Getreue Boten der Heimat : zum 100. Geburtstag der Aarauer Neujahrsblätter

Autor(en): Gros, Peter

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Aarauer Neujahrsblätter

Band (Jahr): 83 (2009)

PDF erstellt am: 23.09.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-559335

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http://www.e-periodica.ch Peter Gros

Getreue Boten der Heimat: zum 100. Geburtstag der Aarauer Neujahrsblätter

Am 17. Mai 1909 beschloss eine auf Anregung Auf dem von der Kulturgesellschaft urbar ge- der Literarischen und Lesegesellschaft zusam- machten Boden entwickelte sich auch in mengetretene Versammlung, Aarauer Neujahrs- ein angeregtes lokales Kulturleben: Neben den blätter herauszugeben. Als Vorbild diente Brugg. verschiedenen Schulgründungen kann auch die In der Prophetenstadt war 1819 erstmals ein der Neubelebung der Lesegesellschaft Aarau von 1882 aargauischen Jugend geweihtes Neujahrsblatt als Folge der aufklärerischen Bemühungen um erschienen. Seine LIerausgeberin, die «Brugger Volksbildung betrachtet werden, wie sie Pesta- Bezirksgesellschaft für vaterländische Cultur», lozzi und Zschokke im Aargau betrieben hat- berief sich auf die traditionsreichen Zürcher ten. Und nach der Wahl des jugendlichen Max

Neujahrsblätter, die bis ins 17. Jahrhundert zu- Schmidt zum Stadtammann und dem Einzug rückreichten, und verband dieses Vorbild mit des Stadtbibliothekars, Hans Hässig, in den dem Grundgedanken der 1811 in Aarau gegrün- Stadtrat, erlebte Aarau eine Zeit eines erstarken- deten Kulturgesellschaft: dem patriotischen den kulturellen Selbstbewusstseinsd Die 600- Einsatz für die Volksbildung. Besonders betonte Jahrfeier der Eidgenossenschaft, das hundert- sie die Aufgabe, durch die «Darstellung ge- jährige Bestehen der Aarauer Kantonsschule schichtlicher Denkwürdigkeiten» das Zusam- 1902, die Centenarfeier des Kantons 1903 und menwachsen der durch die Jahrhunderte ent- viele kleinere von bürgerlichem Patriotismus fremdeten Teile des jungen Kantons zu betör- und kulturellem Impetus getragenen Schützen- dein.' Dem Unternehmen war keine Dauer und Turnfeste trugen zur Vertiefung des vater- beschieden. Bis 1929 erschienen acht weitere ländischen Bewusstseins bei. 1902 kam es auf Tiefte, dann schliefen die Blätter ein, und erst ab Betreiben von Max Widmann gar zur Gründung 1890, nach dem Ende des Kulturkampfes und einer zweiten «Literarischen Gesellschaft», die der bewegten Zeit der Verfassungsrevision, wur- sich der Förderung des Theaters und des gesell- den die Blätter von der Lehrerkonferenz regel- schaftlichen Lebens widmete. Als ab 1906 auch in massig fortgesetzt. Zofingen Neujahrsblätter erschienen, wollte die

164 Kantonshauptstadt nicht mehr zurückstehen, Not zum Opfer, oft bloss, weil es nicht beachtet und anlässlich der Generalversammlung der 1905 war. Die Freude an dem Eigenartigen, wie es in aus der Lese- und Literarischen Gesellschaft tu- unserer Landesgegend zwischen Jura und Hall- sionierten «Literarischen und Lesegesellschaft» wilersee in Natur und Volkstum heimisch ist, zu im Dezember 1908 regte der neugewählte Stadt- erhalten und zu beleben, das soll die Aufgabe der ammann, Hans Hässig, die Herausgabe von (Aarauer Neujahrsblätter> sein.»' Aarauer Neujahrsblättern an. Die Bibliotheks- Der Inhalt des Blattes folgte diesem Programm. kommission, die Präsident Max Widmann mit Der erste Beitrag trug den Titel «D'LIeimweh- der Angelegenheit betraute, wies die Sache im flueh». Er stammte vom Schönenwerder Lehrer März «zum weiteren Ausbau» an den Vorstand Josef Reinhart. Es folgten Erinnerungen des 1867 zurück, der am 7. Mai 1908 nach längerer Diskus- geborenen Kantonsschullehrers Hans Kaeslin sion beschloss, das Projekt weiterzuverfolgen. an Lehrer und kulturelle Höhepunkte im Aarau Zwar plädierte Kassier Emil Hemmeier für Ver- seiner «Jugendzeit». Den historischen Teil im Schiebung, weil er zuerst die Defizite des Dichter- engeren Sinne bestritt Ernst Zschokke mit einem buchs, das die Literarische zur Centenarfeier des Rückblick auf das Aarauer Brunnen- und Ju- Kantons herausgegeben hatte, und des Jahr- gendfest vor 50 Jahren. Dazwischen finden sich huches für 1902 bis 1907 abtragen wollte. Seinen drei Gedichte der Lenzburger Arztgattin Sophie Bedenken hielt Widmann zwei Schreiben aus Haemmerli-Marti, die bereits 1896 als Mundart- Brugg und Zotingen entgegen, die «trotz teilwei- dichterin hervorgetreten war. Die vom Kantons- ser schlechter Erfahrungen» für Neujahrsblätter schullehrer Jakob Hunziker in Aarau gepflegte votierten. Ein weiterer Förderer der Idee, Pfarrer Volkskunde schliesslich war durch den Bericht Xaver Wernly, beantragte darauf die Bildung über einen bebilderten Spaziergang auf die Was- eines «Comités», dem unter anderem Stadtam- serfluh und einen Text von Seminarlehrer Arthur mann Hässig und Kantonsschullehrer Zschokke, Frey über Hochzeitsbräuche im Wynental vertre- Redaktor Widmann und er selbst angehörten. ten. Es folgte ein Märchenscherz in Mundart, der Und nur zehn Tage später trat die bereits er- die Frage klärte, warum das Jahr 1909 so nass wähnte Versammlung zusammen und hob die ausgefallen sei. Am Schluss stand die Chronik des Aarauer Neujahrsblätter aus der Taufe. Jahres 1909, in der man, die meteorologischen Wie in Brugg steuerte die Kulturgesellschaft des Aussagen des letzten Beitrages nachprüfend, le- Bezirks ihr Scherflein bei, der Stadtammann sen konnte, dass der Hallwilersee im Februar sorgte für einen Beitrag der Stadt, die Literarische zugefroren, dass es im März Iiis -14.5" C kalt und und Lesegesellschaft bestellte die Redaktion und der Maienzug wegen schlechten Wetters verscho- organisierte einen Verleger. So konnte im De- ben worden war. Die Chronik sollte ein Spiegel zember 1909 das erste Lieft im Verlag Emil Wirz der Gegenwart sein und ihre Leistungen für erscheinen. Es war in einer dem Zeitgeschmack künftige Generationen festhalten. Sie hat sich zu entsprechenden Jugendstilschrift aufvornehmes, einem festen Bestandteil der Neujahrsblätter ent- leicht geriffeltes Papier gedruckt und enthielt fol- wickelt und bis heute erhalten. Es dominierte der gende Zielsetzung: «Die moderne Kultur sucht leichte verklärende Blick zurück, das Interesse an zu vermitteln und auszugleichen, und dieser Zug der Geschieh te und Volkskunde als Ausdruck der bringt nach mancher Richtung Vorteile. Aber lei- Suche nach einer lokalen Identität in einem ge- der fällt ihm auch so manches Eigenartige ohne rade hundert Jahre alt gewordenen Kanton.

165 166 Die Euphorie war gross, die Auflage auch. Aber Die zweite Folge die Hoffnung, die Neujahrsblätter im grossen Stil Das zweite Heft der «Aarauer Neujahrsblätter» verkaufen zu können, erfüllte sich nicht. Es blie- erschien erst 17 Jahre später und knüpfte nahtlos ben 1500 unverkaufte Exemplare und ein Defizit an, wo das erste begonnen hatte: beim Heimat- von stattlichen 800 Franken. Die Hälfte des Fehl- sinn. Sein erster Artikel stammte von Adolf betrages übernahm abmachungsgemäss der Ver- Haller, der gerade eine vielbeachtete Pestalozzi- leger. Der Rest konnte zur Hälfte aus der laufen- biografie geschrieben hatte, und befasste sich mit den Rechnung getilgt werden, was übrig blieb, «Pestalozzis Beziehungen zu Aarau». Im zweiten musste auf das nächste Jahr vorgetragen werden. würdigte Ernst Zschokke den Schwiegervater Unter diesen Umständen erstaunt es wenig, dass Heinrich Zschokkes, Pfarrer Nüsperli, im dritten der Vorstand der LEG an der Generalversamm- nahm Sophie Haemmerli-Marti den Faden des lung im April 1910 vorschlug, die Herausgabe Dichterbuches von 1903 auf und kommentierte der Neujahrsblätter «unter bester Verdankung an Texte von Aargauer Minnesängern. Es folgten ein die Redaktion» einzustellen und die restlichen Aufsatz über die alte Kirche von Seengen und Exemplare an die «Schulen und Anstalten des einen Spaziergang durchs Ruedertal. Dazwischen Kantons zu verteilen». Zwar versuchte Hans waren Gedichte von Sophie Haemmerli-Marti Kaeslin, die Neujahrsblätter in vereinfachter und Hans Kaeslin eingestreut. Am Schluss stand Form oder mittels einer Sammlung zu retten, die Chronik, und es schien, als wäre die Zeit ste- zog seinen Antrag auf Erhaltung der Blätter aber hen geblieben. zurück, nachdem in der Versammlung argu- Vor dem Hintergrund der Kriegserfahrung, des mentiert worden war, dass mit der Verminde- Generalstreiks und der zunehmenden politi- rung der Ortsbürger auch das Interesse an der sehen Stagnation, suchte man nach gemeinsa- Ortsgeschichte im Schwinden sei, und Präsident men, positiven Werten und fand sie in der Ver- Widmann die Verantwortung für ein weiteres gangenheit und der heimischen Landschaft. In Abenteuer ablehnte. Aarau kristallisierte diese Stimmung zunächst Kaeslins Kapitulation war symptomatisch. Die im Eidgenössischen Schützenfest von 1924. Als Zeit des Idealismus neigte sich dem Ende ent- Ort, an dem die Wiege des Eidgenössischen gegen. 1911 zog mit Max Widmann einer der Schützenvereins stand, unternahm es die Klein- aktivsten Köpfe der LLG aus Aarau fort, und Stadt Aarau, der Schweiz zum 100. Geburtstag nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs war des Schützenvereins ein würdiges Fest zu bieten. die Zeit der vornehmen Publikationen und der Die ganze Region wurde mobilisiert und Erin- Tanzkränzchen endgültig abgelaufen. Fortan nerungen an das von Abraham Emanuel Früh- regierten Nüchternheit und Sparsamkeit, an lieh ' und Gottfried Keller beschriebene Fest von eine Wiederbelebung der Neujahrsblätter war 1849 geweckt, das ganz im Zeichen des neuent- nicht zu denken. standenen Bundesstaates gestanden hatte. Neben dem Schiessen stand ein historischer Festumzug auf dem Programm und ein Schauspiel des da- mais bekanntesten Schweizer Dramatikers, Cäsar 1 Titelblatt des ersten Aarauer Neujahrsblattes auf von Arx, mit Musik des Aarauer Komponisten das Jahr 1910. Werner Wehrli. Das Festspiel Höhen und 2 Titelblatt der zweiten Folge der Aarauer Neujahrs- zeigte blätter auf das Jahr 1927. Tiefen der Schweizergeschichte von der Grün-

167 dung der Eidgenossenschaft bis zum Ersten Welt- an den Blättern verdiene, vermieden werden. In krieg und klang mit der Nationalhymne als Be- der Folge gingen Briefe mit Kostenberechnungen kenntnis zu Ehrgefühl und Wehrwillen aus.' hin und her, und Anfang Juni 1926 gelangte Gün- Am Erfolg des Festes hatten neben Seminarmu- ther wieder an die Stadt mit der Bitte um einen sikdirektor Werner Wehrli weitere Mitglieder der Beitrag von 400 Franken. Dabei betonte er, dass Literarischen und Lesegesellschaft Anteil. Die es eigentlich 550 brauchte. Diesmal hatte der Mittelschullehrer Ernst Zschokke, Elans Weibel, Stadtrat ein Einsehen und bewilligte die gefor- Carl Günther und Arthur Frey redigierten eine derte Summe, nicht ohne zu bemerken, «dass für zwölf Nummern umfassende Festzeitung und die Zukunft eine so hohe Unterstützung nicht steuerten auch eigene Texte bei. Das Fest ermög- gewährt werden» könne.'' Als die Bezirkskultur- lichte Bekanntschaften und beflügelte: Kaum gesellschaft versprach, sich mit 150 Franken zu war die letzte Nummer erschienen, machte sich beteiligen, war die erneute Herausgabe der Neu- Seminarlehrer Günther, der seit 1920 Präsident jahrsblätter gesichert. der LEG war, daran, das zwanzigjährige Jubiläum der Lesegesellschaft mit der Wiederbelebung der Die Suche nach dem richtigen Rezept «Aarauer Neujahrsblättern» zu krönen und trat Die Ausstattung der zweiten Folge der Neujahrs- mit Verleger Sauerländer in Kontakt. In Anbe- blätter war bescheidener als die erste: Das For- tracht des Misserfolgs von 1910 nahmen beide mat war kleiner, das Papier billiger und der Buch- die Aufgabe ernst, und es wurden Kostenvoran- schmuck geringer, dafür war der Umfang etwas schlage und Richtlinien ausgearbeitet, bevor grösser. Sauerländer hatte mit einem Umfang Günther sich an den künftigen Redaktor, seinen von drei Bogen, einem Absatz von 900 Exemp- Onkel Ernst Zschokke, wandte und Unterstüt- laren und, auf Wunsch des Stadtrates, mit einem zungsgesuche an die Stadt und die Bezirkskul- moderaten Preis von einem Franken kalkuliert. turgesellschaft richtete. An der Generalversamm- Der Verkauf wurde von Bezirksschülern über- lung im Oktober musste er allerdings berichten, nommen, welche pro verkauftes Exemplar fünf- dass es trotz des Entgegenkommens des Stadt- zehn Rappen behalten durften. rates und der Kulturgesellschaft für 1926 noch Dank der umsichtigen Vorbereitung blieb es keine Neujahrsblätter geben werde, er hoffe aber diesmal nicht bei einer einzigen Ausgabe. Aber auf Neujahr 1927 das erste Heft herauszubringen. von einem durchschlagenden Erfolg konnte Der Grund für die Verschiebung lag darin, dass nicht gesprochen werden. Der Verleger war mit er von der Stadt einen Beitrag von 500 Franken dem Vertrieb nicht glücklich. Die Stadt war eben- gefordert hatte, aber nur 250 zugesichert bekam." falls unzufrieden, obwohl der Stadtammann Im März 1926 machte Verleger Sauerländer das im Vorstand der LI.G sass. Als Carl Günther für Angebot, das Risiko für die erste Ausgabe zu die Ausgabe von 1928 erneut 400 Franken bean- übernehmen unter der Bedingung, «dass der tragte, weil das Ziel von selbsttragenden Neu- Verkauf von Haus zu Haus unter dem Namen jahrsblättern mit der Ausgabe von 1927 nicht er- Ihrer Gesellschaft und womöglich durch Schüler reicht worden sei und man den Blättern Zeit zu erfolgen» könne/ Günther ging aber nicht dar- einer gedeihlichen Entwicklung lassen müsse, er- auf ein. Er wollte die Finanzen selber verwalten, hielt er aus dem Rathaus den Bescheid: «Es wird weil er glaubte, so eher zu Subventionen zu kom- nochmals ein Beitrag von Fr. 400.- bewilligt, in men." Zudem sollte jeder Verdacht, dass jemand der bestimmten Erwartung, dass das Neujahrs-

168 blatt für 1928 weit mehr als dasjenige für 1927 ein Nach 1933 taucht der Name Heinrich Anacker Lokalkolorit für Aarau und Umgebung erhalten nicht mehr in den Neujahrsblättern auf. werde, ähnlich den Neujahrsblättern anderer Die Geschichte der Neujahrsblätter zwischen aargauischer Städte.»'" 1927 und 1933 verlief wechselhaft. Die Mischung Carl Günther scheint sich die stadträtliche Kritik aus Literatur, Geschichte und Volkskunde schien zu Herzen genommen zu haben. Für die Neu- sich zu bewähren. 1928 ergab die Abrechnung jahrsblätter von 1928 verfasste er einen Aufsatz mit dem Verlag erstmals einen bescheidenen mit dem Titel «Unsere Heimat im Gedicht»." Überschuss, aber der Verkauf blieb unter den Er- Nach einem persönlichen Bekenntnis zum Jura Wartungen des Verlegers. Schuld am fehlenden stellt er fest, Aarau sei nicht häufig mit Poesien Absatz waren gemäss Günther ein mangelhafter bedacht. Hingegen sei die Landschaft um Aarau, Vertrieb und eine verunglückte Rezension im besonders der Jura, häufiger Thema der Aargauer «Aargauer Tagblatt». Ab der folgenden Ausgabe Dichter. Als Beleg zitiert er aus Gedichten von übernahm Bezirkslehrer Walter Jungi mit den Abraham Emanuel Fröhlich, Augustin Keller Kadetten den Vertrieb, und Carl Günther schick- und Paul Haller, die sich mit der Gisli- und Was- te den Aarauer Zeitungen ein Geleitwort zu den serfluh befassen, weitet den Blick dann Richtung Neujahrsblättern, um ihnen die Rezension zu er- Brugg und kehrt unter dem Verweis auf Karl leichtern. Diese Massnahmen brachten den ge- Rudolf Tanners Heimatlieder, Konrad Falke und wünschten Erfolg, so dass man 1930 eine Ausgabe Adolf Frey in die Aarauer Gegenwart zurück: «In mit 72 Seiten Umfang wagte. Der Absatz lief gut, dieser Landschaft ist auch jüngste Dichtung zu und es machte sich die Hoffnung breit, dass sich Hause - die Lieder Heinrich Anackers bekunden die Neujahrsblätter allmählich etablierten. Aber es deutlich genug, wie ihn die heimatliche Land- an der Generalversammlung musste der Präsi- schaft durchs Leben begleitet.» Der wiederholte dent über ein Defizit berichten, weil der Verkauf Wunsch nach einem Bezug zu Aarau könnte ein in den Aussengemeinden rückläufig war, und Grund gewesen sein, warum in den folgenden man kehrte zum alten Umfang zurück. Dies Jahren in den Neujahrsblättern regelmässig wei- führte zur erwünschten Verringerung des Defi- tere Gedichte von Anacker erschienen. Die aus- zits, aber das Ziel von selbsttragenden Blättern gewählten Texte des aus einer einheimischen wurde auch 1931 - trotz einer ausverkauften Auf- Fabrikantenfamilie stammenden, im Ausland le- läge - nicht erreicht. benden Autors, Hessen sich gut in Aarau verorten 1933 meldete Verleger Sauerländer eine weitere und lösten den Anspruch nach Lokalkolorit ein. Sorge an Carl Günther: Es sei in den Neujahrs- Allerdings zeigt gerade Anackers Beispiel, wie blättern «zu viel Quellenmaterial abgedruckt» schmal der Grat zwischen naturnaher Heimat- gewesen, «ohne dass eine Bearbeitung» erfolgte. lyrik und Blut-und-Boden-Dichtung sein kann. «Das Publikum, das die Neujahrsblätter liest, In seinem Gedichtband «Die Fanfare» veröffent- interessiert sich mehr für die Ergebnisse der lichte er folgende Verse zum 31. Januar 1933: Quellen als für die Quellen selbst.» Er regte des- halb eine Erweiterung der Redaktion an. Ange- «Soll kommen was will, soll kommen was mag - sichts der Tatsache, dass die kritisierten Artikel wir schwören es dir am heutigen Tag: von Redaktor Ernst Zschokke, dessen Sohn Rolf Adolf Hitler, wir halten dir Treue!»'- und dem renommierten Burgenforscher Walther Merz stammten, schloss Sauerländer mit dem

169 beschwichtigenden Satz: «Sie wollen entschuldi- tonalen Charakter haben. Das zentrale Thema in gen, wenn wir etwas ausführlicher geworden der Ära Mäder ist die Geistige Landesverteidi- sind. Im Interesse der Fortführung der Publika- gung. 1936 hielt Carl Günther bei der LLC einen tion schien uns dies aber notwendig.»'-' Günther Vortrag mit dem Titel «Schweizerdeutsch als antwortete Sauerländer, er habe es sich angelegen Schriftsprache?», in dem er die Pflege der Mund- sein lassen, in der angedeuteten Richtung zu art in den Dienst der Geistigen Landesverteidi- wirken. Zunächst wurden jedoch wenig Verän- gung stellte. Die rege 1 Diskussion, die er damit aus- derungen sichtbar. Das Neujahrsblatt für 1934 löste, veranlasste den Vorstand, Professor Eugen bestand aus einem einzigen Artikel über die Fa- Dieth einzuladen, der für die Landesausteilung brikantenfamilie Meyer, eingerahmt von zwei die «Stimmen der Heimat» vorbereitete, eine Gedichten der Buchser Lehrerin Dora Haller. Sammlung von Schweizer Mundarten auf Schall- Und der Verleger mahnte erneut grössere Vielfalt platten. Ein wichtiger Verfechter der Mundart an.'*' Günther hatte 1933 mit dem neuen Stadt- war auch Bezirkslehrer Erwin Haller, der in dieser ammann, Hermann Rauber, über einen Ausbau Zeit seinem Bruder, dem [Dichter Paul Haller, zu der Blätter verhandelt. Er hoffte auf ein Ende der einer kleinen Renaissance verhalf. In den Neu- «Rappenspalterei» und repräsentativere Blätter." jahrsblättern wurde die Mundart bis in den Krieg Aber dazu kam es wegen der hartnäckigen Wirt- hinein mit Gedichten von Dora Haller, Werner schaftskrise nicht, und Günther trat 1934 nach Wehrli, Sophie Haemmerli-Marti, Ruth Staub vierzehnjähriger Präsidentschaft aus dem Vor- und Johann Rudolf Meyer gepflegt. Typisch ist stand der Literarischen und Lesegesellschaft zu- auch ein Beitrag von Ernst Zschokke über «Land- rück. Mit ihm demissionierte auch Hans Hässig Wirtschaft und Volkssprache» im Heft für 1935, nach 47 Jahren. Damit verloren die Neujahrsblät- und das Eingangsgedicht der Ausgabe von 1939 ter zwei ihrer Gründerväter. Carl Günther Hess passt mit seiner patriotischen Grundstimmung seine Kinder allerdings nicht gänzlich im Stich gut ins Bild der Geistigen Landesverteidigung.'" und lieferte bis zu seinem überraschenden Tod Als lokaler Reflex zur Verteidigung des Eigenen noch sechs Beiträge für die Neujahrsblätter. lässt sich auch der Kampf um die Erhaltung des Feerengutes verstehen, der in der Chronik der Mundart und Geistige Landesverteidigung Neujahrsblätter von Rolf Zschokke nachgezeich- Der neue Präsident, Kantonsschullehrer Ernst net wurde. Nachdem die römisch-katholische

Mäder, konnte seine Amtszeit mit einem Erfolg Kirchgemeinde das Grundstück im Juli 1937 in beginnen. In seinem ersten Jahresbericht notierte der Absicht gekauft hatte, es mit einer Kirche zu er zum Stichwort Neujahrsblätter: «Ausverkauft!» überbauen, ja eventuell sogar das Feerhaus ab- Das Heft von 1935 kam in der gewohnten Gestalt zureissen, damit die Kirche besser zur Geltung und im üblichen Umfang daher und brachte ein käme, versammelten sich im November Vertreter kaum spürbares Defizit. Neben dem geringen verschiedener Vereine im Café Bank, um für den Verlust ist unter Ernst Mäder der behutsame Erhalt des historisch bedeutenden Baues zu Wille zu thematischer Vielfalt, höherem Unter- kämpfen, und beschlossen, durch die Kantons- haltungswert und mehr Aktualitätsbezug beob- schulprofessoren Weibel und Mäder sowie den achtbar. In den i93oer-Jahren fällt zudem auf, Staatsarchivar Hektor Ammann eine Eingabe an dass die Chronik etwas politischer wird und Er- den Stadtrat verfassen zu lassen. Nach erfolg- eignisse erwähnt, die nicht nur lokalen oder kan- reicher Rettung druckte man im Blatt von 1939

170 eine kurze architekturgeschichtliche Studie von te und sie künftig 20 Exemplare gratis erhalte.'*

Professor Linus Birchler von der ETH ab, der im Die Ausgabe von 1939 wollte dieses Versprechen Blatt von 1940 ein ausführlicher Artikel über einlösen und wies auf 112 Seiten zehn Beiträge auf. «Das Feergut und die Familie Meyer» von Paul Als Neuerung enthielt sie neben einer ausführ- Ammann-Feer folgte. liehen Chronik ein Verzeichnis der kulturellen Veranstaltungen und in Aarau verlegter Werke. Umbruch und Isolation Aber einmal mehr wurde ein Aufbruch nicht be- Mit dem Rücktritt von Carl Günther und Hans lohnt, und der Verkauf brach ein; wohl weniger Hässig 1934 war ein erster Umbruch erfolgt, zu wegen des erhöhten Preises als durch den Aus- einem zweiten kam es 1937 mit dem Tod von brach der Maul- und Klauenseuche. DerVorstand Ernst Zschokke, den dritten brachte der Kriegs- beschloss im Einvernehmen mit der Stadt, es im ausbrach. Mit Ernst Zschokke verloren die Neu- kommenden Jahr nochmals mit der gleichen Aus- jahrsblätter «den Hüter des Heimatsinns»,'7 und stattung zu wagen, kam jedoch nach dem Aus- Ernst Mäder merkte anlässlich der Generalver- bruch des Kriegs auf seinen Entscheid zurück und

Sammlung 1937 an, dass man die Bedeutung der kehrte für 1941 zum früheren Preis und Umfang Arbeit von Zschokke vielleicht erst später voll re- zurück. Aber man wollte die Tradition des Blattes alisieren werde, da er bei seiner Arbeit nicht auf durch den Krieg, so lange es ging, nicht unterbre- den Augenblickserfolg aus gewesen sei. Neben chen. Die Saat der Geistigen Landesverteidigung seiner Arbeit als Redaktor hat Ernst Zschokke war aufgegangen und hielt die «Kündiger der

nicht weniger als 25 Artikel für die Neujahrsblät- Heimatliebe»'' am Leben. ter verfasst, der letzte erschien postum. Der Krieg zwang zur Beschränkung auf einhei- Das Heft für 1938 wurde vom Vorstand der LEG misches Schaffen. Gleichzeitig wuchs mit der zu- besorgt und unterschied sich äusserlich lediglich nehmenden Isolation der Schweiz die Sehnsucht durch die kleinere Schrift der Chronik vom vor- nach der Welt. Hier boten sich die Erinnerungen herigen. Inhaltlich bestätigte sich die behutsame des kosmopolitisch veranlagten Hans Kaeslin Tendenz zur Vielfalt. Neben den gängigen Na- und von Sophie Haemmerli-Marti, der Jugend- men Zschokke, Kaeslin und Günther findet sich freundin Frank Wedekinds, als Stoffe für die erstmals ein Beitrag von Seminarlehrer Charles Neujahrsblätter an. Sie beschworen die unbe- Tschopp und eine Zeichnung von Felix Hoff- Schwerte Zeit der Jugend, in welcher der Umgang mann. Damit erhielt die einheimische Gegen- mit Deutschland noch unproblematisch war, wartskunst erstmals Raum in den Neujahrsblät- und im Aargau rückblickend Pioniergeist, Pa- tern zugestanden, ohne Illustration eines Artikels triotismus und das kulturelle Leben in schönster sein zu müssen. Blüte standen.-" Die Gegenwart dagegen stimm- Den neuen Blättern war Erfolg beschieden. Es te nachdenklich, und die Reduitmentalität war konnten alle Exemplare abgesetzt werden und der Qualität eher abträglich. Bezeichnend für durch den Wegfall des Redaktionshonorars re- diese Periode sind das Eingangsgedicht von 1941 sultierte sogar ein kleiner Gewinn. Dieser Start von Ruth Staub mit dem Titel «Herr hilf!» und stimmte optimistisch: Die Redaktion schmiedete Carl Günthers «Aargauer Lied» von 1942. Mit Ausbaupläne, und die Stadt erhöhte ihren Beitrag Felix Floffmann und dem Lokalhistoriker Paul aufzusehen hin auf 600 Franken unter der Bedin- Erisnrann kamen aber auch neue, gehaltvolle gung, dass die zugesicherte Reichhaltigkeit eintre- Stimmen zu Wort, und mit dem «Aargauer Lied»,

171 das Werner Wehrli vertonte, wurde die Musik kammer. Während seines Präsidiums endeten erstmals aus einer nicht historischen Perspektive Krieg und Isolation, und die Durchhalteparolen betrachtet. Daneben führten Wilhelm Hemme- wichen einem vorsichtigen Optimismus. Es war lers Artikel über die Post und der Aufsatz von der LLG wieder möglich, grosse Namen nach Altstadtammann Max Schmidt über die Anfänge Aarau einzuladen. So weiss das «Aargauer Tag- der Elektrifizierung von Aarau den traditionellen blatt» über den Besuch von Ernst Wiechert, Strang der Industriegeschichte fort. einem Vertreter des konservativen Widerstandes, Eine weitere Neuerung der Kriegsjahre war die zu berichten: «Man musste - seit langem wieder Gratisabgabe der Neujahrsblätter an die Mit- zum ersten Male - für die Vorlesung eines Dich- glieder der Lesegesellschaft. Sie wurde eingeführt, ters den grossen Saal öffnen, damit niemand weil die Gesellschaft den defizitären Mappen- unverrichteter Dinge umkehren sollte.»'' Die zirkel aufgab. Die Blätter von 1943 fanden guten erfolgreichen Veranstaltungen strahlten aus und Absatz und wurden, wie Präsident Mäder in sei- führten zu mehr Mitgliedern und besseren Fi- nein vorletzten Jahresbericht schreibt, vollstän- nanzen. Für die Neujahrsblätter war die Ära dig ausverkauft, ja es konnten nicht einmal alle Lauchenauer eine Phase der Konsolidierung, in Nachfragen, zum Beispiel aus Schweden, befrie- der vorsichtig neue Akzente gesetzt wurden, vor- digt werden. Die Gratisabgabe, ein erhöhter Um- dergründig durch ein leicht vereinfachtes 'Eitel- fang und ein allgemeiner Teuerungsschub führ- blatt und eine etwas magerere Schrift. Im Hinter- ten jedoch zu einem markanten Verlust. Dennoch grund durch Paul Erismann, der als Chronist, hielt der Vorstand an diesem Weihnachtsge- Redaktor und Autor in Erscheinung trat, und schenk an die Mitglieder bis heute fest. neue Mitarbeiter wie Bezirkslehrer Georges Trotz Durchhaltewillen und der Treue der Aus- Gloor und den späteren Staatsarchivar Georg land-Aarauer machte sich 1943 nach dem Weg- Boner. 1948, kurz vor seinem Rücktritt, erlebte zug von Carl Günther nach Basel bei Ernst Mäder Lauchenauer jedoch einen Rückschlag: Redaktor Amtsmüdigkeit bemerkbar, und er trat zurück. Erismann demissionierte, und es gelang lange In seinem letzten Jahresbericht blickte er auf nicht, einen Nachfolger zu finden. Das unermüd- zehn Jahre Präsidentschaft zurück und stellte be- liehe Ehrenmitglied Kaeslin legte daraufhin in dauernd fest, dass die Zahl der Mitglieder der einem Exposé dar, wie es mit den Neujahrsblät- Gesellschaft von 250 auf 206 zurückgegangen sei, tern weitergehen könnte, und illustrierte seinen die «grossen Vorträge» einst im gut besetzten Vorschlag mit drei auswärtigen Neujahrsblättern. oder gar überfüllten Saalbau stattgefunden hät- Lauchenauer beriet das Papier mit Rolf Zschok- ten und heute das Clubzimmer des Aarauerhofs ke, der gerade neu in den Vorstand gekommen dafür genüge. Die Neujahrsblätter schliesslich war, und Siegfried Stöckli vom Verlag Sauerlän- passten sich dem eher düster gemalten Bild des der. Im Wesentlichen ging es um die Fragen, ob Präsidenten an und verursachten einen weiteren eine schönere Ausstattung zu einem besseren Verlust von knapp 400 Franken. Verkauf oder nur zu höheren Kosten führe, ob es in den Neujahrsblättern vorwiegend Original- Die Rückkehr des Optimismus beitrüge haben müsse, ob ein einheitliches The- Ernst Mäders Nachfolger wurde Eduard Lauche- ma sinnvoll oder eher verkaufshemmend sei und nauer, ehemals Redaktor des «Aargauer Tagblat- ob man die Würde und Bürde der Redaktion, tes», nun Vorsteher der Aargauischen Handels- nicht besser auf mehrere Schultern verteile."

172 Stöckli glaubte, dass eine Kommission schwerfäl- Beitrag an die Bibliothek erhöht habe.-'" Obwohl liger arbeite als ein einzelner Redaktor, erklärte Stadtammann Erich Zimmerlin nicht als Nach- sich aber bereit, in einer solchen zusammen mit folger von Fridolin Laager im Vorstand Einsitz Rolf Zschokke, Regierungsrat Kim oder Eduard nehmen wollte, blieb die Stadt den Neujahrs-

Lauchenauer mitzuwirken. Für 1949 zeichnete blättern wohlgesonnen. Für das Jahr 1949 ver- wieder der Vorstand der Literarischen für die Re- fasste Zimmerlin einen Artikel über den Abbruch daktion verantwortlich, die Chronik übernahm der Kettenbrücke, und sein Stadtschreiber um- der Historiker Alfred Lüthi. Aber im folgenden riss im Jahrgang 1954 die Ziele der städtischen Jahr musste Lauchenauer gegenüber dem Vor- Bodenpolitik.

stand einräumen, dass es mit den Neujahrsblät- 1953 feierte der Kanton Aargau seinen 150. Ge- tern nicht gut gelaufen war. Man habe zu wenig burtstag. Für dieses Jubiläum war ein umfang- Exemplare absetzen können. Der Vertrieb sei reicheres Blatt vorgesehen, weil von den vorher- nicht organisiert worden wie andere Jahre, und gehenden Nummern über tausend Exemplare vor allem habe das «Tagblatt» versagt. Er hoffte verkauft worden waren. Der Bezug zum Kan- jedoch, dass die Stadt helfend einspringen werde, tonsjubiläum blieb jedoch gering. Nur ein Arti- da der Aufsatz von Georg Boner über den Ur- kel von Paul Erismann über die «Aarauer Flaupt- sprung des Aarauer Stadtwappens von Stadtam- stadtsorgen» berührte es. Vielleicht erreichte der mann Zimmerlin als besonders verdienstvoll ta- Absatz deshalb nicht die erhoffte Höhe. Als xiert worden ward' An der gleichen Sitzung galt weiterer Grund für den geringen Absatz wurde es auch, die Nachfolge Eduard Lauchenauers zu immer wieder der Hausverkauf genannt. So war regeln. Gemäss dem Protokoll sondierte man in 1952 im «Aargauer Tagblatt» zu lesen: «Leider ist dieser Frage da und dort, und es zeigte sich, «dass der Verkauf in den letzten Jahren nicht immer so Herr Dr. Gilomen nicht ganz abgeneigt wäre, die gut gelaufen, wie es diese heimatliche Publika- Bürde auf sich zu nehmen, was allgemein beg- tion verdienen würde. Vermutlich gibt es viele rüsst wurde.» Aarauer, die gar nicht recht wissen, um was es sich handelt, wenn ihnen die Der Aufbruch der îçsoer-Jahre unter der Haustüre angeboten werden.» Eis Die Ära Gilomen war geprägt von der Renais- schliesst die Bitte an die Hausfrauen an, die sance des gesellschaftlichen Lebens, von vorneh- kleinen Verkäufer nicht unwirsch von der Türe men Festen'*' und gediegenen Privatdruckend' zu weisen, denn «die eignen Bereits 1948 hatte die Stadt ihr 700-jähriges Be- sich vorzüglich zur Gabe für den Hausherrn, stehen gefeiert, was in den Neujahrsblättern von denn er wird darin manches finden, was sein 1949 ausführlichen Niederschlag gefunden hatte. Wissen um die engere Heimat bereichert.»'" Es war dies das erste Geburtstagsfest der Stadt, Für das Jubiläum der Literarischen von 1955 wur- wie Georges Gloor in den Neujahrsblättern für de Eugen Kuhn aus Zofingen mit der Neugestal- 1949 schrieb,"' und es scheint den Neujahrsblät- tung der Neujahrsblätter beauftragt. Er wählte lern zumindest ideell geholfen zu haben. 1952 ein grösseres Format, tilgte das Stadtwappen auf berichtet das «Aargauer Tagblatt» über die Gene- der Umschlagseite und ersetzte die Fraktur durch ralversammlung der Literarischen, dass die Zahl eine zeitgemässe Antiqua-Schrift. Die neue Auf- der Mitglieder weiter gestiegen sei, die Neujahrs- machung weckte gemäss Leonhardt Jost Assozia- blatter sich gut verkauft hätten und die Stadt den tionen an ein Milchbüchlein,"' und der Vorstand

173 1963

AARAUER NEUJAHRS BLÄTTER.

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174 der Literarischen merkte auf der letzten Seite bereits nach einem Jahr von Georges Gloor ab- etwas zaghaft an, er glaube, dem Geschmack der gelöst, aber 1965 gehörte er zu den Gründern der Leserschaft entgegenzukommen, und bitte sie, Aarauer Innerstadtbühne an der Rathausgasse, den Neujahrsblättern die alte Treue zu bewahren. und auch die Neujahrsblätter redigierte er von Der ehemalige Präsident Günther dagegen war 1963 bis 1967 wieder. überzeugt und gratulierte Walter Gilomen um- gehend zur «neuen Gestalt, zum vermehrten Der Wandel der îçôoer-Jahre Umfang und zum schönen und so ungemein ge- In den t96oer-Jahren beschleunigte sich der ge- pflegten Rückblick aufdie Geschichte der LLG.»-"' sellschaftliche Wandel. Traditionen wurden in Aber der erhöhte Aufwand rechnete sich nicht, Frage gestellt, Lokalkolorit mit Provinzialität und die Zusammenarbeit mit dem Verlag Sauer- gleichgesetzt und die Beschäftigung mit der Ver- länder wurde aus finanziellen Gründen aufgege- gangenheit als Rückwärtsgewandtheit interpre- ben, was die Verleger verstimmte und zum Rück- tiert und negativ empfunden. Zudem verloren tritt von Redaktor Rolf Zschokke führte. Fast mit dem Aufkommen des Fernsehens Printme- gleichzeitig verloren die Neujahrsblätter zwei ih- dien zunehmend an Bedeutung. rer treusten Mitarbeiter, den hochbetagten Hans Das kulturelle Leben in Aarau entwickelte sich Kaeslin und Carl Günther, der gerade seine positiv, der Kanton gab sich ein wegweisendes Rückkehr nach Aarau geplant und gehofft hatte, Kulturgesetz und ging mit dem Gedanken um, sich seinem ehemaligen «Sorgenkind» wieder in Aarau eine Universität zu errichten. Aber die vermehrt widmen zu können." Zum Glück war Gründung der Volkshochschule, der Innerstadt- das neue Vertriebskonzept ein Erfolg. Der neue bühne und die Neuorganisation der Stadtbib- Verlag verschickte die Neujahrsblätter per Post, liothek absorbierte bewährte Kräfte der LLG, statt sie durch die Kadetten ausliefern zu lassen, und die Reform des Bildungswesens involvierte und konnte fast doppelt so viele Hefte verkaufen immer mehr Mittelschullehrer und führte zu wie im Vorjahr. Rücktritten als Folge zunehmender bildungs- Die Neuausrichtung setzte sich in den Blättern politischer Belastung. Gleichzeitig veränderten für 1957 fort. Der neue Redaktor, Anton Krättli, sich die Beziehungen zur Politik. Nach Fridolin wollte, dass die Neujahrsblätter nicht mehr allein Laager sass kein Stadtammann mehr im Vor- Chronik und Lokalgeschichte seien, «sondern stand der LLG, und i960 trat auch Regierungsrat ebenso und mehr noch lebendiges Zeugnis der Kim zurück. Gegenwart»f- Seine erste Nummer war schwer- Bei den Neujahrsblättern machte Redaktor, gewichtig dem Theater in Aarau gewidmet, über Georges Gloor, von sich reden, als er in einem das er im Vorwort schrieb, es sei «in Aarau in Artikel behauptete, Aarau sei keine Gründung mancher Hinsicht ein Sorgenkind» des Kultur- der Kyburger. Und Anton Krättli stiess eine lebens. Dass dem Redaktor das Theater am Her- Grundsatzdiskussion über die Zielsetzung der zen lag, sollte die Geschichte zeigen: Zwar nicht Neujahrsblätter an. Er plädierte für mehr ge- sofort, denn Anton Krättli wurde als Redaktor genwartsbezogene Themen, Staatsarchivar Nold Halder verteidigte die Blätter als historische 3 Titelblatt der Aarauer Neujahrsblätter Quellen. Dieser Gegensatz war nicht einfach auf- auf das Jahr 1963. zulösen und beschäftigte den Vorstand noch A Titelblatt der Aarauer Neujahrsblätter auf das Jahr 1976. mehrmals. Anton Krättli entwarf ein Redaktions-

17S stiltut, das eine vom Vorstand weitgehend unab- einen Verlust von fast 2000 Franken. Im folgen- hängige Redaktion vorsah, die eine Publikation den Jahr gab Chefredaktor, Hans Schnider, in als Spiegel des lokalen Kulturlebens und als lokal- einem ausführlichen Exposé Einblick in die historisches Forum herausgeben sollte und nur wachsenden Sorgen, welche die Neujahrsblätter bei Mehrausgaben die Einwilligung des Vorstan- der Redaktionskommission und dem Verlag be- des einholen musste. Der Start erfolgte 1963 mit reiteten. Die rechtzeitige Beschaffung von Bei- fünf Redaktoren und noch nie dagewesenen 136 trägen und der Rückgang des Interesses seien - Seiten Umfang. Den Umschlag gestaltete Felix einmal mehr - Schwierigkeiten, welche die Hoffmann. Er zeigte die Turmuhr der Stadt- weitere Existenz dieser Institution in Frage stell- kirche, verwies auf den Jahreswechsel und den ten. Als erste Massnahmen verkündete er die Neubeginn. Als sichtbares Zeichen eines stärke- Wiederaufnahme des Hausverkaufes durch Be- ren Aktualitätsbezugs war die Chronik erstmals zirksschüler und eine Preiserhöhung auf sechs bebildert. Franken. Aber 1970 wurden an der Generalver- Massgebende Autoren dieser Zeit waren Anton Sammlung ernsthafte «Zweifel an der Existenz- Krättli, Charles Tschopp, Theo Elsasser und berechtigung der Neujahrsblätter» geäussert, als Leonhard Jost. Thematisch erhielten die Künste die Präsidentin, Elisabeth Suter, erneut einen mehr Gewicht durch Artikel von Kunsthaus- Verlust von 1400 Franken bekannt geben musste. direktor Guido Fischer, die Literatur durch Her- Die Blätter von 1970 waren die bisher umfang- mann Burger, die Musik durch Seminarlehrer reichsten gewesen, hatten 135 Textseiten und Andreas Krättli und Hans Leuenberger. Die hei- zahlreiche Fotos aufgewiesen, aber nur fünf Ar- matkundlichen Beiträge wurden durch natur- tikel. Glücklicherweise sprang die Stadt in die kundliche von Bezirkslehrer Peter Stöckli er- Bresche und tilgte das entstandene Defizit, aller- gänzt.Im Bemühen,jungeAutoren einzubinden, dings «ohne Präjudiz für spätere Jahre» und un- wurden 1965 Beiträge von zwei Bezirksschul- ter der Bedingung, dass die LLG für 1971 zum klassen aufgenommen, die für die Expo 1964 als bisherigen Umfang von zirka 100 Seiten zurück- «Nationalreportagen» verfasst, aber nicht be- kehre." Die verschlankte Ausgabe fand ein Publi- rücksichtigt worden waren. kum, und dank der tieferen Druckkosten resul- Trotzdem blieb die Lage der Neujahrsblätter la- tierte sogar ein kleiner Gewinn, den der Kassier bil. Zunächst lichteten sich die Reihen der Re- angesichts des Fehlbetrags der Vorjahre dem Ka- daktion durch Wegzug und Todesfall. 1966 waren pitalkonto gutschrieb. nur noch Anton Krättli und Alfred Lüthi übrig. Die Diskussionen um Gestalt und Neuausrich- Mit Hans Schnider, Georg Boner und Peter tung der Neujahrsblätter im Rahmen der finan- Stöckli konnte für 1968 eine neue Kommission ziehen Gegebenheiten mündeten schliesslich in bestellt werden, aber nun entwickelte sich die fi- die Idee von thematisch ausgerichteten Num- nanzielle Lage unerfreulich. Zwar berichtete der mern. Im Vorwort für 1972 bekundete die Redak- scheidende Präsident an der Generalversamm- tion um Ulrich Weber die Absicht, neue Wege lung von 1967, dass sich Herausgabe und Verkauf zu beschreiten, um den Leserkreis für die Blätter der Neujahrsblätter im gewohnten Rahmen ab- zu erweitern. Als Mittel dazu betrachtete sie die wickelten, die nächsten Blätter im Werden be- Vergrösserung der Zahl der Mitarbeiter und die griffen seien und die Stadt ihren Beitrag erhöht Fokussierung auf ein Thema. Eigens für die Blät- habe. Aber die Ausgabe von 2967 verursachte ter angefertigte Illustrationen sollten die Text-

176 beitrage auflockern. Gleichzeitig bemühte man Offset-Druck. Entsprechend ungnädig wurden sich um Beiträge jüngerer Autoren, um die Ju- sie aufgenommen: Im «Aargauer Tagblatt» er- gend vermehrt anzusprechen. Die Themen wa- schien eine wenig schmeichelhafte Rezension, in ren «Kleinstadt oder Aarau», im Gefolge des Eid- der das Fehlen von Fotos und der geringe Bezug genössischen Turnfestes «Aarau als Feststadt», zu Aarau moniert wurde."' Dem Stadtammann dann «Schulregion Aarau» und «Kulturregion missfiel die «Schreibmaschinenschrift», die sich Aarau». Als jüngere Autoren wurden Urs Berner, unvorteilhaft von der bisher üblichen abhebe, Silvio Blatter und Klaus Merz gewonnen. Dane- und dass sich die billigere Aufmachung nicht in ben wurden Beiträge von Schülern in die Neu- einem tieferen Preis niederschlage." Im «Aar- jahrsblätter aufgenommen. Das ambitiöse Unter- gauer Kurier» wurde den Aarauer Neujahrsblät- fangen fiel jedoch in eine schwierige Zeit. Dem tern gar vorgeworfen, sie «wiissten nicht so recht, Erdölschock vom Oktober 1973 folgte eine Rezes- was sie eigentlich wollten».-"* sion, und die Alltagssorgen drängten das Interes- Mit der Beschränkung auf die Literatur und se an Kultur und Geschichte zurück und Hessen der öffentlichen Ausschreibung hatte die Redak- die Donatorengelder spärlicher fliessen. Viel- tion aus finanzieller Not und nachlassendem leicht war dies der Grund, warum die Idee der Interesse eine Tugend gemacht und die Neu- spezifischen Illustrationen nur bei den ersten jahrsblätter ins nächste Jahr gerettet. Sie nahm thematischen Blättern verwirklicht wurde. Jeden- die vorgebrachte Kritik aber ernst. Präsident talis hatten die Hefte zunehmend mit Absatz- Bruder schrieb bereits im Juli 1976 einen vorsorg- Problemen zu kämpfen, und als das Defizit für liehen Brief an Tagblatt-Redaktor Ulrich Weber, die Ausgabe von 1975 rekordhohe 3535 Franken erklärte ihm das überarbeitete Konzept und lud erreichte," demissionierte Chefredaktor Ulrich ihn zur Mitarbeit ein. Das nächste Heft war wie- Weber, der bereits zweimal hatte zurücktreten der in einer Proportionalschrift gesetzt und mit wollen, definitiv. Und der Verlag wollte ebenfalls Fotos geschmückt. Es wies aber nur 64 Seiten auf, nicht mehr mitmachen. so wenige wie letztmals 1938. K>er Inhalt bestand vorwiegend aus literarischen Texten und Beiträ- Die Krise von 1975 gen - unter anderem von Ulrich Weber - zu den Reinhold Bruder, der gerade alleiniger Präsident Kulturfestwochen «Aarauer Welle» und einem der LLG geworden war, wagte mit einer neuen Happening der Innerstadtbühne im Kunsthaus. Redaktion einen Neuanfang. Im Sommer 1975 Hoffnung auf ein beflügelndes Kantonsjubiläum richtete er eine «Einladung zur Mitwirkung» an dagegen schien für das nächste Jahr nicht ange- den Neujahrsblättern an die Bevölkerung der Re- bracht, da auch der Kanton sich dem Sparen ver- gion Aarau. Wer Freude am Schreiben habe, solle schrieben hatte und sich erst aufgeschreckt durch bis Ende Juli maximal fünf Schreibmaschinen- einen Leitartikel Ulrich Webers im «Aargauer Seiten an den Buchhändler Eugen Faes senden. Tagblatt», an die Planung eines Festes machte.-"' Flohe Ansprüche an Qualität wurden ausdrück- Für eine «Jubiläumsnummer» war es da schon zu lieh nicht gestellt. Die Blätter von 1976 erschienen spät. Das Fest in Lenzburg schlug sich erst in den im Dezember im Verlag Wirz mit einem neuen Neujahrsblättern von 1979 nieder. Die Redaktion Umschlag, den Ulrich Weber «aus verkaufstech- druckte das ldeine Theaterstück «Bilder aus dem ntschen Gründen»-" gefordert hatte, in einem Aargau 1798 bis 1803» ab, das Seminarlehrer Ro- anspruchslosen Satz und im kostengünstigen land Merz für das Jubiläumsfest verfasst hatte.

177 Der Akzent der Ära Bruder lag auf der Gegen- pelte die Auflage auf 2000 Exemplare und führ- wartsliteratur. Bekannte Autoren, die mit der te den Verkauf durch Schüler wieder ein. Auf Region verbunden waren, wie Claudia Storz, dem Umschlag von 1983 prangte der umstritte- Margrit Schriber, , ne Stadtfest-Adler, und ein Artikel von Alfred und Martin Dean, wechselten mit heute weni- Lüthi behandelte das Stadtrecht. Obwohl es bei ger bekannten wie Hanspeter Gschwend, Bruno einem relativ dünnen Bändchen blieb, war die Bolliger und Urs Troller. Daneben kamen der Neuausrichtung ein Erfolg. Die Blätter verkauf- Literaturkritiker Robert Mächler und die Doppel- ten sich so gut, dass die LEG einen Gewinn von begabung zu Wort. Mit Bru- über 3000 Franken ausweisen konnte. Noch ders Rückzug aus der Redaktionskommission einmal bestätigte sich, dass Feste Impulse zu fanden ab 1980 wieder vermehrt historische The- geben vermögen: 1984 erschienen die Blätter in men den Weg in die Neujahrsblätter. Unter dem einer neuen, klassisch anmutenden Aufma- neuen Redaktor, Buchhändler Eugen Faes, blieb chung. Der gediegen dunkelblaue Umschlag die Literatur aber dominant, stand die Aargauer zeigte unter einem filigranen Stadtwappen nur Literatur doch in schönster Blüte und fand über Titel und Jahr. Das Format war etwas grösser die Region hinaus Anerkennung. Erst mit dem und der Text in einer lichten Renaissanceanti- Amtsantritt von Bruno Bolliger als neuem Präsi- qua zweispaltig gesetzt. Der erste Beitrag war denten, kam es zu einer Neuorientierung, welche ein «Bilderquerschnitt zum Aarauer Stadtfest» sich für die Jahre 1982 bis 1984 in wechselnden von Jörg Müller. Den Schluss bildete das Stras- Umschlägen äusserte. Um die finanzielle Basis zu sentheater «Anna von Kyburg», das Claudia stärken, suchte Bolliger den Kontakt mit der Storz für das Stadtrechtsjubiläum verfasst hatte. Stadt und fand bei Stadtammann Markus Meyer Dazwischen fanden sich vorwiegend historische ein offenes Ohr. Dieser versprach, sich für eine Beiträge und als Novum ein zweisprachiger Text Beitragserhöhung durch die Ortsbürger einzu- von Anna Felder. setzen, wünschte dafür aber eine höhere Auflage sowie Artikel zu den aktuellen Themen Fussball Die Übergabe an die Stadt und Innerstadtbühne. Den Umschlag von 1982 Als sich Reinhold Bruder 1984 aus dem Vorstand zierte erstmals eine Fotografie. Sie zeigte den der Literarischen und Lesegesellschaft zurückzog, Obertorturm, welchem der erste Beitrag gewid- schien es, als sei alles auf besten Wegen, konnte met war. Neben einem Artikel von Ruth Ghisler doch sein Nachfolger an der Generalversamm- über Ausstellungen im Aargauer Kunsthaus gab lung über eine gestiegene Verbreitung und Be- es, wie vom Stadtammann gewünscht, einen liebtheit der Neujahrsblätter berichten. Diese Artikel über das Ende der Innerstadtbühne, Her- hatten mit einer Auflage von 2300 Exemplaren mann Burger hingegen schrieb nicht über den eine Rekordmarke erreicht und wesentlich zum Aufstieg des FC Aarau in die Nationalliga A, son- positiven Abschluss der Jahresrechnung beigetra- dem über «Das Gircensische und ich». gen. Aber ein gutes Jahr später führte die Heraus- Im folgenden Jahr plante Aarau ein zweites Mal gäbe der Neujahrsblätter beinahe zum Untergang ein Stadtfest. Unter dem neuen Redaktor, Her- der Gesellschaft. Im Juni 1986 musste Roland mann Rauber, wurde das Stadtrechtsjubiläum rechtzeitig thematisiert. Gleichzeitig wechselte 5 Titelblatt der Aarauer Neujahrsblätter man zum Verlag Sauerländer zurück, verdop- auf das Jahr 1983.

178 Aarauer Neujahrsblätter 1983 l—

179 Latscha, der die LLG seit einem halben Jahr präsi- dem Beitrag der Ortsbürgergemeinde waren dierte, eine ausserordentliche Generalversamm- kaum Spenden eingegangen. Als der Verlag für lung einberufen: Es drohte der Konkurs. die Herstellung Rechnung stellte, wurden aus Das Unglück nahm seinen Ausgang bei einem einem Vermögen von 13000 Franken schlagartig Glücksfall. 1983 war das Aargauer Kunsthaus Schulden von über 6000 Franken, und die LLG in den Besitz der Kunstsammlung des Ehepaars war zahlungsunfähig. Häuptli gekommen. Im Spätsommer 1983 stellte Der Konkurs konnte abgewendet und die Neu- das Kunsthaus die Werke erstmals aus, und in jahrsblätter erhalten werden, weil die Stadt den den Neujahrsblättern von 1985 wurde das Legat höheren Preis akzeptierte, der Verlag einen Teil in einem farbig bebilderten Artikel gewürdigt. der Schulden stundete und das verlegerische Zwar richtete der Regierungsrat einen Druck- Risiko für die Blätter von 1987 übernahm, '" vor kostenbeitrag aus, aber dieser reichte nicht, um allem aber, weil die Ortsbürger bereit waren, die Ausgaben zu decken, und das Dunkelrot des die Neujahrsblätter zu übernehmen. Am 12. Feb- Umschlags färbte auf die Jahresrechnung ab. Das ruar 1987 unterzeichneten der Stadtammann Defizit veranlasste die Lesegesellschaft, die Mit- und der Präsident der LLG eine entsprechende gliederbeiträge um zehn Franken zu erhöhen, Vereinbarung: Die von Stadtammann Hässig und Redaktor Rauber kündigte der Stadt, welche angeregte Publikation ging in den Besitz der jeweils 450 Exemplare für ihre Angestellten über- Stadt über, die Literarische blieb Mitheraus- nahm, für 1986 eine Preiserhöhung von knapp geberin. Zwar gab es weiterhin Diskussionen 10 Prozent an. Bei der Auslieferung verlangte der über die redaktionelle Ausrichtung, über Artikel Verleger und LLG-Kassier, Hans Christof Sauer- und Termine. Es gab 2002 einen weiteren Ver- kinder, jedoch überraschend 57 Prozent mehr, lagswechsel und im Jahr des Kantonsjubiläums um kostendeckend zu bleiben. Zunächst glaubte ein neues Design. Aber dank der gesicherten die Stadt an einen Irrtum, dann reagierte sie mit Finanzierung konnte sich die Redaktion nun- Befremden, und der Vorstand der Literarischen mehr auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrie- sah sich einer ungemütlichen Situation gegenü- ren, das vielfältige Leben der Region Aarau zu ber: Der Verkaufserlös der Jahrgänge 1985 und spiegeln und zu bereichern. 1986 war geringer ausgefallen als erwartet, die Produktionskosten waren gestiegen, und ausser Peter Gros ist Germanist und wohnt in Aarau.

180 Anmerkungen

1 Neujahrsblatt der Aargauischen Jugend geweiht von 20 Kaeslin, Hans: «Erlebtes aus vergangenen Tagen» (1939 der Brugger Bezirksgesellschaft für vaterländische Cultur und 1940), «Arnold Ott, Carl Spitteier und Josef 1819.2. Viktor Widmann» (1941); Schmidt, Max: «Wie in Aarau 2 Vgl. Stähelin, Heinrich: Die Alte Kantonsschule 1802- die Elektrizität eingeführt wurde» (1941); Haemmerli- 2002. Aarau 2002,13. Erismann, Paul: Die Aarauer Marti, Sophie: «Franklin Wedekind auf der Kantons- Stadtammänner und Stadtschreiber von 1803 bis 1961. schule» (1942); Btichli, Arnold: «Erinnerungen aus der Aarau 1962,19. Schulzeit» (1946). 3 Aarauer Neujahrsblätter 1910,3. 21 Aargauer Tagblatt vom 24.1.1948. 4 Der Text von Fröhlich war dem Jahrbuch für 1902 bis 22 Brief von Siegfried Stöckli an Eduard Lauchenauer 1907 der Literarischen und Lesegesellschaft beigefügt. vom 12.7.1949. 5 Eidgenössisches Schützenfest - Jahrhundertfeier 23 Brief von Erich Zimmerli an Eduard Lauchenauer Aarau 1924: Schlussbericht und Generalrechnung. vom 14.2.1950. Aarau 1926,171. 24 Ab 1953 bis Ende der i96oer-Jahre veranstaltete die LLG 6 Auszug aus dem Protokoll des Gemeinderates Aarau zum Ausklang der «Wintertätigkeit» einen Ball, meist vom 27.2.1925. im Schlosshotel Brestenberg in Seengen. 7 Brief von H. R. Sauerländer an Carl Günther vom 25 Zwischen 1955 und 1961 wurden von der LLG fünf 4.3.1926. nummerierte Privatdrucke herausgegeben. 8 Brief von Carl Günther an H. R. Sauerländer vom 26 Aarauer Neujahrsblätter 1949,13. 7.3.1926. 27 Aargauer Tagblatt vom 1.1.1952. 9 Auszug aus dem Protokoll des Gemeinderates Aarau 28 Aargauer Tagblatt vom 13.12.1952. vom 11.6.1926. 29 Jost, Leonhardt: Zum Umschlagbild der Aarauer 10 Auszug aus dem Protokoll des Gemeinderates Aarau Neujahrsblätter. Aarauer Neujahrsblätter 1964,4. vom 14.4.1927. 30 Brief von Carl Günther an Walter Gilomen vom 13.1.1955. 11 Aarauer Neujahrsblätter 1928,43-56. 31 Brief von Gertrud Günther an Walter Gilomen vom 12 Anacker, Heinrich: Die Fanfare. München 1933, nf. 4.3.1956. 13 Brief von H. R. Sauerländer an Carl Günther am 32 Aarauer Neujahrsblätter 1957,96. 24.1.1933. 33 Auszug aus dem Protokoll des Gemeinderates Aarau 14 Brief von H.R. Sauerländer an Carl Günther am 1.3.1934. vom 19.10.1970. 15 Brief von Carl Günther an Siegfried Stöckli am 29.7.1933. 34 Brief von Peter Szabo an Lisbeth Halper vom 9.7.1975. 16 Kaeslin, Hans: Schweizer Art. Aarauer Neujahrsblätter 35 Brief von Ulrich Weber an Hans Byland vom 21.12.1973. 1939.3. 36 Aargauer Tagblatt vom 12.12.1975. 17 Aarauer Neujahrsblätter 1938,4. 37 Brief von Markus Meyer an Reinhold Bruder vom 18 Auszug aus dem Protokoll des Gemeinderates Aarau 11.12.1975. vom 21.10.1938. 38 Aargauer Kurier vom 5.2.1976. 19 Brief von Carl Günther an die Aarauer Zeitungen vom 39 Vgl. Halder, Heiner: 175 Jahre Aargau. Aarau 1978, 9. 26.12.1928. 40 Brief von Hans Christof Sauerländer an Hermann Rauber vom 7.10.1986.

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