geschichtsbücher, gesprochen bei der Trauerfeier zenarten aus allen Klimazonen der Erde wird er je­ am 6. September im Olympiastadion: „The Games des Jahr von bis zu 400.000 Aficionados besucht, die must go on!“ Die Spiele gingen weiter, waren aber sich zum Beispiel während der Schmetterlingsschau nicht mehr dieselben. in die Tropen versetzt fühlen. München von A bis Z SPEZIAL 31

Direkt oberhalb der Theresienwiese liegt eine so ist es doch traurig zugleich. Karl Valentin war bei unbekanntere Grünzone, der Bavariapark. Im Schat­ den Intellektuellen beliebt (u.a. Bertolt Brecht) und ten der Bavaria, die als „begehbare Frau“, und erste anerkannt, traf aber auch den Nerv der einfachen Monumentalstatue seit der Antike aus gegossener Leute. Er feierte – mit Liesl Karlstadt, die 1912 seine Bronze, Furore machte, liegt der gut acht Hektar kongeniale Partnerin wurde – Triumphe bei Bühne große Platz. Er bietet nichts Spektakuläres, einfach und Film. Aber die Erfolge waren nicht von Dauer. In nur ein schöne Wiese mit vielen Bäumen für die den 1930er Jahren erlebten er und Liesl Karlstadt mit Bewohner des Viertels. Ganz neu ist der Petuelpark. einem Panoptikum ein finanzielles Desaster. Und die Der liegt auf der Decke des Petueltunnels, in dem die skurrile Komik war nicht unbedingt das, was sich die 120.000 Autos verschwinden, die vorher hier entlang Nazis unter deutscher Kunst vorstellten. Aber auch der Grenze zwischen Schwabing und Milbertshofen in der Nachkriegszeit misslang der Neuanfang auf oberirdisch fuhren. eine ihn deprimierende Weise. Sein Humor fand kei­ Ein besonders lauschiges Plätzchen ist der städ­ nen Anklang mehr. Wenige Monate vor seinem Tod tische Rosengarten, nicht der im Westpark, sondern soll Karl Valentin gesagt haben, überall in der Welt der neben dem Schyrenbad. Dort findet man ein stil­ sei er beliebter als in seiner Heimatstadt München. les Meer von 8.500 Rosen aus 200 Sorten, liebevoll Und doch ist er vielleicht der „Münchnerischte aller gepflegt von den Stadtgärtnern und bewundert von Münchner“ gewesen, so Oskar Maria Graf. den Besuchern, die hier die Hektik der Stadt verges­ sen im Duft der Königin der Blumen. wie Residenzstadt So kann man in der ganzen Stadt Winkel, Ni­ R Der Geburtshelfer des neuen Bayern war Kai­ schen und Hinterhöfe finden, die einen daran erin­ ser Napoleon. Im Herbst 1805 hatten Kurfürst Max nern, wie schön es sein kann, mit offenen Sinnen Joseph und sein Minister Montgelas Bayern aus der durch die Stadt zu gehen. Allianz mit Österreich und Russland herausgeführt und sich mit Frankreich verbündet. Der Lohn war die Königskrone. Am Neujahrstag, dem 1. Januar 1806, Karl Valentin und zieht der Landesherold durch Münchens Straßen Liesl Karlstadt und verkündet, dass der Kurfürst Max Joseph nun (SZ Photo / König ist. Der Akt der Erhebung in der Residenz hat Scherl) nur wenige Minuten gedauert. Eine glückliche Volte des Schicksals, wie es scheint. Tatsächlich taktierten die Bayern seit Jahren schmerzhaft zwischen den rivalisierenden Groß­ mächten Österreich und Frankreich und kämpften um ihr Überleben. Sie waren in dieser Zeit in wech­ selnden Allianzen in sieben Kriege verstrickt, ihre Schaukelpolitik war riskant. Auch die Hauptstadt München kommt nicht zur Ruhe, die Bevölkerung musste am laufenden Band Truppendurchzüge, Kon­ tributionen und Einquartierungen erdulden. wie Querdenker Und auch die Krönung bedeutete nicht das Ende Q München hat eine Menge an Originalen her­ vielen Ungemachs. 1809 tauchte Napoleon noch ein­ vorgebracht. Am häufigsten wird wohl Karl Valentin, mal in München auf. In mehreren Schlachten hatte das Komiker-Genie erwähnt. Kurt Tucholsky schreibt er vorher mit bayerischer Hilfe die Österreicher zu­ in seiner Weltbühne den vielzitierten Satz: „Karl rückgeschlagen. Im Schicksalsjahr 1812 zwang er Valentin ist ein seltener, trauriger, unirdischer, maß­ das bayerische Heer, mit ihm nach Russland zu zie­ los lustiger Komiker, der links denkt.“ Valentin, der hen. Der Feldzug endete in einer Katastrophe: Von Linksdenker bzw. Querdenker, dieses Etikett bleibt den 30.000 bayerischen Soldaten kehren nur wenige an ihm haften. Man wird ihm nicht gerecht, wenn zurück. Die Bayern wollten mit Napoleon nichts man ihn „nur“ als Wortakrobaten oder Komiker cha­ mehr zu tun haben, wenige Tage vor der Völ­ker­ rakterisieren würde. Seine Figuren sind tragische schlacht bei Leipzig schlug sich König Max I. schließ­ Helden, verstrickt im Geflecht einer feindlichen lich auf die Seite der Alliierten. Aus Wut über den Wirklichkeit. Sie möchten begreifen, verstehen, neh­ Verrat des Bayernkönigs schwor Napoleon Rache: men dabei die Sprache wörtlich, und wenn sie mit „Nein, keinen Frieden, ehe ich nicht München in ei­ unerbittlicher Logik den Worten auf den Grund zu nen Aschenhaufen verwandelt habe.” Nur, er kam gehen versuchen, versinken sie im Bodenlosen. Es nicht mehr dazu, München zu zerstören. Am 6. April ist der verzweifelte Versuch, der Dinge dennoch Herr 1814 dankte Napoleon ab, 1821 starb er als Verbannter zu werden – und scheitern. So komisch das alles ist, auf der Insel Helena. 32 SPEZIAL info7 1|2012

Westlich der alten Residenz wuchs ein recht­ winkliges Straßennetz, das sich auch heute noch schön zu Fuß ablaufen lässt. In diesem Viertel ent­ standen unter anderem der Karolinenplatz mit dem Obelisken und der Königsplatz. Speziell am Königsplatz frönte der König beson­ ders intensiv seiner Leidenschaft für Griechenland und die Kultur der Antike – mit der Glyptothek, ei­ nem Museumsbau für die Sammlung von Stein­plas­ tiken, dann mit dem Gebäude, in dem heute die Staat­ liche Antikensammlung untergebracht ist, und mit den 1848 bis 1860 von Klenze errichteten Propyläen. Um 1900 war die fast lückenlos be­ baut. Kunst, Kultur und Bildung prägten schon da­ mals die Gegend. Und auch heute noch hat das Vier­ Residenz und tel überdurchschnittlich viele Einrichtungen im kul­ Hofgarten (SZ Was aber vor allem aus diesem französischen turellen und künstlerischen Bereich. Die jüngsten Photo) Intermezzo blieb, waren die Königskrone und der Baumaßnahmen bildeten die Pinakothek der Mo­ Impetus, aus dem verwinkelten, mittelalterlichen der­ne im Jahr 2002 und das Museum Brandhorst München eine auch äußerlich moderne Haupt- und 2009. Außerdem haben auch viele Hauptverwaltungen Residenzstadt zu machen. Ihr bisheriger Charakter von Banken, Versicherungen und Konzernen hier ih­ mit dem engen, noch mittelalterlich geprägten Kern, ren Sitz. So gehört der Bayerische Rundfunk ebenso änderte sich fortan radikal. noch zum Stadtviertel wie auch ein Großteil der Die Stadterweiterung verlief um drei Kernpunkte Münchner Finanzämter oder die Spaten-Löwenbräu- herum: die Residenz im Zentrum, die Maxvorstadt Gruppe. im Westen und die Ludwigsstraße nach Norden. Die alte Residenz schließlich wurde umfangreich Zunächst wurde die Ludwigstraße von der Feld­ ausgebaut, zum Beispiel auch mit der damals so herrnhalle bis zum Siegestor gebaut. Maximilians reich an Gemälden und Verzierungen ausgestatteten Sohn Ludwig I. und sein Architekt Leo von Klenze Allerheiligenhofkirche und mit weiteren repräsenta­ rissen am heutigen Odeonsplatz das alte Stadttor nie­ tiven Trakten. An der Ostseite der Residenz entstand der und schütteten den mittelalterlichen Burggraben die imposante Hofreitschule, die man heute unter zu. Klenzes herausragende Prachtbauten am Beginn dem Begriff Marstall kennt. Nach Norden hin ent­ der Ludwigstraße sind der -Konzertsaal (im stand der großzügige Residenzgarten, nach Süden Zweiten Weltkrieg zerstört, heute Innenministerium) wurden Oper und Staatstheater erweitert und nach sowie das direkt benachbarte Leuchtenberg-Palais Westen öffnete sich der Odeonsplatz, Ausgangspunkt (heute Finanzministerium). der neuen Ludwigstraße. Die Residenz rückte so von Auch die Ludwigskirche in Höhe Schellingstraße – seiner mittelalterlichen Randlage entlang der Stadt­ benannt nach dem Heiligen Ludwig – die Universität mauer ins Zentrum der „Residenz“-Stadt. Die Stadtre­ und die Staatsbibliothek prägen die Ludwigstraße. sidenz wurde dabei in gerader Achse über die Max­ Dazu kommen an den jeweiligen Zielpunkten der vorstadt und die „Nymphenburger Landstraße“ mit Prachtmeile die und das Siegestor. der Sommerresidenz verbunden, dem Schloss Nym­ Diese Gebäude stammen von Klenzes erbittert be­ phenburg. kämpftem Gegenspieler Friedrich von Gärtner. Der Mit der Erhebung zum Königreich 1806 begann Stilmix wird heute von Architekturexperten gelobt, der Durchbruch Münchens auf dem Weg zu einer denn so sei eine klassizistische Monotonie der Hauptstadt eines deutschen Mittelstaates im 19. Straßenanlage vermieden worden. Jahrhundert. Damit prägte sich auch ein stärkeres Die Maxvorstadt ist nach keinem anderen als Selbstbewusstsein der Münchner als Hauptstädter dem ersten bayerischen König Maximilian I. be- aus. Angespornt wurde das wachsende Selbstgefühl nannt. Sofort nach seiner Krönung 1806 hatte der wegen des Zuzugs der Universität und mit dem König die Planung in Auftrag gegeben, als erste Aufbau der Staatsbibliothek. Stadter­wei­terung überhaupt. Fünf Jahre dauerte Kulturelle Glanzlichter wie das Nationaltheater die Zusam­menstellung der genauen Pläne. Bis dann und eine Fülle neuer Museen (von der Pinakothek aber gebaut wurde, verging noch einige Zeit. Erst bis zur Glyptothek) brachten Leben in die Stadt: Der nach 1825 entstand der Großteil der Maxvorstadt. Da Zuzug von Professoren aus ganz Deutschland, von saß bereits Ludwig I. auf dem Thron und dieser ließ Künstlern und Literaten frischte das behäbige Stadt­ seine Vorstellungen von einem "Isar-Athen" verwirk­ leben auf. Der Aufbau eines komplexen Ver­wal­ lichen. tungsapparates für das um Franken und Schwaben München von A bis Z SPEZIAL 33

erweiterte Königreich bedeutete in München ein ste­ mer gewiss, dass der nächste Tiefschlag ohnehin so tiges Wachstum. Was Ludwig I. mit dem Ruf Mün­ unweigerlich wie unabwendbar folgen wird. Für den chens als Isar-Athen begründen wollte, setzte sein Bayernfan hingegen, verwöhnt und übersättigt durch Sohn Maximilian II. in Wissenschaft und Forschung die zahllosen Erfolge seines Clubs, bedeutet ein drit­ fort: München sollte konkurrenzfähig zu europä­ ter Tabellenplatz schon eine gelinde Katastrophe und ischen Hauptstädten sein. eine Saison ohne Titelgewinn stürzt ihn in eine tiefe Lebenskrise. Zudem ist er gezwungen jahrein, jahr­ wie Sportstadt aus mit den Anfeindungen zu leben, die seinem un­ S „No sports“ beschied Winston Churchill einst geliebten Verein aus einem neidischen Fußball­ knapp und bündig, doch diesem Motto mag der deutschland entgegenschlagen. Dabei waren die Münchner nicht so recht Folge leisten: München ist Sechziger einst die unumstrittene Nummer Eins der eine Stadt des Sports. Stadt und ihr 1911 bezogenes Stadion im Arbeiter­ Fast 700.000 Münchner sind in den 675 Sport­ stadtteil Giesing die Wiege des Münchner Fußballs. vereinen der Stadt organisiert und das Angebot an Seit sie jedoch 1966 Deutscher Meister wurden, mit Sportstätten ist mannigfaltig: 3.250 Anlagen, Hallen Spielern deren Namen jeder richtige Fan noch heute und Bäder etc. stehen dem sportlichen Münchner zur so auswendig hersagen kann wie der Karl-May-Leser Auswahl. Und auch im Bereich des Spitzensports den des Hadschi Halef Omar – Radenkovic, Wagner, kann sich München sehen lassen, auch wenn etliche Patzke, Perusic, Reich, „Atom-Otto“ Luttrop, Heiß, Versuche, Spitzenteams aus anderen Disziplinen als Küppers, Brunnenmeier, Konietzka, Grosser hießen dem Fußball in der Stadt zu etablieren, im Laufe der die Glorreichen – seitdem ging es unaufhaltsam letzten 20 Jahre gescheitert sind. Am hartnäckigsten bergab mit den Löwen und genauso unaufhaltsam er­ waren dabei die Eishockeyspieler: Sobald ein Erst­ folgte parallel dazu der Aufstieg der Bayern. Während ligaklub aufgeben musste, stand schon ein neuer unfähige Präsidenten wie der einstige CSU-Abge­ Verein in den Startlöchern, um sein Glück zu versu­ ordnete Erich Riedl die Blauen immer weiter herun­ chen. EC Hedos, Maddogs, Barons kamen und gingen terwirtschafteten, bis sie schließlich 1982, sportlich und momentan ist es der EHC München, der in der und finanziell bankrott, in der Amateurliga landeten, DEL ums Überleben kämpft. Auch im Handball ver­ erlebte der FC Bayern sein goldenes Zeitalter. Spieler suchten Mäzene wie Urs Zondler und Ulrich Ba­ wie Maier, Müller, Beckenbauer, Hoeneß, Breitner, ckeshoff der Stadt langfristig zu einem Erstligateam „Bulle“ Roth oder „Katsche“ Schwarzenbeck standen zu verhelfen, aber sowohl der MTSV Schwabing als für unwiderstehlichen Erfolgsfußball und zahllose auch der TSV Milbertshofen scheiterten an mangeln­ deutsche wie internationale Titel. So verweilen also dem Erfolg und Zuschauerinteresse. Ähnlich erging die Bayern bis heute in der Bel Etage des Fußballs, es den Volleyballern und auch im Basketball war der während sich die Löwen durch die Ebenen der zwei­ Stadt lange kein nachhaltiger Erfolg beschieden, bis ten Liga mühen, den Aufstieg stets so sehnlichst wie der FC Bayern das ehrgeizige und bislang erfolgrei­ (vorläufig) unerreichbar vor Augen. Sogar die Lokal­ che Projekt startete, seine Basketballabteilung in der derbys, einst wochenlang einziges Gesprächsthema Bundesliga zu etablieren. der Stadt, verkamen zu sportlich belanglosen Freund­ Und mit dem FC Bayern München ist man auch schaftsspielen. Wie anders war das doch ehedem! schon beim zentralen Sportthema der Stadt, die ja Die Bedeutung eines Derbysiegs war in der Stadt recht eigentlich eine Stadt des Fußballs ist. kaum zu überschätzen, seitdem die Bayern 1912 den Schon in ganz jungen Jahren verpasst das Schick­ ersten Vergleich 3:0 gewonnen hatten. Auch 1919, sal in Gestalt von Vater, Opa oder großem Bruder kaum dass der Erste Weltkrieg verloren war, Kurt dem Münchner eine Determinierung, der er dann Eisner ermordet und seine Räterepublik in Blut er­ Zeit seines Lebens zu folgen gezwungen ist. Jene säuft, gab es sofort ein Derby, und gleich nach dem frühkindliche Prägung macht ihn nämlich entweder Ende des Zweiten Weltkriegs, am 26. August 1945 zum „Blauen“, oder zum „Roten“, und diese Far­ben­ spielte man auch schon wieder gegeneinander – zu­ lehre bedeutet in München weit mehr als nur die gunsten der Opfer des Nationalsozialismus. Uner­ Anhängerschaft zum TSV 1860 München (blau) oder wähnt bleiben darf dabei nicht, dass etliche ehema­ zum FC Bayern München (rot). Ganze Welten tren­ lige Mitglieder des so genannten „Judenvereins“ FC nen diese beiden Traditionsvereine samt ihrem Bayern, unter anderem der emigrierte ehemalige Anhang und nur auf den ersten Blick mag man das Clubpräsident Kurt Landauer, zu den Leidtragenden Los des rot Geprägten für leichter erträglich halten, der Nazi-Diktatur zählten. Der stolz sich „Arbei­ als das seines Antagonisten. Gehärtet durch die zahl­ terverein“ nennende TSV hingegen war in jener un­ losen Schicksalsschläge, die seinen Verein – und da­ seligen Zeit ein tiefbrauner Hort der SA. Eine klaf­ mit ihn – permanent ereilen, lernt der Fan der Löwen fende Wunde in der Vereinsgeschichte ist das, die je­ nämlich früh, die Wechselfälle und Fährnisse des den anständigen Fan bis heute bitter schmerzt. In Lebens mit stoischer Gelassenheit zu ertragen, im­ unseren Tagen ist der Vorstand des TSV 1860 ein 34 SPEZIAL info7 1|2012

Schriftstellerin und Muse der avantgardistischen Künst­ler-Bohème Schwabings; der Geistesgrößen, Poeten und Visionäre, die sich seit den 1890er Jahren an diesem Ort zusammenfanden, um dort zu leben, zu lieben, zu arbeiten und zu feiern und die so den Ruf begründeten, von dem Schwabing bis heute zehrt. Die Brüder Heinrich und Thomas Mann, Frank Wedekind, Erich Mühsam und Lenin, Max Halbe, Roda Roda, Paul Klee und Alfred Kubin, Wassily Kandinsky, Lovis Korinth und Franz Marc, Ludwig Thoma und Joachim Ringelnatz, der Dichter Klabund nebst Freundin Marietta di Monaco – nahezu endlos ist der Reihe der echten oder eingebildeten Genies, die damals „Wahnmoching“ und seine Kneipen wie Wacker München das „Simplicissimus“ oder das „Café Stefanie“ bevöl­ gegen TSV 1860 „Austragsstüberl“ für Politiker der vergleichbar chro­ kerten, oder aber auf den legendären Künstler-Fa­ München, 1919 nisch erfolglosen bayerischen SPD, während sich in schingsbällen Dinge taten, die dem braven Münchner (SZ Photo / den VIP-Logen des FC Bayern vornehmlich das Bürger die Schamesröte ins Gesicht und wohlige Scherl) schwarze Spitzenpersonal des Freistaats tummelt. Schauer über den Rücken trieben. Inzwischen ist bei den Löwen wieder einmal ein Doch auch eine dunklere Seite hatte diese gol­ „Hoffnungsträger“ aufgetaucht: Ein schwerreicher dene Zeit Schwabings: rund um Dichter wie Ludwig Bau­unternehmer aus Jordanien ist es diesmal, von Derleth, Alfred Schuler, Ludwig Klages und zunächst der Lokalpresse „der Scheich“ genannt, der den auch Stefan George bildeten sich esoterische, kosmi­ Verein im Sommer 2011 zunächst haarscharf vor der sche Energien beschwörende Zirkel aus Propheten Insolvenz bewahrte, dann aber zunehmend eindeu­ eines kommenden Reichs und Anhängern diony­ tige Machtansprüche im Verein anmeldete und dem­ sisch-ekstatischer Kulte. Gemeinsam war ihnen das nächst wohl den aufrechten Präsidenten Dieter Streben nach einem elitären Ästhetizismus, der in Schneider aus dem Amt drängen wird. Den Geldhahn den antisemitischen Kult des arisch-germanischen werde er zudrehen, lässt der Scheich ausrichten, wenn „Bluterbes“ münden sollte. Von solcherlei okkultem er seinen Willen nicht bekäme, und so ist es bei Mummenschanz war der Weg zum Hakenkreuz nicht Sechzig wieder wie es immer ist: Das Ende ist nah. weit, auch wenn umstritten ist, in welchem Maß dort geistige Grundlagen der völkisch-rassistischen Ideo­ wie Schwabing logie der Nationalsozialisten gelegt wurden. SCH Schwabing ist tot. Als deren Barbarei überstanden war und die Niemand weiß, wie oft dieses apodiktische Urteil Stadt in Trümmern lag, erwachte Schwabing lang­ schon gefällt wurde, aber all jene, die es aussprachen sam zu neuer Blüte. Sein kulturelles Herz wurde wie­ in den letzten 130 Jahren, meinten doch damit stets derbelebt von einer Generation kriegsmüder und le­ Ihr Schwabing, das Schwabing ihrer jungen und wil­ benshungriger junger Menschen. Ateliers wurden den Jahre, das Schwabing, das sie kannten, liebten instand gesetzt, Lokale in Ruinenkellern eröffnet und verstanden. All jene Schwabinger Gestalten, je­ und Kabarettbühnen gegründet, als Bekannteste ne „Maler, Kabarettisten, verkrachten Existenzen, wohl die Münchner Lach- und Schießgesellschaft, begabten Zuhälter, Säufer, Kokainisten und Gele­ 1956 vom Berliner Journalisten Sammy Drechsel und genheitskokotten, Schieber und Studenten, kunstge­ Dieter Hildebrandt aus der Taufe gehoben. werblichen Mädchen und pazifistischen Dichter“ (so Nicht nur in Schwabing, sondern überall in der Oskar Maria Graf), die zu allen Zeiten das Ende westlichen Welt, erwachte mit den sechziger Jahren Schwabings verkündeten – sie betrauerten damit in ein neues Selbstbewusstsein der studentischen Ju­ Wahrheit doch das Ende ihrer eigenen Jugend. gend, doch in Schwabing manifestierte es sich beson­ Aber was ist Schwabing eigentlich? Zunächst ein ders früh. Was als „Schwabinger Krawalle“ in die Münchner Stadtviertel natürlich, nördlich des Zen­ Stadtgeschichte eingehen sollte, begann im Sommer trums gelegen und mit etwa 100.00 Einwohnern das 1962, als jugendliche Straßenmusikanten um 22:30 größte der Stadt. Ein Bauerndorf ursprünglich, ei­ Uhr nicht zu spielen aufhören mochten. Es kam zu nige Gehöfte, eine Kirche, von Feldern umgeben und Rangeleien mit den herbeigerufenen Polizisten, die mehr als 400 Jahre älter als die Landeshauptstadt, in Situation eskalierte, und in den folgenden 4 Tagen die es 1890 eingemeindet wurde. und Nächten entbrannten wilde Straßenschlachten Und sonst? Ein Mythos? Ein Gefühl? Ein Traum? zwischen bis zu 40.000, meist jugendlichen Protes­ Kein Ort, sondern ein Zustand sei Schwabing, meinte tanten und der zum Teil berittenen Polizei. Die öf­ Franziska zu Reventlow, die „tolle Gräfin“, Malerin, fentliche Kritik, die an dem übertrieben harten Ein­ München von A bis Z SPEZIAL 35

greifen der Polizei laut wurde, führte in der Folge zur als die Münchner Oberschicht gegen Ende des 19. Einführung der so genannten „Münchner Linie“, ei­ Jahrhunderts die Sommerfrische in den Alpen ent­ ner Deeskalationsstrategie, die unter Federführung deckte, ließen sich die Frauen Gewänder schneidern, des Polizeipräsidenten Manfred Schreiber entwickelt die dem Dirndl ähnelten. Die Verbreitung des Dirndls worden war. entspringt also der Vorstellung des Stadtbewohners Nun begannen die Swinging Sixties, mit Jimi vom Land. Kleidung ist Zeichensprache. Hendrix im „Big Apple“ und im „Blow Up“, mit dem Mit den Olympischen Spielen ging es weiter. Die „PN“, dem „domicile“ und der „Klappe“, überhaupt Designer ließen sich etwas Neues einfallen. Sämtliche der ganzen legendären Leopoldstraße, wo die schön­ Hostessen trugen hellblaue Dirndl mit weißen Blusen sten Mädchen der Stadt vor den Eisdielen flanierten, in Anlehnung an die Farben des bayerischen Him­ in denen Regisseure wie Werner Enke und Klaus mels. Das war nett anzusehen und gefiel offenbar Lemke Ausschau hielten, nach Stoff für ihre Filme auch dem schwedischen Kronprinzen, der Silvia und nicht nur für die. Es entstanden Einkaufszentren Sommerlath in diesem Dirndl kennenlernte und wie das Schwabylon und das Citta 2000 und in den schließlich heiratete. siebziger Jahren erschien Schwabing als Inbegriff Vielleicht brachte die Olympiade den endgülti­ der Modernität. gen Erfolg für das Dirndl, aber die Verbindung von Seit den Achtzigern ging es dann bergab. Dö­ Oktoberfest und Tracht ist hingegen neueren Datums. nerbuden reihten sich nun an Spielhallen und Noch vor einiger Zeit hätte sich kein junger Münchner Schachtelkinos; Hamburgerfilialen und Pilspubs ver­ vorstellen können, etwas anzuziehen, was nur im drängten alteingesessene Lokale und die potemkin­ Entferntesten an Tracht erinnert. Diese Kleidung war schen Fassaden, die von einst noch übrig waren, doch rückständig. Vor etwa zehn Jahren kam die drehte man den Touristen als authentisches Schwa­ Trendwende. Heute sind diejenigen in der Mehrheit, binger Lebensgefühl an. die meinen, dass es unbedingt angesagt sei, mit fe­ Heute wird aufgeräumt. Gentrifizierung heißt schem Dirndl oder Lederhose auf die Wiesn zu ge­ das Rezept, nach dem in immer gleicher Manier ei­ hen, freilich aufgepeppt – in allen möglichen Längen, nem Münchner Stadtteil nach dem anderen heimge­ wilden Variationen und schrägen Kombinationen. Oben: Schwabing, leuchtet wird. Die alten Mieter, die alten Kneipen, die Traditionalisten beklagen, dass die Wiesnmode mit Künstlerlokal alten Geschäfte werden verdrängt, die Häuser auf­ Tracht nichts zu tun hat. In München existierte nie Simpl (SZ Photo) wändig saniert und dann zu Quadratmeterpreisen eine ureigene Tracht, die gab und gibt es – streng Unten: Auer Dult vermietet, für die man anderswo in der Republik festgelegt – nur in den einzelnen Regionen. Das (SZ-Photo / Knorr Immobilien kaufen kann. Schwacher Widerstand regt Dirndl hingegen ist ein modisches Phänomen, ein + Hirth) sich noch hie und da, zuletzt, als die legendäre Ab­ verspielter Umgang mit Brauchtum. Auf dem Okto­ sturzkneipe „Schwabinger Sieben“ weichen muss­te, aber berfest sollte man die Wiesnmode nicht bierernst mehr als letzte Zuckungen sind das wohl nicht mehr. nehmen. Nun, authentisch oder nicht, Tradition liegt im wie Tracht, Trödel und Tradition Trend. Ziemlich unverfälschtes München – gar nicht T Tradition und Moderne: Nicht immer werden weit vom Zentrum entfernt – findet sich beispiels­ die Gegensätze betont. In der geflügelten Rede­wen­ weise in der Au. Am Mariahilfplatz findet drei Mal dung „Laptop und Lederhose, die vom ehemaligen im Jahr die Auer Dult statt, Münchens ältester Bundespräsidenten Roman Herzog geprägt wurde, Jahrmarkt. Hier spürt man – noch – das unbeleckte vom früheren Ministerpräsidenten Edmund Stoiber München mit durchaus zählebigen Traditionen. und der CSU dann übernommen, kommt eine ver­ Die Maidult beginnt in der letzten Aprilwoche, meintlich geglückte Symbiose von Tradition und die Jakobidult fängt Ende Juli an und die Kirchweihdult Fortschritt bzw. Hochtechnologie zum Ausdruck. rundet das Jahr Mitte Oktober nach dem Ende des Die Lederhose steht als Symbol für die Ver­wur­ Oktoberfests ab. Die Dult wird immer samstags eröff­ zelung der Bayern in ihrer Tradition. Der Flaneur net und dauert jeweils neun Tage. Die Auer Dult bie­ wird in der Landeshauptstadt jedoch höchst selten tet für alle Besucher etwas: Ob Kochlöffel, Patent­ Frauen in Tracht oder im Dirndl und Männer in gemüsehobel, neue Hosenträger oder einen XXL- Lederhosen sehen. Es sei denn, es ist Wiesn-Zeit. Kochtopf – hier findet man all die kleinen und Aber auffallend sind in der Innenstadt die zahlrei­ größeren Dinge, die man im täglichen Leben braucht. chen Dirndlgeschäfte und Trachten-Outlets, die sich Neben Jahrmarktständen und Töpferwaren, Karus­ erst seit einigen Jahren ausgebreitet haben. Wie ist sells und diversen kulinarischen Köstlichkeiten gibt das zu erklären, wenn man weiß, dass es beim ersten es auch noch manche Rarität zu entdecken. In vier Oktoberfest 1810 noch gar keine Dirndl gab? Das Verkaufsgassen findet man allerhand Trödel und Dirndl kam erst Ende des 19. Jahrhunderts auf, es Antiquitäten, die von alteingesessenen Tandlern aus war das Arbeitsgewand der Mägde und der Dienst­ München und Umgebung verkauft werden. Ursprüng­ mädchen, das in der Stadt nicht getragen wurde. Erst lich war eine Tult oder Dult ein Kirchenfest, das zu­ 36 SPEZIAL info7 1|2012

paar Jahre verdoppelt, wird die Skulptur, die aus hei­ ßem Asphalt dort in Form gegossen wurde, irgend­ wann zu schwer für die Erde, den Erdmantel durch­ sinken und zum geschmolzenen Erdkern zurückkeh­ ren. Nur, im Gegensatz zum immateriellen, nicht virtuellen Wissen ist das Monument relativ statisch und nicht so dynamisch. Die nicht nur geistige Beweglichkeit, ist schon in der Geschichte der beiden großen Münchner Universitäten angelegt. Die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) wurde 1472 in Ingolstadt gegründet, zog 1800 auf kur- fürstliches Geheiß nach Landshut um, um 26 Jahre später von König Ludwig I. nach München geholt zu werden. 1840 war endlich der Prachtbau von Friedrich von Gärtner an der Ludwigsstraße bezugs­ fertig. Kaum waren die Fakultäten etabliert, wurde der Raum schon wieder knapp. Die Naturwis­sen­ schaften waren auf dem Vormarsch und so wurde Ludwig-Maximi­ 1868 die Technische Hochschule (heute: Technische lians-Universität meist zu Ehren eines Heiligen stattfand. Am Rande Uni­ver­sität München – TUM) begrün­det. Die hohe (SZ-Photo / eines solchen Festes wurden rings um die Kirche oft Qualität von Forschung und Lehre belegen eine Viel­ Scherl) Verkaufsstände errichtet und allerlei Waren feilgebo­ zahl von Nobelpreisträgern. Die Liste beginnt schon ten. So veränderte das Wort im Laufe der Zeit lang­ im ersten Jahr seiner Verleihung 1901 mit Wilhelm sam seine Bedeutung und stand schließlich nicht Conrad Röntgen, der 23 Jahre lang in München mehr für „Kirchenfest“, sondern für „Jahrmarkt“. Im lehrte. Mittelalter standen diese Märkte auch auswärtigen Die Konkurrenz zwischen LMU und TU gehört Händlern und Kaufleuten offen und dienten vor al­ zum Lokalkolorit ähnlich wie diejenige zwischen lem dem Umsatz von Fernhandelsgütern. Tuche, dem FC Bayern und dem TSV 1860. Der letzte große Pelze, Gewürze, Gold- und Silberwaren wurden hier Vergleich ging unentschieden aus, wurden doch verkauft und erst im 19. Jahrhundert wandelten sich beide bei der ersten „Exzellenz-Initiative“ 2006 als die Märkte zu Verkaufsmessen der Klein- und Elite-Universitäten ausgezeichnet (München erhielt Landkrämer. Auch die Gesundheitspfleger und das damals zwei von den drei bundesweit vergebenen Amüsement gehörten dazu: Quacksalber und Gauk­ Ehren). Zusammen bilden diese beiden über drei ler, Zahnbrecher und Taschenspieler, reisende Ärzte Viertel der 88.000 Studenten in München aus. Wenn und Marionettenspieler brachten das Volk zum man die dritte große, die Hochschule (für ange­ Lachen oder Weinen. Ihre Auer Dult verdankt die wandte Wissenschaften) München (früher: Fach­ Stadt München dem Kurfürsten Karl Theodor: Der hochschule) dazu nimmt, sind es sogar 90 Prozent. zeigte sich 1796 bei einem Besuch in der Vorstadt Au Die übrigen zehn Prozent verteilen sich auf weitere beeindruckt von der schneidigen Parade der Auer zehn Hochschulen, wie zum Beispiel die Akademie Bürgerwehr und verlieh den Auern zum Dank das der Bildenden Künste, die Katholische Stiftungs­fach­ Recht, zweimal im Jahr einen Markt abzuhalten. So hoch­schule oder die Universität der Bundeswehr. fanden ab 1799 jeweils im Mai und Oktober rund um Zusam­men mit den außeruniversitären Forschungs­ die – damalige – Wallfahrtskirche Mariahilf die viel­ einrichtungen wie der Max-Planck-Gesellschaft, der besuchten Dulten statt. Die Au war damals noch ein Fraunhofer-Gesell­schaft oder dem Helmholtz Zen­ eigenständiges Dorf vor den Toren Münchens und trum beschäftigt die „Wissensindustrie“ im Groß­ erst mit ihrer Eingemeindung im Jahr 1854 wurden raum München ungefähr 200.000 Menschen. Die die Dulten fester Bestandteil des Münchner Volks­ von der Wissenschaft unmittelbar angestoßene Wert­ festkalenders. Als dann 1905 die sommerliche Jako­ schöp­fung wird mit 1,6 Milliarden Euro jährlich be­ bidult vom Haidhauser Johannisplatz auf den ziffert. Das Wirkungsspektrum reicht wegen des Mariahilfplatz verlegt wurde, war das Dreigespann Wissens­transfers und der dadurch in die regionale der Dulten, wie wir sie heute kennen, komplett. Ent­wicklung gegebenen Impulse weit darüber hin­ aus. Der Bologna-Prozess und die Ökonomisierung wie Universität des Studiums fordern in München auch ihren Tribut; U Das Wissen an der Universität wiegt 250 Exotenfächer (u. v. a. Musikpädagogik) werden ein­ Tonnen. Zumindest symbolisch, in Form der Skulptur gestellt, trotz Studiengebühr drängen sich statt 20 von Gregor Passens auf dem Campus des Biozentrums über 50 Kommilitonen in Hauptseminaren und die der LMU in Martinsried. Da sich das Wissen ja alle Ver­schulung durch das Baukastensystem lässt der München von A bis Z SPEZIAL 37

„Figur des kreativen Intellektuellen, der ... nicht von fremdgesteuerten Geldströmen abhängig ist“ (Heiner Keupp), keinen Raum mehr.

wie V Ausgerechnet der TÜV Rheinland! Hätte man denn 2010 keine einheimische Firma beauftragen können, den Münchner Viktualienmarkt auf Herz und Nieren sowie auf Hygiene, Brand- und Arbeits­ schutz zu untersuchen? Für 300.000 Euro? Vielleicht wäre deren Ergebnis ja weniger desaströs ausgefal­ len als das der Rheinländer. Nun aber lag die rheini­ sche Studie vor, und die Münchner Lokalpresse, tra­ ditionell hysterisch, wenn es um Münchner Kron­ juwelen geht, sah schon die Abrissbagger rollen. Ein Juwel ist er ja auch, der Viktualienmarkt, und so beeilte man sich bei der Stadt, zu versichern, dass die anstehende Sanierung sehr behutsam und unter Einbeziehung der Marktleute vor sich gehen Viktualienmarkt solle; sein althergebrachtes Gesicht werde der Markt und Auswärtige besuchen den Markt jedes Jahr; 1910 (SZ Photo / auf alle Fälle behalten. Das möchte man aber auch manche um einzukaufen, manche nur zum Schauen Scherl) stark hoffen in München, schließlich hatte man 205 und viele, um sich an einem der zahlreichen Imbiss­ Jahre Zeit, sich daran zu gewöhnen, seitdem König stände und Metzgereien mit einer Brotzeit zu versor­ Max I. Joseph am 2. Mai 1807 verfügte, den alten gen, die dann in dem großen Marktbiergarten ver­ Stadtmarkt vom Schrannenplatz, dem heutigen zehrt werden kann. Marienplatz, in das Gebiet zwischen Heiliggeistkirche, Am Faschingsdienstag aber geht der Münchner Frauenstraße und Alten Peter zu verlegen. Noch im auf den Viktualienmarkt, um zu feiern und die 19. Jahrhundert wurde der Markt mehrfach erweitert Marktfrauen tanzen zu sehen. Der TÜV Rheinland und 1852 um die langgestreckte Schrannenhalle er­ kann sich jetzt übrigens auch wieder sehen lassen. gänzt, die dem Großhandel diente, bis im Jahre 1912 die Münchner Großmarkthalle eröffnet wurde. 1932 wie Wirtschaftsstandort brannte die „Schranne“ teilweise ab, und erst seit W Der Großraum München umfasst neben der 2005 ist sie wieder eröffnet, betrieben bislang von Lan­deshauptstadt die Landkreise Dachau, Ebersberg, wechselnden Pächtern mit wechselhaftem Erfolg. Erding, Freising, Fürstenfeldbruck, Landsberg am 1890 hatte der Viktualienmarkt dann seine heutige Lech, München und Starnberg. Größe erreicht und Handel wie Marktfrauen gedie­ Wichtige Branchen sind unter anderem die Me­ hen prächtig, bis die Luftangriffe des Zweiten Welt­ dien­wirtschaft, Automobil- u. Maschinenbau, Bio­ kriegs das ganze Areal in Trümmer legten. Die waren tech­nologie, Gesundheitswirtschaft, Versicherungen, noch nicht beseitigt, als im Münchner Stadtrat Pläne Luft- und Raumfahrttechnik und die IT-Industrie. entstanden, auf diesem wertvollen Grund in bester Viele bedeutende Unternehmen haben hier ihre Lage Hochhäuser zu errichten – dem bis heute höchst Zentrale, darunter sieben im DAX-30 vertretene Kon­ lebendigen Münchner Instinkt folgend, alles zu ver­ zerne (Allianz SE, BMW AG, Infineon Techno­logies silbern, was nicht niet- und nagelfest ist, sei es gar AG, Linde AG, MAN SE, Munich Re AG und Siemens der Viktualienmarkt. Ein Denkmal sollte man jenem AG) sowie weitere bekannte Unternehmen wie EADS städtischen Entscheidungsträger errichten, der diese N.V., Kabel Deutschland Holding AG, ProSiebenSat.1 Pläne vereitelt hat, oder, besser noch, einen Gedenk­ Media AG, Wacker Chemie AG und die Sixt AG. brunnen, so einen wie jene, die auf dem Markt an die Insgesamt gab es im Jahr 2010 in München rund beliebtesten Volkssänger der Stadt erinnern. Karl 171.000 Gewerbebetriebe und mehr als 42.000 Frei­ Valentin, Liesl Karlstadt, Weiß Ferdl, Ida Schuh­ma­ berufler, mit jährlich mehr als 20.000 Existenz­grün­ cher, Elise Aulinger und der Roider Jackl sind da ver­ dungen ist München auch eine der Gründerhoch­bur­ ewigt und es vergeht kein Tag, an dem ihre Stand­ gen in Deutschland. bilder nicht mit frischen Blumen geschmückt sind. Der Arbeitsmarkt im Großraum München um­ Dafür sorgen schon die Münchner Markthändler. 135 fasst ca. 1,6 Millionen Beschäftigte und wird in den nächs­- sind es, die in den 119 festen Buden zu jeder Jahres­ ten Jahren voraussichtlich weiter wachsen. zeit und Witterung feinste Lebensmittel aus aller Im Dezember 2011 gab es in München ca. 34.400 Welt feilbieten, münchnerisch derb und zu durchaus Arbeitslose, das entspricht einer Arbeitslosenrate fortschrittlichen Preisen. 5,6 Millionen Münchner von 4,6 % (Bundesdurchschnitt 6,6 %). 38 SPEZIAL info7 1|2012

Am bundesweiten Durchschnittseinkommen ge­ Nachtleben ist bunt, vielgestaltig und etwas unüber­ messen gelten in München deutlich weniger Men­ sichtlich, und die Verfasser dieser Zeilen müssen ge­ schen als arm als im Bundesschnitt: 10,7 % (Ber­lin: stehen, dass die Nächte, in denen sie bescheidener 19,2 %, Leipzig: 26,4 %). Aus­ge­hend vom durchschnitt­ Teil davon waren, schon etliche Jahre (manche sagen lichen Haushalts­ein­kommen in München ist die sozi­ Äonen) zurückliegen. Daher kann hier über das man­ ale Spaltung aber sehr groß: 18 % der Münch­ner ver­ nigfaltige Angebot, das München dem juvenilen fügen über weniger als 60 % des Durch­schnitts­ein­ Nachtschwärmer bietet, leider nicht aus eigenem kommens (durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen Augenschein berichtet werden. Eine Ausnahme bil­ in München: 1.667 €). det das X-Cess, ein Club, der auf die Aufbietung eines Die hohen Lebenshaltungskosten in der deut­ Türstehers verzichtet, was in München nicht selbst­ schen Single-Hauptstadt sind natürlich vor allem ein verständlich ist. Das X-Cess war ursprünglich in ei­ Problem für Geringverdiener und Familien, so gehö­ nem ehemaligen Dönerrestaurant im Glockenbach­ ren z. B. die Mieten seit Jahren zu den höchsten in viertel beheimatet und seinen mythischen Ruf ver­ Deutschland. Münchner Mietpreise sind fast 60 % dankt es nicht zuletzt der familiären Atmosphäre, teurer als im Bundesdurchschnitt, die Bestandmieten die sich dort auf einer Fläche von ca. 18 Quadratmetern sind mit 9,58 € /m² Kaltmiete die teuersten bundes­ Abend für Abend zwischen den etwa 100 Gästen ent­ weit (6,04 € im Bundesdurchschnitt), bei Neuver­mie­ spann. Seele, Nestor und Spiritus Rector des Clubs tung beträgt die Miete im Mittel 12,64 €. ist Wirt und Faktotum Isi Ylmaz, ein türkischer Der Bau von erschwinglichem Wohnraum in der Selfmademan und Maître de Plaisir, der, angetan mit Stadt und im Umland wird mit dem prognostizierten einer enormen russischen Generalsmütze, jeden der Bevölkerungswachstum voraussichtlich auch in den Gäste persönlich und mit Namen begrüßt, speziell je­ nächsten Jahren nicht schritthalten können, so dass doch diejenigen weiblichen Geschlechts. Keine die­ die Lage am Wohnungsmarkt weiterhin schwierig ser von ihm so genannten „Süssies“ schafft es, über bleiben wird. die Schwelle des Lokals zu treten, ohne von Isi Ylmaz Ein weiteres Problem ist der mit dem Wachstum einen Lolly und ein Bussi verehrt zu bekommen. verbundene Verkehr. Jeden Werktag pendelten im Begehrt bei den männlichen Besuchern, von ihm Jahr 2010 mehr als 318.000 Beschäftigte in die Stadt, „Bubsies“ genannt, ist hingegen vor allem das DJ- gleichzeitig fuhren täglich 130.000 Münchner zur Pult. Dies steht nämlich an jedem Tag der Woche den Arbeit ins Umland. Über das ganze Jahr verteilt Gästen zur Verfügung und die Warteliste, in die sich stockte oder stand in 25 % der Hauptverkehrs­straßen die Hobby-DJs eintragen, erstreckt sich über viele der Autoverkehr, damit hatte München die höchste Monate. Sei es, wie es sei, diese und andere Besonder­ „Stop-and-Go-Quote“ aller deutschen Städte. heiten verliehen dem X-Cess einen Ruf, der bis in Allerdings werden in München neben dem Auto Wohin in auch andere Verkehrsmittel intensiv genutzt, allein München? 21 % der Wege werden in der Stadt mit öffentlichen Auskunftstafel Verkehrsmitteln zurückgelegt, in keinem anderen um die Jahrhun­ Ballungsraum fahren so viele Menschen mit Bus dert­wende (SZ oder Bahn, radeln oder gehen zu Fuß. Trotz des in Photo / Scherl) den letzten Jahren erfolgten Ausbaus von Straßen­ bahn- und U-Bahnlinien sowie Busbeschleuni­gungs­ programmen haben die Nutzer des ÖPNV zu Stoß­ zeiten mit chronischer Überfüllung zu kämpfen. Trotz dieser und anderer Schattenseiten des an­ haltenden wirtschaftlichen Booms wird München aber regelmäßig in Umfragen und Studien zu einer der lebenswertesten Städte Deutschlands und welt­ weit gezählt.

wie X-Cess X Als Angangsbuchstabe ist das „X“ auch in München rar. Aber dieser Umstand gibt uns die Gelegenheit, kurz das Münchner Nachtleben zu be­ leuchten. Mittlerweile blüht auch hier die Vielfalt, nachdem die Sperrzeiten liberalisiert wurden. Für je­ den Geschmack ist etwas dabei, von der Studen­ tenkneipe über Bars, Clubs, Musikschuppen, Dis­ cotheken bis hin zu den Nachtcafés. Das Münchner München von A bis Z SPEZIAL 39

den Reiseteil der New York Times und das München- Kapitel des „Lonley Planet“ hallte. 2011 wurde der Mietvertrag des Clubs gekündigt und so sah Isi Ylmaz sich gezwungen, einem Münch­ ner Trend zu folgen – und vom Glocken­bach­viertel in die Sonnenstraße umzuziehen. Dort, wo sich einige Jahre zuvor nach Mitternacht Fuchs und Hase gute Nacht gesagt hatten, konzentriert sich heute ein nicht geringer Teil des Münchner Nacht­lebens. Ein kürzlich erfolgter Kontrollbesuch bestätigte, dass Isi Ylmaz jedenfalls dort glänzend angekommen ist und „Süssies“ wie „Bubsies“ ihm nach wie vor dankbar die Treue halten, obwohl – wie gesagt – die Clubszene schnelllebig ist. Für wen die Clubszene doch nicht das Richtige ist, keine Sorge, der Ausgehfreudige findet reichlich Alternativen. Allein in der Altstadt (mit Lehel) gibt schied. Mundartunkundige Münchner werden daher Königsplatz mit es mehr als 500 Lokale. frotzelnd als „Isar-Preißn“ (Isar-Preußen) bezeichnet. der Glyptothek und den wie „Y“ in Bayern wie Institut für Zeitgeschichte und das NS-Do­ Propylaen (SZ Y Die Schreibweise „Bayern“ geht auf den Wunsch Z kumentationszentrum Photo / Scherl) von König Ludwig I. zurück, der 1825 verfügte, Das Münchner „Institut für Zeitgeschichte“, wie es „Baiern“ einheitlich mit dem Ypsilon zu schreiben. seit 1952 heißt, ist hervorgegangen aus langjährigen Das aus dem Griechischen stammende Ypsilon hielt Bemühungen, die Erforschung der nationalsozialisti­ man für elegant und gebildet. Nun wollen wir hier schen Diktatur auf eine zuverlässige Grundlage zu kein y für ein i vormachen. So wäre es falsch, die stellen. Die Pläne dafür reichen bis ins Jahr 1945 zu­ Sprache mit dem Staat Bayern gleichzusetzen. Und da rück. Aber erst 1950 konnte der damalige Bundes­ beginnt die Verwirrung, und zwar mit den Begriffen innenminister Gustav Heinemann die Satzung eines „Bairisch“ und „Bayerisch“. Die Schreib­weise ohne „Deutschen Instituts für Geschichte der nationalso­ „y“ wird verwendet, wenn es um den Stamm der Bai- zialistischen Zeit“ unterzeichnen. Das Institut ist in­ ern, der Bajuwaren und deren Sprache geht, wozu – zwischen eine Öffentliche Stiftung des bürgerlichen sprachlich wohlgemerkt – auch Ös­terreich und das Rechts, in deren Stiftungsrat die Länder Bayern, italienische Südtirol gehören. So reicht das „Südbai- Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein- Westfalen rische“ – als Sprache – bis in das österreichische Graz. und Niedersachsen vertreten sind. Neben der natio­ Der bairische Sprachraum schließt hingegen mit nalsozialistischen Vergangenheit widmen sich die Schwaben und Franken weite Teile des Landes aus. wissenschaftlichen Mitarbeiter der Forschungsein­ „Bayerisch“ bezieht sich auf den Freistaat Bayern. rich­tung heute auch der Erforschung der Nach­ Hier wird eben nicht nur bairisch wie in Altbayern kriegszeit. Der Begriff Zeitgeschichte, ehedem durch­ (Oberbayern, Niederbayern und Oberpfalz), son- aus mit dem Odium des Unwissenschaftlichen behaf­ dern auch schwäbisch-alemannisch und ostfränkisch tet, ist durch die Arbeit des Instituts längst re­­­s­pek- gesprochen. Kurzum: Die bayerischen Schwaben ­tabel etabliert. Dazu haben wichtige Publi­ka­­tions- und Franken sind „Bayern“, aber keine „Baiern“. ­reihen der Münchner Historiker ebenso beigetra­gen Oder mit anderen Worten zusammenfassend: wie die seit 1953 erscheinenden „Viertel­jahreshefte „Bairisch“ ist ein Begriff aus der Dialektologie bzw. für Zeitgeschichte“. Besonders durch Martin Broszat – der Sprach­wissenschaft, „bayerisch“ ein politisch- Direktor des Instituts seit 1972 – wurde es auch einer geographischer Begriff. breiteren interessierten Öffent­lichkeit bekannt, Auf dem Land lebt noch der Dialekt und die re­ nicht zuletzt auch deswegen, da er mit seinen gionale Vielfalt des Bairischen. Auch im Münchner Faschismus-Thesen den Histori­kerstreit der achtzi­ Landkreis wird Dialekt gesprochen, lässt aber schwer ger Jahre anzettelte. nach. In München ist die Mundart massiv bedroht. Am 7. November 1989 fand die akademische Sprachwissenschaftler haben nachgewiesen, dass Trauerfeier für den verstorbenen Martin Broszat das Bairisch in München ausstirbt. Immer weniger statt, zwei Tage vor dem Fall der Mauer. Und so kam junge Leute beherrschen den Münchner Dialekt, es, dass gerade in der Phase der Ausweitung der eine klanglich einnehmende Spielart des Mittel­ Aufgaben der bisher stellvertretende Direktor Ludolf bairischen. Sprachgeschichtlich ist das Münchnerisch Herbst die Geschäfte führte. Im Frühjahr 1990 nahm eine eigene Dialektvariante, die sich im 19. Jahr­ die Außenstelle im Auswärtigen Amt die Arbeit auf hundert durch eine mildere Form vom Umland unter­ (bis 2000 in Bonn, seither in Berlin-Mitte), die das 40 SPEZIAL info7 1|2012

Schriftgut im Politischen Archiv des Auswärtigen auch nach der Nazizeit sehr wohl vertraut waren. Amts durchforstet, diese kommentiert und unmittel­ Entschiedenster Vorreiter – in einer langen bar nach Ablauf der 30-Jahre-Sperrfrist in Jahres­ Debatte – für ein NS-Dokumentationszentrum ist der bänden publiziert. Darüber hinaus liefen die Vor­ Münchner Architekturhistoriker Winfried Nerdinger. bereitungen an für eine weitere Außenstelle zur „Es müsse endlich deutlich werden“, so Nerdinger, SBZ / DDR-Forschung in unmittelbarer Nähe zum „dass München schon in den 20er Jahren Hauptstadt Bundesarchiv (von 1994 bis 1996 in Potsdam, seither einer ganz Europa verändernden Bewegung” gewe­ in Berlin-Lichterfelde). 1999 wurde dann noch bei sen sei. Aber weder die Münchner noch die Besucher Berchtesgaden die Dokumentation Obersalzberg er­ der Isarmetropole erfahren bislang „im öffentlichen öffnet, die eine umfassende Zusammenschau des Raum irgendetwas über Münchens Rolle in der NS- Gräuelregimes der Nationalsozialisten zeigt, die aber Zeit. Es genügt nicht, mit Tafeln oder Kunstwerken auch auf die Bedeutung des Obersalzbergs als zwei­ an die Opfer und Widerstandskämpfer zu erinnern tes Machtzentrum in der NS-Zeit eingeht. Zusätzlich und die Täter sowie die Gesellschaft, aus der die werden seit einigen Jahren Sonderausstellungen an­ Täter hervorgingen, auszuklammern. Zum Gedenken geboten. der Nachgeborenen gehört die kritische Aufklärung Im April 1992 übernahm der Neuhistoriker über kausale Zusammenhänge, und die kann am be­ Horst Möller die Leitung des Instituts. Am 1. April sten in einer Dokumentationsstelle im Bereich des 2011 ging dieses Amt an dessen ehemaligen Dok­ zentralen Münchner Täter-Ortes, also im Umfeld der toranden Andreas Wirsching. Mit zwei neuen For­ Ehrentempel und des Braunen Hauses erfolgen.“ schungsthemen möchte Wirsching das IfZ wieder Inzwischen ist das Grundkonzept, das von Ma­ stärker in die öffentliche Wahrnehmung rücken, dem ri­ta Krauss, von Hans Günter Hockerts, Peter Lon­ Wandel der Wissensgesellschaft sowie mit dem gerich und Winfried Nerdinger entwickelt wurde, für Thema Enttäuschung: Hauptsächlich geht es ihm das geplante NS-Dokumentationszentrum an der darum zu analysieren, wann und wie Hoffnung und Brienner Straße im Kulturausschuss einstimmig an­ Erwartung nach großen historischen Zäsuren in genommen worden. Damit ist der Weg frei für die Enttäuschung umschlägt. Erstellung eines detaillierten Ausstellungsdrehbuchs, Einzigartig ist das Institut an der Leonrodstraße das nach Angaben von Kulturreferent Hans-Georg auch durch seine Kombination von Forschungsbereich Küppers bis Ende des Jahres erarbeitet werden soll. mit einem Archiv sowie einer Bibliothek, der welt­ „Es wäre schön, wenn das NS-Dokuzentrum im weit bedeutendsten Spezialbibliothek für die Ge­ Frühjahr 2014 eröffnet werden könnte“, aber es schichte des Nationalsozialismus. Beide Einrich­ werde „keinerlei Druck“ in dieser Hinsicht ausgeübt, tungen sind öffentlich zugänglich, und jedes Jahr betonte Küppers. Sorgfalt gehe vor Schnelligkeit. vertiefen sich mehrere Tausend Nutzer in die insge­ Am 9. März ist nun die Grundsteinlegung. Das samt 170.000 Bände und Mikrofiches der Bibliothek NS-Dokumentationszentrum wird vor allem der sowie in die Bestände des Archivs in einem eigenen Frage nachgehen, warum es gerade München war, in Anbau. Unter anderem enthält das Archiv neben den dem das NS-Regime so erstarkt ist. • Unterlagen der Münchner NSDAP-Zentrale auch die Akten der Nürnberger Prozesse. 74.000 Blatt Ge- richts­akten über die Prozesse gegen 6.030 deutsche Widerstandskämpfer sowie Befragungsproto­kolle von 3.000 Zeitzeugen aus dem Dritten Reich. Ferner wurden dem Archiv viele Nachlässe anvertraut, etwa jener des früheren bayerischen Minis­terpräsidenten Wilhelm Hoegner. Eine ganz andere Lücke im Umgang mit der NS-Zeit will das NS-Dokumentationszentrum an der Brien­ ner­straße (Königsplatz) schließen. Denn die Stadt München selbst ist immer noch eine Erinnerungslücke. Während rundherum, in Dachau, Nürnberg, Flossenbürg und dem Ober­salz­ berg die Verbrechen des Nationalsozialismus doku­ mentiert werden, fehlen hier in München immer noch sichtbare Hinweise, die an die Orte der NS- Vergangenheit erinnern – und zwar gerade an die Täter-Orte. Die einstige „Hauptstadt der Bewegung“ zeichnet sich durch eine erhebliche Zahl solcher Täter-Orte aus, die den Münchnern vor, während und