Albrecht von Kemenaten und seine literarische Identitat

TATSUO TERADA

1. Fragestellung

Albrecht von Kemenaten gibt im , dem ersten der uns uber

liefertenaventiurehaften Dietrichepen, seinen Namen an:

von Kemenaten Albreht/der tihte ditze moere,/(...)

(2, 2f.)1)

Diese Namensnennung des Dichters stellt eine groBe Ausnahme in der

gesamten Uberlieferung der Heldenepik des deutschen Mittelalters dar.2) Die ansonsten herrschende Anonymitat scheint ihn nicht davon abgehalten

zu haben, sich selbst zu nennen. Von der Tendenz her ist dieser Akt zwar

•e kein wesentliches Gegengewicht gegen die riesige Masse anonymer Hel

denepik•f3),aber der Dichter hatte sicher eine individuelle Begrundung fur

seine Selbstnennung. Helmut de Boor fuhrt zwei Grunde an, warum Al

brecht,der •eSchopfer des Bernertons•f, seinen Namen genannt haben konnte:

Er sah sich •eals [...] Schopfer eines neuen •gTones•h, den er als sein Ei

gentumbezeichnen wollte. Aber daruber hinaus fuhlte er sich als der Schop-

1) . In: Deutsches . 5. Tl. Hrsg. von Julius Zupitza. Berlin 1870. S. 202-204. Die einzige Handschrift aus dem 14. Jahrhundert uberliefert kaum mehr als die ersten 9 13-zeiligen Strophen und berichtet Dietrichs Begegnung mit einer Jung- frau an der Zwergenburg und seine Bitte um Auskunft uber sie. Der Text bricht in der

(ablehnenden?) Antwort des Zwergenkonigs Goldemar ab. 2) Hier sei abgesehen von Heinrich von Ofterdingen im und Wolfram von

Eschenbach im , die jeweils als Verfasser angegeben, aber vollig fiktiv sind und offenbar das Ansehen und den Handelswert der Texte steigern sollten. Heinrich der Vogler im gilt z.Z. lediglich als Autor eines kleinen Teils. Vgl. Heinzle, Joachim: Mittelhochdeutsche Dietrichepik. Munchen 1978. S. 95. Auf die alte These von Hermann Schneider, es handle sich bei Albrechts Nennung um eine spate Autorfiktion, (S., H.: Germanische Heldensage. I/I. Deutsche Heldensage. 2. erweiterte Aufl. Berlin 1962. S. 60) wird hier nicht mehr eingegangen.

3) Hofler, Otto: Die Anonymitat des Nibelungenliedes. In: Zur germanisch-deutschen Heldensage. Hrsg. von Karl Hauck. Darmstadt 1965. S. 330-392. Hier S. 363. 98 Tatsuo Terada fer eines neuen Stils im Bereich des heroischen Romans. Er wollte bewusst

ein hofischer Dichter sein, und er hat als ein solcher seinen Namen ge

nannt.•f4) Was hat ihn aber fur den Fall, dass de Boor recht hat, so selbstbe

wusstwerden lassen, als erster und namentlich ein aventiurehaftes Dietrich

eposzu verfassen, in dem er die Gestalt des in einem

Licht erscheinen lasst, das sich von dessen bisherigem Image unterscheidet?

War er sich zu seiner Zeit schon der Bipolaritat •ehofisch-heroisch•f bewusst

u nd wollte er somit ein hofischer Dichter sein? Um sich einer Antwort auf

diese Fragen zu nahern, scheint es hier zunachst ratsam, die Umrisse des

mittelalterlichen Literaturbetriebs nachzuzeichnen. Von zentraler Bedeutung

ist dabei einerseits die Frage, wie wir uns die Literarisierung mundlich

u berlieferter Stoffe, hier vor allem aus dem Sagenkreis um Dietrich von

Bern, vorzustellen haben und andererseits die Bedingungen, die einen

Dichter des Mittelalters dazu veranlasst haben konnten, seinen Namen anzu

geben.

2. Mundlichkeit und Schriftlichkeit

Im Mittelalter wurden in aller Welt Heldenlieder gesungen und die Stoffe

u nd Motive auch auf diese Weise tradiert. Zahlreiche Urkunden weisen

nach, wenn auch teilweise nur indirekt, wie beliebt diese Gattung einst war.

Aus dem deutschen Mittelalter wissen wir z.B., dass der Bamberger Bischof

Gunther sich im 11. Jahrhundert uber Lieder von den Heldentaten Diet

richsvon Bern amusierte und dass daruber ein Kleriker klagte. An den

grosseren Adelshofen bzw. in den Klostern, also uberall, wo illitterati und litterati zusammenlebten, bestanden auch in der Dichtung Mundlichkeit und

Schriftlichkeit nebeneinander. Im realen Literaturbetrieb gab es fliessende

Ubergange, d.h. verschiedene Mischformen zwischen diesen beiden Polen,

eine Erscheinung, die Hans Fromm als •esymbiotisch•f bezeichnete:5) Ein

schriftkundiger Mensch konnte nicht nur an der Buchliteratur teilhaben,

sondern sich auch als Zuhorer oder Sanger mundlicher Dichtung an einer

kurzewile beteiligen.

Gerade die Manner dieses Typs spielten bei der Geburt der neuen lite

rarischenGattungen eine grosse Rolle, als diese, ausgehend von Frankreich

4) de Boor, Helmut: Albrecht von Kemnaten. In: d.B., H.: Kleine Schriften I. Berlin 1964. S. 198-208. Hier S. 206.

5) Fromm, Hans: Der oder die Dichter des Nibelungenliedes? In: Colloquio italo

germanicosul tema: I Nibelunghi. Roma 1974. S. 63-74. Hier S. 66. Albrecht von Kemenaten und seine literarische Identitat 99 oder auf dem Umweg uber dieses Land, im deutschen Sprachraum durch zudringenbegannen. Sie ubersetzten etwa Vorlagen, die ihre Mazene sich von franzosischen Adligen geliehen hatten, in ihre Volkssprache und uber nahmenneue Genres wie den Minnesang. Die so entstandenen hofischen

Gattungen erweckten dann das Interesse des Publikums an der Episierung mundlichen Traditionsgutes. Die Adligen, die mit dieser Dichtung ver trautwaren, veranlassten oder motivierten die litterati auch dazu, das be reitsepisierte wiederum ihrem hofischen Geschmack an zupassen.(Man denke an die Fassung C* des .) Es ist aber bis heute nicht ganz geklart, welche Voraussetzungen ein Dichter er fullenmusste, um reale Chancen zu haben, einen solchen Auftrag zu er halten;schriftkundig zu sein, genugte sicher noch nicht.

3. Beauftragung durch die Mazene

Es darf davon ausgegangen werden, dass die Epiker meistens schrift kundigwaren; zahlreiche Belegstellen, die direkt oder indirekt den Beweis dafur liefern, sind bekannt. Veldekes lateinische Quellen, Hartmanns Stolz auf seine eigene Kunstfertigkeit und Gottfrieds Akrostichon setzen alle eine Schulbildung voraus; selbst der Dichter des , der typische Vertreter einer •esymbiotischen•f Mischkultur, lasst Vergil-Kennt nisseerkennen.6) Die Auffassungen uber Wolframs Bildungsstand gehen noch heute auseinander. Seine •eSelbstverteidigung•f verrat aber jedenfalls die herrschende Vorstellung zu seiner Zeit, dass die Epen in der Regel schrift lichentstanden:

ichne kan deheinen buochstap./da nement genuoge it urhap:/disiu aventiure/vert

ane der buoche stiure. ( 115, 27-30)7)

Die Frage, ob solche Manner ausschliesslich fur den Literaturbetrieb tatig waren, lasst sich nicht mehr beantworten. Aber viele von ihnen durften als clerici anzusehen sein, die sich in unterschiedlichem Ausmass in den artes liberales ausgebildet hatten und sich dann als Hofkleriker auch mit welt

- 6) Fechter, Werner: Lateinische Dichtkunst und deutsches Mittelalter. Berlin 1964. S. 107-139; Fromm, Hans: Das und seine literarische Umwelt. In: Poch larnerHeldenliedgesprach. Hrsg. von Klaus Zatloukal. Wien 1990. S. 3-19. Hier S. 7f.

7) Wolfram von Eschenbach. Parzival. Mhd./Nhd. Mhd. Text nach der Ausg. von Karl Lachmann, Ubersetzung und Nachwort von Wolfgang Spiewok. Bd. 1. Stuttgart 1981. 100 Tatsuo Terada

lichen Aufgaben beschaftigten.8>

Die oben genannten Autoren werden haufig in Literaturexkursen zitiert,

was zunachst den Eindruck erweckt, dass sie sich erst mit ihren Grossepen

etabliert hatten. Aber wir durfen nicht vergessen, dass Wolfram wohl schon

als Lyriker bekannt war, als die ersten Teile des entstanden. (Vgl.

< Parzival> 114, 12f.) Hartmanns erhaltene Lieder gehoren wohi auch in die

Fruhzeit seines Schaffens. Nach der neueren Forschung bewirkte die Lyrik

eine Namenstradition, weil der Vortrag stark an die Individualitat des

Dichters geknupft war: Im Minnesang waren •eder Autor und sein OEuvre

im Bewusstsein des Publikums prasent•f,9) weshalb Anonymitat der Uber

- lieferung weniger haufig anzutreffen ist als in der Epik.

Die Epiker waren materiell vollig abhangig von ihren Auftraggebern.

Erst der Auftrag eines Mazens ermoglichte es den Dichtern, mit hinreichen

derUnterstutzung und Absicherung oft jahrelang an grossen Dichtungen

zu arbeiten.10) Wahrscheinlich mussten sie sich schon, ehe sick ihnen so die

Moglichkeit bot, ihre Grossepen zu verfassen, in ihrer naheren Umgebung

oder im engeren Kreis eines speziell literarisch interessierten Publikums

einen Namen gemacht haben. Lyrik war eine gute Gelegenheit dazu. Ein

solcher •eName•f muss allerdings nicht ausschliesslich auf literarische Praxis

zuruckzufuhren sein, sondern kann auch auf eine etwaige Schreibtatigkeit

eines Klerikers am Adelshof und im (Haus-)Kloster zuruckgehen. Die

haus- und familiengebundene Geschichtsschreibung, die die Fursten des

Mittelalters interessierte, ware nur als ein mogliches Beispiel zu nennen.

Man konnte sich die Situation also so vorstellen, dass sich erst Mannern,

die durch gewisse Vorarbeiten ihren potentiellen Auftraggebern einen

Nachweis ihrer Kunstfertigkeit erbracht hatten, die Chance eroffnete, gro ss ereliterarische Auftrage zu erhalten.

8) Hoffmann, Werner: Mittelhochdeutsche Heldendichtung. Berlin 1974. S. 38. Unter den hofischen Dichtern durfte es im ubrigen weit mehr Hofkleriker gegeben haben, als man bisher angenommen hat. Hartmann und Wolfram, die sich beide als Ritter bezeichnen, stellen eher die Ausnahme dar. 9) Wachinger, Burghart: Autorschaft und Uberlieferung. In: Autorentypen. Hrsg.

von Walter Haug/Burghart Wachinger. Tiibingen 1991. S. 1-28. Hier S. 12. Die neuere Forschung stellt auch die Bezeichnung •eministerialer Minnesanger•f in Frage, weil die Hofkleriker bedeutende Trager aller hofischen Literatur waxen. (Peters, Ursula: Hofkleri ker-Stadtschreiber-Mystikerin. In: Autorentypen. S. 29-49.) 10) Bumke, Joachim: Hofische Kultur. Munchen 1986. S. 679f. Albrecht von Kemenaten und seine literarische Identitat 101

4. Albrechts Namensnennung und sein Selbstverstandnis

Es ist also durchaus moglich, dass auch Albrecht, wohl clericus, schon vor

der Entstehung des ein anerkannter Dichter war. Sein Name

in den beiden Literaturubersichten des Rudolf von Ems11) konnte sich auch

auf sein Fruhwerk beziehen, ohne dass deshalb die hypothetische Entste

hungszeitdes (1230/40) weit verschoben werden musste, weil

Rudolf ihn als seinen Zeitgenossen erwahnt, der maisterliche tihten kann.

Wir wissen heute nicht mehr, wann und mit welcher Leistung Albrecht

sich seinen Ruf erworben hatte, jedenfalls begann er aber mit einem bereits

ausgepragten Selbstbewusstsein als hofischer Dichter am zu

arbeiten. Dann stellt sich allerdings die Frage, ob fur Albrecht die Anony

mitatbei der Episierung der mundlich tradierten Stoffe uberhaupt so selbst-

verstandlich war, wie man sich das heute, 750 Jahre spater, vorstellt, oder

genauer formuliert: Wollte sich Albrecht bewusst uber eine damals allge meinanerkannte Anonymitatsnorm bei heroischen Stoffen hinwegsetzen?

Schon um 1200 ist das entstanden. Der Dichter, der

sich Anregungen von der hofischen Literatur holte, war Pionier einer neuen

Gattung und sein bahnbrechendes Werk wurde zweifellos zum Vorbild fur

die spateren Heldenepen. Ausser der (um 1230/40) finden die

meisten Heldenepen j edoch erst ab der Mitte des 13. Jahrhunderts Verbrei

tung,der •eBoom•f der Heldendichtung beginnt erst viel spater. Abgesehen

von einigen, vor allem religiosen Gattungen, deren Anonymitat als De

mutsbeweiszu sehen ist, gilt die Heldenepik heute als eine der ersten

Buchliteraturen, deren Autoren der Wille zur literarischen Identitat fehlt.

Die Anonymitat als gattungsspezifische Norm war in der ersten Halfte

des 13. Jahrhunderts noch nicht verbindlich,12) und selbst die Heldenepik

11) von Kemenat her Albreht/des kunst gert witer schouwe. (Rudolf von Ems: Alexander.

Hrsg. von Victor junk. 1. Tl. Leipzig 1928. v. 3252f.); Och hetti uch mit wishait,/Her Albreht bas denne ich gesait,/Von Keminal der wise man,/Der maisterliche tibten kan. (Rudolfs von Ems

Willehalm von Orlens. Hrsg. von Victor junk. 2. unveranderte Aufl. Dublin/Zurich 1967. v. 2243-2246.) 12) De Boor denkt etwas anders und halt these Autornennung fur einen absichtlichen Bruch mit der Konvention. (de Boor, S. 205f.) De Boor setzt also voraus, dass bei den zu Albrechts Zeit seltenen Episierungen mundlich uberlieferter Stoffe die Anonymitat schon selbstverstandlich war. Hoflers (S. 363) Hinweis, die Erwahnung der Sage [vom Gol demar](1) im (Hrsg. von Karl Bartsch. Tubingen 1871. v. 25274-25279) nenne keinen Dichter, tragt nicht zur Pr5zisierung bei, wenn zur Zeit des

Reinfried-Dichters (nach 1291) die Heldenepik bereits als •eanonyme Gattung•f konstituiert war. Man weiss weder, ob die Gestalt des Zwergenkonigs Goldemar Albrechts Erfindung 102 Tatsuo Terada

als solche war vielleicht als literarische Gattung noch nicht konsti

tuiert.Vom Selbstverstandnis der Zeit her mussten heroische Stoffe noch

mundlich vorgetragen werden; das war in der ersten

Halfte des 13. Jahrhunderts noch eine herausragende Einzelerscheinung.

Selbst wenn die Anonymitat bereits damals sporadisch als Norm der neu

entstehenden Heldenepik anzutreffen gewesen ware, empfand Albrecht sie

noch nicht als zwingend, obwohl ihm das sicher bekannt

war.13) Vielmehr wollte er semen Namen wie bei einem Lyrik-Vortrag nen

nen,dessen Publikum Hochachtung vor der individuellen Kunst des To

neerfindenszeigte.14) Albrecht hatte nicht bloss die Absicht, mundlich tra

dierteHeldensagen •enur fur einen Augenblick•f zu •efixieren•f, wie es Fromm

vom Nibelungendichter annimmt,15) oder eine rein unterhaltende Dichtung

unter Verwendung von beliebten Stoffen und Motiven zu schaffen.

Albrechts Konzept, das im Prolog nur angedeutet ist, namlich Kritik am

Haudegentum und die Beschreibung von Dietrichs erster Minne, lasst deut

lichseine negative Einstellung gegenuber dem Dietrich-Bild spuren, das

als beliebtester Stoff in den herkommlichen Sagen tradiert und auch vom

Publikum akzeptiert wurde:

Wir han von helden vil vernomen,/die ze grozen striten sind bekomen/bi hern

Dietriches ziten./si begiengen degenheit genuoc,/do einer ie den andern sluoc./(...)

man sprach, er toete deb beste,/der manigen ane schulde ersluoc./(...)

Nu merht, it herren, daz ist reht:/von Kemendten Albreht/der tihte ditze moere,/

wie daz der Berner vil guot/nie gwan gen vrouwen hohen muot./wan seit uns daz er

woere/gen vrouwen niht ein hovelich man/(sin muot stuont im ze strite),/unz er ein vrouwen wol getan/gesach bi einen ziten:/diu was ein hochgeloptiu meit,/diu den

Berner do betwanc,/als uns diu aventiure seit. ( 1f.)

Diese Strophen klingen aus zwei Grunden noch •ehofischer•f als die 1. Stro

pheder Handschriften A und C des , einerseits weil Albrecht die eigene Programmatik erklart und andererseits weil die Metrik,

ist, noch ob der Reinfried-Dichter these Gestalt von Albrecht oder aus einer fruheren

mundlichen Uberlieferung ubernommen hat. Der Reinfried-Dichter brauchte im ubrigen auch vom Handlungszusammenhang her nicht Albrechts Namen zu nennen. 13) Das Motiv •eVeranderung durch die Minne•f ist bereits im vorweg

- genommen, wo aus dem vermezzenen Siegfried und der amazonenhaften Brunhild jeweils ein hofischer Mensch wird. 14) Vgl. Wachinger, S. 12. 15) Fromm (1974), S. 74. Albrecht von Kemenaten und seine literarische Identitat 103

die an den Minnesang erinnert, ganz anders klingt als die herkomm lichenmetrischen Formen heroischen Erzahlens, die wohl auch beim in der gleichen oder in modifizierter Form Verwendung fanden.

Mit dieser Neuerung wollte Albrecht die Aufmerksamkeit seines Pu blikumsauf sich ziehen. Seine neuen Themen-Kritik am Haudegentum

u nd Dietrichs erste Minne-mussten viele seiner Zeitgenossen, vor allem die kriegerisch eingestellten degen als so fremd, wenn nicht sogar abwegig empfinden, dass er sich nicht auf die traditionellen Methoden der Darstel lungbeschranken konnte. Die Kritik an Dietrich von Bern, die das ganze

Mittelalter hindurch schriftlich belegt ist, wurde in der Kirchenlehre mit der arianischen Haresie des historischen Ostgotenkonigs Theoderich ver bunden.Vor dem mittelalterlichen Publikum, das sich kaum fur Theode richsArianismus interessiert haben durfte, wurden eher Dietrichs •eHelden taten•fbesungen. Diese Heldentaten bedeuteten fur die kriegerisch einge stelltenZuhorer,dass Dietrich nie besiegt wurde und manigen ane schulde ersluoc. Daraus ist auch der Glaube an Dietrichs Unbesiegbarkeit entstanden,

der in der Uberlieferung der Dietrichepik immer wieder auftaucht.16) Und gerade dieses Dietrich Bild ermoglichte es den realen Haudegen des Mit telalters,sich mit ihm als einem Symbol ihres Heroenkultes zu identifi zieren.Albrecht empfand dies aber als unrecht und wollte solche Drauf

gangerzum Umdenken mahnen oder andere Zuhorer von dieser Unsitte abhalten.

Eine Kritik am Haudegentum ist nun bereits beim sogenannten Heinrich

von Melk (um 1160?) zu finden:

si bringent sich mer ze schanden,/swenne si sprechent •eden mac man in alien landen/

•fze einem guotem chnecht wol haben:/•eder hat so manigen erslagen•f.

( v. 369-372)17)

16) Nirgends ist beschrieben, dass Dietrich von einem Ritter oder Riesen erschlagen worden ware, wahrend •eDietrichs Ende•f in verschiedenen, vor allem klerikalen Versionen uberliefert ist: Vulkansturz, Hollenfahrt, ewiger Drachenkampf usw. Vgl. Gschwantler, Otto: Zeugnisse der Dietrichsage in der Historiographie von 1100 bis gegen 1350. In: Heldensage und Heldendichtung im Germanischen. Hrsg. von Heinrich Beck. Berlin

1988. S. 35-80. 17) Der sogenannte Heinrich von Melk. Nach Richard Heinzels Ausgabe von 1867 neu hrsg. von Richard Kienast. Heidelberg 1946. Auf die wortlichen Parallelen weist auch Horst Peter Putz hin, ohne aber naher darauf einzugehen. P., H.P.: Ritterepos und

Heldenepos im Spatmittelalter. In: Deutsche Heldenepik in Tirol. Hrsg. von Egon Kuhe bacher.Bozen 1979. S. 212-223. Hier S. 214. 104 Tatsuo Terada

Dieser Heinrich, der sich als adliger laicus des Klosters Melk an ein Adels-

publikum gewandt zu haben scheint, kritisierte die aus seiner Sicht nega tivenTendenzen seiner Zeit und mahnte zur Abkehr von der Welt. An der

zitierten Stelle ist zu erkennen, dass er Albrechts kritische Einstellung ge

genuberdem Haudegentum vorwegnahm. Man konnte dies als Zufall be trachten,wenn Heinrich nicht kurz davor auch uber die Schiirzenjagerei

dieser degen klagen wurde:

swd sich die riterschaft gesamnet,/da hebet sich ir wechselsage,/wie manige der unt

der behuret babe;/ir Taster mugen si nicht verses%gen,/ir ruom ist niwan von den

wiben./saver sich in den ruom nicht enmachet,/der dunchet sich verswachet/under

andern sinen glichen. ( v. 354-361)

Die Stimme dieses Laienbruders klingt zwar anders als Albrechts im Grunde unterhaltender Ton. Wahrend Heinrich den moralischen Verfall seiner Zeit geisselt, gebraucht Albrecht sein Talent, um ein neues Bild Dietrichs von Bern zu zeichnen, der sich von der minne ferngehalten hatte und dock von einer hochgelobten meit bezwungen wurde. Aber Albrechts Thematik und feiner Methodik liegt wohl dieselbe Stellungnahme zu diesem Sittenverfall zugrunde, die sich bei Heinrich in anderer Form zeigt. Dietrich befreit dann die schoenen vrouwen wol getan (5, 12) und nimmt die Jungfrau Hertlin,

Tochter des Konigs von Portugal, die vom Zwergenkonig Goldemar ge raubtwurde, aber bis dahin unberi hrt blieb,-in erster Ehe vor Herrat- zur Frau, soweit wir der 18) die weitere Handlung ent nehmenkonnen. Hier ist unverkennbar, dass Albrecht seinen Zuhorern von der Unsittlichkeit abraten und ihnen den Weg zum richtigen, idealen Rit tertumnach dem Beispiel des •eneuen Dietrich•f weisen wollte, dem der Speer nicht ganz bliben sol (7, 12), d.h. der bereft ist, um die Gunst einer Dame zu kampfen.

5. Schluss

Ob Albrecht mit seinen zwei Themen sein Ziel erreichte, weiss man nicht mehr. Seine Thematik war aktuell in der ersten Halfte des 13. Jahrhunderts.

Der thematisierte Minnedienst bildet einen scharfen Gegensatz zum gan gigenFrauenbild der Zeit. Albrecht betont diesen Kontrast mit seiner hofi schenEthik, d.h. im Hinblick auf die Situation seiner Zuhorerlnnen und

18) Nach dem Abdruck der Handschrift des Diebolt von Hanowe (um 1480?). In: Heldenbuch. Nach dem altesten Druck hrsg. von Joachim Heinzle. II. Goppingen 1987. S. 235. Albrecht von Kemenaten und seine literarische Identitat 105

geht gleichzeitig zur Kritik an der •eTollkuhnheit•f19), also zu einer Zeitkritik u ber, es gelingt ihm uberdies, seinen ethischen Appell mit einer beruh

rendenForm zu verknupfen. Dabei dachte er viel weniger an das Durch

brechender Anonymitatsnorm, als man heute annehmen mochte. Durch

seine Namensnennung wollte er nicht nur auf seine Kunstfertigkeit als

hofischer Dichter hinweisen, sondern auch scharfe Gesellschaftskritik uben.

Diese Kritik weist bereits auf ein spateres, nicht ganz heroisches, aber bei

aller Neu- und Umbildung der Texte mehr oder weniger bestehengeblie

benesBild Dietrichs voraus-auf den zaghaften Berner20). Albrechts

Selbstbewusstsein erscheint um so grosser, als die spateren Autoren der

Dietrichepik die Selbstnennung vermieden. Aber seine Einstellung zu den mundlich tradierten Stoffen gab den Anstoss zur Geburt der neuen Gattung der Dietrichepik, in der der Text einzelner Werke-ganz anders als in der Uberlieferung des -ziemlich frei (re-)produziert wurde.21)

Der wies der spateren Dietrichepik in mehreren Beziehun genden Weg: Bernerton als metrisches Vorbild fur , u nd , Dietrich von Bern als hofischer Ritter und Kritik am Haude gentum-als eine kunstvolle, geistreiche und durchdachte Dichtung. Man sollte Albrecht und seinem Werk mehr Aufmerksamkeit widmen, als es in der Forschung bisher der Fall war.

19) Vgl. Ruh, Kurt: Verstandnisperspektive von Heldendichtung im Spatmittelalter und heute. In: Deutsche Heldenepik in Tirol, S. 15-31. Hier S. 24.

20) Vgl. Heinzle, S. 188-190. 21) Wenn man sich die Variationsenge der handschriftlichen Uberlieferung des vor Augen halt, kann vom oft als typisch fur die Heldenepik angesehenen Zusammenfall von Anonymitat und freier Textbearbeitung keine Rede mehr sein. In diesem Punkt liesse sich vielleicht eine Parallele zwischen der Werkbezeichnung

Nibelunge liet/not> und der Namensnennung eines Autors feststellen, weil es sich bei beidem um die Autorisierung des •eOriginals•f und ein anschliessendes Variierungsverbot handelt.