UNICUIQUE SUUM NON PRAEVALEBUNT

Redaktion: I-00120 Vatikanstadt Schwabenverlag AG Einzelpreis Wochenausgabe in deutscher Sprache 51. Jahrgang – Nummer 18 – 7. Mai 2021 D-73745 Ostfildern Vatikan d 2,20

Ansprache von Papst Franziskus beim Gebet des Regina Caeli am 5. Sonntag der Osterzeit, 2. Mai In Christus bleiben wie die Reben am Weinstock

Liebe Brüder und Schwestern, Maria auf vielfältige Weise zum Ausdruck bringt. guten Tag! In diesem Jahr wird er durch einen »Gebetsma- rathon« in Verbindung mit wichtigen Marienhei- Im Evangelium des heutigen fünften Sonntags ligtümern geprägt sein, um ein Ende der Pande- der Osterzeit (Joh 15,1-8) bezeichnet sich der mie zu erflehen. Gestern Abend fand im Herr als der wahre Weinstock und spricht von Petersdom die erste Etappe statt. uns als den Reben, die nicht leben können, ohne In diesem Zusammenhang gibt es eine Initia- mit ihm verbunden zu bleiben. Er sagt: »Ich bin tive, die mir sehr am Herzen liegt: die Initiative der Weinstock, ihr seid die Reben« (V. 5). Es gibt der burmesischen Kirche, die dazu einlädt, für keinen Weinstock ohne Reben, und umgekehrt. den Frieden zu beten, indem wir ein »Gegrüßt Die Reben sind nicht unabhängig, sondern hän- seist du, Maria« des täglichen Rosenkranzes für gen völlig vom Weinstock ab, der ihr Lebensquell Myanmar sprechen. Jeder von uns wendet ist. sich an seine Mutter, wenn er in Not oder in Jesus unterstreicht das Verb »bleiben«. Er Schwierigkeiten ist. In diesem Monat bitten wir wiederholt es im heutigen Abschnitt aus dem unsere Mutter im Himmel, zu den Herzen all de- Evangelium neun Mal. Bevor er diese Welt ver- rer zu sprechen, die für Myanmar verantwortlich lässt und zum Vater geht, will Jesus seinen Jün- sind, damit sie den Mut finden, den Weg der Be- gern versichern, dass sie weiterhin mit ihm ver- gegnung, der Versöhnung und des Friedens zu bunden sein können. Er sagt: »Bleibt in mir und gehen. ich bleibe in euch« (V. 4). Dieses Bleiben ist kein Voller Trauer spreche ich der Bevölkerung Is- passives Bleiben, ein »Einschlafen« im Herrn, raels mein Mitgefühl für das Unglück aus, das während man sich vom Leben wiegen lässt. sich letzten Freitag auf dem Berg Meron ereignet Nein, das ist es nicht. Das Bleiben in ihm, das hat und das zum Tod von 45 Menschen und zu Bleiben in Jesus, das er uns vorschlägt, ist ein ak- zahlreichen Verletzten geführt hat. Ich werde der tives Bleiben, und es beruht auch auf Gegensei- Opfer dieser Tragödie und ihrer Familien im Ge- tigkeit. Inwiefern? Weil die Reben ohne den bet gedenken. Weinstock nichts tun können, denn sie brau- nicht in Jesus bleiben. Mit ihm dagegen vermö- wir Zeugnis von seiner Liebe ablegen: die Frucht, Meine Gedanken gelten heute auch der Ver- chen den Saft, um zu wachsen und Frucht zu gen wir alles (vgl. Phil 4,13). Mit ihm vermögen die es zu tragen gilt, ist die Liebe. Verbunden mit einigung »Meter«, die ich zur Fortsetzung ihres tragen. Aber auch der Weinstock braucht die Re- wir alles. Christus empfangen wir die Gaben des Heiligen Engagements für jene Kinder ermutige, die Opfer ben, denn die Frucht sprießt nicht am Stamm Aber genau wie der Weinstock die Reben Geistes, und so können wir unserem Nächsten von Gewalt und Ausbeutung sind. des Baumes. Es ist eine gegenseitige Notwen- braucht Jesus seinerseits auch uns. Vielleicht Gutes tun, der Gesellschaft und der Kirche Gutes Und schließlich grüße ich von Herzen euch digkeit, es ist ein gegenseitiges Bleiben, um kommt es uns kühn vor, dies zu sagen, und so tun. Den Baum erkennt man an seinen Früchten. alle, die ihr hier seid, liebe Römer und Pilger aus Frucht zu bringen. Wir bleiben in Jesus und Je- wollen wir uns fragen: In welchem Sinne braucht Ein wahrhaft christliches Leben legt Zeugnis von verschiedenen Ländern. Ich grüße insbesondere sus bleibt in uns. uns Jesus? Er braucht unser Zeugnis. Die Frucht, Christus ab. die Mitglieder der »Politischen Bewegung für die Vor allem wir sind es, die ihn brauchen. Der die wir als Reben tragen müssen, ist das Zeugnis Und wie kann uns das gelingen? Jesus sagt Einheit«, die vor 25 Jahren von Chiara Lubich ge- Herr will uns sagen, dass es noch vor dem Halten unseres christlichen Lebens. Nachdem Jesus uns: »Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in gründet wurde. Beste Wünsche und gute Arbeit seiner Gebote, vor den Seligpreisungen, vor den zum Vater aufgefahren ist, ist es die Aufgabe der euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: im Dienste einer guten Politik! Werken der Barmherzigkeit notwendig ist, mit Jünger – es ist unsere Aufgabe –, das Evangelium Ihr werdet es erhalten« (V. 7). Auch das ist kühn: Und ich wünsche euch allen einen schönen ihm verbunden zu sein, in ihm zu bleiben. Wir weiter zu verkünden, in Wort und Tat. Und die die Gewissheit, dass uns das, worum wir bitten, Sonntag. Und bitte vergesst nicht, für mich zu können keine guten Christen sein, wenn wir Jünger – wir, die Jünger Jesu – tun dies, indem gegeben werden wird. Die Fruchtbarkeit unseres beten. Gesegnete Mahlzeit und auf Wiederse- Lebens hängt vom Gebet ab. Wir können darum hen! bitten, wie er zu denken, wie er zu handeln, die Gebetsmarathon im Marienmonat Welt und die Dinge mit den Augen Jesu zu sehen. Und so unsere Brüder und Schwestern zu lieben, mit 30 Pilgerorten eröffnet angefangen bei den Ärmsten und am meisten Leidenden, wie er es getan hat, und sie mit sei- Vatikanstadt. Papst Franziskus hat am an seinen Folgen leiden: unsere verstorbenen nem Herzen lieben, und Früchte der Güte, Samstagabend, 1. Mai, einen einmonatigen Welt- Brüder und Schwestern sowie die Familien, die Früchte der Nächstenliebe, Früchte des Friedens Gebetsmarathon eröffnet, bei dem jeden Abend den Schmerz und die Ungewissheit der Zukunft in die Welt bringen. im Monat Mai aus einem anderen Marienwall- erleben; die Kranken und die Ärzte, Wissen- Vertrauen wir uns der Fürsprache der Jung- fahrtsort der Weltkirche der Rosenkranz übertra- schaftler und Krankenschwestern, die in diesem frau Maria an. Sie ist immer ganz mit Jesus ver- gen wird. Die Schaltung wird unter anderem von Kampf an vorderster Front stehen; die Freiwilli- bunden geblieben und hat reiche Frucht ge- vaticannews.va jeden Abend um 18 Uhr MESZ gen Helfer sowie alle Berufstätigen, die ihren bracht. Möge sie uns helfen, in Christus zu live bzw. zeitversetzt übertragen. Den Auftakt wertvollen Dienst zugunsten anderer geleistet bleiben, in seiner Liebe, in seinem Wort, um den machte der Papst am 1. Mai in einer Kapelle des haben; die Menschen in Trauer und Schmerz so- auferstandenen Herrn in der Welt zu bezeugen. Petersdoms. Vor dem Gebet sagte er: »Zu Beginn wie alle, die mit einem einfachen Lächeln und ei- Nach dem Regina Caeli sagte der Papst: des Monats, der der Gottesmutter gewidmet ist, nem guten Wort denen Trost gebracht haben, die Liebe Brüder und Schwestern! verbinden wir uns im Gebet mit allen Heiligtü- in Not sind; alle, besonders die Frauen, die in den Am vergangenen Freitag wurde in Caracas, mern auf der ganzen Welt, mit den Gläubigen eigenen vier Wänden aufgrund der Ausgangs- Venezuela, José Gregorio Hernández Cisneros, In dieser Ausgabe und mit allen Menschen guten Willens, um die sperre Gewalt erlitten haben, sowie diejenigen, ein Laiengläubiger, seliggesprochen. Er war Arzt, Generalaudienz als Videostream aus der ganze Menschheit, die durch diese Zeit der Pan- die den Rhythmus des täglichen Lebens mit Be- reich an Wissenschaft und Glauben. Er verstand Bibliothek des Apostolischen Palastes demie schwer geprüft wird, den Händen unserer geisterung wieder aufnehmen wollen. es, in den Kranken das Antlitz Christi zu erken- am 28. April ...... 2 Heiligen Mutter anzuvertrauen. Jeden Tag in die- Mutter der Hilfe, nimm uns unter deinen nen, und als barmherziger Samariter stand er ih- Ausstellung in den Trajansmärkten: sem Monat Mai wollen wir Dir, Mutter der Barm- Mantel und beschütze uns, stütze uns in der nen mit der Nächstenliebe des Evangeliums bei. Napoleon und der Mythos von Rom...... 5 herzigkeit, die vielen Menschen anvertrauen, die Stunde der Prüfung und entzünde in unseren Möge sein Beispiel uns helfen, uns derer anzu- von dem Virus betroffen wurden und weiterhin Herzen das Licht der Hoffnung für die Zukunft.« nehmen, die an Leib und Seele leiden. Einen Ap- Zum 100. Geburtstag der Widerstands- Bekannte andere Orte, die an dem Welt-Ge- plaus für den neuen Seligen! kämpferin Sophie Scholl...... 6 betsmarathon teilnehmen und jeweils einen der Ich übermittle unseren Brüdern und Schwes- Videobotschaft von Papst Franziskus weiteren 30 Gebetsabende gestalten, sind Lour- tern der orthodoxen Kirchen sowie der orientali- aus Anlass der Seligsprechung von des in Frankreich, Tschenstochau in Polen, Fa- schen und lateinischen katholischen Kirchen, die José Gregorio Hernández Cisneros ...... 7 tima in Portugal (13. Mai), Guadalupe in Mexiko, heute nach dem julianischen Kalender das Hoch- Dikasterien der Römischen Kurie –

Altötting in Bayern (28. Mai), Knock in Irland, fest Ostern feiern, meine allerbesten Wünsche. Das Staatssekretariat...... 8-9 Pompei und Loreto in Italien, Nazareth in Israel, Möge der auferstandene Herr sie mit Licht und Johannes Paul II., die Ökumene und Aparecida in Brasilien, Medjugorje in Bosnien Frieden erfüllen und die Gemeinden trösten, die die Enzyklika Ut unum sint...... 10-11 und Herzegowina, Nagasaki in Japan, Harissa im in besonders schwierigen Situationen leben. Ih- Libanon und Lujan in Argentinien. Am 31. Mai nen allen Frohe Ostern! Vor 20 Jahren betrat ein Papst erstmals schließt der Papst die Gebetsinitiative in den Va- Wir haben den Maimonat begonnen, in dem eine Moschee...... 11 tikanischen Gärten ab. die Volksfrömmigkeit die Verehrung der Jungfrau 7. Mai 2021 / Nummer 18 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 2 Aus dem Vatikan und der Weltkirche

Generalaudienz als Videostream aus der Bibliothek des Apostolischen Palastes am 28. April Jesus Christus begegnen

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag! Die Besonderheit der christlichen Meditation Heute sprechen wir über die Gebetsform der besteht gemäß den Worten des Papstes darin, Meditation oder Betrachtung. Für den Christen dass sie zur Begegnung mit Jesus führt. Insofern bedeutet »meditieren«, eine Synthese zu suchen: seien die üblichen Anliegen der Meditation Es bedeutet, sich dem großen Abschnitt der Of- wie etwa innerer Friede und Selbstbeherrschung fenbarung gegenüberzustellen, um zu versuchen, Nebeneffekte der Meditation eines Christen, ihn uns zu eigen zu machen, indem wir ihn voll- so Franziskus bei der Generalaudienz. ständig annehmen. Und nachdem der Christ das Wort Gottes angenommen hat, hält er es nicht in sich verschlossen, denn jenes Wort muss »einem anderen Buch« begegnen, das der Katechismus Eine Karmelitin beim betrachtenden das »Buch des Lebens« nennt (Katechismus der Gebet im Klostergarten (unten). Katholischen Kirche, 2706). Danach streben wir immer, wenn wir das Wort Gottes betrachten. Beziehung trete, und nicht nur einige seiner Fähigkeiten. Daher muss man stets daran den- Praxis der Meditation ken, dass die Methode ein Weg und kein Ziel ist: Jede Gebetsmethode ist, wenn sie christlich sein Die Praxis der Meditation hat in diesen Jahren soll, Teil jener »sequela Christi«, die das Wesen große Aufmerksamkeit erfahren. Nicht nur die unseres Glaubens ist. Die Meditationsmethoden Christen sprechen darüber: Es gibt in nahezu al- sind Wege, die beschritten werden, um zur Be- len Religionen der Welt eine Meditationspraxis. gegnung mit Jesus zu gelangen. Wenn du aber auf Es handelt sich jedoch um eine Tätigkeit, die auch dem Weg haltmachst und nur den Weg betrach- unter Menschen verbreitet ist, die keine religiöse test, dann wirst du Jesus niemals finden. Du wirst Lebensanschauung haben. Wir alle müssen me- aus dem Weg einen Götzen machen, während ditieren, nachdenken, uns selbst finden: Das ist der Weg ein Mittel ist, um dich zu Jesus zu brin- eine menschliche Dynamik. Vor allem in der gen. Der Katechismus erläutert: »Das betrach- schnelllebigen westlichen Welt sucht man die tende Gebet macht vom Denken, von der Einbil- Meditation, weil sie einen Damm darstellt, der dungskraft, von der Gefühlsbewegung und vom gebaut wird gegen den täglichen Stress und die Verlangen Gebrauch. Dieser Einsatz ist notwen- Leere, die sich überall verbreitet. Da ist also das dig, um die Wahrheiten des Glaubens zu vertie- Bild von Jugendlichen und Erwachsenen, die ge- fen, die Umkehr des Herzens anzuregen und den sammelt, schweigend, mit halbgeschlossenen Willen zur Nachfolge Christi zu stärken. Das Augen da sitzen… Aber wir können uns fragen: christliche Gebet bemüht sich vor allem, über die Was tun diese Menschen? Sie meditieren. Es ist ›Mysterien Christi‹ nachzusinnen« (Nr. 2708). ein Phänomen, das wohlwollend betrachtet wer- Das also ist die Gnade des christlichen Gebets: den muss: Denn wir sind nicht dazu gemacht, Christus ist nicht fern, sondern er steht immer in ständig in Eile zu sein. Wir besitzen ein inneres Beziehung zu uns. Es gibt keinen Aspekt seiner Leben, das nicht immer mit Füßen getreten wer- gottmenschlichen Person, der für uns nicht zum den darf. Meditieren ist also etwas, das jeder Jesus Christus. Für den Christen tritt die Medita- schung oder die klare Erkenntnis über den einzu- Ort des Heils und der Glückseligkeit werden braucht. Meditieren bedeutet, gleichsam innezu- tion durch die Tür Jesu Christi ein. Auch die Pra- schlagenden Weg schenkt, so sind diese Ergeb- kann. Jeder Augenblick des irdischen Lebens Jesu halten und im Leben Atem zu holen. xis der Meditation folgt diesem Weg. Und wenn nisse sozusagen Nebenwirkungen der Gnade des kann durch die Gnade des Gebets für uns gegen- Wir merken jedoch, dass dieses Wort, sobald der Christ betet, dann strebt er nicht nach der völ- christlichen Gebets, das die Begegnung mit Jesus wärtig werden, dank des Heiligen Geistes, der es in einen christlichen Kontext aufgenommen ligen Transparenz seiner selbst; er macht sich ist. Meditieren bedeutet also, zur Begegnung mit uns führt. Aber ihr wisst, dass man ohne die wird, eine Besonderheit annimmt, die nicht be- nicht auf die Suche nach dem tiefsten Kern seines Jesus zu gehen, geleitet von einem Satz oder von Führung des Heiligen Geistes nicht beten kann. seitigt werden darf. Meditieren ist eine notwen- Ichs. Das ist gestattet, aber der Christ sucht etwas einem Wort der Heiligen Schrift. Er ist es, der uns führt! Und dank des Heiligen dige menschliche Dimension, aber im christli- anderes. Das Gebet des Christen ist vor allem Be- Geistes sind auch wir am Jordan dabei, als Jesus chen Kontext zu meditieren geht darüber hinaus: gegnung mit dem Anderen, aber mit dem Ande- Umkehr des Herzens dort eintaucht, um die Taufe zu empfangen. Auch Diese Dimension darf nicht beseitigt werden. Die ren mit einem großen »A«: die transzendente Be- wir sind Tischgenossen bei der Hochzeit in Kana, große Tür, durch die das Gebet eines Getauften gegnung mit Gott. Wenn eine Gebetserfahrung Der Begriff »Meditation« hatte im Laufe der als Jesus den besseren Wein schenkt für das führt – wir erinnern noch einmal daran –, ist uns den inneren Frieden oder die Selbstbeherr- Geschichte verschiedene Bedeutungen. Auch in- Glück der Brautleute. Es ist also der Heilige Geist, nerhalb des Christentums nimmt er Bezug auf der uns mit diesen Geheimnissen des Lebens verschiedene geistliche Erfahrungen. Dennoch Christi verbindet, damit wir in der Betrachtung Wertvolles geraubtes Reliquiar lässt sich eine gemeinsame Linie ausfindig ma- Jesu die Erfahrung des Gebets machen, um uns chen, und dabei hilft uns erneut der Katechismus, mit ihm zu vereinen. Auch wir wohnen staunend nach Siena zurückgekehrt in dem es heißt: »Die Methoden betrachtenden den zahlreichen Heilungen bei, die der Meister Gebetes sind so unterschiedlich wie die geistli- vollbringt. Nehmen wir das Evangelium zur Vatikanstadt/Rom. Eine der Carabinieri wiedergefun- chen Lehrer. […] Eine Methode aber ist nur ein Hand, betrachten wir jene Geheimnisse des 1989 gestohlene wertvolle den wurde, war es stark be- Führer. So ist es wichtig, mit dem Heiligen Geist Evangeliums, und der Geist führt uns, um dort ge- Goldschmiedearbeit aus dem schädigt. Die Erzdiözese Siena auf Christus Jesus, dem einzigen Weg des Gebe- genwärtig zu sein. Und im Gebet – wenn wir 14. Jahrhundert ist der italieni- gab die Goldschmiedearbeit tes, voranzuschreiten« (Nr. 2707). Und hier wird beten – sind wir alle wie der gereinigte Aussät- schen Erzdiözese Siena zurück- Spezialisten der Vatikanischen ein Wegbegleiter aufgezeigt, jemand, der uns zige; der blinde Bartimäus, der das Augenlicht gegeben worden. Das Reliquiar Museen zur Restaurierung. führt: der Heilige Geist. Die christliche Medita- zurückerhält; Lazarus, der aus dem Grab heraus- des heiligen Galgano war mit Museumsdirektorin Barbara tion ohne den Heiligen Geist ist nicht möglich. Er kommt… Auch wir sind im Gebet geheilt wie der zehn anderen Kunstwerken Jatta, Kulturminister Dario Fran- führt uns zur Begegnung mit Jesus. Jesus hat zu blinde Bartimäus, jener andere, der Aussätzige… aus dem Diözesanmuseum in ceschini und der Kommandant uns gesagt: »Ich werde euch den Heiligen Geist Auch wir sind auferstanden, wie Lazarus aufer- Siena geraubt worden. Als es der Carabinieri-Spezialeinheit senden. Er wird euch lehren und euch erklären. weckt wurde, denn das betrachtende Gebet un- später von einer Spezialeinheit für Kulturgüter überreichten sie Er wird euch lehren und euch erklären.« Und ter der Führung des Heiligen Geistes bringt uns am Montag, 26. April, in Siena. auch in der Meditation ist der Heilige Geist der dahin, diese Geheimnisse des Lebens Christi er- Das Reliquiar stammt aus Führer, um in der Begegnung mit Jesus Christus neut zu erleben und Christus zu begegnen und der früheren Zisterzienserabtei voranzugehen. mit dem Blinden zu sagen: »Herr, hab Erbarmen San Galgano. Es ist das Werk ei- Es gibt also viele Methoden der christlichen mit mir! Hab Erbarmen mit mir« – »Was willst du ner Goldschmiedewerkstatt, Meditation: einige sehr nüchtern, andere stärker denn?« – »Sehen, in jenen Dialog eintreten.« Und die im 14. Jahrhundert auch an- artikuliert; einige betonen die intellektuelle Di- die christliche Meditation, geführt vom Heiligen dere bekannte religiöse Kost- Der heilige Galgano steckt mension des Menschen, andere vielmehr die af- Geist, bringt uns diesen Dialog mit Jesus. Es gibt barkeiten schuf. Das Kloster sein Schwert in die Spalte eines fektive und die emotionale Dimension. Es sind keine Stelle im Evangelium, in der kein Platz für war im 12. Jahrhundert von Steines, woraufhin sich das Methoden. Alle sind wichtig, und alle sind es uns wäre. Meditieren ist für uns Christen eine Galgano Guidotti als Einsiedelei Schwert in ein Kreuz verwan- wert, praktiziert zu werden, da sie der Glauben- Form, Jesus zu begegnen. Und so, nur so uns auf einem Hügel 35 Kilometer delt; Marmorrelief von Gio- serfahrung helfen können, ein allumfassender selbst zu finden. Und das ist keine Selbstbezogen- südwestlich von Siena gegrün- vanni di Agostino (um 1332- Akt des Menschen zu werden: Nicht nur der Ver- heit, nein: zu Jesus gehen und von Jesus her uns det worden. Nach seinem Tod 1347). Pinacoteca Nazionale, stand betet, sondern der ganze Mensch betet, die selbst begegnen, geheilt, auferstanden, stark für übernahmen Zisterzienser das Siena. ganze Person, ebenso wie nicht nur das Empfin- die Gnade Jesu. Und Jesus als dem Retter aller Kloster, verlegten es aber in den betet. Die Menschen der Antike pflegten zu Menschen, auch als meinem Retter, begegnen. ein benachbartes Tal, wo sie ten gotische Bauwerke Italiens. sagen, dass das Organ des Gebets das Herz sei, Und das dank der Führung des Heiligen Geistes. eine größere Abtei errichteten. Die Ruinen sind heute noch zu und so erklärten sie, dass der ganze Mensch von Das Reliquiar Diese gilt als eines der wichtigs - besichtigen. seinem Mittelpunkt, dem Herzen, her zu Gott in (Orig. ital. in O.R. 28.4.2021) 7. Mai 2021 / Nummer 18 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan und der Weltkirche 3

Päpstliche Schweizergarde Litanei zum heiligen Josef Nicht nur vereidigt 34 Rekruten durch neue Anrufungen erweitert in Mußestunden Vatikanstadt. Die Päpstliche Schweizer- Vatikanstadt. In der Generalaudienz am garde hat am Donnerstag, 6. Mai, 34 neue Rekru- Vatikanstadt. Die Litanei zu Ehren des hei- Mittwoch, 5. Mai, die wieder per Livestream aus ten vereidigt. Den Angaben der Gardeleitung zu- ligen Josef wird durch Hinzufügung von sieben der Bibliothek des Apostolischen Palastes über- folge nahm auch der Schweizer Bundespräsident Anrufungen aktualisiert. Wie der Vatikan am tragen wurde, setzte Papst Franziskus seine Kate- Guy Parmelin an der Zeremonie im Vatikan teil. Samstag, 1. Mai, mitteilte, sind die zusätzlichen chesenreihe über das Gebet fort. Ein Mitarbeiter Sie fand pandemiebedingt in kleinerem Rahmen Anrufungen des Ziehvaters Jesu verschiedenen der deutschsprachigen Abteilung des Staatssekre- als üblich statt. Schriften von Päpsten entnommen. Es gehe tariats trug die folgende Zusammenfassung vor: Die Feierlichkeiten begannen am Mittwoch- darum, »die Liebe zu diesem großen Heiligen zu Liebe Brüder und Schwestern, in unserer Ka- abend mit einem Vespergottesdienst in der Kirche fördern« und einen Anstoß zu geben, »ihn um techesenreihe über das Gebet wenden wir uns Santa Maria della Pietà auf dem Campo Santo Teu- seine Fürsprache anzurufen und seine Tugenden heute dem kontemplativen oder beschaulichen tonico. Geleitet wurde dieser von Weihbischof und seine Tatkraft nachzuahmen«, heißt es in ei- Gebet zu, das, wie der Name schon sagt, mit dem Alain de Raemy aus Lausanne-Genf-Fribourg. Am nem Schreiben der Kongregation für den Gottes- Schauen zusammenhängt. Schauen ist nicht so 6. Mai feierten die Gardisten morgens mit dem va- dienst und die Sakramentenordnung an die Vor- sehr ein Tun; es gründet vielmehr im Sein und tikanischen Kardinalstaatssekretär sitzenden der Bischofskonferenzen. Modesto Faustini (1839-1891), geht nicht so sehr von den Augen als vom Herzen eine heilige Messe im Petersdom. Die Vereidi- Anlass der Bekanntgabe ist zum einen der Werkstatt des heiligen Zimmermanns Josef. aus. Das beschauliche Gebet wendet sich in die- gung fand um 17 Uhr auf dem Damasushof des 1. Mai, Gedenktag des heiligen Josef als Patron ser Haltung an Gott. Das Herz wird gereinigt und Apostolischen Palastes statt; als Vertreter des der Arbeiter, zum anderen der 150. Jahrestag der Die neuen Anrufungen sind Papst Franziskus der Blick geschärft; er lässt uns die Wirklichkeit Papstes nahm der Substitut des Staatssekretariats, Erhebung des heiligen Josef zum Schutzpatron vorgelegt worden, der ihre Einfügung in die Lita- intensiver erfassen. Die Wandlung des Herzens Erzbischof Edgar Peña Parra teil. der Kirche. Bereits Anfang Dezember hatte Papst nei des heiligen Josef genehmigte. Wie es in dem durch dieses Hinschauen auf den Herrn be- Franziskus ein »Gedenkjahr des heiligen Josef« Schreiben der Gottesdienstkongregation weiter schreibt der heilige Pfarrer von Ars mit den Wor- ausgerufen; dieses soll parallel zum »Jahr der Fa- heißt, komme nun den Bischofskonferenzen die ten eines Bauern, der vor dem Tabernakel betete: milie Amoris laetitia« begangen werden. Aufgabe zu, für die Übersetzung der Litanei in die »Ich schaue ihn an und er schaut mich an«. Der Die neuen zusätzlichen Anrufungen des Heili- Sprachen ihres Zuständigkeitsbereiches zu sor- Blick Jesu lehrt uns, alles im Licht seiner Wahrheit gen Josef in der Litanei lauten: »Custos Redempto- gen und sie zu veröffentlichen; diese Übersetzun- und seines Erbarmens mit allen Menschen zu se- ris« (vgl. heiliger Johannes Paul II., Apostolisches gen bedürfen nicht der Bestätigung des Apostoli- hen. Das beschauliche Gebet braucht nicht viele Schreiben Redemptoris custos); »Serve Christi« schen Stuhls. Des Weiteren können die Worte; es reicht ein Blick, um überzeugt zu sein, (vgl. heiliger Paul VI., Homilie vom 19. März Bischofskonferenzen in ihren Ländern auch an- dass unser Leben von einer größeren Liebe getra- 1966, zitiert in Redemptoris custos, Nr. 8, und Pa- dere Anrufungen einfügen, mit denen der heilige gen wird, von der uns nichts scheiden kann. tris corde, Nr. 1); »Minister salutis« (heiliger Jo- Josef bei ihnen besonders geehrt wird. Christi Leben selbst zeigt uns im Ereignis der Ver- hannes Chrysostomus, zitiert in Redemptoris Die Litanei vom heiligen Josef ist ein liturgi- klärung, dass dieses Licht der Liebe Gottes inmit- Von den 34 neuen Gardisten haben fünf be- custos, Nr. 8); »Fulcimen in difficultatibus« (vgl. sches Wechselgebet mit Anrufungen aufgrund ten eines kritischen Moments seiner Sendung reits im Juni vergangenen Jahres ihren Dienst be- Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Patris verschiedener Patronate und Tugenden des heili- unter Unverständnis und Anfeindung aufscheint. gonnen, 14 Anfang September und 15 Anfang Ja- corde, Prolog); »Patrone exsulum, afflictorum, gen Josef. Sie wurde 1909 vom heiligen Papst Auch wir dürfen diese Erfahrung im Auf und Ab nuar. Der 6. Mai ist der traditionelle jährliche pauperum« (Patris corde, Nr. 5). Pius X. für den liturgischen Gebrauch approbiert. unseres Alltags machen, wenn wir Jesus auf sei- Termin für die Vereidigung; an diesem Datum ge- nem Weg der Liebe demütig und treu nachfolgen. denkt die Schweizergarde des »Sacco di Roma«. Der Heilige Vater grüßte die deutschsprachi- Während der Plünderung Roms 1527 durch spa- Verschärfte Vorgaben Änderungen im gen Zuschauer und Zuhörer auf Italienisch. nische und deutsche Landsknechte kamen 147 gegen Korruption vatikanischen Justizsystem Anschließend wurde folgende deutsche Überset- Gardisten bei der Verteidigung des Papstes ums zung der Grüße vorgelesen: Leben. Gegründet wurde die Garde im Jahr 1506 Vatikanstadt. Papst Franziskus verpflichtet Vatikanstadt. Durch einen am 30. April ver- Von Herzen grüße ich die Brüder und Schwes- durch Papst Julius II. seine leitenden Mitarbeiter künftig auf einen öffentlichten Erlass hat der Papst erneut das vati- tern deutscher Sprache. Das Gebet ist eine Tätig- Je nach ihrer Herkunft leisteten 23 der neu zu verschärften Moralkodex in Finanzfragen. Dies kanische Justizsystem geändert. Dabei führte er keit, die man nicht nur in Mußestunden, sondern vereidigenden Gardisten ihren Eid auf Deutsch, sieht ein neuer Erlass vor, der am Donnerstag, auch für Bischöfe und Kardinäle ein prinzipiell auch während unseres Alltags wie der Atem un- zwei auf Italienisch, acht in französischer und ein 29. April, vom Vatikan veröffentlicht wurde. mehrstufiges Gerichtsverfahren ein. Ein bisher serer lebendigen Beziehung zu Gott zu verrich- Gardist in rätoromanischer Sprache. Der Päpstli- Demnach ist es Führungskräften der Römischen geltender Vorbehalt, der bei Strafsachen gegen ten hat. Lassen wir uns im Monat Mai besonders chen Schweizergarde als kleinster und ältester Kurie künftig verboten, Geld in Steuerparadiesen hochrangige Geistliche allein das vatikanische von Maria im Rosenkranzgebet zu diesem Dialog Armee der Welt gehören Soldaten aus allen Teilen anzulegen oder ethisch bedenkliche Investments Kassationsgericht zuständig machte, wurde ge- mit Gott leiten. der Schweiz an; derzeit stammen die meisten, je einzugehen. Überdies ist es allen Mitarbeitern strichen. Derartige Privilegien stammten »aus der 16, aus den Kantonen St. Gallen und Wallis, ge- untersagt, Geschenke im Wert von mehr als 40 Vergangenheit«, heißt es im neuen Motu Proprio folgt von 13 aus dem Kanton Luzern. Euro anzunehmen. Des Weiteren muss jeder lei- von Franziskus. Ziel sei es, dass – von einigen Kurz notiert Weitere Berichte zur diesjährigen Vereidigung tende Mitarbeiter versichern, dass er nicht we- Sonderfällen abgesehen – für alle die gleichen Re- finden Sie in unserer nächsten Ausgabe. gen Korruption, Betrug, Terrorismus, Geldwä- geln gälten. Dies entspreche internationalen Vatikanstadt. Der Papst wird am sche, Steuerhinterziehung oder Ausbeutung von Standards. Auch im Kirchenrecht sei seit Jahren Sonntag, 16. Mai, im Petersdom eine hei- Minderjährigen verurteilt wurde oder deswegen festgehalten, dass unter allen Gläubigen »eine lige Messe für die Menschen in Myanmar Papst gibt Denkanstöße gegen ihn ermittelt wird. wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit« feiern. An dem Gottesdienst sollen Gläu- Das Motu Proprio tritt sofort in Kraft und wird bestehe. Die nun vorgenommenen Änderungen für Synodalität bige aus dem ostasiatischen Land teilneh- fester Bestandteil der allgemeinen Kurienord- ergänzen die Justizordnung für den Vatikanstaat men, die derzeit in Rom leben, teilte die Vatikanstadt. Aus Anlass der 17. National- nung. Es ergänzt jenes vom Juni 2020, in dem der vom 16. März 2020. Damals hatte der Papst vor Präfektur des Päpstlichen Hauses mit. Die versammlung der Katholischen Aktion Italiens Papst ein neues Regelwerk für die Vergabe öffent- allem die Unabhängigkeit der Strafverfolgung so- vatikanischen Medien übertragen den hat Papst Franziskus am Freitag, 30. April, Mit- licher Aufträge erlassen hatte. wie das Recht auf Verteidigung gestärkt. Gottesdienst ab 10 Uhr live. Auch beim Re- glieder der Laienorganisation in Audienz empfan- gina Caeli am vergangenen Sonntag hatte gen. In seiner Ansprache gab Franziskus den Franziskus erneut für eine friedliche Eini- Gläubigen mehrere »Denkanstöße« mit auf den Südkoreanischer Kardinal Cheong Jinsuk gestorben gung in Myanmar geworben. Die Initiative Weg. Er warnte sie vor allzu starren Strukturen, der Kirche des Landes, für den Frieden zu die sich als »Falle« erweisen könnten. Programme Vatikanstadt/Seoul. Kardinal Nicholas beten, liege ihm sehr am Herzen, so der und Organigramme seien nützlich – »aber als Cheong Jinsuk, emeritierter Erzbischof von Soul Heilige Vater. Seit dem Putsch der Militär- Ausgangspunkt, als Inspiration«. Wichtiger sei die und von 1998 bis 2012 Apostolischer Administra- junta vor drei Monaten versucht diese, mit »Freiheit des Evangeliums«. tor von Pjöngjang, ist am 27. April im Alter von brutaler Gewalt die Kontrolle über das So gebe es viele »perfekte Institutionen«, die 89 Jahren nach längerer Krankheit verstorben. Land zu bekommen. über jede Menge Geld verfügten, gab der Papst zu Papst Franziskus hat der Kirche Südkoreas bedenken. »Aber sagt mir: Wo ist der Glaube? Wo sein Beileid zum Tod von Kardinal Cheong Jin- ****** ist der Geist?« Das Evangelium bedeute Unord- suk ausgesprochen. Er sei dankbar für Cheongs Vatikanstadt. Kardinal Beniamino nung, das Handeln der Apostel gleiche eher dem »langjährigen Dienst an der Kirche in Korea und Stella, Präfekt der Kongregation für den von »Betrunkenen«. Da die Auferstehung »revolu- am Heiligen Stuhl«, heißt in einem Beileidsschrei- Klerus, hat sich für eine Priorisierung von tionär« sei, habe auch der Sendungsauftrag revo- ben an den derzeitigen Erzbischof von Seoul, Kar- Am 3. April 1998 wurde er Erzbischof von Priestern bei den Corona-Impfungen aus- lutionären Charakter. Die Arbeit der Katholischen dinal Andrew Yeom Soo-jung. Seoul und zwei Monate später Apostolischer Ad- gesprochen. Die zuständigen Behörden Aktion müsse in erster Linie von »Selbsthingabe« Nicholas Cheong Jinsuk war am 7. Dezember ministrator von Pjöngjang. Papst Benedikt XVI. sollten sich mit dieser Frage auseinander- geprägt sein, mahnte Franziskus. Es gebe in der 1931 in Seoul geboren und hatte vor seinem 1954 nahm ihn im Konsistorium vom 24. März 2006 setzen, sagte er der katholischen Nachrich- Geschichte der Katholischen Aktion »viele Hei- erfolgten Eintritt ins Priesterseminar zunächst unter Zuweisung der Titelkirche Santa Maria Im- tenagentur SIR. Die seelsorgerische Tätig- lige von nebenan«. Diese Geschichte müsse wei- ab 1950 Chemieingenieurwesen studiert. Am macolata di Lourdes a Boccea ins Kardinalskolle- keit von Geistlichen sei ein »sozial tergehen. Der geplante synodale Prozess der Kir- 18. März 1961 empfing er nach dem Abschluss gium auf. Am 10. Mai 2012 nahm der Papst sein nützlicher« Dienst, der anerkannt werden che in Italien sei dabei eine wichtige Etappe. des Theologie- und Philosophiestudiums sowie aus Altersgründen eingereichte Rücktrittsgesuch müsse. Er plädiere dafür, Priester als Teil ei- Bei dem Vorhaben gehe es nicht so sehr um ei- eines Soziologiestudiums die Priesterweihe. Da- an. ner besonderen »Risikogruppe« zu be- nen Plan, der ausgeführt werden müsse, präzi- nach war er zunächst in der Seelsorge, am Kna- Der Geistliche erholte sich in der Vergangen- trachten. Mit Blick auf die Lage in Italien sierte der Heilige Vater. Ebenso wenig wolle er benseminar und an der Diözesankurie tätig. Ab heit von mehreren Operationen und konzen- sagte Stella: Hunderte Kleriker hätten im ein »katholisches Parlament«, das nach Mehrhei- 1967 studierte er an der Päpstlichen Universität trierte sich seit seinem Rücktritt als Erzbischof Kampf gegen die Pandemie buchstäblich ten suche. Entscheidend sei vielmehr, dass ein Urbaniana Kanonisches Recht. Am 25. Juni 1970 2012 auf das Verfassen von theologischen Texten. »ihr Leben gegeben«. Von März 2020 bis neuer Stil verinnerlicht werde. Das funktioniere ernannte ihn Papst Paul VI. zum Bischof von Der verstorbene Kardinal war Organspender, Februar 2021 starben in Italien 269 Pries- nur durch Gebet, innere Einkehr und die »Gegen- Cheongju. Am 3. Oktober desselben Jahres emp- und nach seinem Tod wurden wunschgemäß ter an den Folgen einer Corona-Infektion. wart des Heiligen Geistes«. fing er die Bischofsweihe. seine Hornhäute transplantiert. 7. Mai 2021 / Nummer 18 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 4 Aus dem Vatikan

VATIKANISCHES BULLETIN Aus dem Vatikan in Kürze

Bei der Audienz für die »politische Fra- ternität« der Gemeinschaft Chemin Neuf Privataudienzen dankte Papst Franziskus für deren Einsatz. Die Fraternität bringt junge Menschen Der Papst empfing: zwischen 18 und 35 Jahren aus verschie- denen Ländern und politischen Kulturen 29. April: zusammen, die sich für das Gemeinwohl – den Präfekten der Kongregation für die Glau- und die Armen einsetzen wollen. Der benslehre, Kardinal Luis Francisco Ladaria Papst ermutigte sie, ihre Arbeit fortzuset- Ferrer; zen, um besonders bei den Jugendlichen – den Bischof von Leiria-Fatima (Portugal), Kardi- Hoffnung zu wecken in Bezug auf ihre Zu- nal António Augusto dos Santos Marto; kunft. Außerdem könnten in einer Welt – den Apostolischen Nuntius in der Elfenbein- voller Mauern so neue Brücken zwischen küste, Paolo Borgia, Titularerzbischof von Mi - den Völkern entstehen. lazzo; ******* – den Apostolischen Nuntius in Benin und in Der vatikanische Nachrichtendienst Togo, Mark Gerard Miles, Titularerzbischof Fides erhält einen neuen Direktor. Kardi- von Città Ducale; nal Tagle, Präfekt der Kongregation für die – den Erzpriester der Päpstlichen Basilika St. Pe- Evangelisierung der Völker, ernannte den ter im Vatikan, Generalvikar Seiner Heiligkeit für vietnamesischen Minoriten Dinh Anh die Vatikanstadt sowie Präsident der Dom- Nhue Nguyen zum Nachfolger des Italie - ners Fabrizio Meroni. Zugleich wird Ngu- bauhütte von St. Peter, Kardinal Mauro Gam- Bei der Audienz für den irakischen Außenminister Fuad Mohammed Hussein am 3. Mai erinnerte der yen neuer Generalsekretär der Päpstlichen betti; Papst während des etwa 30-minütigen Gesprächs mit Dankbarkeit an den herzlichen Empfang im Missionsunion (PUM) sowie Direktor des Rahmen seiner Irakreise im vergangenen März. Er habe der Bevölkerung des Irak in allen ihren Teilen 30. April: Internationalen Zentrums fur̈ missionari- einen Gruß zukommen lassen, so der Direktor des vatikanischen Pressebüros, Matteo Bruni, auf An- – den Präfekten der Kongregation für die Evange- sche Animation (CIAM). Die Päpstliche frage von Journalisten. Außerdem habe Franziskus erneut seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, lisierung der Völker, Kardinal Luis Antonio G. Missionsunion, gegrundeẗ 1916 vom römi- dass alle »in der Solidarität wachsen mögen sowie in der Fähigkeit, zu erkennen, gegenüber der Tagle; schen Priester Paolo Manna, ist eines von Schwäche des anderen eine Verantwortung zu haben«. Der Außenminister traf außerdem in Italien – die politische Fraternität und die Gemeinschaft vier päpstlichen Missionswerken. Fides ist mit Regierungs- und Wirtschaftsvertretern zusammen. »Chemin Neuf«; ein Presseorgan der Päpstlichen Missions- – Mitglieder des Nationalrats der italienischen werke, das seit 1927 Nachrichten vor al- Katholischen Aktion; vom Klerus der Diözese Moramanga, bisher Se- –von Gerardo Miguel Nieves Loja von sei- lem aus den traditionellen Missionsgebie- kretär und Koordinator der Bischofskonferenz nem Amt als Bischof-Koadjutor der Diözese Rio - ten veröffentlicht. Der Dienst erscheint 3. Mai: von Madagaskar. bamba (Ecuador); online in acht Sprachen, darunter Deutsch. – den Außenminister des Irak, Fuad Moham- ******* med Hussein, mit Begleitung. Errichtung einer Diözese 30. April: – von Bischof Michael J. Sheridan von der Lei- Seit 3. Mai haben die Vatikanischen 27. April: tung der Diözese Colorado Springs (Vereinigte Museen ihre Tore wieder für Besucher Staaten von Amerika); geöffnet. Damit folgen sie anderen Einrich- Bischofskollegium Der Papst hat die Diözese Gracias (Honduras) – von Bischof William Francis Malooly von tungen in Italien. Voraussetzung ist eine mit abgetrenntem Territorium von der Diözese der Leitung der Diözese Wilmington (Vereinigte Buchung für ein bestimmtes Zeitfenster. Santa Rosa de Copán errichtet und sie der Me- Ernennungen Staaten von Amerika). Der Einlass erfolgt im Halbstundentakt und tropolitan-Erzdiözese Tegucigalpa als Suffragan- für eine begrenzte Personenzahl. Während Der Papst ernannte: diözese unterstellt; des gesamten Aufenthalts ist eine Mund- – zum ersten Bischof von Gracias (Honduras) er- Todesfälle 30. April: Nase-Bedeckung zu tragen. Entsprechen - nannte der Papst: Walter Guillén Soto, bisher de Regelungen gelten für Besuche der Vati- – zum Bischof der Diözese Colorado Springs (Ver- Am 27. April ist der ehemalige Weihbischof in Weihbischof in der Metropolitan-Erzdiözese Te- kanischen Gärten. Die Gruppengröße bei einigte Staaten von Amerika): James R. Golka, der Diözese Szczecin-Kamien in Polen, Jan Ste- gucigalpa und Titularbischof von Nasbinca. Führungen ist wie auch in den Museen auf vom Klerus der Diözese Grand Island, bisher Ge- fan Galecki, Titularbischof von Maiuca, im Alter 20 Personen beschränkt. neralvikar und Rektor der Kathedrale »Nativity of von 88 Jahren gestorben. the Blessed Virgin Mary«; Päpstlicher Sondergesandter Am 30. April ist der emeritierte Bischof von – zum Bischof der Diözese Wilmington (Verei- 4. Mai: Acireale in Italien, Erzbischof Pio Vittorio Vigo, nigte Staaten von Amerika): William E. Koenig, im Alter von 85 Jahren in einem Krankenhaus in Der Papst ernannte: vom Klerus der Diözese Rockville Centre, bisher Verona gestorben. Vikar für den Klerus; – zu seinem Sondergesandten bei der Eucharis- Am 1. Mai ist der Bischof von Soacha in Ko- tiefeier in der Kathedrale von Straßburg am – zum Bischof der Diözese Tsiroanomandidy lumbien, José Daniel Falla Robles, im Alter von 4. Juli: Kardinal Pietro Parolin, Kardinalstaats- (Madagaskar): Gabriel Randrianantenaina, 64 Jahren an den Folgen von Covid-19 gestorben. sekretär; Anlass ist der 1.300. Todestag der heili- gen Odilia, Schutzpatronin des Elsaß. Am 2. Mai ist der ehemalige Weihbischof in Paul Vollmar der Diözese Chur in der Schweiz, , L’OSSERVATORE ROMANO Neuer Ehrenrang Titularbischof von Missua, aus der Ordensge- Wochenausgabe in deutscher Sprache Rücktritte meinschaft der Gesellschaft Mariä (Marianisten), 51. Jahrgang für acht Kardinäle Herausgeber: Apostolischer Stuhl Andrea Monda Der Papst nahm die Rücktrittsgesuche an: im Alter von 86 Jahren gestorben. Verantwortlicher Direktor: Vatikanstadt. Papst Franziskus hat acht Kar- Am 3. Mai ist der emeritierte Bischof von dinälen den Rang eines Kardinalpriesters verlie- 28. April: Arecibo in Puerto Rico, Iñaki Mallona Txer- Redaktion hen. Laut der im Anschluss an das Konsistorium I-00120 Vatikanstadt; – von Bischof Julio Parrilla Díaz von der Lei- tudi, aus dem Passionistenorden, im Alter von 89 Tel.: 00 39/06 69 84 58 60; am Montag, 3. Mai, veröffentlichten Mitteilung tung der Diözese Riobamba (Ecuador); Jahren gestorben. Internet: http://www.vatican.va; sind dies: (71), Walter Brandmüller E-Mail: [email protected] Bilder: Foto-Service und Archiv O.R. (92), (82), (75), Fran- Tel.: 00 39/06 69 84 51 47; E-Mail: [email protected] cesco Monterisi (86), (72), Gebetsmeinung des Papstes für den Monat Mai Verlag: Schwabenverlag AG; Vorstand: Ulrich Peters (76), und (78). Vertrieb: Annika Wedde; Anzeigen: Angela Rössel Kardinaldiakone, -priester und -bischöfe sind Postfach 42 80; D-73745 Ostfildern; Die Welt der Finanzen Tel.: (07 11) 44 06-0; Fax: (07 11) 44 06 138; reine Ehrenränge; sie gehen zurück auf frühere Internet: http://www.schwabenverlag.de; Aufgaben der Kardinäle in der Diözese des Paps- Vatikanstadt. Im Mittel- tion ist unhaltbar. Sie ist ge- E-Mail: [email protected] Druck: Pressehaus Stuttgart Druck GmbH tes als Bischof von Rom. punkt der Gebetsmeinung für fährlich. Um zu verhindern, Plieninger Straße 150, D-70567 Stuttgart; Mit der Ernennung zum Kardinalpriester sind den Monat Mai stehen die dass die Armen wieder die Jahresabonnement: Deutschland e 98,50; Schweiz sFr. 135,–; restl. Europa e 102,50; Übersee e 129,50. keine zusätzlichen Rechte verbunden. Von den Scheinwirtschaft der Finanz- Folgen bezahlen, muss die ISSN 0179-7387 aktuell 223 Kardinälen haben 13 den Rang eines märkte und eine reale Wirt- Finanzspekulation streng Folgende Bankverbindungen gelten für die Kunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz: Kardinalbischofs, drei eines Kardinalbischofs- schaft, die Arbeitsplätze schafft. reguliert werden. Spekula- Deutschland: Liga Bank Regensburg; BIC: GENODEF1M05; Patriarchen einer Ostkirche, 176 sind Kardinal- Das Gebetsanliegen lautet: »Be- tion. Ich möchte den Begriff IBAN: DE53750903000006486142; Österreich: BAWAG P.S.K.; BIC: OPSKATWW; IBAN: AT476 priester und 33 Kardinaldiakone. Die insgesamt ten wir für die in der Welt der Fi- unterstreichen. Finanzen 000000007576654 zehn deutschsprachigen Kardinäle haben fol- nanzen Verantwortlichen, dass sie zusammen mit sollen Instrumente des Dienstes sein, Werk- Schweiz: PostFinance AG; BIC: POFICHBEXXX; IBAN: CH2809000000800470123 gende Ehrenränge: Kardinaldiakone sind: Ger- den Regierungen diese Welt gut ordnen und so die zeuge, um den Menschen zu dienen und für un- Abonnementgebühren sind erst nach Rechnungserhalt zahl- hard Ludwig Müller (73) und Karl-Josef Rauber Bürger vor den Gefahren der von der Realwirt- ser gemeinsames Haus Sorge zu tragen! Noch ha- bar. Abbestellungen können nur schriftlich mit einer Frist von 6 Wochen zum Bezugsjahresende entgegengenommen (87). Kardinalpriester sind: Walter Brandmüller schaft entkoppelten Finanzmärkte schützen.« ben wir Zeit, einen Prozess des globalen Wandels werden. Bei Anschriftenänderung unserer Leser ist die Post (92), (86), (88), In dem einminütigen Video warnt Papst Fran- anzustoßen, um eine andere Wirtschaft in die berechtigt, diese an den Verlag weiterzuleiten. Zur Zeit ist die Anzeigenpreisliste Nr. 31 vom 1. Januar 2021 gültig. Für un- Kurt Koch (71), (67), Christoph ziskus: »Wenn das Finanzwesen nicht reguliert Praxis umzusetzen, eine gerechtere, inklusivere verlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Ge- Schönborn (76), Friedrich Wetter (93) und Rainer wird, wird es reine Spekulation, die durch eine und nachhaltigere Wirtschaft, die niemanden währ übernommen. Maria Woelki (64). gewisse Geldpolitik gefördert wird. Diese Situa- zurücklässt.« 7. Mai 2021 / Nummer 18 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Kultur 5

Ausstellung in den Trajansmärkten – noch bis 30. Mai Napoleon und der Mythos von Rom

Von Christa Langen-Peduto

s war einmal ein kleiner Kadett in der königlichen Militärschule von Brienne- Ele-Château in der Region Grand Est in Frankreich. Fünf Jahre lang studierte er dort, und zwar von 1779 bis 1784. Wie alle Schüler erhielt das Kind eine klassische Ausbildung, studierte die Helden der alten Griechen und Römer. Napoleon Bonaparte, so sein Name, entwickelte zusätzlich eine persönliche Leidenschaft für die Antike. Ju- lius Cäsar war sein Lieblingsheld. Doch er trach- tete auch danach, Alexander dem Großen, Han- nibal und Augustus nachzueifern. Später wurde Napoleon I. (1769 bis 1821) bekanntlich ein gefei- erter und berüchtigter Eroberer Europas, ein machtbewusstes Vorbild wie seine antiken, in Napoleon im Krönungsornat, Francois Gérard, der Militärschule studierten Helden, ehe er in mi- Öl auf Leinwand, 1805, Palais Fesch-Musée des litärischen Niederlagen endete und in die Verban- Beaux-Art, Ajaccio/Korsika (oben). nung geschickt wurde. Bertel Thorvaldsen, Der Triumph Alexanders des Großen in Babylon, Gipsplatten aus dem Verherrlichung der Antike ger Begründer des Klassizismus vertreten. »Der antiken Roms, waren zu jenem Zeitpunkt zu einer Museo civico in Pavia, Original von 1812 einzige Weg für uns, groß und, wenn möglich, übel riechenden Grube verkommen. Die Franzo- im Quirinalspalast (links). Darauf muss man sich zurückbesinnen, ehe unübertroffen zu werden, ist die Nachahmung sen beauftragten die Architekten Valadier und man in Roms Trajansmärkten die noch bis zum der Antike«, dieses Winckelmann-Zitat schmückt Camporese mit der Neuordnung, die Ausgrabun- Adler des 7. Husarenregiments, vergoldete 30. Mai geöffnete Ausstellung »Napoleon und der eine der Ausstellungswände. Das demonstriert gen unumgänglich machte. Dabei wurden immer Bronze, 1804, Musée de l'Armée, Paris (unten). Mythos von Rom« bewundert. Anlässlich seines gleichzeitig anschaulich, wie schon Jahrzehnte wieder neue Funde gemacht, die das Baupro- 200. Todesjahres widmet die Ewige Stadt dem vor Napoleon die Rückbesinnung und Verherrli- gramm verzögerten. Wie etwa die Überreste Franzosen aus Korsika gleich auf zwei Etagen des chung alles Alten begonnen hatte. Auch Brutus der Basilica Ulpia, entstanden zwischen 107 und Museo dei Fori Imperiali diese imposante Schau wurde von den Franzosen hoch verehrt, Lucius 113 n. Chr. unter Kaiser Trajan. Sie war die größte mit 100 Werken, geschickt eingegliedert in die Junius Brutus (circa 500 v. Chr.) ebenso wie Mar- Basilika und wurde für Gerichts- und Geschäfts- nicht minder interessante Dauerausstellung be- cus Junius Brutus (85 bis 42 v. Chr.). Der erste gilt zwecke genutzt. deutender Funde. Nur fünf Jahre, von 1809 bis der Sage nach als Gründer der antikrömischen Wie die Ausstellung ferner erklärt, mußten ein 1814, dauerte die französische Herrschaft über Republik, der zweite gehörte zu den Cäsar- Kloster und ein Waisenhaus abgerissen werden, Rom. Für den von der Antike begeisterten Napo- Mördern. Die Napoleon-Ausstellung zeigt sie in um südlich der Trajanssäule einen Platz zu schaf- leon kam Rom in seinem Reich als Kaiserstadt Büsten aus römischen Museen und in einer Re- fen. Erstmals gemeinsam ausgestellt sind die drei gleich nach Paris. So wurde vieles geplant und ge- produktion aus dem Louvre. Projekte von Valadier und Camporese zu der Piaz - baut, einige Projekte blieben auf der Strecke, an- Weiter geht es in der zweiten Sektion mit Na- za, von denen nur eines genehmigt wurde. Nor- dere wurden erst später vollendet. Das alles illus - poleons Beziehung zu Italien und Rom. Gleich malerweise sind sie in der Nationalakademie San triert diese Ausstellung, mit Originalen, wie sie drei Werke feiern ihn, der sich im Mailänder Dom Luca zuhause. Verwirklicht wurde dann auch das nur Rom zu bieten hat, in Zusammenhang ge- krönen ließ, als »König von Italien«. Es handelt sich genehmigte nicht. Letztlich entschied sich die bracht mit herbeigeholten Kunstwerken, aber um eine aus Paris entliehene Marmorgruppe des Kommission für ein Projekt des Tessiner Architek- auch mit Reproduktionen und lehrreichen Wand- Bildhauers Camillo Pacetti sowie zwei Porträts aus ten Pietro Bianchi, der keinen Platz mehr entwarf, tafeltexten auf Italienisch und Englisch. Napo- Mailand. Ausführlich wird dann das städtebauli- sondern ein Museum antiker Funde vorsah. Die leon selbst hat übrigens nie Rom betreten und che Programm der Ära Napoleon in Rom illus - Arbeiten an der Trajanssäule wurden erst 1815, sein Sohn Napoleon Franz aus zweiter Ehe mit triert, für das seit 1811 die sogenannte »Verschö - ein Jahr nach Ende der französischen Herrschaft, der Habsburgerin Marie-Louise von Österreich nerungskommission« zuständig war. »Warum unter Papst Pius VII. abgeschlossen. Das Kirchen - auch nicht. Dabei war dieser schon vor seiner Ge- pflanzt ihr in Rom keine Bäume?«, so soll Napo- oberhaupt war unter Napoleon im Exil in Savona burt zum »König von Rom« ernannt worden. Die leon den Bildhauer Canova gefragt haben, und Fontainebleau. Vorbild für die Vendôme-Sie- Familie Bonaparte hingegen, Napoleons Schwes - während dieser ihn in Paris porträtierte. »Wir gessäule in Paris, erbaut zwischen 1806 bis 1810, eine Grafik vor den Pyramiden. Es folgen in die- tern und Brüder, Nichten und Neffen, Kusinen pflanzen lieber Obelisken«, soll dieser geantwor- war übrigens die Trajanssäule, die der römische ser Abteilung fünf von 17 Gipsplatten aus dem und Cousins, zeitweise auch »Madame Mère«, tet haben. Vielleicht nur eine Anekdote, aber Tat- Senat zu Ehren des Kaisers zwischen 112 und 113 Museo Civico in Pavia des dänischen Bildhauers die Mutter – sie alle machten sich zeitweise in sache ist, dass zu Napoleons Städtebau-Programm n. Chr. errichten ließ, um ihn für die Eroberung Da- Bertel Thorvaldsen (1777 bis 1844), bekannt auch Rom heimisch, auch weit über die französische auch gehörte, zwischen archäologischen Schät- kiens (heute Rumänien) zu ehren. Was wiederum für das von ihm gestaltete Grabmal für Pius VII. Herrschaft hinaus. Ihnen sind zwölf Säle des zen Grün anzulegen. Jede Menge Zypressen- daran erinnert, wie sehr es Napoleon gefiel, sich im Petersdom. Die Gipsplatten zeigen den »Museo Napoleonico« an der Tiberbrücke Ponte Abbildungen, zwischen Spiegelwände gesetzt, im Kreis antiker Kaiser zu sonnen. »Triumph Alexanders des Großen in Babylon«, Umberto I gewidmet. sind deshalb in der großen Aula des Museums aus- von dem der Bildhauer etliche Versionen für Auf- Doch zurück in den roten Ziegelbau der Tra- gestellt. Gerade die Trajansmärkte, einst blühen- Römischer Adler traggeber in verschiedenen Teilen Europas schuf. jansmärkte. Gleich im ersten Bereich der Ausstel- der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Größe des Ein erstes Fries, eines seiner bedeutendsten klas- lung mit dem Titel »Napoleons Beziehung zur Die dritte Sektion der Ausstellung vertieft Ten- sizistischen Werke, kreierte Thorvaldsen 1812 klassischen Welt« erlebt der Besucher Napoleon denzen der Napoleonzeit, antike Symbole in der während seiner Romjahre für den »Saal der Da- so, wie es ihm gefallen hätte. Nämlich als Kaiser Kunst wieder aufleben zu lassen. Zum Beispiel men« im Quirinalspalast, dem heutigen Staatsprä- unter Kaisern. Wie die echten Cäsaren trägt er der römische Adler, seit der Zeit der Könige das sidentensitz. Dort wurden, in Erwartung von Na- einen Lorbeerkranz auf dem stolz erhobenen Emblem Roms, später aber auch ab Karl dem poleons Ankunft, damals etliche Räume für ihn Haupt. Sein Gesichtsausdruck zeigt Entschlos- Großen Symbol des Heiligen Römischen Reiches neu gestaltet. Das Werk sollte Napoleon, dem Be- senheit. »Napoleon, Empéreur« steht darunter. Es Deutscher Nation. Napoleon wählte das stolze wunderer antiker Helden, schmeicheln. Und handelt sich um eine Bronzebüste von dem fran- Symbol aus, um die Fahnenmasten und Kriegs- zwar in dem Sinne, dass der Kaiser und König von kophilen italienischen Bildhauer Lorenzo Barto- flaggen der Einheiten der Grande Armée zu zie- Italien wie einst Alexander der Große in Babylon lini (1777 bis 1850), und zwar um das Original ren. Berühmt ist sein Zornausbruch auf die Solda- einen triumphalen Einzug in Rom halten werde. aus dem Louvre in Paris. Sie ist wesentlich wuch- ten des 4. Regiments, die in der Schlacht von Dazu kam es bekanntlich nicht – Napoleon traf tiger als die Darstellungen seiner antiken »Kolle- Austerlitz seinen Adler verloren hatten. Selbst in nie in Rom ein und die französische Herrschaft gen« ringsherum. Alexander der Große thront zu der entscheidenden letzten Schlacht von Water- über den Kirchenstaat endete 1814 nach nur fünf Pferde, es ist eine kleine Bronzestatue aus dem loo (18. Juni 1815), so belehrt die Rom-Ausstel- Jahren. 1. Jahrhundert v. Chr. aus dem Archäologischen lung, kämpften die französischen Truppen trotz Museum von Neapel. Auch der marmorne Au - der Niederlage weiter, um ihre Embleme zu ver- Die Ausstellung »Napoleon und der Mythos gustus aus den Kapitolinischen Museen trägt Lor- teidigen und zu bewahren. In den Trajansmärk- von Rom« im Museo dei Fori Imperiali (Museum beeren. Die Cäsar-Büste, deren Original in den ten sind mehrere Adler aus dem Waffenmuseum der Kaiserforen) in den Trajansmärkten, Via Vatikanischen Museen steht, ist hier nur aus in Paris ausgestellt, aber auch Erinnerungsme- Quattro Novembre 94, 00187 Rom, ist bis 30. Gips. Gleichfalls nur eine Kopie des Marmorori- daillen, kleine Modelle der Trajanssäule und Mai montags bis freitags von 9.30 bis 19.30 Uhr ginals im New Yorker Metropolitan-Museum ist kleine Napoleon-Statuen, Ziergegenstände für geöffnet. Ab 27. März, sofern Rom gelbe Corona- die Büste von Kaiser Konstantin. Köstlich auch Möbelvitrinen, aus dem Museo Napoleonico. Zone bleibt, wird auch am Wochenende geöffnet. eine Darstellung von Henry Lecomte mit Napo- Im ersten Stock des Museo dei Fori imperiali Im Innern gelten die üblichen Corona-Einschrän- leon in Siegerpose, gekleidet in eine römische geht es dann weiter mit einem Geschichtssprung kungen wie Maskentragen und Abstandseinhal- Tog a . zurück in die Zeit von Napoleons Ägypten-Expe- tung von einem Meter. Unbedingt empfehlens- Mit einer Büste aus den Kapitolinischen Mu- Bronzebüste von Kaiser Napoleon I. dition 1798, als er noch längst nicht Kaiser, son- wert ist, sich vorher anzumelden unter Tel. seen ist aber auch der deutsche Gelehrte Johann mit Lorbeerkranz von Lorenzo Bartolini, dern erst General war. Eine Bronzestatue aus 060608 (täglich von 9.00 bis 19.00 Uhr) oder Joachim Winckelmann (1717 bis 1768) als geisti- 1805, Louvre, Paris. Ajaccio zeigt Bonaparte auf einem Dromedar, online über www.mercatiditraiano.it. 7. Mai 2021 / Nummer 18 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 6 Kirche in der Welt

Zum 100. Geburtstag der Widerstandskämpferin Sophie Scholl Sophies Entscheidung

Von Grazia Villa, Menschenrechtsanwältin Am 9. Mai vor genau hundert Jahren erblickte die junge Christin der Weißen Rose – Symbol des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus – das Licht der Welt. Sie wurde zusammen mit ihrem Bruder us Anlass des Internationalen Frau- Hans Scholl und dem gemeinsamen Freund Christoph Probst hingerichtet. entags am 8. März 2021 hat das Eu- Aropaparlament beschlossen, zwei sei- ner Gebäude nach zwei bedeutenden Frauen zu Nur wenn man sowohl auf ihren Geist als schem« Aussehen, keine blonden Zöpfe, mit zer- benennen: Clara Campoamor, einer spanischen auch auf ihr Herz schaut versteht man… Sophies zausten und unverbesserlichen Ponyfransen: so Anwältin und Politikerin, und Sophie Scholl, der Entscheidung. wird Sophie beschrieben, während sie schon jungen deutschen Studentin, die ihre Opposition Sie kommt am 9. Mai 1921, vor hundert Jah- bald ihre kindlichen Ambitionen klärt: »Die gegen den Nationalsozialismus mit dem Leben ren, in Forchtenberg zur Welt und stirbt am Bravste bin ich nicht, die Schönste will ich gar bezahlt hat. Über den Widerstand der jungen 22. Februar 1943 im Alter von 22 Jahren in Mün- nicht sein, aber die Gescheiteste bin ich immer Mitglieder der Weißen Rose ist viel geschrieben chen unter der Guillotine. noch.« worden, und auch das Kino hat ihre Geschichte Sie ist das vierte von sechs Kindern, deren Der Eintritt der blutjungen Sophie in den Bund eindrucksvoll nacherzählt. Die Spuren des Le- enge Verbindung Sophies Leben und ihr Schick- Deutscher Mädel stellt, ganz abgesehen von den bens des einzigen Mädchens aus dieser Gruppe sal zutiefst prägen sollte. Ihr Vater Robert, christ- Ausflügen in die Natur und vom Sport, eine Gele- müssen allerdings auf den Seiten ihrer Tage- lich-liberaler Bürgermeister des Städtchens im genheit dar, sich für den Kampf zu stählen und bücher aufgespürt werden, in ihrer umfangrei- Hohenlohekreis, war immer ein Gegner des Na- ein geschöntes und sentimentales Frauenbild ab- chen Korrespondenz, im Protokoll ihrer Verhöre tionalsozialismus, besonders im Hinblick auf des- zulehnen. Sie erliegt dem Charme der BDM- durch die Gestapo, in den Akten ihres im Eilver- sen an die jungen Generationen gerichtete Propa- Führerin »Charlo«, die für ihre Mädels den Hitler- Sophie im Jahr 1942 fahren verhandelten Prozesses, in den Zeugnis- ganda, weshalb er sich ganz offen Hans und Gruß in eine liebevolle Geste abgeändert hatte, sen ihrer Angehörigen und der überlebenden Sophies anfänglicher Unterstützung der national- die darin bestand, die Stirn der Gefährtin leicht zu Mitglieder der Weißen Rose. sozialistischen Jugendorganisationen wider- berühren und ihr die Haare zu verwuscheln! tung, tun zu können wie ich will«. Ihre Liebe zur Wenn man ihren Spuren folgt, stößt man auf setzte. Die Mutter Magdalena Müller war eine Die Freiheit der Frau und die Autonomie ihres Natur, der Schönheit und der Musik, deren ihre eine Quelle kristallklaren Wassers und taucht ein fromme lutherische Christin, in deren Leben die Denkens veranlassen sie schon bald dazu, aus Tagebücher voll sind, offenbart nicht nur ihre bis in den tiefen und leuchtenden Brunnen eines auf- frohe Botschaft im Mittelpunkt stand. Sie gab das allen Jugendorganisationen des Regimes auszu- zum letzten Atemzug vorhandene vitale An- rechten und freien Gewissens, einen kostbaren, an ihre Töchter und Söhne weiter, als Botschaft treten, gegen deren auch im obligatorischen Ar- triebskraft, sondern sie wird auch zu einer echten zwischen zwei Taufen verschlossenen Schatz. der Befreiung von jeder Form der Macht und des beitsdienst erlebte Pädagogik zu protestieren: Form der geistigen Kontemplation, die einen auf- Die erste schenkt der kleinen Sophia Magdalena Bösen. »Ich fand den Dienst langweilig und verfehlt, folg- richtigen und starken Glauben offenbart, selbst in ihre beiden Namen, das Geheimnis ihres Da- Die Familie Scholl lebt in einem gast- und lich schlecht und ungerecht, weil er die persönli- der Dunkelheit der Unterdrückung, des Krieges, seins: Die Weisheit der »Sophia« und die grenzen- ideenfreundlichen Haus, einem Ort voller Zunei- che Individualität der Jungen und Mädchen des Kerkers, einen lebendigen Glauben, der ihre lose Liebe der Magdalena, vereint in dem in ihr gung und Frohsinn, der Achtung vor Unterschie- demütigte«, und sich eine besondere Rolle für die Kohärenz speist. Sophies zärtliches Herz kommt verkörperten Motto von Jacques Maritain »Man den, der Gleichheit zwischen Jungen und Frauen vorzustellen, so etwa in ihrem Abitursauf- im Jubel der Jugend zum Ausdruck: »So, wie es muss einen harten Geist, aber ein weiches Herz Mädchen, viel Raum fürs Lesen, auch für Bücher, satz: »Die Hand, die die Wiege bewegt, bewegt mir unmöglich ist, einen klaren Strom zu sehen, haben«. die vom Regime verboten worden waren, für in- die Welt.« ohne meine Füße darin zu baden, kann ich auch Die zweite ist jene ihres letzten Traumes vor tellektuellen Austausch, für leidenschaftliche For- Es ist dann bei ihren Lieben und in den nicht an einer Maienwiese vorbeikommen, ohne der Hinrichtung. Sophie trägt dort ein Kind zur schung. Dies ist der fruchtbare Boden, auf dem freundschaftlichen Banden, dass ihr unbändiger anzuhalten.« Taufe, fühlt sich in die Tiefe stürzen, kann aber sich die ersten Blütenblätter dessen öffnen, was Geist sich als frei von Formen und Konditionie- Die »Musik aber macht das Herz weich; sie das Kind noch sicher niederlegen, während sie dann die Weiße Rose sein wird, weshalb die Bio- rungen erweist. Sie hatte keine Angst, zu ihren ordnet seine Verworrenheit, löst seine Ver- selbst in den Abgrund stürzt: »Das Kind ist unsere graphen diese Familienwerkstatt als einen wah- Freundinnen zu sagen: »Ich will mich nicht auf krampftheit… Ja, ganz still und ohne Gewalt Idee, sie wird sich trotz aller Hindernisse durch- ren »Scholl-Bund« definieren. die Seite all dessen schlagen, was banal ist«, oder macht die Musik die Türen der Seele auf.« setzen. Wir durften Wegbereiter sein, müssen Sanft und ironisch, schüchtern und frech, zu ihrem Freund: »Ich kann ruhig an dich den- »Ist es nicht auch Rätsels genug (…) , dass al- aber zuvor für sie sterben«. klein und brünett, von eher italienischem als »ari- ken. Und ich bin froh, es so, ohne jede Verpflich- les so schön ist? Trotz des Schrecklichen, das ge- schieht. (…) Deshalb kann eigentlich nur der Mensch hässlich sein, weil er den freien Willen Zu einem neuen Buch über die junge Widerstandskämpferin hat, sich von diesem Lobgesang abzusondern. Und jetzt könnte man oftmals meinen, er brächte es fertig, diesen Gesang zu überbrüllen mit Ka- Zeugin für den christlichen Glauben nonendonner und Flüchen und Lästern. Doch (…) er kann es nicht, und ich will versuchen, dann muss ich etwas tun«. Diese dass sich Scholl besonders für Juden lich günstiger gefördert, wurden in- mich auf die Seite der Sieger zu schlagen.« Verbindung zwischen Glaube und eingesetzt habe, etwa für ihre jüdi- nerhalb von wenigen Monaten Auch in der Gefängniszelle, als sie auf die nun- Handeln sei für ihn, so Zoske, »das sche Klassenkameradin und angeb- 4.000 Leute auf die Straße gesetzt.« mehr unabwendbare Hinrichtung wartete, flüs- Faszinierende, Überzeugende und liche Freundin Luise Nathan. Zoske: Genau in dieser Zeit sei Sophie terte sie: »Ein so schöner Sonnentag, und ich Mutmachende, gerade auch für »Deren Tochter hat mir deutlich be- Scholl vor Ort gewesen, so Zoske: muss gehen«, fügte dann aber gleich mit Nach- heute«. Scholl folgte ihrem Gewis- stätigt, dass ihre Mutter immer be- »Ich gehe davon aus, dass sie in druck hinzu: »Es ist unwichtig, zu sterben, wenn sen. »Von da her ist sie eine Zeugin stritt, näheren Kontakt zu Sophie ge- Blumberg Impulse bekam, die unsere Handlungen dazu gedient haben, die Ge- für den christlichen Glauben«, so habt zu haben.« Scholl sei zunächst wahrscheinlich dazu geführt haben, wissen aufzurütteln und zu wecken«. der evangelische Theologe, Histori- begeistertes Mitglied der Jungmä- dass bei ihr dann die letzte Faszina- Sophies Gewissen ist das der jungen Mitglie- ker und Buchautor. delschaft und danach des Bundes tion, welche der Nationalsozialis- der der Weißen Rose, es ist eben dieses Gewis- Sophie Scholl sei dabei aber Deutscher Mädel der Hitlerjugend mus noch auf sie ausgeübt hatte, sen, an das sie in ihren Flugblättern appellieren, nicht der Dreh- und Angelpunkt der gewesen. Diese Begeisterung habe endgültig erloschen ist.« um das vom Bösen unterjochte deutsche Volk Widerstandsgruppe »Weiße Rose« sich später umgekehrt, »als sie all- Sophie Scholl werde für ihn wachzurütteln. gewesen, erläuterte Zoske. Dass mählich erkennt, dass die National- »umso glaubwürdiger, je menschli- Ihr harter Geist führt sie zum Martyrium. Die- Salzburg. Am 9. Mai jährt sich sich das im Bewusstsein der Bevöl- sozialisten nicht ihren Idealen ent- cher sie ist«, so Zoske weiter: »Es selbe Härte, die Sophie vor ihren Anklägern an der Geburtstag von Sophie Scholl kerung so eingeschlichen hat, liege sprechen«. Das Umdenken sei ein gibt auch diese zwischen Begeiste- den Tag legte, die erstaunt waren über die Ent- zum 100. Mal. Der Historiker vor allem an den Filmen, die 1982 schrittweiser Prozess gewesen, er- rung und Traurigkeit schwankende schlossenheit dieses kleinen Mädchens: »Ich Robert Zoske hat für seine aktuelle und 2005 gedreht wurden. Sie sei läuterte Zoske. Richtig festmachen Sophie, diese zweifelnde, zickige, streite nichts ab. Ich bin nach wie vor der Mei- Biografie über Sophie Scholl bislang auch nicht an der Abfassung der ins- könne man ihren Sinneswandel gehemmte, widersprüchliche und nung, das Beste getan zu haben, was ich gerade unveröffentlichtes Quellenmaterial gesamt sechs Flugblätter beteiligt wohl erst im Mai 1942. fragende Sophie, die aber zum jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue des- herangezogen. Er möchte in seinem gewesen, die zum Widerstand ge- Sophie Scholl hatte nach dem Schluss sagt, sie habe jahrelang et- halb meine Handlungsweise nicht und will die Buch vor allem den Menschen So- gen die NS-Diktatur aufriefen. Diese Abitur 1940 eine Ausbildung zur was Verkehrtes gemacht, aber jetzt Folgen, die aus meiner Handlungsweise erwach- phie Scholl zeigen und mit so man- seien vor allem von ihrem Bruder Kindergärtnerin in Ulm begonnen. wisse sie, dass sie etwas gegen den sen, auf mich nehmen. (…) Nicht ich, sondern Sie chen Mythen aufräumen, wie er in Hans Scholl sowie von Alexander Danach arbeitete sie in einem Kin- Krieg machen müsse.« Scholl sei in haben eine falsche Weltsicht.« einem Interview mit der Kooperati- Schmorell und Kurt Huber verfasst derhort in Blumberg, wo sie Kriegs- der Lage gewesen, »umzudenken Auf den letzten Seiten ihres Tagebuchs onsredaktion der österreichischen worden. Ab der zweiten Flugblatt- hilfsdienst leisten musste. Zoske und einen Sinneswandel zu vollzie- schrieb sie: »Das Leben steht immer am Rande Kirchenzeitungen betonte. phase im Herbst 1942 sei Sophie über diese Zeit: »In der kleinen Stadt hen«, betont der Buchautor: »Für sie des Todes; (…) und eine kleine Kerze brennt sich Letztlich sei Scholls tiefer Glaube Scholl dann aber aktiv dabei gewe- fand man ein wenig Erz, das die Na- war dann klar, dass eine moralische, selbst aus, genau wie eine brennende Fackel. Ich grundlegend für ihren Widerstand sen. Sie war laut Zoske so etwas wie tionalsozialisten für ihre brutale ethische Erkenntnis zu einer Tat wähle meine eigene Art zu brennen.« Dasselbe gewesen, so der Historiker. Sophie die Managerin – »sie hat für Geld ge- Wirtschafts- und Rüstungspolitik führen muss und sie entschied sich Feuer der Liebe, das sie zur Guillotine brachte, Scholl habe zusammen mit ihrem sorgt, für den Vervielfältigungsappa- nutzten. Und so wurde aus diesen für den öffentlichen widerständigen um bis zum letzten Augenblick ihre Freiheit zu Bruder Hans versucht, Glaube und rat, für Briefumschläge, für Papier Erzschichten alles herausgepresst, Freiheitskampf.« proklamieren: Freiheit – das letzte Wort, das ihr Handeln zusammenzubringen. Sie und für Briefmarken«. Und sie sei was nur möglich war.« Die Natur sei Bruder Hans vor seinen Henkern ausrief, und das hätten erkannt, »wenn etwas falsch maßgeblich an der Verbreitung der rücksichtslos zerstört und die Men- Robert M. Zoske, Sophie Scholl: Es sie uns für immer geschenkt haben. ist, dann kann man sich nicht Flugblätter beteiligt gewesen. schen ausgebeutet worden. »Und reut mich nichts. Porträt einer Wi- zurückziehen und sagen, ich lasse In den Bereich der Scholl-My- als man dann feststellte, das Erz be- derständigen, Propyläen Verlag, (Orig. ital. in O.R., Monatsbeilage die Welt einfach laufen, sondern then gehöre auch die Geschichte, komme man in der Ukraine wesent- 2020) »Frauen – Kirche – Welt«, Mai 2021) 7. Mai 2021 / Nummer 18 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 7

Videobotschaft von Papst Franziskus aus Anlass der Seligsprechung von José Gregorio Hernández Cisneros Ein besonderer Segen für Venezuela

Kurz vor der Seligsprechung des Venezola- Füße. Mir scheint wichtig, dieses »einander« zu José Gregorio Hernández (1864-1919) ners José Gregorio Hernández (1864-1919) kommentieren, denn der Herr ermahnt uns, nicht studierte Medizin in Caracas und Paris. wandte sich Papst Franziskus am Nachmittag nur aktive Subjekte des Dienens zu sein, sondern Neben seiner Tätigkeit als Oberarzt des 29. April in einer Videobotschaft an die Be- auch die Demut zu haben, uns von den anderen lehrte er an der Universität und wirkte völkerung Venezuelas. Hernandez gilt in seiner die Füße waschen zu lassen. Und was bedeutet in der Forschung. Er hätte eigentlich Heimat Venezuela als inoffizieller Nationalheili- heute dieses »einander die Füße waschen«, frage Priester werden wollen. Diesen Wunsch ger, den man bei Krankheit um Hilfe anruft. Be- ich mich, für uns alle, konkret, für euch, die ihr konnte er aber aus gesundheitlichen kanntheit erlangte der Mediziner durch seinen heute die Seligsprechung dieses großen »Fußwa- Gründen nicht verwirklichen. Als Laie selbstlosen Einsatz für Bedürftige, die er kosten- schers« feiert? lebte Hernández seine Berufung, indem los behandelte und mit Medikamenten ver- Es bedeutet zum Beispiel, einander anzuneh- er sich selbstlos den Kranken widmete: sorgte. 1919 kam er durch einen Verkehrsunfall men, zu empfangen, den anderen als Gleichen zu Arme behandelte er gratis und schenkte ums Leben. sehen, als jemanden wie mich, ohne ihn zu ver- ihnen Medikamente, die er aus eigener achten: niemanden verachten. Und auch einan- Tasche bezahlte. Sein liturgischer Ge- Liebe bischöfliche Mitbrüder, der zu dienen, bereit sein zum Dienen, aber auch denktag ist der 26. Oktober, sein Ge- liebe Venezolaner und Venezolanerinnen, zuzulassen, dass die anderen uns helfen, uns die- burtstag, weil man in Venezuela bereits Brüder und Schwestern im Herrn! nen: helfen und sich helfen lassen. seit langer Zeit an diesem Tag seiner ge- Herzlich grüße ich euch aus Anlass der Selig- Ein weiteres Beispiel ist, einander zu verge- denkt. Am 9. Januar 2020 bestätigte die sprechung des ehrwürdigen Dieners Gottes und ben, denn wir müssen vergeben und zulassen, Medizinische Kommission der Kongre- Arztes José Gregorio Hernández Cisneros. Ich dass uns vergeben wird, zu spüren, dass uns ver- gation für die Selig- und Heiligspre- weiß, mit wie großer Begeisterung ihr seit vielen geben wurde. Letztlich bedeutet einander die chungsprozesse das seiner Fürsprache Jahren den Augenblick erwartet habt, in dem die Füße zu waschen, einander zu lieben. zugeschriebene Wunder. Kirche etwas bestätigen würde, an das ihr fest Zuweilen meinen wir, dass keiner Hilfe glaubt: dass der Arzt des Volkes bei Gott ist und braucht, dass wir autonom sind, dass wir nichts gemeinsam mit der Gottesmutter »Nuestra brauchen, auch keine Vergebung. Alle brauchen hinauszugehen, um zu feiern, es laut hinauszu- überzeugt, dass dieser Augenblick nationaler Ein- Señora del Coromoto« für seine Landsleute und wir Hilfe, alle. Alle brauchen wir Vergebung. Je- rufen, nein, denn die Pandemie ist gefährlich. heit um die Gestalt dieses Arztes für das Volk ein für uns alle Fürsprache hält. sus hat etwas sehr Schönes gesagt: »Wer von Und ich begleite euch in dieser – erlaubt mir das besonderer Moment für Venezuela ist und von Ich bekenne euch, dass ich hier im Vatikan, sei euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.« Wort – »pandemischen« Feier, das heißt eine euch verlangt, dass ihr noch weiter geht, dass ihr es auf dem Platz, sei es in einer Privataudienz, kei- Wer in sich nichts hat, das er bereuen müsste, Feier ohne Alles aufgrund des Leids der Pande- konkrete Schritte für die Einheit tut, ohne euch nem einzigen Venezolaner begegnet bin, der nicht mag die anderen anklagen. Manchmal werden mie. Ich denke auch an alle, die das Land auf der von Mutlosigkeit überwältigen zu lassen. schließlich irgendwann mitten im Gespräch ge- wir eine Familie – ich denke zum Beispiel an eine Suche nach besseren Lebensbedingungen verlas- Nach dem Vorbild von Doktor José Gregorio sagt hätte: Und wann ist die Seligsprechung von Kleinfamilie – von Anklägern, die sich gegensei- sen haben, und ebenso an jene, die ihrer Freiheit sollt ihr in der Lage sein, einander als gleich, als Gregorio? Es brannte ihnen auf der Seele. Nun, tig beschuldigen, oder in einem Volk, gegensei- beraubt sind und denen das Lebensnotwendigste Geschwister, als Kinder desselben Vaterlandes jetzt wird dieser Wunsch Wirklichkeit. tige Ankläger … Das ist nicht der Weg, den uns fehlt. Ihr seid alle Mitbürger des Seligen, ihr alle. zu erkennen. Ihr sollt Bereitschaft zeigen, zu die- Doktor José Gregorio bietet sich uns Christen der Selige gelehrt hat, den wir heute feiern, denn Und ihr habt alle dieselben Rechte. Ich begleite nen, und auch ausreichende Demut haben, zu- und allen Menschen guten Willens als Beispiel sein Weg wäre vielmehr der Weg des Dienens, euch mit Liebe, alle. zulassen, dass man euch dient, dass ihr helft und für einen gläubigen Jünger Christi an, der das des einander Zuhörens, des Vergebens und uns Und wie ich das Leid gut kenne, so kenne ich ihr euch helfen lasst, dass ihr vergebt und Verge- Evangelium zu seinem Lebenskriterium erho- Vergeben-Lassens. auch den Glauben und die großen Hoffnungen bung empfangt. Vergesst es nicht: einander, das ben hat, der seine Berufung gesucht hat, der die des venezolanischen Volkes. heißt die einen den anderen, oder wie jenes alte Gebote gehalten hat, der jeden Tag an der Eu- Schwieriger Augenblick Die Seligsprechung von Doktor Hernández ist Mütterchen sagte, »und die anderen den einen«. charistiefeier teilgenommen hat, der dem Gebet ein besonderer Segen Gottes für Venezuela, und Immer gegenseitig. Ich bete zu Gott für Versöh- Zeit gewidmet hat und der an das ewige Leben Die Seligsprechung von Doktor José Gregorio sie lädt uns zu einer Umkehr zu größerer Solida- nung und Frieden unter den Venezolanern, ich geglaubt hat; als Vorbild persönlicher Friedfertig- findet in einem besonderen Augenblick statt, der rität untereinander ein, damit alle gemeinsam die würde euch gerne besuchen. keit sowie ziviler und religiöser Tugenden, der für euch sehr schwierig ist. Wie meine bischöfli- Antwort des Gemeinwohls hervorbringen, die so Die öffentlichen Institutionen sollen stets al- Offenheit, des Mitgefühls angesichts von chen Mitbrüder kenne ich die Situation gut, unter notwendig ist, damit das Land wieder auflebt, len Sicherheit und Vertrauen bieten, und das Volk Schmerz, der Bescheidenheit und Demut in der ihr leidet, und mir ist bewusst, dass eure lang nach der Pandemie im Geist der Versöhnung neu dieses schönen Fleckchens Erde soll immer die Leben und Beruf und auch als Mann, der Weis- anhaltenden Leiden und Ängste durch die ersteht. Es ist die Gnade, den Geist der Versöh- Möglichkeit zur menschlichen Entwicklung und heit, Forschung und Wissenschaft liebte, im schreckliche Covid-19-Pandemie, uns alle trifft, nung zu erbitten, denn es gibt immer Probleme in zum Zusammenleben finden. Dienst von Gesundheit und Lehre. Er ist ein Vor- noch vermehrt wurden. Ich denke heute beson- den Familien, in den Städten, in der Gesellschaft. bild der Heiligkeit, engagiert im Lebensschutz, in deres an die vielen Toten, die vielen, die sich mit Es gibt Menschen, die einander schief ansehen, Tatkräftige Einheit den Herausforderungen der Geschichte und dem Coronavirus angesteckt und mit dem Leben mit bösem Blick, und es gibt immer die Notwen- insbesondere als Paradigma des Dienstes am bezahlt haben, um ihre Aufgaben unter prekären digkeit der Versöhnung, der ausgestreckten Ich bitte Gott, Brüder und Schwestern, dass der Nächsten, wie ein barmherziger Samariter, ohne Bedingungen zu erfüllen. Diese Pandemie, die Hand! Und die ausgestreckte Hand ist eine gute Selige insbesondere alle Führungskräfte inspirie- jemanden auszuschließen. Er ist ein Mann uni- sich heutzutage auf dieses große Glaubensfest soziale Investition. ren möge: Gewerkschafter, Akademiker, Politi- versalen Dienens. der Seligsprechung auswirkt und sie einschränkt, Daher bitte ich euch alle, die ihr den Doktor ker, Geschäftsleute, Religionsvertreter, alle, Uni- Einer der wichtigsten und faszinierendsten um aus Sicherheits-, Gesundheitsgründen An- José Gregorio so sehr liebt, mitten in allen Schwie- versitätsangehörige und andere, um eine ernst- Aspekte seiner Persönlichkeit war, Zeuge zu sein steckungen zu vermeiden, zwingt uns, zu Hause rigkeiten seinem bewundernswerten Beispiel des hafte Anstrengung zu unternehmen, eine tatkräf- für die Selbstüberwindung und den Dienst an zu bleiben. Sie erlaubt uns nicht, auf die Straße uneigennützigen Dienens zu folgen. Ich bin fest tige Einheit zu erreichen. Ein altes Sprichwort den Bürgern. Ein Dienst, verstanden ausgehend sagt: »Entweder werden wir alle gerettet oder nie- vom Beispiel Christi, das er uns beim Letzten mand wird gerettet.« Es ist ein gemeinsamer Weg Abendmahl hinterlassen hat, als er seinen Jün- aller. Wir suchen den Weg der nationalen Einheit, gern die Füße wusch, und zwar allen, weil er alle und das zum Wohl Venezuelas. Eine tatkräftige liebte, auch Judas, obwohl er wusste, dass er ihn Einheit, in der jeder, ausgehend von gegenseiti- verraten würde. Jesus hat sich an niemandem gem Respekt und gegenseitiger Anerkennung, gerächt: Er hat sich an niemandem gerächt, er hat ernsthaft und aufrichtig das Gemeinwohl vor je- alle geliebt. des andere Interesse stellt, für Einheit, Frieden Und in jenem Augenblick hinterließ Jesus sei- und Wohlstand arbeitet, damit die Bürger und Bür- nen Jüngern ein Gebot: Wascht einander die gerinnen in einer Situation der Normalität, Pro- duktivität, demokratischer Stabilität, Sicherheit, Gerechtigkeit und Hoffnung leben können. Ich bete, dass wir alle gemeinsam jenes Vene- Kurz notiert zuela wiedererlangen, in dem jeder weiß, dass er einen Platz hat, in dem jeder eine Zukunft finden Vatikanstadt. In einem Chirograf kann. Und ich bitte den Herrn, dass kein Eingrei- vom 26. April hat Papst Franziskus den fen von außen euch daran hindert, diesen Weg Gesuchen von Kardinal Baltazar E. Porros der nationalen Einheit zu gehen. Wie gerne Cardozo, Apostolischer Administrator der würde ich euch besuchen, zumindest um zum Erzdiözese Caracas (Venezuela) und des Ausdruck zu bringen, dass ich euch auf diesem Rektors der Päpstlichen Lateranuniversität Am 30. April wurde unter grosser Anteilnahme der Bevölkerung der als »Arzt der Armen« bekannte Weg begleite. stattgegeben und den seligen José Grego- José Gregorio Hernández selig gesprochen. Anders als zunächst angekündigt, konnte Kardinalstaats- Ich bete zur »Virgen del Coromoto«, der Patro- rio Hernández Cisneros zum Co-Patron sekretär Pietro Parolin wegen der Corona-Pandemie nicht an der Seligsprechung in Caracas teilneh- nin dieser geliebten und schönen Nation, und ich des Studiengangs »Friedenswissenschaf- men. Er wurde vom päpstlichen Nuntius Erzbischof Aldo Giordano vertreten. Der neue Selige habe bete für euch alle zum seligen José Gregorio ten« an der Lateranuniversität erklärt. Er das »Bild Gottes in den Gesichtern der anderen, aber insbesondere in den Gesichtern der Armen, der Hernández. Und euch bitte ich, nicht zu verges- tritt damit an die Seite des seligen Giovanni Bedürftigen, der Migranten, der der Freiheit beraubten Menschen« erkannt, so Erzbischof Giordano. sen, für mich zu beten. Voran, immer gemein- della Pace (um 1270 - um 1335), ebenfalls An der im venezolanischen Fernsehsender »Telesur« übertragenen Zeremonie, zu der wohl Tausende sam, dem Beispiel von José Gregorio folgend. Ver- Patron des im November 2018 vom Papst gekommen wären, nahmen wegen der Pandemie zwar nur rund 150 Gäste teil. Vor der kleinen Kir- liert nicht den Mut! Gott segne euch und die errichteten Studiengangs. che in Caracas und an anderen Orten versammelten sich aber viele Gläubige, um ihrer Verehrung Aus- Jungfrau Maria behüte euch. druck zu verleihen. (Orig. span.; ital. in O.R. 30.4.2021) 7. Mai 2021 / Nummer 18 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 8 Aus dem Vatikan

Das vatikanische Staatssekretariat Unterstützend an der Seite des Papstes

Von Alessandro De Carolis währende und sichtbare Prinzip und Fundament der Einheit des Glaubens und der Gemeinschaft der Kirche zu sein. Diese Aufgabe definiert das rei Sektionen und ein Aktionshori- Wesen des Staatssekretariats, das das Sekretariat zont, der mit jenem des Erdballs des Papstes ist, sein operatives und unmittelbares Ddeckungsgleich ist. Die Struktur des Instrument zur Bearbeitung der zahlreichen tägli- Staatssekretariats wurde konzipiert, um den chen und gewöhnlichen Angelegenheiten. Papst bei der Leitung des Heiligen Stuhls und bei Man denke beispielsweise an die Erledigung seinem Amt als Oberster Hirte der Weltkirche zu der Korrespondenz, die der Heilige Vater mit den unterstützen. Ein kosmopolitisches Team, das aus Bischöfen in aller Welt in den verschiedenen nächster Nähe mit dem Papst zusammenarbeitet Sprachen unterhält, mit den Vertretern anderer und die Aufgaben wahrnimmt, die Dikasterien Kirchen oder christlicher Gemeinschaften oder der Kurie zu koordinieren und sich im Ausland anderer Religionen, mit den politischen Amtsträ- vor allem um die Päpstlichen Vertretungen zu gern der verschiedenen Länder, und mit allen Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin bei der Lektüre der Vatikanzeitung. kümmern, für die vor vier Jahren eine dritte Sek- Gläubigen in aller Welt; an die Abfassung päpstli- tion des Staatssekretariats geschaffen wurde. Un- cher Dokumente (Apostolische Konstitutionen, genheiten behandelt, damit das Wohl der Kirche das diplomatische Personal des Heiligen Stuhles, sere Aufgabe – so erläutert Kardinalstaatsse- Enzykliken, Ansprachen…), an deren Überset- und der bürgerlichen Gesellschaft gefördert ins Leben rief und dadurch das Amt des Delegier- kretär Pietro Paolin – besteht gerade in dieser Zeit zung und offizielle Veröffentlichung; und dann werde, indem sie die Eintracht zwischen den ten für die Päpstlichen Vertretungen aufwertete. der Pandemie darin, »die internationale Gemein- sei auch die Organisation der Apostolischen Rei- Staaten, die Religionsfreiheit und den Frieden un- Diese Sektion befasst sich spezifisch mit jenen schaft und die einzelnen politischen Akteure un- sen des Heiligen Vaters erwähnt. ter den Völkern fördert. Diese Sektion vertritt den Fragen, die die Personen betreffen, die im diplo- ermüdlich an die Erfordernisse des Gemeinwohls Sodann hat das Staatssekretariat innerhalb Heiligen Stuhl auch bei den internationalen Ein- matischen Dienst des Heiligen Stuhls in den 128 und an den Respekt vor der menschlichen Person der Römischen Kurie die Aufgabe, die Beziehun- richtungen, wo sie sich zum Sprachrohr der Päpstlichen Vertretungen und im Staatssekreta- zu erinnern«. gen zwischen den Dikasterien zu fördern und die Ärmsten und der Geringsten macht. Überdies be- riat arbeiten, unter besonderer Berücksichtigung Arbeiten zu Themen, die mitunter in den Zustän- fasst sie sich im Auftrag des Heiligen Vaters in ei- der Lebensbedingungen und ständigen Weiterbil- Das Staatssekretariat ist der Organismus, der digkeitsbereich mehrerer Dikasterien fallen, zu nigen spezifischen Kontexten auch mit den Be- dung des diplomatischen Personals. Außerdem mit dem Papst bei der Ausübung seines Amtes koordinieren. Andererseits prüft das Staatssekre- setzungen der Teilkirchen. befasst sie sich gemeinsam mit dem Präsidenten aus der allergrößten Nähe zusammenarbeitet tariat all jene Angelegenheiten, die über die ge- der Päpstlichen Diplomatenakademie mit der und de facto der »Motor« des politischen und di- wöhnliche und spezifische Kompetenz der ande- Papst Franziskus hat den beiden Sektionen, in Auswahl und Grundausbildung derer, die sich plomatischen Handelns des Heiligen Stuhles ist. ren Dikasterien hinausgehen. die das Staatssekretariat nach der von Johannes darauf vorbereiten, in den diplomatischen Dienst Welches sind – ganz konkret – seine spezifischen Das sind nur einige der wichtigsten Aufgaben Paul II. in »Pastor bonus« gewollten Reform der einzutreten. Aufgaben und die Bereiche, in denen es aktiv des Staatssekretariats, die von der Sektion für die Römischen Kurie geteilt worden war, noch eine Insofern resultiert, dass sich die komplette wird? allgemeinen Angelegenheiten erledigt werden. dritte Sektion hinzugefügt. Wie sieht, zum aktuel- Struktur des Staatssekretariats dem augenblickli- Außerdem gibt es die Sektion für die Bezie- len Stand, die vollständige Struktur aus, und wie chen Stand nach aus drei Sektionen zusammen- Die Apostolische Konstitution Pastor bonus hungen mit den Staaten, deren Aufgabe es ist, »all sieht ihr Organigramm aus? setzt: der Sektion für die allgemeinen Angelegen- definiert das Staatssekretariat als jenes Dikaste- das zu erledigen, was mit den Verantwortlichen heiten, die direkt dem Substituten untersteht, der rium, das »dem Papst unmittelbar bei der Aus - der Staaten zu behandeln ist«, indem sie »die di- Der Heilige Vater wollte dem Personal im di- vom Assessor unterstützt wird; der Sektion für übung seines höchsten Amtes [hilft]«. Das höchs- plomatischen Beziehungen zu den Staaten und plomatischen Dienst seine Aufmerksamkeit und die Beziehungen mit den Staaten, unter der direk- te Amt des Papstes, des Nachfolgers des heiligen zu den anderen Zusammenschlüssen öffentli- seine Nähe demonstrieren, indem er am 21. No- Apostels Petrus, besteht darin, das immer- chen Rechts« fördert und gemeinsame Angele- vember 2017 eine dritte Sektion, die Sektion für Fortsetzung auf Seite 9

Drei Sektionen für eine weltweite Aufgabe

as in drei Sektionen – Allgemeine An - Die dritte Sektion des Staatssekretariats, die Dgelegenheiten, Beziehungen zu den wie die anderen von einem Erzbischof geleitet Staaten und Personal im Diplomatischen Dienst – wird, dem ein Prälat zur Seite steht, dem Sekretär gegliederte Staatssekretariat ist das Dikasterium beziehungsweise Untersekretär für die Päpstli- der Römischen Kurie, das den Papst aus al- chen Vertretungen, hat die Aufgabe, die Auf- lernächster Nähe bei der Ausübung seines Amtes merksamkeit und die Nähe des Papstes gegen- unterstützt, indem es die verschiedenen Amts- über dem Personal im Diplomatischen Dienst stellen des Heiligen Stuhles koordiniert und die zum Ausdruck zu bringen. Sie befasst sich also internationalen Beziehungen pflegt. ausschließlich mit Fragen, die die Personen be- Wiewohl seine historischen Wurzeln bis ins treffen, die in diesem Dienst arbeiten oder sich 15. Jahrhundert zurückreichen – in Folge des darauf vorbereiten, wie beispielsweise die Aus- wachsenden Bedürfnisses der Päpste, für einen wahl, die Grundausbildung der Kandidaten (in regelmäßigen, zügigen und geheimen diplomati- Verbindung mit der Päpstlichen Diplomatenaka- schen Briefwechsel zu sorgen –, nahm es dann demie) sowie die ständige Weiterbildung, die Le- vollständig Gestalt an zur Zeit des Konzils von Tri- bensbedingungen, die Beförderungen und die ent (1545-1563), als es de facto die Leitung der po- Genehmigung von Urlaubsersuchen. litischen Fragen des Päpstlichen Staates über- Schließlich gibt es, um die Hierarchie der Vor- nahm. gesetzten zu vervollständigen, noch die Figur des Seine aktuelle Struktur ist eine Folge der histo- Protokollchefs, eines Prälaten, der jene Abteilung rischen Ereignisse, die zum Abschluss jenes Kon- leitet, die den Auftrag hat, sich um die Beziehun- zils und später zum II. Vatikanischen Konzil führ- gen zum beim Heiligen Stuhl akkreditierten Di- ten, nach dem Paul VI. und Johannes Paul II. plomatischen Korps, um die das placet zu neuen ihm – mit ihren jeweiligen Apostolischen Schrei- Botschaftern betreffenden Prozeduren, die Vor- ben Regimini Ecclesiae Universae (August 1967) Mitarbeiterinnen des Staatssekretariats bei der Arbeit. lage der Akkreditierungsschreiben und die Ersu- und Pastor bonus (Juni 1988) – ein neues Erschei- che, vom Papst empfangen zu werden, zu küm- nungsbild verliehen, bis hin zur aktuellen Struk- sor, zur Seite steht – ist mit der Bearbeitung von wählt, Francesca di Giovanni: eine Maßnahme, mern. tur, die der im November 2017 gefällten Entschei- Fragen beschäftigt, die den täglichen Dienst des die bisher einmalig in der Geschichte war. Diese Unter den die Aktivitäten des Staatssekreta- dung von Papst Franziskus zu verdanken ist, die Papstes bei seiner Fürsorge für die Kirche und in Sektion hat die Aufgabe, sich mit Fragen ausein- riats betreffenden normativen Maßnahmen von Abteilung des Delegierten für die Päpstlichen Ver- den Beziehungen mit den Dikasterien der Römi- anderzusetzen, die – über die Nuntiaturen und Papst Franziskus sei besonders an das jüngst er- tretungen aufzuwerten und in eine autonome schen Kurie betreffen. Sie verfasst die Doku- die Apostolischen Delegationen – mit weltlichen gangene Apostolische Schreiben in Form eines Sektion zu verwandeln. mente, die ihr vom Papst aufgetragen werden Regierungen verhandelt werden müssen, das »Motu Proprio« über die Sparmaßnahmen, die An der Spitze des Staatssekretariats steht ein und kümmert sich um die Veröffentlichung der heißt die Pflege der diplomatischen Beziehungen, das Personal des Heiligen Stuhls, des Governato- Kardinal, der den Titel Staatssekretär trägt, der de Acta Apostolicae Sedis und des Annuario Pontifi- inklusive des Abschlusses von Konkordaten oder rats des Staates der Vatikanstadt und anderer, da- facto der erste Mitarbeiter des Bischofs von Rom cio. Abkommen, und die Vertretung bei internationa- mit verbundener Einrichtungen betreffen erin- bei der Leitung der Weltkirche ist und als der Auch die Zweite Sektion wird von einem Erz- len Organisationen, internationalen Tagungen nert, mit dem seit dem 1. Januar dieses Jahres die höchste Repräsentant der diplomatischen und po- bischof geleitet, der von einem Prälaten unter- und Kongressen zu Fragen öffentlichen Interes- Vermögensverwaltung finanzieller Anlagen und litischen Aktivität des Heiligen Stuhles betrachtet stützt wird, dem Sekretär beziehungsweise dem ses. Unter besonderen Umständen befasst sie des Immobilienbesitzes im Besitz des Dikasteri- werden kann. Untersekretär. Aber im Januar 2020 hat Papst sich im Auftrag des Papstes und nach Konsultie- ums inklusive des Peterspfennigs auf die Güter- Die Erste Sektion – die von einem Erzbischof Franziskus beschlossen, ihm noch einen Unterse- rung der zuständigen Dikasterien der Kurie mit verwaltung des Heiligen Stuhls (APSA) übertra- geleitet wird, dem Substituten für die Allgemei- kretär für den multilateralen Sektor hinzuzugesel- der Besetzung der Teilkirchen und ihrer Errich- gen wurde. nen Angelegenheiten, dem ein Prälat, der Asses- len, und hat für diese Aufgabe eine Frau ausge- tung oder Veränderung. (Orig. ital. in O.R. 12.4.2021) 7. Mai 2021 / Nummer 18 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 9

Dikasterien der Römischen Kurie – das Staatssekretariat

Fortsetzung von Seite 8 Der Auftrag der päpstlichen Diplomatie lautet, die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den Ortskirchen zu stärken und die Entwick- ten Leitung ihres Sekretärs, dem zwei Unterse- lung freundschaftlicher Beziehungen zwischen kretäre zur Seite stehen (einer für den bilateralen, dem Heiligen Stuhl und den Staaten im Interesse der andere für den multilateralen Sektor); und der des Gemeinwohls zu fördern. Diese Aufgabe Sektion für das diplomatische Personal des Heili- stützt sich heute auf ein Netzwerk von 128 Apos- gen Stuhles, die vom Sekretär für die Päpstlichen tolischen Nuntiaturen für die 174 Länder, die di- Vertretungen geleitet wird, dem ein Unterse- plomatische Beziehungen zum Heiligen Stuhl kretär beisteht. Der gemeinsame Nenner ist der pflegen, 12 Apostolische Delegationen bei den Kardinalstaatssekretär, der dem gesamten Staats- Ortskirchen und 17 internationale Organisatio- sekretariat vorsteht. nen. Die ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben für das Jahr 2020 beliefen sich insge- Der Papst hat zum allerersten Mal einer Frau samt auf circa 23,8 Millionen Euro, von denen eine Leitungsaufgabe im Sekretariat übertragen, 20,1 Millionen ordentliche und 3.7 Millionen indem er Francesca Di Giovanni zum Unterse- außerordentliche Ausgaben waren: der größte kretär der Sektion für die Beziehungen mit den Aufwand betraf die Bauarbeiten der neuen Ver- Staaten ernannt und ihr die Aufgabe übertragen tretung in Osttimor. Und wenn die das Jahr 2020 hat, sich um den multilateralen Sektor zu küm- betreffenden Kosten bestätigt werden sollten, mern. Wie viele Laien, und vor allem: wie viele dann hätten wir eine Kostenreduzierung von Frauen arbeiten insgesamt da? Wie kann man circa 3,8 Millionen im Vergleich zu 2019. ihren Beitrag zur Errichtung eines Systems fried- licher und brüderlicher Beziehungen zwischen Blick auf die Kuppel des Petersdoms Der Anfang 2020 durch die Pandemie verur- den Völkern stärker aufwerten? sachte Notstand mit seinen dramatischen des Friedens und des Dialogs zu fördern, indem les für die Fragen ab, die auf der Tagesordnung der menschlichen, sozialen und wirtschaftlichen Die Entscheidung von Papst Franziskus, Dot- sie die Aufmerksamkeit auf deren unterschiedli- internationalen Gemeinschaft stehen, angefan- Auswirkungen erfordert »eine neue Vorstellung toressa Di Giovanni zum Untersekretär des mul- che Deklinationen lenkt: Solidarität, Gerechtig- gen beim Engagement für die Migranten, die des Möglichen«, wie Papst Franziskus es formu- tilateralen Sektors zu ernennen, stellt unzweifel- keit, Abrüstung, Nachhaltigkeit, Bewahrung der Flüchtlinge und die Binnenvertriebenen. Die liert hat, um eine andere Welt zu errichten. Wel- haft eine Anerkennung der Rolle der Frau dar, Schöpfung. Mit welchen Ergebnissen? Stimme von Papst Franziskus stellt einen eindeu- ches sind heute die dringendsten Herausforde- und zwar keineswegs nur innerhalb des Staatsse- tigen Bezugspunkt dar und hat eine bemerkens- rungen, denen man sich stellen muss, und welche kretariats, sondern auch im Hinblick auf den Auf- Der Heilige Stuhl ist ausgesprochen aktiv im werte Auswirkung auf zahlreiche Fragen, so Rolle kann das Staatssekretariat in dieser Hin- trag der Kirche an sich. Papst Franziskus hat die Bereich der internationalen Gemeinschaft, inso- beispielsweise als Beitrag dazu, den globalen Pakt sicht spielen? Frau als »Friedensbringerin und -vermittlerin« be- fern er in gewisser Hinsicht die »Stimme des Ge- zur Migration und zu den Flüchtlingen zustande zeichnet, und die multilaterale Diplomatie, die wissens« darstellt, die die Gesprächspartner dazu zu bringen. Analog dazu hat auch die Enzyklika Der Gesundheitsnotstand, den wir derzeit er- heutzutage leider von mehreren Seiten in Frage einlädt und ermutigt, die gemeinsamen Heraus- Laudato si’, in der der Heilige Vater Problemati- leben, unterstreicht noch zusätzlich die allge- gestellt wird, erfordert gerade diese Qualitäten, forderungen im Geist der Solidarität anzugehen. ken behandelt, die unser gemeinsames Haus meine Schwäche des menschlichen Lebens und um die Konflikte beizulegen und gemeinsame Lö- Sein Ansatz ist also im Wesentlichen moralischer betreffen, wobei er sich nicht nur auf die techni- die Grenzen der vorgeblichen Selbstgenügsam- sungen für die Probleme zu suchen, welche die Art und bemüht sich auf internationalem Gebiet schen oder wissenschaftlichen Aspekte be- keit des modernen Menschen. Die Krise stellt ganze Menschheit betreffen. Übrigens schaut darum, die freundschaftlichen Beziehungen un- schränkt, in der internationalen Gemeinschaft also eine Gelegenheit zu einem neuen Ansatz Dottoressa Di Giovanni auf eine lange Erfahrung ter den Völkern und Nationen zu erleichtern und ein weites Echo gefunden, beziehungsweise in dar, »eine Chance, um eine geschwisterlichere auf diesem Gebiet zurück, auf dem sie bereits seit zu pflegen. Unter den derzeitigen Umständen jüngerer Zeit die Enzyklika Fratelli tutti über die und mitfühlendere Gesellschaft hervorzubrin- 27 Jahren arbeitet. besteht mehr denn je Bedarf an einer klaren Geschwisterlichkeit und die soziale Freund- gen« (Videobotschaft an die Generalversamm- Insgesamt setzt sich das Personal des Staatsse- Stimme, welche die Nationen dazu anregt, die schaft. Seitens der internationalen Gemeinschaft lung der Vereinten Nationen, 25. September kretariats aus Personen unterschiedlicher Natio- Fehler und die Gräuel vergangener Konflikte kam auch Wertschätzung für die Gründung der 2020), die ein gemeinsames Vorgehen erfordert, nalität und Herkunft zusammen, aus Laien, Pries - ebenso wenig zu vergessen wie jene, die leider COVID-19-Kommission des Vatikans, die in der denn der Papst erinnert daran, dass »niemand tern und Ordensleuten, die mit Hingabe und aktuell ausgetragen werden. Die Lehre von Papst Absicht entstanden ist, Lösungen zu finden, um sich allein rettet« (Urbi et Orbi, 27. März 2020). aufopferungsvoll ihrer Arbeit nachgehen. In den Franziskus, die auf der Soziallehre der Kirche aus der pandemiebedingten sanitären und sozia- Das erfordert weltweite Antworten in vielen Be- drei Sektionen arbeiten insgesamt, mit unter- fußt, legt besonderen Nachdruck auf die Einheit len Krise herauszukommen. Und zu guter Letzt reichen, angefangen bei der dringenden Erforder- schiedlichen Aufgaben, 103 Laien, von denen 55 der Menschheitsfamilie, und folglich auf die Not- führe ich noch das Engagement für den Frieden nis, die öffentliche Gesundheit zu fördern und Frauen sind, und 25 Ordensfrauen aus aller Her- wendigkeit, dass die internationale Gemeinschaft und die Beilegung der Konflikte an, wie auch die das Recht eines jeden Menschen auf medizini- ren Länder. Eine so bunte Zusammensetzung des den Herausforderungen in konzertierter und Bemühungen, die Abrüstung zu begünstigen, vor sche Grundversorgung zu verwirklichen, auch Personals, wo jeder gehalten ist, seinen Beitrag multilateraler Art und Weise entgegentritt. allem die nukleare Abrüstung. Andererseits ist durch einen allen zustehenden Zugang zu den zu leisten, stellt im Dienst des Heiligen Vaters und Der Ansatz des Heiligen Stuhles kann nicht nur dann ein wahrer Friede möglich, und kein Impfstoffen, sowie die Erfordernis, neue Formen des Auftrags der Kirche mit Sicherheit einen von einer Sicht des Menschen als Bild und durch Angst und nukleare Abschreckung garan- der Arbeit zu finden, die wirklich imstande sind, großen Reichtum dar. Und die Tatsache an sich, Gleichnis Gottes absehen, dessen »Wert« in sei- tierter Nicht-Kriegszustand, wenn die gesell- das menschliche Potential auszuschöpfen und zu- dass Menschen mit unterschiedlicher Ge- ner transzendenten Würde besteht. Und gerade schaftliche und internationale Ordnung auf Recht gleich die Würde eines jeden Menschen anzuer- schichte, Kultur und Empfindlichkeit zusammen- im Lichte der Achtung der menschlichen Person, und Gerechtigkeit gründet. kennen. arbeiten können, stellt ein beredtes Zeugnis für ihrer ganzheitlichen Entwicklung und ihrer uni- In diesem Sinne besteht die Rolle des Staatsse- die Möglichkeit dar, dass unter allen Völkern ge- versalen und grundlegenden Rechte hält es der Was sind die Kosten des internationalen Netz- kretariats darin, die internationale Gemeinschaft schwisterliche und friedliche Beziehungen her- Heilige Stuhl für eine moralische Pflicht, die inter- werks, auf dem die päpstliche Diplomatie beruht? und die einzelnen politischen Akteure auch wei- gestellt werden können. nationale Gemeinschaft bei ihren Friedens- Und was für Instrumente gibt es, um zu garantie- terhin unermüdlich an die Erfordernisse des Ge- bemühungen zu unterstützen, indem sie den Dia- ren, dass die Wirtschaftsbilanz mit der »Bilanz« meinwohls und den Respekt für die menschliche Auf dem Gebiet der internationalen Gemein- log und die Geschwisterlichkeit fördert. des Auftrags übereinstimmt, den Sie im Dienst Person zu erinnern. schaft und Organisationen setzt sich die Diplo- Aus diesen Prinzipien leitet sich das konkrete des Papstes ausführen? Könnten Sie uns Beispiele matie des Heiligen Stuhles dafür ein, die Kultur Engagement des Papstes und des Heiligen Stuh- und Zahlen anführen? (Orig. ital. in O.R. 12.4.2021)

Die Büroräume des Staatssekretariats befinden sich im Apostolischen Palast. Ein Schweizergardist versieht seinen Dienst in der Terza Loggia. 7. Mai 2021 / Nummer 18 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 10 Aus dem Vatikan

Das Erbe der ökumenischen Bestrebungen von Johannes Paul II. und die Enzyklika Ut unum sint Ein Werkzeug des Glaubens auf dem Weg zur Einheit

Von Andrzej Choromanski, mus geschrieben wurde, und sie ist bis heute die Beamter der für die Kontakte mit den einzige. Um ihre Auswirkungen auf die moderne Konfessionen der Westkirche zuständigen ökumenische Bewegung in ganzem Umfang zu Sektion des Päpstlichen Rates zur Förderung verstehen, ist es wichtig, sie in den kirchlichen der Einheit der Christen Kontext ihrer Zeit hineinzustellen. In den Neun- zigerjahren war die Überzeugung weit verbreitet, dass die ökumenische Bewegung ins Stocken ge- Um den besonderen ökumenischen Ansatz raten sei, ohne dass es ihr gelänge, die erwarteten Johannes Pauls II. und seinen außerordentli- Ergebnisse zu erreichen. Trotz der gefestigten Be- chen Beitrag zum Anliegen der Einheit der ziehungen zwischen den christlichen Religions- Christen zu verstehen, von dem die Enzyklika führern und einer wachsenden Zusammenarbeit Ut unum sint ein wesentlicher Teil ist, ist es zwischen den Kirchen im Bereich der Förderung grundlegend, seine Person und seinen Dienst der sozialen Gerechtigkeit, der Menschenrechte als Bischof von Rom im Licht des Zweiten Vati- und der Bewahrung der Schöpfung und manch- kanischen Konzils zu betrachten. mal auch in der Mission und in der Evangelisie- rung, blieben die Christen weiterhin gespalten und enttäuscht bezüglich der Hoffnung auf eine Der heilige Johannes Paul II. als unmittelbar bevorstehende Einheit. »Sohn« des Zweiten Vatikanums Trotz der zahlreichen theologischen Ge- spräche, die im Gange waren, gab es weiterhin In seiner kirchlichen Sensibilität, in seinem Meinungsverschiedenheiten über traditionelle theologischen Denken und in seinem pastoralen Lehrfragen und neue ethische Probleme, die zum Wirken war Johannes Paul II. voll und ganz ein Am 8. November 1999 traf Johanes Paul II. in Tiflis mit dem Katholikos-Patriarchen von ganz Geor- Vorschein kamen, wodurch tiefe Diskrepanzen »Sohn des Konzils«. Er war unmittelbar an den gien, Ilia II., zu einer brüderlichen Begegnung zusammen. Mit Blick auf Christus, den Friedensfürsten, zwischen den verschiedenen Traditionen im Be- Arbeiten beteiligt und kam zu der festen Über- richteten sie einen dringenden Friedensappell an die Welt. reich der Anthropologie und der Moral zutage tra- zeugung, dass das Konzil, unter der Führung des ten. Durch umstrittene pastorale Praktiken wa- Heiligen Geistes, der Kirche von der Vorsehung lika das Dekret über den Ökumenismus Unitatis dere Auslegung dieser Einheit. Die bedeutendste ren neue Spannungen und sogar Spaltungen geschenkt worden war – in einem Augenblick, in redintegratio mit einer überwältigenden Mehr- Veränderung für die ökumenische Bewegung ist nicht nur zwischen den Kirchen, sondern auch dem sie nach den Gräueln der beiden Weltkriege heit von 2.137 Stimmen an, bei gerade einmal 11 die offizielle Anerkennung, dass die Kirche Jesu innerhalb der Kirchen aufgetreten. Viele Öku- neue Kräfte und eine neue Richtung suchte, vor Gegenstimmen. Unter denen, die für das Doku- Christi auf Erden eine Wirklichkeit ist, die über meniker, die sich an die raschen ökumenischen allem auf dem Weg, der zur Schwelle des neuen ment gestimmt hatten, war der 44-jährige Erzbi- die sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche Fortschritte in den ersten beiden Jahrzehnten Jahrtausends führte: einer »Schwelle der Hoff- schof von Krakau, Karol Wojtyla, der nur wenige hinausgeht und viele ihrer Elemente sich auch in nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil erinner- nung«, wie der Papst selbst sie in seinem 1994 Monate zuvor feierlich in die Erzkathedrale am anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaf- ten, beklagten jetzt die Verlangsamung, und viele veröffentlichten Buch Die Schwelle der Hoffnung Wawel, dem historischen Hügel der ersten Haupt- ten finden (vgl. Lumen gentium, 8 und Unitatis kirchliche Verantwortungsträger drückten sich überschreiten bezeichnete. Sein Dienst als Bi- stadt von Polen, eingezogen war. Mit dem Konzil redintegratio, 3). Diese neue ekklesiologische Per- negativ über die Möglichkeit oder sogar die Not- schof von Rom, der 27 Jahre dauerte, war vom und dem Dekret trat die katholische Kirche un- spektive hat zu einer tiefgreifenden Veränderung wendigkeit aus, die Einheit der Christen wieder- Geist des Konzils geleitet und auf die Umsetzung widerruflich und unumkehrbar in die moderne in der Wahrnehmung der anderen Christen von herzustellen. In einem 1992 gehaltenen Vortrag der Lehren des Konzils im Leben der Kirche aus- ökumenische Bewegung ein. Seiten der katholischen Kirche geführt. Sie, die sprach Emilio Castro, der damalige Generalse- gerichtet. In seiner Ansprache anlässlich der Promulga- jahrhundertelang als »Schismatiker« oder »Häre- kretär des Ökumenischen Rates der Kirchen Das Konzil war ein Wendepunkt, der die Be- tion des Dekrets sagte Papst Paul VI., dass es die tiker« bezeichnet worden waren, wurden jetzt (ÖRK), von einem »ökumenischen Winter«, der ziehungen der katholischen Kirche zu den ande- Dogmatische Konstitution Lumen gentium über »getrennte Brüder« genannt: »getrennt«, aber auf den »ökumenischen Frühling« gefolgt sei, der ren Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften die Kirche erläutere und ergänze. Das Dokument dennoch stets »Brüder«. Wie Johannes Paul II. die ersten Jahrzehnte nach dem Konzil geprägt tiefgreifend verändert hat. Dieser epochale Wan- bekräftigt, dass die Einheit ein fester Bestandteil später in seiner Enzyklika sagte, war die erste habe. del war möglich dank der Promulgation des ers - des Wesens der Kirche ist und immer als ein we- und wichtigste Frucht der ökumenischen Bewe- ten Konzilsdokuments in der Geschichte der ka- sentlicher Aspekt des Lebens der Kirche betrach- gung die »wiederentdeckte Brüderlichkeit« unter Schwierige Augenblicke tholischen Kirche, das den Ökumenismus tet werden muss. Dennoch bietet die Konstitu- Christen und christlichen Gemeinschaften (vgl. für die Ökumene unterstützte und förderte. Am 21. November tion im Gegensatz zu dem, was vorher vom Ut unum sint, 41 und 51). Das hat den Weg geöff- 1964 nahmen die Konzilsväter in der Petersbasi- katholischen Lehramt vertreten wurde, eine an- net für zahlreiche Begegnungen, gegenseitige Be- Für diese Situation wurde manchmal, zumin- suche, theologische Gespräche und konkrete For- dest teilweise, Johannes Paul II. verantwortlich men der Zusammenarbeit. gemacht. Zu Beginn der Neunzigerjahre wurde Die Lehren des Zweiten Vatikanischen Kon- der Papst beschuldigt, eine neue Krise in den Be- zils haben den gesamten Dienst von Papst Johan- ziehungen zwischen der katholischen Kirche nes Paul II. inspiriert. Während seines Pontifikats und den orthodoxen Kirchen in den postkommu- hat er die aktive Beteiligung der katholischen Kir- nistischen Ländern Osteuropas – die sich der Er- che an ökumenischen Initiativen verschiedener richtung katholischer Diözesen in dem, was sie Art nachdrücklich unterstützt und gefördert. Für als »kanonische Territorien« bezeichneten, wider- ihn war der Ökumenismus nicht einfach nur ei- setzt hatten – hervorgerufen zu haben. Einige nes der vielen Programme der Kirche oder eine Führungspersönlichkeiten der ökumenischen Art »Anhang« zur traditionellen Tätigkeit der Kir- Bewegung ebenso wie katholische und auch che, sondern stellte einen wesentlichen und un- nichtkatholische Theologen kritisierten Johannes verzichtbaren Bestandteil des Lebens und des Paul II. dafür, dass er eine konservative Haltung Wirkens der Kirche dar, der alles durchdringen bezüglich der christlichen Ethik angenommen muss, was sie macht, wie aus einem der Ab- hatte. Dies wurde als Hindernis für den Dialog schnitte der Enzyklika hervorgeht: »Der öku- mit den Kirchen des Westens betrachtet, von de- menische Weg, der Weg der Kirche«. Die öku- nen die meisten einem liberaleren Ansatz folg- menische Option wurde in die wichtigsten ten. Auch in der katholischen Kirche, vor allem Dokumente seines Pontifikats aufgenommen, das unter dem Klerus, zeichnete sich eine zuneh- heißt in den Katechismus der Katholischen Kir- mende Polarisierung gegenüber den ökumeni- che (vgl. § 813-822), den Codex des kanonischen schen Bestrebungen ab. Rechtes für die lateinischen Katholiken (vgl. Can. Viele Bischöfe begannen, das Interesse am 755 §2) und das Gesetzbuch der Katholischen Ökumenismus zu verlieren und meinten, dass er Ostkirchen (vgl. Can. 902-908). Und sie hat kon- sich als unwirksam erwiesen habe, sein Ziel zu kreten Ausdruck auch in den ökumenischen Be- erreichen, und dass das weltweite Christentum gegnungen gefunden, die der Papst auf seinen einen beschleunigten Spaltungsprozess erfahre. zahlreichen Pastoralreisen in verschiedene Län- Dieser Prozess war in erster Linie der raschen der der Welt hatte, ebenso wie in den Begegnun- Ausbreitung der evangelikalen Bewegungen und gen mit den kirchlichen Verantwortungsträgern der Pfingstbewegungen geschuldet, denen oft fast aller christlichen Konfessionen. vorgeworfen wurde, einen sogenannten »Schaf- diebstahl« zum Schaden der historischen Kir- Die evangelisch-lutherische Christuskirche in Rom entstand auf dem Gelände der ehemaligen Villa Lu- Die Enzyklika »Ut unum sint« chen, einschließlich der katholischen Kirche, zu dovisi (im Altertum befanden sich hier die Horti Sallustiani). Kaiser Wilhelm II. betraute seinen bevor- im Kontext ihrer Zeit praktizieren. Andere widersetzten sich auch wei- zugten Architekten Franz Schwechten, der die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin gebaut terhin der ökumenischen Option des Konzils und hatte, mit dem Projekt. Lutherstädte Mitteldeutschlands spendeten Baumaterial für die Ausgestaltung 30 Jahre nach dem Konzil, am 25. Mai 1995, sagten, sie stehe im Gegensatz zum katholischen der neuen Kirche. Der Turm erhielt eine Kopie des Geläuts der Schloßkirche von Wittenberg. Nach Ver- hat Johannes Paul II. Ut unum sint veröffentlicht, Glauben. Sie hielten das Konzil für den Grund des zögerungen durch den Ersten Weltkrieg konnte die neue Christuskirche 1922 eingeweiht werden. Die seine Enzyklika über die ökumenischen Bestre- fortschreitenden Verfalls der Kirche, der gezeich- schlichte Fassade aus Travertin ist mit Lesenen verziert und hat drei Nischen, von denen jede eine Sta- bungen. Es war die erste Enzyklika überhaupt, tue enthält, von links nach rechts: Petrus, Christus und Paulus. die von einem Papst zum Thema des Ökumenis- Fortsetzung auf Seite 11 7. Mai 2021 / Nummer 18 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Religionen im Dialog 11

In Syrien betrat ein Papst vor 20 Jahren erstmals eine Moschee Gemeinsamer Einsatz für das Wohl der Menschheit

um Jubiläumsjahr 2000 wollte der vielge- »Frontstaat« gegen Israel war für ihn die Politik raum einer Moschee am 6. Mai 2001. Zreiste Papst Johannes Paul II. als Pilger den omnipräsent und unausweichlich. In der Omajaden-Moschee in der Alt- Spuren der Bibel folgen: Vom Moses-Berg Sinai Es begann mit der offiziellen Begrüßungsze- stadt von Damaskus – unweit der Brei- über die Jesus-Stätten im Heiligen Land bis nach remonie, als der junge, damals noch als Reformer ten Straße, wo sich Paulus taufen ließ Damaskus, wo der Christen-Hasser Saulus be- geltende Präsident Baschar al-Assad die Gewalt – rief er Christen und Muslime zu ge- kehrt und zum Völkerapostel Paulus wurde. Es von Israelis gegen Palästinenser mit dem Verrat genseitigem Respekt und Toleranz auf. sollten weder Staatsbesuche noch Pastoralreisen an Jesus Christus verglich. Der Vatikansprecher Dialog und nicht Konflikt sollte das sein. Aber gerade die Pilgerfahrten eröffneten distanzierte sich. Umgekehrt wurde die Forde- Verhältnis zwischen den beiden Reli- dem Pontifex vor 20 Jahren Zugänge, die ihm in rung des Papstes nach Einhaltung des Völker- gionen bestimmen. Niemals dürfe Re- der verminten politischen Region anders nicht rechts im Nahen Osten als Kritik an Israel gedeu- ligion Hass und Gewalt fördern oder möglich waren. tet – was der Sprecher offen ließ. rechtfertigen. Nach Stationen in Ägypten (Februar 2000) so- Ein Höhepunkt der Reise war der Besuch an Der als dialogoffen geltende syri- wie Jordanien, Israel und dem Westjordanland einer der heißesten Grenzen der Erde, auf den sche Groß-Mufti Ahmad Kuftari, da- (März 2000) reiste Johannes Paul II. auf den Spu- Golan-Höhen. In den Trümmern der orthodoxen mals 85, begrüßte seinen Gast freund- ren des heiligen Paulus vom 5. bis 9. Mai 2001 Kirche der Geisterstadt Quneitra, die Israel vor lich. Unterstützt von seinem Sekretär zunächst nach Griechenland und dann weiter der Rückgabe an Syrien weitgehend gesprengt zog der Papst die Schuhe aus. Zusam- nach Syrien und Malta. Insbesondere in Damas- hatte, sprach der Papst ein Friedensgebet. Er seg- men mit dem Scheich – beide auf kus konnte sich der Pilger aus Rom – wie zuvor nete auch einen Olivenbaum für den »Quneitra- ihren Stock gestützt – betrat er den Ge- in Kairo, Amman, Tel Aviv, Jerusalem und Bethle- Freundschaftsgarten«. betsraum, der an der Stelle der 706 ab- hem – nicht auf eine meditative Mission be- »Historisch« wurde die 93. Auslandsreise gerissenen Johannes-Basilika errichtet schränken. Im einzig verbliebenen arabischen durch den ersten Besuch eines Papstes im Innen- worden war. Ziel war das Monument für Johannes den Täufer. Unter einem kleinen Kuppelbau wird die Kopfreli- Das Monument für Johannes den Täufer in der Moschee: quie des Mannes verehrt, der für Unter einem kleinen Kuppelbau wird die Kopfreliquie des Christen als Vorläufer Jesu gilt und den Vorläufers Jesu verehrt. Die Muslime halten ihn als Prophe- die Muslime als Propheten »Yahya, den ten »Yahya, den Sohn des Zacharias« in Ehren. Sohn des Zacharias« in Ehren halten. Der Papst trat nahe an den Grabbau mit dem standen ökumenische Gebetstreffen und Gottes- großen Steinsarkophag heran und verweilte dienste auf dem Programm. Die syrischen Chris- mehrere Minuten lang tiefgebeugt. ten, zwölf Prozent der Bevölkerung, genossen da- Im prächtigen Vorhof, unter der gold-grünen mals mehr gesellschaftlichen Freiraum als in Fassade mit einer Paradiesdarstellung, rief Johan- anderen Staaten der Region, galten als stabilisie- nes Paul II. Christen und Muslime zum gemein- rendes Element – und begrüßten den Gast be - samen Einsatz für das Wohl der Menschheit auf. geistert. Sie sollten sich als Partner begreifen. Er erinnerte Zuvor hatte der Papst bereits in Athen Station an Erfolge im interreligiösen Dialog, etwa den gemacht, wo Paulus auf dem Areopag seine be- Austausch mit der Kairoer Al-Azhar-Universität. kannteste, aber wenig erfolgreiche Rede hielt. Aber das christlich-islamische Gespräch dürfe Die erste Begegnung mit der griechischen Ortho- sich nicht auf wenige Intellektuelle beschränken. doxie erwies sich mittelfristig als ökumenischer Hinzukommen müsse der »Dialog des Lebens«, Durchbruch. Letzte Etappe der Reise war Malta, das friedliche und freundliche Zusammenleben wo der römische Bürger Paulus auf dem Weg der Angehörigen beider Religionen, so der Papst. nach Rom Schiffbruch erlitt und einen Winter Eigentlicher Anlass der Reise war freilich das verbrachte – bevor er sich in der Hauptstadt des Pilgern auf den Spuren der jungen Kirche. In Da- Imperiums seinem Prozess stellte und den Mär- Am 6. Mai 2001: Der erste Besuch eines Papstes im Innenraum einer Moschee. Der damalige syrische maskus besuchte der Papst Kirchen und Kapel- tyrertod erlitt. Groß-Mufti Ahmad Kuftari begrüßt Johannes Paul II. freundlich. len, die an den Apostel Paulus erinnern. Zudem Johannes Schidelko

Das Erbe der ökumenischen Bestrebungen von Johannes Paul II. und die Enzyklika Ut unum sint

Fortsetzung von Seite 10 das innere Leben der Kirche bedürfe es der Ein- Verfasst in einem respektvollen Ton, mit genblick, in dem verschiedene Faktoren die heit für die Glaubwürdigkeit und die Wirksam- einfühlsamer Haltung gegenüber den anderen Christen vom Streben nach der sichtbaren Ein- keit ihrer Sendung in der Welt. Nur wenn sie kirchlichen Traditionen, lehnt die Enzyklika Ut heit abgelenkt haben und in dem viele Fragen net war vom Rückgang der Berufungen zum wirklich vereint sei, könne die Kirche leuchten- unum sint den sogenannten »Rückkehr-Öku- gestellt wurden, wie denn der Zustand der öku- Priestertum und Ordensleben sowie von einem des Zeichen und wirksames Werkzeug der Liebe menismus« ab und fördert einen Ökumenismus menischen Bewegung aussehe. Diesen Appell beachtlichen Niedergang der religiösen Praxis Gottes zur ganzen Menschheit sein. Ut unum der Umkehr, des Gebets, des Dialogs, der kon- richtete der Papst in erster Linie an die katholi- unter den Gläubigen in vielen Teilen der Welt, be- sint bekräftigt die grundlegenden Überzeugun- kreten Zusammenarbeit, des gemeinsamen schen Gläubigen und dann an alle Christen, sonders in der nördlichen Hemisphäre. gen des Zweiten Vatikanischen Konzils bezüg- Dienstes an der Welt, des gegenseitigen Lernens damit man nicht der Mutlosigkeit anheimfällt, In diesem geschichtlichen Kontext waren lich der katholischen Beteiligung an der öku- und des Austauschs von Gaben zwischen den sondern damit vielmehr die gemeinsamen An- viele erstaunt über die Veröffentlichung einer menischen Bewegung. Durch die Veröffent- christlichen Traditionen. Die Enzyklika stellt strengungen auf dem Weg zur vollen sichtbaren Enzyklika über den Ökumenismus, über ihren lichung dieses Dokuments wollte Papst Johan- eine wichtige Etappe auf dem Weg der fort- Einheit intensiviert werden sollten. Die Enzy- Ton und ihren Inhalt. Die Entscheidung Johan- nes Paul II. den katholischen Gläubigen und den währenden Rezeption der Konzilslehren dar. Sie klika ist beseelt von der Überzeugung, dass die nes Pauls II., sie in einem für die ökumenische ökumenischen Partnern noch einmal zusichern, geht weitere Schritte auf dem in der Vergangen- Kirchen nur dann, wenn sie gemeinsam auf die- Bewegung schwierigen Augenblick zu veröf- dass die vom Konzil unterstützte ökumenische heit eingeschlagenen ökumenischen Weg, und ses Ziel zugehen, in der Gemeinschaft des Glau- fentlichen, war seiner festen Überzeugung ge- Option unwiderruflich ist und dass der öku- zwar auf der Grundlage dessen, was bereits ver- bens, im sakramentalen Leben, im Zeugnis und schuldet, dass das Streben nach der Einheit der menische Weg der Weg der Kirche im dritten wirklicht worden ist. im gemeinsamen Dienst an der Welt sowie im Christen fortgesetzt werden müsse, um auf das Jahrtausend bleibt. gegenseitig anerkannten Amt und in den ge- Gebet des Herrn zu antworten: »Alle sollen ein Die Enzyklika, die aus den Konzilsdokumen- Ein ökumenischer Impuls meinsamen kirchlichen Strukturen wachsen sein« (Joh 17,21). Der Text war ein Aufruf, sich ten und dem nachkonziliaren Lehramt schöpft, für das 21. Jahrhundert können. nicht entmutigen zu lassen angesichts von Er- entfaltet mit größerem Nachdruck die Überzeu- 25 Jahre nach ihrer Veröffentlichung verdient gebnissen, die nicht den Erwartungen entspra- gungen und die grundlegenden Prinzipien, die Sowohl die Katholiken als auch die Christen es die Enzyklika Ut unum sint, erneut in Augen- chen, und am Beginn eines neuen Jahrtausends im Dekret über den Ökumenismus Unitatis anderer kirchlicher Traditionen stimmen im All- schein genommen zu werden im ökumenischen die ökumenische Pilgerreise gemeinsam fortzu- redintegratio dargelegt werden. Sie erkennt mit gemeinen überein, dass Ut unum sint ein grund- Dialog im Licht der Situation, die die weltweite setzen. Dankbarkeit die zahlreichen Früchte an, die be- legendes Dokument ist, das einen entscheiden- Christenheit gegenwärtig erlebt, gezeichnet vom reits geerntet wurden durch die bilateralen und den Beitrag zur modernen ökumenischen Wunsch nach Einheit einerseits und einer zu- Pastorale Priorität multilateralen Dialoge; diese sind »Samen«, die Bewegung geleistet hat. Kardinal Edward I. Cas- nehmenden Zersplitterung andererseits. Sie wird des Pontifikats in das Erdreich des Christentums gesät wurden sidy, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förde- von Kirchenoberhäuptern, Ökumenikern und für das Wachstum der Gemeinschaft. Außerdem rung der Einheit der Christen im Augenblick der Theologen immer noch gelesen und diskutiert In der Enzyklika Ut unum sint hebt Johannes legt sie einige wesentliche Fragen für die Zu- Veröffentlichung der Enzyklika, hat sie als einen und kann eine erstaunliche Inspirationsquelle für Paul II. hervor, dass die ökumenische Aufgabe kunft der ökumenischen Bewegung dar, insbe- der »Schlüsseltexte der ökumenischen Bewe- das Streben nach einer neuen Sicht der ökumeni- eine der »pastoralen Prioritäten« seines Pontifi- sondere die Notwendigkeit, gemeinsam neue gung des 20. Jahrhunderts« bezeichnet, der an schen Bewegung am Beginn des dritten Jahrtau- kats sei, da die fehlende Einheit ein »schweres Formen der Ausübung des Petrusamtes zu fin- alle Kirchen appellieren kann. sends des Christentums sein. Hindernis« für die Verkündigung des Evangeli- den, die für alle Christen annehmbar sein kön- Sie hat ihnen geholfen, ihren ökumenischen ums sei (Ut unum sint, 99). Noch mehr als für nen. Eifer wiederzufinden in einem zeitlichen Au- (Orig. ital. in O.R. 22.1.2021) 7. Mai 2021 / Nummer 18 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 12 Marienmonat Mai im Vatikan