MASARYKOVA UNIVERZITA FILOZOFICKÁ FAKULTA

ÚSTAV GERMANISTIKY, NORDISTIKY A NEDERLANDISTIKY

MAGISTERSKÁ DIPLOMOVÁ PRÁCE

BRNO 2012 BC. EVA BOLFOVÁ

Masarykova univerzita Filozofická fakulta

Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky

Překladatelství německého jazyka

Bc. Eva Bolfová

Herta Müllers Novelle Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt und ihre tschechische Übersetzung im Vergleich

Magisterská diplomová práce

Vedoucí práce: PhDr. Roman Kopřiva, Ph.D. 2012

Ich erkläre, dass ich meine Diplomarbeit selbstständig ausgearbeitet habe und dass ich nur die Materialien verwendet habe, die ich am Ende dieser Arbeit im Literaturverzeichnis angeführt habe.

…………………………………… Unterschrift der Autorin

An dieser Stelle möcht ich mich bei Herrn PhDr. Roman Kopřiva, PhD., der mich bei dieser Diplomarbeit begleitete, herzlich bedanken.

Inhaltsverzeichnis 1.Einleitung ...... 7

2. Herta Müller ...... 9

2.1. Lebenslauf ...... 9

2.2. Werke ...... 12

2.3 Auszeichnungen ...... 16

2.4. Schreibkunst ...... 16

3. Radka Denemarková ...... 26

3.1. Lebenslauf ...... 26

3.2. Werke ...... 26

3.3. Auszeichnungen ...... 28

3.4. Schreibkunst ...... 28

3.5. Übersetzen ...... 35

4. Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt ...... 39

4.1. Inhalt ...... 39

4.2 Hauptfiguren ...... 39

4.2.1. Windisch ...... 40

4.2.2. Katharina ...... 41

4.2.3. Amalie ...... 42

4.3. Text aus der strukturellen Sicht ...... 42

4.4. Sprache ...... 44

4.5. Metaphorik, Anzeichen und Aberglauben ...... 44

4.6. Interpretation ...... 47

5. Vergleich der Übersetzung mit dem Original ...... 50

5.1. Übersetzen ...... 50

5.1.1. Formulierung des Auftrags ...... 51 5

5.1.2. Die Übersetzung ...... 52

5.1.3. Der Übersetzer ...... 54

5.2. Autor – Buch – Übersetzer ...... 54

5.3. Titel ...... 56

5.4. Namen der Hauptfiguren ...... 57

5.5. Verben ...... 58

5.6. Veränderungen ...... 64

5.7. Hinzufügungen und Auslassungen ...... 69

5.7.1. Hinzufügungen...... 70

5.7.2. Auslassungen ...... 72

5.8. Kürzung ...... 73

5.9. Phraseologismen ...... 74

5.10. Die Nomenklatur ...... 75

5.11. Das Einhalten der Leitmotive ...... 76

5.12. Expressivität und die feminine Seite der Übersetzerin...... 78

5.13. Lieder und Gedichte ...... 80

5.14. Übersetzungsfehler ...... 81

5.15. Kritik der Übersetzung ...... 83

6. Zusammenfassung ...... 86

Literaturverzeichnis...... 89

Anhang ...... 93

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1.Einleitung

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der tschechischen Übersetzung der Novelle Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt, die von der deutschsprechenden Schriftstellerin Herta Müller geschrieben wurde. Herta Müller ist eine Autorin, die 2009 den Nobelpreis für Literatur erhalten hat und seit dieser Zeit viel öfter in mehrere Sprachen übersetzt wurde und auch in Tschechien ist dies nicht anders. Die Übersetzerin, die bis jetzt alle, in Tschechien veröffentlichte, Werke von Herta Müller in die tschechische Sprache übersetzt hat, ist Radka Denemarková.

Herta Müller ist eine Autorin, die in den letzten Jahren zu einem Phänomen wurde, die sich ihren Platz unter den besten Autoren der deutschen Literatur sicherlich verdient hat. Ihre Literatur ist ganz anders als man gewohnt ist. Sie stammt nämlich aus Rumänien, wurde zwar deutschsprachig aufgezogen, aber das Rumänische ist in ihrer deutschen Sprache, vor allem in ihrer Literatur erkennbar. Noch dazu ist sie eine sehr vielfältige Schriftstellerin, die nicht nur Romane oder Novellen schreibt, sondern auch Gedichte. Gedichte sind bei ihr immer auf der ersten Stelle und obwohl sie viele Romane schreibt, kann man fast sagen, dass bei ihrer Prosa immer die Poesie dabei ist, immer mitspielt. Ihre Literatur, genauer gesagt ihre Romane, Novellen usw. sind sehr, man kann fast sagen, einfach geschrieben, aber bei näherem Hinsehen sehr kompliziert. Sie kombiniert die Prosa mit der Poesie. Zu finden sind dann sehr kurze Sätze, die für das Deutsche nicht gerade üblich sind, die aber dann doch viel mehr sagen als ein längerer Satz. In dieser Arbeit wird Herta Müller ausführlich vorgestellt. Man erfährt etwas über ihr Leben, das sicherlich ihre ganze Arbeit beeinflusst hat, man erfährt etwas über ihre Werke, aber vor allem wird detailliert über ihre Schreibkunst geschrieben, die das Wichtigste in ihrer Literatur ist.

Im weiteren Teil der Arbeit wird natürlich auch die Übersetzerin, Radka Denemarková, vorgestellt. Auch hier wird etwas über ihr Leben, Werke, Auszeichnungen erwähnt, aber vor allem widmet sich der Teil ihrer Arbeit, ihrer Schreibkunst, die sicherlich beim Übersetzen auch wichtig ist, und ihrer Übersetzungskünste an sich. Es ist immer wichtig, dass man bei einer Übersetzungskritik beide Seiten kennenlernt, die der

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Autorin und die der Übersetzerin, denn nur so kann man sich in die Haut der beiden Seiten hineinversetzen und man kann sich manche Entscheidungen, ob nun gut oder schlecht, besser erklären.

Weiterhin beschäftigt sich die Arbeit in einem Kapitel nur mit der Novelle an sich. Es wird über den Inhalt, Hauptfiguren der Novelle geschrieben und dann über den Text an sich. Dieser Teil soll dem Leser, der vielleicht die Novelle Der Mensch ist ein großer Fasen auf der Welt von Herta Müller nicht kennt, etwas näher bringen und ihm erläutern, worum es in dem Buch geht, wovon die Novelle handelt. Den an dieser kurzen Novelle kann man ziemlich gut und deutlich zeigen, über welche Themen und auf welche Weise Herta Müller schreibt.

Im letzten Teil der Arbeit, der sozusagen auch der Hauptteil dieser Arbeit ist, befassen wir uns konkret mit dem Vergleich der Übersetzung mit dem Original. An Hand konkreter Beispiele wird gezeigt, welche Fehler, Veränderungen und vielleicht auch Missverständnisse entstanden sind. Dieses ganze Kapitel befasst sich mit dem Übersetzen, mit konkreten Übersetzungsproblemen, die in vielen Übersetzungen vorkommen und auch mit der Theorie des Übersetzens, die in einer Arbeit über eine Übersetzung nicht fehlen sollte. Weiterhin befasst sich dieses Kapitel auch mit dem Vergleich beider Autorinnen und mit der Frage, ob Radka Denemarková eine kompetente Übersetzerin für dieses Werk ist. In diesem Kapitel finden wir auch die Übersetzungskritik, die sich vor allem an die konkreten Beispiele aus dem Buch stütz.

Das Ziel der Arbeit ist es, die Übersetzung Cestovní pas mit dem Original Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt zu vergleichen. Die Arbeit soll versuchen, die Übersetzung an Hand gegebener Voraussetzungen, die allgemein gelten und eingehalten werden sollten, objektiv zu bewerten. Die Arbeit soll auch dem Leser Herta Müller als Schriftstellerin und Radka Denemarková als Übersetzerin etwas näher bringen.

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2. Herta Müller

2.1. Lebenslauf

Herta Müller wurde am 17. August 1953 in Nitzkydorf, Rumänien, als Banater Schwäbin geboren. Ihr Großvater war ein wohlhabender Bauer und Kaufmann, aber das kommunistische Regime in Rumänien, wie bei allen kommunistischen Regimes in Osteuropa, enteignete ihm sein Eigentum. Ihre Mutter wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, wie weitere 80.000 Volksdeutsche, deportiert. Sie musste in der USSR fünf Jahre lang Zwangsarbeit leisten. Dank dieses Ereignisses bekam Herta Müller ihren Vornamen. Herta hieß nämlich eine Freundin der Mutter, die im Gulag verhungerte. Ihr Vater war im Zweiten Weltkrieg ein Soldat der Waffen-SS und danach verdiente er seinen Lebensunterhalt als LKW-Fahrer.1

Die Vergangenheit ihres Vaters war etwas, womit sie sich nie wirklich abgefunden hat. Seine Geschichte als Oberscharführer in den Waffen-SS und andere Menschen aus ihrer Umgebung die auch hitlerbegeistert waren, waren einer der Gründe, warum sie anfing zu schreiben. Der Tod ihres Vaters war einer der Punkte, wo sie sich entschied zu schreiben, obwohl sie bis dahin nichts mit Literatur zu tun hatte. Und deshalb schrieb sie auch viel über ihren Vater, denn sie hatte das Gefühl, dass das was ihr Vater erlebt hat, hatte sich in sie hinein gespiegelt. „Das hatte damit zu tun, dass ich wusste, ich müsste ihn lieben. obwohl ich es nicht konnte - und gleichzeitig wusste, dass ich ihn liebte, obwohl ich es nicht wollte.“2

Sie wurde deutschsprachig aufgezogen und erst als Schülerin in Temeswar lernte sie mit 15 Jahren Rumänisch. Ihre Mutter wollte zwar, dass sie im Dorf bleibt und Schneiderin werde, aber Herta Müller ging gegen den Willen ihrer Mutter in die Stadt aufs Gymnasium. Wie sie selbst sagt, dort fing sie erst an, Bücher zu lesen und dort fing

1 Herta Müller und ihr Lebenslauf. (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Herta_M%C3%BCller 2 MÜLLER, H.: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München: Carl Hanser Verlag, 2011. S. 85 9

auch ihr Weg als Schriftstellerin an.3 Nach dem Abitur studierte sie von 1973 bis 1976 an der dortigen Universität Germanistik und Rumänistik.

Nach der Schule 1976 begann sie in einer Maschinenfabrik als Übersetzerin zu arbeiten, aber leider wurde sie schon im Jahre 1979 entlassen, denn sie weigerte sich, mit der Securitate zusammenzuarbeiten.4 Dreimal ist ein Geheimdienstmitarbeiter erschienen und nötigte sie für den rumänischen Geheimdienst, Securitate, Spitzeldienste zu leisten. Sie zerriss das Anwerbeblatt und gab so klar, dass sie so etwas nie machen würde. Ihr wurde sogar mit dem Tode gedroht, aber sie dachte sich, dass wenn sie das mache, könne sie nicht mehr mit sich selbst leben. Ihr Chef sagte ihr jeden Morgen, dass sie sich eine andere Arbeit suchen müsste und weigerte sich, sie weiterhin als Übersetzerin bei sich zu haben. Er entzog ihr sogar ihr Büro und glaubte, damit ihren Willen gebrochen zu haben, aber Herta Müller fand sich ein Plätzchen auf der Treppe und schrieb dort ihre Übersetzungen. Dies war aber nicht das Schlimmste. Unter den Kollegen wurde die Verleumdung verbreitet, sie arbeite für den Geheimdienst, ein Gerücht, gegen das sie sich nicht wehren konnte. Das war einer der schlimmsten Momente für sie, den die Mitarbeiter glaubten diesem Gerücht und dachten über sie das, was sie vollkommen verweigert hat.

Nach der endgültigen Entlassung arbeitete sie zeitweise als Lehrerin, unter anderem auch am deutschsprachigen Nikolaus-Lenau-Lyzeum in Temeswar. Sie arbeitete auch im Kindergarten, aber hielt diese Arbeit nur für zwei Wochen aus und dann kündigte sie. Sie hielt es nicht aus zu sehen, wie das kommunistische Regime schon so kleine Kinder beeinflusst und aus ihnen Spitzel und andere bösartige Menschen macht. Und leider konnte sie nichts damit tun, ohne dabei sich selbst in Gefahr zu bringen. Über diese zwei Wochen ihres Lebens erzählt sie detailtreu in ihrem Buch Der König verneigt sich und tötet im Kapitel Die rote Blume und der Stock.5

3Vgl. MÜLLER, H.: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München: Carl Hanser Verlag, 2011. S. 12 4Herta Müller und ihr Lebenslauf. (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Herta_M%C3%BCller 5 MÜLLER, H.: Der König verneigt sich und tötet, München: Carl Hanser Verlag, 2003. 10

In der Stadt traf sie zum Glück auch viele neuen Freunde, die ihr nicht nur psychisch in schweren Zeiten geholfen haben, sondern auch bei ihr standen, als sie bei sich den Drang zum Schreiben entdeckte. Diese Freunde waren eine Handvoll junger Dichter aus der "Aktionsgruppe Banat". Zu dieser Gruppe gehörten unter anderen Richard Wagner, Ernest Wichner, Gerhard Ortinau, Rolf Bossert, William Totok, Johann Lippet.6 Diese Gruppe wurde leider im Jahre 1976 durch die Securitate zerschlagen und die Autoren organisierten sich im offiziellen Literaturkreis der Temeswarer Schriftstellervereinigung. In diesem Schriftstellerkreis, zu dem auch Helmuth Frauendorfer, Roland Kirsch, Horst Samson und Werner Söllner gehörten, war Herta Müller die einzige Frau. In Rumänien war sie ständigen Verhören der Securitate ausgesetzt. Andauernd wurde ihr klar gemacht, dass sie, wenn es ihnen recht ist, sie eliminieren können. Sie sah um sich herum, wie Leute verschwanden oder Selbstmord begangen, obwohl sie überhaupt nicht Selbstmordgefährdet waren. Sie wurde durch den Geheimdienst beobachtet, ihre Wohnung wurde mehrmals durchsucht, sie konnte fast niemandem vertrauen und hatte auch Angst um ihr Leben.

Aus diesen Gründen entschied sie sich nach drei Besuchen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1987 mit ihrem damaligen Ehemann, dem Schriftsteller Richard Wagner, auszureisen. Das Gefühl der Sicherheit und das, dass sie der Securitate endlich entkommen ist, blieb ihr leider nicht lange. Denn auch nach der Ausreise und nach dem Beginn eines neuen Lebens erhielt sie Drohbriefe, Morddrohungen per Telefon und sie wurde von ihren Gegnern unter den Banater Schwaben mit anonymen Briefen belästigt. Sie solle nachts nicht mehr durch Parks spazieren, der Bundesnachrichtendienst riet ihr damals, nie zu Fremden in eine Wohnung zu gehen. Sie nimmt sogar an, dass die Securitate entworfene Briefe an deutsche Rundfunkanstalten geschickt hat, in denen sie behauptete, dass Herta Müller eine Agentin sei. Wie sie selbst sagt waren dies alles Gründe, warum sie sich nirgendwo so wohl fühlte wie zu Hause. Sie musste Rumänien verlassen, um zu überleben, und ging nach Deutschland, wo sie glaubte, sicher zu sein,

6 Vgl. MÜLLER, H.: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München: Carl Hanser Verlag, 2011. S.13

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wo sie glaubte, dass dies ihr Zuhause ist, wenn Deutsch ihre Muttersprache war, aber leider hing die Vergangenheit, die Securitate, hinter ihr wie ein Schatten, den man nie loswird und auch Deutschland war ihr fremd, obwohl Deutsch ihre Muttersprache war, und sie früher Deutsch sprechen konnte als Rumänisch. Sie hatte oftmals Lust, ihre Koffer zu packen und zu gehen, aber sie tat es nicht, weil es auf ihre Frage, wohin sie gehen würde, keine Antwort kam.

In den folgenden Jahren erhielt sie eine Reihe von Lehreraufträgen als "Writer in residence" an Universitäten im In- und Ausland. 1998 wurde sie auf die "Brüder- Grimm-Gastprofessur" der Universität Kassel berufen und im Jahre 2001 hatte sie die Tübinger Poetik-Dozentur inne. Herta Müller gehörte bis zum Jahre 1997 dem P.E.N.- Zentrum Deutschland an und seit 1995 ist sie Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 2005 war sie "Heiner-Müller-Gastprofessorin" an der Freien Universität in Berlin und Berlin-Friedenau ist auch die Stadt, in der sie bis heute lebt.7

2.2. Werke

Thematisch sind die Romane und Gedichte von Herta Müller an die diktatorische Vergangenheit ihrer Heimat Rumänien gebunden aber literarisch leben sie von der Poesie ihrer deutschen Muttersprache. Ihre Romane und Gedichte sind vor allem deutsch geschrieben. Es gibt nur ein paar Ausnahmen die rumänisch geschrieben sind wie z.B. Este sau nu este Ion.8 Jeder ihrer Romane oder jedes ihrer Gedichte befasst sich mit der Vergangenheit, mit ihrer erlebten Vergangenheit und mit den erlebten Ereignissen anderer, die dabei waren. Sie erzählt über die Diktatur in Rumänien, über die schrecklichen Taten des Diktators Nicolae Ceausescu. Sie selbst hat dieses Regime auf eigener Haut erlebt und will dieses Wissen weitergeben, will darüber schreiben und vor allem will sie, dass es nicht in Vergessenheit gerät, denn sie ist der Meinung, dass man von der Vergangenheit etwas lernen muss und um lernen zu können, muss man darüber etwas wissen. Darum beschreibt sie dies in ihren Romanen und Gedichten, damit es sich auch Generationen, die es nicht erlebt haben, vorstellen können.

7 Herta Müller und ihr Lebenslauf. (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Herta_M%C3%BCller 8 Ebd. 12

In ihren Romanen und Gedichten benutzt Herta Müller ihre eigene Sprache, ihre eigene Weise, das Geschehene in Worten zu fassen. Viele Kritiker sind der Ansicht, dass es die Sprache verbessert, dass es gut klingt, doch es gibt natürlich auch Leute, die mit dieser Meinung nicht übereinstimmen. Ob es nun negativ oder positiv ist, ist in diesem Moment nicht grundlegend. Wichtig ist, dass ihr Spiel mit der Sprache und vor allem mit Wörtern sehr augenfällig ist. Am meisten ist dieses Spiel in ihrer surreal-grotesker, doppelbödiger Schnipsel-Poesie zu sehen: Im Haarknoten wohnt eine Dame, Die blassen Herren mit den Mokkatassen9, Der fremde Blick oder Das Leben ist wie ein Furz in der Laterne10.

Zu ihrem Debüt gehört der Roman Niederungen. Das Manuskript zu diesem Buch wurde vier Jahre lang vom Verlag zurückgehalten. Erst im Jahre 1982 konnte es in Rumänien erscheinen, aber nur als eine stark zensierte Fassung. Der Roman beschreibt das traurige Landleben der Banater Schwaben und unglücklicherweise verschaffte diese Erstausgabe Herta Müller den Ruf der Nestbeschmutzerin.11

Weitere Werke von Herta Müller sind zum Beispiel die Romane Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt, Reisende auf einem Bein, Der Teufel sitzt im Spiegel, Der Fuchs war damals schon ein Jäger, Eine warme Kartoffel ist ein warmes Bett, Der Wächter nimmt seinen Kamm, Angekommen wie nicht da, Herztier, Heute wär ich mir lieber nicht begegnet, Heimat ist das, was gesprochen wird und viele weiteren.12

In ihren Büchern wird sie auch sehr oft autobiographisch und erzählt über ihr Leben in Rumänien, über ihre Kindheit und erklärt auch, warum sie gerade über solche Themen schreibt. Solche Bücher sind zum Beispiel Der König verneigt sich und tötet, Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel und Die Nacht ist aus Tinte gemacht.

9 MÜLLER, H.: Die blassen Herren mit den Mokkatassen. München: Carl Hanser Verlag, 2005. 10 MÜLLER, H.: Der Fremde Blick oder Das Leben ist ein Furz in der Laterne. Göttingen: Wallstein Verlag, 1999. 11 Herta Müller und ihr Lebenslauf. (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Herta_M%C3%BCller 12 Herta Müller und ihr Lebenslauf. (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Herta_M%C3%BCller

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2009 erschien ihr aktueller Roman Atemschaukel. In diesem Buch zeichnet die Autorin die Deportation eines jungen Mannes, des 17-jährigen Leopold Auberg, in ein sowjet.- ukrainisches Arbeitslager nach. Als Modell diente ihr das Leben von Oskar Pastior, Lyriker und Georg-Büchner-Preisträger. Herta Müller hat Oskar Pastior selbst angesprochen, denn sie wollte einen Roman über das Leben im Gulag schreiben. Und obwohl ihre Mutter selbst im Arbeitslager war, war sie nicht bereit, darüber offen zu reden. Deswegen kontaktierte sie Oskar Pastior, denn er selbst war als junger Mann im Gulag. Zuerst war sie sich nicht sicher, ob er mit ihr zusammenarbeiten wird, aber nachdem sie ihm das ganze Projekt erklärte, war er sofort einverstanden. Er erzählte ihr seine ganzen Erinnerungen, die auf Einzelheiten basierten, er beantwortete jede ihrer Fragen, ob sie nun wichtig oder eher amüsierend waren. Er öffnete sich ihr ganz, erzählte ihr alles, was sie wissen wollte und war sogar einverstanden mit ihr in die heutige Ukraine zu fahren, wo er damals interniert war. Diese Erfahrungen und Erinnerungen benutzte Herta Müller für ihren Roman und es ist ein wunderbares Werk erschaffen worden, wo die Emotionen so unbeschreiblich perfekt beschrieben sind, dass man der Hauptperson alles glaubt, alles miterlebt und dies wäre nicht ohne die enge Zusammenarbeit mit Oskar Pastior gelungen. Leider wird Oskar Pastior nie den Roman lesen. Er starb im Jahre 2006, wo das Buch noch nicht fertig war und Herta Müller dauerte es eine Weile, bis sie wieder an diesem Projekt weitermachen konnte. Bis jetzt fällt es ihr schwer, über diesen Tod zu reden, den Oskar Pastior war nicht nur eine Quelle an Kenntnissen, sondern auch ein sehr guter und enger Freund. Erst nach einem Dreivierteljahr konnte sie weiterarbeiten und drei Jahre später erschien dieser Roman der für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde und gelangte ins Finale der besten sechs Bücher. Niemanden wird überraschen, dass dieser Roman Oskar Pastior gewidmet ist.13

Viele Literaturkritiker erwarten von Herta Müller, dass sie endlich die Vergangenheit loslässt und anfängt, über die Gegenwart zu schreiben. In fast allen Kritiken wird ihr

13 Herta Müller und ihr literarischer Leben (Letzter Zugriff 08. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.boersenblatt.net/341933 14

vorgeworfen, dass sie im Keller der rumänischen Diktatur sitzt und nicht auftauchen will. Zu diesen Vorwürfen äußert sich die Schriftstellerin so:

„Die Trennung von Vergangenheit und Gegenwart, die Auffassung von Zeit, besonders in der Literaturkritik gehorcht in Deutschland räumlichen Kriterien. Eigentlich sind es Zugehörigkeitskriterien. Wenn ich über zehn Jahre Zurückliegendes aus Rumänien schreibe, heißt es, ich schreibe (noch immer) über die Vergangenheit. Wenn ein hiesiger Autor über die Nachkriegszeit, das Wirtschaftswunder oder die 68er Jahre schreibt, liest man es als Gegenwart. Das hiesig Vergangene, wie weit es auch zurückliegen mag, bleibt Gegenwart, weil es sich hier zugetragen hat, weil es durch Zugehörigkeit bindet. ... Ich bin aber in dieses Land gekommen, meine Zugehörigkeit muss verhandelt werden.“14

Sie findet es ungerecht, dass nur deswegen, dass sie aus einem anderen Land stammt, wird sie anders behandelt und dass sich Kritiker darüber äußern, über was sie schreibt und dass es endlich Zeit wäre damit aufzuhören. Sie ist der Meinung, dass man nie sagen kann, wann Schluss ist, wann es zu Ende ist, wann das Erlebte erlebt ist und nicht mehr auftauchen soll. Ihre Romane und ihre Gedichte sind eine Weise, wie sie sich mit dem ganzen auseinandersetzt. Wie sie alles, was sie erlebt hat, verarbeiten kann und sie wäre froh, wenn es gehen würde, das alles zu vergessen und hinter sich zu lassen, indem sie es auf ein Papier schreibt. Aber leider geht es nicht, wenigstens für sie nicht. Bei ihr ist es eher umgekehrt, je mehr sie sich mit dem Geschehen befasst, desto mehr interessiert es sie. Und niemand sollte darüber entscheiden, was ein Autor schreiben soll oder was nicht, nur der Autor selbst.

„Ich habe keine Wahl, ich bin am Schreibtisch und nicht im Schuhladen. Manchmal möchte ich laut fragen: Schon mal was von Beschädigung gehört? Von Rumänien bin ich längst losgekommen. Aber nicht losgekommen von der gesteuerten Verwahrlosung der Menschen in der Diktatur, von ihren Hinterlassenschaften aller Art, die alle naselang aufblitzen.“ 15

14 MÜLLER, H.: Der König verneigt sich und tötet, München: Carl Hanser Verlag, 2003. S. 122-123 15 Ebd. S. 185 15

Das Thema lässt sie nicht in Ruhe, auch wenn die Ostdeutschen dazu nichts mehr zu sagen haben und die Westdeutschen darüber nichts mehr hören wollen. „Ich muss mich im Schreiben dort aufhalten, wo ich innerlich am meisten verletzt bin, sonst müsste ich doch gar nicht schreiben.“16

Werke von Herta Müller sind mittlerweile in 50 Sprachen veröffentlich worden, in China sogar in einer zehnbändigen Werkausgabe. In Vietnam verhindert aber die Zensur das Erscheinen ihrer Bücher, so der Hanser Verlag. Daran kann man sehen, dass Herta Müllers Kampf doch für etwas steht, denn immer noch werden in anderen Ländern Menschenrechte unterdrückt. „Literatur kann das alles nicht ändern. Aber sie kann - und sei es im Nachhinein - durch Sprache eine Wahrheit erfinden, die zeigt, was in und um uns herum passiert, wenn die Werte entgleisen.“17

2.3 Auszeichnungen

Einer ihrer ersten Preise war 1984 der Aspekte-Literaturpreis, nach diesem Jahr bekam sie dann fast jedes Jahr eine Auszeichnung überreicht. Hier ein paar bedeutende genannt: 1989 bekam sie den Deutschen Sprachpreis, drei Jahre später, 1992, den Deutschen Kritikpreis, 1995 den Europäischen Literaturpreis Prix Aristeion, 1998 bekam sie für den Roman Herztier den International IMPAC Dublin Literary Award, 2001 Cicero-Rednerpreis, 2005 Berliner Literaturpreis und viele weiteren. Am 1. November 2009 erhielt Herta Müller den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis der Stiftung Zentrum gegen Vertreibung. Aber ihren größten Preis nahm sie am 10. Dezember 2009 während einer feierlichen Zeremonie in Stockholm entgegen, den Nobelpreis für Literatur.18

2.4. Schreibkunst

Wir wissen, dass Herta Müller in einer deutschsprachigen Familie aufgewachsen ist. Das heißt, dass sie zuerst Deutsch gelernt hat und erst auf dem Gymnasium Rumänisch

16 MÜLLER, H.: Der König verneigt sich und tötet, München: Carl Hanser Verlag, 2003. S. 185 17 MÜLLER, H.: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München: Carl Hanser Verlag, 2011. S. 23 18 Herta Müller und ihr Lebenslauf. (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Herta_M%C3%BCller 16

als eine Fremdsprache. Dies war für Herta Müller sehr bedeutend, denn ihre Literatur ist zwar deutschsprachig geschrieben, aber trotzdem voll von rumänischen Wörtern, Metaphern oder Redewendungen, die im Rumänischen benutzt werden. Sie sah beide Sprachen unterschiedlich an, sie sah sie nicht wie eine Sprache, die in ihrem Kopf ist, sonder sie sah die beiden als zwei verschiedene Sprachen, die sie auch sind, mit all ihren Unterschiedlichkeiten. Und diese Unterschiedlichkeiten musste sie in ihre Literatur bringen. Sie konnte sich nicht damit zufrieden geben, nur eine der möglichen Variationen zu benutzen, sie musste alles zusammenbinden, denn wie sie selbst gesagt hat, nachdem sie Rumänisch gelernt hatte, machte ihr die Sprache große Augen und ab da an ging es nicht mehr nur die eine Sprache zu benutzen, wenn es so viele Möglichkeiten gab. Ihren Blick auf die beiden Sprachen können wir auf einem Beispiel zeigen.

„Im Dialekt des Dorfes sagte man: Der Wind geht. Im Hochdeutschen, das man in der Schule sprach, sagte man: Der Wind weht. Und das klang für mich als Siebenjährige, als würde er sich weh tun. Und im Rumänischen sagte man: Der Wind schlägt, vintul bate. Das Geräusch der Bewegung hörte man gleich, wenn man schlägt sagte, und da tat der Wind nicht sich, sondern anderen weh. So unterschiedlich wie das Wehen ist auch das Aufhören des Windes. Auf Deutsch heißt es: Der Wind hat sich gelegt - das ist flach und waagerecht. Auf Rumänisch heißt es aber: Der Wind ist stehengeblieben, vintul a stat. Das ist steil und senkrecht.“19

Dieses Beispiel mit dem Wind ist nur eines von vielen, wo man die ständige Verschiebung, die zwischen Sprachen bei einer und derselben Tatsache passieren, sehen kann. Fast jeder Satz ist dann ein anderer Blick auf das Geschehene. Das Deutsche sah die Welt ganz anders und das Rumänische sah die Welt auch anders. Genauso wie die Wörter der beiden Sprachen ganz woanders waren. Auch anders eingefädelt ins Netz der Grammatik. Ein weiteres Beispiel für die Unterschiede zwischen den beiden Sprachen:

„Lilie, crin, ist im Rumänischen maskulin. Sicher schaut die Lilie einen anders an als der Lilie. Man hat es auf Deutsch mit einer Liliendame, auf Rumänisch mit einem Herrn zu tun. Wenn

19 MÜLLER, H.: Der König verneigt sich und tötet, München: Carl Hanser Verlag, 2003. S. 24-25

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man beide Sichtweisen kennt, tun sie sich im Kopf zusammen. Die feminine und maskuline Sicht sind aufgebrochen, es schaukeln sich in der Lilie eine Frau und ein Mann ineinander. Der Gegenstand vollführt in sich selber ein kleines Spektakel, weil er sich nicht mehr genau kennt. Was wird die Lilie in zwei gleichzeitig laufenden Sprachen? ... Riecht sie nach Kommen und Gehen, oder nach Bleiben über die Zeit. Aus der abgeschlossenen Lilie beider Sprachen wurde durchs Zusammentreffen zweier Lilien-Ansichten ein rätselhaftes niemals endendes Geschehen.“20

Wenn man also in zwei Sprachen denkt und es geschieht, was vollkommen normal ist, zu einem Unterschied zwischen den beiden Sprachen, dann sieht man auch selber die Welt ganz anders und es kann dazu kommen, wie in dem oben genannten Beispiel, dass man eine ganz normale Sache, wie eine Blume, nur wegen ihres Artikels, vollkommen anders sieht. Wie in dem Beispiel kommt es dazu, dass man in einer Lilie mehr sieht als in einer einsprachigen Lilie.

Von einer Sprache zu der anderen passieren Verwandlungen. Die Muttersprache muss sich der Fremdsprache stellen und sich die Gegenstände auch aus einer anderen Sicht anschauen. Herta Müller sagt selbst, dass die Muttersprache fast ohne eigenes Zutun entsteht, dass sie eine Mitgift ist. Und das die später dazugekommene Fremdsprache diese Muttersprache beurteilt. „Die Muttersprache ist fortan nicht mehr die einzige Station der Gegenstände, das Muttersprachenwort nicht mehr das einzige Maß der Dinge.“21

Für Herta Müller ist die Muttersprache ihre primäre Sprache. Sie weiß, dass diese Sprache sie nie verlassen wird, dass sie für sie die nächste Sprache ist und deshalb schreibt sie auch deutsch. Sie glaubt dem Maß der Sprache und auch wenn die Fremdsprache dem ganzen einen anderen Blick gibt und auf andere zufällige Wörter trifft, greift sie immer instinktiv zu ihrer Muttersprache. „Die Muttersprache ist momentan und bedingungslos da wie die eigene Haut. Und genauso verletzbar wie diese, wenn sie von anderen geringgeschätzt, missachtet oder gar verboten wird.“22

20 MÜLLER, H.: Der König verneigt sich und tötet, München: Carl Hanser Verlag, 2003. S. 25 21 Ebd. S. 26 22 Ebd. S. 26 18

Herta Müller musste die rumänische Sprache erlernen. Am Anfang war es für sie selbst schwer, denn als sie in die Stadt umzog, kannte sie nur den rumänischen Dialekt. Wie sie selbst sagt, sie habe nach zwei Jahren in der Stadt in einer unbekannten Gegend leichter die richtige Straße als das richtige Wort im Rumänischen gefunden. Aber sie gab diesen Kampf niemals auf und war durstig nach den Wörtern und wollte sie lernen, sie kennen. Sie verstand ganz schnell, dass eine andere Perspektive auf ihre Muttersprache nur helfen wird. Sie wollte die Unterschiedlichkeiten sehen und mit ihnen arbeiten. „Es wurde immer öfter so, dass die rumänische Sprache die sinnlicheren, auf mein Empfinden besser passenden Wörter hatte als meine Muttersprache. Ich wollte den Spagat der Verwandlungen nicht mehr missen. nicht im Reden und nicht im Schreiben.“23

Ihre Bücher sind zwar nicht auf Rumänisch geschrieben, sondern in ihrer Muttersprache, aber bei Herta Müller schreibt das Rumänische immer mit, weil es in ihrem Blick auf die Wörter, auf die Sprache ist. Leider kommt es manchmal auch dazu, dass uns die Muttersprache verrät. Herta Müller ist zwar in einer deutschsprachigen Familie aufgewachsen und hatte also Deutsch in ihrem Blut, aber auch sie musste erfahren, dass es anders in einem Land aufzuwachsen ist, wo nur deutsch geredet wird, wie zum Beispiel in Deutschland, und Deutsch zu lernen in einem Land, wo deutsch nicht gesprochen wird. Bei einem ihrer ersten Besuche in Deutschland ist ihr dieser Unterschied aufgefallen, den sie konnte nicht wissen, dass manche Wörter oder ganze Sätze eine zweideutige oder sogar mehrdeutige Bedeutung haben können und so wurde aus einem unschuldigem Gespräch mit ihrem Gastgeber eine peinliche Situation, nur weil er den Satz "Ist ja lustig" als "Ach so" oder "Tja" gemeint hat. Und Herta Müller verstand diesen Unterschied nicht und musste ihn erst lernen, was sich nach über zwanzig Jahren in Deutschland geschafft hat.

Für Herta Müllers Literatur ist es sicherlich ein Beitrag, dass sie zwei Sprachen perfekt beherrscht und mit ihnen umgehen kann. Ihre Literatur wäre nicht so hoch geschätzt,

23 MÜLLER, H.: Der König verneigt sich und tötet, München: Carl Hanser Verlag, 2003. S. 27

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wenn in ihr nicht dieser Hauch von Exotik, von etwas Anderem wäre. Man spürt in ihrer Literatur, dass sie anders ist, dass die Sprache anders ist und deswegen ist sie so außergewöhnlich.

„Es tut keiner Muttersprache weh, wenn ihre Zufälligkeiten im Geschau anderer Sprachen sichtbar werden. Im Gegenteil, die eigene Sprache vor die Augen einer anderen zu halten führt zu einem durch und durch beglaubigten Verhältnis, zu einer unangestrengten Liebe. Ich habe meine Muttersprache nie geliebt, weil sie besser ist, sondern die vertrauteste."24

Die zwei verschiedenen Sprachen sind nicht das Einzige, was das Schreiben von Herta Müller so außergewöhnlich macht. Diese zwei Sprachen sind natürlich für ihre Bücher sehr wichtig und auf ihnen ist die ganze Struktur ihres Schreibens aufgebaut, aber Herta Müller ist eine Frau, die gerne mit Wörtern spielt und ist nicht bereit, die Wörter in Ruhe zu lassen. Wie sie selbst sagt, genügen ihr manche Wörter in ihrer Muttersprache nicht und wenn da das Rumänische auch nicht weiterhelfen kann, dann muss sie auf andere Möglichkeiten zurückgreifen - und das ist das Spiel mit den Wörtern, das neuerfinden.

Herta Müller sagt von sich selbst, dass sie der Sprache nicht vertraut. Dieser Satz ist einer der bekanntesten, denn in fast jedem Buch über sie, oder in einem Interview hört man diesen Satz. Sie ist der Meinung, dass wenn man genau werden möchte, dass sich die Sprache immer etwas nimmt, was ihr nicht gehört. Die Sprachbilder seien diebisch und nehmen sich Eigenschaften die ihnen nicht zustehen. Deshalb erfindet sie gerne Wörter, denn in den Erfindungen liegt die Überraschung und es entstehen Wörter, die wirklich die Nähe zur Wirklichkeit haben.

„Erst wenn eine Wahrnehmung die andere ausraubt, ein Gegenstand das Material des anderen an sich reißt und benutzt - erst wenn das, was sich mit Wirklichen ausschließt, im Satz plausibel geworden ist, kann sich der Satz vor der Realität behaupten als eigene, wie ins Wort geratene, aber wortgültige Realität.“25

24 MÜLLER, H.: Der König verneigt sich und tötet, München: Carl Hanser Verlag, 2003. S. 27 25 MÜLLER, H.: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München: Carl Hanser Verlag, 2011. S. 98-99

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Sie erfand Wörter nicht einfach so. Viele Wörter, die auf einmal da waren, hatten in sich drinnen eine tiefere Bedeutung. Es sind nicht Wörter, die sie einfach so, nur weil sie schon waren, geschrieben hat. Meistens waren es ihre oder fremde Erinnerungen, dank deren sie diese Wörter erfand und die für sie eine spezielle Bedeutung hatten und dafür, was sie sagen wollte, perfekt waren. In Herta Müllers Romanen fragt man sich oft, ob das wirklich Romane sind oder ob es nur ein längeres Gedicht ist. Sie ist nämlich der Meinung, dass vieles gesagt werden kann, ohne dabei viele Wörter zu benützen. Dies war auch üblich unter den Dorfleuten, wo sie wohnte, man hatte nicht vieles sagen müssen, um zu verstehen, was gesagt werden muss. Und Herta Müller bringt dies auch in ihre Romane. Sie kann ein Wort benützen und erfinden, das für mehrere Sätze steht, aber immer ist es nur ein Wort. Als Beispiel können wir uns das Wort Schneeverrat vorstellen.

Dieses Wort entstand nachdem sie mit ihrer Mutter nach Deutschland reiste. Es war Winter und draußen lag der Schnee und ihre Mutter kommentierte diesen nur mit dem einen Satz: "Es ist doch immer derselbe Schnee." Und Herta Müller verstand, dass der Schnee für ihre Mutter etwas Schlimmes sei, denn sie hasste den Schnee. Alles begann im Jahre 1945, die Russen deportierten schon Sechzehnjährige zur Zwangsarbeit und deswegen versteckten sich viele von ihnen in Erdlöchern. Ihre Mutter versteckte sich auch, bis zum Tag als der Schnee viel. Man konnte ihr nicht mehr heimlich das Essen bringen, denn jeder Schritt im frischen Schnee wäre sichtbar gewesen und würde sie so verraten. Sie musste aus ihrem Erdloch raus und wurde deportiert und war fünf Jahre lang im Arbeitslager. Und diesen Verrat hat sie dem Schnee nie vergeben. Und obwohl ihre Mutter nie das Wort Verrat benutzt hat, spürte Herta Müller dieses Wort immer, wenn ihre Mutter den Schnee erwähnte und aus dieser Geschichte, Erinnerung, entstand für sie das Wort Schneeverrat, ein Wort, das so viel sagt, ohne dabei mehrere Sätze zu benützen.26

26 Vgl. MÜLLER, H.: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München: Carl Hanser Verlag, 2011. S.100

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„Der Schneeverrat ist mein Wort und ist genauso eines wie der Silberlöffel. Für komplizierte lange Geschichten ein direktes Wort, das so viel Unausgesprochenes enthält, weil es alle Einzelheiten meidet. Weil so ein Wort den Verlauf des Geschehens zu einem Punkt verkürzt, verlängern sich im Kopf die Vorstellungen über die zahllosen Möglichkeiten. So ein Wort wie Schneeverrat lässt viele Vergleiche zu, weil keine gemacht worden sind. So ein Wort springt dann aus dem Satz, als wäre es aus einem anderen Material. Dieses Material heißt für mich: der Trick mit der Sprache.“27

Herta Müller macht öfters solche Tricks mit der Sprache. Sie sagt zwar, dass sie manchmal davor Angst hat, aber trotzdem danach süchtig sei. Sie spürt, dass beim Tricksen etwas jenseits des Wortes wahr wird und davor hat sie Angst, aber dann weiß sie auch, dass ihr der Trick gelungen ist, denn wenn ein erfundenes Wort wahr wird, dann passt es und sie kann es in ihren Texten benutzen.28

Es gibt viele Wörter, die Herta Müller so erfunden hat, weil es einfach in ihre Geschichten passte und weil sie es brauchte. Ein paar sehr gelungene Wörter sind zum Beispiel das Herztier, der Hungerengel, der Augenhunger usw. Obwohl diese Wörter gut sind und in den Text passen, machen sie Probleme. Nein, nicht im Deutschen, dort treiben sie eher den Leser an sich etwas Eigenes vorzustellen, seine eigene Fantasie zu benützen. Sie machen Schwierigkeiten beim Übersetzen. Denn wie soll man ein erfundenes Wort, das es nicht einmal in der Ausgangssprache gibt, in die Zielsprache übersetzen? Mit dieser Problematik mussten sich mehrere Übersetzer befassen und sicherlich haben sie sich fast daran den Kopf zerbrochen, ein adäquates Wort zu finden, aber um so ein Wort in der Zielsprache zu finden, muss man wissen, woher das Wort stammt, wie es entstand usw.

Herta Müller erfindet nicht nur Wörter, weil sie die Wörter und die Sprache für ihre Romane oder Gedichte braucht. Sie spielt nicht nur mit der Sprache, weil sie eine Schriftstellerin ist. Sie braucht auch die Sprache für sich selbst. Sie sucht in der

27 MÜLLER, H.: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München: Carl Hanser Verlag, 2011. S. 101 - 102 28 Vgl. Ebd. S. 102

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Sprache, in den Wörtern ihren eigenen Frieden, eine Zuflucht. Ihr ganzes Leben lang hat sie Wörter gebraucht, um darin eine größere Bedeutung zu finden, sie dachte, dass ihr Wörter und die Sprache Antworten auf Fragen geben, die sie selbst nicht beantworten konnte. Um diesen Prozess etwas näher zu bringen, muss man auf eine Geschichte, die ihr geschehen ist zurückgreifen.

Noch als sie in Rumänien lebte und von der Securitate verfolgt wurde, dachte sie selbst über Selbstmord nach. Sie hatte nie schwimmen gelernt und wollte ertrinken. Zum Glück verließ sie diesen Gedanken und es ist nie zu einem Versuch gekommen. Doch in dieser Zeit hat sie wieder ein Mann aus dem Geheimdienst besucht und ihr gedroht, dass man sie ruhig ertränken kann. Das hat sie vollkommen aus der Bahn geworfen, doch ein paar Tage nachher sprach sie mit einem Freund über die rumänische Sprache und der Freund beklagte sich darüber, was das denn für eine Sprache sei, die nicht einmal ein eigenes Wort für Wasserleiche hat. Im Rumänischen gibt es nicht eine konkrete Bezeichnung für einen Ertrunkenen. Und das beruhigte sie.29

„Wenn es im Rumänischen das Wort Wasserleiche gar nicht gibt, dachte ich mir, kann der Geheimdienst mich gar nicht ertränken. Ich kann doch nicht etwas werden, wofür es in seiner Sprache kein Wort gibt. Diese wortlose Stelle im rumänischen Vokabular stand mir vor Augen wie ein Schlupfloch. Ich hoffte, die kriegen mich nicht, wenn es ernst wird, verschwinde ich, schlüpfe dort hinein, wo es kein Wort gibt.“30

Nur so eine Kleinigkeit, dass es kein Wort dafür in einer anderen Sprache gibt, beruhigte sie. Sie fühlte sich besser und die Sprache und die Wörter gaben ihr Sicherheit. Unglücklicherweise blieb ihr dieses Gefühl nicht lange, denn etwas später sah sie auf den Armenfriedhof die Leiche einer jungen ertrunkenen Frau und verstand, dass obwohl es im Rumänischen kein Wort für Wasserleiche gibt, es ist doch möglich, zu ertrinken. Das verpasste ihr einen Schock. Doch Herta Müller hält sich bis heute fest an der Sprache, an den Wörtern. Immer noch verleihen sie ihr ihren Schutz und geben ihr die Ruhe, die sie so sehr sucht.

29Vgl. MÜLLER, H.: Der König verneigt sich und tötet, München: Carl Hanser Verlag, 2003. S. 100 30 Vgl. Ebd. S. 100 - 101

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Herta Müller ist eine Autorin, die einen ganz deutlichen und eigenen Stil hat. Ihre Sprache perlt und leuchtet, sie setzt eigene Maßstäbe, und umso überraschender ist es, dass Herta Müller selbst ihr nicht unbedingt vertraut. Aber vielleicht ist dies der Grund, warum ihre Werke fast perfekt wirken. Denn sie vertraut der Sprache nicht und sucht so lange, bis sie den Wörtern vertrauen kann, bis alles gesagt wird, was gesagt werden muss.

Sie benutzt das Schreiben, um alles aus sich heraus zu bekommen. Wie sie selbst sagt, könne man über den Teufelskreis der Diktaturen nicht alles aussagen, aber schriftlich kann man sich über alles äußern und dadurch und durch andere Gesten die Würde bewahren. Das ist für sie die Freiheit und die Freiheit werde umso größer, je mehr Wörter wir uns nehmen können. Und Herta Müller nimmt sich die Wörter, die sie braucht. Sie nimmt sie sich aus ihrer Muttersprache, aus der Fremdsprache und wenn das alles nicht hilft, erfindet sie sie. Erfindet dank ihrer Erlebnisse, Fantasie und vor allem dank ihres Gefühls für die Sprache, für die Wörter.

Dank ihrer außergewöhnlichen Schreibkunst und ihrer erlebten Erinnerungen ist Herta Müller eine ganz andere Autorin. Sie ist wie ein frischer Wind in der deutschen Literatur. Sie hat etwas Neues mit sich gebracht, dass man es nicht lernen oder kopieren kann. Es ist ihr eigener unverfälschter Fingerabdruck, der in ihren Romanen und Gedichten vorkommt und an dem jeder erkennt, dass dies von Herta Müller geschrieben worden ist. Viele Literaturkritiker sagen dazu, dass dieser sogenannte Fingerabdruck ein eher fremder Blick ist. Doch Herta Müller ist da eigener Meinung.

„Das allererste, was man diesem text bescheinigt hat, war der Fremde Blick. Und die Begründung lautet: weil ich aus einem anderen Land nach Deutschland gekommen bin. Ein fremdes Auge kommt in ein fremdes Land - mit dieser Feststellung geben sich viele zufrieden, außer mir. Denn diese Tatsache ist nicht der Grund für den Fremden Blick. ich habe ihn mitgebracht aus dem Land, wo ich herkomme und alles kannte.31 (...) Den Fremden Blick als Folge einer fremden Umgebung zu sehen ist deshalb so absurd, weil das Gegenteil wahr ist: Er kommt aus den vertrauten Dingen, deren Selbstverständlichkeit einem genommen wird.

31 MÜLLER, H.: Der König verneigt sich und tötet, München: Carl Hanser Verlag, 2003. S. 130 24

Niemand will Selbstverständlichkeit hergeben, jeder ist auf Dinge angewiesen, die einem gefügig bleiben und ihre Natur nicht verlassen.“32

Herta Müllers Romane und Gedichte sind aus den oben genannten Gründen nicht sehr leicht zum Übersetzen. Man muss sich wirklich zuerst mit ihr, als mit einer Autorin, auseinander setzen, sie gut kennenlernen um sie zu verstehen und erst dann kann man es versuchen, sie zu übersetzen. Jeder Übersetzer läuft in Gefahr, etwas zu übersehen oder auf ein Übersetzungsproblem anzutreffen, dass er nicht gleich lösen wird. Jeder, der Herta Müllers Literatur übersetzt, muss einen großen Wortschatz haben und eine große Fantasie, um ihre Romane und Gedichte in eine Fremdsprache so zu übertragen, dass sie auch das wiedergeben, was in der Originalfassung steht. Eine nicht sehr einfache Aufgabe, denn auch ein Muttersprachler muss erst auf den Genuss von Müllers Stil kommen und muss sich selbst mit manchen Wörtern befassen, um sie zu verstehen, und dabei sind sie in seiner Muttersprache geschrieben.

Herta Müller ist eine große Schriftstellerin, das beweist schon der Nobelpreis für Literatur, den sie 2009 bekommen hat. Manche Menschen müssen ihren Stil mit dem sie schreibt nicht mögen. Denn sie ist keine Autorin, die nur über schöne Dinge schreibt. Ihre Literatur ist roh, schraff und man kann fast sagen nicht ausgeschliffen. Das alles würde stimmen, beim Lesen geht man mit ihr nicht durch einen Park spazieren, sondern man besucht das Schlimmste, was man sich vorstellen kann, mit allen Emotionen, die man fühlen kann und wird die ganze Zeit nicht losgelassen. Und wenn man am Ende ist, zwingt uns etwas immer noch in der Geschichte zu bleiben und alles noch einmal wieder zu erleben, obwohl es nicht schön ist. Und darin liegt die Feinheit ihres Schreibens, die Emotionen, die sie mit sich bringt. Und ob es nun jemanden gefällt oder nicht, ist jedermanns Sache, aber die Emotionen, die aus jedem Satz in ihren Büchern hervorragen, kann man nicht leugnen.

32 MÜLLER, H.: Der König verneigt sich und tötet, München: Carl Hanser Verlag, 2003. S. 147

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3. Radka Denemarková

3.1. Lebenslauf

Radka Denemarková wurde am 14. März 1968 in der Stadt Kuttenberg geboren. Sie ist eine tschechische Schriftstellerin, Drehbuchautorin, Literaturhistorikerin, Dramaturgin und Übersetzerin. Sie studierte in Kolín das Gymnasium und machte das Abitur im Jahre 1986. Danach studierte sie Germanistik und Bohemistik an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität in Prag. Nach ihrer Doktorarbeit arbeitete sie seit 1992 bis 1997 als Assistentin an der Philosophischen Fakultät in der Abteilung für die Tschechische Literatur. Ab 1998 bis 2004 arbeitete sie für das Institut für tschechische Literatur der Akademie der Wissenschaften und zugleich auch für das Theater "Na zábradlí" als Lektorin und Dramaturgin. Seit 2004 ist sie nur noch Schriftstellerin auf freiem Fuß. Seitdem sie sich nur der Literatur widmet, hat sie viele Stipendien im Ausland bekommen, wie zum Beispiel im Jahre 2007 ein Schriftstellerstipendium in Wiesbaden oder 2008 in Berlin, 2010 in Graz und 2011 in Usedom. Seit Oktober 2009 hat sie ihre eigenen Vorlesungen und kreative schriftstellerische Seminare an der Literarischen Akademie - Josef Škvorecký in Prag. Bis heute lebt sie mit Sohn Jan (geboren 1995) und ihrer Tochter Ester (geboren 2000) in Prag.33

Ihre Werke wurden bis jetzt in 15 Sprachen übersetzt und sie ist heutzutage eine anerkannte Schriftstellerin. Sie ist fast jährlich zu Gast auf literarischen Festivals oder Buchmessen in Deutschland - Leipzig, Frankfurt am Main, Berlin, Hamburg, Stuttgart, in Amerika - New York, in der Schweiz, in Österreich und vielen weiteren.34

3.2. Werke

Sie beteiligte sich an vielen Drehbüchern für Dokumentarfilme des Tschechischen Fernsehens, wie zum Beispiel: Evald Schorm (2000), Alfréd Radok (2000), E. F. Burian

33 Radka Denemarková, Lebenslauf. (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://cs.wikipedia.org/wiki/Radka_Denemarkov%C3%A1 34 Radka Denemarková, Lebenslauf und Werke (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/zivotopis.html

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(2002), Jindřich Honzl (2002), Změnit gravitaci (2004), Tři strážníci. Voskovec, Werich, Ježek spolu (2005), Blázen jsem ve své vsi (2006).35

Ihre erste Novelle ist A já pořád kdo to tluče herausgegeben im Jahre 2005. Danach kam ein sehr erfolgreicher Roma Peníze od Hitlera, der sogar ins Deutsche, von Eva Pafous, unter dem Titel Ein herrlicher Flecken Erde (herausgegeben 2006) übersetzt wurde. Dann nach fünf Jahren kam der dritte Teil dieser, wie die Autorin selbst sagt, freien Trilogie Kobold aneb Přebytky něhy heraus. Zu ihren weiteren Werken gehört der belletristische Lebenslauf Smrt, nebudeš se báti aneb Příběh Petra Lébla aus dem Jahr 2008.

Zu ihren Facharbeiten können wir Edvald Schorm. Sám sobě nepřítelem 1998 zählen. Und sie nahm auch an kollektiven Arbeiten wie zum Beispiel Slovník českých spisovatelů od roku 1945, die 1995 und 1998 herauskam, und Dějiny české literatury 1945–1989, die 2007 und 2008 veröffentlicht wurde, teil.36

Von ihr als Drehbuchautorin erschien das Spiel Popis jednoho zápasu, das 2008 Premiere hatte, und Spací vady, das 2010 auf den Bühnen erschien. Ihr Roman Peníze od Hitlera wurde später auch im Theater gespielt, doch sie entschied sich nicht, das Drehbuch zu schreiben, aber an der Verfilmung dieses Romans arbeitet sie aktiv zusammen.37

Zu ihren Übersetzungen in der Belletristik gehören vor allem die Werke von der deutschen Schriftstellerin Herta Müller. Cestovní pas, im Original Ein Mensch ist ein großer Fasan auf dieser Welt, herausgegeben 2010, Rozhoupaný dech, im Deutschen Atemschaukel, erschienen 2010 und Srdce bestie, ursprünglicher Titel Herztier, seit 2011 in Buchhandlungen. Sie übersetzte auch den Autor Michael Stavarič und seinen Roman Mrtvorozená Eliška Frankensteinova, der 2010 erschien. Zu ihren übersetzten

35 Radka Denmarková, Lebenslauf. (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://cs.wikipedia.org/wiki/Radka_Denemarkov%C3%A1 36 Radka Denemarková, Lebenslauf und Werke (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/zivotopis.html 37 Ebd. 27

Werken gehören auch Theaterspiele von ausländischen Autoren, wie zum Beispiel Brecht, Hauptmann, Schimmelpfennig, Gieselmann, Bernard und weiteren. 38

Für ihre Werke können wir auch ihre publizistischen Tätigkeiten nehmen. Sie ist in dieser Hinsicht sehr aktiv und schreibt für mehrere Zeitschriften, wie zum Beispiel für Tvar, Salon Práva, Literární noviny, Česká literatura und manchmal auch für Respekt. Auch in der deutschen Zeitschrift Die Welt publiziert sie.39

3.3. Auszeichnungen

Im Jahre 2007 bekam ihr Roman Peníze od Hitlera den Preis Magnesia Litera für die beste Prosa des Jahres. Die polnische Ausgabe dieses Romans wurde im Jahre 2009 für den Preis Angelus nominiert und für die deutsche Ausgabe bekam sie 2011 den Usedomer Literaturpreis der literarischen Kritiker und dann noch 2012 den Georg Dehio-Buchpreis in Berlin. Für die Monografie Smrt, nebudeš se báti aneb Příběh Petra Lébla bekam sie 2009 den Preis Magnesia Litera für das beste publizistische Buch des Jahres und der Roman wurde dann auch für den Preis Josef Škvorecký nominiert. Für die Übersetzung Rozhoupaný dech (Atemschaukel) der Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Herta Müller bekam sie im Jahr 2011 den Preis Magnesia Litera für die beste Übersetzung des Jahres. Und für die Übersetzung Srdce bestie (Herztier) auch von Herta Müller bekam sie 2012 die Jährliche Auszeichnung des Verlags Mladá fronta. Ihr Roman Kobold wurde für den Preis Josef Škvorecký und den Preis Das Tschechische Buch 2012 nominiert.40

3.4. Schreibkunst

Wenn man über Radka Denemarková schreiben will, kann man nicht nur ihren Lebenslauf erwähnen und das was sie alles geschafft hat, sondern man muss auch über ihr Schreiben, über ihre Schreibkunst etwas sagen, denn sie ist heutzutage vor allem

38 Radka Denemarková, Lebenslauf und Werke (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/zivotopis.html 39 Ebd. 40 Radka Denmarková, Lebenslauf. (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://cs.wikipedia.org/wiki/Radka_Denemarkov%C3%A1

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eine erfolgreiche Schriftstellerin, die nicht nur in Tschechien, sondern auch in anderen Ländern bekannt ist. Und ihre Literatur wird auch im Ausland ausgezeichnet.

Die heutzutage 44-jährige Schriftstellerin entschied sich, ihre Arbeit im Theater und in der Akademie aufzugeben und sich nur dem Schreiben zu widmen. Für dies hatte sie zwei wichtige Gründe. Der eine Grund war, dass sie in dieser Zeit sehr viel Arbeit hatte. Denn wie sie selbst sagt, muss sie alles hundertprozentig machen, denn ihre Arbeit ist für sie sehr wichtig und um alles sehr gut zu machen, muss man dafür Zeit haben. Und geteilt zu sein, drei Dinge auf einmal zu tun, ging einfach nicht. Und an diesem Punkt wusste sie, dass es Zeit war, sich für eines davon zu entscheiden und ihre Entscheidung fiel auf das Schreiben. Der zweite Grund war dieser:41

„Přestávala jsem věřit ve smysl takzvané literární vědy. (…) Měla jsem pocit, že v knihách, které považuji za silné a dobré, jsou věci, které žádná věda není schopna postihnout. (…) Vlastní psaní mě zajímalo víc.“ (Ich hörte auf, auf den Sinn der sogenannten Literaturwissenschaft zu glauben. (...) Ich hatte das Gefühl, dass es in Büchern, die ich für stark und gut betrachtete, Dinge geben, die keine Wissenschaft erfassen kann. (...) Das eigene Schreiben interessierte mich mehr.)42

Aus ihren Worten hört man heraus, dass ihr das Einfache, das was wir in unserer Gesellschaft als Theorie bezeichnen, nicht mehr ausreichte und sie wollte selbst ihre eigenen Meinungen und Gedanken erzählen, ohne Grenzen um sich zu haben.

„Že literární teorie - ať už strukturalistické nebo postmoderní - nejsou schopny postihnout knihu jako celek. (…) Literární věda je dnes pro mě příjemná diskuse nad literaturou, tříbí myšlení, ale už nejsem schopna brát ji vážně. Každá dobrá kniha si zaslouží svou „teorii“.“ (Dass literarische Theorien - ob nun strukturelle oder postmoderne- nicht im Stande sind, ein Buch als ein Ganzes zu erfassen. (...) Die Literaturwissenschaft ist heute für mich eine

41 Radka Denemarková im Interview, Hospodářské noviny (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/imgs/rozhovory/22_6_2011_hospodarske_noviny.JPG 42 Radka Denemarková im Interview, Hospodářské noviny (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/imgs/rozhovory/22_6_2011_hospodarske_noviny.JPG (übersetzt von der Autorin) 29

angenehme Diskussion über die Literatur, sie reinigt das Denken, aber ich bin nicht mehr im Stande, sie ernst zu nehmen. Jedes gute Buch verdient seine eigene „Theorie“.)43

Ihrer Meinung nach hat die Literatur ihre eigenen Formen, die man nicht in Theorien einordnen kann, die an sich selbst sind und ein eigenes Leben führen, in einer eigenen Akte stecken und man kann sie nicht einfach nur so zu etwas zuordnen. Als Beispiel kann man bei ihr nennen, dass sie manche literarische Klischees abbaut, zum Beispiel dass ein Opfer nicht immer ein Held sein muss, wie es in ihrem Roman Peníze od Hitlera dargestellt wurde.44

Radka Denemarková ist eine Existenzialistin in der tschechischen Literatur, über die man viel hört und die gesehen wird, über die gesprochen wird. Gründe dafür gibt es mehrere, doch der Hauptgrund liegt darin, welche Themen sie sich aussucht und über welche Themen sie schreibt. Sie gehört zu den Autoren, die keine Angst davor haben zu sagen, was sie denken. Kein Thema ist ihr fremd und sie will gerade heikle Themen offen legen, damit Leute endlich darüber reden und die Augen öffnen. Sie will, dass sich der Leser von ihrer Literatur etwas nimmt, damit in ihm etwas von ihr bleibt und dazu benutzt sie Wörter und die Sprache.

„Chci, aby dopad na čtenáře byl sugestivní, emocionální. Aby lapal po dechu. Toho lze docílit jen s chladnou hlavou a soustředěním chirurga: slova skládám pinzetou. Pokouším se prostřít stůl pro různorodé strávníky. Obohacen může být každý. Vrchní nátěr je čtivý, napínavý příběh. Za ním se krčí příběhy další až po aluze na literární díla, odkazy na filozofické práce a modelové situace, které něco vypovídají o čase mezi zrozením a smrtí, o tom, čím tento čas naplnit, osmyslnit a proč.“ (Ich möchte, dass die Auswirkung auf den Leser suggestiv und emotional ist. Damit er nach Atem ringt. Das kann man nur mit einem kühlen Kopf und mit einer chirurgischen Konzentration erreichen: die Wörter baue ich mit einer Pinzette auf. Ich versuche einen Tisch für vielfältige Kostgänger zu decken. Jeder kann bereichert werden. Der obere Anstrich ist lesbar, eine spannende Geschichte. Hinter ihr hocken weitere Geschichten bis zu Allusionen auf

43 Radka Denemarková im Interview, Respekt (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/respekt_interview.html (übersetzt von der Autorin) 44 Radka Denemarková im Interview, Respekt (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/respekt_interview.html 30

literarische Werke, Hinweise auf philosophische Werke und Modellsituationen, die etwas über die Zeit zwischen der Geburt und dem Tod aussagen, darüber, womit man diese Zeit füllen und ihr einen Sinn geben kann und warum.)45

Sie hat sich nie nur auf eine Gruppe der Leser begrenzt. Sie will, dass ihre Werke von einer größeren Schicht der Leser gelesen werden und dass sich alle dazu eine eigene Meinung bilden. Sie hatte zwar schon Probleme mit ihren Themen, aber sie bleibt ihrer Arbeit und ihrer Überzeugung treu.

Ihre Themen kann man in zwei Kategorien einteilen, die aber beide in ihren Werken parallel vorkommen. Das eine Thema ist der mitteleuropäische Raum mit seiner Geschichte, Mentalität der Völker und vor allem mit der Unausgeglichenheit, was die Geschichte betrifft. Sie versucht in ihren Werken zu begreifen, was Leute dazu geführt hat, dass sie es zuließen, dass so etwas wie Nazismus oder Kommunismus in unseren Ländern entstanden konnte. Und sie bringt Themen auf, die nicht allen gerade angenehm sind. Sie sieht nämlich, dass bis heute diese Frage, diese Problematik nicht wirklich abgeschlossen wurde, dass sie nur unter einen Teppich gekehrt wurde und Leute darüber nicht mehr reden wollen und nicht sehen wollen, wie alles war, denn es ist ja schon Vergangenheit. Und Radka Denemarková gehört zu den Menschen, die es einfach nicht in Ruhe lassen, die nicht die Augen zumachen wollen und die sehen, dass es bis heute dazu kommt, dass Menschen unterdrückt werden, dass Menschenrechte nicht eingehalten werden und obwohl all dies auch Tschechien in Vergangenheit betroffen hat, wollen es die Menschen heutzutage nicht mehr sehen. Sie schreibt auch darüber, dass sich bis heute Menschen, die schuld daran waren, dass andere Leute getötet, eingeschlossen usw. wurden, nicht entschuldigt haben und immer noch zwischen uns leben. Sie haben sich nur einen anderen Mantel angezogen.46

Das zweite Thema, das für Radka Denemarková sehr wichtig ist, ist die Xenophobie des Geschlechts. Man kann sie fast als eine Feministin sehen, die immer um die Rechte der

45 Radka Denemarková im Interview für novinky.cz (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.novinky.cz/kultura/113979-radka-denemarkova-zamindrakovani-si-vzdy-najdou-obeti.html (übersetzt von der Autorin) 46 Radka Denemarková im Interview, Hospodářské noviny (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/imgs/rozhovory/22_6_2011_hospodarske_noviny.JPG 31

Frauen kämpfen wird. Deswegen ist auch dies ein sehr großes Thema nicht nur in ihren Werken, sondern auch in ihrem persönlichen Leben. Sie will nämlich zeigen, dass die bis heute geschriebene Literatur nur von Männern geschaffen wurde und durch Männeraugen geschrieben wurde. Und sie will sich damit durchsetzen, dass Literatur über Kriege, Geschichte, Wissenschaft auch von Frauen mit einem Frauenblick geschrieben werden kann. Denn heutzutage ist die Meinung, dass wenn Frauen mit dem Blick einer Frau schreiben, dann geht es nur um Liebe, Romanzen und ähnliche Sachen. Und gerade diese Vorstellung will sie zerschlagen und will etwas anderes, etwas Neues in die Literatur bringen. Sie ist der Meinung, dass dies der Literatur von Nutzen sein wird und dass sich ein anderer, ein frischer Blick auf das Geschehene nur auszahlen wird. Aber sie kämpft mit dem Patriarchat nicht nur was die Literaturebene betrifft. Sie begibt sich auch auf die Ebene der sozialen Automatismen.47

„Obrovským tématem je fakt, že narozením nejsme svobodní. Co všechno určí rodina, do které se narodíme, co zasadí do podvědomí. Rozhodnuto je o jazyku, náboženství, zda se narodíme v kůži ženy nebo muže a jak se k nám bude svět chovat.“ (Ein großes Thema ist die Tatsache, dass man nach der Geburt nicht frei ist. Was alles die Familie bestimmt, in die wir geboren werden, was sie in unser Unterbewusstsein einpflanzt. Entschieden ist über die Sprache, Religion, ob wir in der Haut einer Frau oder eines Mannes geboren werden und wie sich die Welt uns gegenüber verhalten wird.)48

Diesen sozialen Automatismus hat jeder in sich, denn er wird an uns von jeder Generation weitegeleitet und man kann ihm fast nicht entgehen. Radka Denemarková, kann sich einfach nicht damit abfinden, dass den Menschen die Rechte abgenommen werden, vor allem den Frauen, nur deswegen, weil sie in die falsche Familie geboren wurden. Sie selbst gibt zu, dass die Rechte der Frauen seit den 50-er Jahren rapide gestiegen sind, aber trotzdem findet sie in dieser patriarchalen Gesellschaft Situationen, wo Frauen immer noch unterdruckt werden und dies ist ein Grund, darüber zu schreiben und offen darüber zu reden.

47 Radka Denemarková im Interview, Hospodářské noviny (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/imgs/rozhovory/22_6_2011_hospodarske_noviny.JPG 48 Radka Denemarková im Interview, Hospodářské noviny (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/imgs/rozhovory/22_6_2011_hospodarske_noviny.JPG (übersetzt von der Autorin) 32

„Zkouším, co jazyk umí a neumí z hlediska ženského a mužského vnímání. Chci, aby moje knihy byly zaseklou kostí v krku, ne moučníkem po večeři.“ (Ich versuche, was die Sprache alles kann und nicht kann aus der Sicht der Frauen- und Männerwahrnehmung. Ich möchte, dass meine Bücher ein festgeklemmter Knochen im Hals sind und nicht ein Dessert nach dem Abendessen.)49

Ihre Literatur kann man als eine schwere Literatur bezeichnen, die nicht für jeden lesbar ist und die nicht jeder leiden kann. Trotzdem hat es etwas in sich, denn Radka Denemarková geht in die Tiefe. Sie wird nie über etwas nur oberflächlich schreiben. Sie gibt in ihr Schreiben ihr ganzes Herz, Seele und ihre Fähigkeiten, was die Sprache betrifft. Wie sie selbst sagt, liebt sie die tschechische Sprache und sie ist froh, in dieser Sprache zu schreiben, denn sie öffnet ihr viele Möglichkeiten. Sie spielt mit der Sprache, mit den Wörtern, um das Kern der Sache zu sagen, um das Genaue zu finden. In ihren Romanen ist auch meistens deswegen die Sprache viel wichtiger. Denn in der Sprache ist das Erzählte, in ihren Wörtern finden wir die ganze Geschichte des Romans.

Öfters wird ihr vorgeworfen, dass ihre Romane nicht etwas erleichtert werden, zum Beispiel durch ein bisschen Humor und oft wird sie gefragt, ob sie selbst humorvolle Literatur nicht mag. Und sie selbst hat diese Erklärung dafür:50

„Mám ráda groteskní humor, ale upřímně řečeno mě to nezajímá. Povrchní literatury, která nás chce bavit, je všude dost. Mě těší ta grotesknost, chci se podívat co je za tím, neuhýbat, podívat se na dřeň. A to moc sranda nebývá.“ (Ich habe den grotesken Humor gern, aber ehrlich gesagt interessiert es mich nicht, Oberflächliche Literatur, die uns unterhalten will, gibt es genug. Mich freut die Groteske, ich möchte sehen, was dahinter ist, nicht ausweichen, bis aufs Mark gehen. Und das ist meistens nicht witzig.)51

49 Radka Denemarková im Interview für novinky.cz (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.novinky.cz/kultura/113979-radka-denemarkova-zamindrakovani-si-vzdy-najdou-obeti.html (übersetzt von der Autorin) 50 Radka Denemarková im Interview, Hospodářské noviny (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/imgs/rozhovory/22_6_2011_hospodarske_noviny.JPG 51 Ebd. (übersetzt von der Autorin) 33

Ihre Werke schreibt sie nur in der tschechischen Sprache und sie schreibt auch nur über die tschechische Umgebung. Sie reist zwar viel und kennt sich auch in anderen Ländern sehr gut aus, aber sie ist der Meinung, dass wenn sie in Tschechien lebt, sollte sie auch über das tschechische Volk schreiben. Und sie will gerade über Tschechien detailliert schreiben und dafür hat sie sich die Belletristik ausgesucht.52

„Jenom beletrie může jít na dřeň, pracuje se všemi hypotézami, typy postav, stavy, situacemi, ukáže, co všechno je a není možné bez předsudků, zachytí esenci doby. Neukazuje dějiny černobíle, nedělí lidi na ty, kteří jsou vinni a nevinni, na katy a oběti, na dobro a zlo. Taková zjednodušena kritéria tu neplatí. Existuje nekonečno možností.“ (Nur Belletristik kann bis ans Mark gehen, sie arbeitet mit allen Hypothesen, Personentypen, Zuständen, Situationen, sie zeigt was alles möglich und unmöglich ist ohne Vorurteile, sie erfasst die Essenz der Zeit. Sie zeigt die Geschichte nicht schwarzweiß, sie teilt die Menschen nicht in die auf, die schuldig und unschuldig sind, in Henker und Opfer, in gute und böse. Solche vereinfachte Kriterien gelten hier nicht. Es existieren unendliche Möglichkeiten.)53

Zu den Autoren, die sie formten, gehören Astrid Lindgren, Kafka, Céline und Woolf. Wie sie selbst sagt, stimmt sie mit diesen Autoren nicht immer überein, aber es sind Schriftsteller, die der Welt gezeigt haben, dass man auch anders schreiben kann, dass es auch anders geht und aus diesem Grund sind sie für Radka Denemarková sehr wichtig. Genau wichtig sind ihr all die Auszeichnungen, die sie für ihre Arbeit bekommen hat, aber trotzdem bleibt sie immer mit beiden Beinen auf der Erde.54

„Jsem schopna sebereflexe, svou práci znám nejlépe, nepotřebuji potvrzení nebo rozbory odjinud. Je to můj svět. Každou věc dělám, jako by měla být tou poslední. Nikdy čtenářům nedovysvětlovat, neobsluhovat. Jsem bolest. Nejsem lékař. Nechci být slavná, chci být dobrá. Miluju češtinu. Šťavnatý, opulentní jazyk. Hostina pro šlechtice. To jediné mi dává svobodu. Psát a pracovat. A nic za to nechtít. Žádnou odměnu. Každou knihu člověk čte a vnímá v každém věku jinak.“

52 Radka Denemarková im Interview, Respekt (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/respekt_interview.html 53 Ebd. (übersetzt von der Autorin) 54 Radka Denemarková im Interview . (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.topzine.cz/radka-denemarkova-kniha-ma-cenu-kdyz-chce-ctenar-vstat-a-dat-autorovi-do- nosu-nebo-ho-obejmout 34

(Ich bin in der Lage einer Selbstreflexion, ich kenne meine Arbeit am besten, ich brauche keine Bestätigung und Analysen von anderen. Es ist meine Welt. Ich mache jede Sache so, als wäre es die Letzte. Ich kläre meine Leser nicht weiter auf, ich bediene sie nicht. Ich bin der Schmerz. Ich bin kein Arzt. Ich will nicht berühmt sein, ich will gut sein. Ich liebe die tschechische Sprache. Eine saftige, opulente Sprache. Ein Fest für die Adeligen. Das einzige gibt mir die Freiheit. Schreiben und arbeiten. Und nichts dafür zu wollen. Keine Belohnung. Jedes Buch liest und nimmt ein Mensch in jedem Alter anders wahr.)55

Und zum Schluss noch eine kleine Interessantheit. Obwohl wir in einer Welt leben, wo man ohne Technik nicht mehr sein kann, schreibt sie immer noch ihre Romane per Hand. Denn wie sie selbst sagt, kommen die besten Ideen, wenn man sie am wenigsten erwartet und es ist immer gut, ein Heft bei sich zu haben, um die Idee aufzuschreiben.

3.5. Übersetzen

Radka Denemarková ist nicht nur eine Schriftstellerin, sondern auch eine Übersetzerin. Dank ihrer guten Deutschkenntnisse übersetzt sie aus dem Deutschen ins Tschechische. Sie sieht ihre Arbeit als Übersetzerin als eine beruhigende Tätigkeit, die nicht so viel Energie erfordert, wie ihr eigenes Schreiben. Sie hat mehrere Theaterspiele von bekannten deutschen Autoren übersetzt und zurzeit widmet sie sich auch der Belletristik. Sie übersetzte einen Roman von Michael Stavarič und mehrere Bücher von Herta Müller. Ihrer Meinung nach sollte ein Übersetzer einem Autor treu bleiben und den übersetzen und dies haltet auch sie ein. Obwohl nach ihren eigenen Worten Herta Müller nicht gerade ihre beliebteste Autorin ist, übersetzt sie sie gern. „Vždycky si vybírám texty, které mě nějakým způsobem posunou dál v přemýšlení o literatuře. U Herty Müllerové se mi líbí jazyk. Kontroverzní využití poetického jazyka k tématům, která jsou nesmírně drsná a tragická.“ (Immer suche ich mir Texte heraus, die mich auf irgendeine Art beim Denken über die Literatur weiter rücken. Bei Herta Müller gefällt mir die Sprache. Die kontroverse Nutzung einer poetischen Sprache für Themen, die unermesslich grob und tragisch sind.)56

55 Ebd. (übersetzt von der Autorin) 56 Radka Denemarková im Interview für novinky.cz (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.novinky.cz/kultura/227529-prekladatelka-denemarkova-prace-s-jazykem-mi-pripomina- pouzivani-pinzety.html (übersetzt von der Autorin) 35

Sie sucht sich Autoren aus, die ihr etwas Neues bringen, die ihr mit etwas naheliegen. Und da Herta Müller zu den Autoren gehört, die sich auch sehr schwere, tabuisierte Themen aussuchen, war Herta Müller eine eindeutige Wahl für Radka Denemarková. Und auch die präzise Arbeit mit der Sprache und mit den Wörtern ist bei beiden Autorinnen auf den ersten Blick sichtbar.

„Takový překlad je hezká práce, protože je těžká. Nešlo o doslovný překlad, musela jsem volit takovou češtinu, aby ve fantazii a představách čtenáře vyvolávala asociace, jaké vyvolává výchozí jazyk, němčina. A aby všechny neologismy a metafory a odkazy a vykloubení a aluze působily přirozeně. (…) Práce s jazykem mi připomínala používání pinzety. Líbí se mi jednoduchý a přitom chirurgicky přesný a lyrický jazyk, kterým popisuje paradoxně těžké téma totality. A přitom jí to literární vědci a kritici zpočátku vyčítali.“ (So eine Übersetzung ist eine schöne Arbeit, weil sie schwer ist. Es ging um keine wortgetreue Übersetzung, ich musste so ein Tschechisch wählen, damit es in den Fantasien und Vorstellungen des Lesers solche Assoziationen hervorruft, wie die Ausgangssprache, das Deutsche, hervorruft. Und damit alle Neologismen und Metaphern und Hinweise und Ausrenkungen und Aluzionen natürlich wirken. (…)Die Arbeit mit der Sprache erinnerte mich an das Nutzen einer Pinzette. Mir gefällt die einfache und dabei chirurgisch genaue und lyrische Sprache, mit der paradoxerweise das schwere Thema der Totalität beschrieben wird. Und dabei haben es ihr die Literaturwissenschaftler und Kritiker am Anfang vorgeworfen.)57

Dass sich Radka Denemarková gerade diese Autorin ausgesucht hat, war sicherlich kein Zufall. Denn genau wie sie selbst ist Herta Müller eine Frau, die sich gegen alle und alles wehrt und versucht, ihre eigene Literatur, ihre eigene Sprache aufs Blatt zu bringen und das ist etwas, was Radka Denemarková gefällt und womit sie sich identifizieren kann.

Radka Denemarková ist der Meinung, dass man mit jeder Übersetzung und mit jedem Original anders umgehen muss. Damit hat sie natürlich recht, denn nicht jeder Text

57 Radka Denemarková im Interview für novinky.cz (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.novinky.cz/kultura/227529-prekladatelka-denemarkova-prace-s-jazykem-mi-pripomina- pouzivani-pinzety.html (übersetzt von der Autorin) 36

kann gleich angesehen werden und nur ein wirklich guter Übersetzer erkennt dies und arbeitet so auch damit.

„Když překládám, tak spisovatelka ve mně spí. A někdy je jí líto, že skvělé nápady předávám jinam. Je ale pravda, že v momentech, kdy to funguje, a já cítím onu posedlost, pak se dějí věci a mám pocit, jako bych to sama psala. U každé knihy je to ale samozřejmě jiné – u Herty Müller nestačí přeložit jen slova, musejí vyvolat stejný lyrický obraz v češtině jako v němčině. Jinak překlad nefunguje. Překládám ty autory tak, jak chci, aby překladatelé překládali mě – aby se k nim tulili, mazlili se s nimi, nahmátli tu správnou emoci, rytmus. Aby vyznění v cílovém jazyce bylo stejné jako v jazyce výchozím.“ (Wenn ich übersetze, schläft die Schriftstellerin in mir. Und manchmal tut es ihr leid, dass ich die ausgezeichneten Ideen anderswo überreiche. Es stimmt aber, dass in Momenten, wo es funktioniert und ich fühle die Besessenheit, dann Dinge passieren und ich habe das Gefühl, als würde ich es alleine schreiben. Bei jedem Buch ist es aber natürlich anders - bei Herta Müller reicht es nicht, nur die Wörter zu übersetzen, sie müssen das gleiche lyrische Bild im Tschechischen wie im Deutschen hervorrufen. Sonst funktioniert die Übersetzung nicht. Ich übersetze die Autoren so, wie ich möchte, dass mich Übersetzer übersetzen - damit sie sich an sie schmiegen, mit ihnen kuscheln, die richtige Emotion, den Rhythmus erspüren. Damit es gleich in der Zielsprache wie in der Ausgangssprache klingt.)58

Die Arbeit mit dem Originaltext ist für Radka Denemarková sehr wichtig, genau wie das Textverstehen. Den sie ist sich dessen bewusst, dass wenn sie eine gute Übersetzung herstellen will, muss sie mit allen Aspekten vertraut sein und das geht ohne eine gründliche Recherche nicht.

„U Müllerové je její jazyk i vyprávění nejen literatura, ale sebezáchovný přístup. Není jen autorka, ale také člověk, který tím vším, o čem píše, prošel. Mám pocit, že si vezme základ toho, co prožila sama, a pokaždé jako by brnkla otevřeným zavíracím špendlíkem o živé maso. Přitom neodkryla vše, co zažila v Rumunsku.“ (Bei Müller ist ihre Sprache und die Erzählung nicht nur Literatur, aber auch ein selbsterhaltendes Herantreten. Sie ist nicht nur eine Autorin, aber auch ein Mensch, der das

58 Radka Denemarková im Interview . (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.topzine.cz/radka-denemarkova-kniha-ma-cenu-kdyz-chce-ctenar-vstat-a-dat-autorovi-do- nosu-nebo-ho-obejmout (übersetzt von der Autorin)

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alles, über was er schreibt, absolviert hat. Ich habe das Gefühl, dass sie die Grundlage davon nimmt, was sie selbst erlebt hat, und immer als würde sie mit einer offenen Sicherheitsnadel auf lebendes Fleisch klimpern. Dabei deckt sie nicht alles auf, was sie in Rumänien erlebt hat.)59

"Překládání textů Herty Müllerové není klasickým překladem. Musíte přeložit slova a zároveň lyrický obraz, který vyvolávají. U ní se věty ochutnávají a pak vyrvávají ze země i s kořeny. Je to ostré, cílené psaní. Ostrý a cílený musí být i český překlad." (Das Übersetzen von Herta Müllers Texten ist keine klassische Übersetzung. Ihr müsst Wörter übersetzen und gleichzeitig das lyrische Bild, das sie hervorrufen. Bei ihr kostet man erst die Sätze und dann werden sie aus der Erde mit den Wurzeln gezerrt. Es ist ein scharfes, gezieltes Schreiben. Scharf und gezielt muss auch die tschechische Übersetzung sein.)60

Radka Denemarková wollte Herta Müller schon ein paar Jahre vorher übersetzen, bevor sie noch nicht so bekannt war. Aber der Verlag war der Meinung, dass sich keiner für die Literatur über den Totalitarismus in Rumänien interessieren würde. Erst nach dem Nobelpreis 2009, den Herta Müller bekam, entschied sich der Verlag Mladá fronta die Romane von ihr zu übersetzen und herauszugeben. Heutzutage kann man Radka Denemarková als eine höfische Übersetzerin Herta Müllers nennen und nur hoffen, dass sie auch weitere Werke von ihr übersetzt und ihr treu bleibt.

59 Radka Denemarková im Interview für novinky.cz (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.novinky.cz/kultura/227529-prekladatelka-denemarkova-prace-s-jazykem-mi-pripomina- pouzivani-pinzety.html (übersetzt von der Autorin) 60 Radka Denemarková im Interview mit dem Server ihned.cz (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://life.ihned.cz/c1-40104760-radka-denemarkova-prebytky-nehy (übersetzt von der Autorin)

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4. Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt

Es handelt sich um eine Novelle von Herta Müller. Es ist ihr zweites Buch, nach Niederungen, das sie herausgegeben hat und das wieder unter ihren Lesern Erfolg hatte. Diese Novelle hat ungefähr hundertfünfzig Seiten und ist in kleinere, kürzere Kapitel geteilt. Diese Novelle wurde 1986 vom Rotbuch Verlag, Berlin, herausgegeben und seitdem in mehrere Sprachen übersetzt. Ins Englische wurde es als (1989) übersetzt, im Schwedischen ist es Männistan är en stor fasan pa jorden (1987), im Französischen heißt der Titel L´homme est un grand faisan sur terre (1988), im Spanischen benannte man das Buch El hombre es un gran faisán en el mundo (1992) und zuletzt wurde es auch ins Tschechische unter dem Titel Cestovní pas (2010) übersetzt.

4.1. Inhalt

In Ceausescus Rumänien, in den 80. Jahren des 20. Jahrhunderts, wartet die deutschstämmige Familie Windisch auf die Ausreisegenehmigung in den Westen. Windisch versucht dank aller legaler Wege an den Pass heranzukommen, um mit seiner Familie endlich ausreisen zu können. Er lebt mit seiner Frau und Tochter in einem rumäniendeutschen Dorf. Fast alle seine deutschstämmigen Nachbarn haben die Papiere schon bekommen und sind ausgereist. Sein ganzes Leben dreht sich nur um seine Arbeit in der Mühle, dank der er den Pass zu bekommen hofft, und um die Ausreisegenehmigung. Aber leider kommt er darauf, dass dies nichts nutzen wird und er versucht es auf eine illegale Weise, indem er die Papiere bezahlt, aber leider gelingt es ihm nicht und er ist gezwungen, seine Tochter zu verkaufen, um an die Dokumente heranzukommen. Dank seiner Tochter kann seine Familie nach Deutschland ausreisen und erst nach ein paar Jahren kehren sie zu Besuch in ihr Heimatsdorf zurück.

4.2 Hauptfiguren

Als Hauptfiguren können wir die Mitglieder der Familie Windisch nennen. Dazu gehören Windisch, seine Frau Katharina und seine Tochter Amalie. Um diese drei Figuren dreht sich die Hauptlinie der Erzählung. Weiterhin treffen wir auch andere 39

Personen aus dem Dorf wie den Pfarrer, Nachtwächter, Bürgermeister, Kürschner, Tischler und einen Milizionär. Herta Müller hat sich für diese Novelle Figuren ausgesucht, die auch in einem realen Leben in so einem Dorf leben würden. Um eine reale Erzählung hervorzubringen, ist es wichtig, sie auf realen Personen aufzubauen. All diese Figuren treten ohne Eigennahmen auf, in der Novelle erzählt die Autorin über sie und über ihre Geschichte, aber damit der Leser einen Abstand zu den Figuren behält, erfährt er nicht, wie sie heißen.

4.2.1. Windisch

Windisch ist eine Hauptfigur der Novelle, die wir gleich am Anfang des Kapitels antreffen. Sein Schicksaal ist von der politischen Situation in Rumänien beeinflusst. Das Geschehen im Dorf wird von ihm beleuchtet. Windisch ist eine sehr komplizierte Figur, die man glaubt zu verstehen, aber in dem ganzen Buch überrascht er den Leser mit seiner Einstellung. Er sieht seine Leben so, dass ihm eigentlich nichts so gelungen ist, wie er es selbst wollte. Es fing alles mit dem Krieg an, den er nie wollte, dann als er nach dem Krieg zurückkam, erfuhr er, dass seine große Liebe im Lager gestorben ist und er heiratete Katharina, die das Lager überlebt hat, und gründete mit ihr eine Familie.

„Der Nachtwächter hat Windisch erzählt, dass der Pfarrer in der Sakristei ein Eisenbett stehen hat. In diesem Bett sucht er mit den Frauen die Taufscheine. „Wenn es gutgeht“, hat der Nachtwächter gesagt, „sucht er die Taufscheine fünfmal. Wenn es gründliche Arbeit leistet, sucht er sie zehnmal. Der Milizmann verliert und verlegt bei manchen Familien siebenmal die Gesuche und die Stempelmarken. Er sucht sie mit den Frauen, die auswandern wollen, im Lagerraum der Post, auf der Matratze.“61

Dann wollte er den Pass bekommen und er wollte sich nicht damit abfinden, wie es im Dorf geht und wollte die Papiere auf seine, ehrenhafte Weise erlangen. Aber auch in diesem Fall scheiterte er und musste nachgeben. Genau wie er sich nicht damit abfinden

61 MÜLLER, H.: Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2010. S. 72

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kann, dass seine Frau, um zu überleben, ihren Körper verkauft hat, kann er sich nicht damit abfinden, dass seine eigene Tochter sich an die Miliz verkauft hat, um den Pass zu bekommen. Dank all dieser Tatsachen ist Windisch am Ende überzeugt, dass ihm auch das neue Leben in Deutschland kein Glück bringt.

4.2.2. Katharina

Katharina ist die Frau von Windisch. Sie will auch die Papiere für die Ausreise bekommen, aber sie glaubt nicht, dass es ihrem Mann gelingt, ohne dass sich ihre Tochter verkauft. Katharina hat auch eine sehr schwere Vergangenheit hinter sich. Sie war fünf Jahr lang in Russland. Und damals bedeutete fünf Jahre in Russland fünf Jahre im Arbeitslager, im Gulag. Zum Glück überlebte sie diese schreckliche Zeit, aber sie musste dafür einen großen Preis bezahlen, sie musste sich selbst verkaufen um etwas zum Essen oder um etwas Wärme zu bekommen. Jedes Jahr war sie mit einem anderen Mann, um den Hunger, den Igel im Bauch, zu stillen. An einem Abschnitt kann man sich vorstellen, wie es im Lager war:

„Dann war der zweite Schnee gekommen. Katharina hatte eine Wolldecke. Die war am Tag ihr Mantel. Der Igel stach. Katharina ging, wenn´s dunkel wurde, dem Licht des Schnees nach. Sie bückte sich. Sie kroch am Schatten des Wächters vorbei. Katharina ging ins Eisenbett eines Mannes. Der war Koch. Er nannte sie Käthe. er wärmte sie und gab ihr Kartoffeln. Sie waren heiß und süß. Der Igel zog für ein paar Stunden seine Stacheln ein.“62

Sie hat sich zwar für diese Vergangenheit geschämt, aber sie wusste, dass damals kein anderer Ausweg war. Und es tat ihr weh, dass ihr eigener Mann es ihr immer vorgeworfen hat, dass sie damals in Russland eine Hure war. Deshalb war sie fast die einzige aus der Familie, die es am besten vertragen hat, dass sich auch Amelie verkaufen musste, denn das war für das Wohl der Familie.

62 MÜLLER, H.: Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2010. S. 127

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4.2.3. Amalie

Amalie ist die Tochter von Windisch und Katharina. Sie ist schon älter und arbeitet in der Stadt als Kindergärtnerin. Jeden Samstag fährt sie zu ihren Eltern ins Dorf und jeden Samstag erwartet sie ihre Mutter auf dem Bahnhof. Mit 7 Jahren wurde sie von den Dorfjungen, Rudi, belästigt, der früher als sie ausreist und der auf sie in Deutschland wartet. Doch sie hat schon eine Beziehung mit dem jungen Dietmar, der aber in den Krieg berufen wird und dort auch sein Ende findet.

Amalie weiß, dass sie die einzige ist, die die Familie retten kann. Und auch nur dank ihr, bekommt die Familie die Papiere. Man weiß im Dorf, dass sich der Milizionär immer schöne Frauen aussucht, mit denen er schläft und ihnen dann die Papiere gibt. Und die gleichen Frauen müssen dann zum Pfarrer gehen und den Taufschein suchen, der aber auf einem Bett gesucht wird. Amalie hat sich mit diesem Gedanken, mit ihrem Schicksal, abgefunden und geht freiwillig ihrer Familie helfen.

4.3. Text aus der strukturellen Sicht

Die ganze Novelle ist in hundertfünfzig Seiten gefasst und in mehrere Kapitel eingeordnet. Die Sätze sind für die deutsche Sprache sehr kurz und deshalb wirken sie auf den Leser auf den ersten Blick sehr untypisch und man muss sich daran gewöhnen. Denn in der deutschen Sprache ist dies eher selten. Dank dieser untypischen Art ist die Aussagekraft jedes einzelnen Kapitels sehr groß. Herta Müller zeigt uns damit, dass auch durch kurze Sätze viel gesagt werden kann. Ihre Werke sind monothematisch. Sie zieht den Leser nicht in mehrere Handlungslinien, sondern bleibt der einen treu und vertieft sie durch Abzweigungen mehr und mehr. Dies ist eine Kunst und dadurch sind ihre Bücher lesbar für fast alle Bevölkerungsschichten, aber natürlich muss nicht allen dieser Stil passen. Ein weiterer Vorteil ist, dass nicht jeder den Lebenslauf von Herta Müller kennen muss. um zu verstehen worüber sie schreibt und warum sie es schreibt. Denn aus ihren Werken ist ganz klar erkennbar, dass dies nur jemand schreiben konnte, der es erlebt hat.

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Man findet im Text keine große Menge an Informationen, er ist nämlich reduziert. Deswegen fühlt sich damit der Leser nicht übersättigt und es bleibt damit auch ein Platz für seine eigenen Vorstellungen, Bilder und Gedanken. Herta Müller gehört zu den Autoren, die dem Leser einen freien Raum lässt und die die Texte nicht mit vielen Informationen überfüllt. Denn für sie ist ihre eigene Grundlage wichtig und das drum und herum soll dem Leser frei bleiben. Auch aus diesem Grund ist das Buch in viele kleine zusammenhängende und kurze Kapitel aufgeteilt. Jedes einzelne Kapitel hat eine kurze Überschrift, die dann auch mit dem gegebenen Kapitel zusammenhängt und sich auf das Kapitel bezieht.

Der Novellentitel ist für dieses Werk sehr wichtig, denn er zieht sich durch die ganze Erzählung. Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt ist ein rumänisches Sprichwort, das die Unbeholfenheit des flügellahmen Wildvogels auf das Leben und Schicksal des Menschen überträgt. Das bedeutet, dass ein Mensch, genau wie der Fasan, nur so hoch fliegen kann, oder nur so leben kann, wie es ihm die Umstände, seine eigene Beschränkungen und auch das Schicksal erlauben. Dieses Sprichwort kommt zweimal im ganzen Buch vor und einmal wird es von dem Nachwächter und dann vom Windisch erwähnt. Windisch kann man nämlich mit diesem Sprichwort sehr gut vergleichen. Er selbst sieht sich wie einen Fasan. Er würde gerne hoch und weit fliegen, doch die Umstände erlauben es ihm nicht und er muss auf den Boden bleiben. Schon in dem Titel kann man das Denken von Herta Müller erkennen. Das Schicksalhafte, das Umkehrbare. Womit man geboren wird, muss man leben und oft kann man dagegen leider nichts machen.

Der ganze Text, die ganze Erzählung hat einen Anfangspunkt und einen Endpunkt. Die Erzählung fängt damit an, dass Windisch auf alle möglichen ehrlichen Weisen versucht, den Pass zu bekommen. Und am Ende ist, wie er ihn bekommt, endlich ausreist und dann noch einmal zu Besuch ins Dorf zurückkehrt. Nicht in allen Werken von Herta Müller können wir diese gerade Linie von einem Anfang bis zum Ende sehen.

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4.4. Sprache

Über kein Werk von Herta Müller kann man sagen, das die Sprache, die im Text benutzt wurde, nur Deutsch ist. Obwohl der Text deutsch ist und auch den grammatischen Regeln der deutschen Sprache folgt, ist er nie richtig deutsch, weil bei Herta Müller immer ihre zweite Sprache mitschreibt, das Rumänische. Ihre rumänischen Wurzeln sind in jedem Werk sichtbar, ob es nun Sprichwörter, alleinständige Wörter oder Metaphern sind, das Rumänische findet man immer bei ihr und deswegen ist es wichtig, bei Herta Müller nicht nur über eine Sprache zu sprechen, sondern über die zwei Sprachen, die in ihrem Leben und vor allem Schreiben sehr wichtig sind.

Im Text kann der Leser die Wirklichkeit fühlen. Die Erzählung zieht den Leser ins Geschehene vollkommen hinein und das nur wegen zwei Gründen. Erstens ist es die Tatsache, dass Herta Müller all das Grauen selbst erlebt hat und zweitens ist es die Sprache, die dem ganzen die Identität gibt und dem Leser keine Möglichkeit gibt auszuweichen. Die kurzen Sätze arbeiten, wie auch die Kurzprosaformen, meist mit Handlungsbögen. Dank der kurzen Sätze, dank der Struktur und dank der Wirkung einer Poesie ist der Leser gezwungen, das Buch viel mehr auszukosten als jede andere Prosa in der Literatur. Was den Wortschatz betrifft, benutzt die Autorin neben ihren Lieblingsbegriffen auch Archaismen, Komposita und Neologismen.

4.5. Metaphorik, Anzeichen und Aberglauben

Im Text findet man viele Anzeichen und Aberglauben. Der wichtigste Grund dafür ist, dass man mit Anzeichen oder Aberglauben auch mit einem kurzen Satz sehr viel sagen kann. Und ein weiterer ist die Umgebung, in der sich die Novelle abspielt. Dorfbewohner waren immer abergläubischer als Stadtbewohner. In jedem Dorf gibt es Leute, die auf abergläubische alte Geschichten glauben und die in jeder Pflanze oder in jedem Tier etwas mehr sehen, als es ist. In diesem Text kommt zum Beispiel die Eule vor, die den Tod symbolisieren soll. Nach dem Aberglauben stirbt der Mensch, auf dessen Dach sich die Eule setzt. Und wenn sie dann von diesem Haus wegfliegt, dann

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nimmt sie die Seele des Gestorbenen von dieser Welt. Im Buch ist es zuerst Tischlers Mutter, die dank der Eule die Welt verlässt, und danach wartet die alte Kroner auf den Tod, aber die Eule will sich nicht auf ihr Dach setzen.

„„Eine Eule“, sagt der Nachtwächter. Er legt die Hand auf den Mund. „Bei der alten Kroner brennt seit drei Nächten das Licht.“ Windisch schiebt das Fahrrad. „Sie kann nicht sterben“, sagt er, „die Eule setzt sich auf kein Dach.““63

Dann stirbt auch der Freund von Amelie, Dietmar, der in den Krieg eingezogen wurde und wieder wird der Zusammenhang mit der Eule erwähnt.

„Ein Soldat sieht die junge Eule im Gestrüpp. Er legt das Gewehr ins Gras. Er steht auf. Die Kugel fliegt. Sie trifft. (…) Der Pfarrer sagt: „Die junge Eule hat an der Donau gesessen und an unser Dorf gedacht.““64

Und auch wenn eine neue, junge Eule ins Dorf kommt, sehen die Bewohner etwas Schlimmes auf sie zukommen. Obwohl die Eule jung ist und eher etwas Erfreuliches symbolisieren sollte, finden die Bewohner in ihr wieder nur den Tod.

„Die Eulen haben keine Ruh, und das Wasser hat keine Ruh“, sagt Windisch. „Wenn sie krepiert, kommt eine andere Eule ins Dorf. Eine junge, dumme, die sich nicht auskennt. Die setzt sich auf alle Dächer.“ Der Nachtwächter schaut in den Mond. „Dann sterben wieder junge Leute“, sagt er. (…) Dann ist es wieder wie im Krieg, sagt er."65

Aber im Buch findet man auch Aberglauben, die Pflanzen betreffen. Zum Beispiel soll eine weiße Dahlie die Macht gehabt haben, die Mutter vom Tischler verrückt gemacht zu haben. Sie soll an der Dahlie gerochen haben und nur deswegen, weil sie so groß war, war sie gefährlich.

63 MÜLLER, H.: Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2010. S. 13 64 Ebd. S. 133 65 Ebd. S. 95 45

„„Die Dahlie war ein Gesicht.“ „Weil sie so trocken war in diesem Sommer“, sagte die Frau des Tischlers, „war die Dahlie voll mit weißen, eingerollten Blättern. Sie blühte so groß, wie eine Dahlie gar nicht blühen kann. Und weil kein Wind in diesem Sommer war, ist sie nicht abgefallen. Die Dahlie hatte sich längst ausgehaucht, doch sie konnte nicht verblühen.““66

Auch ein Apfelbaum konnte zum Grund werden, damit sich Leute fürchten. Jemand soll gesehen haben, wie der Apfelbaum seine eigenen Äpfel isst. Und gleich wurde dazu die Kirche berufen, um zu helfen. Und der Bischof selbst entschied, dass der Baum verbrennt werden muss.

„Der Bischof betet nicht. Er sagte, dass er den Bericht des Lehrers gelesen habe. Dass er sich mit Gott beraten habe. „Gott weiß es schon lange“, schrie er, „Gott hat mich erinnert an Adam und Eva. Gott“, sagte der Bischof leise, „Gott hat mir gesagt: Im Apfelbaum ist der Teufel.““67

Nur eine vielleicht ausgedachte Geschichte konnte in den Menschen so eine Angst hervorrufen und den Aberglauben in ihnen wecken. Und noch dazu bringt Herta Müller die Kirche, das Christliche in die Erzählung um zu zeigen, welche Macht sie hatte und wie ihr die Leute folgten.

Auch Metaphorik ist im Text erkennbar. Zum Beispiel die Todesmetaphorik ist gleich am Beginn zu sehen.

„Seit Windisch auswandern will, sieht er überall im Dorf das Ende.“ „Und dass der Nachtwächter dableibt, sieht Windisch. über das Ende hinaus.“68

Diese Metaphorik ist typisch für die Situation der Welt, für das Leben der Dorfbewohner und für die gebliebenen Deutschen in Rumänien.

Bei Herta Müller können auch Tiere, wie zum Beispiel der Frosch, als Metapher benutzt werden. Die Metapher des Frosches weist auf die Kontinuität des Zentralthemas

66MÜLLER, H.: Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2010. S. 18 67Ebd. S. 48 68 Ebd. S. 8 46

Diktatur hin und zugleich auf die erzählerischen Anfänge von Herta Müller mit ihrem Roman Niederungen. Auch in dieser Novelle erwähnt sie den Frosch, konkret Erdfrosch, gleich in dem zweiten Kapitel, wo sie den Traum des Nachtwächters beschreibt.

„Ich hab vom trockenen Frosch geträumt. (...) Ich hab mit meiner Frau geredet. Der Erdfrosch hat mit den Augen meiner Frau geschaut. Er hat den Zopf meiner Frau gehabt. Er hat ihr Nachthemd angehabt, und es war bis zum Bauch hinauf gerutscht. Ich hab gesagt, deck dich zu, deine Schenkel sind welk. Ich hab es zu meiner Frau gesagt. Der Erdfrosch hat sich das Nachthemd über die Schenkel gezogen. Ich hab mich neben das Bett auf den Stuhl gesetzt. Der Erdfrosch hat gelächelt mit dem Mund meiner Frau. Der Stuhl quietscht. Der Erdfrosch hat sich den Zopf meiner Frau auf die Schulter gelegt. Er war so lang wie das Nachthemd war. Ich hab gesagt: Dein Haar ist gewachsen. Der Erdfrosch hat den Kopf gehoben und geschrien: Du bist besoffen, gleich fällst du vom Stuhl.“69

All diese Metaphorik, Anzeichen und Aberglauben passen genau in den Text und es wäre ein großer Fehler, sie wegzulassen. Sie wirken im Werk sehr natürlich auf den Leser und deswegen wirkt auch die ganze Atmosphäre realistisch. Und ein weiterer Grund ist, dass der Leser die Möglichkeit hat, etwas über das Leben in Rumänien und über eine andere Kultur zu erfahren.

4.6. Interpretation

Die Interpretation dieses Werkes kann man aus mehreren Sichten angehen. Diese Arbeit wird sich nur auf zwei Möglichkeiten einschränken. Die eine ist, was uns damit die Autorin sagen wollte und die zweite ist die mögliche Parallele zwischen dem Leben von Herta Müller und dieser Novelle.

Das Thema der Novelle wurde schon in den oben genannten Kapiteln dargestellt. Die Autorin wollte ihren Lesern das Leben in einem rumänischen Dorf der 80-er Jahre

69 MÜLLER, H.: Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2010. S. 11

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vorstellen in dem das Ceausescus Regime verlief. Sie wollte an konkreten Personen zeigen, wie sich Leute, konkret deutschstämmige Personen, in so einer ausgangslosen Situation verhalten. Sie wollte bis aufs Mark gehen und die Gefühle hervorbringen, die man in so einer Lage hat. Aber das Wichtigste, was uns die Autorin mitteilen wollte, sind die gegensätzlichen Gefühle, die man in so einer Situation fühlt und mit denen man leben muss. Die Hauptfiguren wollen ihre Heimat verlassen, wollen nach Deutschland umziehen und hoffen, dort ein neues, besseres Leben zu leben. Doch obwohl sie sich sehr darüber freuen, wenn sie endlich den Pass in der Hand haben und ausreisen dürfen, kämpft in ihnen das Gefühl, dass sie für Immer ihre Heimat, ihr Dorf verlassen. Und dass sie sich nicht sicher sein können ob wirklich etwas besseres auf sie wartet, doch der Drang der sie zwingt auszuwandern ist stärker als das Heimweh. Diese zwei gegensätzlichen Gefühle sind im ganzen Buch spürbar und sie sind vollkommen perfekt dargestellt. Herta Müller wollte den Lesern zeigen, dass es immer schwer ist, die eigene Heimat, das Dorf oder die Stadt, in denen man geboren ist, zu verlassen, und wollte, dass dies der Leser bis ins Innerste begreift.

Die zweite Sicht auf das Werk wird leider nicht jedem Leser auf den ersten Blick klar. Oder besser gesagt, nicht jeder Leser hat die nötigen Hintergrundinformationen. Um die Parallele zu sehen, muss man etwas über Herta Müllers Leben kennen. Und in dieser Arbeit wurde ihr Leben ziemlich detailliert geschildert und hoffentlich sehen die Leser dieser Arbeit die Parallele schon. Man kann vermuten, dass Herta Müller in diese Erzählung nicht nur ihre Erlebnisse eingebaut hat, sondern auch ein paar Splitter ihres eigenen Lebens. Zum Beispiel wenn man die Hauptfigur Katharina mit Herta Müllers eigener Mutter vergleicht. Man weiß, dass ihre eigene Mutter auch im Gulag eine Zeit lang war und die Wahrscheinlichkeit, dass sie das gleiche tun musste, wie Katharina in der Novelle, um zu überleben, ist sehr hoch. Eine weitere Ähnlichkeit können wir in der Tochter, Amalie, sehen. Genau wie Herta Müller ist auch sie aus dem Dorf ausgezogen und wohnte in der Stadt. Und Amalie arbeitete als Kindergärtnerin, genau wie Herta Müller, die auch eine kurze Zeit lang als Kindergärtnerin arbeitete. Am Ende der Erzählung wird eine Andeutung gemacht, dass Windisch in der Wehrmacht war. Was wiederum eine Parallele zu Herta Müllers Leben wäre, denn ihr eigener Vater war in der Wehrmacht. Ob es nun Herta Müllers Absicht war, ihr eigenes Leben mit dem Leben

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der Hauptfiguren zu verknüpfen, ist nicht grundlegend. Bedeutsam ist aber, dass sie ein Werk geschaffen hat, das authentisch und sehr realistisch wirkt.

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5. Vergleich der Übersetzung mit dem Original

In dem letzten Kapitel dieser Arbeit werden wir die Übersetzung mit dem Original vergleichen. Und bevor wir zu konkreten Beispielen kommen, ist es wichtig, sich ein wenig im Allgemeinen mit dem Übersetzen zu beschäftigen und dann auch die Autorin des Werkes mit ihrer Übersetzerin zu vergleichen.70

5.1. Übersetzen Über das Übersetzen, was eine uralte und intellektuelle Tätigkeit und Handwerk ist, wurde schon seit der Bibelzeit sehr viel geschrieben. Denn die Tradition der Übersetzung ist sehr lang und mit ihrer Problematik haben sich theoretisch schon Cicero und der berühmte Bibelübersetzer Hieronymus auseinandergesetzt. Aber erst im vergangenen Jahrhundert wurde eine selbständige Wissenschaft formuliert, heute bekannt als Translatologie, die den ganzen Prozess und das finale Ergebnis bis ins kleinste Detail verfolgt.71

Jeder Übersetzer, der Texte übersetzt, muss gewisse Regeln einhalten, oder besser gesagt sollte sich an die Regeln halten, um eine gute Übersetzung zu erschaffen. Denn das Übersetzen ist eine Kunst und wie in jeder Art von Kunst gibt es Werke, die uns gefallen und Werke, die nicht gerade gelungen sind.

„Nejde o to, zda překladatelství pokládáme za řemeslo, či umění. Pokud "umění" chápeme jako odvozeninu od slovesa "uměti", pak v produktech této činnosti najdeme celou kvalitativní škálu od skutečného umění ve smyslu tvořivém až po naprosté neumětelství.“ (Es geht nicht darum, ob wir die Übersetzbarkeit als ein Handwerk oder Kunst betrachten. Wenn wir "Kunst" als eine Ableitung von dem Verb "können" verstehen, dann finden wir bei Produkten dieser Tätigkeit eine ganze qualitative Skala von echter Kunst im schöpferischen Sinne bis zu völliger "Unkunst".)72

70 Alle Beispiele, die in diesem Kapitel vorkommen, sind aus dem deutschen Buch Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt und aus der tschechischen Übersetzung Cestovní pas. Hinter jedem Beispiel wird in Klammern die Seite angegeben.) 71 Vgl. KUFNEROVÁ, Z.: Čtení o překládání, Praha: H&H Vyšehradská s.r.o., 2009. S. 7 72 KUFNEROVÁ, Z.: Čtení o překládání, Praha: H&H Vyšehradská s.r.o., 2009. S. 7 (übersetzt von der Autorin)

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Zu den drei wichtigsten Elementen in dem Übersetzungsprozess gehören: 1, eine konkrete Formulierung des Auftrags 2, der Übersetzer selbst 3, das finale Produkt, die Übersetzung an sich

„Chceme-li popsat model tvořivé překladatelské činnosti, je třeba znát, co je jejím předmětem a cílem (tj. co se bude překládat, jakými postupy a jaký má být výsledný produkt), kdo bude překládat (tj. jaké vlastnosti má mít tvůrčí překladatel) a za jakých podmínek se překládá (tj. jak zní zakázka překladu a kde s ohledem na zakázku může a kde musí překladatel uplatnit tvůrčí postupy).“ (Wenn wir ein kreatives Model der Übersetzungstätigkeit beschreiben wollen, müssen wir wissen, was ihr Gegenstand und Ziel ist (d. h. was wird übersetzt, mit welchen Vorgehen und wie soll das Endprodukt sein), wer wird übersetzen (d. h., welche Eigenschaften ein kreativer Übersetzer haben soll) und zu welchen Bedingungen wird übersetzt (d. h., wie der Übersetzungsauftrag lautet und wo der Übersetzer kann und wo muss, Anbetracht auf den Auftrag, sein kreatives Vorgehen zur Geltung gebracht werden.)73

5.1.1. Formulierung des Auftrags

Es ist immer sehr wichtig, wenn man als Übersetzer arbeitet, ob auf professioneller Ebene oder nur als Laie, eine konkrete Formulierung zu dem Auftrag zu bekommen. Das heißt, dass man weiß, für wen die Übersetzung sein wird, ob sie öffentlich abgedruckt wird, zu welchem Zweck wird das Original übersetzt, in welcher Situation wird die Übersetzung in der Zielkultur wahrscheinlich benutzt usw.74 Die sind alles Faktoren, die ein Übersetzer im Voraus wissen muss, damit er eine gute Übersetzung abgeben kann und es nicht zu peniblen Situationen kommt oder größeren Fehlern, die dann Probleme zum Beispiel einer Firma vorbereiten könnten.

73 FIŠER, Z.: Překlad jako kreativní proces. Brno: Host- vydavatelství, s.r.o., 2009. S. 14 (übersetzt von der Autorin) 74 Vgl. Ebd. S. 14 51

„Požadované vlastnosti překladu, výsledného produktu své činnosti, si musí dobře uvědomovat především profesionální překladatel. Překladatel musí co nejpřesněji vědět, k jakému účelu bude jeho překlad používán. Jedině tehdy může zodpovědně dostát svému úkolu.“ (Der professionelle Übersetzer muss sich vor allem sehr gut der erforderten Eigenschaften der Übersetzung, des Endprodukts seiner Tätigkeit, bewusst sein. Der Übersetzer muss exakt wissen, zu welchem Zweck seine Übersetzung dienen wird. Nur dann kann er verantwortlich seiner Aufgabe gerecht werden.)75

„Das Erstellen klarer Texte ist eine Kunst. Übersetzen und Dolmetschen und die Wahl des richtigen Übersetzers oder Dolmetschers für einen bestimmten Auftrag darf daher nicht primär eine Preisfrage sein, sondern sie ist eine Frage des Wissens und Vertrauens.“76

5.1.2. Die Übersetzung

Die Übersetzung ist ein finaler Text, der vom Übersetzer in einer Zielsprache erschaffen wurde, die von der Originalsprache unterschiedlich ist. Der Empfänger dieses finalen Textes erwartet deswegen, dass die Menge an Informationen, die in der Übersetzung zu finden sind, gleich ist, wie in dem Originaltext. Aus der translatologischen Sicht muss man dies aber etwas mehr präzisieren. Man kann nämlich nur annehmen, dass es zwischen der Menge an Informationen keine Gleichheit gibt, sonder das die Menge an Informationen in der Übersetzung auch im Ausgangstext zu finden war.77

Es kann aber auch dazu kommen, dass im Ausganstext eine Information erscheint, die nur in der Ausgangssprache zu verstehen ist. Oder im Originaltext kann eine thematisierte Entität sein, die in der Zielkultur nicht existiert.78 In diesem Fall liegt eine schwere Aufgabe auf dem Übersetzer, denn er muss versuchen diese Information dem Empfänger in der Zielsprache nahe zu bringen, damit er sie versteht oder sie mit anderen Mitteln erklären. In der Fachliteratur ist es ziemlich üblich, dass in der Übersetzung Anmerkungen, Akutalisierungen sachlicher Informationen oder Korrekturen der Fehler vorkommen.

75 FIŠER, Z.: Překlad jako kreativní proces. Brno: Host- vydavatelství, s.r.o., 2009. S. 19 (übersetzt von der Autorin). 76 SNELL-HORNBY, M., HÖNIG, H.: Handbuch Translation. Tübingen: Stauffenburg Verlag Brigitte Narr GmbH, 2006. S. 13 77 Vgl. FIŠER, Z.: Překlad jako kreativní proces. Brno: Host- vydavatelství, s.r.o., 2009. S. 15 78 Vgl. Ebd. S. 16 52

„I když výchozí text může být neúplný či jinak defektní, od překladatele požadujeme, aby vytvořil text komunikačně celistvý a bez defektů.“ (Auch wenn der Ausgangstext unvollständig oder defekt sein kann, vom Übersetzer wird verlangt, dass er einen Kommunikationskompleten und fehlerlosen Text erschafft.)79

Der Übersetzer kann seine Entscheidung und seine Korrektur des Fehlers im Text, zum Beispiel in der Fußnote, erklären. Ein sachlicher Fehler in einem Kunstwerk sollte nicht im Text korrigiert werden. Es ist besser, dies in der Übersetzung beizubehalten und den Fehler in der Fußnote zu korrigieren und erklären.80

Wenn man in einem künstlerischen Text Informationen hinzufügt, kann es aus zwei Gründen negativ wirken.

„Jednak zvýšená explikativnost mění účinnost textu, jednak přidání vysvětlující informace mívá za následek prodloužení textu. K specifikaci by nemělo docházet, není-li nutno dodávat detaily, kterým bychom se vyhnuli neporozumění textu.“ (Einerseits ändert eine höhere Explikation die Wirksamkeit des Textes, anderseits hat das Hinzufügen einer Erklärungsinformation zu Folge, dass sich der Text verlängert. Zur Spezifikation sollte es nicht kommen, wenn es nicht nötig, ist Details hinzuzufügen, dank denen wir es vermeiden würden. den Text misszuverstehen.)81

Man kann fast jede Übersetzung als eine öffentliche betrachten, den wenigstens immer ein Mensch wird sie lesen und zu Augen bekommen. Deswegen ist es wichtig, auf die Grammatik aufzupassen und nur korrekte Texte erstellen. Es gibt nur ein paar Ausnahmen, wo sich der Übersetzer grammatische Fehler leisten kann und die müssen nur in Fällen vorkommen, wo sie der Übersetzer absichtlich benutzt.82

79 FIŠER, Z.: Překlad jako kreativní proces. Brno: Host- vydavatelství, s.r.o., 2009. S. 16 (übersetzt von der Autorin) 80 Vgl. Ebd. S. 16 81 KNITTLOVÁ, D.: K teorii i praxi překladu, Olomouc: Univerzita Palackého v Olomouci, 2003. S. 12 (übersetzt von der Autorin) 82 Vgl. FIŠER, Z.: Překlad jako kreativní proces. Brno: Host- vydavatelství, s.r.o., 2009. S. 21 53

5.1.3. Der Übersetzer

Man kann annehmen, dass Übersetzungen meistens von professionellen Übersetzern gemacht werden. Aber es gibt auch Menschen, die vor allem spezielle Fachrichtungen übersetzen und deren Profession nicht Übersetzen ist. Zu den verantwortungsvollen gehören diejenigen, die dann diese Texte einem professionellen Übersetzer weiterleiten, der die Übersetzung dann korrigiert, oder Ihnen Ratschläge gibt, wie man sie verbessern kann. Leider kommt es zu diesen Fällen nicht sehr oft und so entstehen dann in solchen Texten viele Übersetzungsfehler.83

Man kann also sagen, dass zu einem Übersetzer gewisse Kenntnisse oder sogenannte Kompetenzen gehören, die ein jeder Übersetzer kennen sollte und sollte auch zu benutzen wissen. Zu den Grundkompetenzen gehören: die Sprachkompetenz, die textbildende Kompetenz, die literarische Kompetenz, die Kulturkompetenz. Der Übersetzer muss nicht nur diese verschiedenen Kompetenzen beherrschen, sondern auch noch andere speziellen Fähigkeiten oder so genannte Handfertigkeiten, die er aber erst nach einem längeren Zeitraum und dank einer Selbstbildung besitzen kann.84

5.2. Autor – Buch – Übersetzer

Meistens ist es so, dass sich der Übersetzer die Bücher, die er übersetzt selbst aussucht. Egal aus welchem Grund. Es kann deswegen sein, dass ihm das Thema nahe ist, oder der Autor. Viele Übersetzer bleiben auch nur ein paar Autoren treu, die sie dann ihre ganze Kariere lang übersetzten.

Jede Art von Literatur bringt dem Übersetzter etwas Neues. Sie taucht gegen seinen Willen mit ihm in Welten ein, die er noch nie zuvor sah und erlebte. Dabei würde er

83Vgl. FIŠER , Z.: Překlad jako kreativní proces. Brno: Host- vydavatelství, s.r.o., 2009. S. 29 84 Vgl. Ebd. S. 30

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sich vielleicht nie aus eigener Initiative in dieser Art von Literatur verlaufen. Auch aus diesem Grund ist der Beruf des Übersetzers sehr vielfältig.

Wenn der Übersetzer Poesie und Prosa übersetzt, wird er gezwungen, sich für eine Weile in den Körper des Autors zu versetzten. Zum Übersetzen der intimen Lyrik muss der Übersetzer in die Gedanken des Autors eindringen, um ihn perfekt zu verstehen. Um zu verstehen, was er eigentlich damit sagen wollte, was der Inhalt des Werkes ist usw. Er muss ihn so gut kennen und verstehen, wie ihn nicht einmal seine Verwandten und Freunde kennen. Ohne diese Voraussetzung kann er nicht mit dem Text arbeiten, um eine gute Übersetzung zu liefern.

„Velikou překladatelovou radostí je hra se slovy, ztvárňování jazykového materiálu, kreace a experimentování, hledání v pozapomenutých vrstvách mateřštiny, dokazování, čeho všeho je čeština ve srovnání s jiným jazykem krásně, přesně i osobitě schopná.“ (Eine große Freude des Übersetzers ist das Spiel mit den Wörtern, Gestaltung des Sprachmaterials, Kreation und Experimentieren, das Suchen in vergessenen Ebenen der Muttersprache, Nachweisen wozu die tschechische Sprache im Vergleich zu anderen Sprachen wunderschön, genau und einmalig fähig ist.)85

Herta Müller ist eine Schriftstellerin, die ihre eigene Literatur schreibt. In dem vorigen Kapitel haben wir uns sie vorgestellt und auch die Themen, über die sie schreibt. Sie ist eine ziemlich starke Persönlichkeit, die man sehr gut verstehen muss um sie übersetzen zu können. Ihre Sprache, ihr Schreiben ist nicht sehr einfach, es ist eigentlich eine Poesie in der Prosa, die nicht für alle verständlich ist und deshalb auch schwer zum Übersetzen. Radka Denemarková ist auch eine Schriftstellerin, aber auch eine sehr gute Übersetzerin. Wie sie selbst sagt, ist es immer besser, wenn ein Schrifteller einen anderen Autor übersetzt, denn er hat die Literatur im Blut. Und Radka Denemarková ist sicherlich eine sehr gute Autorin und um Herta Müller zu übersetzen, hat sie auch die erforderlichen Voraussetzungen. Sie ist selbst eine starke Persönlichkeit und wie wir im vorigen Kapitel sehen können auch eine Autorin, die die Vergangenheit nicht schlafen

85 KUFNEROVÁ, Z.: Čtení o překládání, Praha: H&H Vyšehradská s.r.o., 2009. S. 9 (übersetzt von der Autorin)

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lässt und über sie schreibt. Deshalb konnte sie sich auch in die Haut von Herta Müller einfühlen und verstehen, was uns die Autorin damit sagen wollte. Auch dank einer gründlichen Recherche konnte sie die Problematik besser verstehen und sich so der Übersetzung widmen. Und auch ihre Fähigkeiten als Autorin kamen bei der Übersetzung zur Geltung. Ob dies nun der Übersetzung geholfen hat oder nicht, wird an den Beispielen in diesem Kapitel gezeigt. Aber im Ganzen war Radka Denemarková eine sehr gute Wahl als Übersetzerin für die Werke von Herta Müller.

5.3. Titel

Das Übersetzen von Benennungen gehört zu den speziellen Problemen des Übersetzens. Ein erfahrener Übersetzer ist sich klar, dass zu dieser Problematik keine konkreten Anleitungen vorhanden sind. Jede Situation steht für sich alleine da und muss individuell gelöst werden. Für dieses gibt es aber natürlich eine Grundregel, in der steht, dass jeder Übersetzer erst feststellen sollte, ob es eine renommierte schon übersetzte Fassung gibt und die sollte er dann in seinem Text benutzen. Wenn es keine Fassung gibt, dann ist seine eigene Kreativität gefragt und er muss es selbst neu erfinden.86 Es kann aber auch zu der Situation kommen, dass der Übersetzer die existierende Übersetzung kennt, aber ist mit ihr nicht zufrieden. Dann hat er natürlich das Recht, die konkrete Zitierung oder Benennung neu zu übersetzen.

Auf den ersten Blick sieht man die unterschiedliche Übersetzung des Novellentitels. Im Original ist der Titel Der Mensch ist ein Fasan auf der Welt und in der Übersetzung heißt der Titel Cestovní pas (Reisepass). Radka Denemarková entschied sich nicht, die rumänische Redewendung im Titel einzuhalten, aber sie entschied sich für das Wort Reisepass, das sich auch durch die ganze Novelle zieht. Meistens haben Übersetzer mehrere Varianten für die Titel und ob sich nun selbst die Übersetzerin für den Titel entschieden hat, oder ob es der Verlag entschieden hat, ist die Frage. Denn meistens entscheiden auch nur die Verlage darüber, welcher Titel auf die Titelseite kommt, damit sich das Buch auch gut verkauft. Und man kann auch sagen, dass es eine gute Wahl war, den Titel so zu verkürzen, denn wenn sich ein Leser oder potenzieller Käufer das

86 Vgl. KUFNEROVÁ, Z.: Čtení o překládání, Praha: H&H Vyšehradská s.r.o., 2009. S. 36 56

Buch in die Hand nimmt, sagt ihm der Titel viel mehr, als das rumänische Sprichwort. Und auch die Möglichkeit, dass sich die Übersetzerin von der englischen Übersetzung inspirieren ließ, ist möglich. Denn ihm Englischen heißt das Buch The Passport.

„Co se v překladu asi nutně musí ztratit, je ta až manýrovitá umanutost v užívání určitého členu v nadpisech úseků, která dělá z čtenáře sugestivně zasvěcence, ba obyvatele vsi, zároveň připomíná tou nehybnou hybností třeba právě kostky domina nebo přeskupovaná sklíčka kaleidoskopu.“ (Was in der Übersetzung sicherlich verloren gehen muss, ist das bis zu trotzige Nutzen des bestimmten Artikels in den Titeln der Abschnitte, die aus dem Leser einen suggestiven Eingeweihten, sogar einen Dorfbewohner, machen, zugleich erinnern sie mit ihrer unbeweglichen Beweglichkeit vielleicht gerade Dominowürfel oder umgruppierte Gläschen eines Kaleidoskops.)87

Das Nutzen des bestimmten Artikels in den Titeln der jeweiligen Kapitel hat seine Bedeutung und es ist wohl leider nicht möglich, dies auch in die tschechische Übersetzung zu übertragen. Wenigstens gelang es der Übersetzerin, die Kurzformen der Titel zu erhalten.

5.4. Namen der Hauptfiguren

Auch die Namen der Hauptfiguren sind ein wichtiger Punkt der Übersetzung. In vielen Werken sind Namen, die in der tschechischen Sprache nicht existieren und der Übersetzer muss sie etwa neu erfinden oder sie ersetzen. In diesem Fall hatte es Radka Denemarková einfacher, denn die meisten Namen wie Katharina, Amalie, Dietmar usw. existieren im Tschechischen oder werden verstanden und können so auch genutzt werden. Aber anders ist es mit dem Namen Windisch.

87 Kritik der Übersetzung Cestovní pas in Kulturní noviny. Autor PhDr. Roman Kopřiva, PhD. (Letzter Zugriff 08. 07. 2012) Abrufbar unter: http://iliteratura.cz/Clanek/27293/muller-herta-cestovni-pas-in-kulturni-noviny (übersetzt von der Autorin)

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„Nehledě na fólii rumunštiny se musí překladatel potýkat už i se samotnou němčinou: protagonistovo jméno míní od původu vlastně Sláva, Slovana, ale v obměňovaných kontextech a zvukových analogiích se proměňuje ve jméno mluvící: připomíná se vítr, ale i slovní významy jako větroplach, člověk nestálý, ale i slabý nebo pošetilý a vůbec věci marné.“ (Ungeachtet auf die Folie des Rumänischen, muss sich der Übersetzer schon allein mit dem Deutschen auseinandersetzen: der Name des Protagonisten bedeutet ursprünglich Slawe, aber in abgeänderten Kontexten und lautlichen Analogien ändert er sich in einen Sprechnamen: es wird an den Wind erinnert, aber auch an verbale Bedeutungen wie Sausewind, ein flatterhafter, aber auch schwacher oder narrenhafter Mensch und überhaupt an sinnlose Sachen.)88

Das bedeutet, dass uns die Autorin auch mit dem Namen der Hauptfigur wieder wie im Kreis auf den Novellentitel Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt hinweisen will. Denn Windisch soll auch für sich selbst dieses Sprichwort symbolisieren. Die Übersetzerin entschied sich den Originalnamen auch in die Übersetzung zu übertragen. Zwar macht es dem tschechischen Leser nichts aus, diesen für ihn deutschen Namen zu lesen, aber leider entkommt dabei die versteckte Bedeutung.

5.5. Verben

„S převodem sloves souvisí i autorkou tematizovaná sémantika jejich vertikálnost či horizontálnost. Bylo by tu asi zapotřebí prohloubenějšího přístupu k Mülleorvé nejvýš soustředěném stylu. S tímto rozostřováním souvisí i to, že je překlad leckde eisnerovsky výrazivější, sloveso se výrazově obohacuje a intenzifikuje. Častěji se v překladu také nadužívá slovesa dokonavého.“ (Mit dem Übertragen von Verben hängt auch die thematisierte Semantik der Autorin, ihre Vertikalität und Horizontalität, zusammen. Hier wäre ein tieferes Herantreten an Müller erforderlich mit einem höhst konzentrierten Stil. Mit diesen verwischen hängt auch das zusammen, dass die Übersetzung vielerorts Eisnerisch ausdrucksvoll ist, das Verb bereichert

88 Kritik der Übersetzung Cestovní pas in Kulturní noviny. Autor PhDr. Roman Kopřiva, PhD. (Letzter Zugriff 08. 07. 2012) Abrufbar unter: http://iliteratura.cz/Clanek/27293/muller-herta-cestovni-pas-in-kulturni-noviny (übersetzt von der Autorin)

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sich an Ausdrucken und intensiviert. Häufiger wird auch das perfektive Verb in der Übersetzung benutzt.)89

In der ganzen Übersetzung von Radka Denemarková kommt die Übertragung eines Verbs vor. Man findet sie sehr oft und wie schon in dem oben genannten Zitat gesagt wird, will die Übersetzerin den Ausdruck bereichern, indem er intensiver wird oder sie den Aspekt ändert. Nicht in allen Fällen ist dies aber eine gute Wahl. Weiter an den Beispielen gezeigt:

„Um das Kriegerdenkmal stehen Rosen.“ (S. 7) „Kolem válečného pomníku rostou růže.“ (S. 7)

In der tschechischen Übersetzung wachsen die Rosen und stehen nicht. Die Übersetzerin hielt sich nicht an die stehende Zeit die Herta Müller zeigen will.

„Bald ist es Tag.“ (S. 7) „Brzy bude den.“ (S. 7)

Eine Änderung der Zeit. Wohl aus dem Grund, dass diese Phrase mehr im Tschechischen verwendet wird als: Brzy je den.

„Windisch friert.“ (S. 8) „Windischovi je zima.“ (S. 8)

Hier konnte man auch die Übersetzung: Windisch mrzne lassen. Es wäre eine kürzere Form, die vielleicht dem Original näher wäre.

„Zwischen den Rädern ist es Nacht.“ (S. 9)

89 Kritik der Übersetzung Cestovní pas in Kulturní noviny. Autor PhDr. Roman Kopřiva, PhD. (Letzter Zugriff 08. 07. 2012) Abrufbar unter: http://iliteratura.cz/Clanek/27293/muller-herta-cestovni-pas-in-kulturni-noviny (übersetzt von der Autorin)

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„Mezi koly je vpletená noc.“ (S. 8)

Hier zeigte sich die Schriftstellerin in der Übersetzerin. Das einfache Verb sein musste sie durch einen intensiveren Ausdruck ersetzen. Doch wieder kann man es als einen Fehler sehen, denn sie manipuliert mit der Zeit, die Zeit des Verbs steht nicht still sondern ist in Bewegung. Mezi koly je noc würde zu dem Original besser passen.

„Unter der Bank leuchten die Augen seines Hundes.“ (S. 9) „Pod lavicí se zablýsknou oči jeho psa.“ (S. 9)

Hier ein schönes Beispiel, wo es Radka Denemarková gelang das Original mit dem Austausch eines Verbs zu verbessern.

„Der Fleck geht in die Tiefe wie ein Trichter.“ (S. 10) „Skvrna se zavrtává do hloubky jako trychtýř.“ (S. 9)

Wieder eine Verlängerung des Verbs. Vollkommen unnötig. Skvrna jde do hloubky jako trychtýř wäre ausreichend.

„Ich habe sie gesehn“, sagt er, „sie hat sich ins Wasser gestürzt.“ (S. 10) „Viděl jsem ji,“ řekne, „skočila do vody.“ (S. 9)

Hier wiederum vereinfacht sie die Aussage des Satzes. Dabei sagt das Verb stürzen viel mehr aus als in der Übersetzung das Verb springen. Es hat eine größere Dynamik. Im Tschechischen könnte man eher das Verb vrhnout se benutzen.

„Der Hund bellt.“ (S. 9) „Pes se rozštěká.“ (S. 9)

Im Deutschen eine konkrete Aussage, dass der Hund bellt. Im Tschechischen hat man wiederum das Gefühl, dass der Hund jetzt anfängt zu bellen. Eine unnötige Verirrung.

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„Ich werde sie aufziehn, bis die Feder reißt.“ (S. 9) „Hodiny natáhnu, až z nich budou péra lítat.“ (S. 9)

Obwohl die Übersetzerin die Verben verändert und ausgetauscht hat, ist diese Übersetzung gelungen, denn im Tschechischen ist es viel üblicher, diese Redewendung zu benützen.

„Windisch lehnt an der Mühlenwand.“ (S. 12) „Windisch se opře o zeď mlýna.“ (S. 10)

Wieder hat die Übersetzerin den Aspekt verändert und so auch die Aussage des Satzes. Im Original lehnt Windisch schon an der Wand und in der Übersetzung lehnt er sich erst an die Wand, was wieder eine Aktivität auszeichnet, eine Bewegung.

„Ich sag die Windisch“, ruft der Nachtwächter, „ die Frauen betrügen.“ (S. 13) „Řeknu ti Windischi“, volá noční hlídač, „ženský klamou.“ (S. 10)

Ein anderes Verb mit einer anderen Bedeutung wurde benutzt. Klamat bedeutet im deutschen eher lügen als betrügen. Deswegen wäre das Wort podvádět besser.

„Die Unterhose steckt wie ein weißer Lappen in den Hosenbeinen.“ (S. 15) „Spodky zastrčí jako bílý hadr do nohavice.“ (S. 13)

Wieder die Bewegung. Die Unterhose steckt schon in der Hose und bei Radka Denemarková steckt jemand die Unterhose hinein.

„Die Mutter des Tischlers lehnt mit dem Kopftuch am Hutrand ihres Mannes.“ (S. 15) „Truhlářova matka se tulí šátkem ke klobouku svého muže.“ (S. 15)

Eine mögliche Verbessrung von der Übersetzerin, indem sich die Mutter nicht an den Hutrand lehnt, sondern sich zu ihm kuschelt. Das wäre sicherlich in einer Prosa schöner, aber in diesem Fall viel zu fein. Das Schreiben von Herta Müller ist eher mit negativen

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Gefühlen durchflossen als mit den positiven. Deswegen kann man sich nicht vorstellen, dass sich eine Person in ihrem Buch an etwas kuschelt und solches positive und warme Gefühl zeigt.

„Windisch verteilt den Schnee mit der Fingerspitze um seinen Mund.“ (S. 32) „Windisch odhrábne prsty sníh kolem úst.“ (S. 23)

Verteilen und odhrábnout sind zwei verschiedene Verben, die etwas ganz Unterschiedliches ausdrücken. Besser wäre rozetře.

„Das Wasser leuchtet in ihr. Es war ein Licht im Glas.“ (S. 35) „Voda v ní se zatřpytila. Byla světlem uvězněným ve skle.“ (S. 25)

Der erste Teil ist sehr gut übersetzt und Radka Denemarková nutze schon die tschechische Sprache und ihre Möglichkeiten, aber beim zweiten Teil ließ sie sich hinreißen und übersetzte etwas, was nicht im Original war.

„Als er gehen konnte, ging er jeden Tag ins Feld.“ (S. 39) „Jakmile uměl chodit, mizel každý den do polí.“ (S. 27)

Das einfache Verb gehen, wollte wohl die Übersetzerin nicht zweimal benutzen und deswegen entschied sie sich im zweiten Teil, das Verb gehen durch verschwinden auszutauschen, was den gleichen Effekt hat und gelungen ist.

„Deine Frau“, hat er zu Windisch gesagt, „ist ihm zu alt.“ (S. 72) „Tvoje žena“, řekl Windischovi, „mu bude připadat stará.“ (S. 46)

Jemandem zu alt sein und jemandem zu alt vorkommen sind zwei ähnliche Aussagen, aber hier wollte die Autorin festlegen, dass sie ihm wirklich zu alt ist, keine Zweifel können aufkommen. Hingegen in der Übersetzung kann man sich sagen, dass es nicht so fest liegt.

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„Windisch hat mit dem Schuh an die Mühlentür getreten.“ (S. 72) „Windisch se dotkne botou mlýnských dveří.“ (S. 46)

Hier wird die Rasanz in der Übersetzung komplett weggelassen. Die Bewegung ist überhaupt nicht in der Übersetzung. Wenn schon eine Bewegung bei Herta Müller vorkommt, dann entscheidet sich die Übersetzerin, sie wegzulassen. Besser wäre Windisch kopne botou do mlýnských dveří.

„Sein Mund ist heiß auf Amalies Wange.“ (S. 92) „Ústa horce přilípne na Amáliinu tvář.“ (S. 59)

Wieder eine Übertragung des Verbs, wo in der Übersetzung die Bewegung vorkommt, die nicht im Original ist.

„Sie hat gerülpst und nach Schnaps gestunken.“ (S. 104) „Škytala a smrděla kořalkou.“ (S. 66)

Hier sieht man die feinere Seite der Übersetzerin, die versucht, auch das Werk von Herta Müller zu verfeinern, indem sie manches eher vulgäre Verb verfeinert und anders übersetzt. Rülpsen ist im tschechischen eher říhnout als škytat.

„Er zieht seine schwarze Schleppe über den Boden.“ (S. 137) „Courá černou vlečku po zemi.“ (S. 86)

In diesem Fall wäre das tschechische Verb táhnout eine bessere Wahl gewesen.

„Das Auto fährt mit rotem Fahnentuch.“ (S. 138) „Na autě je rudý prapor.“ (S. 86)

Ein komplett anders übersetzer Satz als im Original. Hier wurde das Verb vereinfacht.

„Ich hab ihn schlachten müssen.“ (S. 141)

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„Musela jsem ho utratit.“ (S. 89)

Schlachten ist im Tschechischen eher porazit, zabít. Denn das Tier wird getötet und dann gegessen. Aber im tschechischen klingt es eher, als würde man den Hahn töten und dann wie ein Haustier, zum Beispiel ein Hund, begraben.

„Windischs Frau geht mit harten Fersen aus dem Vorzimmer.“ (S. 143) „Tvrdé paty Windischovy ženy odcapou z předsíně.“ (S. 90)

Die Übersetzerin veränderte komplett das Objekt. Im Original ist es Windischs Frau und in der Übersetzung die Fersen von Windischs Frau.

Wie an den Beispielen zu sehen ist, wurden viele Verben durch die Übersetzerin verändert und manche sind gelungen, aber in vielen Fällen wäre die einfachere Möglichkeit die Bessere gewesen, denn vor allem die Veränderung von dem still Stehenden in die Bewegung ist nicht gerade gelungen und passt nicht zu der Literatur von Herta Müller.

5.6. Veränderungen

Im Zusammenhang mit der literarischen Übersetzung spricht man oft von Kreativität und Schöpfungskraft und das sowie aus der Sicht eines einzelnen Elements, wie auch aus der Sicht der ganzen Übersetzung, die der fremdsprachigen Vorlage entsprechen soll. Die Kreativität spielt beim Übersetzen eine große Rolle, ohne Kreativität und Schöpfungskraft wäre nie eine gute Übersetzung entstanden. Dabei ist es aber wichtig, auch die Akribie nicht zu vergessen, denn was wäre eine Übersetzung ohne die Genauigkeit. Die Frage ist dann aber, wie diese zwei Elemente kooperieren können. Unterstützen sie sich oder begrenzen sie sich eher?

„Úvodem je nejvhodnější připomenout slova známého českého překladatele Otokara Fischer, podle jehož názoru nemůže dobrý překlad básně vzniknout bez přesné erudice, ba dokonce akribie, ale současně nelze úspěšně překládat ani bez intuice. Podobně i ruský teoretik překladu

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Jefim Etkind napsal, že dobrý překladatel musí být nejen umělcem slova, ale také vědcem - historikem, uměnovědcem, kritikem, etnografem, jazykovědcem apod.“ (Im Vorwort ist es angebracht, die Wörter des bekannten tschechischen Übersetzers Otakar Fischer zu erwähnen. Seiner Meinung nach kann keine gute Übersetzung eines Gedichtes ohne genaue Erudition, sogar Akribie entstehen, aber gegenwärtig kann man nicht ohne Intuition erfolgreich übersetzen. Ähnlich schrieb auch der russische Theoretiker der Übersetzung Jefim Etkind, dass ein guter Übersetzer nicht nur ein Künstler des Wortes sein muss, sondern auch ein Wissenschaftler - Historiker, Kunstwissenschaftler, Kritiker, Ethnograph, Sprachwissenschaftler u. ä.)90

Wen man feststellen möchte, wie das Verhältnis ist, kommt man dazu, dass Akribie einer der Faktoren ist, der dem Autor die Hände eher verbindet als umgekehrt. Aus diesem Grund wird der Übersetzer eher zu einem Erforscher als zu einem kreativen Schöpfer. Die Frage der Äquivalenz war eines der größten Probleme beim Übersetzen. Es ging darum, ob es möglich ist, alle Informationen aus dem Original ins Übersetzte auch bei verschiedenen grammatischen Systemen beider Sprachen zu übertragen.91

„Dnes považujeme za základní princip funkční přístup, funkční ekvivalenci. Znamená to, že nezáleží na tom, použijeme-li stejných či jiných jazykových prostředků, ale na tom, aby plnily stejnou funkci, a to pokud možno po všech stránkách, tedy nejen významové věcné (denotační, referenční), ale i konotační (expresivní, asociační) a pragmatické.“ (Heutzutage halten wir für das Übersetzungsprinzip die Funktionsstellung, funktionelle Äquivalenz. Das heißt, dass es nicht daran ankommt, ob wir die gleichen oder andere Sprachmittel benützen, sondern daran, ob sie die gleiche Funktion erfüllen und das falls möglich in allen Hinsichten. Also nicht nur in bedeutungs-sachlichen (denotativ, Referenz), aber auch konnotativ (expressiv, assoziativ) und pragmatisch.)92

Zu erwähnen wäre, dass es aus dieser Sicht keinen qualitativen, sondern nur einen quantitativen Unterschied zwischen einer literarischen und nicht literarischen

90 KUFNEROVÁ, Z.: Čtení o překládání, Praha: H&H Vyšehradská s.r.o., 2009.S. 35 (übersetzt von der Autorin) 91 Vgl. KNITTLOVÁ, D.: K teorii i praxi překladu, Olomouc: Univerzita Palackého v Olomouci, 2003. S. 5 92 KNITTLOVÁ, D.: K teorii i praxi překladu, Olomouc: Univerzita Palackého v Olomouci, 2003. S. 6 (übersetzt von der Autorin) 65

Übersetzung gibt. In der Fachliteratur existieren zum Beispiel viel mehr Einheiten, die Präzision und Akribie erfordern und dazu gehört natürlich auch die Terminologie.93

Die Übersetzerin hat verschiedene Veränderungen durchgeführt, die auf den ersten Blick im Text merkbar sind. Die meisten Veränderungen hat die Übersetzerin wohl aus dem Grund durchgeführt, dass sie das Gefühl hatte, dass es in dem Werk besser klingt und wollte nicht die Genauigkeit einhalten. Siehe an den folgenden Beispielen.

„Sie blühn weiß, klein zusammengerollt wie Papier.“ (S. 7) „Růže kvetou bíle, stočené do ruliček jako jemný papír.“ (S. 7)

Die Übersetzerin fügte noch dazu, dass es sich um Rosen handelt, obwohl es sich aus dem Text logisch ergibt. Im Original ist auch nichts über Röllchen, nur die Übersetzerin fügte diese Verkleinerungsform hinzu und auch das Adjektiv fein ist nirgends im Ausgangstext zu sehen.

„Von weitem sieht er die kleinen weißen Rosen, das Kriegerdenkmal und den Pappelbaum.“ (S. 7) „Už zdaleka vidí bílé růžičky, válečný pomník a topol.“ (S. 7)

Wieder eine Verkleinerungsform, die den Text feiner macht, aber leider ist dies nicht in Herta Müllers Texten verlangt.

„Sie sind grau wie das Licht.“ (S. 8) „Šedivých jako rozbřesk.“ (S. 8)

Warum die Übersetzerin das Wort Licht als rozbřesk übersetzt hat, ist unklar, světlo wäre sicherlich besser gewesen.

„Windisch trägt den Sack mit den Händen und mit den Knien.“ (S. 9)

93 Vgl. KNITTLOVÁ, D.: K teorii i praxi překladu, Olomouc: Univerzita Palackého v Olomouci, 2003. S. 7 66

„Windisch přenáší pytel v rukou na pokrčených kolenou.“ (S. 9)

Hier wird die Übersetzerin mit ihrer Variante sehr konkret, wie Windisch beim Tragen der Säcke aussieht. Eine kürzere Form wäre ausreichend.

„Seine weißen Zähne sind ein Biß.“ (S. 9) „Bílé zuby scvaknou.“ (S. 9)

Eine kurze, sehr gelungene Übersetzung von einer deutschen Redewendung, die es im Tschechischen nicht so in dieser Form gibt. Leider nur kommt wieder die Bewegung ins Spiel, die nicht verlangt ist, aber trotzdem kurz und gelungen.

„Soldat auf der Wacht“, sagt er.“ (S. 10) „Voják ve službě se hlásí“, řekne.“ (S. 9)

Hier entschied sich die Übersetzerin den typischen tschechischen Satz zu benutzen, der in der tschechischen Armee heimisch ist, was sicherlich gut auf den Leser wirkt.

„Mein Magen ist leer.“ (S. 10) „Vytrávilo mi.“ (S. 10)

Gut übersetzt, aber wieder die Bewegung. Vielleicht wäre das präzise Einhalten des Originals auch gut.

„Die Frau geht gebückt vor dem Tisch hin und her.“ (S. 15) „Žena popojde před stůl a shýbne se. “(S. 13)

Hie fehlt in der Übersetzung die Bewegung der Frau, die nicht nur vor den Tisch geht, sondern auch hin und her geht.

„Er knipste das Licht an.“ (S. 23) „Posvítil si.“ (S. 17)

67

Nicht sehr gelungen. Denn in der tschechischen Version hat man das Gefühl, dass er jemanden unter die Lupe genommen hat und nicht das Licht angeknipst hat.

„Windisch zieht mit der anderen Hand unterm Aug die Falten glatt.“ (S. 32) „Windisch stáhne druhou rukou varhánky pod okem.“ (S. 23)

Varhánky und Falten sollten eigentlich das gleiche sein, aber bei den Tschechen ist dieser Ausdruck eher mit dem Falten dank des langen Baden im Wasser verbunden als mit den Falten, die man wegen des Alters kriegt.

„Bis hinter die Geburt.“ (S. 60) „Až do bodu zrození.“ (S. 40)

Eine bessere Übersetzung wäre Až za bod zrození.

„Deshlab kommen unsere Briefe nicht an“, hat der Nachtwächter gesagt.“ (S. 73) „Proto dopisy nedoručí“, řekl noční hlídač.“ (S. 47)

Veränderung des Objekts. Im Ausgangstext sind es die Briefe und im Zieltext sie.

„Die kleine Zigeunerin aus dem Nachbardorf drückt ihre grasgrüne Schürze aus.“ (S. 89) „Cikánečka ze sousední vesnice ždíme zelenou zástěru v barvě trávy.“ (S. 56)

Wieder eine Verkleinerungsform von Radka Denemarková. In ihrer Übersetzung klingt es, als wäre es eine junge Zigeunerin, dabei kann es sich ruhig um eine kleine, nicht junge handeln.

„Die Rosen brennen rot im Dunst.“ (S. 99) „Růže hoří horkou vůní.“ (S. 63)

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Eine sehr freie Übersetzung, wo sich Radka Denemarková hinreißen ließ und die Autorin in ihr durchsetzte sich.

„Das Geheimwort.“ (S. 103) „Tajná šifra.“ (S. 65)

Unverständlich komplizierte Übersetzung. Um der Kürzung nahe zu kommen, wäre das einfache tschechische Wort heslo gelungener.

„Die Ziehglocke schlägt sich die Zunge wund.“ (S. 139) „Zvon se bolavě uhodí do jazyku.“ (S. 87)

Die Bewegung geht verschwunden, in der Übersetzung klingt es, als würde die Glocke nur einmal schlagen, dabei ist es etwa mehrmals passiert.

„Die junge Eule“ (S. 132) „Soví mládě“ (S. 83)

In Herta Müllers Erzählung sind fast keine jungen Leute, als wäre die Jugend gar nicht anwesend, deshalb ist auch das Wort mládě in der tschechischen Übersetzung unangebracht. Denn es muss sich nicht unbedingt um einen Eulenjungen handeln, sondern nur um eine jüngere Eule.

5.7. Hinzufügungen und Auslassungen

Das Prinzip der Akribie betrifft auch das Problem, ob ein Übersetzer über den Umfang des Originaltextes verfügen darf, ob er ihn kürzen oder erweitern darf. Mit der Kürzung kommt man viel häufiger in Kontakt als mit der Erweiterung des Textes. In vielen literarischen Werken kann man eine Kürzung finden, zum Beispiel wird ein ganzer Absatz weggelassen. Oft ist dies aber nur ein Fehler des Übersetzers, der den Absatz übersehen hat. In manchen Fällen kann aber der Übersetzer dies auch absichtlich machen und meistens löst er damit sein Problem, falls er den konkreten Teil des Textes nicht übersetzen kann. Ob dies aber eine gute Möglichkeit ist, muss jeder für sich ganz 69

alleine entscheiden. Aber viele Fachleute würden sicherlich nicht mit so einer Lösung einverstanden sein. Weiterhin sind Kürzungen im viel geringeren Maße, das heißt, das üblich nicht gleich ganze Absätze weggelassen werden. Viele Übersetzer greifen auf diese Möglichkeit zu, wenn sie selbst der Meinung sind, dass eine Kürzung den Text verbessert, ästhetischer macht.

Mit einer Erweiterung kommt man nur sehr gering in Kontakt, denn um einen Text zu erweitern, bedeutet dies, dass der Übersetzer schon über seinen Rahmen hinausgeht und er braucht dazu auch ein Maß an Erfindungskunst. Im Vergleich mit den Kürzungen kommt es zu Erweiterungen nur absichtlich.

Ob der Übersetzer nun den Text erweitert oder kürzt, liegt nur an ihm. Aber es muss gesagt werden, dass beide Fälle ein vernünftiges Ausmaß einbehalten sollten. Der Übersetzer sollte seine Kreativität zeigen, aber auch den Autor des Originaltextes respektieren. Ein anderes Extrem ist, wenn sich der Übersetzer an das Original zu sehr hält und keinen freien Raum für seine eigene Schöpfungskraft und Ideen lässt. Bei diesem Fall kann es dann auch in bestimmten Positionen bis zu peniblen Situationen kommen.

Bei manchen Übersetzungen kommt es dazu, dass der Autor etwas hinzufügt, weil er das Gefühl hat, dass der Leser ohne diese Information den Faden verliert oder im Gegenteil lässt er etwas aus, was er nicht für so wichtig hält, oder es hört sich ohne dies in der Übersetzung besser an. Welche Gründe nun Radka Denemarková hatte, dass sie etwas weg ließ oder hinzufügte, ist ihr überlassen. Wichtig ist aber, dass in der Übersetzung auch für dieses Phänomen Beispiele gefunden wurden.

5.7.1. Hinzufügungen

In den unten genannten Beispielen wurde das hinzugefügte Wort unterstrichen.

„Windisch fährt hindurch.“ (S. 7) „Windisch projíždí mlhou.“ (S. 7)

70

„Aus dem Kirchgarten flattern wilde Tauben.“ (S. 8) „Z farské zahrady odplápolá hejno divokých holubů.“ (S. 8)

„Der heilige Antonius steht hinter der Wand.“ (S. 8) „Hned za zdí stojí svatý Antonín.“ (S. 8)

„Am Ende dort geht ein Mann.“ (S. 8) „Tam na konci ulice kráčí muž.“ (S. 8)

„Der Hund schaut und geht.“ (S. 9) „Pes se na něj podívá a zívne.“ (S. 9)

„Windisch zählt.“ (S. 9) „Windisch odpočítává čas.“ (S. 9)

„Es ist ruhig.“ (S. 10) „Odraz je klidný.“ (S. 9)

„Er warf einen Schatten ins Gras.“ (S. 34) „Lem odhazoval stín do trávy.“ (S. 24)

„Vor dem Krieg“, sagte Windisch, „hat der Kürschner beim Kegeln den Kerweihbock gewonnen.“ (S. 40) „Před válkou“, řekl Windisch, „vyhrál kožešník o posvícení v kuželkách opentleného kozla.“ (S. 27)

Die Übersetzerin tat sehr gut, dass sie in diesem Fall etwas hinzugefügt hat, denn nicht jeder würde wissen, was ein Kerweihbock ist.

„Rudi schenkte dem Mann alle Glasgegenstände, die er in seiner Wohnung hatte.“ (S. 62)

71

„Rudi věnoval muži od státní bezpečnosti všechny skleněné předměty, které měl v bytě.“ (S. 41)

„Genosse Nicolae Ceausescu ist der Generalsekretär unseres Landes der Sozilistischen Republik Rumänien.“ (S. 87) „Soudruh Nicolae Ceausescu je generálním tajemníkem ústředního výboru strany a prezidentem naší země, Rumunské socialistické republiky.“ (S. 55)

„Er zeigt mit den Händen die Kugel.“ (S. 87) „Ukáže rukama obrovskou kouli.“ (S. 56)

„Windisch nickt: „In der Vorstadt.“ „In Fratelia, in der Enescu-Straße.“ sagte der Tischer.“ (S. 90) „Windisch přikývne: „Na předměstí Temešváru.“ „Ve Fratelii, v Enescově ulici, “ řekne truhlář.“ (S. 57)

Hier wollte auch wieder die Übersetzerin informieren, um welche Vorstadt es sich handelt. Im Original wird es überhaupt nicht erwähnt.

In meisten Fällen stören die Hinzufügungen überhaupt nicht, aber dank ihner wirkt der Satz etwas länger und einen wirklich informativen Charakter haben sie auch nicht. Aber als störend oder als einen Fehler kann man sie nicht wirklich bezeichnen.

5.7.2. Auslassungen

In den unten genannten Beispielen wurde das ausgelassene Wort unterstrichen.

„Windisch hat ein feuchtes Gesicht und fährt, bis er dort ist.“ (S. 7) „Má zvlhlý obličej a jede, dokud není na místě.“ (S. 7)

„Seine Schritte sind laut.“ (S. 8) „Kroky se rozléhají.“ (S. 8)

72

„Er klopft schon lange nicht mehr ans Fenster.“ (S. 22) „Na okno už neklepe.“ (S. 17)

„Die schwarzen Flecken sind der Fußboden im anderen Zimmer.“ (S. 26) „Černé skvrny jsou v jiném pokoji.“ (S. 19)

„Die Männer und Frauen waren nach Hause gegangen mit ihrem abgebrochenen Winken.“ (S. 83) „Muži a ženy odcházeli s utnutým máváním.“ (S. 53)

„Die Kinder haben ihre Falkenuniform an. Gelbe Blusen und dunkelblaue Hosen und Falkenröcke. „Heute ist Mittwoch,“ denkt Amalie. „Heute ist Falkentag.““ (S. 85) „Děti mají na sobě uniformy. Žluté blůzy a tmavomodré kalhoty a skládané sukně. „Dneska je středa,“ pomyslí si Amálie. „Dneska je den jiskřiček.““ (S. 54)

„Windisch sieht sein Hemd und seinen Rock.“ (S. 154) „Windisch vidí košili a kabát.“ (S. 98)

Wieder ist das Auslassen von manchen Wörtern nicht störend und als Fehler von der Übersetzerin kann man es nicht sehen. Eher ist es in dem Sinn interessant, dass es fast in allen Übersetzungen, wie auch in dieser, vorkommt. Aber solange ein gewisses Maß eingehalten wird, kann man es ruhig ignorieren. Und in diesem Fall kam es zu keiner Verschiebung der Bedeutung.

5.8. Kürzung

Da Herta Müller selbst sehr kurze und untypische Sätze benutzt, entschied sich auch Radka Denemarková ein paar Sätze zu kürzen und das so, dass der Sinn des Satzes nicht verloren geht und sie dem Ausgangstext treu bleibt. Hier ein paar Beispiele:

„Die tiefe Stelle“ (S. 7) „Prohlubeň“ (S. 7)

73

„Sie sind ein Gestrüpp.“ (S. 7) „Celé houští růží.“ (S. 7)

„Er stellt die Schuhe auseinander.“ (S. 13) „Pohne nohama.“ (S. 11)

„Er drückt seine Hände auf ihre Knie.“ (S. 145) „Osahává jí kolena.“ (S. 92)

5.9. Phraseologismen

Wie in jeder Sprache tauchen auch im Deutschen viele Phraseologismen auf. In diesem Werk sind auch welche zu finden und die Übersetzerin musste für sie die richtige Variante im Tschechischen finden.

„„Du machst alle Leute schlecht“, schreit sie, „weil du selbst nicht gut bist und nicht ganz im Kopf.““ (S. 105) „Všechny jen očerňuješ“, křičí, protože sám nejsi dost dobrý a nejsi schopný něco vymyslet.“ (S. 67)

Hier haben wir gleich zwei Phraseologismen. Der eine Leute schlecht machen und der zweite nicht ganz im Kopf sein. Mit dem ersten hat sich Radka Denemarková sehr gut auseinandergesetzt, aber bei dem zweiten hätte sie mehr ihre Fantasie arbeiten lassen sollen, denn zum Beispiel das tschechische nemáš všech pět pohromadě würde besser passen.

„An diesem ganzen Sommer ist was faul, “ sagt Windisch.“ (S. 104) „Na celém tomhle létě je něco shnilého, “ řekne Windisch.“ (S. 69)

Hier übersetze Radka Denemarková wortgetreu, aber der Phraseologismus etwas ist faul, kann im Tschechischen auch něco je zvláštní, divný bedeuten. Aber auch ihre Variante ist nicht schlecht.

74

„Das gibt´s dort in Hülle und Fülle.“ (S. 112) „Toho jsou tam hromady.“ (S. 71)

Hier könnte der deutsche Phraseologismus in Hülle und Fülle besser übersetzt werden. Zum Beispiel mit dem tschechischen co hrdlo ráčí.

5.10. Die Nomenklatur

„Při překládání jakýchkoliv reálií, zeměpisných, historických i v širokém smyslu kulturních, platí obecná zásada: vše, co neznám přesně, ověřuji.“ (Beim Übersetzen jeglicher Realien, ob geographischer, historischer oder im weiten Sinne kultureller, gilt ein allgemeines Prinzip: alles was ich nicht genau weiß, prüfe ich nach.)94 "Obecně samozřejmě platí zásada, že je nutno respektovat domácí úzus tvarově i pravopisně." (Allgemein gilt natürlich das Prinzip, dass es nötig ist den heimischen Usus wie formlich als auch orthographisch zu respektieren.)95

Es kann manchmal dazu kommen, dass es nicht möglich ist diese Regel einzuhalten, denn sie macht in der konkreten Situation keinen Sinn, aber ein Usus muss in allen Sprachen eingehalten werden. Es kann aber zu komplizierten Situationen kommen. Zum Beispiel Straßen- oder Ortsnamen aus fremden Ländern, über die das Buch handelt. Und der Übersetzer muss sich bei diesem Problem nach konkretem Zusammenhang regeln. Wenn er der Meinung ist, dass der Leser die Übersetzung den Namen der Straße oder des Ortes verstehen sollte, denn er ist wichtig für das komplette Textverstehen oder es ist eine Anspielung oder Andeutung, dann muss er ihn auch entsprechend übersetzen.96 In anderen Fällen kann er aber die Toponyme der anderen Sprache übernehmen.

In Herta Müllers Werk kommen sehr oft fachliche Bezeichnungen für Tiere und Pflanzen vor. Die Übersetzerin musste sich auch mit dieser Thematik auseinandersetzen und die richtige Nomenklatur im Tschechischen dafür finden. Herta Müllers

94 KUFNEROVÁ, Z.: Čtení o překládání, Praha: H&H Vyšehradská s.r.o., 2009. S. 37 (übersetzt von der Autorin) 95 Ebd. S. 37 (übersetzt von der Autorin) 96 Vgl. Ebd. S. 38 75

Bezeichnungen für die Vögel hatten meistens auch versteckt mit einer konkreten Person etwas zu tun oder haben etwas symbolisiert. Leider ging dies in der Übersetzung verloren. Wenn die Übersetzung auch die versteckten Symbole einhalten würde, müsste sie dann die Regeln der Übersetzung für Fachbegriffe brechen und sich eigene Vogelnamen ausdenken. Hier ein paar Beispiele der Vogel- und Pflanzennamen im Buch:

Der Pappelbaum – topol Die Dahlie – jiřina Das Wolfskraut – oměj šalamounek Der Klee – jetel Die Narzisse – narcis Der Quittenbaum – kdoule Der Buchsbaum – zimostráz Die Möwe - racek Der Kohlweißling – bělásek zelný Die Goldamsel – žluva hajní

5.11. Das Einhalten der Leitmotive

Bei Herta Müller sind die Titel jeder Kapitel sehr wichtig, denn diese Titel, Wörter, kommen dann auch in dem ganzen Text vor. Deshalb sollte auch die Übersetzerin dieses Buches darauf achten, dass sie nicht sehr oft die Wörter wechselt und damit das Leitmotiv nicht einhält. In der Übersetzung wurden leider solche Fehler gefunden, wo Radka Denemarková nicht bei einem übersetzten Wort blieb, sondern es änderte. Vielleicht deswegen, um den Text vielfältiger zu machen. Hier ein paar Beispiele:

„Seit Windisch auswandern will, sieht er überall im Dorf das Ende.“ (S. 8) „Od té doby, co se Windisch rozhodl vycestovat, vidí všude ve vesnici zmar.“ (S. 8)

„Und dass der Nachtwächter dableibt, sieht Windisch, über das Ende hinaus.“ (S. 8) „A protože noční hlídač zůstává, Windisch dohlédne i závěr konce.“ (S. 8)

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Das Leitmotiv ist in diesem Fall das Ende, auf das Herta Müller aufmerksam machen will. Leider entschied sich die Übersetzerin, ihn nicht einzuhalten und änderte das Wort Ende, was ein aufmerksamer Leser gleich erkennt.

„Der Mond hat einen roten Wolkenfleck.“ (S. 12) „Měsíc se halí do rudého oblačného tylu.“ (S. 10)

„Der Nachtwächter schaut in den roten Wolkenfleck.“ (S. 12) „Noční hlídač se zadívá na rudou oblačnou skvrnu.“ (S. 11)

Hier konzentrierte sich Herta Müller auf den roten Wolkenfleck, der sich durch das ganze Kapitel zieht. Unverständlich entschied sich Radka Denemarková nicht die eine Übersetzung einzuhalten, sondern bei einem Satz etwas ganz Anderes zu benutzen. Da hat dann der Leser das Gefühl, dass es sich um etwas ganz Anderes handelt als am Anfang des Kapitels.

„Der Nachtwächter hörte durch sein Lachen die Angst.“ (S. 44) „Ponocný v tom smíchu zaslechl úzkost.“ (S. 30)

„Der Nachtwächter ging nach Haus.“ (S. 44) „Ponocný šel domů.“ (S. 30)

In einem Kapitel wird über den Vater des Nachtwächters geschrieben und Herta Müller blieb der Bezeichnung treu und obwohl es sich um jemanden anderen handelt, nennt sie ihn weiterhin Nachtwächter, was bei manchen Lesern nicht verstanden werden muss. Deswegen entschied sich Radka Denemarková für eine andere Bezeichnung, die eigentlich das gleiche wie Nachtwächter bedeutet. Sicherlich ist dies ihr gelungen, denn es macht es für den Leser klarer, über wen geschrieben wird und welcher Nachtwächter nun gemeint ist.

„Der Todesfleck“ (S. 69) „znamení smrti“ (S. 44)

77

„Es ist der Todesfleck der alten Kroner.“ (S. 70) „Je to skvrna smrti staré Kronerové.“ (S. 45)

Hier wieder ein Beispiel, wo sich die Übersetzerin nicht auf einem Wort einigen kann. Im Titel des Kapitels benutzt sie eine Bezeichnung und dann in der Erzählung selbst eine andere.

„Die Dauerwelle“ (S. 149) „trvalá“ (S. 94)

„In ihrem kurzen Haar sind Dauerwellen.“ (S. 149) „Krátké vlasy má naondulované.“ (S. 94)

„Unter den Dauerwellen, in der Schädeldecke drin, hat Windischs Frau sich ihre neue Welt, in die sie ihre großen Koffer trägt, schon eingerichtet.“ (S. 152) „Pod trvalou ondulací, v mysli, se Windischova žena už nastavila na nový svět, do kterého vejde s velkými kufry.“ (S. 96)

Hier wird das übersetzte Wort sogar dreimal anders benutzt. Im Titel und dann in der Geschichte. Wenn sie nur das eine, kurze Wort eingehalten hätte, würde die Übersetzung sicherlich besser als ein Ganzes wirken.

5.12. Expressivität und die feminine Seite der Übersetzerin

Radka Denemarková gehört zu den expressiven Schriftstellerinnen und ihre feminine Seite, man kann fast sagen Mutterschaft, ist sehr stark an ihren Werken zu sehen. Und diese Eigenschaften kann sie auch beim Übersetzen nicht abschalten und ein Teil der Autorin in ihr schreibt immer mit. Das ist auch an dieser Übersetzung zu erkennen. Über ein paar Verkleinerungsformen wurde in diesem Kapitel schon geschrieben, aber das sind nicht die einzigen, die in der Übersetzung vorkommen. Dank ihrer femininen Seite verfeinert sie auch Ausdrücke, die ihr vielleicht zu grob vorkommen. Zum Beispiel: 78

„„Die Drecksau daneben bläst mir Asche ins Bier“, sagt er.“ (S. 90) „„Ten špinavej šmejd za mnou mi fouká popel do piva“, řekne.“ (S. 57)

Wenn man den Vulgarismus genau ins Tschechische übersetzen würde, wäre es eher ty špinavá svině.

„Dort sind Türken und Neger.“ (S. 112) „Tam jsou Turci a černoši.“ (S. 71)

Neger, dieses Wort ist heutzutage politisch unkorrekt und noch dazu ein sehr vulgäres Wort, mit dem man jeden Afroamerikaner sehr beleidigen würde. Aber Herta Müller hatte ihre Gründe dafür, warum sie es benutzt hat. Denn heute sieht man dieses Wort so an, in der Zeit, über die sie schreibt, war dieses Wort zwar vulgär, aber man benutzte es oft, wenn man über Afroamerikaner sprach. Und im Tschechischen gibt es eine genaue Übersetzung, die besser wäre als černoši, nämlich negři.

„An der Scheibe klebt ein Vogelschiß.“ (S. 153) „Na předním skle je přilepený ptačí trus.“ (S. 97)

Auch hier wollte Radka Denemarková die Aussage eher verfeinern und benutzte ein anständiges Wort, trus anstatt des vulgären Ausdruck hovno.

Da Radka Denemarková eine expressive Autorin ist, benutzte sie auch in der Übersetzung diese Fähigkeit, um etwas mehr emotional auszudrücken, als es im Original ist. Hier ein paar Beispiele:

„Sein ganzer Dachboden ist ein Ludergarten für das tote Vieh“, sagte Windischs Frau.“ (S. 40) „Celá jeho půda je jako mršinová zahrada pro chcíplá zvířata“, řekla Windischova žena.“ (S. 28)

79

„Ein Pferdewagen rasselt.“ (S. 153) „Řítí se koňské spřežení.“ (S. 97)

„Ein Baum legt seinen Schatten über ihr Gesicht.“ (S. 114) „Strom ji plivne do obličeje stín.“ (S. 97)

5.13. Lieder und Gedichte

In diesem Buch von Herta Müller kommen ein Lied und ein Gedicht vor. Das Lied wurde sehr gut von Radka Denemarková übersetzt. Sie hat den Rhythmus des Originals einbehalten, aber wie es ihr schon üblich ist, verfeinerte sie das sehr vulgäre Lied auf ihre eigene Art und Weise. Zum Vergleich das Lied aus dem Ausganstext und seine Übersetzung:

„Einst fuhr ich nach Berlin, die schöne Stadt zu gsiehn. Tirihaholala die ganze Nacht.[…] Sollst mir dein Tochter schicken, ich will sie einmal ficken. Tirihaholala die ganze Nacht.[…] Mein Herr, das schickt sich nicht, mein Tochter fickt sich nicht. Tirihaholala die ganze Nacht. […] O Mutter, laß mich doch, warum hab ich mein Loch. Tirihaholala die ganze Nacht. […] O Mutter, borg mir deine, die meine ist zu kleine. Tirihaholala die ganze Nacht.[…] Ich kann sie dir nicht borgen, dein Vater braucht sie morgen. Tirihaholala die ganze Nacht.“ (S. 52 - 53)

„Zajel jsem si do Berlína jen tak pro radost. Pro radost jsem se tam drncal, drncal celou noc. Cárára, drncal celou noc. […] Píseň proplouvá jabloní: „Pošli ke mně svoji dceru, líbí se mi moc. A já ti ji pomiluju, promilujem celou noc. Cárára, promilujem noc. […] Ctěný pane, vy jste ale pěkný nestyda. A ne každá z dcer svou kytku jen tak lehce dá. Nedá ráno, nedá večer, natož celou noc. Cárára, natož celou noc. […]

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Matko, nech mě jít za pánem, nech ho zalít moji kytku jeho džbánem. On má přece moc starat se mi o zahradu třeba celou noc. Cárára, třeba celou noc. […] Ach, matičko, víš to přece, mám ji maličkou. Půjč mi větší, ať mě těší, vrátím příští noc. Cárára, vrátím příští noc. […] Kdepak, dcero, kdepak půjčit, ta má velkou moc. Tvůj otec je potřebuje denně celou noc. Cárára. Denně celou noc.“ (S. 35 - 36)

Das Gedicht, das im Buch zu finden ist, wurde nicht von der Übersetzerin selbst übersetzt, sondern sie verwendete einen Ausschnitt aus dem Gedicht von Josef Václav Sládek – Velké, širé, rodné lány (aus der Sammlung Selské písně a České znělky, 1889).

„Ich kenn ein Land mit einem Bergesbogen, In dessen Gipfeln früh der Morgen glüht, In dessen Wäldern wie durch Meereswogen Der Frühlingswind erbraust, bis alles blüht.“ (S. 88)

„Vlavé žito jako břehy, květná louka plná něhy, na úhoru, v žírné kráse pokojně se stádo pase. Nad vámi se nebe klene jako v květnu pole lněné, nad lesy jen z modrošíra pára v tichý déšť se sbírá.“ (S. 56)

Was die Wahl des Gedichts betrifft, hat Radka Denemarková sicherlich sehr gut gewählt. Das Gedicht passt in die Übersetzung und ist auch gelungen. Weiter kann man das Gedicht nicht bewerten, weil es übernommen wurde und nicht übersetzt. Aber vielleicht würde eine eigene Übersetzung des Gedichts nicht besser sein.

5.14. Übersetzungsfehler

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Auch in dieser Übersetzung sind ein paar Übersetzungsfehler zu finden, die eigentlich nicht sein sollten. Zum Glück sind es nur sehr wenige und die meisten konnten wegen des Zeitdrucks entstanden sein.

„Die Gärten rauschen.“ (S. 71) „Zahrady kouří.“ (S. 45)

Ein großer Fehler, wo die Übersetzerin das Wort rauchen und rauschen verwechselt hat. Richtig wäre es Zahrady šustí.

„Der irische Frühling hängt im letzten Hauch an Amalies Waden.“ (S. 120) „Irské jaro ulpívá posledním dechem na Amáliině tváři.“ (S. 76)

Auch hier hat Radka Denemarková das Wort Waden und Wangen verwechselt. Richtig sollte es heißen Irské jaro ulpívá posledním dechem na Amáliině lýtkách.

„Windisch schaut an Amalies Ohrmuschel vorbei. Sie ist ein Teil von seinem Blick.“ (S. 120) „Windisch se dívá na Amáliin ušní boltec. Je součástí jeho pohledu.“ (S. 77)

Hier ist ihr das Verb vorbei schauen etwas endglichen. Denn bei ihrer Übersetzung macht der Satz dann keinen Sinn mehr.

„Der Zug rasselt über die Eisenbrücke.“ (S. 151) „Vlak se vřítí na železniční most.“ (S. 96)

Im Original rasselt der Zug schon über die Eisenbrücke und in der Übersetzung fährt er erst auf die Brücke. Die Präposition ist falsch. Richtig sollte stehen Vlak se řítí přes železniční most.

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5.15. Kritik der Übersetzung

Die Kritik des Übersetzens soll die verschiedenen Übersetzungen bewerten. Aber eine reale Kritik gibt es in Tschechien fast nicht. Diese Tätigkeit ist nämlich sehr zeitraubend und dabei schwach honoriert. Das kann der wichtigste Grund sein, warum sich literarische Kritiker nicht so sehr mit den Übersetzungen befassen.

Die meisten Buchbesprechungen werden in den Tageszeitungen ausgedruckt, oder heutzutage auch auf manchen Internetseiten veröffentlicht, und dabei geht es nur um den Inhalt der literarischen Arbeit. Die Übersetzung wird dabei fast gar nicht erwähnt, als wäre sie etwas ganz Natürliches, Normales, als würde der Autor in dieser Sprache schreiben. Es sieht fast so aus, als wären sich die Kritiker nicht bewusst, dass eine Übersetzung etwas Spezifisches ist und das sie auch ein Teil des Werkes ist. Man muss aber erwähnen, dass es Kritiker, die auch auf die Übersetzung aufmerksam machen, gibt. Es sind leider nur sehr wenige, oder eher beauftragte Menschen, die dazu ihre Meinung äußern. Und aus diesen wenigen Kritikern sind die meisten, die sich zu einer Übersetzung nur sehr kurz äußern. Meistens wird die Übersetzung als perfekt, sehr gut, gut oder nicht so gelungen bezeichnet. Leider wird nicht mehr viel mehr dazu gesagt. Der Kritiker erwähnt nicht mehr wieso er diese Übersetzung so und so bezeichnet, was waren seine Gründe, was hat ihm gefallen und was nicht, wo liegen die Qualitäten und wo die schwachen Seiten. Andererseits gibt es Fachleute, die meisten als Übersetzer arbeiten und sich auskennen, die auch zum Glück als Kritiker tätig sind. Obwohl die Anzahl steigt, sind sie immer noch in der Minderheit.

Der Mangel an Kritik ist aber keine Frage der Zeit oder Nation. Über das Defizit der Kritik des Übersetzens beschweren sich auch andere Vertreter der Wissenschaft verschiedener Völker und schon im Jahre 1928 machte Jaroslav Zaorálek darauf aufmerksam:

„Kritika má větší podíl viny na spoustě špatných překladů u nás, než se myslívá. Nejde o chválu dobrých překladů, ale o upozornění na překlady špatné, aby dobří nebyli prostě tím, že se o

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obou mlčí, házení do jednoho pytle se špatnými. A kdyby aspoň ta kritika jednou upřímně řekla, že to není a proč to není tak snadné kritisovati překlad! Neboť by tím zároveň aspoň nepřímo přiznala, že to není tak snadné překládat.“ (Die Kritik ist mit einem größeren Teil schuld an vielen schlechten Übersetzungen, als man denkt. Es geht nicht um das Loben guter Übersetzungen, sondern auf die schlechten Übersetzungen hinzuweisen, damit sie nicht nur deswegen gut sind, weil man über beide schweigt, und sie zusammen mit den schlechten in einen Sack wirft. Und würde wenigstens einmal die Kritik ehrlich sagen, dass es nicht ist und wieso es nicht so einfach ist, eine Übersetzung zu kritisieren! Denn sie würde damit gleichzeitig wenigstens indirekt zugeben, dass es nicht leicht ist zu übersetzen.)97

Es ist nötig, die Tätigkeit des tschechischen Übersetzerverbandes, "Obec překladatelů", zu erwähnen, der nicht nur gute Übersetzungen mit Preisen belohnt sondern auch die schlechtesten herauspickt und diese mit Antipreisen ("Skřipec" und "Skřipeček") beschenkt.98

Darüber, ob eine Übersetzung gelungen ist, lässt sich immer streiten, weil fast jeder eine andere Meinung dafür haben wird und es auch anders sehen will. Deswegen kann man sagen, dass fast jede Beurteilung einer Übersetzung mehr oder weniger subjektiv ist. Aber in dieser Arbeit kamen wie die positiven Seiten der Übersetzung so auch die negativen Seiten vor. Zweifellos war Radka Denemarková eine sehr gute Wahl für das Übersetzen von Herta Müllers Werke, die Gründe wurden schon oben genannt. Und sicherlich ist Radka Denemarková eine gute Übersetzerin an sich, die sich auch sehr gut mit der Problematik von Herta Müllers Literatur auseinandergesetzt hat. Sie hat sich an den stilistischen Text, der sicherlich nicht leicht zum Übersetzen war, gehalten. Sie hat wunderbar den Staccato-Rhythmus des Originals reproduziert. Sie hat mit der Sprache und den Wörtern gespielt, damit sie ein ähnliches Werk, wie im Ausgangstext, erschafft. Das größte Negativum, das man sehen kann, betrifft die Diminutivform, die den groben, bis auf den Knochen nackten Text von Herta Müller, verfeinert und es gefährlich nahe einer wesentlich tschechischen Idylle und Genrebildern bringt. Wenn

97 KUFNEROVÁ, Z.: Čtení o překládání, Praha: H&H Vyšehradská s.r.o., 2009. S. 8 (übersetzt von der Autorin) 98 Offizielle Internetseite der Gemeinde der Übersetzer (Letzter Zugriff 10. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.obecprekladatelu.cz/

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ein Leser die Möglichkeit hat, beide Bücher zu lesen, das Original und die Übersetzung, sieht er, oder besser gesagt fühlt er, dass das Grobe ein bisschen verschwunden ist und das wir eher das mehr Tschechische, das Feinere an das wir gewohnt sind, lesen.

Obwohl es in der Übersetzung manche Reserven gibt, die oben genannt wurden und die vielleicht wegen eines Zeitdrucks entstanden, muss man sagen, dass Radka Denemarková eine überaus geglückte und gute Übersetzung gelungen ist.

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6. Zusammenfassung

Diese Arbeit hat sich mit dem Vergleich des Originals Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt von Herta Müller mit der Übersetzung von Radka Denemarková Cestovní pas auseinandergesetzt. Das Ziel der Arbeit war es, an Hand objektiver Faktoren festzustellen, ob es Radka Denemarková gelungen ist, das Original in die tschechische Sprache so zu übersetzen, dass es für alle, die es in dieser Sprache lesen, so verständlich ist, wie in der Ausgangssprache. Und natürlich sollte die Arbeit an Beispielen zeigen, ob die Übersetzung gelungen ist oder nicht.

Um dieses Ziel zu erreichen, musste sich die Arbeit auch mit den Hauptpersonen beschäftigen, das heißt mit Herta Müller und Radka Denemarková. Die ersten zwei Kapitel dieser Arbeit beschäftigen sich mit beiden Schriftstellerinnen. Zuerst wurde Herta Müller vorgestellt. Sie ist nicht nur eine deutsche Schriftstellerin, sondern auch ein Flüchtling, der aus seiner eigenen Heimat, in diesem Fall Rumänien, flüchten musste und bis heute in Deutschland lebt, in einem Land, das sie nie wirklich als ihre Heimat nennen kann, obwohl sie mehr Deutsche als Rumänin ist. In ihrem Inneren und in ihrer Literatur leben zwei Sprachen, die ganz deutlich zu spüren sind, in allem was sie sagt oder schreibt. Herta Müller ist keine leichte Autorin. Sie schreibt eine ganz andere Literatur als man gewohnt ist. Eine sehr schwere Literatur, die auch für die Bewohner deutschsprachiger Länder, sehr kompliziert ist. Aus diesem Grund ist es auch nicht einfach, ihre Gedanken, ihre Metaphern und ihre versteckte Zweideutigkeit zu übersetzen. Und deswegen ist die Wahl einer Übersetzerin sehr wichtig. Denn sie muss auch zu dieser Thematik, über die Herta Müller schreibt, eine gute Beziehung haben und in einem gewissen Maße sie verstehen.

Eine Beziehung zu dieser Thematik hat auch sicherlich Radka Denemarková, die selbst über ähnliche Motive schreibt und auch eine sehr starke Persönlichkeit, eine sehr starke Frau ist. Wie schon in dem Kapitel, das ganz Radka Denemarková gewidmet ist, erwähnt wird, gehört Herta Müller zu den Autoren, die sie bewundert und die ihr beim Lesen etwas geben. Es kommt bei ihr nicht darauf an, ob die Autoren sie beeinflussen, oder ihre Arbeit. Es kommt bei ihr darauf an, ob ihr die Literatur, der Autor etwas gibt, 86

sie ein bisschen weiterrückt in ihrem Leben, in ihrem Denken. Das Kapitel über Radka Denemarková ist ziemlich ausführlich, denn es ist wichtig, wenn man eine Übersetzung kritisiert, auch genau die Autorin der Übersetzung zu kennen und sich damit auch die Fragen zu beantworten, warum sie sich zum Beispiel für manche Änderungen genau so entschieden hat.

Beide Kapitel sind für diese Arbeit sehr wichtig gewesen, denn um einer Übersetzung zu verstehen muss man dem Autor des Originals verstehen, sein Innerstes kennen, damit man versteht, wovon er schreibt und dann auch natürlich die Übersetzerin, die in diesem Fall sehr wichtig für die ganze Arbeit ist, denn ihre Arbeit wird in einer Weise bewertet. Und nicht zuletzt wird auch die Novelle Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt in einem Kapitel erwähnt. Dieses Kapitel widmet sich nur der Novelle und untersucht sie nicht nur aus der inhaltlichen Sicht, sondern auch aus der stilistischen Sicht. Bei einem Vergleich kann nie das Original fehlen und in dieser Arbeit kann sich jeder Leser mit dem Buch gut vertraut machen, falls er es nicht gelesen hat und Leser, die das Buch kennen, werden vielleicht etwas finden, was sie vorher beim Lesen nicht gesehen, nicht entdeckt haben und vielleicht wird es sie nett überraschen und auch etwas Neueres bringen. Das ganze Kapitel sollte dem Leser zeigen, wie genau Herta Müller schreibt. An konkreten Beispielen aus dem Buch kann sich der Leser selbst ein Bild von ihrem Werk machen.

Ohne dieses Hintergrundwissen wäre es nicht möglich, das Ziel der ganzen Arbeit zu erreichen. Die ersten drei Kapitel dieser Arbeit waren sehr wichtig, um den Hauptteil erschaffen zu können. Denn ohne diese Kenntnisse wäre die Kritik der Übersetzung nicht komplett und der Leser hätte nicht alle Informationen, um sich auch sein eigenes Bild zu erstellen. Es war sicherlich sehr wichtig, um die Übersetzung als Ganzes zu sehen, als eine Einheit, die nicht nur aus einem Text besteht, sondern auch aus Personen, die diesen Text formen. Im Hauptteil wurden mehrere Beispiele genannt, an denen man die Qualität der Übersetzung erkennen konnte. Dazu wurde auch ein bisschen etwas über die Theorie des Übersetzens gesagt, die sicherlich in keiner Arbeit über das Übersetzen fehlen sollte. Und dank dieser konkreten Beispiele entstand eine objektive Kritik der ganzen Übersetzung, die in diesem Teil zu finden ist.

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Das Ziel dieser Arbeit wurde hiermit erfüllt. Es entstand dank Hintergrundkenntnissen und konkreter Beispielen aus beiden Büchern, wie aus dem Original so auch aus der Übersetzung, eine objektive Kritik der Übersetzung. Auf der anderen Seite ist es aber fast immer unmöglich, objektiv zu bleiben und in eine Kritik nicht die eigene Ansicht hinein zu reflektieren. Und obwohl diese Arbeit so objektiv, wie nur möglich, zu bleiben versucht, kann es immer vorkommen, dass nicht jeder damit übereinstimmt.

Zum Schluss will ich nur einen sehr guten Ratschlag sagen, den mir einer meiner Professoren gesagt hat. Wenn man die Qualität eines Buches wirklich auskosten will, muss man es immer in der Ausgangssprache lesen, denn auch die beste Übersetzung wird nie so gut sein, wie das Original.

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Literaturverzeichnis

Primärliteratur

MÜLLER, H.: Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2010.

MÜLLEROVÁ, H.: Cestovní pas. Praha: Mladá fronta, 2010.

Sekundärliteratur

FIŠER, Z.: Překlad jako kreativní proces. Brno: Host- vydavatelství, s.r.o., 2009.

KNITTLOVÁ, D.: K teorii i praxi překladu, Olomouc: Univerzita Palackého v Olomouci, 2003.

KUFNEROVÁ, Z.: Čtení o překládání, Praha: H&H Vyšehradská s.r.o., 2009.

KUFNEROVÁ, Z., SKOUMALOVÁ Z.: Překládání a čeština, Praha: H&H, 1994.

LEVÝ, J.: Umění překladu, Praha: Panorama, 1983.

MOUNIN, G.: Teoretické problémy překladu, Praha: Karolinum, 1999.

MÜLLER, H.: Atemschaukel. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2009.

MÜLLER, H.: Der Fremde Blick oder Das Leben ist ein Furz in der Laterne. Göttingen: Wallstein Verlag, 1999.

MÜLLER, H.: Der König verneigt sich und tötet, München: Carl Hanser Verlag, 2003.

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MÜLLER, H.: Die blassen Herren mit den Mokkatassen. München: Carl Hanser Verlag, 2005.

MÜLLER, H.: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München: Carl Hanser Verlag, 2011.

MÜLLEROVÁ, H.: Rozhoupaný dech. Praha: Mladá fronta, 2010.

SNELL-HORNBY, M., HÖNIG, H.: Handbuch Translation. Tübingen: Stauffenburg Verlag Brigitte Narr GmbH, 2006.

WIESER, L.: Ich glaube nicht an die Sprache. Herta Müller im Gespräch mit Renata Schmidtkunz. Klagenfurt: Wieser Verlag, 2009.

Internetquellen

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Müller, Herta. Rozhoupaný dech, eine Anmerkung von der Übersetzerin. Autor Radka Denemarková. (Letzter Zugriff 08. 07. 2012) Abrufbar unter: http://iliteratura.cz/Clanek/27177/muller-herta-rozhoupany-dech-poznamka- prekladatelky

Herta Müller und ihr literarischer Leben (Letzter Zugriff 08. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.boersenblatt.net/341933

Radka Denemarková, offizielle Internetseite (Letzer Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/

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Radka Denemarková, Lebenslauf und Werke (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/zivotopis.html

Radka Denemarková im Interview, Hospodářské noviny (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/imgs/rozhovory/22_6_2011_hospodarske_noviny.JPG

Radka Denemarková im Interview, Respekt (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/respekt_interview.html

Radka Denemarková im Interview, Právo (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar und zum herunterladen unter: http://denemarkova.cz/rozhovory.html

Radka Denemarková im Interview, Literární noviny (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar und zum herunterladen unter: http://denemarkova.cz/rozhovory.html

Radka Denemarková im Interview, Kutnohorský deník (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar und zum herunterladen unter: http://denemarkova.cz/rozhovory.html

Radka Denemarková und ihre Auszeichnungen (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://denemarkova.cz/oceneni.html

Radka Denemarková, Lebenslauf. (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://cs.wikipedia.org/wiki/Radka_Denemarkov%C3%A1

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Radka Denemarková im Interview für novinky.cz (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.novinky.cz/kultura/113979-radka-denemarkova-zamindrakovani-si-vzdy- najdou-obeti.html

Radka Denemarková im Interview für novinky.cz (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.novinky.cz/kultura/227529-prekladatelka-denemarkova-prace-s-jazykem- mi-pripomina-pouzivani-pinzety.html

Radka Denemarková im Interview . (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.topzine.cz/radka-denemarkova-kniha-ma-cenu-kdyz-chce-ctenar-vstat-a- dat-autorovi-do-nosu-nebo-ho-obejmout

Radka Denemarková im Interview mit dem Server ihned.cz (Letzter Zugriff 07. 07. 2012) Abrufbar unter: http://life.ihned.cz/c1-40104760-radka-denemarkova-prebytky-nehy

Kritik der Übersetzung Cestovní pas in Kulturní noviny. Autor PhDr. Roman Kopřiva, PhD. (Letzter Zugriff 08. 07. 2012) Abrufbar unter: http://iliteratura.cz/Clanek/27293/muller-herta-cestovni-pas-in-kulturni-noviny

Offizielle Internetseite der Gemeinde der Übersetzer (Letzter Zugriff 10. 07. 2012) Abrufbar unter: http://www.obecprekladatelu.cz/

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Anhang

Herta Müller

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Radka Denemarková

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