Getreue Boten der Heimat : zum 100. Geburtstag der Aarauer Neujahrsblätter Autor(en): Gros, Peter Objekttyp: Article Zeitschrift: Aarauer Neujahrsblätter Band (Jahr): 83 (2009) PDF erstellt am: 23.09.2021 Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-559335 Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. Das Veröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung der Rechteinhaber erlaubt. 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Als Vorbild diente Brugg. verschiedenen Schulgründungen kann auch die In der Prophetenstadt war 1819 erstmals ein der Neubelebung der Lesegesellschaft Aarau von 1882 aargauischen Jugend geweihtes Neujahrsblatt als Folge der aufklärerischen Bemühungen um erschienen. Seine LIerausgeberin, die «Brugger Volksbildung betrachtet werden, wie sie Pesta- Bezirksgesellschaft für vaterländische Cultur», lozzi und Zschokke im Aargau betrieben hat- berief sich auf die traditionsreichen Zürcher ten. Und nach der Wahl des jugendlichen Max Neujahrsblätter, die bis ins 17. Jahrhundert zu- Schmidt zum Stadtammann und dem Einzug rückreichten, und verband dieses Vorbild mit des Stadtbibliothekars, Hans Hässig, in den dem Grundgedanken der 1811 in Aarau gegrün- Stadtrat, erlebte Aarau eine Zeit eines erstarken- deten Kulturgesellschaft: dem patriotischen den kulturellen Selbstbewusstseinsd Die 600- Einsatz für die Volksbildung. Besonders betonte Jahrfeier der Eidgenossenschaft, das hundert- sie die Aufgabe, durch die «Darstellung ge- jährige Bestehen der Aarauer Kantonsschule schichtlicher Denkwürdigkeiten» das Zusam- 1902, die Centenarfeier des Kantons 1903 und menwachsen der durch die Jahrhunderte ent- viele kleinere von bürgerlichem Patriotismus fremdeten Teile des jungen Kantons zu betör- und kulturellem Impetus getragenen Schützen- dein.' Dem Unternehmen war keine Dauer und Turnfeste trugen zur Vertiefung des vater- beschieden. Bis 1929 erschienen acht weitere ländischen Bewusstseins bei. 1902 kam es auf Tiefte, dann schliefen die Blätter ein, und erst ab Betreiben von Max Widmann gar zur Gründung 1890, nach dem Ende des Kulturkampfes und einer zweiten «Literarischen Gesellschaft», die der bewegten Zeit der Verfassungsrevision, wur- sich der Förderung des Theaters und des gesell- den die Blätter von der Lehrerkonferenz regel- schaftlichen Lebens widmete. Als ab 1906 auch in massig fortgesetzt. Zofingen Neujahrsblätter erschienen, wollte die 164 Kantonshauptstadt nicht mehr zurückstehen, Not zum Opfer, oft bloss, weil es nicht beachtet und anlässlich der Generalversammlung der 1905 war. Die Freude an dem Eigenartigen, wie es in aus der Lese- und Literarischen Gesellschaft tu- unserer Landesgegend zwischen Jura und Hall- sionierten «Literarischen und Lesegesellschaft» wilersee in Natur und Volkstum heimisch ist, zu im Dezember 1908 regte der neugewählte Stadt- erhalten und zu beleben, das soll die Aufgabe der ammann, Hans Hässig, die Herausgabe von (Aarauer Neujahrsblätter> sein.»' Aarauer Neujahrsblättern an. Die Bibliotheks- Der Inhalt des Blattes folgte diesem Programm. kommission, die Präsident Max Widmann mit Der erste Beitrag trug den Titel «D'LIeimweh- der Angelegenheit betraute, wies die Sache im flueh». Er stammte vom Schönenwerder Lehrer März «zum weiteren Ausbau» an den Vorstand Josef Reinhart. Es folgten Erinnerungen des 1867 zurück, der am 7. Mai 1908 nach längerer Diskus- geborenen Kantonsschullehrers Hans Kaeslin sion beschloss, das Projekt weiterzuverfolgen. an Lehrer und kulturelle Höhepunkte im Aarau Zwar plädierte Kassier Emil Hemmeier für Ver- seiner «Jugendzeit». Den historischen Teil im Schiebung, weil er zuerst die Defizite des Dichter- engeren Sinne bestritt Ernst Zschokke mit einem buchs, das die Literarische zur Centenarfeier des Rückblick auf das Aarauer Brunnen- und Ju- Kantons herausgegeben hatte, und des Jahr- gendfest vor 50 Jahren. Dazwischen finden sich huches für 1902 bis 1907 abtragen wollte. Seinen drei Gedichte der Lenzburger Arztgattin Sophie Bedenken hielt Widmann zwei Schreiben aus Haemmerli-Marti, die bereits 1896 als Mundart- Brugg und Zotingen entgegen, die «trotz teilwei- dichterin hervorgetreten war. Die vom Kantons- ser schlechter Erfahrungen» für Neujahrsblätter schullehrer Jakob Hunziker in Aarau gepflegte votierten. Ein weiterer Förderer der Idee, Pfarrer Volkskunde schliesslich war durch den Bericht Xaver Wernly, beantragte darauf die Bildung über einen bebilderten Spaziergang auf die Was- eines «Comités», dem unter anderem Stadtam- serfluh und einen Text von Seminarlehrer Arthur mann Hässig und Kantonsschullehrer Zschokke, Frey über Hochzeitsbräuche im Wynental vertre- Redaktor Widmann und er selbst angehörten. ten. Es folgte ein Märchenscherz in Mundart, der Und nur zehn Tage später trat die bereits er- die Frage klärte, warum das Jahr 1909 so nass wähnte Versammlung zusammen und hob die ausgefallen sei. Am Schluss stand die Chronik des Aarauer Neujahrsblätter aus der Taufe. Jahres 1909, in der man, die meteorologischen Wie in Brugg steuerte die Kulturgesellschaft des Aussagen des letzten Beitrages nachprüfend, le- Bezirks ihr Scherflein bei, der Stadtammann sen konnte, dass der Hallwilersee im Februar sorgte für einen Beitrag der Stadt, die Literarische zugefroren, dass es im März Iiis -14.5" C kalt und und Lesegesellschaft bestellte die Redaktion und der Maienzug wegen schlechten Wetters verscho- organisierte einen Verleger. So konnte im De- ben worden war. Die Chronik sollte ein Spiegel zember 1909 das erste Lieft im Verlag Emil Wirz der Gegenwart sein und ihre Leistungen für erscheinen. Es war in einer dem Zeitgeschmack künftige Generationen festhalten. Sie hat sich zu entsprechenden Jugendstilschrift aufvornehmes, einem festen Bestandteil der Neujahrsblätter ent- leicht geriffeltes Papier gedruckt und enthielt fol- wickelt und bis heute erhalten. Es dominierte der gende Zielsetzung: «Die moderne Kultur sucht leichte verklärende Blick zurück, das Interesse an zu vermitteln und auszugleichen, und dieser Zug der Geschieh te und Volkskunde als Ausdruck der bringt nach mancher Richtung Vorteile. Aber lei- Suche nach einer lokalen Identität in einem ge- der fällt ihm auch so manches Eigenartige ohne rade hundert Jahre alt gewordenen Kanton. 165 166 Die Euphorie war gross, die Auflage auch. Aber Die zweite Folge die Hoffnung, die Neujahrsblätter im grossen Stil Das zweite Heft der «Aarauer Neujahrsblätter» verkaufen zu können, erfüllte sich nicht. Es blie- erschien erst 17 Jahre später und knüpfte nahtlos ben 1500 unverkaufte Exemplare und ein Defizit an, wo das erste begonnen hatte: beim Heimat- von stattlichen 800 Franken. Die Hälfte des Fehl- sinn. Sein erster Artikel stammte von Adolf betrages übernahm abmachungsgemäss der Ver- Haller, der gerade eine vielbeachtete Pestalozzi- leger. Der Rest konnte zur Hälfte aus der laufen- biografie geschrieben hatte, und befasste sich mit den Rechnung getilgt werden, was übrig blieb, «Pestalozzis Beziehungen zu Aarau». Im zweiten musste auf das nächste Jahr vorgetragen werden. würdigte Ernst Zschokke den Schwiegervater Unter diesen Umständen erstaunt es wenig, dass Heinrich Zschokkes, Pfarrer Nüsperli, im dritten der Vorstand der LEG an der Generalversamm- nahm Sophie Haemmerli-Marti den Faden des lung im April 1910 vorschlug, die Herausgabe Dichterbuches von 1903 auf und kommentierte der Neujahrsblätter «unter bester Verdankung an Texte von Aargauer Minnesängern. Es folgten ein die Redaktion» einzustellen und die restlichen Aufsatz über die alte Kirche von Seengen und Exemplare an die «Schulen und Anstalten des einen Spaziergang durchs Ruedertal. Dazwischen Kantons zu verteilen». Zwar versuchte Hans waren Gedichte von Sophie Haemmerli-Marti Kaeslin, die Neujahrsblätter in vereinfachter und Hans Kaeslin eingestreut. Am Schluss stand Form oder mittels einer Sammlung zu retten, die Chronik, und es schien, als wäre die Zeit ste- zog seinen Antrag auf Erhaltung der Blätter aber hen geblieben. zurück, nachdem in der Versammlung argu- Vor dem Hintergrund der Kriegserfahrung, des mentiert worden war, dass mit der Verminde- Generalstreiks und der zunehmenden politi- rung der
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