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University M icrorilm s international 300 N. Zeeb Road Ann Arbor, MI 48106 8426485

Stenger, Karl-Ludwig

ZUR ERZAHLSTRUKTUR VON FRIEDRICH THEODOR VISCHERS "AUCH EINER": WESEN UND FUNKTION. (GERMAN TEXT)

The Ohio State University Ph.D. 1984

University Microfilms International300 N. Zeeb Road, Ann Arbor, MI 48106

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University Microfilms International ZUR ERZÄHLSTRUKTUR VON FRIEDRICH THEODOR VISCHERS

"AUCH EINER": WESEN UND FUNKTION

DISSERTATION

Presented in Partial Fulfillment of the Requirements for

the Degree Doctor of Philosophy in the Graduate

School of The Ohio State University

- By ■■ ■ '

Karl-Ludwig Stenger, M.A.

The Ohio State University

1984

Reading Committee: Approved By

Prof. Dagmar Lorenz

Prof. Donald C. Riechel

Prof. Gisela Vitt I Adviser lepartment of German (c) Copyright by Karl-Ludwig Stenger 1984 MEINER MUTTER VITA

January 19, 1 9 5 1 ...... Born - Bonn-Beuel, West

1974-1975 Scholarship, Univ. of Pittsburgh

July 1977 ...... State Examination, Univ. of Bonn

1977-1983 ...... Teaching/Research Associate, Department of German, The Ohio State University

June 1979 ...... M.A., The Ohio State University, Columbus, Ohio

1983-1984 ...... Instructor, Department of Foreign Languages, Ohio Wesleyan Univ., Delaware, Ohio

PUBLICATIONS

"Introduction to Ronald W. Schernikau's small town story." New German Critique, 23 (Spring/Summer 1981), pp. 97-99.

Translation: "Lesbians in the GOR: Two Women." New German Critique. 23 (Spring/Summer 1981), pp. 83-96. (with Jeff Davis)

FIELDS OF STUDY

Major Field: German

Studies in Literature. Professors Hugo Bekker, Helen Fehervary, Charles Hoffmann, Dagmar Lorenz, Donald C. Riechel, Henry Schmidt, Gisela Vitt

Studies in Language and Philology. Professors Johanna Belkin and Harry Vredeveld

iii TABLE OF CONTENTS

Page DEDICATION...... ii

VITA ...... iii

LIST OF FIGURES...... vi

EINLEITUNG ...... 1

I. TEIL

Kapitel 1 Bemerkungen zur Rezeption und Forschungslage ...... 11

Kapitel 2 Vischers Romankonzeption ..... 33 A Die Rezension von Eduard Mörikes Maler N o l t e n . 34 B Die Eugene Sue-Rezension ...... 37 C Die Aesthetik . 43 D Der Jean Paul-Aufsatz . 48 E Die Keller-Studie . 52 F Die Verteidigung von Auch Einer . . . 55

Kapitel 3 Die beiden Versionen von Auch Einer . . 69

II. TEIL DIE ERZÄHLSITUATIONEN IM AUCH E I N E R ... 88

Kapitel 4 Der periphere Ich-Erzähler der "Reise­ bekanntschaft" 96 A Die "fiktive Person" des peripheren Ich-Erzählers ...... 99 Exkurs: Das Bild der Frau im Auch Einer 114 B Die Erzählfunktionen des peripheren Ich-Erzählers ...... 133

iv Kapitel 5 Albert Einhart als Erzähler ...... 160 A Die Pfahldorfgeschichte "Der Besuch" . . 160 B Das Tagebuch...... 187

Kapitel 6 Das Zusammenwirken und die Funktion der verschiedenen Erzählsituationen ...... 215

Kapitel 7 Auch Einer im Kontext des Romans des neunzehnten Jahrhunderts ...... 240

ANHANG ...... 263 I. Vischers Vorarbeiten und Materialien zum Auch Einer 263 II. Chronologischer Liberblick Uber das Geschehen in Auch E i n e r ...... 266 III. Abbildungen...... 268

BIBLIOGRAPHIE ...... 271

v LIST OF TABLES

1. Stanzels Typenkreis ...... 268

2. Die Struktur von Vischers Auch E i n e r ...... 269

3. Der ironische T e x t ...... 270

vi EINLEITUNG.

Wo hört denn die Form auf und fangt der Stoff an? Die Stelle läßt sich nicht finden. Es gibt nur eine Einheit von Stoff und Form. Von den zwei so absolut Geeinigten kann nicht das Eine das Wesen, das Andere nur anhängend sein. (Aphorismus, Fr. Th. Vischer)l

Friedrich Theodor Vischer (1807-1887) ist in erster Linie bekannt als einflußreicher, in der Nachfolge Hegels stehender

Ästhetiker, als "Koinzidenzpunkt aller Theoretiker des Realis­ mus"2 und als scharfsinniger Literaturkritiker. Auszüge aus seinen theoretischen Schriften finden sich in vielen neueren

Anthologien und Quellensammlungen zur Romantheorie des deutschen

Realismus,3 und eine große Anzahl von Untersuchungen zur Litera­ turtheorie des neunzehnten Jahrhunderts, die in den letzten zehn

Jahren veröffentlicht worden sind, widmen der Behandlung Vischers und seiner Schriften einen breiten Raum.^ Wie weit sich die Ein­ sicht durchgesetzt hat, daß Vischers "Einfluß ... kaum zu Uber- c schätzen [ist]", zeigen die neuesten Studien von Gottfried Wil­ lems und Wendelin Göbel, die Vischers Theorien in das Zentrum ih­ rer Überlegungen stellen.6

Im Gegensatz zu Vischers theoretischen Schriften scheinen seine dichterischen Erzeugnisse wie die Gedichte (Lyrische Gänge;

1 2

Allotria), Stücke (Faust Dritter Teil; Nicht Ia) und der Roman

Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft sowohl beim Lesepublikum als auch bei den Kritikern weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein.

Die letzte vollständige Ausgabe von Auch Einer kam 1936 heraus, und erst neuerdings widmen sich Literaturwissenschaftler wie

Reinhold Grimm oder Wendelin Haverkamp wieder intensiv diesem ungewöhnlichen Werk.^ Dies ist umso erstaunlicher, wenn man be­ denkt, daß sich Auch Einer bis ungefähr 1930 einer außerordentlich großen Popularität erfreute, es sozusagen zu einem "Hausbuch des Q gebildeten Mittelstandes" wurde, und daß sein Erscheinen im Jahre

1878 heftige Diskussionen auslöste. Die Rezensenten haßten es entweder oder priesen es in höchsten Tönen, und es war vor allem seine unkonventionelle Form, die ihnen Kopfzerbrechen bereitete, und die sie in zwei Lager spaltete. Die erste Gruppe beklagte sich entweder über die angebliche Formlosigkeit, oder, wenn sie die komplexe Struktur des Werkes erkannte, konnte sie sie nicht mit ihrer Vorstellung vom Genre 'Roman' in Einklang bringen.

Man nannte Auch Einer einen schlechten oder mißlungenen Roman oder wich auf Bezeichnungen wie 'Novelle' oder 'Roman-Capriccio' Q aus. Andere Kritiker hingegen bestanden darauf, daß das Werk tatsächlich ein Roman sei, und daß der komplizierte Bau nicht nur inhaltlich gerechtfertigt, sondern sogar gefordert und not­ wendig sei.^ Sie gingen so weit, das Buch zu einem Musterroman zu erheben: 3

Hier ist nicht nur ein geistreiches Buch, sondern hier ist ein Kunstwerk, hier ist nicht nur eine Reisebe­ kanntschaft, sondern hier ist sogar ein Roman, und zwar endlich einmal ein richtiger, nicht nur einer, der bloß so heißt.11

Reinhold Grimm hat in seinem wegweisenden Aufsatz "Zur Wir­

kungsgeschichte von Vischers Auch Einer” überzeugend nachgewiesen,

daß die Schwierigkeiten, die die zeitgenössischen Kritiker mit

der Beurteilung dieses eigenwilligen Werkes hatten, darauf zu­

rückzuführen sind, daß sie es an den Normen jener Zeit, und

speziell an rigiden Gattungsgesetzen maßen. Grimm betont, daß

die Wirkungsgeschichte des Romans "[w]ie in einem Negativbild ...

vor Augen [führt], daß dieses umstrittene Werk nicht allein eine

"geistige", sondern auch eine gattungspoetische "Wende" signali­

siert": "Das Werk des greisen Ästhetikers markiert ... eine Etappe 12 auf dem Weg ins 20. Jahrhundert". Grimm nennt als einige Ele­ mente, die in Auch Einer rudimentär vorgebildet sind, und die im

Roman des 20. Jahrhunderts vollends zur Blüte gelangen, den inne­

ren Monolog, die essayistische Epik, den modernen Doppelroman,

die moderne Groteske und die von Mutmaßungen eingekreiste Zentral­

gestalt und schließt seine Studie mit dem Desideratum: "Die Be­

deutung ..., die Vischers Buch für die Gattungsgeschichte bean­

spruchen darf, harrt bis heute der Untersuchung".^

Während Grimm die Rezeptionsgeschichte des Auch Einer heran­

zieht, um die formale Modernität des Romans herauszustellen, be­

dient sich Wendelin Haverkamp ihrer in seiner Dissertation, um zu 4 zeigen, "wie Vischers fluch Einer (1878) ideologisch okkupiert und, so missverstanden, als Waffe gegen vermeintlich schädlichen Ratio­ nalismus und Naturalismus verwendet wurde".14 Haverkamp faßt das Fehlurteil, das sich um Vischer und seinen Roman allmählich gebildet und verfestigt hat, folgendermaßen zusammen:

Um das Aufspüren der dunklen, drängenden Urkräfte im Deutschen, um das Erkennen seines historischen Auf­ trages sollte Vischer sich verdient gemacht, für standhaftes und tapferes Aushalten in auswegloser Situation ein Denkmal gesetzt haben - seinen A.E.; ein Bollwerk an Moral gegen jede Art undeutschen Geistes.15

Im Gegensatz zu dieser Deutung sieht Haverkamp in Vischers

Auch Einer mit Recht die Darstellung des "stets mit sich im Hader liegenden, aufgeklärt zu dunklem Glauben unfähigen, einsam mono­ logisierenden Menschentypus der Moderne":16

Vischer schafft A.E. als Typus des Menschen, der sich im Übergang befindet; noch den alten Hoffnungen ent­ stammend, kann er seine Einsicht in die Hoffnungslosig­ keit der "Moderne" nicht zurücknehmen. Wesentliches Kennzeichen dieses Menschen aber ist die mit der Fest­ stellung seiner Einzig-Artigkeit untrennbar verbundene Einsamkeit. Als adäquates Ausdrucksmittel dessen er­ weist sich der "Auch Einer": als gigantischer, arabesk verschlungener Monolog.17

Wir werden in dieser Dissertation Haverkamps Deutung A.E.s als des spezifisch "modernen" Menschen, der an der Realität schei­ tert, mit Grimms Konzept von Vischers Auch Einer als "Etappe auf dem Weg ins 20. Jahrhundert" verbinden und anhand einer Struktur­ analyse nachweisen, daß die eigenwillige Form des Romans in engem 5

Zusammenhang mit der pessimistischen Aussage steht; mit anderen

Worten: das Scheitern Albert Einharts an der Welt schlägt sich in dem auf den ersten Blick verwirrenden Polyperspektivismus, dem damit verbundenen Verlust eines festen Standpunktes, der Auf­ hebung der chronologischen Kontinuität und schließlich der Auf­ lösung der Romanform nieder. Diese Dissertation soll somit zu­ gleich einen Beitrag zur Interpretation dieses zu Unrecht in Ver­ gessenheit geratenen Romans als auch zur Entwicklung des deutschen

Romans im neunzehnten Jahrhundert liefern, indem sie Vischers Auch

Einer als "einen bedeutsamen Punkt auf der Fluchtlinie zur Moderne", als "Signum für die Krise des traditionellen Romans und als Durch­ gangsstelle zum modernen Roman" interpretiert.17

Im ersten Kapitel unserer Arbeit werden wir einen kurzen

Überblick Uber die bisher erschienene Literatur zum Auch Einer in der Form eines Forschungsberichtes geben, wobei wir unser Au­ genmerk besonders auf Aussagen richten wollen, die sich mit der

Form des Romans beschäftigen. Im Zentrum des zweiten Kapitels wird Vischers Romantheorie stehen, und wir werden nicht nur seine

Aesthetik, sondern auch Vischers Rezensionen und die Verteidigungs­

schrift des Auch Einer heranziehen, um seine sich wandelnde Auf­

fassung vom Wesen und der Funktion des Romans zu erhellen. Die

Funktion dieses Kapitels wird sein, ein Bezugssystem herzustellen,

gegen das Vischers eigener Roman abgesetzt werden kann. Das dritte

Kapitel wird anhand eines Vergleiches der ersten Ausgabe von Auch 6

Einer mit der überarbeiteten dritten Auflage zeigen, daß Vischer

zwar darum bemüht war, den Einwänden seiner Kritiker Rechnung zu

tragen, daß die zahlreichen Veränderungen, die er vorgenommen hat,

jedoch nicht die Struktur seines Romans betreffen. Dieses Fest­ halten Vischers an der Form des Auch Einer läßt ebenso wie seine

Aussage in der Selbstverteidigung: "... mag dies und das nicht

1 Q glücklich komponiert sein, nicht komponiert ist das Buch nicht" die Strukturanalyse des Werkes als gerechtfertigt und sinnvoll er­

scheinen, die im Hauptteil unserer Arbeit vorgenommen wird.

Das vierte Kapitel, das sich mit der Figur des namenlosen, peripheren Ich-Erzählers beschäftigt, der nicht mit Vischer gleich­

zusetzen ist, gliedert sich in zwei Teile: im ersten Teil wird die

'fiktive Person' des Ich-Erzählers analysiert, wobei der Frage seiner Verläßlichkeit bzw. Unverläßlichkeit und seiner Erzähl­ weise besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die verschiedenen

Erzählfunktionen des Ich-Erzählers werden im zweiten Teil dieses

Kapitels beschrieben, sowie das komplexe und im Verlauf des Romans

Wandlungen unterworfene Verhältnis zwischen dem Erzähler und der

Titelfigur. Im Zentrum des fünften Kapitels steht dieser "Auch

Einer" (Albert Einhart) - zunächst als der Verfasser der Pfahl­

dorfnovelle "Der Besuch", die seinen dichterischen Versuch einer

Wirklichkeitsbewältigung darstellt, dann als diarisches Ich, des­

sen Auseinandersetzung mit der Welt und sein Scheitern an ihr

ihren Ausdruck im Tagebuch findet. Im sechsten Kapitel befassen wir uns mit dem Zusammenwirken und der Funktion der verschie­ denen Erzählsituationen, die als die stufenweise Heranführung des Lesers an die Zentralfigur und die damit zusammenhängende 19 "Aufhebung des Sonderlings" beschrieben werden kann. Wir greifen im letzten Kapitel die Frage nach dem innovativen

Charakter von Vischers Auch Einer auf und zeigen, daB wir es 20 nicht mit einer epigonalen "Stil-Melange" zu tun haben, son­ dern daß der Roman vielmehr einem Brennglas gleicht, das "be­ deutende Gattungen und Formen des 19. Jahrhunderts zusammenfaßt

Ol und einschmilzt", und das seinen Strahl vorwärts in das 20.

Jahrhundert wirft:

Von Vischers Auch Einer zu Musils Mann ohne Eigen­ schaften ist noch ein riesiger Schritt; aber die Entfaltung eines synchronen Polyperspektivismus in universaler Verschränkung von Wissenschaft und Kunst, in Formen der Parodie, der Satire und des Zynismus durch einen Helden, der aus der Teleologie einer bür­ gerlichen Lebensgeschichte herausgerissen in der Kon­ templation eines Rentiers verharrt, ist doch eine be­ merkenswerte ästhetische Analogie.22 s

ANMERKUNGEN

1 Friedrich Theodor Vischer, Kritische Gange, Band IV (München: Meyer & Jessen, 1922), S. 538. o Helmuth Widhammer, Die Literaturtheorie des deutschen Realis­ mus (1848-1860), Sammlung Metzler, 157 (Stuttgart: Metzler, 1977), S. 15.

3 Max Bücher, hrsg., Realismus und Gründerzeit. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1848-1880 (Stuttgart: Metzler, 1975-76), 2 Bande; Eberhard Lammert, Romantheorie. Dokumentation ihrer Geschichte in Deutschland 1620-1880, Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 41 (Küln: Kiepenheuer & Witsch, 1971); Hans-Joachim Ruckhaberle und Helmuth Widhammer, Roman und Romantheorie des deutschen Realismus, Athenäum Taschenbücher, 2125 (Kronberg: Athe­ näum, 1977); Hartmut Steinecke, Romantheorie und Romankritik in Deutschland. Die Entwicklung des Gattungsverstandnisses von der Scott-Rezeption bis zum programmatischen Realismus (Stuttgart: Metzler, 1975), 2 Bände; ders., hrsg., Theorie und Technik des Romans im 19. Jahrhundert, Deutsche Texte, 18 (Tübingen: Niemeyer, 1970).

^ So zum Beispiel Hermann Kinder, Poesie als Synthese. Aus­ breitung eines deutschen Realismusverstandnisses in der Mitte des 19. Jahrhunderts, Ars Poetica, 15 (Frankfurt: Athenäum, 1973); Georg Kurscheidt, Engagement und Arrangement. Untersuchungen zur Roman- und Wirklichkeitsauffassung in der Literaturtheorie “vom Jungen Deutschland bis zum poetischen Realismus Otto Ludwigs, Bonner Arbeiten zur deutschen Literatur, 35 (Bonn: Bouvier, 1980); Helmuth Widhammer, Realismus und klassizistische Tradition. Zur Theorie der Literatur in Deutschland 1848-1860, Studien zur deutschen Literatur, 34 (Tübingen: Niemeyer, 1972).

5 Helmuth Widhammer, Die Literaturtheorie, S. 15.

6 Gottfried Willems, Das Konzept der literarischen Gattung. Untersuchungen zur klassischen deutschen Gattungstheorie, insbe­ sondere zur ffsthetik £.Th* Vischers, Hermaea, 42 (Tübingen: Nie­ meyer, 1981); Wendelin Gübel, Friedrich Theodor Vischer. Grund­ züge seiner Metaphysik und Ästhetik, Epistemata, 15 (Würzburg: Könighausen & Neumann, 19837^

8

\ 9

Reinhold Grimm, "Zur Wirkungsgeschichte von Vischers fluch Einer," in Gestaltungsgeschichte und Gesellschaftsgeschichte. Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaftliche Studien, hrsg. Helmut Kreuzer (Stuttgart: Metzler, 1969), S. 352-81; Wendelin Haverkamp, Aspekte der Modernität. Untersuchungen zur Geschichte des "Auch Einer" von Friedrich Theodor Vischer (Aachen: Cobra, 1981).

8 Grimm, S. 355. 9 Friedrich Spielhagen, "Ein •humoristischer1 Roman. Fr. Theo­ dor Vischers Auch Einer," in Beitrage zur Theorie und Technik des Romans, Faksimiledruck nach der 1. Auflage von 1883 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1967), S. 127; Wilhelm Helmich, Verfall und Umgestaltung des realistischen Seelenlebens bei Fr.Th. Vischer und C.F. Meyer, Diss. Kiel 1933 (Quakenbrück i. Hann.: Robert Kleinert, 1933), S. 15; E. Volhard, Zwischen Hegel und Nietzsche. Der Ästhetiker Fr.Th. Vischer (Frankfurt: Klostermann, 1932), S. 196 f.

10 Wolfgang Kirchbach, "Auch eine Rezension - kurz, man versteht mich!" in Ein Lebensbuch. Gesammelte kleinere Schriften, Reisege­ danken und Zeitideen (München, : Otto Heinrichs, 1886), S. 128-149.

11 Ebd., S. 130.

12 Grimm, S. 380.

13 Ebd., S. 381.

Haverkamp, Umschlagtext.

15 Ebd., S. VI.

16 Ebd., Umschlagtext.

17 Ebd., S. 37.

18 Fr.Th. Vischer, "Mein Lebensgang," in Kritische Gange, Band 2 (Leipzig: Verlag der Weißen Bücher, 1914), S. 530.

19 Günter Oesterle, "Die Grablegung des Selbst im Ändern und die Rettung des Selbst im Anonymen. Zum Wechselverhaitnis von Biographie und Autobiographie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Bei­ spiel von Friedrich Theodor Vischers Auch Einer," in Vom Anderen und vom Selbst. Beitrage zu Fragen der Biographie und Autobiographie, hrsg. Reinhold Grimm und Jost Hermand (Königstein: Athenäum, 1982), S. 49. 10

2<^ Günter Oesterle, S. 62.

21 Ebd., S. 58.

22 Ebd., S. 63. I. TEIL

KAPITEL 1

BEMERKUNGEN ZUR REZEPTION UND FORSCHUNGSLAGE.

Die Erstausgabe von Vischers Auch Einer, die der Stuttgarter

Verleger Eduard Hallberger im Herbst des Jahres 1878 zweibändig

in den Handel brachte,1 wurde von der Kritik recht zwiespältig 2 aufgenommen. Einige Rezensenten äusserten sich anerkennend Uber

das Buch,3 und sowohl Johann Georg Fischer als auch Richard Welt-

rich priesen es enthusiastisch.^ Andere Kritiker jedoch vermochten

Weltrichs Beurteilung des Auch Einer als "eines der gehaltvollsten

und interessantesten Bücher, welche die neuere Zeit hervorgebracht

hat" nicht zuzustimmen,5 und ihre Rezensionen bewegen sich zwischen

Zurückhaltung und völliger Ablehnung.6 Francois Wille ging so weit

zu behaupten, "das Werk schlage dem Geschmack und der guten Sitte

förmlich ins Gesicht",7 und Bertha Glogau schlug die Umbenennung

des Buches in "Gar Keiner" vor, denn sie vermutete in der Figur

des Albert Einhart fälschlicherweise eine Satire auf Gottfried

Q Keller. Vischer war über diese Unterstellung so erbost, dass er

der Rezensentin mit dem Gedicht "Einharts Wanderschicksal" ein 9 bleibendes Denkmal setzte. Einen guten Eindruck von den unter­

schiedlichen Beurteilungen, die Auch Einer erfuhr, vermittelt uns

Sidonie Binder, wenn sie am 25 Februar 1879, also ungefähr fünf

11 12

Monate nach dessen Erscheinen, schreibt:

Noch geht das Buch von Hand zu Hand, noch schwirren die Urtheile durcheinander, verständige, "wohlweise" und grimmige Tadler, schwungvolle und besonnene Lober lassen sich hören, diese freilich in der Minderzahl. Es gibt Verblüffte, Solche, die weder wissen wo hinaus, noch wo hinein, kurz die Meinungen Uber das Werk gehen aus­ einander in so viel Richtungen fast, als sich Leser und Beurtheiler dafür finden und man sieht, daß es wohl immer zu den umstrittenen gehören wird. Manche wandten sich rasch und unversöhnlich davon ab; bei Vielen erfuhr der gute Wille es anzuerkennen zahlreiche Rückschläge, ehe er siegte; Wenigen nur war von Anfang an der richtige Sehwinkel dafür beschieden. Die ihn aber gefunden, wußten von dem Augenblick an, daß trotzdem, was sie selbst daran aussetzten - denn kritiklos zu lesen ist hier unmöglich - trotz Allem, was sie vom Tadel der Ändern etwa als ge­ rechtfertigt anerkennen mußten, das Buch zu den be­ deutendsten gehört, die seit langen Jahren geschrieben worden sind.*0

Während sich ein Großteil der frühen Rezensionen auf Lob oder

Tadel beschränkten und wenig Substantielles zum Werk als solchem auszusagen hatten, boten die ausführlichen Besprechungen von Bert- hold Auerbach, Friedrich Spielhagen, Richard Weltrich und Wolf­ gang Kirchbach ein differenzierteres Bild, und Reinhold Grimm ver­ fuhr ganz richtig, wenn er diese Besprechungen in das Zentrum seiner

1969 veröffentlichten Studie stellte. Allerdings erscheint die von

Grimm vorgenommene Polarisierung in zwei entgegengesetzte Lager zu streng, da die Aufsätze von Spielhagen und vor allem Auerbach nicht vollkommen negativ sind, sondern auch einiges Gute Uber Auch Einer auszusagen haben. So nimmt Auerbach Vischer gegen diejenigen

Kritiker in Schutz, die sich gern im Negativen breitmachen, ohne den Nachweis für ihre Behauptungen zu erbringen, und er betont, 13 daß seine eigene Kritik dazu dienen solle, das Verhältnis von II Wissenschaft (womit er Ästhetik meint) und Kunst zu erhellen:

Es laßt sich aber vielleicht überhaupt die Wissen­ schaft der Aesthetik minder an der systematischen Theorie, als an Werken der Dichter lernen, wobei auch das Verfehlte sich erweisen ließe, denn auch Goethe ist nicht unfehlbar. So ergeben sich reichlich Gesetze der Aesthetik an der Dichtung des Aesthetikers Vischer.H

Besonders lobend hebt Auerbach hervor, daß Vischer "nicht nur das Gewohnte in neuer Herrichtung zu sagen hat, sondern geradezu mehr und ganz Anderes zu sagen hat, als man eben gewohnt ist".1^ Daß Au­ erbach nicht grundsätzlich den für seine Zeit recht außergewöhnlichen, ja fast experimentellen Charakter des Buches ablehnt, zeigt seine vor­ wiegend positive Beurteilung von Albert Einharts Tagebuch,^ - dem­ jenigen Teil von Auch Einer, der bei den Lesern am ehesten auf Un­ verständnis gestoßen und in spateren Ausgaben als erster dem Rot­ stift des Herausgebers zum Opfer gefallen war . ^ Auerbach betont völlig zurecht, daß Vischer hier Mitteltöne der Empfindung erfaßte, die noch niemand vor ihm vernommen habe, und er nennt das Tagebuch

"eine psychologische Spectralanalyse". Beim heutigen Leser werden

Assoziationen an Robert Musil und seinen "monsieur le vivisecteur" geweckt, wenn es bei Auerbach weiter heißt: "Vischer mikroskopirt in feiner Weise die frische Seelenregung vor dem Erkalten, er ist ein psychologischer Experimentator".^ Neben dem Tagebuch verdient nach

Auerbachs Ansicht die Pfahldorfnovelle besonderes Lob, denn sie sei bei aller Buntheit innerlich so wohl gefugt, daß sie als abge­ rundetes Kunstwerk dastehe.^ Obwohl Auerbach keine Einzelheiten über die Entstehungsgeschichte des Werkes wissen konnte - Vischer ging darauf erst drei Jahre spater in dem Zusatz zu "Mein Lebensgang" ein - erkennt er richtig die beiden Strange, aus denen sich der Auch Einer zusammensetzt:

"Ich betrachte die Pfahldorfgeschichte als die eiserne Säule, um 17 welche der Thon zur Figurenbildung gelegt wurde". Weiterhin lobt Auerbach die lebensnahe Zeichnung der verschiedenen Charaktere und besonders Albert Einharts, in dem er das Typische mit dem Indi­ viduellen schön gemischt sieht, er erkennt die "unbarmherzige Ehr­ lichkeit und schonungslose Aufrichtigkeit" des Buches, die ihn an die zur damaligen Zeit vielgelesenen und einflussreichen Bekennt­ nisse Rousseaus erinnern, sowie die sprachliche Gestaltungskraft 1R Vischers. Auerbachs Tadel trifft vor allem die Zerschlagung der

Fabel, die "Decomposition", die Vischer vornimmt, und damit ver­ bunden den häufigen Wechsel der Erzählperspektive: "Da ist bald

Oberlicht, bald Seitenlicht hüben und drüben und Beleuchtung von unten, mit einem Wort ein unruhiges Licht". Er führt diesen schein baren Defekt, der uns als eine positive Eigenschaft des Romans vor­ kommt, auf das Fehlen eines bestimmten Konfliktes zurück, der das

"Zerflattern der Einheitlichkeit" verhindert und die von Auerbach 19 gewünschte Konzentration bewirkt hätte: "Der Held hat keinen bestimmten Conflict zu besiegen oder zu lösen, worin sich die Ge- sammtheit seiner Kraft anspannt und herausarbeitet, er ist einem

Schicksal unterworfen.... Auch die Dichtung steht unter der 20 Führung der 'Frau von Vorsehung, geborenen Zufall1". Trotz dieser Einwände spricht Auerbach Vischers Werk seine Anerkennung 15 21 aus und zählt es "zum höheren Besitzthum des deutschen Volkes".

Friedrich Spielhagens Kritik von fluch Einer, die zuerst in

Westermanns Monatsheften veröffentlicht wurde und später in über­ arbeiteter Form einen Abschnitt seiner Beiträge zur Theorie und

Technik des Romans bildete, kreist in erster Linie um die Genre­ frage.22 Er verwirft den Vorschlag einiger Kritiker, in dem Unter­ titel "Eine Reisebekanntschaft" einen neuen literarischen Typus zu sehen, da er "an der Schaffung eines neuen poetischen Genus 23 starke apriorische Zweifel" hat. Obwohl Spielhagen betont, dass sich die Romanform durch eine "ausserordentliche Dehnbarkeit" aus­ zeichne, und er Wilhelm von Humboldts sehr allgemeine Definition der epischen Dichtgattung seinem Aufsatz zugrunde legt, die im

Roman die "dichterische Darstellung einer Handlung durch Erzählung" sieht, "welche (nicht bestimmt, einseitig eine gewisse Empfindung zu erregen) unser Gemüt in den Zustand der lebendigsten und allge­ meinsten Betrachtung versetzt", misst er fluch Einer an strengen, auf 24 seiner eigenen Romantheorie basierenden MaBstäben. Da er in Al­ bert Einhart den "modernen Don Quijote" sieht, fühlt er sich be­ rechtigt, Vischers Werk mit dem des Cervantes zu vergleichen, und natürlich geht ein solcher Vergleich zu Ungunsten des Ersteren aus.

Spielhagen vermisst vor allem die objektive Darstellung der tollen

Welt, gegen die der Held anzukämpfen hat, und er bemängelt - ähn­

lich wie Auerbach -, dass "wir alles oder so gut wie alles aus 25 zweiter und manchmal aus dritter Hand" erfahren. Dass das Tage­ buch Albert Einharts uns einen direkten Einblick in dessen Innenleben 16 gewahrt, läßt Spielhagen somit völlig außer acht. Er führt die vermeintlichen Defekte des Romans darauf zurück, daß der greise «« Ästhetiker ein Neuling sei, was das Abfassen eines solchen Werkes angehe: "Er hat fleißig und redlich und solid gearbeitet, aber mit etwas stumpfen Werkzeugen und nach einer veralteten Methode und der

Übung ermangelnd, die nun einmal in jedwedem Handwerk den Meister macht".26 Am Ende seines Aufsatzes besinnt sich Spielhagen jedoch auf die lobenswerten Eigenschaften des Romans und schwächt den recht schroffen, vielleicht durch persönliche Ressentiments erklärbaren

Ton seiner vorangehenden Kritik ab, wenn er den Auch Einer folgen­ dermaßen einschätzt:27

Ein Werk, an dem auch die Meister des Handwerks ihre helle Freude haben müssen, weil es, wenngleich in der Ausführung unbeholfen und vielleicht ungeschickt, doch so grandios concipiert ist, wie es eben nur ein weltweiter Kopf und ein weltweites Herz vermögen; ein Werk, das, trotz seiner Mängel, zu studieren und zu lesen 'keine Pferdearbeit', sondern ein höchster, schier unerschöpflicher Genuß; ein Werk, köstlich mundend wie ein edelster Wein, wenn auch der Kenner herausspürt, daß er noch nicht völlig flaschen­ reif; ein Werk, ganz durchglüht von Feuergeist und geniale Funken sprühend, wo man es nur berührt, ein Werk, auf das jede Litteratur der Welt stolz sein müßte und das, wie es da ist - mit seinen Schwächen und Mängeln, die, nimmt man alles in allem, so leicht wiegen, und seinen glänzenden Vorzügen und unvergeßlichen Schönheiten - doch nur ein Deutscher schreiben konnte.28

Wolfgang Kirchbachs "Auch eine Rezension - kurz, man versteht mich!" nimmt Vischer gegen die Verdammungsurteile solcher Kritiker wie Spielhagen in Schutz und weist mit Recht den Vorwurf handwerk­ licher Mängel zurück: "Alles, was dir fehlerhaft erscheint an dem

Buche,wird wohl erwogen sein vom Dichter,und es ist deine Aufgäbe,diese 17

Erwägungen zu verfolgen und zu sehen, wie Eines notwendig aus 29 dem Anderen entsprang". Ebenso wie Spielhagen konzentriert sich Kirchbach auf die Genrefrage, doch .kommt er im Gegensatz zu diesem zu dem Ergebnis, dass wir tatsächlich einen "richtigen"

Roman vor uns haben, nicht nur einen, der so heisst: "Das be­ gründe ich aber durch die Ansicht, dass der Ausbau des Ober­ stocks nach bestimmter Richtung im Individuum als solchem das

Kennzeichen und wesentliche Moment jedes echten Romans ist und sein soll".30 Die ungewöhnliche Struktur von Auch Einer sieht

Kirchbach schon in Goethes Werther vorweggenommen, und Vischers

Humor erinnert ihn an Lawrence Sterne und Lichtenberg.3^ Ab­ schliessend gibt er zu bedenken, dass mancher Kritiker Uber der

Krittelei an vermeintlichen handwerklichen Mängeln und Unbe- holfenheiten den Gehalt und die Aussage des Werkes vernachlässigt hat: "Dieser Auch Einer ist ein mächtiges Mahnwort an ein leider nur zu vielfach geistig und sittlich verfahrenes Geschlecht....

Es ist nach langer Zeit wieder einmal eine litterarische Tat 32 und mehr als das: eine sittliche That".

Ebenso wie Kirchbach verteidigt Richard Weltrich in seiner 33 Besprechung den Aufbau von Auch Einer. Er weist Emil Feuerleins

Ansicht, dass das Werk eine Häufung zusammenhangloser Bruchstücke sei, zurück, indem er betont, dass der Zweck der Komposition eine

"langsame Auflichtung" sei und dass sich die einzelnen Teile zu­ einander wie Rätsel und Enthüllung verhalten: "Der Process dieser

Lösung ist eine Pointe der stofflichen Anordnung, und er schreitet vor von Anonymität und Fraglichkeit der geschilderten Person bis zur Mittheilung des eigentümlichsten und vertraulichsten, was ein Mensch besitzt, des Tagebuchs".'54 Weltrich findet das Zögern

Vischers, seinen Auch Einer als Roman zu bezeichnen, verständlich, da er in dem Werk ein psychologisches Gemälde sieht, in dem die

"Erzählung des Geschehenden" eine untergeordnete Rolle spielt.

Weltrich vermutet ausserdem, dass Vischer sein Werk solchermassen aus der Masse der Romanerscheinungen herausheben wollte. Trotz allem entschliesst sich Weltrich am Ende seiner Rezension doch dazu, es in die "grosse Gattung des Modern-Epischen, des Romans" einzuordnen. 35

Nach diesen ersten, in ihrer Bewertung des Romans recht ge­ gensätzlichen Rezensionen liess die Diskussion um Auch Einer zwar etwas nach, doch blieb das Buch weiterhin im Bewusstsein der lite­ rarischen Öffentlichkeit, wie die Besprechungen beweisen, die die

Neuauflagen des Werkes begleiteten.^ Während sich die frühen Re­ zensenten vor allem mit der äusseren Form beschäftigten, richten viele der späteren Kritiker ihr Augenmerk auf die Aussage und den

Gehalt von Auch Einer. Wendelin Haverkamp schreibt zu diesem Wandel in der Rezeption:

Die Rezeption des "Auch Einer" ... ist nicht mehr von der Auseinandersetzung um die gattungsmässige Einordnung des Werkes gekennzeichnet, sondern von zunächst unter­ schiedlicher, dann recht eindeutiger ideologischer In­ anspruchnahme ... 37 Eine für die damalige Zeit recht ungewöhnliche Bewertung stammt von Peter Hille, der 1885 das "frappierende Buch" als den

Ausdruck einer anti-idealistischen Weltanschauung interpretiert:

"Wir haben es hier mit einer Natur zu thun, welche volle Atemzüge thut in die Wirklichkeit und ein gut Stück Wirklichkeit an seine zwingenden Nüstern hinanzieht in seiner köstlichen Gesundheit".3®

E. Märkle hingegen sieht 1904 in Albert Einhart den echten Idealisten und empfiehlt ihn der damaligen Jugend als Vorbild.39 Daß Märkle mit dieser Auffassung nicht allein steht, sondern als repräsentativ für seine Zeit angesehen werden kann, zeigt der folgende Leserbrief, der am 2. August 1897 in der Danziger Zeitung abgedruckt wurde:

Wir sind alle 'Auch Einer', müssen den Kampf des Lebens aufnehmen und suchen siegreich daraus hervorzugehen. Thu' deine Pflicht und strebe nach dem Guten, Höchsten, sagt Vischer, erreichen wirst du nie alles, denn uns Menschen ist eine Grenze gesetzt, aber im Streben liegt der Himmel. Oder: Der Geist ist eine Mühle, die le­ bendiges Wasser treibt. Es fragt sich aber was dieser Mühle aufgeschüttet wird, Spreu zerreibt die Räder usw.

'Auch Eine', die das Glück hatte, Fr. Vischers Vor­ lesungen zu hören und seine hochethischen Lehren in sich aufzunehmen.

Ähnliche Meinungen werden vertreten von einem anonymen Rezen­ senten, der 1904 das Buch "ohne Frage eine gesunde, befreiend und kräftigend wirkende Lektüre" nennt, und Theodor Heuss, für den

Vischer "ein sonderlicher Seelentrost" darstellt.^

Würdigungen von Vischers Leben und Wirken, die nach dessen

Tod (30. Juni 1887) erschienen, befassen sich vielfach mit Auch

Einer und vor allem mit der Frage nach den autobiographischen Elementen. Rudolf Krauss glaubt, dass sich "Held und Dichter ... bis zu einem sehr weitgehenden Masse decken", und Ottomar Keindl

sieht in dem Roman eine "poetische Beichte" und den "Akt persön­

licher, fein ironisierender Selbstoffenbarung".^1 Trotz aller

Ähnlichkeit, die sich zwischen dem Autor und seinem Geschöpf fest­

stellen lässt, werden die Unterschiede von den Kritikern nicht

übersehen. So betont Theodor Klaiber, dass Auch Einer keine

Selbstbiographie, auch kein autobiographischer Roman sei, da

Vischer die Schicksale des Helden frei erfunden habe, und J.G.

Oswald kommt nach einem ausführlichen Vergleich zu dem salomonischen

Urteil: "Strich für Strich sich selber nachgezeichnet und doch ein 42 anderer als er!"

Zu Beginn dieses Jahrhunderts erschienen schliesslich Disser­

tationen, die sich eingehend mit Auch Einer beschäftigen, sowie

Franza Feilbogens detaillierte Studie. In der frühsten dieser

Dissertationen verfolgt Hans Heinrich ZiBeler die Entstehungsge­

schichte, indem er bestimmte Motive und Ideen des Romans in

Vischers Notizenheft 'Aliena et propria' (1832), den Novellen

'Freuden und Leiden des Skribenten Felix Wagner' und ’Cordelia'

(1836), der Aesthetik (1846-57) und den Kritischen Gängen (1860-

73) aufzeigt.^ Bei der Besprechung der eigentlichen Entstehungs­

geschichte beschränkt sich ZiBeler leider auf Vischers eigene Aus­

sagen in Briefen und dem Zusatz zu 'Mein Lebensgang',er vermag da­

her nichts Neues zu diesem interessanten Problemkreis beizutragen.

Am Ende seiner Dissertation verlässt ZiBeler sein eigentliches 21

Thema und befaßt sich mit der Frage nach dem Genre, wobei er zu dem fragwürdigen Ergebnis kommt, Vischers Auch Einer sei kein Ro­ man, da er beschreibe und nicht darstelle.^

Harry KUrbs trügt in seiner streng positivistisch ausgerichte­ ten Dissertation, die 1914 entstand, eine Menge an Information Uber

Vischers Quellen für die Pfahldorfgeschichte und den zeitgenössi­ schen Hintergrund zusammen. Er bleibt jedoch bei einer Aufzählung von Fakten stehen und vermag nicht zu einer Interpretation des 45 Werkes vorzudringen.

Bei weitem die umfang- und ertragreichste Untersuchung stellt

Franza Feilbogens Studie dar, die 1916 veröffentlicht wurde.

Nach einem Überblick über Vischers Leben und Werk gibt die Autorin eine kurze Zusammenfassung der komplexen Handlung, bespricht die einzelnen Charaktere und widmet sich ausführlich der eingeschobe­ nen Pfahldorfgeschichte, wobei sie vor allem der satirischen Be­ handlung zeitgenössischer Erscheinungen und den Quellen, auf die

Vischer zurückgriff, ihre Aufmerksamkeit schenkt. Neben der Be­ handlung des philosophischen und religiösen Ideengutes enthält die

Studie Abschnitte Uber die literarischen Vorgänger und die zeit­ genössische Rezeption. Den schwächsten Teil stellt das Kapitel

über die Form des Auch Einer dar. Der Komposition widmet Feilbo­ gen leider nur sieben Seiten, und sie kommt zu dem Ergebnis, daß in der Form eine Schwäche des Buches liege, während der Inhalt seine

Stärke sei - ein Urteil, das noch bei der Mehrzahl späterer Kri­ tiker zu finden ist.^7 Bei dem Versuch einer Einordnung in eine literarische Gattung stellt die Autorin zunächst fest, daß das

Werk "aller Formen spottet" und entscheidet sich schließlich zu folgender Verlegenheitslösung:

... kein Roman, keine Novelle, sondern eine humor- durchdränkte [sic] Satire, ein loses Allerlei, das von der markigen Gestalt des Helden zusammengehalten wird. Wir könnten in diesem Sinne dem Dichter seinen Willen tun und die von ihm gewünschte Bezeichnung 'Capriccio' gelten lassen.4“

Trotz dieser Unzulänglichkeiten stellt Feilbogens Studie einen wichtigen Beitrag zur Forschung dar, der in manchem auch heute noch nicht überholt ist.

Das Interesse der Kritiker an Vischers Roman, das zu Beginn des Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreicht hatte, ging seit den dreißiger Jahren stark zurück, was man wohl darauf zurückführen kann, daß das Buch beim Lesepublikum mittlerweile in Ungnade ge­ fallen war:

Ende der zwanziger Jahre bahnte sich allmählich ein Umschwung an, der dann sehr bald zu einer Abwertung des Werkes führen sollte .... Hatte man den Auch Einer bisher als Teil der eigenen Gegenwart empfunden, so stand man ihm fortan kühl musternd, fast fremd ge­ genüber. Nun interessierte dieses Buch, wenn über­ haupt, nur noch allgemein als historisches Dokument, während es früher etwas gewesen war, das den einzelnen, sei es in Zustimmung oder Abwehr, unmittelbar berührt, ergriffen und bewegt hatte. Menschen, die das Werk lasen und schätzten, gab es wohl auch künftig; doch die Zeitströmung, die es - zuerst langsam, später immer schneller - zu einem Hausbuch des gebildeten Mittel­ standes gemacht hatte, war ein für allemal versiegt. In den fünfziger und sechziger Jahren ereignete sich jedoch

überraschenderweise eine 'Auch Einer-Renaissance1; die von Ger­ manisten in England und den U.S.A. ausging, die in der wegweisen­ den Untersuchung Reinhold Grimms zur Rezeption des Romans einen

Höhepunkt erreichte, und die noch bis zum heutigen Tag andauert, wie die Aufsätze von Gönter und Ingrid Oesterle und die Disser­ tation Wendelin Haverkamps beweisen.

Der erste Aufsatz aus dieser Periode stammt von Ruth Heller, die Auch Einer als "the epitome of F.Th. Vischer's philosophy of life" interpretiert: "... Auch Einer, thouqh never precisely bio- graphical, is always a personal story: it is Vischer revealed in 50 many attitudes and situations in the person of the hero ...".

Obwohl sich die Autorin in erster Linie mit dem philosophischen

Gehalt des Romans beschäftigt, berücksichtigt sie auch dessen formalen Eigenheiten. So erkennt sie, daß die Rahmenerzählung und das Tagebuch wie die Teile eines Puzzles ineinander verzahnt sind, und sie vermeidet die bei früheren Interpreten beliebte

Gleichsetzung von Vischer und Albert Einhart: "... in [the two fellow travelers] we now see a double portrait of Vischer him- self, with A.E. representing the artistic, oversensitive and eccentric features, while the 'Reisekamerad' embodies the matter of fact qualities of his character".^

Ebenso wie Heller deutet Harvey W. Hewett-Thayer den Roman 52 als Ausdruck von Vischers Weltanschauung. Da er sich auf den 24 anti-kirchlichen Zug konzentriert, den er in der Pfahldorfgeschichte besonders stark ausgeprägt findet, gelangt er zu einer sehr ein­ seitigen Beurteilung Vischers und des Auch Einer: "... his anti- church attitude was a veritable Obsession, a mastering passion 53 which left a trail over many pages of his works".

W.H. Bruford klassifiziert in seinem Aufsatz Vischers Buch als "a novel of ideas" und interpretiert Albert Einharts Tagebuch als den Versuch, die vorherrschende Zeitstimmung wiederzuspiegeln:

"... [it] reflects in general what had happened to Weimar idealism in an increasingly unfavourable environment, and in spite of its writer's disappointments and tragi-comical experiences, the atti­ tude to life it suggests is still on the whole positive and opti- 5 h mistic". Im Gegensatz zu Bruford werden wir zeigen, daB die

Stimmung und Lebenshaltung im Auch Einer vielmehr pessimistisch ist, und daß sich dieser Pessimismus in der Form des Roman nie­ derschlägt. Bruford hat den innovativen Charakter des Werkes als einer der ersten hervorgehoben, wenn er in dem Experimentieren mit einem "multiple approach" Vischers Bemühen um "a more con- 55 sistent realism than German novelists had yet attempted" sieht.

wahrend Heller, Hewett-Thayer und Bruford die inhaltlichen

Komponenten in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stellen, kommt Reinhold Grimm in seinem 1969 veröffentlichten Aufsatz, auf den wir schon in unserer Einleitung eingegangen sind, auf die immer noch nicht vollständig gelöste Frage nach dem Genre 25 zurück. Obwohl er es sich in erster Linie zur Aufgabe macht, die Rezeptionsgeschichte des Auch Einer zu untersuchen, geht er doch weit über das gesetzte Ziel hinaus und argumentiert überzeu­ gend, daß der Roman "eine Etappe auf dem Weg ins 20. Jahrhundert" 57 markiert. Wendelin Haverkamp baut zwar in seiner 1981 veröffent­ lichten Dissertation Aspekte der Modernität. Untersuchungen zur

Geschichte des "Auch Einer" von Friedrich Theodor Vischer auf

Grimms Studie auf, beschäftigt sich jedoch nicht direkt mit der

Frage, welche Bedeutung der Roman für die Gattungsgeschichte be­ anspruchen darf. Haverkamp geht es vielmehr darum, aufzuzeigen,

"daß die poetische wie sekundärliterarische Rezeption ein in we­ sentlichen Punkten falsches Bild Vischers und seiner grundsätz­ lichen Intentionen aufbaute und bis heute konservierte", und er 58 versucht anhand seiner Interpretation dieses Bild zu berichtigen:

Tatsächlich ist A.E.s Problem als Problem menschlicher Existenz bereits das des 20. Jahrhunderts; die Versuche aber, der Verurteilung zum Monolog durch die unbegrenzte Vervielfachung des Ich in der Selbstbespiegelung, in der - bis in einen rauschärtigen Zustand steigerbaren - zer­ gliedernden Nervosität der Reflexion zu entgehen oder in eine zwar nicht bebilderte, aber jenseitig begründete Hoffnung auf Erlösung, in einen pantheistisch verbrämten, aber nationalistisch, ja rassistisch ausfallenden "Natur"- Glauben zu fliehen, hat Vischer so und hätte er nie ge­ billigt.59

Selbst die Aufsätze von Günter und Ingrid Oesterle mit den an­

spruchsvollen Titeln "Die Grablegung des Selbst im Ändern und die

Rettung des Selbst im Anonymen. Zum Wechselverhältnis von Biogra­ phie und Autobiographie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 26 am Beispiel von Friedrich Theodor Vischers Auch Einer” und "Ver­

übelte Geschichte. Autobiographische SelbstentblöBung, komische

Selbstentlastung und bedingte zynische Selbstbehauptung in Fried­ rich Theodor Vischers Roman Auch Einer" vermögen nicht, die Frage nach der gattungsgeschichtlichen Bedeutung des Romans zufrieden­ stellend zu beantworten, da sich die Verfasser auf die Frage des

Verhältnisses von Biographie und Autobiographie beschränken, teil­ weise recht interessante Beobachtungen unter schwer verständlichem

Jargon begraben und zudem ihre Behauptungen selten durch Belege aus dem Roman untermauern.^ Die Forschungsvorschläge, die Grimm

1969 in seiner Studie gemacht hat, harren somit immer noch einer eingehenden Beschäftigung, und wir hoffen, mit dieser Arbeit einen

Beitrag zu der Frage zu liefern, inwieweit Vischers Roman als "eine

Etappe auf dem Weg ins 20. Jahrhundert" betrachtet werden kann. ANMERKUNGEN

Das Buch war vorausdatiert und trug den Jahresvermerk 1879. Die Veröffentlichung erfolgte entweder im September oder, wofür mehr spricht, Oktober 1878. Vgl. Franza Feilbogen, Fr.Th. Vischers 'Auch Einer'. Eine Studie (Zürich: Orell FüBli, 191677 S.54, An­ merkung 1 und S.183, beziehungsweise Richard Weltrich, "Sechs Briefe Friedrich Vischers an Weltrich," Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 29.6.1907, S.47, Anmerkung 1 und Adolf Rapp, hrsg., Brief­ wechsel zwischen StrauB und Vischer (Stuttgart: Klett, 1953), Band II, S.337. 2 Zur frühen Rezeption siehe Feilbogen, Vischers 'Auch Einer', S.185-90 und die detaillierte Studie von Reinhold Grimm, "Zur Wirkungsgeschichte von Vischers Auch Einer," in: Helmut Kreuzer, hrsg., Gestaltungsgeschichte und Gesellschaftsgeschichte. Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaftliche Studien (Stuttgart: Metzler, 1969), S.352-381.

Fritz Mauthner, "Rezension," Das Wochenblatt , 9.11. 1878; Wilhelm Lang, "Jean Paul Redivivus," Im neuen Reich, Leipzig, 48 (1878), S.781-89; Liebmann, "Rezension." Neue Frankfurter Presse, 29.11.1878; Paul Nerrlich, "Rezension," Leipziger Zeitung, Wissen­ schaftliches Blatt, 22.12.1878.

^ Johann Georg Fischer, "Rezension," Staatsanzeiger für Württem­ berg, 8.12.1878; Richard Weltrich, "Rezension," Beilage zur Allge­ meinen Zeitung, 7.-10.1.1879, S.89-91, 106-08, 122-24, 138-40.

^ Richard Weltrich, "Fr.Th. Vischer," in: Allgemeine Deutsche Biographie 40 (1895), S.32.

^ Zu den zurückhaltenden Besprechungen zählen die von Hevesi im Pester Lloyd, 30.10.1878, und Emil Feuerlein in der Allgemeinen Zeitung Augsburg, 20.11.1878. Abfällig äusserte sich W. Kawerau in der Allgemeinen Literarischen Correspondenz für das gebildete Deutschland, Leipzig, 1.4.1879.

7 Deutsches Museum, 3.-6.5.1879, zitiert nach Grimm, "Zur Wirkungsgeschichte," S.359.

27 28

Q Berliner National-Zeitung, 22. November 1878. Glogau er­ kannte nicht das positive Portrait Kellers, das Vischer in der Fi­ gur des Barden Kullur zeichnete. Vgl. hierzu Hans Trog, "Fr.Th. Vischer und Gottfried Keller," Zürcher Taschenbuch, 1908, S. 268 f. Q Friedrich Theodor Vischer, Dichterische Werke (Leipzig: Ver­ lag der Weißen Bücher, 1917), Band III, S. 187-90. Vgl. Vischers Brief vom 5. Dezember 1878 an seinen Sohn Robert, mitgeteilt von Fritz Schlawe in der Biographie Friedrich Theodor Vischer (Stutt­ gart: Metzler, 1959), S. 363: "Diese Giftsau macht mir das Ganze zu einem Pasquill, und die Redaktion nimmt den Artikel!"

113 S[idonie] B[inder], "Die Frauen in Friedrich v. [sic] Vischers Auch Einer," Staatsanzeiqer für Württemberg, Beilage, 25. Februar 1879, S. 38.

11 Berthold Auerbach, "Wissen und Schaffen. Aphorismen zu Fried­ rich Vischer's Auch Einer," Deutsche Rundschau, XIX (April, Mai, Juni 1879), 270.

Auerbach verwendet in diesem Zusammenhang selbst das Wort "Experiment", ebd., S. 288.

So in der vom Verlag Peter J. Oestergaard veranstalteten Ausgabe (Berlin-Schöneberg, [um 1933]).

15 Auerbach, S. 289.

16 Ebd., S. 271.

17 Ebd.; der Zusatz zu.Vischers "Mein Lebensgang" erschien zu­ erst in der Sammlung Altes und Neues (Stuttgart: Adolf Bonz, 1882) und wurde von Vischers Sohn Robert später im zweiten Band der Kri­ tischen Gänge wiederabgedruckt (München, o.D.).

Auerbach, S. 277, 292 und 286.

19 Ebd., S. 291.

20 Ebd., S. 273.

21 Ebd., S. 295.

9 9 Friedrich Spielhagen, "Zur Technik des Romans. Gelegentlich Friedrich Theodor Vischers Auch Einer," Westermanns Monatshefte, 46 (1879), 213 ff.; "Ein 'humoristischer1 Roman. Fr. Theodor Vischers Auch Einer," in Beiträge zur Theorie und Technik des Romans (Leip­ zig, 1883), S. 103-28. Ich zitiere nach dem 1967 bei Vandenhoeck 29 und Ruprecht in Göttingen erschienenen Faksimiledruck der ersten Auflage. 23 Ebd., S. 108. 24 Ebd. 25 Ebd., S. 124. 26 Ebd., S. 127. 27 Die persönliche Animosität tritt zutage, wenn sich Spiel­ hagen als Zwerg sieht, der mit dem Riesen Vischer im Kampf liegt (ebd., S. 109).

28 Ebd., S. 128. 29 Wolfgang Kirchbach, "Auch eine Rezension - kurz, man ver­ steht mich!" in Ein Lebensbuch. Gesammelte kleinere Schriften, Rei- seqedanken und Zeitideen (München, Leipzig: Otto Heimrichs, 1886), S. 130.

30 Ebd., S. 146 f. Kirchbach behauptet fälschlicherweise, "er [Spielhagen] meint, es sei kein Roman" (ebd., S. 131).

31 Ebd., S. 148.

32 Ebd., S. 149. 33 Da mir Weltrichs Rezension nicht im Original vorlag, zi­ tiere ich nach Reinhold Grimm, "Zur Wirkungsgeschichte".

34 Ebd., S. 368.

35 Ebd.

36 U.a. Franz Blume, "Zu Fr. Theod. Vischers Auch Einer," Mo­ natsblätter für deutsche Literatur, 3 (1898/99), 225-32; Theodor Klaiber, "F.Th. Vischer," Monatsblätter für deutsche Literatur, 8 (1903/04), 392-96; E. Märkle, "Auch Einer," Stuttgarter Morgen­ post, 6. April 1904; R. Schaefer, "Rezension," Neues Tagblatt, 19. Mai 1906; E. Trautmann, "Deutung des Romanes Auch Einer," Münchner Neueste Nachrichten, 300 (1907); N.N., "Rezension," Süddeutsche Zeitung, 18. Dezember 1926. 37 Wendelin Haverkamp, Aspekte der Modernität. Untersuchungen zur Geschichte des "Auch Einer" von Friedrich Theodor Vischer (Aachen: Cobra, 1981), S. 68.

38 Peter Hille, "Friedrich Theobald [sic] Vischer: Auch Einer," Völker Muse Berlin, 15. Oktober 1885, S. 5. 30

39 E. Mörkle, "Auch Einer," Stuttgarter Morgenpost, 6. April 1904; vgl. Reinhold Grimm, "Zur Wirkungsgeschichte," S. 352.

40 N.N., "Rezension," Schwäbische Chronik, 209, 6. Mai 1904; Theodor HeuB, "Ober Vischers Auch Einer," Marz, 10 (1916), 58.

41 Rudolf KrauB, "Friedrich Vischer als Dichter," Deutsche Monatsschrift für das gesamte Leben der Gegenwart, 6 (1907), 374; Ottomar Keindl, Friedrich Theodor Vischer. Gedenkblatter zur Jahr­ hundertfeier seines Geburtstags (Prag: Neugebauer, 1907), S. 23. Vgl. auch Theobald Ziegler, Friedrich Theodor Vischer. Vortrag, gehalten im Verein für Kunst und Wissenschaft zu Hamburg (Stutt- gart: Göschen, 1893), S. 43: "Und dieser 'Auch Einer* - ist Vischer. Natürlich karikiert, natürlich übertrieben!".

Zl9 J.G. Oswald, Friedrich Theodor Vischer als Dichter (Hamburg, 1896), S. 32; Theodor Klaiber, Friedrich Theodor Vischer (Stuttgart: Strecker & Schröder, 1920), S. 105.

43 Hans Heinrich ZiBeler, Beitrage zur Entstehungsgeschichte der Dichtung Auch Einer von Friedrich Theodor Vischer, Diss. Rostock 1913 (Göttingen: Kästner, 1913JI

44 Ebd., S. 46. * 45 Harry Kürbs, Studien zur Pfahldorfgeschichte aus Friedrich Theodor Vischers Roman Auch Einer, Diss. München 1914 (Borna-Leipzig: Robert Noske, 1 9 1 4 ) . Außerdem geht Alfred Ibach in seiner Disser­ tation Gottfried Keller und Friedrich Theodor Vischer, Diss. Mün­ chen 1927 (Borna-Leipzig: Robert Noske, 1927) auf den Briefwechsel der beiden Männer anläßlich der Entstehung und Erstausgabe von Auch Einer ein und greift bei der Herausarbeitung der weltanschaulichen Übereinstimmungen häufig auf das Werk zurück. Wilhelm Helmich deu­ tet in seiner Dissertation Verfall und Umgestaltung des realistischen Seelenlebens bei Fr.Th. Vischer und C.F. Meyer, Diss. Kiel 1933 (Quakenbrück i. Hann.: Robert Kleinert, 1933) den Roman als ein Ober­ gangswerk und zieht ihn heran, um "die Entwicklung, die Höchstent­ faltung und [den] einsetzende[n] Verfall des realistischen Seelen­ lebens" darzustellen (S. 48). Helmich richtet in seiner Disserta­ tion sein Hauptaugenmerk auf die seelische Entwicklung Albert Ein­ harts und beschäftigt sich nicht mit den Formproblemen, die das Buch aufgibt.

46 Franza Feilbogen, Fr.Th. Vischers 'Auch Einer'. Eine Studie (Zürich: Orell FUBli, 191677 Von F. Feilbogen stammt außerdem das Nachwort zur Insel-Ausgabe des Romans (Leipzig, [1919]).

47 Feilbogen, Fr.Th. Vischers 'Auch Einer', S. 155.

48 Ebd., S. 169. 31

AQ Reinhold Grimm, S. 354. Die einzige ausführliche Diskussi­ on des Auch Einer zwischen 1930 und 1954 findet sich, soweit mir bekannt, in Ewald Volhards Buch über den Ästhetiker Vischer und konzentriert sich auf den weltanschaulichen Gehalt des Romans: Zwischen Hegel und Nietzsche. Der Ästhetiker Fr.Th. Vischer (Frankfurt: Klostermann, 1932), S. 197-222.

50 Ruth Heller, "Auch Einer: The Epitome of F.Th. Vischer's Philosophy of Life," German Life and Leiters, VIII (1954/55), 9.

51 Ebd., S. 15.

52 Harvey Hewett-Thayer, "The Road to Auch Einer," PMLA, 75 (1960), 83-96.

53 Ebd., S. 96. Vgl. ebd., S. 94 f.: "The present essay may seem a one-sided arraignment of Vischer both as a critic and a man. It is intentionally one-sided, since it selects a single aspect of Vischer's life and work, an aspect that hasbeenfor the most part completely ignored or glossed over". Siehe auch die Studie von Laurenz Müllner, "Auch Einer," in Literatur- und Kunstkritische Studien (Wien, Leipzig: Braumüller, 1895), S. 69-115. Müllner kritisiert ebenfalls Vischers Haltung organisierter Religion ge­ genüber: "Der echte Humor quillt nur aus der Gemüthsmacht des christlich-religiösen Glaubens und wird auf der kalten Denker­ höhe klügelnder Symbolik nie zur vollen Lebendigkeit erweckt werden können..." (S. 115).

Brufords Beitrag wurde zuerst unter dem Titel "The idea of 'Bildung' in F.Th. Vischer's Auch Einer" 1969 in der Sammlung Essays in German Language, Culture and Society, hrsg. S.S. Prawer, R.H. Thomas und L. Förster (, 1969), S. 7-17, veröffentlicht. 1975 erschien der Aufsatz als das siebte Kapitel von Brufords Buch The German Tradition of Self-Cultivation. 'Bildung' from Humboldt to Thomas Mann (London, New York: Cambridge University Press, 1975), nach dem hier zitiert wird (S. 154). Obwohl Bruford seinen Aufsatz überarbeitete, berücksichtigt er Grimms wichtige Untersuchung (1969) nicht.

55 Ebd., S. 152. 56 Abgesehen von Literaturgeschichten und anderen Nachschlage­ werken gehen die folgenden Werke aus den sechziger Jahren ebenfalls kurz auf Auch Einer ein: Herman Meyer, Der Sonderling in der deutschen Dichtung (München: Hanser, 1963), S. 223-28; Wolfgang Kayser, Das Groteske in Malerei und Dichtung (Reinbek: Rowohlt, 1960), S. 86-88; Lee Byron Jennings, The Ludicrous Demon. Aspects of the Grotesque in German Post-Romantic Prose (Berkeley: Univ. of California Press, 1963), S. 138-41. 57 Grimm, S. 380. 58 (Aachen: Cobra Verlag, 1981).

59 Ebd., S. 138. 60 In Vom Anderen und vom Selbst. Beiträqe zu Fraqen der Bio- graphie und Autobiographie, hrsg. Reinhold Grimm und Jost Hermind (Königstein: Athenäum, 1982), S. 45-70 bzw. 71-93. KAPITEL 2

VISCHERS ROMANKONZEPTION.

Bevor wir uns dem Romanautoren Vischer zuwenden, ist es ratsam, den Ästhetiker zu Rate zu ziehen und uns einen Überblick Uber seine

Romantheorie zu verschaffen. Es gilt zwar seit Vischers Zeiten als ausgemacht, daß der Roman Auch Einer nicht generell als "Exempel

ll 1 auf seine Ästhetik" betrachtet werden kann, doch ist es für unsere

Themenstellung von Interesse, inwieweit sich Vischer an seine eigene

Theorie gebunden fühlt und inwieweit er von ihr abweicht. Wir müssen jedoch vorsichtig sein, wenn wir von 'der' Romantheorie

Vischers sprechen und dürfen nicht dem Fehler verfallen, eine ein­ heitliche Konzeption anzunehmen und uns auf die Besprechung der

Aesthetik zu beschranken, wie dies in einer großen Zahl von Unter­ suchungen zur Romantheorie des Realismus geschehen ist (Ruckhäberle/ o Widhammer, Wehrli, Martini, Hillebrand, Strauss). Wir müssen viel­ mehr seine Romankritiken mitberücksichtigen, in denen er oft die in der Aesthetik formulierten Regeln modifiziert und erweitert hat:

"... seine Einsichten als Kritiker [reichen] oft weit Uber das ti 3 hinaus, was er als Ästhetiker zu formulieren wagt". Die chrono­ logische Besprechung der wichtigsten Schriften zum Roman wird die

Veränderung deutlich machen, die sich in seiner ästhetischen Theorie vollzogen hat, und die wir als einen Prozeß der Politisierung 34 kennzeichnen können, der von einem allmählichen Rückzug aus der

Wirklichkeit und einer Verinnerlichung gefolgt wird. Georg

Kurscheidt schreibt hierzu:

Es ist erstaunlich, wie sich im Werk Vischers, in seinem kunsttheoretischen Werdegang literarische Entwicklungen sammeln, die von der jungdeutschen Auffassung vom Typ des zeitkritischen, schrift- stellernden Literaten bis hin zur Rückkehr zu den klassisch-romantischen Vorstellungen von der schöpfe­ rischen Kraft des Genies und dem weitabgewandten Schaffen aus der Fülle der Phantasie reichen.4

A.

DIE REZENSION VON EDUARD MORIKES MALER NOLTEN.

Vischer verfaßte die Besprechung des Maler Nolten im Jahre

1833 auf die mehrfache Bitte seines Freundes Mörike hin und be­ absichtigte, sie in den angesehenen Berliner Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik zu veröffentlichen.5 Da die Berliner

Jahrbücher die Rezension jedoch jahrelang liegenlieBen, schickte

Vischer sie schließlich an die Hallischen Jahrbücher für deutsche

Wissenschaft und Kunst, die sie im Juni 1839 veröffentlichten, also fast sieben Jahre nach dem Erscheinen von Mörikes Werk.6

Obwohl sich Vischer verständlicherweise allzu scharfer Kritik enthält, nimmt er doch das Buch des Freundes zum AnlaB, mit der

Romantik abzurechnen und ihr die "moderne Literatur" entgegen­ zustellen, die an der Klassik orientiert ist.^ Da die Romantik durch eine "mystische Innerlichkeit" charakterisiert wird, ist sie nicht in der Lage, ein "objectives und umfassendes poetisches Lebensbild” (S. 62) zu geben, und sie ist daher für die zeit­ genössische Literatur nicht akzeptabel. Die Tatsache, daß die schwäbischen Romantiker die "objectiveren Gattungen der Poesie" wie Roman und Novelle vernachlässigt haben, scheint Vischer dafür ein symptomatisches Zeichen zu sein, denn diese haben "als wesent­ lich moderne Gattungen der Poesie nothwendig auch das Vielver­ schlungene, Getheilte, Complicirte moderner Zustände, die Dialektik eines reicheren, vielseitigeren Pathos, eines mannigfaltig ge­ brochenen geistigen Lichtes in sich aufzunehmen" (S. 61). Mörike ist in Vischers Augen eine Übergangsfigur; er hat den einen Fuß noch in der Romantik, den anderen jedoch "auf die Stufe des classisch- modernen Ideals emporgehoben" (S. 65). Im Maler Nolten bildet zwar die "naturgemäße klare Wirklichkeit", die Vischer in Anlehnung an

Hegel als "Gesetz der Oberwelt" bezeichnet, den Vordergrund, doch läßt Mörike die romantische Mystik in der Form des Dämonischen schließlich Uber die "gesunde, vernünftige Wirklichkeit siegen (S. 65)

... jener dunkle Grund, das dämonische Element, diese Nachtseite der Menschheit [hat] durch die entsetzlich fortschreitende Macht, die sie ausübt, die größere Realität, und es entsteht durch jene aufklärenden Winke nur ein Zwielicht, von dem man zu der Annahme einer irrationellen Nothwendigkeit immer zurückgetrieben wird, die letzte Folge aber ist ein unbefriedigender Schluß und ein Mangel an Einheit in der Grund-Idee. (S. 66)

Das Nebeneinander von romantischen und klassischen Elementen führe zu einer problematischen Vermischung von zwei verschiedenen

Romantypen - a) dem mythischen oder Schicksals-Roman und b) dem psychologischen oder Bildungsroman - wodurch die Einheit des Maler Nolten zerstört werde: "... beide Hälften gehen nicht in einander auf, so bewundernswürdig des Dichters künstliche Bemühungen sind, sie in einander zu verschmelzen, zugleich die verständige Wirk­ lichkeit und zugleich das Wunder zu retten" (S. 67). Für Vischer ist der Bildungsroman, das heiBt, "die Geschichte der Erziehung eines Menschen durch das Leben, die Liebe namentlich" (S. 67), der ideale Romantyp, und einige seiner Formulierungen im Mörike-Aufsatz deuten auf die Uber fünfzehn Jahre später veröffentlichte Aesthetik voraus. Hier wie dort ist der Romanheld der passive Mittelpunkt,

"in welchem die allgemeinen Lebensmächte, die der epische Dichter in ihrem breiten Nexus entfaltet, ihre Wirkungen sammeln" (S. 73).

Auch der Humor, dem Vischer in der Aesthetik einen Abschnitt widmet, und der im Auch Einer eine wichtige Rolle spielt, wird lobend am

Maler Nolten hervorgehoben. Mörike ist die Charakterzeichnung des

Schauspielers Larkens so gut gelungen, in dem "Zerrissenheit, Selbst- haB ... , Hypochondrie, Bizarrerie im Widerspruche mit gesundem

Herzen, klarer Einsicht, Innigkeit des Gemüths sich zu der komischen

Harmonie genialen Humors befreien"(S. 75 f.), daB er für Vischer würdig an die Seite des hochgeschätzten Jean Paul tritt.

Trotz aller Übereinstimmung führt jedoch nicht ein gerad­ liniger Weg vom Maler Nolten-Aufsatz zur Aesthetik, sondern Vischer wendet sich unter dem Einfluß der politischen Atmosphäre der vier­ ziger Jahre zeitweilig vom traditionellen Konzept der individuellen

Bildung ab und fordert gesellschaftliche Veränderungen. Wenn er nach dem Scheitern der 48er Revolution wieder zum Konzept des

Bildungsromans zuröckkehrt, dann nicht mehr vollkommen als Nach­ folger der Klassik, sondern vielmehr als Anwalt einer Mischung von D Klassizismus und Realismus. In welchem MaBe sich Vischers Politi­ sierung in den vierziger Jahren vollzogen hat, zeigt nicht nur seine Sue-Rezension aus dem Jahre 1844, der wir uns nun zuwenden wollen, sondern auch die distanzierende Vorbemerkung, mit der er den Wiederabdruck der Maler Nolten-Rezension in den Kritischen

Gangen (1844) versah: ” ... die Bildungskämpfe des Subjekts in seinen Privatzuständen sind jetzt genug dagewesen, wir wollen

Völkerkämpfe sehen".9

B.

DIE EUGENE SUE-REZENSION.

Die Veröffentlichung von Eugfene Sues Gesellschaftsroman

Les Mystbres de Paris in den Jahren 1842-43 löste nicht nur beim französischen, sondern auch beim deutschen Publikum rege

Diskussionen aus und hatte solch triviale Imitationen wie Ge­ heimnisse von Berlin, Geheimnisse von Wien und Geheimnisse von

Petersburg zur Folge.^ Die Besprechungen des Romans durch

Alexander Jung, Wilhelm Zimmermann, Max Stirner, Karl Marx u.a. konzentrierten sich auf dessen gesellschaftskritischen Gehalt und diskutierten die Lösungsversuche, die Sue für die gesell­ schaftlichen MiBstände angeboten hatte. Auch Vischer betont in seiner Rezension, die 1844 in den

Jahrbüchern der Gegenwart erschien, den politischen Aspekt des 12 Werkes und lobt die wirklichkeitsnahe Darstellung. Er wendet sich scharf gegen die "Transzendenzen und ... träumende [...]

Subjektivität der Romantik" in der zeitgenössischen Literatur und lobt an Sue den energischen Geist der Erfahrung, der schonungslos ins volle Leben hineingreift: "... wir wollen nur immer hören und erfahren, wie die Welt ist, welche scheußliche [sic] Übel unsere verdorbene gesellige Einrichtung in ihren Gedärmen ausbrütet"

(S. 148). Besonders lobend hebt er hervor, daß Sue nicht nur das ausbeuterische Verhalten der Oberschicht kritisiert, sondern daß er auch das daraus resultierende Elend der Proletarier schildert, die notgedrungen "Verbrecher aus Armut" werden (S.149).

Obwohl Vischer keinen Zweifel an der redlichen Absicht des

Autoren hat und ihm zugesteht, daß er "eine ernste und große

Wirkung" erreichen wollte, muß er ihm den Vorwurf der Effekt­ hascherei machen. Die gräßlichen Bilder des Buches rufen beim

Leser ein "wollüstiges Grausen" hervor, stumpfen ihn ab und ver­ hindern somit den gewünschten kathartischen Effekt. Was für

Vischer jedoch noch schwerer wiegt, ist die Tatsache, daß Sue zwar die Übel bis an ihre Wurzeln verfolgt und die unterliegenden gesellschaftlichen Widersprüche aufdeckt, daß er jedoch vor einer radikalen Lösung zurückschreckt und versucht, die Grundübel "durch

Flicken [zu] verbessern" (S. 149). Vollkommen unglaubwürdig und schon fast lächerlich wird Sue für Vischer, wenn er einem 39 ausländischen Fürsten die Rolle des deus ex machina überträgt, die Bösen zu bestrafen und die Guten zu belohnen:'*''5

Republikaner, Kommunist in der Gesamtstimmung, die seine Materie erregt, ist er [Sue] Absolutist in seinen Grundsätzen; die ungleiche Austeilung des Vermögens, das unendliche Mißverhältnis zwischen Arbeit oder Arbeitsfähigkeit und Genuß benutzt er als Hebel eines ungeheuren Mitgefühls mit dem Volke, und dieses Mitgefühl tröstet er aus Budget und Apanagen. (S. 150)

Vischer sieht vielmehr in "einer großen organischen Umbildung des ganzen Staatslebens" (S. 149) die einzige Möglichkeit, den ge­ schilderten MiBständen Abhilfe zu schaffen. Während es recht offen­ sichtlich ist, daß Vischer unter "Umbildung” der Gesellschaft aktives politisches Handeln versteht und nicht, wie Claus Richter meint, "die

Idee der individuellen Bildung durch Poesie",deutet das Beiwort

"organisch" auf seine Abneigung gegenüber allzu radikalen Umwälzungen hin. Dies steht in Einklang mit Vischers Teilnahme an der 48er Revo­ lution und Rolle im Frankfurter Parlament als Mitglied der gemäßigten 15 Linken nach dem Prinzip "sanfte Vorbereitung der Republik".

Vischers Forderung nach gesellschaftlicher Veränderung als Vor­ aussetzung für Kunst tritt im zweiten Teil der Sue-Besprechung noch pointierter hervor, in dem er sich mit dem Problem der künstlerischen

Behandlung des Stoffes beschäftigt. Er stellt die Frage, ob die

Thematik des Romans eine "Erhebung in die ideale Schönheit" (S. 150 f.) erlaubt, und ob der Stoff einer ästhetischen Durchdringung, bzw.

"Umbildung zur reinen Kunstform" (S. 151) fähig sei, und er verneint sie. Vischer kommt nicht deshalb zu diesem negativen Ergebnis, weil er sich daran stößt, daß das Häßliche und Schreckliche eine wichtige Rolle in Sues Werk spielen, sondern vielmehr, weil der

Romanschluß unbefriedigend ist. Häßliche Elemente haben für Vischer ihre Existenzberechtigung, wenn sie "sparsam und bloß am gehörigen

Orte" durchbrechen, und er gesteht Sue zu, daß er im Schrecklichen

"eine wahre poetische Kraft" entwickelt (S. 151). Sues Kunstgriff,

Greuelszenen mit idyllischen Szenen zu kontrastieren, findet Vischers besondere Zustimmung, und wir gehen sicher nicht fehl in der Annahme, wenn wir in diesen "Oasen" und "leuchtende[n] Stellen" (S. 61) die

Vorläufer der vielzitierten "grünen Stellen" sehen. Was Vischer an den Mysteres de Paris in erster Linie auszusetzen hat, ist das Fehlen eines optimistischen Schlusses, der im Leser Hoffnung weckt (hier zeigt sich, daß Vischers Romantheorie in gewissem Maße am Drama orientiert ist, das er als die höchste Kunstform betrachtet):^

Wir verlangen, wenn von einer wahrhaft ästhetischen Durchführung die Rede sein soll, ein Bild, welches einen Prozeß der Bewegung in sich darstellt, einer Bewegung, welche durch Schauer und Elend zu einem versöhnenden Schlüsse führt. (S. 152)

Da dies in Sues Roman nicht der Fall ist, wird der Leser ihn

"ohne alle Erhebung und Versöhnung mit einem wüsten Kopfe, einem leeren Herzen, einer trüb aufgewühlten Phantasie aus der Hand legen"

(S. 153). Schuld daran ist jedoch nicht der Autor Sue, sondern die zeitgenössische Wirklichkeit, die ein 'happy ending1 nicht zuläßt.

Für Vischer sind die realen Zustände nämlich immer eine Grundlage der Kunst (S. 152: "wahre Poesie [ist] nur die Blume der Wirklichkeit 41 selbst"), und solange diese nicht in Ordnung sind, wird auch die Literatur unvollkommen sein: "Eine ... Aussicht [auf eine

Umänderung im Organismus der Gesellschaft] ist in der Geschichte und Wirklichkeit selbst noch nicht gegeben: woher soll sie die

Poesie nehmen?" (S. 152). Sues Mystkres de Paris müssen daher als das charakteristische, da unvollkommene Produkt einer Übergangs­ periode angesehen werden:

Poesie kann man dies nicht nennen, aber wenn es einmal wieder eine geben wird, so werden solche Erscheinungen als höchst bedeutende Symptome der Krisis erkannt werden, worin Zustände sich vorbereiteten, welche eine Poesie wieder möglich machten; durchdringende Schmerzenslaute, welche die Zeit in ihren Wehen ausstieB und an welchen gleichgültig vorüberzugehen keine Ehre bringt. (S. 163)

Vischer glaubt also nicht an eine realistische Kunst, die durch die Aufdeckung der gesellschaftlichen Widersprüche dabei helfen könnte, die mangelhafte Wirklichkeit zu verbessern.17 Sein Beharren auf der Veränderung des Unterbaus als Voraussetzung für eine neue

Kunst wird in dem Moment problematisch, als er durch das Scheitern der Revolution die Unmöglichkeit verbesserter Gesellschaftsverhält­ nisse einsehen muß. Er ist nun gezwungen, "die Kunst aus der wider­ strebenden Wirklichkeit hinaus in einen idealen Raum hineinzuret- 18 ten", wie seine Ausführungen zum Roman in der Aesthetik zeigen.

Bevor wir uns diesen zuwenden, wollen wir noch auf einige

Beobachtungen Vischers zu Sues Romantechnik eingehen. Er verurteilt die "atomistische, unorganische Komposition", die Kontinuität und

Entwicklung zugunsten eines theatralischen "Markieren[s] des Momentes" opfert. Vischer sieht in dieser "Manier des Tempo" eine typisch französischen Eigenschaft, die sich vor allem im Theater und Ballett negativ auswirkt, und die "reine und ideale Schönheit nicht aufkommen läßt" (S. 157). Weiterhin bemängelt er im Zusammen hang mit der Komposition den allzu häufigen Einsatz des blinden

Zufalls, der die Glaubwürdigkeit des Werkes untergrübt und es in die Nähe barocker Romane rückt:

Sein Roman ist durch diese fabelhafte Herrschaft des Zufalls recht ein Roman im alten Sinn, ein Roman, wie sie der sinnreiche Junker von der Mancha studierte, wie sie Herr Heinrich Anshelm von Ziegler und Klip­ hausen oder der ehrsame Spieß und Cramer schrieb; ein Roman, was man darunter versteht, wenn man die Jugend davor warnt, ein hirnverbrennender Roman. (S. 154)

Ebenfalls unbefriedigend sind die abstrakten Charaktere, die der inneren Individualität ermangeln, und die in "abstrakt böse, abstrakt gute und abstrakt gemischte" zerfallen (S. 155). Vischer kritisiert schließlich noch die unkünstlerische, da zu offensicht­

liche Spannungserzeugung, die dem Leser ein hohes Maß an Geduld

abverlangt:

Er [Sue] läßt ihn im Momente einer fürchterlichen Krise stehen, und soll er den Ausgang erfahren, so muß er erst sich ein Stück einer neuen Episode gefallen lassen, welche wieder im Momente vor der Katastrophe abgebrochen wird usw. (S. 154)

Alle diese Mängel, die Vischer an Sues Roman kritisiert - die

unorganische Komposition, der zu häufige Einsatz des Zufalls, die

abstrakten Charaktere, die Verzögerungstechnik zur Spannungser­

zeugung und der unbefriedigende Schluß - sind auch ihm von den A3

Kritikern in Bezug auf Auch Einer zum Vorwurf gemacht worden, und wir werden spater sehen, wie er sich gegen diese Vorwürfe verteidigt hat.

C.

DIE AESTHETIK.

Die Romanauffassung Vischers im fünften Band seiner Aesthetik

(1857), die, wie schon erwähnt, im Zentrum vieler Studien zur Roman­ theorie des 19. Jahrhunderts steht, kann als eine Synthese der beiden soeben beschriebenen Positionen angesehen werden. Das an der Litera­ tur der Klassik orientierte Konzept der individuellen Bildung, das im Mürike-Aufsatz in den Vordergrund trat, ist in der Aesthetik mit einem verstärkten WirklichkeitsbewuBtsein verbunden, das Vischers

Schriften der Vormärzzeit charakterisierte.

In Anlehnung an Hegel stellt Vischer einleitend fest, daß die moderne Zeit den Roman an die Stelle des Epos gesetzt hat, da die

"prosaische Einrichtung der Dinge" dies erfordere: "Die Grundlage des modernen Epos, des Romans, ist die erfahrungsmäBig erkannte Wirk­ lichkeit, also die schlechthin nicht mehr mythische, die wunderlose

Welt" (S. 176). Als Symptome der "prosaischen Weltordnung" nennt

Vischer unter anderem die "Lösung der Staatstätigkeiten von der un­ mittelbaren Individualität, ... die Teilung der Arbeit ... mit ihrer

ungemeinen Verfielfältigung ... [und] den allgemeinen Zug der Mechani­

sierung der technischen Produkte" (S. 176). Obwohl der moderne Roman

die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten 44

mitberücksichtigen soll, besteht seine Hauptaufgabe für Vischer darin, "Konflikte der Seele und des Geistes" (S. 180) zu schildern:

"... im Konflikte dieser innern Lebendigkeit mit der Harte der äußern

Welt [liegt] das eigentliche Thema des Romans" (S. 178). Trotz 19 dieser starken "Verinnerlichung des Romans" hält Vischer an der

Forderung der Totalität, die das Epos charakterisiert, fest. Für den modernen Roman bedeutet das jedoch nicht, daß er wie das Epos

"eine große Nationalunternehmung zum Inhalt [hat], welche ein Welt­ bild im hohen geschichtlichen Sinne gäbe", sondern er erreicht die 20 Totalität durch Sinnbildlichkeit: "... umfassend soll er nur sein in Beziehung auf das Zuständliche, rein Menschliche, indem er von seinem Punkt aus Sitten, Gesellschaft, Kulturformen einer ganzen Zeit und darin das Allgemeine des menschlichen Lebens darstellt" (S. 180).

Ein weiteres episches Gesetz, nämlich, "daß der Dichter uns überall nach außen, in die Erscheinung führen soll" (S. 181), ist für Vischer

im modernen Roman nur beschränkt anwendbar, da er ja in erster Linie ein "Seelengemälde" darstellen soll. Auf der anderen Seite sieht

Vischer jedoch gerade in dem Gegensatz von idealem "innere[n] Leben" und "harte[r] Naturwahrheit" einen Vorteil des Romans:

... das Licht des tieferen Reflexes im Seelenleben macht die Außendinge nur um so bedeutsamer ... Eine Welt von Zügen, die das plastisch ideale Gesetz des Epos ausscheidet, nimmt das malerisch spezialisierende des Romans wie mit mikroskopischem Blick auf ... (S. 181 f.) 45

Dies bedeutet dem Mörike-Aufsatz gegenüber, in dem Vischer das Äußere nur als den "durchsichtigen Körper des Innern" ak­ zeptierte, ("Das Außere soll ... in der Poesie noch vollkommener ii 21 als in jeder ändern Kunst nur das Außere des Innern sein".), eine stärkere Einbeziehung der Wirklichkeit. Im Gegensatz zur

Sue-Rezension glaubt Vischer jedoch in der Aesthetik nicht mehr an die Verbesserung der gesellschaftlichen Mißstände, sondern er sieht vielmehr die Aufgabe des Romans darin, "der Poesie auf diesem

Boden der Prosa ihr verlorenes Recht wieder [zu] erringetn]" 22 (S. 177). ; Dies kann für ihn auf fünf verschiedene Weisen ge­ schehen :

1.) durch die Verlegung der Handlung in vergangene, poetischere Zeiten. Da sich der Romanautor jedoch nicht der

"unerbittlichen Natur der Realität", die ihn umgibt, entziehen kann und sie sich auf den Roman überträgt, ist diese Technik für

Vischer problematisch.

2.) durch die "Aufsuchung der grünen Stellen mitten in der eingetretenen Prosa" (S. 177), worunter er geschichtliche Perioden oder besondere Lebensformen (vor allem Randexistenzen) versteht, 23 die dem Individuum mehr Freiheit als die Gegenwart ermöglichen.

3.) In engem Zusammenhang mit den "grünen Stellen" stehen

"gewisse[...] offenet...] Stellen, wo ein Ahnungsvolles, Unge­ wöhnliches durchbricht und der harten Breite des Wirklichen das

Gegengewicht hält" (S. 177). Gewöhnlich handelt es sich um

"auffallende[...], überraschende[...] Begebenheiten", wie zum Beispiel den Zufall, dem die Rolle des "Rächer[s] des lebendigen

Menschen an der Prosa der Zustände" zukommt (S. 177). Bei allzu häufiger und willkürlicher Verwendung des Zufalls besteht jedoch

die Gefahr, daß der Roman ins Triviale (das "Romanhafte", das

Vischer schon an den Myst^res de Paris kritisiert hatte) hinabsinkt.

Eine anspruchsvollere Art "offener Stellen" ist der Durchbruch von

"Blitze[n] der Idealität aus tiefen Abgründen des Seelenlebens",

die ein Surrogat für den verlorenen Mythus bilden sollen. Vischer

ist sich bewußt, daß er mit dieser Forderung in die Nähe der sonst

von ihm abgelehnten Romantik gerät, und er beeilt sich festzustellen,

daß er nicht die "Tollheiten moderner Romantik" rechtfertigen will,

sondern daß er vielmehr die Mignon-Partien zum Vorbild nimmt, die

"wie ein Vulkan aus den Flächen ... [des] W. Meister hervorsprühen"

(S. 177).

4.) Die vierte Möglichkeit "der Herausarbeitung des Idealen

aus der Prosa", die die ersten drei mit beinhaltet, besteht in der 24 Subjektivierung des Romans, seiner Verengung aufs Private: "der

Roman sucht die poetische Lebendigkeit da, wohin sie sich bei

wachsender Vertrocknung des öffentlichen geflüchtet hat: im engeren

Kreise, der Familie, dem Privatleben, in der Individualität, im

Innern" (S. 178). Vischer steht mit der Forderung nach der Verinner­

lichung des Romans nicht allein da, sondern trifft sich hier mit

Schleiermacher, Carriere und vor allem Schopenhauer, der die Qualität

eines Romans an dem Überwiegen von innerem Leben mißt: "Ein Roman

wird desto höherer und edlerer Art seyn, je mehr inneres und je 25 weniger äußeres Leben er darstellt". 47

Der Romantyp, der sich für Vischers Konzeption als ideal an­ bietet, ist der Bildungsroman, denn er schildert "die Kampfe des

Geistes, des Gewissens, die tiefen Krisen der Überzeugung, der

Weltanschauung, die das bedeutende Individuum durchläuft, vereinigt mit den Kümpfen des Gefühlslebens" (5. 181). Der Zeit gemäß siedelt er sich in der bürgerlichen Sphäre an, und es ist dieser bürgerliche

Roman, der für Vischer die "eigentlich normale Spezies" darstellt:

Er vereinigt das Wahre des aristokratischen und des Volksromans, denn er führt uns in die mittlere Schichte der Gesellschaft, welche mit dem Schatze der tüchtigen Volksnatur die Güter der Humanität, mit der Wahrheit des Lebens den schönen Schein, das vertiefte und be­ reicherte Seelenleben der Bildung zusammenfaBt. Der Herd der Familie ist der wahre Mittelpunkt des Welt­ bildes im Roman und er gewinnt seine Bedeutung erst, wo Gemüter sich um ihn vereinigen, welche die harte Wahrheit des Lebens mit zarteren Saiten einer erweiter­ ten geistigen Welt wiedertönen. In diesen Kreisen erst wird wahrhaft erlebt und entfaltet sich das wahre, von den Extremen ferne Bild der Sitte. (S. 187 f.)

Vischers Forderung nach Privatisierung führt dazu, daß er die beiden anderen Romantypen seiner Zeit, den historischen Roman und den sozialen Roman, nur mit Vorbehalten akzeptieren kann. Während der historische Roman dazu neigt, das Individuum in den Hintergrund zu stellen und sich auf die Schilderung historischer Ereignisse zu konzentrieren, kann sich der soziale Roman nur selten der Gefahr der Tendenziösität entziehen.

Da der passive Held im Mittelpunkt des Bildungsromans steht, in dem die "Bedingungen des Weltlebens, die leitenden Mächte der Kultur­ summe seiner Zeit, die Maximen der Gesellschaft, die Wirkungen der Verhältnisse zusammenlaufen" (S. 180), ergibt sich das Problem des

Schlusses. Vischer muB zugeben: "Dem Romane fehlt der Schluß durch die Tat, ebendaher hat er keinen rechten Schluß. Er hat die Stetig­ keit des Prosaischen vornherein anerkannt, muß wieder in sie münden und verläuft sich daher ohne festen Endpunkt" (S. 183). Trotz dieser

Problematik strebt Vischer ein glückliches Romanende an, und so ist es die innerste Aufgabe des Romans, "den Gang seines Helden durch die Konflikte des Lebens mit der Entwicklung seiner Persönlichkeit zur wahren Humanität zu schließen" (S. 192). Es ist daher ein wenig

überraschend, wenn Vischer am Ende seiner Ausführungen die Möglich­ keit eines tragischen Ausgangs akzeptiert und Tendenzen des späteren 26 Realismus vorwegnimmt:

... es muß dem Roman auch unbenommen sein, sich ganz im tragischen Elemente zu bewegen und es in einen finstern Schluß, in das Bild einer an der Unerbitt­ lichkeit der Weltbedingungen scheiternden Persönlich­ keit zusammenzudrängen. (S. 192)

D.

DER JEAN PAUL-AUFSATZ.

Die Rückzugsbewegung Vischers, die wir im fünften Band seiner

Aesthetik beobachten konnten, charakterisiert auch den Jean Paul-

Aufsatz aus dem Jahre 1868, der sowohl als eine Rezension von Karl

Plancks Schrift Jean Pauls Dichtung im Lichte unserer nationalen

Entwicklung gedacht war, als auch den Versuch darstellte, den wenig 27 gelesenen Dichter dem deutschen Publikum nahezubringen. Planck

hatte die dualistische Zerissenheit des Jean-Paulschen Humors und 49 das Fehlen einer harmonischen Lösung auf die zeitgenössischen politischen Mißstände zurückgeführt, die den Künstler vor die Wahl stellten, "entweder der Idealität den Zeitbezug oder dem Zeitbezug 28 die Idealität zu opfern". Indem Planck die Disharmonien in Jean

Pauls Werk als gerechtfertigt akzeptierte und sie der "trughaften

Harmonie der klassischen Kunst" gegenüberstellte, führte er die von

Görres und Börne begonnene antiklassizistische Tradition der Litera- 29 turkritik fort. Plancks Idee, daß eine harmonische Lösung in der

Kunst unmöglich ist, solange die gesellschaftlichen Gegebenheiten sie nicht zulassen, steht in Einklang mit Vischers Forderung nach

"einer großen organischen Umbildung des ganzen Staatslebens" als Vor­ aussetzung für eine neue Kunst, wie er sie in der Sue-Rezension formuliert hatte. Im zweiten Band der Aesthetik hatte Vischer diese

Forderung sogar bei der Besprechung von Jean Pauls Humor wiederholt:

Diese zersetzende Absichtlichkeit nun ist von einer unzufrieden strebenden Zeit wie die unsrige gar nicht zu trennen. Alles, was jetzt Reflexion, Diskussion, Kritik, unverwirklichter Zweck ist, muß erst durch eine große reale Bewegung Zustand, Sein, Natur, Wirklichkeit geworden sein, dann ist wieder Naivetät, Instinkt möglich. Goethe hat gesagt, er wolle den Deutschen die Umwälzungen nicht wünschen, welche nötig wären, wenn sie wieder eine klassische Poesie haben sollen [...] Es ist aber gleich- giltig, was wir wünschen, es fragt sich, was kommen muß, und so viel ist gewiß, wenn wieder Blüte der Phantasie kommen soll, so muß vorher eine Umgestaltung des ganzen Lebens kommen.50

Wie wir in der Aesthetik gesehen haben, hat Vischer jedoch nach dem Scheitern der Revolution diesen Standpunkt aufgegeben, und so ergibt sich die Situation, daß er in der Kritik an Karl Planck 50 seine eigene aufgegebene Überzeugung von der "Angewiesenheit der

Kunstschönheit auf gesellschaftliche Voraussetzungen" kritisiert.^

Er propagiert nun die Versöhnung von Realem und Idealem und fordert die Darstellung von "kräftig handelnde[n] Menschen ..., die recht in dieser Welt zu Hause sind und doch mild über ihre Widersprüche lächeln" (S. 68). An Dean Paul setzt er aus, daß er nur die Extreme kennt, und daß ihm die "rechte Mitte" fehlt (S. 68), was sich in seinem Werk entweder als die Unmöglichkeit der Versöhnung des Ich 32 mit der Welt ausdrückt, oder als der Rückzug in die Idylle. Was

Vischer als die ideale Lösung vorschwebt, ist die "Entfaltung, Aus­ dehnung des eng begrenzten Humors der gemütlichen Idylle ... auf das Ganze des Lebens, Nestmachen auch im Großen, daß es uns wohl werde in der weiten Welt trotz ihren Mängeln" (S. 67 f.). Er be­ dauert, daß Jean Paul in seinem Titan zwar "einen ernstlichen Anlauf nimmt, einen Helden zum Leben der Tat heranzubilden", daß er jedoch am Ende die Chance vergibt: "... wir sehen ihn [den Helden] nicht handeln, nicht wirken, es bleibt bei dem Bilde des Hinstrebens, der • idealen Vorschule" (S. 70 f.). Ähnliches gilt auch für Goethes

Wilhelm Meister, da die Titelfigur im kleinen Kreise wirken wird und nicht im öffentlichen Leben: "... wir sehen kein Vaterland, keinen Staat, kein Volk" (S. 72).

Während Vischer in seinen früheren Ausführungen zu Jean Paul dessen Unfähigkeit, eine Versöhnung zu erreichen, den politischen

Zuständen anlastete, räumt er ihnen nunmehr nur noch eine unter­ geordnete Rolle ein: 51

Gewiß, und abermals zugegeben: Jean Pauls Mangel und Widersprüche sind nicht zum kleinsten Teil aus dem Elend der Zeit zu erklären; aber dieses Elend hat selbst den beschaulichen Goethe nicht verhindert, die herrliche SchluBwendung von Hermann und Dorothea zu dichten, wo der Held der Idylle wirklich wie ein Held, ein Hektor, nein, ein Hermann der Deutsche sich auf­ richtet, ein Prophet der Befreiungskriege; und das ist drei Jahre früher gedichtet ... (S. 72 f.)

Die Mangel Jean Pauls, von denen Vischer besonders die Form­ losigkeit, Subjektivität, Verwendung prosaischer Elemente (z.B. die gelehrten Einschiebsel) und das Fehlen der Versöhnung von Ich und Welt hervorhebt, werden nun dessen "pathologische[n]" Persön­ lichkeit (S. 63) zur Last gelegt. Vischer glaubt, daß Jean Paul selbst im Falle verbesserter gesellschaftlicher Zustände an seinen

Manierismen festgehalten hätte:

Zwiespältige Geister wird es immer geben, auch bei befriedigten Nationen, in wohlbestellten öffentlichen Zuständen; der Humor neigt immer und überall zu ruhe­ losem Neuerzeugen von Kontrasten, zu ewigem Herüber- und Hinüberschicken; die Welt, die Gesellschaft, der Staat bietet dem krankhaft genialen Geiste jederzeit Stoff genug, um grimmig zu lachen, lachend zu weinen, nur selten gemütlich zu lächeln; der Humor neigt über­ haupt namentlich zur Formlosigkeit ...; einsiedlerische Bildung könnte heute noch, und wäre Deutschland ganz geeinigt, ... in dieselbe grillenhafte Subjektivität sich verrennen. (S. 68)

Wenn wir bedenken, wie stark Jean Pauls Einfluß auf Vischers theoretische Schriften (z.B. die Humorkonzeption in der Aesthetik) und schriftstellerisches Schaffen war (sein Auch Einer sollte die

"zweite verbesserte Auflage J. Pauls” darstellen, ein Kritiker 33 nannte ihn jedoch einen "Ausbund von jeanpaulisierender Unform"), 52

überrascht Vischers scharfe Kritik. Sie wird jedoch verständlich, wenn wir in ihr mit Berthold Emrich das Zeichen von Vischers Un­ sicherheit und inneren Kämpfen sehen: "... seine Kritik an Jean

Paul war eine Kritik am eigenen Dualismus, seine Philosophie und

Poesie ein immer wieder neuer und doch vergeblicher Versuch, sich in die Harmonie zu retten".34

E.

DIE KELLER-STUDIE.

Vischers umfangreiche Studie über Gottfried Kellers Werke, die im Jahre 1874 in der Augsburger Zeitung erschien, war die erste zusammenfassende Darstellung dieses Dichters und verhalf 35 ihm zu einer größeren Breitenwirkung als zuvor. Einerseits ist die Studie als Einführung in Kellers Schaffen für das breite Publi­ kum konzipiert, worauf die ausführlichen Inhaltsangaben deuten, auf der anderen Seite will Vischer mit denjenigen Kritikern abrechnen, die wie Friedrich Kreyssig nur nach der Tendenz von Dichtung fragen, und die das Kunstwerk als solches nicht zu schätzen wissen:36

Bei der StoBvogelhast obenhinfahrender Kritik, die den "Grundgedanken, die Tendenz" aus dem lebendigen Leib eines Dichterwerks herauszuhacken eilt, gibt es kein Verweilen, kein Betrachten, kein Schauen; wer aber nicht schaut, wie will der den Schauenden verstehen, denn was anderes ist der Dichter als ein Schauender? (S. 119) Nachdem Vischer solchermaßen den "Tendenzjägern" (S. 125) eine Absage erteilt hat, wendet er sich Kellers Grünem Heinrich zu und beschäftigt sich mit der Genrefrage. Er sieht in der

Mischung von Roman und Selbstbiographie, von Dichtung und Wahrheit ein Problem, denn beide gehen nicht ineinander auf, und es ergibt sich ein "Zwitterwerk", ein "amphibische[s] Genus" (S. 119). Der

"grillenhafte Schluß" (S. 113) ist ein besonders sprechendes

Beispiel für die Inkongruenz der beiden Genres:

Wir stehen hier in der Wahl: entweder dem Selbstbio­ graphen mit unzarten Schlüssen in sein Privatleben hineinzugreifen oder dem Dichter eine phantastische Symbolik, einen närrischen Sprung aus der Illusion der objektiven Darstellung in den Kopf des Lesers unterzulegen, und beides taugt nichts. Summa Summarum - eine tolle Art von Abschluß. (S. 117)

Was Vischer in noch stärkerem Maße an dem Schluß des Grünen

Heinrich stürt, ist die Tatsache, daß keine eindeutige Versühnung von Realem und Idealem stattfindet. Keller macht zwar Anstalten,

"seinen grünen Heinrich zu einem Manne des öffentlichen Wirkens zu erziehen" (S. 117), doch läßt er. ihn am Ende des Romans sterben sodaß die Versöhnung nur symbolisch zu denken ist: "... vom Tod ersteht ein Dichter auf, der zugleich ein ganzer Mensch und Mann ist" (S. 118). Dieser "vertrackt willkürliche!!...] SchlußC...]" erinnert Vischer an Jean Pauls "verflüchtigende Kompositions­ grillen" (S. 121), doch beeilt er sich sogleich festzustellen, daß Keller es im Gegensatz zu Jean Paul vermag, "im streng Realen ideal zu sein,um das Lebenswahre den Schleier zu ziehen, der ihm 37 den Zauber des ahnungsvollen Traumes gibt" (S. 137). Als Keller seinen Roman umarbeitet und mit einem neuen Schluß versieht, faßt

Vischer dies als eine nachträgliche Bestätigung seiner Bedenken und Einwände auf. Er schreibt anläßlich der Veröffentlichung der

Keller-Studie in der Sammlung Altes und Neues 1881 in der "Nach­ bemerkung": "Durch den neuen Schluß erhält meine Ansicht recht, wonach man erwarten mußte, daß die Lebenserfahrungen des Helden ein positives Resultat haben werden" (S. 163). Vischer lobt das neue harmonische Ende, in dem "Heinrich zum tätigen Manne gedeiht", obwohl er einige Bedenken gegen die Weise, wie dies bewerkstelligt wird, nicht verhehlen kann. Nach aller Kritik an der früheren

Version und allem Lob des neuen Schlusses überrascht, daß Vischer der ersteren eine gewisse Existenzberechtigung zuspricht: "Was mich einigermaßen beruhigt, ist die Erwägung, daß die ursprüngliche Form des Abschlusses einer dichterischen Komposition interessant genug bleibt, auch wenn sie durch eine wesentliche Abänderung antiquiert ist" (S. 162 f.). Diese Aussage stellt nicht nur Vischers Recht­ fertigung für die Tatsache dar, daß er seine Keller-Studie nicht

überarbeitet hat, sondern sie zeigt auch, daß der Dichter Vischer neben den Literaturwissenschaftler und Theoretiker tritt. Als er die "Nachbemerkung" abfaßt, hat er sich nämlich selbst mit Kritikern auseinanderzusetzen, die dem drei Jahre zuvor veröffentlichen Auch

Einer die ersehnte Anerkennung versagten, und so kann er sich stärker als bisher mit dem Künstler Keller identifizieren. 55

F.

DIE VERTEIDIGUNG VON AUCH EINER.

Vischer, der zeit seines Lebens äußerst empfindlich auf jegliche Art von Kritik reagierte, traf die kühle Aufnahme seines

Romans Auch Einer besonders stark, und so verfaßte er 1882 eine

Verteidigungsschrift, die er als Zusatz zu "Mein Lebensgang" ver-

70 öffentlichte. Er verhehlt dort nicht, wie sehr ihn die negative

Kritik verletzt hat:

Stiche und Stöße nach einem Kind der Muse tun anders weh, als nach Kindern des Wissens und Erkennens; sie gehen auf Herz und Nerv des Vaters ... Prosaische Werke sind Söhne, der Vater gibt ihnen Waffen mit, sie mögen sich durch die Welt schlagen, niemand bestreitet ihm das Recht, ihnen nachzueilen und mit Speeren auszuhelfen, wo die mitgegebenen nicht reichen; poetische Werke sind arme, wehrlose Mädchen. (S. 506)

Vischer hofft, einen Teil der Kritik am "lang mit Liebe gehegtetn) Werk" (S. 507) zu entschärfen, indem er von seinen Ab­ sichten Rechenschaft ablegt, und er beginnt mit der Entstehungs­ geschichte des Buches, die von "zwei anfänglich ganz getrennten

Punkten" ausging (S. 508): a) der Idee einer Pfahldorfgeschichte, die sich für Vischer beim Besuch von Ausgrabungsstätten in der

Schweiz ergeben hatte, und die die "Relativität aller Kulturgrade und vermeintlichen Kulturgipfel" darstellen sollte (S. 508) und b) der Darstellung eines sonderbaren Kauzes, der an die "schief­ gewickelten Naturen" Jean Pauls erinnern sollte, und dessen "Verdruß

über die lästigen Zufälle, die das Tun und Genießen des Menschen zu kreuzen pflegen, in fein schwebender Grenzlinie bis an den 56

Wahnsinn streifte" (S. 509). Das verbindende Element dieser beiden Strange war der Katarrh, der sowohl den sonderbaren A(lbert)

E(inhart) quälte, als auch die Grundlage für die Religion der

Pfahldorfbewohner darstellte:

Das Motiv wäre närrisch: gut, so muß es ein Narr erfunden haben, und wer anders kann es sein, als der A.E.? Ihm sieht es ja ganz gleich, ihm, der selbst so viel von Grippo leidet und dessen Ge­ danken sich so erfinderisch um diese knarrende Angel bewegen! Also Punktum: dem A.E. wird die Pfahlgeschichte in die Schuhe geschoben, er muß der Dichter sein! (S. 512 f.)

In direktem Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte steht die Genreproblematik, mit der sich ein Großteil der Kritiker be­ schäftigt hatte. Vischer gibt zu, daß er ursprünglich nur eine

Humoreske, ein Capriccio beabsichtigte, daß ihm aber "das Ding" unter den Händen gewachsen sei, da sich die Notwendigkeit ergeben hatte, aus dem A.E. eine "ganze, runde Persönlichkeit" zu machen:

So gab es denn mehr und mehr hinzuzutun, die Glieder des Kapriccio streckten sich und nahmen endlich einen Umfang an, der dem fertigen opus den Namen Roman zu­ gezogen hat - sehr zu seinem Unglück! Am Maßstab des Romans gemessen, muß es ja dem Armensündergericht ver­ fallen! Meint man denn, der Autor wisse nicht, daß dieser Stiefbruder des Epos ein breiteres Weltbild, eine reiche Vielheit von Charakteren, Zuständen, Schicksalen verlangt? (S. 513)

Vischer versucht sich aus der Klemme zu ziehen, indem er die

Bezeichnung 'Novelle' vorschlägt, die für ihn einen Akzent darstellt, der auf ein Stück Leben geworfen wird, wobei der "Akzent ... zugleich

Länge sein [kann]" (S. 513). Denjenigen Kritikern, die die Kategorie 'Novelle' für den Auch Einer nicht akzeptieren können, bietet

Vischer die Gattungsbezeichnung 'Capriccio' an, die im 19. Jahr- 39 hundert recht vieldeutig und fließend geworden war. Er beeilt sich jedoch zu warnen: "Nur hoffe ich, daß der Name dann als

Vexiername wird befunden werden, da man denn doch mehr Entwicklung und Ordnung finden wird, als ein Kapriccio in Aussicht stellt"

CS. 513 f.).

Nach dieser eher diplomatischen als grundsätzlichen Erörterung der Gattungsproblematik wendet sich Vischer der Frage des Inhalts zu und setzt sich mit denjenigen Kritikern auseinander, die ihm vorgeworfen hatten, daß er Häßliches und Ekelhaftes um seiner selbst willen beschreibe. Vischer weist diesen Vorwurf, den er ja selbst

Eugene Sue gemacht hatte, energisch zurück und setzt sich von den modernen Autoren ab, die "mit so trauriger Vorliebe den Reiz im ungelöst Häßlichen" suchen (S. 514). Sowohl das "komisch Häßliche"

(der peinliche Zwischenfall im Gasthof zu Bürglen) als auch das

"ernst, furchtbar Häßliche" (die Leichenschändung) (S. 521) sind ausreichend motiviert und zudem unentbehrlich. Was für Vischer jedoch noch wichtiger ist, ist die Tatsache, daß das Häßliche, das ja auf die unvollkomene Wirklichkeit zurückzufUhren ist, am Ende aufgelöst und harmonisiert wird. Wie wir in der Aesthetik und den

Jean Paul- und Keller-Studien gesehen haben, ist diese Versöhnung von Idealismus und Realismus die Hauptaufgabe der modernen Kunst: 58

Ich behaupte: wenn die Kunst nicht mehr, nicht tiefer Gegriffenes zu lösen, schärfere Dissonanzen zu harmoni­ sieren vermag, als ihr Wohlerzogenen einräumt, dann ist sie schwach, dann ist es schlecht mit ihrer Potenz bestellt; wenn sie ihr Auge nicht auch zum Mikroskop schleifen darf, wenn man ihr nicht zutraut, daB sie auch das haarscharf gesehene Kleinste in das Licht ihrer Verklärung zu heben vermag, dann gut Nacht! dann vermag sie überhaupt nichts Rechtes. (S. 515)

Diese geforderte Versöhnung vollzieht sich jedoch nicht in der

Figur des scheinbar skurrilen A.E., denn er geht ja in tragikomischer

Weise an der Wirklichkeit, an der er sich zeit seines Lebens ge­ stoßen hat, zugrunde. Ist die Verklärung in seinen nachgelassenen

Schriften wie der Pfahldorfnovelle und dem Tagebuch zu finden, oder vollzieht sie sich im Erzähler, bzw. Leser? Vischer gibt hierauf keine eindeutige Antwort, doch scheint er zur letzteren Möglichkeit hin zu tendieren, wenn er von dem Mitleid spricht, das der Leser mit dem tragikomischen A.E. empfinden soll:

... nicht vergessen [soll der Leser die Knechtschaft des Stoffes, sie soll ihm] bewußt bleiben, aber dies Bewußtsein von seinem dumpfen Druck entlasten, und Entlastung liegt doch im Mitleid, denn das Mitleid ist schön, liegt im Lachen, denn das Lachen ver­ flüchtigt. (S. 517)40

Im Zusammenhang mit der Figur des A.E., den Vischer als einen

"Typus" konzipiert hat (S. 523), kommt er auf den Vorwurf einiger

Kritiker zu sprechen, daß er sich in ihm dargestellt und somit das

Gesetz der Selbstentäußerung, das alle Kunst charakterisiere, ver­ letzt habe ("alter ego ist dein A.E.!" S. 523). Er gibt zu beden­ ken, daß "im allgemeinsten Sinne des Wortes ... der Poet immer sich selbst [gibt]" (ebd.) und beschreibt das komplizierte Verhältnis zwischen 59

Schöpfer und Geschöpf folgendermaBen:

... versteht sich der Autor recht, so geht da ein Spiel vor sich, worin er seinen A.E. bald von sich wegstöBt, sich weit vom Leibe hält, bald wieder mit ihm zusammenrinnt. Wäre er ganz der A.E., so hätte er ihn nicht Zeichen können, sei er nun gut oder mittelmäßig oder gering gezeichnet. Er stellt ihn unter sich, er stellt ihn über sich, er nimmt ihn wieder zu sich, er entläßt ihn wieder; dies ist kein Verwachsensein, dies ist Freiheit, freies Gebahren. (S. 526)

Am Ende seiner Verteidigungsschrift kommt Vischer auf die

Komposition des Auch Einer zu sprechen, und speziell auf den

Vorwurf, daß die Titelfigur zu Beginn des zweiten Buches stirbt, und daß der Leser das Wichtigste über A.E. erst nach dessen Tod erfährt - und dies noch nicht einmal zusammenhängend, sondern teils durch verschiedene Erzähler, teils durch A.E.s Tagebuch.

Vischer begründet die ungewöhnliche Struktur des Romans dadurch, daß er "der Romanleser-Neugier nicht fröhnen, ... dem Heißhunger nach den herkömmlichen leeren Spannungsreizen nicht Speise bieten

[wollte]" (S. 527). Anstatt der "leeren Spannung" strebt er

"Interesse" an, d.h. er will die Sicht des Lesers von der äußeren

Handlung hinweg auf die innere Entwicklung der Titelfigur lenken, und er sieht im intimen Tagebuch verständlicherweise die für seine

Zwecke geeignetste Form:

Ich wollte meinem A.E. das Wort abtreten, damit man ihn durch ihn selbst kennen lerne. Seine Seele sollte selbst sprechen, der Leser sollte sie direkt kennen lernen. Das Tagebuch war nicht nur das passendste Gefäß den Zug zum tieferen Denken, die Gesinnungen, die Weltbetrachtung eines ungewöhnlich organisierten Geistes ins Licht zu setzen, sondern auch sein Persön- lichtes, seine Stimmungen zu enthüllen; es war der 60

geradeste Weg, sein Schicksal in sein Herz hinein zu verfolgen als in seine letzte Quelle. (S. 528)

Die. Abfolge der einzelnen Tagebucheintragungen ist somit nicht willkürlich, wie die meisten Kritiker behaupteten, sondern sie erfolgt nach einem bestimmten Plan, wie wir später sehen werden und wie Vischer selbst betont: "... es ist mit beflissenem

Nachdenken alles aufeinander gerichtet" (S. 529). Dies gilt nicht nur für A.E.s Tagebuch; sondern für die gesamte Struktur des Werkes, mit der viele Rezensenten nichts anzufangen wußten: "... mag dies und das nicht glücklich komponiert sein, nicht komponiert ist das

Buch nicht" (S. 530). Das Wissen um die Komplexität des schöpfe­ rischen Prozesses aus erster Hand führt Vischer zu einer verständnis­ volleren Beurteilung des Künstlers als bisher, und er bekennt: "Ich habe [bei der Abfassung des Auch Einer] ... recht erfahren, wie wahr der Satz ist, daß man eine Kunst erst dann recht versteht, wenn man sich darin versucht hat" (S. 531). Die Verteidigungsschrift gipfelt in Vischers scharfer Kritik am zeitgenössischen Lesepublikum und dessen Unfähigkeit, ein solch komplexes Werk wie seinen Auch

Einer zu verstehen und zu würdigen:

Habe ich die Leser gescheiter genommen als sie sind? Es wird so sein, ich kann nichts dafür, es ist mein Schicksal, es ist anderen auch so gegangen. Eines ist ganz gewiß: ich habe sie mehr noch für weniger faul gehalten als sie sind. Sie - die Durchschnitt­ leser - wollen überhaupt keine Arbeit, auch die kurze nicht, um welche sie Genuß einkaufen könnten, sie wollen im Halbdusel lesen. Sie wollen essen, wie man die Austern ißt, sie wollen essen, wie die Vögel fressen, die Amsel den Wurm hinunterschlenkert.: ungekaut. (S. 536) 61

Die Wandlung, die sich in Vischers Romankonzeption vollzieht, und die wir als einen Prozeß der Politisierung gekennzeichnet ha­ ben, der einer zunehmenden Verinnerlichung weicht, steht in engem

Zusammenhang mit der Veränderung von Vischers ästhetischer Theorie.

Während Vischer ursprünglich daran glaubte, daß die Zerrissenheit und Entfremdung des modernen Menschen durch Kunst überwunden wer­ den kann, gibt er den Glauben an die Möglichkeit einer Versöhnung von Realem und Idealem zunehmend auf. Dieser Prozeß der Desillu­ sionierung zeigt sich deutlich, wenn Vischer seine Aesthetik, der das Bedürfnis nach ästhetischer Aufhebung des Zufalls und ästhe­ tischer Rechtfertigung der Welt zugrundeliegt,^ in einer Selbst­ kritik zurücknimmt und somit den Versuch, "im 19. Jahrhundert durch

Metaphysik eine schöne neue Welt zu begründen", preisgibt. Nach der Preisgabe seines ästhetischen Systems ergibt sich für Vischer

die folgende philosophische Position:

Die Vernunft resigniert nach ihren schlechten Erfahrungen mit Geschichtsprognosen und Systementwürfen davor, nach Wahrheit und dem Begriff des Ganzen zu suchen. Die Mensch­ heit als Ganzes und die Welt als Totalität hörten auf, ein ernsthaftes Problem für sie zu sein. Die Vernunft regi­ striert und kritisiert nur noch die Widersprüche der in der alltäglichen Erfahrung gegebenen Welt, sie beschreibt nur noch die Struktur der Entfremdung, ohne Hoffnung da­ rauf, daß diese sich jemals in einer menschlicheren und schöneren Welt aufheben wird.43

Der Wandel in Vischers Auffassung von dem Wesen und der Funkti­

on von Kunst läßt sich auch an der Diskrepanz ablesen, die zwischen

seiner Romantheorie und seinem eigenen Romanschaffen besteht. Zwar stellt Auch Einer ein prägnantes Beispiel für die von Vischer im­ mer wieder geforderte Verinnerlichung des Romans dar, indem er die "Konflikte der Seele und des Geistes" eines Individuums schil­ dert, insbesondere den Konflikt von dessen "innern Lebendigkeit mit der Härte der äuBern Welt",^ doch es findet keineswegs eine

Versöhnung von Realem und Idealem statt, die Vischer dazu bewogen hatte, den Bildungsroman in seiner Aesthetik zum mustergültigen

Romantypus zu erklären, und deren Fehlen er bei Jean Paul und

Gottfried Keller bemängelt hatte. Albert Einharts Lebensgeschichte endet nicht wie die des Helden im Bildungsroman mit der "Entwick- A5 lung seiner Persönlichkeit zur wahren Humanität" und der harmo­ nischen Auflösung aller Gegensätze, sondern A.E. scheitert an der

Wirklichkeit: da er nicht mit ihr zurechtkommt, zieht er sich in eine imaginäre Welt zurück. Am Ende des Romans ist das Reale nicht mit dem Idealen versöhnt, sondern sie stehen sich in unüberbrück­ barem Gegensatz gegenüber.

Diese Unmöglichkeit einer Versöhnung führt nicht nur zu einem tragischen Ausgang, sondern sie beeinflußt die gesamte Struktur des

Romans. Die geradlinige Struktur des teleologisch ausgerichteten

Bildungsromans wird von Vischer aufgelöst, und sowohl die "Zer­ schlagung der Fabel", die Berthold Auerbach am Auch Einer kriti­ siert hatte, als auch die Fragmentierung der zeitlichen Abfolge, die besonders in der "atomistische[n] Komposition" des Tagebuchs deutlich wird,^ sowie der Multiperspektivismus, der den Verlust 63

des festen Standpunktes zur Folge hat, spiegeln die Zerrissenheit des modernen Menschen, für den keine Harmonie mehr möglich ist.

Für den spaten Vischer vermag auch Humor nicht mehr, eine

Harmonisierung der Dissonanzen herbeizuführen; der Humor im Auch

Einer wirkt nicht befreiend, sondern er gleicht eher dem "unver­ söhnten Humor"Jean Pauls, gegen den sich Vischer in seiner Studie

ausgesprochen hatte.Außerdem weicht das humoristische Element im Auch Einer zunehmend einem tragischen, und die "Aufhebung des

Sonderlings" findet statt: während Einhart dem Leser zunächst als seltsamer und komischer Kauz vorkommt, tritt dessen ernste

Seite zunehmend in den Vordergrund, bis am Ende des Romans die

Tragik seines Scheiterns deutlich wird: "[A.E.] ist tragisch an- 49 gelegt, sein Leben muß tragisch verlaufen."

Auch Einer ist somit Vischers Zurücknahme seiner früheren optimistischen ästhetischen Position im dichterischen Medium und die Artikulation seines zunehmenden Zweifels an der Möglichkeit einer Aufhebung der Dissonanzen. Der Roman stellt keineswegs das spielerische und nicht ernst zu nehmende Experimentieren des grei­

sen Ästhetikers mit der Romanform dar, sondern er setzt Vischers

Auseinandersetzung mit der Frage fort, welche Aufgabe Kunst in der modernen, problematisch gewordenen Welt zukommt. Das Kunstwerk tritt an die Stelle der theoretischen Abhandlung, "da [Vischer]

die Insuffizienzen seiner eigenen Theoriebildung, systematisch­

wissenschaftlicher Argumentation überhaupt, immer klarer wurden."50 ANMERKUNGEN

Ewald Volhard, Zwischen Hegel und Nietzsche. Der Ästhetiker Fr.Th. Vischer (Frankfurt: Klostermann, 1932), S. 197: "... sein Werk ist formaliter kein Exempel auf seine Ästhetik”. o Hans-Joachim Ruckhäberle und Helmuth Widhammer, Roman und Romantheorie des deutschen Realismus (Kronberg: Athenäum, 1977), S. 215-22; Beatrice Wehrli, Imitatio und Mimesis in der Geschichte der deutschen Erzähltheorie unter besonderer Berücksichtigung des 19. Jahrhunderts, Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 126 (Göp­ pingen: Kümmerle, 1974), S. 89-93; Fritz Martini, Deutsche Litera­ tur im bürgerlichen Realismus 1848-1898 (Stuttgart: Metzler, 1974-5), v S. 392-95; Bruno Hillebrand, Theorie des Romans (München: Winkler, 1972), Band II, S. 68-74; Gerhard Strauss, Aspekte der Form Roman in Deutschland zwischen Spätaufklärung und poetischem Realismus. Zur Theorie und Praxis des bürgerlichen Romans, Erlanger Studien, 24 (Erlangen: Palm & Enke, 1979), S. 143-53. Ausnahmen stellen die folgenden Studien dar, die die Entwicklung der Romantheorie Vischers betonen und seine Sue-Rezension mitberücksichtigen: Franz Rhöse, Konflikt und Versühnung. Untersuchungen zur Theorie des Romans von Hegel bis zum Naturalismus (Stuttgart: Metzler, 1978), S. 26-50; Claus Richter, Leiden an der Gesellschaft. Vom litera­ rischen Liberalismus zum poetischen Realismus (Kronberg: Athenäum, 1978),S. 104-07; Georg Kurscheidt, Engagement und Arrangement. Untersuchungen zur Roman- und Wirklichkeitsauffassung in der Lite­ raturtheorie vom Jungen Deutschland bis zum poetischen Realismus Otto Ludwigs, Bonner Arbeiten zur deutschen Literatur, 35 (Bonn: Bouvier, 1980), S. 199-225. Auch diese Autoren vernachlässigen jedoch diejenigen Bemerkungen Vischers zum Roman, die nach der Aesthetik abgefaBt wurden.

3 Hartmut Steinecke, Romantheorie und Romankritik in Deutsch­ land. Die Entwicklung des Gattungsverständnisses von der Scott- Rezeption bis zum programmatischen Realismus (Stuttgart: Metzler, 1975), S. 226. Obwohl Steinecke betont, daB Vischers Besprechung von Kellers Grünem Heinrich "wesentlich einsichtiger, konkreter und für die Begriffsbestimmung des realistischen Romans wichtiger als der Roman-Abschnitt der Aesthetik” sei (S. 226), beschränkt er sich in seiner Darstellung leider auf die Aesthetik.

4 Georg Kurscheidt, S. 222 f.

64 65

^ Eduard Mörike, Werke und Briefe. Band 5: Maler Nolten, Les­ arten und Erläuterungen, hrsg. Herbert Meyer Tstuttgart: Klett, 1971), S. 32.

^ Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst, 1839, Nr. 144-47 (17.-20. JuroT, Spalte 1145-49, 1153-57, 1161-68, 1175-76. Wir zitieren Vischers Rezension mit Seitenangebe im Text nach dem 5. Band von Mörikes Werken und Briefen, S. 61-79.

7 Zur Kritik an der Romantik siehe auch den gegen Eichendorff gerichteten Aufsatz "Ein literarischer Sonderbündler," (Kritische Gänge, Band 2, S. 183-98) und Kapitel 7 dieser Arbeit. Da die Ab­ rechnung mit der Romantik Vischers Hauptanliegen ist, läßt er sich nicht auf eine Gattungsdiskussion ein. Mörike hatte den Maler Nolten ursprünglich als Novelle veröffentlicht, der überarbeiteten Version (1877) jedoch die Bezeichnung 'Roman' beigegeben. Vischer, dem die erste Fassung vorliegt, bevorzugt die Benennung 'Roman', ohne jedoch Gründe dafür anzugeben (Mörike, Werke und Briefe, Band 5, S. 64).

® Franz Rhöse, S. 28.

9 Kritische Gänge, Band 2, S. V f., zitiert nach Franz Rhöse, S. 28.

Marion Beaujean, "Unterhaltungs-, Familien-, Frauen- und Abenteuerromane," in Deutsche Literatur. Band 6: Vormärz: Bieder­ meier, Junges Deutschland, Demokraten, hrsg. Bernd Witte (Rein- bek: Rowohlt, 1980), S. 162.

Franz Rhöse, S. 31.

Wir zitieren "Zur Kritik der Myst&res de Paris von Eugene Sue" unter Seitenangabe im Text nach Vischers Kritischen Gängen (München, o.J.), Band 6, S. 148-64.

^ Franz Rhöse, S. 38.

Claus Richter, S. 106.

^ Kritische Gänge. Band 6, S. 489; Georg Kurscheidt, S. 210 f.

16 Aesthetik, Band 6, S. 182; Hermann Kinder, Poesie als Syn­ these. Ausbreitung eines deutschen Realismus-Verständnisses in der Mitte des 19. Jahrhunderts, Ars Poetica, 15 (Frankfurt: Athenäum, 1973), S. 90: "... es ist gerade die Wirkungsmächtigkeit des Dramas, die Vischer das Drama von allen Gattungen am höchsten schätzen läßt".

17 Georg Kurscheidt, S. 209 f. 66

Georg Kurscheidt, S. 210.

^ Hartmut Steinecke, S. 226. 9n Vischer verwendet in diesem Zusammenhang den Ausdruck "Sit­ tenbildliches" (S. 179).

^ Eduard Mörike, Merke und Briefe, Band 5, S. 63. 99 Vischer beruft sich hier auf Hegel, wobei er jedoch dessen einschränkende Bemerkung "soweit es bei dieser Voraussetzung mög­ lich ist" unterschlägt. Vgl. Franz Rhöse, S. 45.

^ Fritz Martini, S. 393; Franz Rhöse, S. 45. Oä Franz Rhöse, S. 46.

^ Zitiert nach Hartmut Steinecke, S. 230. Vgl. Gerhard Strauss, S. 150 f. und Bruno Hillebrand, Band II, S. 72 f. 96 Franz Rhöse, S. 49. Die Novelle, die sich für Vischer zum Roman "wie ein Strahl zu einer Lichtmasse" verhält, bewegt sich in noch stärkerem MaBe als der Roman im Tragischen (Aesthetik, Band 5, S. 192 f.). 97 Wir zitieren mit Seitenangabe im Text nach Fr.Th. Vischer, Ausgewählte Werke in acht Teilen, hrsg. Theodor Kappstein (Leipzig: Hesse & Becker, 1919), Teil 7, S. 62-73. Zum Jean Paul-Aufsatz Vischers siehe Peter Sprengel, hrsg., Jean Paul im Urteil seiner Kritiker (München: Beck, 1980), S. LX ff.

Peter Sprengel, S. LXII.

^ Aesthetik, Band 2, S. 524, zitiert nach Peter Sprengel, S. LXI.

Peter Sprengel, S. LXI f.; Götz Müller, "Zur Bedeutung Jean Pauls für die Ästhetik zwischen 1830 und 1848 (Weisse, Runge, Vischer)," Jahrbuch der Jean Paul-Gesellschaft, 12 (1977), 133.

"Der Kontrast der hohen und idealen Welt, die der deutsche Geist damals aufbaute, gegen alles kleinlich Dumpfe und Verkümmerte der äußern bürgerlichen und nationalen Verhältnisse: dies ist nach ihm [Planck] der innerste Kern und Ursprung der Jean-Paulschen Dich­ tung und Anschauungsweise. Jean Paul sieht dieses Elend schärfer und wahrer als andere, namentlich als die Heroen unserer Dichtung, Goethe und Schiller, die ganz in der Idealwelt lebten und sich in 67 ihr ein Bild der harmonischen, naturvollen Menschheit schufen; aber er bleibt im Bewußtsein des Kontrastes gefangen, er kann ihn nie vergessen, er entnimmt aus ihm den ganzen Inhalt seiner Dich­ tung, ohne ihn jemals in wahre und ganze Versöhnung aufzulösen; denn nirgends erhebt er sich zum Bild eines Handelns, wodurch das Ideal in die politische und bürgerliche Welt praktisch hineinge­ arbeitet würde. Er blickt auf diese klägliche Wirklichkeit herab, den Trümmerhaufen unmächtiger Duodezstaaten, die Dumpfheit, Enge und Unfreiheit einer verkommenen kleinbürgerlichen Existenz, mißt sie am Ideal und vernichtet sie komisch mit der ganzen beißenden Schärfe des satirischen Humors, oder er flieht hinweg in ein ver- schwimmendes Jenseits und schwärmt wie ein erfahrungsloser Jüng­ ling in Träumen der unendlichen Sehnsucht, und jeder von beiden Wegen führt durch tiefen, grenzenlosen Schmerz. Dort unerbitt­ licher einseitiger Realist, hier sentimentaler einseitiger Idea­ list, kennt er nirgends die Mitte, wo der Geist und das Leben einander die Hände reichen". Zitiert nach Peter Sprengel, S. 205.

33 Auch Einer, S. 448; Scherr, zitiert nach Feilbogen, S. 186. Wir werden im letzten Kapitel dieser Arbeit auf Vischers Verhält­ nis zu Jean Paul zurückkommen.

3Z* Berthold Emrich, "Friedrich Theodor Vischers Auseinander­ setzung mit Jean Paul," in Festgabe für Eduard Berend, hrsg. Hans Werner Seiffert und Bernhard Zeller (Weimar: H. Böhlaus Nachfol­ ger, 1959), S. 27.

33 Alfred Ibach, Gottfried Keller und Friedrich Theodor Vischer, Diss. Ludwig Maximilians Universität München 1927 (Borna-Leipzig: Noske, 1927), S. 27.

36 Rätus Luck, Gottfried Keller als Literaturkritiker (Bern, München: Francke, 1970), S. 242^ Wir zitieren die Keller-Studie mit Seitenangabe im Text nach Fr.Th. Vischer, Ausgewählte Werke in acht Teilen, Teil 8, S. 112-64.

3^ Vgl. auch Vischer, Ausgewählte Werke, Teil 8, S. 125: "So steht er mit sichern Sohlen fest aufgepflanzt auf dem Boden der Wirklichkeit. Kurz, es ist ein lebenstüchtiger Realismus in jenem guten Sinn des Worts, der die echte Idealität in sich begreift".

3® Vischer, Kritische Gänge, Band 2, S. 506-36.

39 Reinhold Grimm, "Die Formbezeichnung 'Capriccio' in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts," in Studien zur Trivial- literatur, hrsg. H.O. Burger (Frankfurt: Klostermann, 1968TJ S. 101-16. 68

Vgl. Kritische Gange, Band 2, S. 522: "Ich habe immer ge­ meint, der A.E. sollte den Leser dauern und wieder dauern, dies sollte die Grundempfindung sein". S. 536: "... mein A.E. sollte die Leute dauern, wohl auch ärgern, aber mehr dauern als ärgern, dauern einfach menschlich als Mensch, als Bild von Menschenschick­ sal ".

41 Willi Oelmüller, Friedrich Theodor Vischer und das Problem der nachhegelschen Ästhetik (Stuttgart: Kohlhammer, 1959), S. 141.

42 Ebd., S. 159. Vgl. Vischer, "Kritik meiner Ästhetik," in Kritische Gänge, Band 4, S. 222 ff.

43 Vgl. Oelmüllerj S. 164 f.

44 Vischer Aesthetik, Band 5, S. 180 und 178. Vgl. auch Ab­ schnitt C dieses Kapitels.

45 Aesthetik. Band 5. 5. 192.

4^ Berthold Auerbach, "Wissen und Schaffen. Aphorismen zu Friedrich Vischer's Auch Einer," Deutsche Rundschau, XIX (1879), 272. Vgl. auch Kapitel 1 dieser Arbeit.

47 Zum Begriff des "unversöhnten Humors" siehe Kapitel 7 dieser Arbeit sowie Vischer, Über das Erhabene und Komische und andere Texte zur Ästhetik (Frankfurt: Suhrkamp, 196771

A Q Günter Oesterle, "Die Grablegung des Selbst im Ändern und die Rettung des Selbst im Anonymen. Zum WechselVerhältnis von Bio­ graphie und Autobiographie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun­ derts am Beispiel von Friedrich Theodor Vischers Auch Einer," in Vom Andren und vom Selbst. Beiträge zu Fragen der Biographie und Autobiographie, hrsg. Reinhold Grimm und Jost Hermand (Königstein: Athenäum, 1982), S. 49. Vgl. auch Kapitel 6 dieser Arbeit.

49 Vischer, Kritische Gänge, Band 2, S. 522.

50 Wendelin Haverkamp, Aspekte der Modernität. Untersuchungen zur Geschichte des "Auch Einer" von Friedrich Theodor Vischer (Aachen: Cobra, 1981), S. VI. KAPITEL 3

DIE BEIDEN VERSIONEN VON AUCH EINER.

Zwei Jahre nach Vischers Verteidigung seiner 'Reisebekannt­ schaft' in "Mein Lebensgang" erschien in der Deutschen Verlags­ anstalt die dritte, "durchgesehene" Auflage von Auch Einer. Gegenüber der Erstausgabe weist diese Auflage weit über zwei­ hundert Änderungen auf, die von der bisherigen Kritik entweder

überhaupt nicht oder nur ungenügend berücksichtigt worden sind.

Von den frühen Vischer-Kritikern erwähnen nur Richard Weltrich und Franza Feilbogen diese Textänderungen, doch messen sie ihnen keine Bedeutung bei. So schreibt F. Feilbogen: "Die 3.

Aufl. wurde von Vischer mit wenig einschneidenden Abänderungen versehen".* Erst Reinhold Grimm macht in seinem 1969 erschiene­ nen Aufsatz auf die Unterschiede in den beiden Versionen des

Romans aufmerksam und bringt sie mit der Gattungsproblematik in Zusammenhang. Er ist der Meinung, daß sowohl Vischers Selbst­ deutung und sein Vorschlag, das Werk als 'Capriccio' einzu­ stufen, als auch die Textänderungen "die herrschende Verwirrung

[bezüglich der Gattungsfrage] bloß noch krasser hervortreten

[lassen]", und er deutet somit an, daß Vischer die Änderungen deshalb vorgenommen habe, weil er die gattungsmäßige Einordnung

69 2 seines Werkes vereinfachen wollte. Leider läßt Grimm es bei dieser Behauptung bewenden und bleibt uns den Beweis schuldig.

Ein detaillierter Vergleich der Erstausgabe mit der Aus­ gabe letzter Hand zeigt jedoch, daß die meisten Textänderungen stilistischer Natur sind und nicht die Struktur oder den Er­ zählverlauf des Werkes betreffen. Ein Teil der stilistischen

Verbesserungen dient dazu, Zusammenhänge klarer herauszustel­ len und Bezüge zu verdeutlichen. So ersetzt Vischer mehrdeuti­ ge Personalpronomina und Artikel a) durch präzise Personenan­ gaben, b) Demonstrativpronomina oder c) das betreffende Bezugs­ wort, wie die folgenden Beispiele zeigen:3

a) er winkte ihm, weiter zu fahren (1,5 ) der Bestäubte winkte ihm, weiter zu fahren (21)

aber er spürt (1,137 ) aber Alpin spürt (97) * das Geschenk (1,140 ) Alpins Geschenk (99)

abends hoffte er (1,244*) abends hoffte Alpin (160) * Er hat des Vaters blonde Locken (1,394 ) Der Kleine hat des Vaters blonde Locken (250)

daß er sich ... erwiesen habe (11,5 ) daß der Autor sich ... erwiesen habe (255)

wenn er nicht auf eine Steigerung losarbeitete (11,84 ) wenn der wunderliche Korrektor nicht auf eine Steigerung losarbeitete (302) 71 b) er hebt ihm eine Schaufel ... unter die Augen (1,178*) jener hebt ihm eine Schaufel ... unter die Augen (121)

da seine Worte sichtbar wirkten (1,183*) da dessen Worte sichtbar wirkten (124)

c) Ehe wir dem Ursprung derselben nachforschen (1,153*) Ehe wir dem Ursprung des Lärms nachforschen (107)

Es kostete mich Mühe, es ihm auszureden (11,14*) Es kostete mich Mühe, ihm den Einfall auszureden (260)

Die zweite Hauptgruppe stilistischer Verbesserungen betrifft farblose Wörter und Ausdrücke, die Vischer durch anschaulichere und präzisere ersetzt. So ist A.E. beim Packen seiner Reisetasche nicht mehr darum bemüht, "viele Kleinigkeiten in kleinen Raum", sondern "in engen Raum zusammenzufügen" (1,28*;16), der Erzähler muß nicht "trutzig sein" (1,52*), sondern "trutzig starren" (48), und A.E. "sprengt" auf seinem Pferd Uber einen Abhang (263) an­ statt zu "rennen" (11,19*). In A.E.s Tagebuch "spricht" der

Krämer aus Bracknitz nicht (11,113*), sondern er "brummt" (319), der Dichter "durchlöchert" nunmehr die naturgesetzlichen

Schranken (325) anstatt sie zu "durchbrechen" (11,125*), und der Leser "läßt sich nicht auf das Zeug ein" (11,125*), sondern

"beißt darauf an" (326). Das "Gefühlte" im Epos (11,165*) wird zum "gefühlt Ruhigen" (349), und die menschliche Phantasie "ge­ deiht und reift aus" (423) anstatt "sich zu bilden" (11,296*).

Mehr als die Hälfte solcher stilistischen Präzisierungen findet sich in der Pfahldorfnovelle, und es geht Vischer hier besonders darum, Wortmaterial zu finden, das sowohl der Atmosphäre der 72 Erzählung als auch dem Erzähler A.E. angemessen ist. So werden archaische Wörter in der zweiten Version noch stärker betont

, * ("seit einem Jahr/seit zehn Monden", 1,149 /104 ; "der Schwanz/ der Schweif", I,351*/223), und A.E.s Vorliebe für eine gesuchte

Ausdrucksweise, die den Stil zeitgenössischer Gelehrtenromane persifliert,4 wird unterstrichen. Hierfür einige Beispiele:

4t Odgal mochte sich den Karpfen ... schmecken lassen (1,139/40 ) Odgal bezeigte Lust, sich den Karpfen schmecken zu lassen (98) 4t Wir ... begeben uns ans Land (1,153 ) Wir ... verfügen uns ans Land (107)

4t dieselben Männer bekamen den Auftrag (1,190 ) dieselben Männer wurden bestimmt (128)

4t Uber ihrer feinen Brust und Schulter (1,197 ) Uber ihrer feingebildeten Brust und Schulter (132) . *. wie dem Verbrecher vor der Hinrichtung (1,299 ) wie dem Verbrecher vor dem Todeshiebe (192)

4t war auf strenge Wachsamkeit besonders beeidigt(1,302 ) war auf strenge Wachsamkeit besonders in Pflicht genommen (193) * flüsterte eine rabenartige Stimme (1,313 ) ließ sich halblaut eine rabenartige Stimme vernehmen (200)

4t des letzteren Beine trugen und hielten mühsam das Ganze (1,351 ) die Knochen und Muskel des letzteren trugen und hielten mühsam das Ganze (223) 4t Da sprach er Widerstand durch Menschenkraft (1,385 ) Da predigte er Widerstand durch Menschenkraft (245) * aus dem Busch erhob sich eine Gestalt (1,386 ) aus dem Busch richtete eine Gestalt sich empor (246)

es ruft dreimal seinen Namen so entsetzlich, daß er sagt (1,390*) es kreischt dreimal seinen Namen so entsetzlich, daß er ruft (248) Weiterhin können wir Vischers Tendenz beobachten, Fremd­ wörter zu vermeiden und ihnen deutsches Wortgut vorzuziehen.5

So ersetzt er das dem Französischen entlehnte Adjektiv "rapid"

(1,37*) durch das einheimische "jäh" (39) und spricht von

"Gegenstand" (386) anstatt von "Objekt" (11,226*). Nur in einem einzigen Fall zieht er das dem Lateinischen entstammen­ de Adjektiv "zu ... plan" (323) dem deutschen "nicht so tief"

(11,122*) vor, um A.E.s Kritik an Schillers Wilhelm Teil be­ sonderen Nachdruck zu verleihen.

Außer diesen stilistischen Verbesserungen finden wir auch einige tiefergreifende Auslassungen und Zusätze, die als Vischers ii Reaktion auf die Kritik am Auch Einer zu verstehen sind. Über­ schauen wir noch einmal die im ersten Kapitel dieser Arbeit be­ handelten Rezensionen und Aufsätze, so sind es vor allem folgende

Mängel, die man Vischer vorwarf:

a) A.E.s Haltung Frauen gegenüber

b) die Schilderung von Ekelhaftem

c) den Charakter des Albert Einhart

d) die Genreproblematik

Zu a): Einige Monate nach der Veröffentlichung von Vischers

Auch Einer erschien im Staats-Anzeiger für Württemberg ein Auf­ satz Sidonie Binders mit dem Titel "Die Frauen in Friedrich v. [sic] Vischers Auch Einer".6 Obwohl die Autorin den Roman zu den bedeutendsten zählt, "die seit langen Jahren geschrieben worden sind", und zugibt, daß ihr Vischers "Buch von Anfang an ein ergreifendes und erschütterndes gewesen" sei, kritisiert sie scharf die Darstellung der Frauen.7 Einzig die Figur Goldruns findet sie meisterhaft, während sie Cordelia als "ein Wesen ... ohne Blut und ohne Kraft des Lebens, ein körperloses Heiligenbild altdeutscher Schule" abtut und Frau Hedwig vorwirft, daB sie wie ein Mann handele: "Eigentlich ist sie gar keine Frau".® Be­ sonders erbost ist S. Binder über A.E.s chauvinistische Be­ merkungen über Frauen in seinem Tagebuch, und sie fordert an­ statt des dort als ideal geschilderten "still ahnende[n] und be­ scheiden!!en]" Weibes die engagierte und emanzipierte Frau:

"... heraus mit ihr aus dem Ahnen in's Verstehen, soviel ihre

Natur immer gestatten mag! Heraus aus dem Helldunkel; Licht, mehr

Licht auch über sie".9 Dieser feministische Standpunkt, der für den Großteil der damaligen Literaturkritik noch einigermaßen unge­ wöhnlich scheint, - bezeichnenderweise erschien der Aufsatz ohne volle Namensangabe -, führt zu dem folgenden Urteil:

Im Allgemeinen will einem dünken, als ob die Leserinnen nicht eben Grund hätten zu besonderer Dankbarkeit, weder gegen den Autor, noch gegen den Helden des Buches.10

Obwohl Vischer Binders Aufsatz weder in der Selbstverteidi­ gung noch in seinen Briefen direkt erwähnt, ist es doch recht wahrscheinlich, daß er ihm bekannt war. Im Zusatz zu "Mein

Lebensgang" kommt er nämlich auf den Vorwurf zu sprechen, daB

Cordelia zu "nebelhaft" bleibe, und er betont: "Sie soll 75

erscheinen wie sie in Einhart lebt: als Genius, als Idealbild.

Gab ich ihr mehr Körper, so lernte man Einharts Seele, sein

II bestes, reinstes Selbst, das Ätherische darin nicht so gut

kennen".11 Vischer weist außerdem darauf hin, daß man Ein­

harts Einstellung Frauen gegenüber nicht vollständig erfasse,

wenn man sich auf dessen Tagebucheintragungen beschränke, son- 12 d e m daß man A.E.s Verehrung Cordelias hinzunehmen müsse.

Einige Veränderungen, die Vischer an Einharts Tagebuch vorge­ nommen hat, offenbaren, daß er die Kritik an dessen Einstel­

lung Frauen gegenüber in gewissem Maße als gerechtfertigt be­ trachtet hat, und daß er darum bemüht war, seine Hauptfigur in einem besseren Licht zu zeigen. So ersetzt der Autor die folgen­ de, recht unbedeutende Anekdote durch einen Abschnitt, in dem das beglückende und Gegensätze überwindende Lächeln einer Frau gelobt wird. Auffallend ist die Lichtsymbolik, derer sich schon

Binder in ihrem Aufsatz bediente.

Eier von Lustspielen oder Possen. Ein Onkel will seinen Neffen, lustigen Studenten, der öfters zu viel trinkt, einmal abfassen. Begibt sich in das Wirthslokal, wo die Studenten sitzen, in ein Neben­ zimmer, um von da im rechten Moment hervorzubrechen und den Jüngling im Blütezustand seiner Sünde zu ertappen. Trifft Gesellschaft, trinkt, trinkt fort, und endlich findet der Neffe, der in's Nebenzimmer tritt, den Onkel vollständig reif, vom Neffen nach Hause geführt zu werden. (11,223*)

Himmelsstrahl ins Leben ist namentlich auch das Lächeln. Ein gutes und anmutiges Weib verbreitet Sonnenschein durch Lächeln um sich, beglückt Un­ zählige den lieben langen Tag. Dies Aufgehen, Auftauen der Züge erleuchtet und wärmt die eisige Welt. Es ist Licht, Tag der Schöpfung, Ubergegangen in ein Menschengesicht, lebendige Mimik gewordenes 76

Licht. Es blickt freudiges Wohlwollen, ist also Lösung der Besonderheit der Einzelwesen; es ver­ einigt, es zaubert Getrenntes zusammen, ist Leuchten von Seele in Seele. (382)

Ein Vergleich von Katzen und Hunden wird durch die Kritik am "Männergeschlecht" und dessen Verhalten Frauen gegenüber ersetzt:

Der gebildete Hund leidet auch an wahrhaft mensch­ lichen Krankheiten. Die meisten Hunde in besseren Häusern sind Hämorrhoidarien. Die Katze dagegen hat Schwierigkeiten im Schlingen, engen Schlund. Interessanter Polarismus! (11,289*)

"Ausnahmen" - flach! fad! Man kann auch vom Männer­ geschlecht sagen, daß sehr viele Köpfe an Hundsköpfe erinnern. Die Geschlechter mögen einander necken, schließlich aber soll der Mann das Weib ehren, weil er aus Weibes Schöße stammt. (419)

Außerdem läßt Vischer die folgende Tagebucheintragung Einharts

Uber kokette Frauen in der zweiten Version des Romans aus:

Gesellschaft beim Staatsrath X. Zwei Töchter, eine sehr schön und hat den Gebrauch der Schönheit nicht gelernt. Noblesse oblige, aber beaut£ oblige auch. Man muß zugestehen: schwer! schwer! Siegesgewißheit auf jedem Schritt und doch streng haushalten! Freude des Anblicks, des Umgangs für Viele, und doch den Schatz der Liebe und ihrer Zeichen, jedes Blicks, jeder Bewegung, jedes Winks, der dahin wiese, streng nur für Einen Vorbehalten - ja schwer! Um ein schönes Weib schwirrt es in der Luft von Liebesgeistern, die alle an ihm schieben - hinein in die Koketterie. Kokette mißbraucht ihr Pfund, ungerechte Haushälterin. Gleicht endlich dem Trinker, der im einen Weinhaus schon auf's andere denkt, hat beim Malvasier schon Ueberschuß an Durst nach Marsala - - "ein Mädchen, das an meiner Brust mit Lächeln schon dem Nachbar sich verbindet" - Endlich alt. Was bleibt? (11,306*) 1

77

Indem Vischer die Aussage, daß "mehr Ehen durch das Weib

unglücklich werden, als durch den Mann", nicht mehr Einhart

direkt in den Mund legt wie in der ersten Ausgabe ("Es ist doch

wahr, ..." 11,308*), sondern sie Frauen zuschreibt ("Klare Frau­

en selbst geben zu, ..." 430), rückt er seine Hauptfigur in ein

besseres Licht und teilt zugleich einen Seitenhieb gegen die

seiner Meinung nach zu kritischen Rezensentinnen aus (vgl. auch

sein Gedicht "Einharts Wanderschicksal").

Zu b): Dieses Verhalten Vischers, die Kritik an seinem

Roman offiziell zurückzuweisen, gleichzeitig jedoch still- ll schweigend Änderungen vorzunehmen, die den kritischen Stimmen

Rechnung tragen, können wir auch in der Frage des Ekelhaften be­

obachten. Ein Teil der Rezensenten hatte, wie Vischer im Zusatz

zu "Mein Lebensgang" schreibt, "schweren Anstoß genommen an dem

Streiche, den in Bürglen der Kobold eines Nießreizers [sic] dem

armen A.E. spielt", und die Szene eher ekelhaft als komisch ge­

funden.13 Vischer halt diesen Kritikern entgegen, daß es sich

bei der beanstandeten Szene nicht um die Schilderung eines "unge­

löst Häßlichen" handele, gegen das sich Vischer stets scharf aus­

gesprochen hatte (vgl. seine Sue-Rezension), sondern daß wir es mit

einer Form des "unentbehrlich Häßlichen" zu tun haben. Dieses Häß­

liche wirkt wie ein Hebel, "der einen Augenblick fungiert, ... um

alsbald alle Bedeutung an das Bewirkte (A.E.s Seelenzustand) abzu­

treten".14 Vischer betont außerdem, daß er das Ekelhafte "so

schonend als möglich genannt" habe, und daß A.E. denjenigen 78 Kritikern, die sich beim Lesen der Szene geekelt hätten, zuvor­ gekommen sei: "Der A.E. hats euch abgenommen, vorweggenommen; er ist's, dem es schon vor und dem es für euch ekelt, und es ekelt ihm mehr noch als euch, er läßt euch nichts, gar nichts übrig!

Vischer verändert jedoch trotz seines Insistierens auf der Not­ wendigkeit des Vorfalls in Bürglen die von den Kritikern als ekel­ haft empfundene Szene für die dritte Auflage erheblich:

... der Überraschte schien im Drang des Augenblicks versäumt zu haben, eine doppelte Ringmauer von Lein­ wandfalten um den kleinen Geiser der Nase zu bilden, - eine ganz dünne Fontäne steigt in zierlichem Bogen und fällt nieder in den soeben mit Kapernsauce frisch versehenen Teller der gestrengen Dame zur Linken. * Diese zuckt zusammen und rückt mit dem Stuhl. (1,64 )

... der überraschte schien im Drang des Augenblicks versäumt zu haben, eine doppelte Ringmauer von Lein­ wandfalten um den kleinen Geiser der Nase zu bilden, - wenig half es, daB die um Menschenbegriffe so schuld­ los unbekümmerte Natur diesmal mehr zierlich, als gröb­ lich, ja mit einer gewissen fein spielenden Zartheit sich einmischte - die Dame zur Linken zuckt hinter ihrem soeben mit Kapernsauce frisch versehenen Tel­ ler zusammen und rückt mit dem Stuhl. (55)

Der peinliche Vorfall, der in der Erstausgabe recht drastisch geschildert wurde, erscheint in der dritten Auflage nur noch ver­ hüllt, und der Leser muß nun selbst erraten, was für einen üblen

Streich die Natur dem A.E. gespielt hat. Außerdem geht die amü­ sante Pointe verloren, daß A.E.s dünne Fontäne gerade in dem Moment steigt und niederfällt, als der am selben Tisch sitzende Junge be­ ginnt, von seiner mitskandierenden Lehrerin unterstützt, das

Schillersche Distichon vorzutragen: "Im Hexameter steigt des

Springquells flüssige Säule - " (55). Zu c): Außer der Gattungsfrage, auf die wir im nächsten

Abschnitt zu sprechen kommen, war es vor allem die Figur des A.E., an der sich die Geister der Rezensenten schieden. Während einige die lebensnahe Charakterisierung lobten, sahen andere in Einhart nur eine eindimensionale Karikatur oder Vischers alter ego. Die

Tatsache, daß Vischer über die Hälfte seiner Verteidigungsschrift dieser "schiefgewickelten Natur" widmete, zeigt, wie sehr ihn die

Kritik getroffen hat.i6 Die Textänderungen, die er vorgenommen hat, dienen sowohl dazu, die ernste Seite A.E.s hervorzuheben, als auch eine größere Distanz zwischen ihm und seinem Schöpfer zu schaffen. A.E.s Pessimismus, der schon in der ersten Ausgabe vorhanden war, tritt nun noch stärker hervor. So finden wir in der dritten Auflage die folgenden zusätzlichen Tagebucheintragungen:

Suchet nicht, so werdet ihr finden.

- Wer noch zu finden hat! (443)

Während A.E. in der ersten Version des Romans die "Wahlfrei­ heit des Willens" prinzipiell ablehnt und für denjenigen Verständ­ nis aufbringt, der, wie er selbst, unter dem Einfluß des Katarrhs eine Tat begeht, betont er nun das Element der Schuld:

Nur gegen Den soll man nachsichtig sein, der Schnupfen oder gar Grippe hat, das ist etwas Anderes, da hört die Freiheit in jedem Sinn auf. (11,366*)

Wer in schwerem Katarrh eine Untat begeht, der freilich handelt jedenfalls in Verfinsterung, doch ist zu fragen, ob er nicht vor derselben schuldhafte Gedanken nährte. (463) 80

Weiterhin können wir in der dritten Auflage eine Verschärfung von A.E.s skeptischen Haltung beobachten, was die politische und gesellschaftliche Entwicklung angeht. So fordert er eine recht strenge Republik, "der zuchtlosen Willkür eine Schraube, daB ihr das Blut aus den Nageln spritzte" (332), sinnt beim Betrachten eines italienischen Gemäldes über den "Wert der Polizei" nach (401) und beklagt die "faktische Unterwühlung der Gesellschaft" (484). Auch die folgende Tagebucheintragung, in der A.E. anläßlich einer abend­ lichen Soiree auf die Unzulänglichkeiten der Staatsformen zu sprechen kommt, ist in der Erstausgabe noch nicht zu finden:

Der regierende Herr selbst war da, hatte mich gern mit ihm unterhalten, er war aber von Hofleuten belagert. Strebt übrigens hochlöblich nach Kräften, über und außer dem Unterschied der Stande zu sehen. - Bin Monarchist - pur aus Gründen, ohne jegliche Sentimentalität, herzlich tauschungslos Uber jede Staatsform. Diese eben doch das geringere Uebel. Unter ihren Gebrechen freilich nicht das kleinste dies: der Fürst soll über und außer den Standen stehen, sich zu allen gleich verhalten, gleich verständig, brav und gerecht, ist aber doch selbst aus einem Stand, nämlich dem Adel. Dies tiefer, innerer, logischer Widerspruch, dem doch natürlich nicht abzu­ helfen. Der Adel bildet Partei, gewinnt Einfluß hinter vernünftigem Minister, steigt Hintertreppen, - Doppel­ regierung - Windekreuzung - und wer es büßt, ist das Volk und sein Wohl. - (424f.)

Vischer versucht in der zweiten Version des Romans den Eindruck des eindimensional Karikaturenhaften in der Figur A.E.s zusätzlich dadurch abzuschwachen, daß er den Erzähler etwas starker als bisher mit A.E. sympathisieren läßt. So betont dieser, daß Einhart einem

Baum gleiche, der nicht nur "knorrig und krumm", sondern auch "so tüchtig" gewachsen sei (305), und daß unter der skurrilen Oberfläche 81 eine äußerst sensible und leicht verletztliche Natur verborgen sei: "[A.E. gehört zu den] Naturen, denen das Leben so schwer wird, weil sie das Zweckwidrige zehnmal wunder reibt als den gröberen Nerv” (309). Während der Erzähler in der Erstausgabe der Pfahldorferzählung recht kritisch gegenübersteht, preist er sie in der revidierten Fassung:

... erwähnt sei nur noch, daß mehrere englische, französische, deutsche Werke ... auf eingängliche keltische Studien zu schließen gaben, die der Ver­ storbene für seine Pfahldorfgeschichte gemacht haben mußte. Ob ganz zum Nutzen derselben? schien mir nicht eben ausgemacht. Manchmal wollte mir dünken, es sei ihm nicht recht gelungen, die selt­ same Religion, welche er für die Pfahlbewohner er­ funden hatte, mit den mythischen Vorstellungen, die er seinen historischen Quellen entnommen, genügend ineinander zu verarbeiten, verschiedene Zeiten seien zu grell gemischt und es blicke da und dort ein Zug antiquarischer Belehrung hervor, der einer dichte­ rischen Komposition so übel ansteht. Doch schwankte ich wieder; gegen den letzteren Vorwurf ließ sich sagen, daß die gelehrten Brocken doch eben selbst auch größtentheils humoristisch gemeint seien. Ich vermochte mein Urtheil nicht abzuschließen. Das ist nun Sache des Lesers. (11,57 f.*)

... die der Verstorbene für seine Pfahldorfgeschichte gemacht haben mußte. Man erkennt, wie er bestrebt war, seiner Komposition durch die Früchte dieser Bemühung Fleisch und Bein zu geben, und wie sehr er doch gleich­ zeitig fühlte, daß es dem Dichter nicht ziemt, sein Werk mit antiquarischem Stoff zu beladen. Er bringt solchen Stoffs nicht wenig, aber oft genug humorisiert er ihn, neckt nur damit, und sehr keck durchkreuzt er ihn mit der selbsterfundenen närrischen Religion seiner Pfahlbewohner. So gewagt dies alles, es schien doch nicht zersetzend auf den Körper der Dichtung gewirkt zu haben. An barocken, ja krassen Vorstellungen hat es keiner Naturreligion gefehlt; daß aus einer schon zum Erz vorgeschrittenen Bevölkerung in eine stehenge­ bliebene ein Gast kam, als gefährlicher Neuerer erschien, ja Gefahr lief, als Ketzer verbrannt zu werden, ist am Ende sogar geschichtlich ganz denkbar.' Die durchgängige 82

Aufhöhung der Zustande, die anachronistische Auf­ hellung des Kolorits mit modernem Licht ist im Grunde nicht kühner als ein humaner Thoas in der Zeit der Menschenopfer. Am meisten aber schien mir alles Aetzende, Negative, Auflösende von diesem ironischen Elemente dadurch ferngehalten, daß das Streben des Poeten überall so sichtlich dahin geht, zu vergegenwärtigen, dem Gesetz anschaulicher Bild­ lichkeit zu genügen, - doch ich will dem Urteil des Lesers nicht vorgreifen. (286)

Die lange Interpretation der Pfahldorfnovelle durch den

Erzähler in der zweiten Version dient Vischer nicht nur dazu, A.E. und sein Werk in ein besseres Licht zu rücken, sondern zugleich auch zu seiner eigenen Verteidigung, wie die teilweise wörtlichen

Übereinstimmungen mit dem Zusatz zu "Mein Lebensgang" beweisen.

Vischer schreibt dort zum Beispiel: "Kann es in der Zeit der

Menschenopfer einen Thoas, eine Iphigenie geben, so kann in der

Stein- und Erzzeit ein Kallar und ein Artur reden, wie sie reden."17

Da die Kritik des Erzählers an A.E.s Novelle von Vischers Kritikern aufgenommen und gegen ihn gerichtet worden war, sah er sich gezwungen, seine Verteidigung nicht nur seiner Lebensbeschreibung anzuhängen, sondern sie auch direkt in den Roman einzubauen.

Zu d): Während wir in den bisher besprochenen Fällen beobachten konnten, daB sich Vischer einerseits gegen die kritischen Bemerkungen der Rezensenten und -innen verwahrte und sein "lang mit Liebe ge­ hegtes Werk", das er "mit rohen Fingern angetappt" sah, vor ihnen lß in Schutz nahm, daB er aber andererseits Textänderungen vornahm, die diese kritischen Stimmen mitberücksichtigten, so haben wir es nun mit einem Vischer zu tun, der in der Frage der Romanstruktur zu keinem Kompromiß bereit ist. Zwar vermeidet er in seiner Selbst­ verteidigung die Genrebezeichnung 'Roman' und schlägt den "Vexier- 19 namen" 'Capriccio' vor, doch scheint dieses Verhalten nichts weiter als ein schlaues Ablenkungsmanöver des greisen 'Ästhetikers zu sein, der sich wohl dessen bewußt ist, daß sein Werk nicht an herkömmlichen ästhetischen Maßstäben gemessen werden kann. Hätte er die Kritik derjenigen Rezensenten als gerechtfertigt betrachtet, die im Auch Einer entweder keinen oder einen schlechten Roman sahen, so hätte er höchstwahrscheinlich Textänderungen vorgenom­ men, die die 'Romanhaftigkeit' oder den 'Novellencharakter' des

Werkes stärker betont hätten.

Es lassen sich jedoch keine strukturellen Veränderungen fest­ stellen, sehen wir von einem Zusatz in A.E.s Tagebuch ab, in dem

Vischer zwei Hauptthemen des Romans verschmilzt (das Problem der

Tierquälerei und Einharts Besessenheit mit der dämonischen Goldrun), und dem sowohl durch seine Rückwendung (den Vorfall auf dem Tindsee) als auch seine Vorausdeutung auf den Traum am Ende des Romans eine gewisse einheitsstiftende Funktion zukommt:

Will mich am Hafen zerstreuen, am wimmelnden Leben, den Völkertrachten. Schleppt ein schmutziger Bursch einen mächtigen Fisch an einem Wiedring, der durch die Kiemen gezogen, der Schwanz schleift auf dem Boden nach. Wie glotzt die tote Kreatur mich an! Muß an den Wels im Tindsee denken. "Auch ein Verehrer." - Weg von da! Auch hier ist keine Zerstreuung für mich!

Niedlicher Traum das, heut nacht. Den dank' ich dem glotzenden Fisch von gestern. Träumt mir, ich schwimme als Fisch. Sie steht am Ufer und angelt mit goldener Angelschnur, daran hängt eine Goldfliege als Köder. Ich beiBe an, zerre, die verfluchte schöne Fischerin zerrt auch, die Angelschnur reißt, und ich bin frei mit der Angel im Rachen. Ich fahre umher wie verrückt. Kommt ein Hummer, verhöhnt mich, zwickt mich mit den Scheren, ruft eine Gesellschaft Krabben herbei, die zwicken und kitzeln auch. "He? he? Angebissen? Schmeckt's? G'segnete Mahlzeit! Gute Verdauung!" Ich will das Hundepack schimpfen - mummle, mummle - Papage- no mit dem Schloß. - "Mummelbrei, Mummelbrei!" spottet die umtanzende Rotte. - Ich will wegschwimmen, bin ja schneller als das Krebsgesindel - sie kreisen mich ein, bannen mich, klemmen mich - atemlose Angst- und Wutpein - ich erwache, finde mich im Bett mich herumwerfend, höre mich noch mummeln. - Jetzt wie gerädert an allen Gliedern. - .

Habe übrigens beschlossen, in ein Tierschutzver­ einsblatt einen Artikel gegen das Angeln zu schreiben. Man mag Tiere fangen, sie zu schlachten, auch mit List. Diese List aber gar zu schändlich, perfid, giftig. Das Tier wohlig in seinem Element, infam gelockt, getäuscht, in die Luft herausgeschnellt! Geschieht dem Fischer bei Goethe auch recht, daß ihn das Hexenluder hinunterkriegt. (349 f.)

Im Licht der Tatsache, daß Vischer an der ursprünglichen

Form des Romans festhält, erscheint seine Aussage in der Selbst­ verteidigung "... mag dies und das nicht glücklich komponiert 20 sein ..." nurmehr als halbherziges Zugeständnis an die Kritiker.

Ich glaube, daß wir Vischers Einstellung wesentlich näher kommen, wenn wir seinen Fingerzeig nicht übersehen, den er in einem Ab­

schnitt von A.E.s Tagebuch über das Wesen der Dichtung versteckt

hat. Während er in der Erstausgabe das "Band des Zusammenhangs"

als das wichtigste Gesetz der Poesie bezeichnet (11,124*) und so­ mit seinen Kritikern zustimmt, lesen wir in der dritten Auflage

folgenden viel radikaleren Satz: "... ihr einziges Gesetz ist sie

[die Poesie] selbst und was ihr Gebilde fordert" (325). Auf 85

Vischers Auch Einer bezogen heißt das, daß der Roman nicht an den zeitgenössischen ästhetischen Maßstäben (auch nicht an

Vischers eigener Aesthetik) gemessen werden kann, sondern daß er eine singuläre, der Themenstellung angemessene Form aufweist.

Zusammenfassend können wir feststellen, daß sowohl F. Feil­ bogen und R. Weltrich Unrecht haben, wenn sie den Textänderungen keinerlei Bedeutung zumessen, als auch R. Grimm, der die Unter­ schiede zwischen den beiden Fassungen des Romans mit der Genre­ problematik in Verbindung'bringt. Es hat sich vielmehr gezeigt, daß Vischer den Roman äußerst sorgfältig überarbeitet hat und darum bemüht war, jegliche vermeintlichen Schwächen und Fehler auszumerzen. Die meisten Textänderungen betreffen stilistische

Ungenauigkeiten, doch konnten wir auch beobachten, daß Vischer einige tiefergreifende Veränderungen vorgenommen hat, um den Ein­ wänden der Kritiker in Bezug auf Einharts Chauvinismus, A.E.s

Charakterisierung und die Schilderung von Ekelhaftem zu begegnen.

Es ist daher umso bedeutsamer, daß Vischer einzig die Struktur des Romans unverändert läßt. Er scheint sich dessen bewußt zu sein, daß prominente Kritiker wie Spielhagen und Auerbach seinem

Auch Einer Richtlinien anlegten, die auf nicht angemessenen

ästhetischen Regeln basierten, und daß sie daher seinem Buch nicht gerecht werden konnten. Anmerkungen

Franza Feilbogen, Fr.Th. Vischers 'Auch Einer'. Eine Studie (Zürich: Orell FüBlI, 1916), S. 53, Anmerkung 1. Vgl. Richard Weltrich, "Fr.Th. Vischer," in Allgemeine Deutsche Biographie (Sonderabdruck), Band 40 (1895), S. 29, der von "kleinen Veränderungen" schreibt. o Reinhold Grimm, "Zur Wirkungsgeschichte von Vischers Auch Einer," in Gestaltungsgeschichte und Gesellschaftsgeschichte. Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaftliche Studien, hrsg. Helmut Kreuzer (Stuttgart: Metzler, 1969), S. 380.

3 Die der Erstausgabe entnommenen Zitate werden im Text mit einem der Seitenangabe nachgestellten (*) gekennzeichnet (Stuttgart: Hallberger, 1879), 2 Bände. Ich zitiere ansonst nach Friedrich Theod. Vischer, Auch Einer. Eine Reisebekannt­ schaft , hrsg. Gustav Manz (Berlin: Deutsche Bibliothek, (1919]).

^ Vgl. W.H. Bruford, The German Tradition of Self-Cultivation. 'Bildung1 from Humboldt to Thomas Mann (London: Cambridge Univer- versity Press, 1975), S. 161.

5 Vgl. Feilbogen, S. 158 f.: "Prinzipiell vermeidet er Fremdwörter. In der Pfahldorfgeschichte richtet sich sein Spott gegen diese Vorliebe seiner Landsleute. Er setzt Knetung für Massage, Speisezettel für Menu, Brühe für Sauce, Rippchen für Kotelette."

6 S[idonie] Büinder], "Die Frauen in Friedrich v. Vischers Auch Einer," Besondere Beilage des Staats-Anzeigers für Württem­ berg, Nr. 3, 25. Februar 1879, 38-48.

7 Ebd., S. 38.

8 Ebd., S. 43 und 45.

9 Ebd., S. 47.

10 Ebd., S. 45.

86 87

11 Fr.Th. Vischer, Kritische Gange, hrsg. Robert Vischer, II (Leipzig: Verlag der Weißen Bücher, 19142), S. 533.

12 Ebd., S. 533.

13 Ebd., S. 516. Vgl. Berthold Auerbach, "Wissen und Schaffen. Aphorismen zu Friedrich Vischer's fluch Einer," Deutsche Rundschau, XXX (April, Mai, Juni 1879), S. 278 ff.

^ Kritische GSnqe

15 Ebd., S. 516 f.

16 Ebd., S. 510.

17 Ebd., S. 532.

18 Ebd., S. 507.

19 Ebd., S. 513.

20 Ebd., S. 530. II. TEIL

DIE ERZÄHLSITUATIONEN IM AUCH EINER.

Sowohl der gebildete Leser des Jahres 1878, in dessen Bibliothek die dickleibigen Bildungsromane des Jahrhunderts, angefangen vom

Wilhelm Meister bis zum Grünen Heinrich, nicht fehlen durften, als auch der zeitgenössische Literaturkritiker und Professor, der mit

Vischers am Bildungsroman orientierten Romankonzeption vertraut war, wird - so können wir annehmen - recht befremdet gewesen sein, als er anstatt der erwarteten geradlinigen, von einem Erzähler dargebotenen

Erzählung im Auch Einer mit einer Melange von verschiedenen, auf den ersten Blick disparat erscheinenden Erzählteilen, einer fragmentierten chronologischen Abfolge und mehreren Erzählern und Erzählperspektiven konfrontiert wurde. Es ist leicht verständlich, daB solche für die literarischen Strömungen der Zeit repräsentativen Kritiker wie Spiel­ hagen und Auerbach die experimentellen, auf die Romankunst des

Zwanzigsten Jahrhunderts hinweisenden Elemente im Auch Einer nicht als solche erkannten, sondern sie an herkömmlichen Romanmustern maßen und sie Vischer zwangsläufig als handwerkliche Ungeschicktheiten oder

Fehler ankreideten. Der Wunsch, ihre eigene Romankonzeption und

-Produktion zu propagieren, die gemessen am Auch Einer wenig Innova­ tives aufzuweisen haben, wird in nicht geringem MaBe zu ihrer nega­ tiven Beurteilung des Romans beigetragen haben. Für den heutigen

Literaturwissenschaftler sind es jedoch gerade diese von der

88 zeitgenössischen Kritik bemängelten Abweichungen von den herkömm­ lichen Erzählmustern, die dem Auch Einer Aktualität verleihen und eine erneute kritische Beschäftigung mit dem Werk rechtfertigen.

Der heutige Leser, für den solche Autoren wie Proust, Joyce, Woolf und Broch schon zu den "Klassikern" zählen, und der sich an solch radikale Experimente mit der Romanform wie den "nouveau roman" oder die Werke Samuel Becketts gewöhnt hat, würde - wenn ihm der Roman

Vischers in einer neuen Auflage leicht zugänglich wäre - nicht vor der Vielfalt der Erzählerfiguren und -Perspektiven kapitulieren, sondern in ihnen das (zugegebenermaßen zaghafte) Experimentieren des greisen Ästhetikers mit der zu eng gewordenen Romanform sehen, das ihn mit solchen Zeitgenossen wie Raabe und Fontane verbindet. Wie vielfältig und abwechslungsreich die Erzählperspektiven im Auch Einer gestaltet sind, läßt schon ein kurzer AbriB der Handlungsstruktur erkennen.

Der Roman beginnt mit der eigentlichen "Reisebekanntschaft", die der Untertitel dem Leser in Aussicht stellt. Der Ich-Erzähler lernt auf einer Reise durch die Schweiz einen aus der Menge der anderen Mitreisenden herausstechenden Mann kennen und freundet sich mit ihm an. Dieser A.E., der sich standhaft weigert, seine Identität preiszugeben, und dessen vollen Namen Albert Einhart wir erst in der

zweiten Hälfte des Romans erfahren - der Erzähler verleiht ihm die

Initialen A.E. "zur Aushilfe, die Bedeutung "Auch Einer" hineinlegend

(S. 257) -, erscheint auf den ersten Blick ein seltsamer Kauz zu sein

der in ständigem Kampf mit Objekten liegt und zudem unaufhörlich von allerhand körperlichen Leiden geplagt wird. Seine Weitsicht wird durch die Annahme bestimmt, daB die Ursache dieses Kampfes und dieser

Leiden teuflische Dämonen sind, die vom Menschen überwunden werden müssen. Der Ich-Erzähler ist zunächst durch die skurrilen Gedanken

Einharts wie zum Beispiel seine Umdeutungen geschichtlicher Ereig­ nisse oder literarischer Werke befremdet, wird jedoch in zunehmendem

MaBe in ihren Bann gezogen und assistiert Einhart schließlich bei einer seiner "Strafaktionen am Objekt". Nach dem Zusammentreffen mit Cordelia, - einer der zwei Frauenfiguren, die in A.E.s Leben eine entscheidende Rolle spielen -, das durch einen verhängnisvollen

Niesreiz Einharts während des Mittagessens ein jähes Ende findet, und nach dessen scheinbarem Selbstmordversuch in der Schöllenschlucht, der vom Erzähler vereitelt wird (wobei der gerettete A.E. selbst zum Retter wird), trennen sich die beiden. Einhart wandert allein nach Italien weiter, von wo er seinem neugewonnenen Freund das

Manuskript seiner Pfahldorfgeschichte "Der Besuch" zuschickt.

Diese Erzählung, die nun eingeschoben wird, weist eine auktori- ale Erzählperspektive auf und schildert den Zusammenstoß zweier prä­ historischer Kulturstufen. Ein auf dem Schweizer See Robanus errichte tes Pfahldorf, das von den Repräsentanten der Jungsteinzeit, dem Drui­ den Angus und seiner Hausverwalterin Urhixidur, beherrscht und in aber gläubischer Unwissenheit gehalten wird, erhält eines Tages den Besuch eines jungen Mannes. Dieser Vertreter der beginnenden Erzkultur,

Arthur mit Namen, bringt den Einwohnern Kunde von den Errungenschaf­ ten des neuen Zeitalters, gerät mit den Vertretern des "Status quo" in Konflikt und wird schließlich aus dem Dorf verjagt. Er kommt zwar bei dem Versuch, einem anderen Dorf den Fortschritt zu bringen, ums Leben, doch haben seine Ideen in Robanus allmählich Fuß gefaßt, und der Übergang zum neuen Zeitalter kann nicht mehr aufgehalten werden. Der Autor A.E. benutzt die Pfahldorfnovelle nicht nur dazu, um seine.Ideen zur geschichtlichen und kulturellen Entwicklung der

Menschheit anhand eines Beispiels zu entwickeln, sondern auch um

Seitenhiebe gegen zeitgenössische Erscheinungen auszuteilen, wie zum

Beispiel literarische Gattungen (den Gelehrtenroman), Musik (Wagners

ii Gesamtkunstwerk) und religiöse Institutionen und Praktiken. Ähnliche

Gedanken A.E.s sind dem Leser schon aus dem einleitenden Bericht des

Ich-Erzählers vertraut.

Nach Abschluß der Pfahldorfnovelle, die dieser als einen nicht

"geringe[n] Akt geistiger Freiheit" und Katharsis deutet (S. 255), setzt der Ich-Erzähler, der in zunehmendem Maße zum Berichterstatter und Chronisten wird, seine Erzählung fort. Seinem immer stärker werdenden Wunsch, den Schleier des Geheimnisses um A.E.s Identität zu lüften, kommt ein Zufall zu Hilfe: auf einer Reise in den Süden wird er Zeuge, wie A.E. beim Versuch, einen davonfahrenden Zug einzuholen, seine Brieftasche verliert, und er entnimmt dessen Paß den vollen

Namen des Reisefreundes, seinen Beruf (Vogt außer Diensten), das

Alter (50) und den Wohnort. Die Reise, die der Erzähler zum Wohnort

Einharts nun plant, wird durch den Krieg mit Frankreich verzögert, und als er sie im September 1870 unternimmt, muß er hören, daß A.E. kurze Zeit vorher beim Versuch, einem geschundenen Pferd zu helfen, vom Kutscher erstochen wurde. Der Ich-Erzähler trifft in A.E.s

Heimatort dessen Haushälterin sowie Freunde (den Assessor R.) und

Bekannten (den Stadtgeistlichen Zunger, alias "Tetem", den Arzt Dr.

Schwarz u.a.), die den Verstorbenen aus ihrer Sicht heraus charak­ terisieren und Ereignisse aus dessen Leben berichten, von denen der

Erzähler nur spärliche oder gar keine Kenntnis hatte. Diese Erzäh­

lungen des Freundes- und Bekanntenkreises werden im folgenden durch

A.E.s schriftlichen Nachlaß ergänzt und vervollständigt, zu dessen testamentarischem Verwalter der Ich-Erzähler von A.E. eingesetzt worden war. Unter den nachgelassenen Schriften befinden sich der

Versuch eines "System[s] des harmonischen Weltalls", der zu einem

"harmonischern] Bild des unharmonischen Weltalls" ausartet (S. 288), die unvollendete Skizze einer Singtragödie, in der eine Schreib­

feder, Tinte, ein Häarchen und eine Pfütze eine wichtige Rolle

spielen, und ein von A.E. verbesserter, d.h. entidealisierter Frau­

enroman. Den Hauptteil des schriftlichen Nachlasses bildet indes

A.E.s Tagebuch aus den vierziger Jahren bis zu seinem Tod (1870),

das der Ich-Erzähler, der nun die Rolle des Herausgebers übernimmt,

auszugsweise abdruckt.

Dieses Tagebuch, das nur an einer Stelle eine längere Lücke

aufweist, die durch die Erzählung des Schotten MacCarmon geschlossen

wird, erhellt nicht nur für den Herausgeber sondern auch für den

Leser diejenigen Vorfälle in A.E.s Leben, die bisher im Dunkel ge­

blieben waren. So erfahren wir von seiner Tätigkeit als Vogt, seiner

Teilnahme am Kampf um Schleswig-Holstein, der Zeit als Abgeordneter und seinen Reisen nach Norwegen und Italien, auf denen er sowohl

die dämonische Goldrun kennenlernte, die ihn fast ins Verderben

stürzte und zum Leichenschänder werden ließ, als auch die madonnen­ hafte Cordelia, die seine Zerrissenheit linderte und seinem Leben

neuen Sinn gab. Die Wiedergabe dieser äußeren Ereignisse in A.E.s

Leben macht jedoch nur einen, wenn auch recht wichtigen Teil des

Tagebuchs aus. Der andere Teil besteht aus Aphorismen und essay­

istischen Betrachtungen zu allen nur erdenklichen Themenkreisen:

neben Gedanken Uber das Verhalten von Tieren und der Verurteilung

von Tierquälerei finden wir Bemerkungen über die Rolle der Frau, die

zunehmende Technisierung und Industrialisierung, die eine Entfremdung

des Menschen von seiner Umwelt zur Folge haben, den Kampf zwischen

Mensch und Objekt, sowie andere zeitgenössische politische, litera­

rische, philosophische und theologische Probleme. Das Hin- und Her­

gerissensein Einharts zwischen unterem und oberem Stockwerk, zwischen

Goldrun und Cordelia, Philosophie und Dichtung, Amt und Privatleben,

das das Tagebuch deutlich dokumentiert, weicht' am Ende einem Gefühl

von Resignation. Einhart läßt das Leben und die Welt hinter sich,

findet sich mit seinem unvollfüllten und in seinen Augen mittelmäßigen

Leben ab und treibt langsam seinem individuellen Tod unter dem Messer

des Pferdeschinders entgegen. In welch starkem Maße A.E. in den

letzten Monaten seines Lebens "der Welt abhanden gekommen" ist, zeigen

die Tagebucheintragungen: der bisher so eloquente Einhart verzichtet

völlig auf irgendwelche persönlichen Informationen oder Betrach­

tungen und notiert lediglich die Schlachten im Krieg zwischen Deutsch­

land und Frankreich bis zum "Entscheidungstag von Sedan" (S. 496). 94 Die Analyse der verschiedenen Erzählsituationen, der wir uns

nun zuwenden wollen, nimmt in erster Linie Franz K. Stanzels Theorie

des Erzählens zum methodologischen Ausgangspunkt.1 Stanzel versucht

in dieser Studie, seine in den Fünfziger und Sechziger Jahren ent­ wickelte Theorie der typischen Erzählsituationen zu verfeinern und

auf den neuesten Stand der Forschung zu bringen: "Im Gegensatz zum

Romanautor befindet sich der Romankritiker im Vorteil, früher be­ gangene Fehler korrigieren, spätere Erkenntnisse nachtragen und mit

den neueren Ergebnissen der Diskussion und der Forschung koordinieren zu können". Während es Stanzel bei seinem früheren Ansatz in erster

Linie darum gegangen war, die wesentlichsten Erzählweisen idealtypisch zu entwickeln, wobei die Individualität des einzelnen Dichtwerkes in den Hintergrund trat, macht er es sich nun zur Aufgabe, "eine Dyna­ misierung und Differenzierung des Begriffs der typischen Erzählsi­ tuationen" zu erreichen und "einen Mittelweg zwischen Systematik der 3 Theorie und Pragmatik der Interpretationslehre zu finden". Der von

ihm entwickelte Typenkreis (siehe die Abbildung im Anhang) stellt weniger eine rigide Idealkonstruktion dar, wie Stanzel von einigen

Kritikern vorgeworfen wurde,^ sondern vielmehr ein flexibles Konti­

nuum, in das jedes beliebige Werk - abgesehen von wenigen Extremfäl­

len - eingeordnet werden kann: "Der Typenkreis verbindet also Ideal­

typen, oder ahistorische Konstanten, das sind die drei typischen ES,

mit historischen Formen des Erzählens, die sich als Modifikationen

der Idealtypen beschreiben lassen".^ Stanzel weist besonders darauf

hin, daß es kaum ein Werk gibt, das eine bestimmte Erzählsituation

durchgehend und in reiner Form aufweist, sondern daB vielmehr "die Erzählsituation eines Romans ständig, d.h. von Kapitel zu Kapitel

oder von Absatz zu Absatz, Modifikationen unterworfen ist”.6 Es

ist daher von größter Wichtigkeit, "der Abfolge von Modifikationen,

Übergängen, Überlagerungen der ES zwischen Anfang und Ende einer

Erzählung besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden” (Stanzel nennt diesen

Vorgang "Dynamisierung der typischen Erzählsituation").7 Die Kon­

stituenten, aus denen sich der Typenkreis zusammensetzt, werden von

Stanzel in der Form "binärer Oppositionen" dargestellt:

Modus: Opposition Erzähler - Reflektor

Person: Opposition Identität - Nichtidentität der Seinsbereiche des Erzählers und der Charaktere

Q Perspektive: Opposition Innenperspektive - AuBenperspektive

Auf die drei typischen Erzählsituationen bezogen ergeben sich

somit die folgenden Dominanzen:

Auktoriale ES - Dominanz der AuBenperspektive

Ich ES - Dominanz der Identität der Seinsbereiche von Erzähler und Charakteren 9 Personale ES - Dominanz des Reflektor-Modus

Bei der Betrachtung der verschiedenen Erzählsituationen im

Auch Einer wollen wir den jeweiligen Stellenwert auf Stanzels

Typenkreis und die Dynamisierung der Erzählsituationen innerhalb des Romans im Auge behalten. KAPITEL 4

DER PERIPHERE ICH-ERZÄHLER DER "REISEBEKANNTSCHAFT” .

Bei einer Durchsicht der kritischen Literatur zu Vischers Auch

Einer fallt auf, daB zwar einzelne Themen wie das der Tierliebe und -quMlerei, der literarischen Vorläufer, der zeitgenössischen

Anspielungen, der prähistorischen und keltischen Elemente u.v.m. ausführlich behandelt werden, daB der Figur des Ich-Erzählers je­ doch kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird. Entweder setzt man ihn mit dem Verfasser des Romans gleich (so zum Beispiel Berthold Auer­ bach, Franz Blume, Laurenz MUllner, E. Märkle und Fritz Mauthner),10 oder man sieht im Ich-Erzähler und im A.E. die entgegengesetzen

Seiten von Vischers Persönlichkeit. So repräsentiert für Ruth Heller

Einhart "the artistic, oversensitive and eccentric features [of

Vischer], while the 1 Reisekamerad' embodies the matter of fact qualities of his character".11 Während Heller weder der einen noch der anderen Figur einen qualitativen Vorrang gibt, zieht die Mehrzahl der Kritiker Einhart dem Ich-Erzähler vor. So nennt das Kindlers

Literaturlexikon den A.E. "unverkennbar Vischers anderes, wahreres

Ich" und Herman Meyer sieht in ihm das "bessere [...] Ich des 12 Dichters". Theodor Kappstein urteilt ähnlich, wenn Einhart für ihn

"Vischer als verdichtete Wahrheit" ist, und Franza Feilbogen deutet A.E. als idealisierte Projektion Vischers: "... z.T. ist die Gestalt des A.E. sein Wunsch, seine nach außen gestellte Sehnsucht".13 In allen Fällen wird eine direkte Parallele zwischen Vischer und seinen

Figuren gezogen und deren Fiktionalität vernachlässigt. Selbst K.

Ch. Planck, der in seinem Aufsatz "Deutscher Humor im Umschwung der

Zeiten oder ein Gegenfüssler J. Pauls" zunächst den Autor Vischer und seine fiktiven Geschöpfe (den "Erzähler" und den "Helden") strikt auseinanderhält, erliegt schließlich doch der Versuchung, Vischer mit seinem Ich-Erzähler identisch zu setzen: "... wir [sind] also nur noch auf die Papiere des Helden, zunächst seine dem Verf. zugeschickte Pfahldorf-Novelle, sowie auf mittelbare Quellen Uber ihn verwiesen".14 Auch Vischer kann sich der Tendenz, den Ver­ fasser mit dem Ich-Erzähler gleichzusetzen, nicht entziehen. In einem Brief an J.G. Fischer vom 10. Dezember 1878 betont er, "daß die zwei Kerle [d.h. der Autor und A.E.] doch ein Kerl sind", wobei der Autor die objektive und A.E. die subjektive Seite re­ präsentieren.15

Dieser durch die Form der Ich-Erzählung begünstigte Fehlschluß, dem sowohl die Kritiker als auch der Verfasser des Auch Einer er­ lagen, ist leicht verständlich, wenn man bedenkt, daß die Trennung von Autor und auktorialem bzw. Ich-Erzähler eine "noch relativ junge romantheoretische Errungenschaft" ist, die sich erst in den

Fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts langsam durchsetzen konnte.16

Zwar hatten schon Käte Friedemann 1910 und Roman Ingarden 1931 eine scharfe Trennlinie zwischen der Welt des Autors und der fiktiven Welt seiner Dichtwerke gezogen, doch blieb die Erkenntnis, "daß der Autor und sein Werk zwei heterogene Gegenständlichkeiten bilden, die schon ihrer radikalen Heterogenität wegen völlig ge­ trennt sein müssen", weitgehend ohne Wirkung.17 Erst Wolfgang

Kayser, Franz K. Stanzel und Bertil Romberg haben die Einsichten

Friedemanns und Ingardens wiederaufgegriffen und eine deutliche 18 Trennung von Autor und Erzähler postuliert. So betont Kayser in seinem wegweisenden Aufsatz "Wer erzählt den Roman?": "... der

Erzähler [ist] in aller Erzählkunst niemals der bekannte oder noch unbekannte Autor ..., sondern eine Rolle, die der Autor erfindet und einnimmt", und Romberg formuliert diesen nicht seit jeher so selbstverständlichen "truism" folgendermaßen: "When we turn over the title-page we open the door to the world of fiction ... but 19 we also take our leave of the author".

Wenn also feststeht, daß wir den Ich-Erzähler der "Reise­ bekanntschaft" nicht mit Vischer gleichsetzen können, so drängt sich die Frage auf, wie diese Erzählerfigur beschaffen ist, und welche Funktion sie hat. Untersuchen wir zunächst, was für An­ gaben zur Person der Erzähler seinen Lesern mitteilt, und was wir

über ihn indirekt durch sein Verhalten in Erfahrung bringen. I A.

DIE "FIKTIVE PERSON" DES PERIPHEREN ICH-ERZÄHLERS.

Als erstes fällt auf, daß der Erzähler sowohl seine Herkunft als

auch seinen Beruf verschweigt. Aus mundartlichen Eigenheiten können

wir schließen, daß er Schwabe ist, während sich A.E. zu den Franken on zählt. Die Tatsache, daß er während des Krieges gegen Frankreich

mit der "Pflege der Verwundeten" beschäftigt ist und an Sanitätszü-

gen teilnimmt (S. 257), legt es nahe, daß er von Beruf Arzt ist. Auf

jeden Fall ist er recht gebildet, mit den kulturellen und politischen

Ereignissen seiner Zeit vertraut, und er kennt sich sowohl in der bil­

denden Kunst als auch in der Literatur aus, wie wir später noch sehen

werden. Warum ist dieser Erzähler so sparsam, ja fast geizig mit An­

gaben zur eigenen Person und warum verstößt er gegen die romantech­

nische Konvention, dem Leser ein gewisses Minimum an Information 21 über sich mitzuteilen? Ein Grund hierfür muß in der Tatsache ge­

sucht werden, daß der Erzähler Einhart; in das Zentrum seines Berichts

stellen will, und daß er sowohl sich selbst als auch den anderen Fi­

guren nur eine untergeordnete Rolle zubilligt. So gibt er nur in Kür­

ze wieder, was die Lebensumstände der Haushälterin A.E.s betrifft, "da

uns hier ein anderes Schicksal beschäftigt" (S.277). Wenn der Erzäh­

ler seinen Bericht durch A.E.s Pfahldorfnovelle unterbricht, geschieht

99 100 dies nicht nur aus "Bedürfnis der Abwechslung", sondern auch weil er in den Hintergrund treten und Einhart das Wort erteilen will:

"... ich habe so lange selbst geredet, daB es Zeit ist, unseren

Freund - ich hoffe, das sei er trotz alledem - ganz zu Worte kom­ men zu lassen" (S. 90). Auch beim Abschied von A.E. in Göschenen

19Bt sich die Tendenz des Ich-Erzählers, seine eigene Person der des 'Helden' unterzuordnen, beobachten. Obwohl er sich eine recht kritische Beurteilung seines Gedichts über den Dolmen gefallen las­ sen muB, dessen "ironische!!...] Abschnappungü...] einer poetischen

Anschauung" von Einhart verurteilt wird, nimmt er seinem Reiseka­ meraden den 'Verriß' nicht Übel, sondern ist vielmehr durch dessen

Todesahnung zutiefst betroffen: "Das Schlußwort seiner Rede packte mich so, daß ich, über seine Kritik ohnedies nicht empfindlich, nun mich und mein Werk ganz vergaß" (S. 82). Auch im Titel und Unterti­ tel des Romans spiegelt sich dieses Verhältnis von Erzähler und

Hauptfigur wieder: während Einhart eine prominente Stellung ein­ nimmt (er ist sowohl Auch Einer als auch der Reisebekannte), kommt dem Ich-Erzähler nur eine vermittelnde Funktion zu.

Auch die Tatsache, daß der Erzähler seinem Bericht den Titel

Auch Einer und nicht Albert Einhart gibt, steht mit seinem eigenen

Insistieren auf Anonymität in Zusammenhang: es geht ihm weniger um die Schilderung einer einmaligen Freundschaft mit einem ganz be­ stimmten Individuum als vielmehr um die Behandlung allgemeinmensch­ licher Probleme und Fragestellungen. So wird zum Beispiel sein Schmerz beim Abschiednehmen von Einhart bald von Gedanken über die condition 101 humaine verdrängt: "Warum sollte ich nicht gestehen dürfen, daß mir das Auge feucht wurde, und warum nicht, daß ich zu fühlen meinte, dieser Tropfen gelte gar nicht allein dem Abschied, sondern wohl mehr noch gerade dem letzten, komischen Wort und dem, was es mir zu denken gab, zu denken nicht bloß über den einen Menschen, der dort über das wilde Gebirgsjoch in die Ferne zog" (S. 90; meine Hervorhebung). Der

Erzähler steht mit diesem bewußten Verharren in der Anonymität nicht allein da, sondern er folgt in dieser Beziehung dem Beispiel seines

Reisekameraden, der beständig Fragen nach Namen, Herkunft und Beruf ausweicht, nicht aus "Geheimtuerei", sondern weil er diese Information als irrelevant und für zwischenmenschliche Beziehungen sogar als hinderlich betrachtet: "Name und Stand macht Nebengedanken, führt auf

Namenetymologie und dergleichen, wir sind eben jeder ein Ich, eine

Person, oder, wie Fischart sagt, seelhaftes Lebwesen; wir befinden uns besser so" (S. 35).

Wenn sich der Erzähler nicht freiwillig charakterisieren will, so müssen wir selbst sein Charakterbild erstellen, indem wir sein

Verhalten und seine Ansichten analysieren. Zwar steht A.E. im Zentrum des Romans, doch sehen wir ihn zu mehr als ein Drittel durch die Augen des Ich-Erzählers, und es ist daher von großer Wichtigkeit, dieses

Medium genau zu beschreiben. Wie schon erwähnt, ist der Ich-Erzähler gebildet und, obwohl selbst kein Künstler, in hohem Maße an bildender

Kunst und Literatur interessiert. Ähnlich wie bei A.E. macht sich beim Erzähler die Tendenz bemerkbar, Personen seiner Umgebung mit

Figuren in bekannten Gemälden oder Skulpturen zu vergleichen. So IC 2 erinnert ihn der mit einem Tierquäler kämpfende Einhart an "die zwei

Ringer, die berühmte und doch unerfreuliche Antike in Florenz" (S. 41) und die sich A.E. "mit unaussprechlich sanfter Beugung" zuneigende

Cordelia an Johannes auf Leonardo da Vincis Abendmahl (S. 54). Zwar setzt der Erzähler den letzteren Vergleich vor allem der Anschaulich­ keit halber ein, - Worte können das Unaussprechliche nicht angemessen wiedergeben doch deutet er unbewußt durch die Gleichsetzung Jesus-

A.E. auf das tragische Schicksal des letzteren voraus. Während sich der vom Ich-Erzähler verwendete Vergleich im Bereich des Konven­ tionellen bewegt, ist derjenige A.E.s ungleich skurriler und grenzt auf den ersten Blick ans Blasphemische:

A.E. ... faßte mich am Arm und zeigte auf eine Katze, die mit ihrem Jungen auf einem Strohstuhl schlief. Es war ein schönes Tier ... , und sie hatte beide Vorder- füBe um ihr gleichfarbiges Junges gelegt: eine wirklich rührende Gruppe. "0, sehen Sie!" rief A.E., "aber auch wie eine Raffaelische Madonna!" (S. 56)

Zieht man Einharts Hochschätzung Raffaels, die sich in seinen

Tagebucheintragungen deutlich zeigt, und seine große Liebe Tieren gegenüber in Betracht, die er oft seinen Mitmenschen vorzieht, er­ scheint der Vergleich einer Katzenmutter mit Raffaels Madonna nicht mehr ganz so ungewöhnlich. Mehr noch als die Erwähnung des weitbe­ kannten Abendmahls durch den Erzähler zeugt die Tatsache, daß er das Gemälde des heiligen Sebastian in Einharts Studierzimmer kor­ rekterweise dem altdeutschen Maler Zeitblom zuschreibt, von einer nicht geringen Kunstkenntnis. Im Gegensatz zum damaligen Bildungs­ bürger, der sein Kunstwissen meist kritiklos solchen Reiseführern 103 wie dem Baedeker entnahm, bildet sich der Erzähler seine eigene

Meinung und schreckt nicht vor Qualitätsurteilen zurück. Den drei

Landschaftsgemälden, die Einhart besitzt, erkennt er das Prädikat

"von guter Hand" zu, und trotz aller Achtung, die er vor dem "ern- ste[n], feierliche[n], innigfromme[n], farbensaftige[n], lebens- wahre[n] Künstler" Zeitblom hat, kritisiert er dessen "Grille — , fast alle seine Köpfe mit rot angelaufenen Nasen und einer knopfigen 22 Anschwellung der Nasenwurzel auszustatten" (S. 279).

In noch stärkerem MaBe als mit der bildenden Kunst zeigt sich der Ich-Erzähler mit der Literatur vertraut. Neben den Klassikern

Goethe und Schiller, deren Verse er zitiert (in der Schüllenenschlucht kommt ihm Mignons Lied "Kennst du das Land" in den Sinn (S. 59), und der Wirt, der sprachlos die Strafaktion am Objekt mitverfolgt, erin- 23 nert ihn an Schillers "Lied von der Glocke" (S. 86)), erwähnt der

Erzähler Uhlands Gedicht über Wilhelm Teils Tod (S. 51) und Justinus

Kerners "schönes Gedicht auf das Trinkglas eines Freundes" (S. 277).

Das "Zickzack" von A.E.s Tagebuch und dessen "über das MaB gehende

Liebe zum Elemente der närrischen Vorstellung" läßt ihn an Lichten­ berg denken, und Cordelias Lippen erinnern ihn an das, "was der Edel­ mann im König Lear zu Herzog Kent von Cordelia sagt und ihren 'reifen'

Lippen" (S. 51). Der Erzähler zieht ein anderes Mal ein Shakespeare- stück heran, um seine Rolle als Einharts NachlaBverwalter zu be­ schreiben und das Motiv für seine eigenen Aufzeichnungen anzugeben: • 10 4

Da fiel mir Hamlet ein, wie er sterbend den Horazio bittet, dem versammelten Volke kundzugeben, wie alles gekommen sei, damit sein schwerverletzter Name gerettet werde. Jetzt erfaßte ich, daß dieser seltsam verhüllte, dem tragischen Helden nicht eben unverwandte Mann doch ein Bedürfnis in sich getragen habe, nach seinem Tode in richtigem Lichte gesehen zu werden, und herzlich fühlte ich mich nun geehrt, daß er mich als seinen Horazio auser­ lesen. (S. 278 f.)

Besonders vertraut scheint der Erzähler mit dem Leben und

Werk Hölderlins zu sein. Er erwähnt ausdrücklich dessen sämtlichen

Werke "in der bekannten verdienstvollen Ausgabe von Christoph Schwab" und die Sammlung von Gedichten aus dem Jahre 1843, deren Titelkupfer nach der Zeichnung von Luise Keller eine gewisse Ähnlichkeit mit

Albert Einhart aufweist (S. 61, 285). Der Erzähler schließt aus den physiognomischen Übereinstimmungen und Unterschieden, daß A.E. eine

"Grundstimmung, eine ... Ideenrichtung" vertritt, "die dem Geiste des früh verdunkelten Dichters verwandt" ist, daß er jedoch diese tragische

Veranlagung durch Humor und Zynismus zu überwinden vermag: "Eben an diese Derbheiten, an diese Stöße des Zorns und gröblichen Witze hatte ich schon bisher den tröstlichen Gedanken geknüpft, A.E. könne nicht der Verzweiflung, nicht dem Wahnsinn verfallen, wie der wehrlose schwäbische Sänger" (S. 61).24

Einerseits dienen die literarischen Anspielungen und Zitate dazu, die Belesenheit und Bildung des Ich-Erzählers unter Beweis zu stellen, andererseits sind sie ein Indikator für seine Unzufrieden­ heit mit der prosaischen Wirklichkeit. Erst wenn sie mit Kunst in

Verbindung gebracht wird, läßt sie sich ertragen. Bei A.E. können wir eine ähnliche Tendenz feststellen: er skandiert ein 105

Regierungsschreiben und nimmt ihm so seinen bedrohlichen Charakter.

Während dem Erzähler die Poetisierung und Harmonisierung der Wirk­ lichkeit gelingt, erreicht A.E. sie nur zu einem gewissen MaBe: "So weit ging's, aber weiter nicht, das Folgende war nicht in Jamben zu bringen, und ich erwachte zur Prosa" (S. 467).

Die harmonisierende Tendenz des Ich-Erzählers zeigt sich be­ sonders deutlich in seinem Gedicht Uber den stolzen Felsblock, der einen Kartoffelacker auf dem Rücken trägt:

Laß das Klagen, laB das Knacken, Das wird alles nicht mehr nützen, LaB geruhig dir im Nacken Den bescheidnen Acker sitzen!

Mußt dich gar so sehr nicht schämen, Mußt dich, dicker Trotzkopf, eben Auch dem Praktischen bequemen, Das ist Losung jetzt im Leben.

Siehst du, so wird jener, dieser Wildfang im gesetztem Alter Noch ein brauchbarer Akziser Oder Kameralverwalter. (S. 81)

Es ist bezeichnend für A.E.s Weitsicht, daß er die letzte

Strophe ironisch auffaßt und den an Heine erinnernden "prosaisch negativen Schluß[...]" verurteilt (S. 82), während dem Erzähler seine

Leistung "doch wirklich im Vorlesen gar nicht so übel vorkommtt]", d.h. daß er die am Ende geschilderte Anpassung an die bestehenden 25 Verhältnisse nicht ironisch sieht, sondern sie vielmehr fordert. 10 £

Der Stolz des dilletantisch dichtenden Erzählers auf sein recht lächerlich wirkendes Gedicht steht in direktem Gegensatz zu der wiederholten Versicherung, daß er "herzlich ... auf den Anspruch

[verzichte], ein Dichter zu sein" (S. 59) und sich "sehr bescheide,

[s]ich als Kollege in Apollo aufspielen zu wollen" (S. 80), und offenbart, daß er sich bescheidener gibt als er in Wirklichkeit ist.

Er ist ja schließlich der Verfasser der "Reisebekanntschaft" und erweist sich somit als "Kollege in Apollo". Wenn der Ich-Erzähler versichert, daß er nur über einen "sehr schwachen Vorrat" an Sprach- kenntnissen verfügt (S. 49), er jedoch im Verlauf, seines Berichts das

Gegenteil beweist, wird die Verwendung des Bescheidenheitstopos und damit auch der Erzähler selbst in gewissem Maß unglaubwürdig. Er verfugt über fundierte Sprachkenntnisse, die er übrigens auch beim

Leser voraussetzt, und zitiert nicht nur Italienisch, Lateinisch und

Griechisch (S. 54, 85, 87 f., 281), sondern er läßt sich auch über bestimmte grammatische und phonologische Eigenheiten aus. So be­ schreibt er das mit einem leichten Akzent versehene Italienisch

Cordelias recht detailliert:

Sie sprach es nicht völlig rein; der Vokal a nahm eine Färbung gegen ae an, aber nur eine ganz leise, weit entfernt von der Quetschung, die dieser reine Laut in der englischen Aussprache sonst erfahren muß. Alle übrigen Buchstaben kamen ganz lauter und richtig, nur viel milder, als aus südlichen Organen ... (S. 53)

l Wenn der Erzähler die Gründe dafür angibt, warum er nicht wie

A.E. ein hübsches italienisches Mädchen küsst, versäumt er es nicht, gleichzeitig seine Grammatikkenntnisse unter Beweis zu stellen: 107

... sie sagte "£ pazzo, ma pur simpatico. Pazzi siete tutti e due." Es drängte mich, sie dafür nun meinerseits auch zu küssen, ich bedachte aber schnell, daß sie "pazzi" in den. Plural verwandelt hatte, "simpatico" aber nicht, auch widersprach ein Etwas in mir der Nachahmung in die­ sem Fall, kurz ich bezwang die Anwandlung und drückte ihr nur zum Abschied die Hand. (S. 88 f.)

AuBer in den Fremdsprachen Englisch, Italienisch, Norwegisch,

Griechisch und Lateinisch kennt sich der Erzähler in deutschen

Dialekten aus (er mokiert sich über den "abgeriebenen rheinischen

Dialekt" des Kellners in Flüelen, S. 55 f.) und scheint sich sogar mit der germanischen Sprachentwicklung beschäftigt zu haben. So widerspricht er innerlich dem in sprachlichen Dingen äußerst be­ wanderten A.E., wenn dieser das Wort 'Pfnüssel' aus dem Keltischen ableitet: "... [er] behauptete mit komischer Heftigkeit, das Wort sei keltischen Ursprungs, was ich ihm doch nicht bestritt, obwohl ich es für gut deutsch hielt" (S. 77).

Die Invalidierung bestimmter Aussagen des Erzählers durch Fakten, die das Gegenteil beweisen, macht den Leser hellhürig und mißtrauisch, sodaß er schließlich dessen Bericht cum grano salis liest (um einen

Lieblingsausdruck A.E.s zu verwenden). Welch wichtige Rolle die

Skepsis des Lesers dem peripheren Ich-Erzähler gegenüber für die Aus­ sage und Interpretation des Romans spielt, wird uns die spätere Ana­ lyse der Erzähler-Funktionen zeigen. Ein weiteres Beispiel für die

Tendenz des Erzählers, sich anders zu geben als er in Wirklichkeit ist, wodurch er unwissentlich seine Glaubwürdigkeit untergräbt, ist der

Umstand, daß er häufig die Schicklichkeit eines bestimmten Benehmens betont, und daß er äußerst auf Etikette bedacht ist, während er jedoch 108

selbst Anstandsregeln verletzt. So betritt er, von einem Lach­ krampf geschüttelt, den Friedhof, um A.E.s Grab zu besuchen, obwohl er sich des Schmachvollen und Verbotenen seines Verhaltens bewußt ist (S. 276). Indem er in A.E.s Zimmer eintritt, ohne hereingebeten zu werden, begeht er eine weitere "Formverletzung" (S. 28), und seine Versicherung, daß er dem Gespräch zwischen A.E. und der italienischen Familie nicht absichtlich zugehorcht habe, verliert an

Glaubwürdigkeit, wenn er den Inhalt anschließend ausführlich wieder­ gibt (S. 53). Auch das Verhalten des Ich-Erzählers während seiner

Diskussionen mit Einhart offenbart seine Doppelzüngigkeit. Einerseits täuscht er dem gutgläubigen A.E. Interesse vor, andererseits macht er keinen Hehl aus seinem Gelangweiltsein und sogar Verdruß an den verqueren Ansichten des "seltsam Kauz[es]" (S. 26):

"Jawohl ist das Leben ein Suchen", sagte ich mit einem Seufzer, der scheinen konnte, den Mühen des Lebens zu gelten, während er in Wahrheit von der Langeweile ausgepreßt war, da die breite Beschäfti­ gung mit der Bagatelle mich denn doch zu ermüden begann. Daher denn auch die flache Bemerkung selbst, die nur um jeden Preis nach einem Inhalt abzulenken suchte. (S. 32)26

Anstatt beim Leser um Verständnis für sein Verhalten zu werben, glaubt sich der Erzähler mit ihm in Einverständnis und ist vor allem darum besorgt, den falschen Eindruck zu vermeiden, er sei nur trivi­ aler Aussagen fähig und künne zu einem Gespräch nichts Intelligentes beitragen. 10 9

Während wir bisher Beispiele für die UnverläBlichkeit des

Ich-Erzählers besprochen haben, die durch seinen Charakter bedingt sind, wenden wir uns nun seiner •erzähltechnischen UnverläBlichkeit' zu, die das Resultat der Einsicht ist, daß man zwar das äußere Ver­ halten von Menschen exakt beobachten und beschreiben kann, daB ein zuverlässiger Schluß auf ihre innere Motivation und Gedanken ungleich 27 schwerer fällt, wenn nicht sogar unmöglich ist. Im Verlauf seines

Berichts hält sich der Erzähler konsequent an die für den Ich-Roman

Übliche Konvention, die anderen Charaktere nur von außen zu be­ schreiben und eine etwaige Innensicht auf die eigene Person zu be­ schränken. Infolgedessen finden wir eine außerordentlich große Anzahl von Verben und Adjektiven, beziehungsweise Adverbien, die dem Bereich der sinnlichen Wahrnehmung entstammen. Neben auditiven Adverbien und

Adjektiven ("hörbar", S. 20; "hörsam", S. 27; "mit vernehmlicher

Stimme", S. 21; "ließ sich deutlich hören", S. 86) verwendet der

Erzähler in erster Linie Wörter aus dem visuellen Bereich. Die häufige Verwendung des Wortes "sichtbar" ist in diesem Zusammenhang besonders auffällig. Von den achtzehn Beispielen, die sich in der

Erzählung des Ich-Erzählers finden, seien nur einige der Anschaulich­ keit halber zitiert:

Mein Mann wurde aufmerksam, blieb stehen und hörte mit sichtbarem Interesse dem wachsenden Eifer zu ... (S. 23)

... eine sichtbare Unruhe kam ihm in die Beine. (S. 38)

... der Trödler, sichtbar zum Kaufe zuredend, stand neben ihm. (S. 51)

... er ... trug durch einen sichtbar künstlichen Akt der 110

Seele seine Erregung auf diesen ganz anderen, sachlichen Inhalt über ... (S. 69)

... diese sichtbar so gehaltene, verständige Frau! (S. 259)

Besonders bei der Beschreibung des für A.E. außerordentlich

emotionsgeladenen Mittagessens mit Cordelia, dessen Signifikanz dem

Erzöhler zur Zeit des Geschehens verborgen bleibt, sind sowohl die

fünfmalige Wiederholung dieses Adverbs als auch andere visuelle

Hinweise nicht zu übersehen:

Die Unterbrechung war ihm [A.E.] sichtbar lästig, es zuckte auf seinem Gesicht, und er diente nun der Fragerin mit einer Vergleichung der schottischen Hochländer und der Schweizer, die offenbar zugunsten der letzteren ge­ münzt war, deren Inhalt ich aber kaum verfolgen konnte, da sein sonderbares Lippenspiel meine ganze Aufmerksamkeit anzoq. Er lenkte nämlich das Gespräch wieder ins Englische, und sichtbar trieb ihn der 'Ärger, die englische Aussprache zu karikieren. Er zog zum Beispiel bei den Silben, wo w und a Zusammentreffen, wie bei what, die Mundwinkel um ein gutes weiter zurück als üblich, und brachte so eine Reihe froschähnlich quakender Laute hervor, die die beiden Knaben mit offenem Munde und sichtbar gegen Lachreiz ankämpfend bestaunten, und mir ging es nicht besser. Jetzt kam die säuerliche Dame, die das in ihrem Eifer nicht merkte, auf die Landschaft zu sprechen und dehnte ihre Vergleichung auch auf Norwegen aus. A.E. wurde dabei sichtbar unruhig, und als sie die Schönheit der Wasserfälle rühmte, den RjukanfoB als den mächtigsten, den OvsthusfoB als den eigentümlichsten erwähnte, fuhr A.E. sichtbar zusammen, erbleichte, und das Messer entfiel seiner Hand. (S. 54; meine Hervorhebung)

Da der Erzähler zu fast jeder Gelegenheit darum bemüht ist,

äußere Details auf innere Vorgänge hin zu interpretieren, dies jedoch

auffallenderweise im Falle des für den'Helden' wichtigsten Ereignisses

unterläßt, dessen Zeuge er wird, offenbart, wie wenig er A.E. in

Wirklichkeit kennt, und wie wenig er in der Lage ist, die Tragweite 1 1 1

28 einer Situation abzuschätzen. Es ist weiterhin auffallend, daß er sogar von Äußerlichem (dem sonderbaren Lippenspiel A.E.s) in solchem Maße abgelenkt werden kann, daß er dem eigentlich Substan­ tiellen (A.E.s Ausführung über Schotten und Schweizer) keine Auf­ merksamkeit schenkt.

In enger Verwandtschaft mit dem häufig verwendeten Wort

"sichtbar" finden wir "sichtlich" (S. 34, 53, 68, 286), "ersichtlich"

(S. 290), "offenbar" (S. 21, 41, 56, 57, 86, 283, 290, 295) und

"erkennbar" (S. 43, 50, 292), die in noch stärkerem Maß als "sichtbar" auf die Schlüsse hinweisen, die der Erzähler aus äußeren Gegebenheiten zieht:

Am Boden wälzte sich, ankämpfend gegen meinen Reise­ bekannten, ein Mensch, der offenbar zu dem Handwägelchen gehörte, welches danebenstand. Es war ein gedrungener, breitschulteriger Kerl von offenbar nicht geringer Körper­ kraft ... (S. 41; meine Hervorhebung)

Überhaupt spielen Physiognomie, äußere Erscheinung und, damit zusammenhängend, die Augen und das Sehen im Auch Einer eine außer­ ordentlich wichtige Rolle. Vischer zeigt in dieser Hinsicht eine

ähnliche Tendenz wie der zur Jahrhundertwende schreibende Joseph

Conrad, der es als die Aufgabe des Dichters betrachtet, "by the power of the written word to make you hear, to make you feel ..., before 29 all, to make you see", und in dessen Werk "attentive scrutiny and imaginative penetration" physiognomischer Eigenheiten die Vorbedingung für das Verstehen der jeweiligen Person darstellt: 1 1 2

The feature that more than any other can reveal, or conceal, a person's unspoken motives and hidden inten- tions is his face, and especially his eyes ... Narrators and characters frequently turn physiognomists, therefore, in their endeavours to understand, to see through someone eise.30

Beide Dichter stehen somit in einer Tradition, die ausgehend von Lavaters Physioqnomischen Fragmenten im achtzehnten Jahrhundert begann, und deren Blütezeit in das neunzehnte Jahrhundert fiel.31

Lavaters Theorie, die zeitweilig der Gegenstand heftiger Kritik und sogar scharfen Spottes wurde, fußt auf der Idee, "that man's outward appearance, whether taken a s a whole or in parts, is a manifestation of his inner seif. Physiognomy, in a word is the art of knowing the inner man through the outer. The corollary of this is that beauty 32 and ugliness are expressions of virtue and vice respectively".

Obwohl Vischer in seiner flesthetik Lavaters Theorie kritisch gegenübersteht und wie Lichtenberg und Hegel glaubt, daB die Hand­ lungen eines Menschen mehr über ihn verraten als seine äußere Er­ scheinung, bedient er sich ebenso wie Goethe, Raabe, Keller, Spiel­ hagen, Stifter u.a. in seinem Roman häufig physiognomischer Inter- 33 pretationen. Nicht nur der Ich-Erzähler wird ständig zum Physi- ognomiker, sondern auch A.E. hat ein scharfes Auge für die äuBere

Erscheinung anderer. Dieses Vorgehen Vischers ist ein deutlicher

Indikator für die Lage, in der sich Lavaters Theorie in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts befindet: 113

It is noteworthy that, although the Lavaterian physiognomical culture had already gone into a certain decline by the mid-nineteenth Century, physiognomy itself did not disappear from the novel ...3^

Wenden wir uns zunächst den allgemeinen physiognomischen

Beobachtungen des peripheren Ich-Erzählers zu, bevor wir die

Rolle des physiognomisch wichtigsten Organs, des Auges, näher untersuchen. Neben einigen summarischen physiognomischen

Charakterisierungen - der Erzähler langweilt sich unter "einigen steifen Teegesichtern" im Speisesaal (S. 27), nennt das Gesicht des Aushilfskellners "ohrfeigenwürdig" (S. 55), bezeichnet den ländlichen Chirurgen als "echtes Charakterbild" (S. 67) und lobt den "Ausdruck von Vernünftigkeit" in den Zügen des

Assessoren R. (S. 267) - finden sich eine Reihe von "composite portraits", das heißt von Charakterisierungen bestimmter Indi­ viduen anhand der Beschreibung mehrerer hervorstechender physi- ognomischer Eigenschaften. Besonders aufschlußreich sind die

Portraits der polaren Frauenfiguren Cordelia und Goldrun, der

'Heiligen' und der 'Hure', die die enge Verbindung von Vischers

Roman mit der Literatur und Malerei der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts deutlich machen, und die wir deshalb ausführlich behandeln wollen. EXKURS.

DAS BILD DER FRAU IM AUCH EINER.

Abgesehen von den Augen sind es vor allem Haare, Gesichtsfarbe und Profil, denen der Erzähler seine Aufmerksamkeit schenkt. So beschreibt er Cordelia bei ihrem ersten Auftreten folgendermaßen:

Ihre Gesichtsbildung war nicht eben regelmäßig schön, aber durchdrungen und belebt von einem Ausdruck der rührendsten Güte und Offenheit. Die Gesichtshaut war blaß, ohne Anschein von Kränklichkeit, überhaucht von jenem Dufte, der an den weichsten Pfirsichflaum erinnert, und vollkommen gestimmt zu dem glanzlosen Aschblond der anspruchslos glatt gescheitelten Haare. Man hätte zu dieser Farbe blaue oder graue Augen erwartet, sie waren aber braun, dunkel, südlich, doch ohne einen Funken der Leidenschaftlichkeit, die oft aus solchen Augen blitzt, vielmehr lag darüber jenes Etwas, das durch den Ausdruck: beflort, beschleiert nur mangelhaft bezeichnet wird. Es war das nicht bloß ein Zug von Trauer, wozu man die Er­ klärung in ihrem schwarzen Anzug finden konnte, es waren die langen Wimpern und ihre beschattende Wirkung, die großen Augenlider, es war der mandelförmige Schnitt des ganzen Auges, was jene Art träumerischer Verhüllung be­ wirkte, wie man sie wohl bei umbrisch-italienischen Frauenaugen trifft, aber bei angelsächsischem Blute nicht zu finden gewohnt ist. Die Lippen waren nicht zurück­ gekniffen, wie man es bei Mann und Weib im englischen Volke so häufig bemerkt und aus der Gewöhnung dieses Or­ gans bei der Aussprache des W sich leicht erklärt, son­ dern gesund, voll, blühend, atmend, umspielt von einem Zuge, der mir vor die Seele führte, was der Edelmann im König Lear zu Herzog Kent von Cordelia sagt und ihren "reifen" Lippen. (S. 50 f.)

Im Gegensatz zu Lavaters Theorie und den darauf basierenden physiognomischen Beschreibungen in der Literatur des achtzehnten

114 115

Jahrhunderts, in denen Schönheit des Körpers mit geistiger Voll­ kommenheit gleichgesetzt wurde, liegt der Charakterisierung Cor­ delias das ästhetische Kriterium des Picturesque zugrunde."^

Dieses Kriterium, das vor allem in England als Reaktion auf das

Insistieren des achtzehnten Jahrhunderts auf dem Element des

Beautiful and Sublime entwickelt wurde, läßt die Forderung nach

Schönheit in den Hintergrund treten und betont vielmehr, "[that] irregularity of appearance is generally essential to picturesque beauty".'56 Zwar ist Cordelia nicht "regelmäßig schön", doch ver­ mitteln ihre Gesichtszüge den Eindruck von Harmonie und Ausge­ glichenheit: die Gesichtsfarbe ist "vollkommen gestimmt" zum blonden Haar, und auch ihre Augen unterstreichen mit ihrer

"träumerischeen] Verhüllung" (S. 50), die an Gemälde der Prä-

Raffaeliten erinnert, den Eindruck von "Güte und Vernunftruhe"

(S. 283).^ Das Nebeneinander von nordischen und südlichen Zügen

(das Haar, die Gesichtsfarbe - die Augen, die Lippen) drückt nicht wie zum Beispiel im Fall von Thomas Manns Tonio Kröger einen inneren Zwiespalt aus, sondern deutet vielmehr auf Cordelias harmonisierende und heilende Kraft hin - sie vermag es, den zwischen dem Norden und Süden hin- und hergerissenen Einhart zeitweilig zur

Ruhe kommen zu lassen. Trotz der Abweichung von Lavaters Theorie, daß äußere Schönheit eine edle Gesinnung ausdrückt, und der Be­ tonung der "picturesque beauty" greift der Erzähler bei der Be­ wertung einzelner physiognomischer Charakteristika auf Lavaters

System zurück. Die "rührendste[...] Güte und Offenheit" (S. 50) 116

Cordelias wird durch das "glanzlose Aschblond der anspruchslos glatt gescheitelten Haare" unterstrichen (blondes Haar bedeutet für Lavater eine sanfte, zarte Natur, während dunkles Haar von 38 einem starken Charakter zeugt). Auch die Farbe der Augen be­ tont diesen Zug Cordelias: während man ihrer Gesichtsfarbe wegen blaue oder graue Augen erwartet, die bei Lavater "characters lacking in moral fiber" Vorbehalten sind, hat sie braune Augen, die körperlich oder moralisch starken Charakteren zugeschrieben 39 werden. Der Hinweis auf die physiognomischen Unterschiede der

Völker (Angelsachsen/Italiener) hat ebenfalls seinen Ursprung in

Lavaters Theorie von den Nationalphysiognomien.Im Ganzen be­ trachtet, macht das Bild Cordelias den Eindruck des Harmonischen,

Ruhigen und Gesunden, was durch die Naturvergleiche unterstrichen wird: ihre Haut erinnert an "Pfirsichflaum11, und ihr Wuchs gleicht dem einer "jungen Weide" (S. 50). Später beginnt sie zu kränkeln und sich dem in der Literatur der Jahrhundertwende beliebten Typus der femme fragile anzunähern.^ Im Kontrast zur "Retterin" (S. 281),

Heiligen und femme fragile Cordelia finden wir die Hure und femme fatale Goldrun. Ihr Portrait vermittelt den Eindruck von großer

Schönheit und Bedrohung:

Ein ganzer Wald von glänzenden Locken umgab wie eine Löwenmähne das wohlgebildete Haupt; ich konnte es nicht bloß auf die Lichtwirkung schieben, daß mir dieses Haar wie metallisch erschien. Warum wollte mir, wenn mein Auge von der Betrachtung des Gesichts zu dieser reichen Umkränzung zurückkehrte, mehr und mehr scheinen, als be­ wegten sich diese Ringel, als zischelten Schlangen aus ihren Spitzen? Das konnte nur eine Phantasieübertragung 117

des Eindrucks sein, den die Gesichtszüge mir machten. Aus diesen Augen blitzte etwas, auf diesen Lippen, dieser leicht gehobenen Unterlippe saB etwas, um diese Mundwinkel spielte etwas, das ich unbewußt in die Vor­ stellung Schlange übersetzte. Und doch wieder ein Ge­ präge der Tüchtigkeit und eine Anmut! Aus denselben Augen schien Juno und Aphrodite zu blicken, auf diesen Lippen sich edler Stolz und freie Gewährung zu wiegen, auf dieser Stirne, auf dieser fein gebogenen Nase sin­ niges Denken und heiterer Witz zu thronen. (S. 280 f.)

Anstatt des "glanzlosen AschblondCs] der anspruchlos glatt gescheitelten Haare" Cordelias, die auf deren Natürlichkeit und

Einfachheit hindeuten, hat Goldrun eine wilde Mähne von "glänzen- de[m]" und "metallisch" erscheinendem Haar, das ihre Zügellosig­ keit und magnetische Anziehungskraft unterstreicht. Der Hinweis auf die Schlangen, in die sich ihre Locken in der Vorstellung des

Erzählers verwandeln, rückt Goldrun in die Nähe der Medusa, die in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts als der Inbegriff 42 des dämonischen Frauentypus angesehen wurde. In A.E.s Tagebuch stoßen wir ebenfalls mehrmals auf dieses Motiv:

Es rollen die Locken ihr übers Gesicht, Wie blinket und züngelt ihr goldenes Licht! Das sind ja die funkelnden Schlangen, Die mit den Ringen, Die mit den Schlingen Zauberisch mich gefangen. (S. 350)

... ihre Locken sind von Gold, ringeln sich aber wie Schlangen, blaue Funken knistern aus ihren Spitzen ... (S. 486)

Ich schaue über ihr Gorgonenhaupt hinweg hinauf nach dem speienden Krater. (S. 487) 118

Welche Affinität Vischer in dieser Beziehung mit Dichtern der Dekadenz und des Symbolismus aufweist, zeigt sich deutlich, wenn man seine Charakterisierung Goldruns mit Swinburnes eigenwilliger

Interpretation von Zeichnungen aus der Schule Michelangelos ver­ gleicht, die laut Mario Praz einen großen Einfluß auf die Entwick­ lung des Konzepts der dämonischen Frau in der englischen Literatur hatte

... her hair, close and curled, seems ready to shudder in sunder and divide into snakes ...

Here also the electric hair, which looks as though it would hiss and glitter with sparks if once touched, is wound up to a tuft with Serpentine plaits and involu- tions; all that remains of it unbound falls in one curl, shaping itself into a snake's likeness as it unwinds, right against a living snake held to the breast and throat.*4

Hier wie dort finden wir dämonische Schönheit und Haar, das metallisch glänzt und sich in Schlangen zu verwandeln scheint, und die Ähnlichkeit der Passagen ist so groß, daß man annehmen kann, der sowohl in der bildenden Kunst als auch Literatur bewanderte

Vischer sei mit Swinburnes Notes on Designs of the Old Masters in

Florence (1868/75) vertraut gewesen.

Außer der medusenhaften Schönheit Goldruns finden wir weitere

Kennzeichen, die sie als femme fatale ausweisen. Das Lächeln, das um ihre Mundwinkel spielt, erinnert an Leonardo da Vincis Mona Lisa, die Walter Pater in seinen Studies in the History of the Renaissance

(1873) als den Prototyp der dämonischen Frau darstellte und dadurch 119 so populär machte, "daß es während der achtziger Jahre in bestimmten

Pariser Kreisen bei den Animierdamen Mode wurde, das rätselhafte 45 Lächeln zur Schau zu tragen". In engem Zusammenhang mit dem un­ durchdringlichen Lächeln der Gioconda steht die Darstellung der dä­ monischen Frau als Sphinx. So heißt es zum Beispiel in P^ladans

Vice supreme (1884):

Chimäre, dein Anblick erregt in mir diesen Durst nach dem Schönen und Bösen: Du bist gestorben, ohne ihn zu stillen. 0 Schwester der Gioconda, o verderbte Sphinx, ich liebe dich!46

Goldrun wird in Vischers Roman zwar nicht direkt als Sphinx geschildert, doch deuten Tiervergleiche ihre Verwandtschaft mit dem geheimnisvollen und verderbenbringenden Fabelwesen an. So spricht der Erzähler von ihren Haaren als einer "Löwenmähne" (S. 280), und

Einhart vergleicht Goldrun mit einer Raubkatze: "Wie ein schön ge­

fleckter Panther springt sie gegen mich auf ..." (S. 353).47 A.E.s

sarkastischer Kommentar zu Goldruns Untreue bedient sich ebenfalls dieses Bildes: "Den KuB und dann die Kralle. So sind sie alle"

(S. 341). In einem Fiebertraum glaubt Einhart "das falsche Weib als Drachen über Eisberge zu verfolgen" (S. 371), und in einem weiteren Traum sieht er sie in einem von einem Drachengespann ge- Aa zogenen Wagen durch die Luft fliegen (S. 486).

Neben dem Medusen- und Sphinxmotiv finden wir im Auch Einer

eine weitere Erscheinungsform der femme fatale, die Nixe oder 120

Undine, die sich seit den siebziger Jahren in der Literatur und

Malerei einer außerordentlichen Beliebtheit erfreute (man denke an Bücklin, Klimt, Makart, Rilke, George, Dauthendey u.a.), und die "als eine der wichtigsten Keimzellen des gesamten Jugendstils" betrachtet werden kann. Goldruns Lied vom Herrn Olaf, der von einer Nixe ins nasse Grab gelockt wird (S. 336 ff.), weist auf ihre eigene unheilbringende Anziehungskraft Männern gegenüber hin, und

Einhart wendet mehrmals das Nixenmotiv auf dieses "dömonischCe]

Weib" (S. 357) an. In einem seiner Träume umarmt Goldrun ihn "als

Meerfräulein" (S. 354), und ein anderes Mal sieht er sich als Fisch, der an ihrer Angelschnur zappelt (S. 349). Es ist vor allem die

Farbe ihrer Augen, die Goldrun als Nixe ausweist:

Ihre Augen: blau, grau oder grün? Kann es nicht heraus­ bringen. Es muß eben doch eine Nixe sein. (S. 352)

Hinab in die Strudel! Schnell! — Ja, wenn nicht da unten - - mit den grünen Nixenaugen, sie — sie — Bist du da? (S. 441)

Die grünen Augen Goldruns sind nicht nur ein Anzeichen dafür, daß das Wasser ihr Element ist, sondern sie betonen auch den grau­ samen Zug an ihr.50 Es ist sicher kein Zufall, daß das "reizende

Ungeheuer" Goldrun in einem von Einharts Gedichten die Pferde nicht mit einer Peitsche, sondern vielmehr mit einer Geißel antreibt

(S. 367: "Die Geißel schwinge frei!"), und daß darüber hinaus die

Geißel eher für Einhart als für die Rappen bestimmt zu sein scheint.

Die folgenden Verse A.E.s lassen keinen Zweifel daran, daß seine 1 2 1

Liebesbeziehung zu Goldrun stark sadistisch, beziehungsweise maso­ chistisch getönt ist:

In unsrem Liebesoxden Mag man das Schlichte nicht, Da möchte man sich morden, Wenn man sich heiB umflicht. (S. 366)

Vischers fluch Einer steht in dieser Beziehung an der Vorfront literarischer Zeitströmungen — man denke an die Wiederentdeckung de Sades in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, die

Prävalenz des 'englischen Lasters', die Schilderung der Algolagnie,

Nekrophilie und anderer Spielformen des Sadismus in Swinburnes,

D'Annunzios und Huysmans' Werken, Aubrey Beardsleys GeiBelungsszene, die er als Frontispiz für John Davidsons Earl Lavender (1895) schuf, 51 sowie Leopold von Sacher-Masochs Venus im Pelz. Die femme fatale

Goldrun vereinigt somit mehrere Motive in sich, die sich in der

Literatur und Malerei der Dekadenz einer außerordentlichen Beliebt­ heit erfreuten: sie ist sowohl Medusa als auch Sphinx, Mona Lisa, 52 Nixe, Dominatrix und Hexe (S. 283).

Doch kehren wir von unserem Exkurs über das Frauenbild im Auch

Einer und insbesondere über die Polarität von Hure und Madonna, von femme fatale und femme fragile, zu unserem eigentlichen Thema, dem der Physiognomie, beziehungsweise Physiognomik, und damit zu Lavater zurück. Neben der Interpretation bestimmter physiognomischer Eigen­ schaften geht der kontrastierende Vergleich von zwei Individual­ physiognomien im Auch Einer auf Lavater zurück. Das seit 1800 in der Literatur häufig verwendete Doppelportrait, dessen Funktion es meist ist, "[to symbolize] rivalry or conflict",5'5 findet sich im

Auch Einer im wahren Sinne des Wortes. Der periphere Ich-Erzähler hält die Photographie Goldruns, die er in A.E.s Studierzimmer ge­ funden hat, neben das Bildnis Cordelias und beschreibt den Eindruck, den die beiden Frauen auf ihn machen, folgendermaßen:

Dunkle Schlüsse aus diesen kargen Spuren ziehend, ver­ weilte ich in der Betrachtung der beiden Bilder. Es war, als ränne ein milder Geist des Friedens aus den sanften Zügen des zweiten Bildes und legte sich beruhigend über die wirren Wogen widersprechender, beängstigender Vor­ stellungen, die aus dem anderen wie aus einem Hexenkessel brodelnd hervorquollen. Es war ganz der Ausdruck der Lauterkeit, Güte und Vernunftruhe, der mich vor Jahren an diesem Weibe so herzlich gerührt hatte, jetzt nur doppelt wirksam im schlagenden Gegensätze zur wilden Schönheit des Nebenbildes. (S. 282 f.)

Während dieses Doppelportrait den wesenhaften Unterschied der beiden Frauenfiguren und die Überlegenheit der'Heiligen' Cordelia

über der 'Hure1 Goldrun anschaulich macht, dient der Vergleich einer späten Hölderlindarstellung mit den Zügen Albert Einharts dazu, um die Kontrastharmonie, die zwischen den beiden existiert, herauszu­ stellen:

Es war mir vom ersten Moment an eine Ähnlichkeit mit Hölderlin aufgefallen; der Leser kennt wohl das Titel­ kupfer in der Ausgabe der Gedichte von 1843; der un­ glückliche Dichter ist hier im hohen Alter abgebildet; dieses hat nicht vermocht, dem fast regelmäßigen Profil seinen Adel zu nehmen, aber es hat im Bunde mit dem Wahn­ sinn die hohe Stirn, die feinen Züge tragisch zerfurcht; man verjünge diese Züge zu etwa fünfzig Jahren, denke sie sich überhaupt markiger, die Stirne etwas weniger steil, doch hoch, weniger gefaltet, doch nicht ohne einige 123

Furchen über der Nasenwurzel, man öffne die Augen etwas weiter, lasse sie aber gleich tiefliegend unter starken Augenknochen, man ziehe die Mundwinkel ums Kennen weniger herab, so wenig nur, daß ein Gepräge von Gewohnheit bitteren Betrachtens nicht ganz aus dieser Linie ver­ schwindet, halte aber im ganzen das wohlgebildete Profil fest, man setze diesen Kopf auf eine muskulöse Gestalt: so kann man sich eine Vorstellung von dem seltsamen Reise­ freund machen, um den mich meine Härte gebracht hatte ... (S. 60 f.)

Auffallend ist hier die graduelle Überführung der Gesichts­ züge Hölderlins in die Albert Einharts. Der Erzähler ähnelt einem

Bildhauer, der den noch weichen Ton einer Büste so modelliert, daß 54 allmählich das Bildnis einer anderen Person entsteht. Der Zweck dieser Transformation, die an moderne filmische Techniken erinnert, ist es, sowohl die verwandte "Grundstimmung" und "Ideenrichtung" der beiden als auch ihre grundsätzliche Verschiedenheit ans Licht zu bringen:

Leicht erkennt der Leser aus dem Bisherigen, ... daß der stärkeren Männlichkeit in der Erscheinung des ersteren [A.E.s] etwas im Innern entsprach, was dem Zweiten ganz fremd war. Hölderlin war humorlos; ich kann mir nicht denken, daß der unglückliche Dichter aus dem Ernste je­ mals in solche Derbheit hätte umspringen können, wie A.E. es liebte. Eben an diese Derbheiten, an diese StöBe des Zorns und gröblichen Witze hatte ich schon bisher den tröstlichen Gedanken geknüpft, A.E. könne nicht der Ver­ zweiflung, nicht dem Wahnsinn verfallen, wie der wehrlose schwäbische Sänger. (S. 61)

Die Tendenz des Erzählers, Problematisches zu harmonisieren, die wir schon beobachten konnten, tritt hier besonders deutlich zu­ tage, und es bleibt letztlich dem Leser überlassen, ob er dessen optimistische Deutung von A.E.s Gesichtszügen teilt oder nicht. 124

Der Vergleich oder die Kontrastierung verschiedener Physiognomien

wird nicht immer so ernst eingesetzt wie in den bisherigen Beispielen,

sondern kann vor allem bei A.E. eine komische Färbung annehmen. So

widerspricht Einhart dem Erzähler, der die Nichte des Wirtes in

Göschenen hübsch findet, und urteilt: "Ich weiß nicht; halb hübsch

oder so oder — halt! so ist's: sie sieht aus, als hätte sie eine

schöne Schwester" (S. 67). Obwohl sich der Erzähler Einharts an­

scheinend skurrilen physiognomischen Deutung nicht völlig an-

schlieBen kann, wird er von seinem Reisebekannten angesteckt, wie

seine Wortwahl beweist: "Ich nahm mir keine Zeit zum Nachdenken

über gemischte hälftige Schönheit und über SchlieBbarkeit aüf eine 55 schönere Hälfte, denn der Hunger war groß ..." (S. 67 f.). Auch

die irrtümliche Interpretation von Einharts Rückenansicht durch den

Erzähler stellt einen ironischen Seitenhieb Vischers gegen Lavater

dar, der behauptete, man könne den Charakter eines Menschen sogar

aus der Ansicht seines Rückens erschließen:

Ganz verdutzt, als ich nun so breit seinen Rücken vor mir hatte, dachte ich, ob denn dies der Anfang des ver­ sprochenen Bildungsunterrichts sein sollte; er ließ mir ziemlich Zeit zur Betrachtung, bis der Aufschluß kam ... (S. 34)56

Das in physiognomischer Hinsicht aufschlußreichste und im Auch

Einer wichtigste Organ sind die Augen. Einerseits dienen sie als

Fenster zur Seele und spiegeln ebenso wie die Gesichtszüge wieder, was sich im Innern des Menschen abspielt, auf der anderen Seite stellt ein scharfer Blick die Vorbedingung für das Erfassen und Verstehen der den Menschen umgebenden Wirklichkeit dar. So er­ freut sich sowohl der Erzähler als auch Albert Einhart einer scharfen

Sehkraft und erweist sich als kritischer Beobachter seiner Um­ gebung.57 Während der Ich-Erzähler das Leben und die Welt unter dem Blickwinkel eines Durchschnittsmenschen sieht, ist Einharts

Sicht weit differenzierter und individueller. Er sieht Kunstwerke,

Landschaften, Menschen und Tiere "wie sie nicht jeder sieht, näm­ lich mit den eignen Augen" (S. 260), und seine Erfassungsgabe ist so ausgebildet, daß es dem Erzähler scheint, "sein [A.E.s] Auge pflegte zu blicken, als wäre eine fest greifende Hand darin" (S. 36).

Im Gegensatz zur großen Masse, die nur "durch ihre Blindheit glück­ lich" ist (5. 423), ist Einhart zum Seher bestellt,5® und diese Auf­ gabe fällt ihm nicht immer leicht. Da sein scharfer Blick hinter die Erscheinung und unter die Oberfläche sehen kann, und da ihm die

Kehrseite der menschlichen Existenz nicht verborgen bleibt, über­ kommt ihn dann und wann die Versuchung, seine Augen vor dem Elend zu schließen: "... in der Welt steht's so, daß ich gar nicht hin- sehen mag. Kehre zurück in dich! Ich hoffe, wieder ganz zu mir zu kommen" (S. 376). So versenkt er sich während seiner letzten

Reise nach Italien in die Landschaft und die Kunstschätze des Landes und ist bestrebt, sich von der Politik fernzuhalten. Der Rückzug in das Innere, der mit einem Gefühl von Resignation verbunden ist, macht sich auch physiognomisch bemerkbar. Einharts Blick nimmt

ähnlich wie der Cordelias einen "beflorten" Ausdruck an: "... [es] lag ... eine Art von Beschattung, etwas wie ein dunkler Flor 126

darüber" (S. 19).39

Im Gegensatz zu A.E., dem die Wirklichkeit fragwürdig geworden / ist, und der sich daher in die Innerlichkeit flüchtet, hält der Ich-

Erzähler an einer rationalistischen Weitsicht fest; seine Erzähl­

weise ist analysierend, zerebral, und er ist darum bemüht, vom

Äußeren auf das Innere zu schließen. So liest er den Blicken seiner

Mitmenschen ab, ob sie glücklich und zufrieden, verärgert und er­

zürnt, verunsichert oder traurig sind:

Unterdessen hatte der Kondukteur vom Bock aus ... un­ willige Blicke durch das offene Wagenfenster hereinge­ worfen ... (S. 21)

... ein hohes, bildschönes Mädchen, mit großen, dunkeln, vor Freude leuchtenden Augen ... (S. 87)

... [der Wanderer] legte seine Last ab, stellte den soliden, bauschigen Regenschirm in eine Ecke, nicht ohne ihn mit einem Blick zu betrachten, der eine innere Zufriedenheit mit dem gediegenen und nützlichen Gerät ausdrückte, begab sich rasch an den Tisch, setzte sich an sein anderes Ende, rückte sich den Stuhl recht nahe, zog eine Brille hervor, besah sich, was aufgesetzt war, schien mit der Vollständigkeit der Dinge, die zu einem englischen Frühstück gehören, sehr einverstanden und be­ gann mit dem vollen Ausdruck einer Seele, die sich bewußt ist, daß ihr Leib sein Frühstück redlich verdient habe, die genuBverheiBende Arbeit des Schneidens und Butter­ streichens. (S. 35 f.)

Sogar der Widerstreit verschiedener Gefühlsregungen läßt sich manch­

mal an Blicken und Mienenspiel erkennen, so wenn der Wirt in

Göschenen Zeuge der "Strafaktion am Objekt" wird:

Man konnte ihm auf dem Gesichte lesen, daß in seinem Gemüte zwei Mächte sich eine ordentliche Schlacht liefer­ ten: das Gefühl der Zweckwidrigkeit des erst Vorgefallenen, 127

der Unmut über so verkehrtes Handeln und über die jetzige Dreistigkeit auf der einen und auf der anderen Seite der Respekt vor Fremden, die sich eine so groß­ artige Verschwendung erlaubten, und die Lust am Spaße, den eine Szene, wie die letzte, denn doch jedem Zu­ schauer bereiten mußte. (S. 88)

Blicke können weiterhin als Kommunikationsmittel dienen, das in Sekundenschnelle einen Kontakt herstellt und oft Sprache über­ flüssig macht:

Wahrend er [A.E.] die Treppe hinabstieg, blieb ich noch bei Cornelia, die mir vor die Türe folgte, stehen und sah sie fragend an; sie verstand meinen Blick, sie las schnell darin, daß er forschte, wie ihr der Herr ge­ falle ... (S. 88)60

Während sich der Sprecher hinter den Worten verstecken kann, verraten sein Mienenspiel und sein Blick häufig die innersten Ge­ mütsregungen. Frau Hedwig ist dies bewußt, wenn sie der Erzähler bei einer "Strafaktion am Objekt" überrascht, und sie verbirgt ihr

Gesicht (S. 259). Außer als Kommunikationsmittel kann der Blick auch als Waffe dienen; man denke nur an das Sprichwort "Wenn Blicke töten könnten ..." . So wirft A.E. dem Kellner im Gasthof zu Bürglen

"Blicke voll Widerwillen" zu, und dieser revanchiert sich, indem er

A.E.s Mißgeschick am Mittagstisch durch sein Grinsen "markiert" (S. 56).

Der Physikprofessor, der sowohl der unfreiwillige als auch unwillige

Zeuge von A.E.s Vortrag über die Tücke des Objekts wird und ihm die

Schuld dafür zuschiebt, daß ihm das Butterbrot - natürlich, würde

A.E. sagen - auf die gebutterte Seite fällt, rächt sich, indem er eine "Batterie von [grimmigen] Blicken" auf ihn abschießt (S. 38). 128

Der Einblick in die verborgensten Gemütsregungen mit Hilfe des Blickes und Mienenspiels ist besonders für das Verständnis

Albert Einharts von Wichtigkeit, da dieser Sonderling selbst dem

Erzähler gegenüber nur selten und mit Widerwillen sein Innerstes offenbart. Beim ersten Treffen schließt der Erzähler sowohl aus dem dunkeln Flor, der über A.E.s Zügen liegt, als auch aus dem

"gewissen müden Ausdruck" seines Blickes auf dessen resignierende

Haltung (S. 19). Nur die Natürlichkeit der einfachen Schweizer

Bürgersleute vermag Einhart momentan dieser Stimmung zu entreißen:

... er lauschte mit glänzenden Augen den rohen Rachen- tünen des lauten Gesprächs und den wiehernden Jodlern, die es unterbrachen, und das Durcheinander der Stimmen schien ihn diesmal durchaus nicht zu belästigen. (S. 27)

Erst wenn Cordelia auftritt, hellt sich Einharts Miene auf, und der Erzähler liest an seinen Blicken die "Tiefe und Zartheit" der Gefühle ab (S. 57), die A.E. sowohl mit Cordelia als auch mit ihrem verstorbenen Gatten Erik verbindet:

Tief bewegt hürte A.E. ihr zu, man sah, daß er diesen Kummer im tiefsten Gemüte teilte und ebensosehr die Schönheit des Schmerzes in dieser anmutvollen Erscheinung bewunderte. Mit Blicken wie Blicke der Andacht schaute er zu ihr auf ... (S. 53)

Trotz der wichtigen Rolle, die dem Mienenspiel und Blicken in dem Bericht des peripheren Ich-Erzählers zukommt, zeigt sich - be­ sonders im Falle Albert Einharts -, daß der Aufdeckung innerster

Gefühle mit ihrer Hilfe Grenzen gesetzt ist. Zwar vermag der 129

Erzähler die enge Beziehung zu erkennen, die zwischen A.E. und

Cordelia besteht, doch kann er keine Details in Erfahrung bringen.

Zweimal muß der Erzähler sogar zugeben, daß es ihm unmöglich ist, vom Mienenspiel und Blick auf das Innere zu schließen, wahrend er im einen Falle die Kürze und Undeutlichkeit des Mienenspiels dafür verantwortlich macht (S. 46: "Ein leichtes Zucken lief über seine [A.E.s] Züge, so schwach und so blitzschnell, daB ich schlecht­ weg keine Zeit fand, einen deutlichen Schluß darauf zu gründen"), kann er im anderen Fall keinen Grund für sein Versagen angeben:

Wenn sein [A.E.s] Blick an den waldigen Ufern, am Rücken und steilen Gipfel des Rigi aufstieg, oder über die schimmernde Flache des hellgrünen Sees hinlief, so meinte ich ihn öfters mit einem gewissen müden Ausdruck von seiner Bahn zurückkehren zu sehen, als wollte er sagen: Das alles könnte schön sein, wenn nur — was dem Wenn in seiner Seele folate, war freilich aus dem Blicke nicht zu lesen. (S. 20)

Die Tatsache, daB diese zeitweilige Unfähigkeit des Erzählers,

A.E.s innersten Gefühle vollständig zu erfassen, auf der ersten

Seite des Romans zutage tritt, wirft ein besonderes Licht auf das Insistieren des Erzählers, vom Äußeren auf das Innere zu schließen, macht es fragwürdig und ist ein zusätzliches Beispiel für seine UnveriaBlichkeit.

Beim genauen Lesen des Romans stoßen wir auf ein weiteres In­ diz für das Unvermögen des Ich-Erzählers, die Wirklichkeit ange­ messen zu erfassen: die auffallend häufige Verwendung sogenannter

"words of estrangement" wie "als ob" und "scheint".^ Die Funktion 130 dieser Wörter ist, wie Boris Uspensky in seinem Buch A Poetics of Composition: The Structure of the Artistic Text and Typology of a Compositional Form feststellt, "to translate the description of an internal state into an objective description", und sie treten dann in einem Text auf, "when the narrator takes an external point of view in describing some internal state (thoughts, feelings, un- 62 conscious motives for action) that he cannot be sure about".

Tzvetan Todorov bemerkt in seiner Untersuchung zu Nerval, daß solche Modifizierungen dazu führen, daß der Erzähler nicht mehr für die Wahrheit seiner Aussagen verantwortlich gemacht werden kann.63 In Vischers Auch Einer finden wir die "als (ob)"-Modifi- kation vierundzwanzigmal im Bericht des peripheren Ich-Erzählers,6^ und die folgenden Beispiele zeigen deutlich, daB diese Konstruktion dazu dient, den Unsicherheitsfaktor in der Beurteilung bestimmter

Gemütszustände anderer Figuren zu unterstreichen:

Er faBte sich schnell, und als wäre ihm mit den letzten Worten das Stichwort von außen gegeben, auf ein anderes Thema einzugehen, nahm er die deutsche Frage auf ... (S. 69)

A.E. sah ganz ernst hinüber und nickte sanft mit dem Kopfe, ... mit einem Zug der Teilnahme, als wollte er sagen: das kennen wir armen Sterblichen. (S. 38)

Merkwürdigerweise steht unter anderem ahnungsvoll, als hätte er vorausgesehen, was ihm auf der Fahrt nach Luzern widerfuhr ... (S. 293)

Es sollte dargestellt werden, wie die Teufel lügen, als wären die Künste, womit sie die Menschen foltern, schöne Künste, als wäre ihre Hölle ein Paradies ... (S. 293)

Als hätte er es geahnt, was ihm kurz darauf bei KÜB- nacht widerfahren sollte! (S. 297) 131

Der Ich-Erzähler verwendet die "als (ob)"-Konstruktion je­ doch nicht nur, wenn er die Gedanken und Gefühle anderer wieder­ zugeben sucht, sondern auch, wenn es um seine eigenen Gefühle geht:

... so war mir, als sei mein Grimm mit diesem Gestein und dieser grollenden Flut ein Ding ... (S. 48)

... so wurde mir, als wirble und schäume es mir gerade so in meinem armen Kopfe. (S. 58)

... es war als sei die Hölle losgelassen, es war, als siedete es mir in den Ohren, als wäre mir höllischer Schwefelbrodem durch alle Poren der Haut in den Leib gepeitscht, glühte mir den Schlund herauf und hauchte Flammen aus meinen heiBen Lippen, meine Schritte taumelten und schwankten, als wäre ich betrunken. (S. 60)

Mir war, als streifte mich der Geist des Verstorbenen. (S. 258)

Warum wollte mir ... mehr und mehr scheinen, als be­ wegten sich diese Ringel, als zischelten Schlangen aus ihren Spitzen? (S. 280)

Im letzten Zitat findet sich nicht nur die "als (ob)"-Konstruktion, sondern auch das Verb "scheinen", das ebenfalls die Unsicherheit des Erzählers offenbart, die Wirklichkeit vollständig und wahrheits­ gemäß erfassen und wiedergeben zu können. Die Frequenz dieses modi­ fizierenden Verbs ist doppelt so hoch wie die der "als (ob)"-

Konstruktion: es tritt achtundvierzigmal im Erzählerbericht auf.65

Wir zitieren nur einige anschauliche Beispiele:

... dieses Werk wenigstens noch gemeinsam zu verrichten, dagegen schien er denn doch nichts zu haben ... von da schien eine erträglich gute Laune bei ihm einzutreten ... [der Reisende] schien mit der Vollständigkeit der Dinge ... sehr einverstanden ... A.E., der inzwischen die EBlust gestillt, schien zum Abmarsch keine besondere Eile zu 132

haben ... Es kam mir der Gedanke, ob A.E. auf ihn be­ rechne. Es schien entschieden nicht. (S. 35 f.)

A.E. schien nur auf diese Einladung gewartet zu haben, es schien ihm sehr zu gefallen, daß ich mich so läßlich und eingehend zu ihm verhielt. (S. 46)

«I Es hatte mir geschienen, A.E. sei des lästigen Übels, das ihn auf der Reise befallen, ungewöhnlichitschnell losgeworden; doch das war Täuschung ... der Überraschte schien im Drang des Augenblicks versäumt zu haben, eine doppelte Ringmauer von Leinwand um den kleinen Geiser der Nase zu bilden ... (S. 55)

Der Wirt schien gerne zu zeigen, daß er ein reichhaltiges und schmuckes Service besitze ... Ein Gott schien uns mit Blindheit geschlagen zu haben ... DaB er [A.E.] bei diesem Kreisen der Objekte soeben noch selbst mittätig gewesen, schien er rein vergessen zu haben; (S. 84)

Die häufige Verwendung dieser Konstruktionen, die die Un­ sicherheit des Ich-Erzählers deutlich macht, steht in gewissem

Gegensatz zu den Verben der sinnlichen Wahrnehmung, die er ver­ wendet, um die Authentizität seiner Beobachtungen und Aussagen zu betonen. Dieser Kontrast beruht auf den verschiedenen Erzähl funktionen, die dem peripheren Ich-Erzähler zukommen, und denen wir uns nun zuwenden wollen. B.

DIE ERZÄHLFUNKTIONEN DES PERIPHEREN ICH-ERZÄHLERS.

Das hervorstechendste und wichtigste Merkmal der peripheren

Ich-Erzählsituation ist die "Mediatisierung des Erzählten", d.h. die Tatsache, daß das Geschehen durch ein Medium gebrochen und ge­ filtert wiedergegeben wird:

... nicht wie die Hauptfigur und ihre Welt an sich sind, sondern wie sie von einem aus einiger Entfernung schau­ enden, fühlenden, bewertenden Erzähler wahrgenommen werden, ist der eigentliche Sinngehalt einer solchen Er­ zählung ...66

Die Präsenz eines "Ich mit Leib",^ das zwar an der Welt der

Zentralfigur teilhat, jedoch nicht selbst im Mittelpunkt des Ge­ schehens steht, dient unter anderem dazu, die Glaubwürdigkeit der geschilderten Charaktere und Ereignisse zu etablieren und aufrecht- zuerhalten. Besonders, wenn der Held ein außergewöhnlicher Mensch ist, dessen Wesen wie das Albert Einharts ans Exzentrische grenzt, und dessen Leben sich der allgemeinen Norm entzieht, kann einem verhältnismäßig objektiven Beobachter und Chronisten die Aufgabe zufallen, die Authentizität des Geschilderten zu verbürgen. Die

Techniken, derer sich der periphere Ich-Erzähler im Auch Einer be­ dient, um diesen Eindruck der Authentizität zu erwecken, sind, wie

133 134

wir gesehen haben, seine durchgehende Beschränkung auf die "AuBen- sicht" anderer Charaktere (Uspensky spricht von "external" oder 69 "estranged point of view"), wobei der Interpretation physiog- nomischer Details auf die Gemütsregungen der betreffenden Personen hin eine wichtige Funktion zukommt. Neben dieser auf den ersten

Blick wissenschaftlichen Akribie des Erzählers unterstreicht seine

Beteuerung, er sei als Chronist dazu verpflichtet, in allem die

Wahrheit wiederzugeben, auch wenn sie dem Leser oder sogar ihm selbst unangenehm sei, seinen Anspruch der Authentizität:

Die Geschichte ist eine strenge Wissenschaft. Sie kennt nur die Wahrheit. Die Schicklichkeit wird sie beobachten, solange es tunlich, ohne ein wesentliches Stück der Wahrheit zu unterdrücken. Würde diese leiden, wenn sie jener sich fügte: sie wird, wenn auch mit Weh­ mut, unerbittlich ihre Bahn verfolgen. Zarte Gemüter, denen diese Strenge unerträglich: sie sind frei, sie können die ernsten Blätter der Geschichte zuklappen, sie können weiter lesen — nach Belieben. (S. 55)

Außerdem spricht sein Entschluß, die Papiere, die er in A.E.s

Nachlaß findet, trotz ihres "närrischen Inhalts" (S. 287) dem

Leser mitzuteilen und bei der Wiedergabe des Tagebuchs selbst diejenigen Stellen, die A.E. in keinem besonders vorteilhaften

Lichte zeigen, von dem Bemühen des Erzählers, ein authentisches

Portrait Einharts zu zeichnen:

Nur unterdrücken glaube ich sie [die Papiere] nicht zu dürfen, denn ich soll ein Bild von einem Menschen geben und darf nichts ausscheiden, was bezeichnend ist. (S. 287) 135

Einverstanden war sie [Frau Hedwig] mit mir, daB ich mich nicht scheuen dürfe, auch diese Teile der Öffent­ lichkeit zu übergeben. (S. 307)

Eine ebenso wichtige Funktion des peripheren Ich-Erzählers wie die Schaffung der Authentizitäts-Illusion, die beim Leser den suspension of disbelief bewirkt, ist die Spannungserzeugung.70

Obwohl der Erzähler zur Zeit der Abfassung seines Berichts das

gesamte Geschehen zu überschauen vermag und über alle ihm in

seiner begrenzten Perspektive erhältliche Information verfügt,

hält er sich an die chronologische Abfolge der Ereignisse und

teilt dem Leser nur soviel mit, wie er selbst als erlebendes Ich

in Erfahrung bringen konnte.71 Die Leerstellen, die somit ent­

stehen, und die erst später gefüllt werden, wie die Bedeutung

und Herkunft der Wörter "Tetem" und "Amplificatio" oder die Identi­

tät Cordelias, bewirken ebenso wie die häufigen Vorausdeutungen beim

Leser ein beträchtliches MaB an Neugier und Spannung:

Völliges Licht über den Zuruf sollte mir freilich erst in sehr später Zeit werden. (S. 21)

Was der gemischt katarrhalische Baustil ... sei, das sollte mir im SchoB des ewigen Dunkels verborgen bleiben, wenn nicht ein glücklicher Zufall mir noch zum Lichte verhalf. (S. 25 f.)

Der Leser wird erfahren, warum ich so unbescheiden bin, dies anzuführen. (S. 59)

Nur nehme der Leser die Befreiung nicht für wirkliche Besserung: er würde sich täuschen, wie sich bald finden wird. (S. 68)

Ein Zettel lag bei; ich werde nachbringen, was darauf geschrieben stand. (S. 90) 136

... eher ist es von Interesse für mich, auf die Mängel hinzudeuten, wozu Gelegenheit sich ergeben wird. Bevor ich erzähle, wie die andere Bedingung eintraf, will ich noch melden, was auf dem beigelegten Zettel geschrieben stand ... (S. 253)

... bald genug wird der Leser erfahren, wie sehr ich diesen neuen Aufschub zu bedauern hatte. (S. 257)

Einen Beitrag zu weiterer Lösung brachte mir später ein Zufall, von dem ich berichten werde. (S. 305)

In einer Bewegung, die der Leser im Verfolg begreifen wird, nahm ich Abschied von Vater und Enkeln ... (S. 316)

Der Ich-Erzähler beschränkt sich nicht darauf, dem Leser In­ formationen vorzuenthalten, die ihm selbst zum Zeitpunkt des Ge­ schehens nicht zugänglich waren, und ihn auf später zu vertrösten, sondern er spielt sogar mit seinem "geneigten Leser" (5. 288) in 72 der Manier eines allwissenden Erzählers: er spannt ihn ungerecht­

fertigt auf die Folter (so im fünften und sechsten Beispiel) und macht ihm sogar vor, daB er vielleicht mit gar keiner Aufklärung rechnen könne (so im zweiten Beispiel). Dieses Verhalten des Er­ zählers geht Uber die Spannungserzeugung hinaus, und wir nehmen an, daB es Vischer dazu dient, den Leser gegen den Ich-Erzähler ein­ zunehmen.

Eine weitere Technik, die der Spannungserzeugung dient, und die vor allem von auktorialen Erzählern angewandt wird, ist die

Unterbrechung des Berichts kurz vor dem Höhepunkt und der Einschub relativ irrelevanter Information. So unterbricht der Ich-Erzähler

im Auch Einer die Schilderung der Schöllenschlucht-Szene, die 137

neben A.E.s Mißgeschick im Gasthof zu BUrglen den Höhepunkt der

'Reisebekanntschaft' darstellt, um — vierzig Seiten nach Beginn des Romans! — sein Versäumnis, "die Erscheinung des Mannes näher zu schildern" (S. 60), ganzseitig nachzuholen.

In engem Zusammenhang mit der Schaffung der Authentizitäts-

Illusion steht die Funktion des peripheren Ich-Erzählers, durch ein gewisses Maß an Affinität mit der Hauptfigur und durch die Be- 73 tonung ihrer "wahlverwandtschaftlichen Neigung" beim Leser Ver­ ständnis für den Außenseiter zu wecken:

Das thematische Ziel einer solcherart gestalteten Er­ zählung ist die um Verständnis des Außerordentlichen bemühte freundschaftlich-kongeniale Einfühlung in seinen Helden.

Das spontane Gefühl der Hinneigung zu dem "seltsamen Kauz" A.E.

(S. 26), das der Erzähler bei ihrem ersten Treffen empfindet

(S. 21: "... im stillen schnell sein Freund geworden"), und sein

Interesse an dem "stillen Fremdling" (S. 19) steigern sich im Ver­ lauf ihrer gemeinsamen Reise von "Teilnahme" (S. 21, 51) oder "Mit­ leid" (S. 58) stufenweise zu einem "Verhältnis nicht drückender Un­ selbständigkeit" (S. 51). Die von Albert Einhart so schmerzlich empfundene Tücke des Objekts macht bald auch dem Erzähler zu schaffen, und er rächt sich wie sein Reisefreund mit einer Straf- aktion:

Nun schlug meine Umhängetasche mit rhythmischen Schlägen mir an die Hüfte: "Tetem! Tetem!" Ich riß sie von der Schulter, es erschien mir als das 138

einzig Rationelle, sie hoch in der Luft zu schwingen und zur Strafe samt ihrem Inhalt an einem Felsen ab­ zuschlagen ... (S. 57)

DaB sich der "Prozeß der Ansteckung" wenig später "gänz­ lich ... vollzogen" hat (S. 79) und die beiden zu "Schicksals- brüdertnj" geworden sind (S. 67), wird nicht nur durch die zu­ nehmende linguistische Annäherung des Erzählers an A.E. verdeut­ licht, 75sondern auch durch den "Schlußakt[...]" (S. 283) im Gast­ hof zu Göschenen, in dessen Verlauf die Reisekameraden voller

Wonne das Todesurteil an einem unbotmäßigen Kaffeeservice voll­ strecken:

Ich zielte nicht schlecht und der Krug zerschellte an ihm [dem Granitblock] in zahllose Scherben und Splitter. A.E. belobte mich und ergriff eine Obstvase; ihr Schick­ sal war dasselbe. Wir wechselten ab mit Tellern, Platten, Gläsern, was uns nur in die Hände kam ... Unser Eifer , nahm zu, als sich unsere Arbeit dem Ende näherte, die Bogen, in denen wir warfen, wurden immer kühner, der Wurf immer sicherer ... (S. 85 ff.)

Die wachsende Annäherung läßt sich auch an den Beinamen ab­ lesen, die der Erzähler dem Reisekameraden verleiht, dessen vollen

Namen er ja erst später erfährt. Diese Periphrasen erscheinen zu

Beginn als sachliche und objektive Umschreibung der Person ("des stillen Fremdlings", S. 19; "der stille Mann", S. 20; "der trüb- ernste Mann", S. 23), nehmen jedoch bald durch die Hinzufügung des

Possessivpronomens "mein" eine subjektivere Färbung an: "meinen

Mann" (S. 22, 26, 39, 253), "meines armen Verkälteten" (S. 27),

"meinen Reisebekannten" (S. 28, 41), "mein Gottesleugner" (S. 33), "mein wunderlicher Held" (S. 40) und "mein Begleiter” (S. 42, 48).

Das "Mein” wird am Ende der eigentlichen 'Reisebekanntschaft' zum

"Unser" erweitert, und der Leser wird in die Freundschaft zwischen

Erzähler und A.E. miteinbezogen:

... ich habe so lange selbst geredet, daß es Zeit ist, unseren Freund - ich hoffe, das sei er trotz alledem - ganz zu Worte kommen zu lassen. (S. 90)

Das "Trotz alledem" macht deutlich, daß das freundschaftliche und wahlverwandtschaftliche Verhältnis nicht ungetrübt ist, und weist auf eine weitere Funktion des Ich-Erzählers hin, nämlich eine

Kontrastfolie zur Hauptfigur abzugeben. Das Verhältnis zwischen

Albert Einhart und dem Erzähler gleicht somit, was das In- und

Gegeneinander von Affinität und Distanz betrifft, dem des Stadt­ geistlichen Zunger, alias "Tetem", und A.E.: ''[es] wechselt[...] zwischen Anziehung und Abstoßung" (S. 274).7^ In direktem Gegen­ satz zu den Beinamen, die die "Anziehung" betonen, und die sich in erster Linie in der 'Reisebekanntschaft' finden, stehen daher

"distancing epithets” ,77 die im ersteh Teil des Romans vereinzelt, im dritten Teil jedoch gehäuft auftreten. So nennt der Erzähler

A.E. während ihrer gemeinsamen Reise nicht nur einen "seltsamen" oder "wunderlichen Kauz" (S. 26, 35), sondern auch einen "Kapital- schelm” (S. 47), ”alte[n] Kindskopf” (S. 52) oder "unbequemen Son­ derling” (S. 69) und ärgert sich über dessen "Marotten" (S. 70).

Er beschließt daher, sich mit seiner Erzählung zu rächen: "Grobian, deine Strafe soll nicht ausbleiben, du sollst beschrieben werden!" IAO

* 7 Q (S. 40). Die räumliche Distanz, die sich zwischen Einhart und dem Erzähler nach der gemeinsamen Reise ergibt, scheint eine Ab­ kühlung in ihrem Verhältnis mit sich zu bringen - zumindest, was die Haltung des Erzählers angeht. Er nennt A.E. "kindisch" und

"krank", weil dieser "mit seiner Person solch grillenhaft heim­ liches Wesen trieb" (S. 254), und er beschließt, "sich [nicht] länger an die Schrulle eines Eigensinnigen [zu] binden", da es

"naturwidrig, barbarisch ... [sei], daß.man sich nicht mehr sehen soll" (S. 257). Die Schriften, die dem Erzähler von A.E. vermacht worden sind, kommen ihm wie ""grillenhafter...] Phantasien",

"Schnurre[n]" oder "Kinderei[en]" vor (S. 303), und er ist über den "schnöden Papierhaufen" dermaßen ergrimmt, daß er sich sozu­ sagen zu einer Leichenschändung Einharts hinreißen läßt:

Aber nun diesen Widerspruch so weit treiben, sich so schwer an seiner Zeit versündigen: das war denn doch zu arg, war unverantwortlich, war abscheulich! Mir fiel wieder ein, was ich einst auf der Axen- straße ihm zu Gewissen geführt, ich hätte den Toten aus dem Grabe fordern und in Donnerpredigt wieder­ holen mögen, was ich ihm schon damals vorgehalten, ich ballte den Papierhaufen zu einer großen Kugel zusammen und schleuderte sie an die Wand, als wäre ihre Fläche die Stirne des strafwürdigen Sünders. (S. 296)

Zwar bereut der Erzähler sogleich seine "gründliche Empörung"

(S. 296) und schämt sich seines Wutanfalls, doch legt er, wenn auch ungewollt, den Unterschied zwischen seiner und Einharts Lebensan­ schauung offen, indem er dessen Scheitern bei der Konstruktion eines harmonischen Weltalls zur bewußten Statuierung eines 11 abschreckende[n] Beispieles]" erklärt (S. 296) und nicht die

Tragik dieses vergeblichen Unterfangens erkennt: "[A.E. wollte] der Weltordnung ... den Possen spielen" (S. 297). wahrend sich

Einhart nicht mit der disharmonischen Welt abfinden kann und will und sich verzweifelt, da im großen und ganzen erfolglos, darum be­ müht, ihr eine Ordnung aufzuzwingen, bleiben dem Erzähler zwar die

"Dornen und Nesseln der menschlichen Lebensreise" nicht verborgen

(S. 22), doch nimmt er die ungeordnete Welt als gegeben an, er hinterfragt sie nicht und tröstet sich damit, "daß im unendlichen

All doch jeder MiBlaut sich lösen muß" (S. 317).

Eine ähnliche Formulierung und harmonisierende Tendenz findet sich in der Beurteilung von Einharts Tagebuch durch den Erzähler: er erkennt zwar das "Zickzack" der Aufzeichnungen (S. 304) und ihre

Fragmentierung, doch sieht er in ihnen nicht die Reflexion einer chaotischen Welt, oder, um seine eigenen Worte zu gebrauchen, die

Übertragung des Inhalts auf die Form (S. 297), sondern er legt sie

A.E.s überstarker Phantasie, seinem "barocken Humor" (S. 305) und seiner "über das MaB gehende[n] Liebe zum Elemente der närrischen

Vorstellung" zur Last (S. 304). Das allmähliche Versanden und der vorzeitige Abbruch des Tagebuchs signalisieren für ihn nicht Ein­ harts Scheitern, sondern er versichert dem Leser, daB "doch in der

SchluBstimmung, so viel möglich, die harten MiBklänge sich lösen"

(S. 305).

Das Sich-Distanzieren des Ich-Erzählers von A.E., das beson­

ders im dritten Teil des Romans in Erscheinung tritt, das auch 142 durch vereinzelte Beteuerungen, "der seltsame Mensch ... [sei] so weit ganz vernünftig [gewesen]" (S. 307) und "habe mit seinen angeblichen Grillen überhaupt recht gehabt" (S. 312), nicht abge­ schwächt werden kann, und das außerdem in direktem Gegensatz zum

Motto steht, in dem der Erzähler beteuert, er gedenke nicht, "den 79 ersten Stein gegen ihn auf[zuheben]" (S. 19), wird noch dadurch verstärkt, daB sich das erzählende Ich von dem erlebenden Ich des

Erzählers, d.h. dem Ich, das von A.E. "angesteckt" worden ist, mehr- Rd mals ausdrücklich distanziert. So verurteilt er rückblickend die

Selbstverständlichkeit, mit der er damals in einem Wasserkrug "ein beseeltes, unverschämtes Wesen, ein[en] Geisterlümmel oder LUmmel- geist" zu erkennen glaubte:

... das schlimmste war, daß ich Uber diesen unseligen neuen Sinn, der mir angehext war, nicht einmal erschrak, wie gestern über die anderen bedenklichen Symptome, son­ dern ganz mit mir eins, ganz sicher war und voll Begier­ de, das unzweifelhaft schuldvolle Wesen nach Recht und Gerechtigkeit zu behandeln: ein Beweis, daß der Prozeß der Ansteckung sich gänzlich in mir vollzogen hatte. (S. 79)

Der Erzähler bereut vor allem, daß er sich im Güschener Gast­ hof zu der Strafaktion am Eßgeschirr hat hinreißen lassen, die er nun ironisch "unsere[...] Großtat" nennt (S. 313) und als vor­ schnell und unbegründet ansieht:

Ein Gott schien uns mit Blindheit geschlagen zu haben, daß uns das einfachste Mittel nicht einfiel, nämlich ab­ tragen zu lassen ...

Er [A.E.] gab mir den Krug in die Hand und sagte: "Ihnen die Ehre des Vortritts!" Ich, wie ich nun leider geworden 143 war, gehorchte mit Pflichtgefühl. (S. 84 f.; meine Hervorhebung)

Sowohl im Gespröch mit dem Referendar, in dem dieser von den

"Mucken" A.E.s und dessen "Ausschreitungen" im Amt berichtet (S. 269), als auch während des Treffens mit der Frau, die damals Zeugin des

"närrischen SchluBakt[s]" geworden war (S. 283), tritt das Schuld- bewuBtsein des Erzählers Uber sein damaliges Verhalten deutlich zu­ tage, das ihm jetzt unerklärlich und unverzeihlich vorkommt:

"... Die 'Exekutionen', die er [A.E.] an 'strafwürdigen Objekten1 vorzunehmen liebte, sind Ihnen vielleicht be­ kannt." - "Ja, ziemlich", sagte ich kleinlaut. (S. 269; meine Hervorhebung)

... "ach," rief sie, "verzeihen Sie doch, schon heut vor­ mittag meinte ich Sie zu erkennen, sind Sie denn nicht der Herr, der Anno Fünfundsechzig dazumal mit dem anderen Herrn - ?" Ich ersparte ihr gern die Mühe, einen Satz zu vollenden, der die nicht leichte Aufgabe hatte, rück­ sichtsvoll zu bezeichnen, was Tolles damals geschehen war, und bejahte um so eher, da ich gleichzeitig die Frau zu erkennen meinte, die damals mit dem Kind auf dem Arm so still vorwurfsvoll unserem Beginnen zusah. (S. 313; meine Hervorhebung)

In beiden Fällen besteht zwischen dem Erzähler und seinen Ge­ sprächspartnern eine unausgesprochene Übereinkunft darüber, daB man A.E.s Ticks und Marotten nicht ernst nehmen dürfe und viel­ leicht auch zu verurteilen habe, und in beiden Fällen ist der Er­ zähler darum bemüht, seine frühere Beeinflussung durch Einhart herabzuspielen oder sogar zu verschleiern. So verheimlicht er dem

Referendar, daß er A.E.s Partner während einer Strafaktion war, da dieser sonst schlecht von ihm denken könnte, und er unterbricht die 144

Frau nicht aus Rücksicht, wie er vorgibt, sondern vielmehr weil er nicht an den für ihn peinlichen Vorfall erinnert werden will.

In engem Zusammenhang mit dem Sich-Distanzieren des Erzählers sowohl von seinem erlebenden Ich als auch von Albert Einhart kön­ nen wir eine zunehmende Auktorialisierung beobachten, d.h. eine stufenweise Annäherung des peripheren Ich-Erzählers an die aukto- riale Erzählsituation (siehe Stanzels Typenkreis im Anhang). Diese

Auktorialisierung zeigt sich an der Chronisten-Rolle, die der Er­ zähler im dritten Teil des Romans übernimmt: während er zu Beginn des Romans als Reisekamerad aktiv an A.E.s Leben partizipierte, dient er im dritten Teil nur noch als Berichterstatter und Heraus­ geber. Er befragt Einharts Bekannten- und Freundeskreis, sichtet dessen nachgelassenen Schriften und übergibt dem Leser die für A.E. charakteristischsten Zeugnisse. Nicht nur die räumliche, zeitliche und weltanschauliche Distanz zwischen den beiden hat sich ver­ größert, sondern auch die 'Erzählhaltung' hat sich verändert. Zu guter Letzt vernehmen wir die Stimme des Erzählers nur noch in gelegentlichen Fußnoten (S. 253, 361, 375, 441 und 464), und wenn er sich am Ende des Romans noch einmal zu Worte meldet, scheint sein

'Ich' vollkommen ausgelöscht zu sein und sich in einen auktorialen

Erzähler verwandelt zu haben:

Hier endigt das Tagebuch. Weitere Aufzeichnungen haben sich nicht gefunden; nur die Tage der Schlachten jenes Sommers sind noch eingetragen, zuletzt der Entscheidungs­ tag von Sedan. (S. 496) 145

Gegenläufig zu der zunehmenden Distanzierung des peripheren

Ich-Erzählers von seinem Gegenstand und der damit in engem Zusam­ menhang stehenden Tendenz der Auktorialisierung können wir eine immer stärker werdende Annäherung des Lesers an die Hauptfigur des 81 Romans annehmen. Diese Bewegung vollzieht sich in vier Stufen, die den vier Teilen des Romans entsprechen. Nachdem der Ich-Erzäh­ ler in der eigentlichen 'Reisebekanntschaft' die Authentizitäts-

Illusion aufgebaut hat, führt er den Leser langsam an den Sonder­ ling A.E. heran und bewirkt durch seine "freundlich-kongeniale Ein- 82 fühlung in den Helden", daß sich auch der Leser mit Einhart an­ freundet. Die gelegentlichen "Widerstände" des Erzählers gegen die scheinbar seltsamen Ansichten A.E.s dienen anfangs dazu, "die gesamte Erzählung (und damit A.E.) wahrscheinlicher oder besser weniger unwahrscheinlich zu machen" und das "Zurückweichen des

Lesers ... abmildernd auf[zufangen]", wie W. Haverkamp richtig be- 83 obachtet. Wäre dies die eigentliche und einzige Funktion der

Widerstände, so würde man erwarten, daß sie umso schwächer würden, desto besser der Erzähler, und damit auch der Leser, die Titelfi­ gur kennt. Wie wir gesehen haben, ist jedoch das Gegenteil der Fall, und die Distanzierung des Erzählers von Einhart wird durch die

Distanzierung seines erzählenden Ich vom erlebenden Ich noch ver­ stärkt. Wäre der periphere Ich-Erzähler von Vischer als der "ide- 84 ale Leser" konzipiert worden, wie Haverkamp meint, so würde sich der tatsächliche Leser der Verurteilung des "seltsamen Kauzes" an- schließen und sowohl die Pfahldorfgeschichte als auch das Tagebuch 146 als kuriose Hirngespinste eines Außenseiters betrachten, die man nicht ernst zu nehmen habe. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, wenn man an den breiten Raum und die zentrale Position denkt, die Vischer diesen Romanteilen eingeräumt hat. Wie sich zeigte, nimmt Vischer den Leser vielmehr gegen den Erzähler ein, indem er ihn unglaub­ würdig werden läßt: obwohl der Ich-Erzähler im Motto betont, daß er nicht den ersten Stein gegen A.E. aufheben werde, distanziert er sich ständig von ihm. Zudem gibt er sich bescheidener als er ist, ist überhaupt doppelzüngig und vermag trotz seines Insistierens auf der wichtigen Rolle physiognomischer Details die Gemütsregungen anderer Figuren nur selten vollständig aufzudecken. Seine Erfassung der Wirklichkeit ist begrenzt, wie die häufige Verwendung von Aus­ drücken des "Scheinens" offenbart. Diese Unverläßlichkeit des Ich-

Erzählers führt dazu, daß der Leser dessen Aussagen und Deutungen mit Skepsis und Vorsicht aufnimmt und sich schließlich eine eigene

Meinung bildet, die der des Erzählers entgegengesetzt ist; in anderen

Worten: dem Leser erscheint A.E. nicht als seltsamer und verschro­ bener Kauz, sondern vielmehr als tragische Figur, die an der Welt scheitert. Vischer lenkt also den Leser durch den Ich-Erzähler, aber in genau entgegengesetzter Richtung als Haverkamp annimmt:

"Vischer will und muß den Leser weiter führen; ein Erzähler, der un­ glaubwürdig und unzuverlässig erschiene, hätte eine unerwünschte Ver- pc selbständigung des Lesers zur Folge".

Diese für Vischers Zwecke notwendige "Verselbständigung" des

Lesers, die im ersten Teil des Romans beginnt, verstärkt sich bei der Lektüre der Pfahldorfgeschichte. in der er Einharts Stimme ohne den Kommentar des Ich-Erzählers vernimmt, und die ihm A.E.s

Versuch einer künstlerischen Problembewältigung vor Augen führt.

Während sich der Leser, so können wir annehmen, durch die Beschäfti­ gung mit Uber 250 Seiten von Einharts Gedanken immer mehr an diese

Figur angenähert hat, hat sich die Distanz zwischen dem Erzähler und

A.E. vergrößert, wie dessen Verhalten im dritten Teil des Romans deutlich zeigt: er verurteilt Einhart noch stärker als zuvor und entfernt sich als Erzähler so weit von seinem Gegenstand, daß er zum Chronisten, Herausgeber und schließlich auktorialen Erzähler wird. Der Leser indessen dringt mit der Hilfe des Tagebuchs immer tiefer in das Innere A.E.s ein, und ihm wird klar, daß dieser "selt­ same Kauz" keineswegs so seltsam und verschroben war, wie ihm der

Erzähler nahelegte. Die Tatsache, daß die komischen Elemente zu

Beginn des Romans stärker hervortreten und gegen Ende fast ver­ schwinden, deutet somit nicht auf einen Riß hin, der sich durch 86 den Roman zieht, und den einige Kritiker bemängelt haben, sondern steht in völligem Einklang mit der Annäherung des Lesers an die Ti­ telfigur: während ihm A.E. zu Beginn als seltsamer Außenseiter vor­ kam, über den er lächeln konnte, sieht er zunehmend hinter dessen komische Maske und erkennt seinen im Grunde tragischen Charakter.

Der Ich-Erzähler hält indessen an der Vorstellung vom komischen A.E. fest und kann, oder - was wahrscheinlicher ist - will dessen wahren

Charakter nicht würdigen. Wir können in dem Erzähler einen Vorläufer von Wilhelm Raabes peripheren Ich-Erzählern sehen, deren Funktion es 148 in den späten Romanen ist, trotz ihrer eigenen Zweifel "die be­ stehende Weltordnung zu verteidigen":

Mit allen "Ordnungsmächten" im Bunde versuchen die Mittler den schönen Schein einer heilen bürgerlichen Welt aufzubauen. Einerseits soll damit Kritik abge­ fangen werden, andererseits schaffen sie vor sich selbst, vor ihrer Unsicherheit, vor ihrem eigenen Ge­ wissen einen Schutzwall. Sie bauen sich eine verlogene Illusion auf. DaB sie nicht den Mut zur Wahrheit haben, unterscheidet sie von den Ausgegliederten, daß sie die Illusion nötig haben, unterscheidet sie von den ganz "normalen" Bürgern, die ja gar nichts bemerken ... In allen Fällen bleiben die Erzähler schließlich in der bürgerlichen Sphäre. Durch ihre Beziehungen zu dem anderen Bewußtsein (das kein abstrakt menschliches, sondern eben das von Ausgegliederten ist) erscheint das eigene in seiner wahren Funktion: den schönen Schein für die häßliche Wirklichkeit zu liefern.87

> ANMERKUNGEN

Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens (Göttingen: Vanden- hoeck & Ruprecht, 1979). Vgl. auch ders., "Second Toughts on Narra­ tive Situations in the Novel: Towards a 'Grammar of Fiction'Novel, 11 (1978), 247-264 und ders., “Zur Konstituierung der typischen Er­ zählsituationen," in Zur Struktur des Romans, hrsg. B. Hillebrand (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978), S. 558-576.

Stanzel, Theorie, S. 9. Stanzels früherer theoretischer An­ satz findet sich in Die typischen Erzählsituationen im Roman. Darge­ stellt an "Tom Jones", "Moby Dick". "The Ambassadors", "Ulysses" u.a. (Wien, Stuttgart: Braumüller, 1955) und ders., Typische Formen des Romans (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 196477

3 Stanzel, Theorie, S. 13 und 77.

A Ebd., S. 86.

5 Ebd., S. 85.

6 Ebd., S. 69.

7 Ebd.

8 Ebd., S. 74.

9 Ebd., S. 79.

^ Berthold Auerbach, "Wissen und Schaffen. Aphorismen zu Fried­ rich Vischer's Auch Einer," Deutsche Rundschau, XIX (1879), 269-95; Franz Blume, "Zu Fr. Theod. Vischers Auch Einer," Monatsblätter für deutsche Literatur, 3 (1898/99), 226; Laurenz Müllner, "Auch Einer," in Literatur- und Kunstkritische Studien (Wien, Leipzig: Braumüller, 1895), S. 80; E. Märkle, "Auch Einer," Stuttgarter Morgenpost, 6. April 1904; Fritz Mauthner, Von Keller zu Zola (Berlin: J.J. Heine, 1887), S. 52.

^ Ruth Heller, "Auch Einer: The Epitome of F.Th. Vischer's Philosophy of Life," German Life and Leiters, VIII (1954/55), 15.

149 150

12 Herman Meyer, Der Sonderling in der deutschen Dichtung (München: Hanser, 1963), S. 224; H[arald] L[andryJt "Auch Einer,11 in Kindlers Literatur Lexikon. Band I: Werke A - Cn (Zürich: Kind- ler, 1965), S. 1086.

^ Franza Feilbogen, Fr.Th. Vischers "Auch Einer". Eine Studie (Zürich: Orell FüBli, 1916), S. 590; Theodor Kappstein, "Einleitung des Herausgebers," in Auch Einer (Leipzig: Reclam, [1917]), S. 12.

^ K.Ch. Planck, "Deutscher Humor im Umschwung der Zeiten oder ein Gegenfüssler J. Pauls," Jenaer Literaturzeitung, Nr. 36 (1879), S. 492.

^ J.G. Fischer, "Friedrich Vischer über sein Faustbuch und Auch Einer," Deutsche Revue, 13 (1888), 355; vgl. dagegen Vischers Brief vom 3. April 1879 an Wolfgang Kirchbach: "... "A.E." würde, wenn er lebte, Ihre Märchen gerne lesen..." (Marie Luise Becker, Karl von Levetzow, hrsg., Wolfgang Kirchbach in seiner Zeit. Brief­ wechsel und Essays aus dem Nachlaß (München: Callwey, 1910), S. 32).

^ Stanzel, Theorie, S. 27.

17 Käte Friedemann, "Die Rolle des Erzählers in der Epik," in Zur Poetik des Romans, hrsg. Volker Klotz (Darmstadt: Wissenschaft­ liche Buchgesellschaft, 1965), S. 162-96; Roman Ingarden, Das lite­ rarische Kunstwerk. Eine Untersuchung aus dem Grenzgebiet der Onto­ logie, Logik und Literaturwissenschaft (Tübingen, 1931), S. 19. Vgl. Margrit Henning, Die Ich-Form und ihre Funktion in Thomas Manns "Doktor Faustus" und in der deutschen Literatur der Gegen­ wart (Tübingen: Niemeyer, 1966), S. 8f., sowie Volker Klotz, "Vor­ wort," in Zur Poetik des Romans, S. XII. 1 ft Wolfgang Kayser, "Wer erzählt den Roman?," in Zur Poetik des Romans, S. 197-216; Stanzel, Die typischen Erzählsituationen, S. 91; ders., Theorie, S. 27 ff.; Bertil Romberg, Studies in the Narrative Technigue of the First-Person Novel (Stockholm: Almgvist & Wiksell, 1962), S. 8 ff. 19 Kayser, S. 206; Romberg, S. 10. 20 Der Erzähler verwendet das schwäbische Wort "Kittern", das "unterdrücktes Lachen" oder "Feixen" bedeutet. Vgl. Vischer, Auch Einer (Berlin: Deutsche Bibliothek, [1919]), S. 276 und 498, An­ merkung 24.

^ Bertil Romberg zeigt in seiner Studie, daß die "Vorstellung" des Erzählers besonders für Romane mit peripherem Ich-Erzähler wich­ tig ist: "Even in those first-person novels in which the narrator is not the main character, it is customary for him to begin with some data about himself. A clear and informative presentation is all the 151 more necessary in such cases, since here the narrator must esta- blish a clear distinction between himself and the main character at the beginning" (S. 84).

22 Vgl. auch A.E.s Kritik an Zeitbloms Gemälde: "Aber etwas Geschmackloses, etwas Vertracktes muß hinein, anders tun sie's nicht, unsere alten deutschen Meister. Bei Zeitblom auBer der eckigen Dürre überall die dumme, bornierte Schwellung über der Nasenwurzel, die Nase selbst immer rot angeflogen. Will er, muß er damit die gewisse Verknüpfung im schwäbischen Wesen ausdrücken?" (S. 391 f.). Die große Ähnlichkeit in der Wortwahl deutet in diesem Fall auf eine enge Geistesverwandtschaft zwischen dem Ich-Erzähler und A.E. hin. DaB diese Geistesverwandtschaft jedoch prekär ist und in das Gegenteil Umschlägen kann, zeigt sich dadurch, daB die Beurteilung Zeitbloms durch den Erzähler konstant bleibt, während sich Einharts Kritik ändert. Der erste negative Eindruck, den A.E. in sein Tagebuch notiert, weicht einer anhaltenden Hochachtung, wie wir von seiner Haushälterin erfahren: "Er schätzte und liebte das Bild nicht nur wegen seines Kunstwerts, er dachte dabei gern an seine eigenen Leiden unter den spitzen Bolzen der Lebensübel" (S. 279). 9"5 Vgl. Auch Einer, S. 40: "Das verschleiert Drohende, das sich dunkel zu fühlen gab, führte mir doch die Sturmbilder aus Schillers Teil vor die Phantasie". OA Zur Rolle der Physiognomie im Auch Einer siehe S. 111 ff. dieses Kapitels. 95 Eine ähnliche Verkehrung von Ernstem und Komischem wie in der Beurteilung des Gedichtes finden wir im Kommentar zu dem ver­ unglückten Hochzeitsschmaus: "[A.E.] - "... nun wurde die Sache komisch." - [Der Erzähler:] "Ernst, wollen Sie sagen?" (S. 31). 9£ Vgl. Auch Einer, S. 48: "In der Tat wurde er nun ent­ setzlich langweilig, unleidlich ermüdend" und S. 78: "Allein meine Aufmerksamkeit war denn doch an der Linie der Ermüdung angekommen, um so mehr, da ich mit Prämissen jetzt reichlich genug versehen war, um mir eigentlich selbst vorstellen zu kön­ nen, was folgen werde".

27 Vgl. Stanzel, Theorie des Erzählens, S. 121 f.: "Der Ich- Erzähler ist ... per definitionem ein "unreliable narrator", um die Terminologie Booths zu verwenden. Die "UnverläBlichkeit" des Ich-Erzählers ist aber primär nicht in seiner persönlichen Eigen­ schaft als Romanfigur begründet (nach ihrem Charakter, dem Grad ihrer Wahrheitsliebe, Aufrichtigkeit etc. gibt es ebenso viele "reliable" wie "unreliable" Ich-Erzählerfiguren), sondern in der ontologischen Basis der Position des Ich-Erzählers in der Welt der Charaktere und auf Grund seiner Ausstattung mit einer auch 1 5 2 körperlich determinierten Eigenpersönlichkeit - aus beiden er­ gibt sich eine Eingrenzung seines Wahrnehmungs- und Wissenshori­ zontes - nur eine persönlich-subjektive und daher bedingt gültige Ansicht von den erzählten Vorgängen haben". Das von Wayne C. Booth in The Rhetoric of Fiction (Chicago, 1961) entwickelte Konzept des "reliable" und ■unreliable" Erzählers wurde unter anderem von Felix Martinez-Bonati in seinem Buch Fictive Discourse and the Structures of Literature. A Phenomenoloqical Approach (Ithaca: Cornell Universi- ty Press, 1981) und Susan Sniader Lanser in ihrer Studie The Narra­ tive Actt Point of View in Prose Fiction (Princeton: Princeton Uni- versity Press, 1981) verfeinert und wird von einer immer größeren Anzahl von Literaturwissenschaftlern als Grundlage für ihre Inter­ pretationen herangezogen. So zum Beispiel von Lieselotte E. Kurth, "Unzuverlässige Sprecher und Erzähler in deutscher Dichtung," in Traditions and Transitions. Studies in Honor of Harold Jantz, hrsg. Lieselotte E. Kurth, William H. McCliTn und Holger Homann (München: Delp, 1972), S. 105-24, Jacqueline Viswanathan, "Point of View and Unreliability in Bronte's Wutherinq Heiqhts, Conrad's Under Western Eyes and Mann' s Doktor Faustus," Orbis Litterarum, XXIX (1974). 42- 60, Marjet Berendsen, "Wolf Schm'id and the Unreliable Narrator in Jane Austen's Emma," Neophiloloqus, 64 (1980), 619-36 und Richard J . Watts, The Praqmalinguistic Analysis of Narrative Texts. Narra­ tive Co-operation in Charles Dickens'"Hard Times"(Tübingen; Gunter Narr: 1981), Kapitel 4: "Narrative Unreliability in Hard Times". 2Q Vgl. dagegen die folgende Szene, die der Erzähler aus­ führlich kommentiert: "A.E. hatte mit seiner scharfen Sehkraft offenbar von oben bemerkt gehabt, daß sie dem tollen Schauspiel mit vorwurfsvollen Blicken zusah; man konnte schließen, daB seine Anrede an das Weib etwas darauf Bezügliches enthielt. Ihre Ant­ wort lieB sich deutlich hören, da der ganze Haufen mäuschenstill geworden war: "Ja, Herr, wie das Geschirr so flog, dachte ich: wenn ich nur in meiner irdenen Schüssel zu Haus ein paar Schüb- chen gute Suppe hätte." Ich sah, daB Geldstücke in ihre Hand glitten, er flüsterte ihr einiges zu, das sichtbar beruhigend wirkte, wohl aber zugleich eine Bitte enthalten mochte, nicht weiter zuzusehen; denn sie ging hinweg und mit sichtbar aufge­ heiterter Miene" (S. 86, meine Hervorhebung). 99 Joseph Conrad, "Preface to The Nigger of the 'Narcissus'," in Conrad's Prefaces to his Works (New York: Haskell House, 1971), S. 52.

30 Werner Senn, Conrad's Narrative Voice. Stylistic Aspects of his Fiction (Bern: Francke, 1980), S. 66 f. Neben der wichtigen Rolle, die die Physiognomie und speziell der Ausdruck der Augen in Vischers und Conrads Werken spielen, und die in engem Zusammenhang mit der Vorliebe beider Autoren für periphere Ich-Erzähler steht, können wir eine auffallend häufige Verwendung von Verben des Scheinens 153

("to seem, appear") und von "als ob"-Konstruktionen beobachten, die als Indikatoren für "conjecture, estrangement and distancing" dienen. Zu Conrads Verwendung dieser stilistischen Mittel siehe Senn, Kapi­ tel 7, zu der Vischers S.129 ff. dieses Kapitels.

31 Zum Einfluß von Lavaters Theorie auf die europäische Litera­ tur siehe Graeme Tytlers ausführliche Darstellung Physiognomy in the European Novel. Faces and Fortunes (Princeton: Princeton University Press, 1982). Vgl. auch Peter von Matt, ...fertig ist das Angesicht. Zur Literaturgeschichte des menschlichen Gesichts (München: Hanser, 1983J;

32 Tytler, S. 68.

33 Tytler, S. 104: "It is noteworthy that Hegel's attitude to physiognomy is practically echoed by F.T. Vischer, whose discussion on physiognomy in the chapter entitled "Die menschliche Schönheit" in his ftesthetik (1847-48) was one of the last tributes paid in this period to the Lichtenbergian camp of physiognomists".

34 Tytler, S. 320.' 35 Vgl. J.C. Lavater, Physiognomik. Zur Beförderung der Menschen­ kenntnis und Menschenliebe (Wien: Sollinger, 1829), Band 1, S. 129: "Die Schönheit und Häßlichkeit des Angesichtes hat ein richtiges und genaues VerhältniB zur Schönheit und Häßlichkeit der moralischen Beschaffenheit des Menschen." "Je moralisch=besser; desto schöner. Je moralisch=schlimmer, desto häßlicher."

36 Richard Payne Knight, An flnalytical Inguiry into the Prin- ciples of Taste (London, 1805), S. 196, zitiert nach Tytler, S. 178. 37 Diese "träumerische[...] Verhüllung findet sich zum Beispiel in den Frauenportraits Rossettis oder Burne-Jones'.

38 Vgl. Tytler, S. 213.

39 Tytler, S. 212. Vgl. Lavater, Band 3, S. 68: "Blaue Augen zeugen überhaupt mehr von Schwäche, Weiblichkeit, Weichheit, als die braunen und schwarzen".

48 Vgl. Lavater, Band 3, S. 49: "Möglich und wichtig für den Philosophen und den Menschen, den Denker und Wirker ist die Natur­ geschichte der Nationalgesichter. Sie ist einer der tiefsten, uner­ schütterlichsten, ewigsten Gründe der Physiognomik. Ich wiederhole: Nationalphysiognomien und Nationalcharakter läugnen, heißt die Son­ ne am Himmel läugnen". 154

Zu diesem Themenkreis siehe Ariane Thomalla, Die 1femme fragile'. Ein literarischer Frauentypus der Jahrhundertwende (Düsseldorf, 1972). hO Mario Praz, Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik (München: Hanser, 1963), Kapitel 1 und 4. Zum Motiv der femme fatale siehe u.a. Maria Moog-Grünewald, "Die Frau als Bild des Schicksals. Zur Ikonologie der Femme fatale," Arcadia, 18 (1983), 240-57, Hans-Joachim Schickedanz, Femme fatale - Ein Mythos wird entblättert (Düsseldorf: Harenberg, 1982), Patrick Bade, Femme Fa­ tale: Images of Evil and Fascinating Women (New York: Mayflower, 1979). Inge Stephan untersucht die Dialektik von femme fatale und femme fraqile bei Fontane in ihrem Aufsatz ""Das Natürliche hat es mir seit langem angetan." Zum Verhältnis von Frau und Natur in Fontanes C^cile," in Natur und Natürlichkeit. Stationen des Grünen in der deutschen Literatur, hrsg. Reinhold Grimm und Jost Hermand TKönigstein: Athenäum, 1981), S. 118-49.

^ Praz, S. 171. Außer dem Motiv der femme fatale und der femme fragile findet sich im Auch Einer die ebenfalls in der Lite­ ratur des Fin de sifecle beliebte Thematik der versunkenen Stadt (S. 354).

^ Clyde K. Hyder, hrsg., Swinburne as Critic (London, Boston: Routledge, Kegan & Paul, 1972), S. 127 f. Albert Einhart läßt sich ebenfalls über die dämonische Schönheit der Meduse aus: "... die Griechen stellten die Meduse früher als scheußliche Fratze, endlich aber in jenem Wunderwerk aus Palast Rondanini als ein Weib dar ..., das den Reiz hoher Schönheit mit den hippokratischen Zügen und dem Ausdruck dämonischer Bosheit so schaurig entzückend und entzückend schaurig in sich vereinigt!" (S. 77).

Praz, S. 175; vgl. Philippe Jullian, Dreamers of Decadence. Symbolist Painters of the 1890s (New York: Praeger, 19755), S. 40. Siehe auch Einharts Gedicht "Die Nagelschmiedin" (S. 350): Auf der lächelnden Lippen Grunde Glänzen und gleiBen Schneehell die weißen Zähnchen ihr aus dem Munde.

Was beugt sich, was lächelt, was strahlet und blitzt, Was klopfet, was hämmert, was glühet und spitzt Die Geheimnisvolle, die Arge?

Zitiert nach Praz, S. 176. Vgl. Philippe Jullian, S. 166: "For many writers and artists of the fin de si&cle, the Sphinx and the Mona Lisa were one: for ten years nearly every chimera, chosen 155 maiden or belle dame sans merci smiled 'a sphinx-like smile"'. Ähnlich wie bei Vischer lassen sich im Werk des eklektischen Oscar Wilde alle erdenklichen Spielarten der femme fatale finden. So verknüpft er in seinem Gedicht "The Sphinx" (1894)das Mona Lisa- Motiv mit dem der Sphinx, der Meduse, des Vampirs und der Cleopa­ tra, die besonders für Swinburne und Gautier das höchste weib­ liche Ideal verkörperte:

How subtle-secret is your smile! Did you love none then? Nay, I know Great Ammon was your bedfellow!

White Ammon was your bedfellow! Your chamber was the steaming Nile, And with your curved archaic smile you watched his passion come and go.

What snake-tressed fury fresh from Hell, with uncouth gestures and unclean, Stole from the poppy-drowsy queen and led you to a Student's cell?

H. Montgomery Hyde, hrsg., The Annotated Oscar Wilde (New York: Potter, 1982), S. 54 ff.

^ Vgl. Oscar Wilde, "The Sphinx" (S. 50): "And let me stroke your throat and see your body / spotted like the Lynx!" AÖ A.E. sieht Goldrun in seinen Träumen außerdem als Bärin und als Wolf (S. 354). Indem er sie mit einem Stachelschwein vergleicht, versucht er - vergeblich - ihre dämonische Wirkung zu verharmlosen: "Wenn das Stachelschwein drohen will, so treibt es den Wald seiner Kiele auf, man vernimmt dabei ein Rauschen, viel zu stark, als daß es aus dem Aneinanderschlagen der vielen Hornspieße erklärt werden könnte, das Tier vermag Luft in die Röhren dieser Organe zu treiben, um durch den windsbrautähnlichen Ton den Feind zu schrecken. Eine ähnliche Vorrichtung müssen die dämonischen Weiber in den Poren haben, um bei heftigem Aufzucken Luft in ihre Gewänder zu pumpen, daß sie geisterhaft rauschen und sausen. — Sie wird mir physiologisch unheimlich, monströs. Und der Zorn, weil ich an Wahrhaftigkeit mahne! Weiß, warum so be­ leidigt. Dies Weib ist nicht wahr" (S. 353). 49 Jost Hermand, "Undinen-Zauber. Zum Frauenbild des Jugend­ stils," in Der Schein des schönen Lebens. Studien zur Jahrhundert' wende (Frankfurt: Athenäum, 1972), S. 178. Vgl. Beatrice Phill- potts, Mermaids (New York: Ballantine, 1980). 156

Praz, S. 219: "... die Augen der sadistischen Menschen sind in der Trivialromantik in der Regel grün".

51 Vgl. Praz, Kapitel 4 und Anhang. 52 Goldrun wird außerdem mit solch verderbenbringenden Frauen­ gestalten wie Klytemnestra (S. 391), Herodias (S. 345) und Libussa (S. 487) verglichen.

53 Tytler, S. 199.

Vgl. auch seinen Vergleich Cordelias mit Cornelia: "... es war diese Erscheinung aus Blond in Schwarz und Braun, aus dem fein Schlanken ins Vollere, aus dem zart Durchgebildeten ins kräftig VolksmaBige übersetzt" (S. 87). 55 Im Verlauf seiner Erzählung zeigt der Erzähler eine immer stärkere Beeinflussung durch A.E.s Redeweise und dessen Vorliebe für Wortspiele. Vgl. S. 79: "Der Krug war mir kein Krug mehr, son­ dern ... ein Geisterlümmel oder Lümmelgeist ... " oder S. 67: "... ein paar Sprachspiele von gerettetem Retter und rettendem Gerettetem wären sicher nachgefolgt, ja bei einer leidigen Neigung zum schlechten Witz, die ich schon an ihm kannte, hätte er nicht geruht, bis ein gegabelter Retter=Rettich zum Vorschein gekommen wäre ...".

56 Vgl. Lavater: "Der Mensch ... kann sich in keinem einzigen Punkte seines Wesens verläugnen. Besonders hab' ich die Menschen auch vom Rücken her zu beobachten gesucht - und sehr oft - äußerst entscheidende Merkmale der Weisheit und Dummheit, ja wahrlich, der Tugend und des Lasters bemerkt”. Zitiert nach Tytler, S. 278. 57 S. 29: "... ich ... strengte meine Augen an, die sich einer guten Sehkraft erfreuen ..." und S. 86: "A.E. hatte mit seiner scharfen Sehkraft offenbar von oben bemerkt gehabt, daB sie dem tollen Schauspiel mit vorwurfsvollen Blicken zusah...".

CO Der Erzähler nennt A.E. einen Propheten, da er politische Ereignisse korrekt vorhersieht (S. 69). 59 Im Falle Cordelias betont der Flor, der über ihrem Auge liegt, vor allem ihre Ausgeglichenheit, Abgeklärtheit und innere Harmonie. Vgl. S. 50: "Cordelias Augen waren ohne einen Funken der Leidenschaftlichkeit, die oft aus solchen Augen blitzt, viel­ mehr lag darüber jenes Etwas, das durch den Ausdruck: beflort, be­ schleiert nur mangelhaft bezeichnet wird. Es war das nicht bloß ein Zug von Trauer, wozu man die Erklärung in ihrem schwarzen An­ zug finden konnte, es waren die langen Wimpern und ihre beschatten­ de Wirkung, die großen Augenlider, es war der mandelförmige Schnitt des ganzen Auges, was jene Art träumerischer Verhüllung bewirkte, 157 wie man sie wohl bei umbrisch-italienischen Frauenaugen trifft, aber bei angelsächsischem Blute nicht zu finden gewohnt ist".

60 Vgl. auch S. 316: "Sie hatten beide die dunkeln, großen, von langen Wimpern beschatteten Augen der Mutter und blickten mich an wie einen Vertrauten ihres Kummers, ich umarmte die Früh- verwaisten und küßte sie auf die reinen Stirnen" und S. 259: "Wir standen uns gegenüber und sahen uns in die Augen. Sie weinte, und auch ich konnte die Tränen nicht unterdrücken".

61 Werner Senn wies in seiner Studie Uber Joseph Conrad eine ähnlich hohe Frequenz dieser Würter in dessen Romanen nach (Ka­ pitel 7).

62 (Berkeley: University of California Press, 1983), S. 85. Roger Fowler nennt diese Ausdrücke "belief qualifiers" und "com- mitment indicators" (Linquistics and the Novel (London, 1977), S. 43). Vgl. Senn, S. 129 und 200, Fußnote 1.

63 Tzvetan Todorov, "The Place of Style in the Structure of the Text," in Literary Style, hrsg. S. Chatman (London, 1971), S. 33. Vgl. Senn, S. 200, Fußnote 1.

64 Die "als (ob)"-Konstruktion findet sich auf S. 20, 25, 38, 40, 48, 50, 56, 58, 60, 69, 87, 258, 280, 283, 284, 293, 296, 297 und 302.

65 Das Verb "scheinen" findet sich auf S. 28, 34, 35, 36, 40, 46, 49, 51, 52, 54, 55, 58, 59, 80, 84, 89, 256, 279, 280, 284, 286, 289, 293, 302 und 312.

66 Stanzel, Theorie des Erzählens, S. 262.

67 Ebd., S. 128.

68 Vgl. Franz Stanzel, Narrative Situations in the Novel (Bloomington: Indiana University Press, 1971), S. 91: "The Iden­ tification of the first-person narrator with a figure of the fictional world represents the first-person novel’s characteristic means of verifying the narrated matter"; Wendelin Haverkamp, As­ pekte der Modernität. Untersuchungen zur Geschichte des "Auch Einer" von Friedrich Theodor Vischer (Aachen: Cobra, 1981), S. 22. £9 Uspensky, S. 85; Franz Stanzel, Theorie des Erzählens, S. 149. 158

70 Vgl. W. Haverkamp, S. 24 f.

71 Margit Henning beschreibt diese Methode der Spannungser­ zeugung für Thomas Manns Doktor Faustus in ihrem Buch Die Ich-Form und ihre Funktion in Thomas Manns "Doktor Faustus" und in der deutschen Literatur der Gegenwart (Tübingen: Niemeyer, 1966), S. 21. 79 Im Verlauf der Erzählung findet eine zunehmende "Auktori­ alisierung" des peripheren Ich-Erzählers statt (vgl. S. 144 dieses Kapitels). Zum Begriff der "Auktorialisierung siehe F. Stanzel, Theorie des Erzählens, S. 265.

73 W. Haverkamp, S. 21.

7^ Stanzel, Theorie des Erzählens. S. 263.

7^ Vgl. S. 124 und FuBnote 55 dieses Kapitels. 76 11 A.E. weist selbst auf die Ähnlichkeit zwischen dem Erzähler und dem Stadtgeistlichen hin, wenn er auf die Bemerkung des ersteren: "Übrigens rauchen Sie auch zu viel! Lassen Sie das, und es wird mit den Katarrhen besser werden!" mit einem verächtlichen "Tetem" ant­ wortet (S. 49).

77 Dorrit Cohn analysiert die Verwendung solcher "distancing epithets" durch den auktorialen Erzähler in Thomas Manns Der Tod in Venedig in ihrem Aufsatz "The Second Author of "Der Tod in Venedig"," in Probleme der Moderne. Studien zur deutschen Literatur von Nietz­ sche bis Brecht. Festschrift für Walter Sokel, hrsg. Benjamin Ben- nett, Anton Kaes und William 3. Lillyman (Tübingen: Niemeyer, 1983), S. 223-245.

78 Dieser Grund für die Abfassung der 'Reisebekanntschaft' steht in direktem Gegensatz zu der Absicht des Erzählers, A.E.s "schwer- verletzteCn] Name[nj" zu retten und ihn ins richtige Licht zu setzen: "... herzlich fühlte ich mich geehrt, daB er mich als seinen Hora-, zio auserlesen" (S. 279). Es handelt sich hier um ein weiteres Bei­ spiel für die UnverläBlichkeit und Unglaubwürdigkeit des peripheren Ich-Erzählers.

79 Dadurch, daß der Erzähler sich nicht an sein Motto hält und Einhart kritisiert, untergräbt er in noch stärkerem MaBe seine Glaubwürdigkeit.

Oft Die Differenzierung zwischen "erlebendem Ich" und "erzäh­ lendem Ich" wurde von Stanzel in seiner Studie Die typischen Er­ zählsituationen (S. 61 f.) und von Leo Spitzer in seinem Aufsatz "Zum Stil Marcel Prousts" vorgenommen (Leo Spitzer, Stilstudien II (München, 1928), S. 478). Vgl. Stanzel, Theorie des Erzählens, S. 270 f. und FuBnote 34. 159

81 Es sei betont, daß die im folgenden beschriebene Leserre­ aktion notwendigerweise ein hypothetisches Konstrukt darstellt.

QO Haverkamp, S. 21.

83 Ebd., S. 22 f. 84 Ebd., S. 24. 85 Ebd., S. 23.

88 Vgl. K.Ch. Planck, S. 494; Franza Feilbogen, S. 148: "Wenn man die ernste Größe dieses Teiles betrachtet und sich darein ver­ tieft, dann fühlt man es ganz, daß ein Bruch durch das Werk geht, und daß man es eigentlich mit zwei verschiedenen Büchern zu tun hat, deren Verschmelzung in eines alle anderen Nachteile im Ge­ folge fuhren mußte. Der Albert Einhart des- ersten Teiles und der Pfahldorfgeschichte ist eine echt komische Figur, die eine an sich berechtigte Idee in maßloser Übertreibung darstellt und dadurch zum Lachen reizt. Vischer hat sich darin karikiert und sich selbst zum Gegenstand seines Humors gemacht. Ganz anders steht es mit dem Al­ bert Einhart des Tagebuches, einem geistig und sittlich auf der Hö­ he stehenden Menschen, der sich immer wieder erinnern muß, daß er eigentlich ein Narr ist. In ihm hat Vischer sich selbst porträtiert, ihm hat er seine besten Gedanken, die vornehmsten Resultate seines Lebens gegeben und dessen geistige Entwicklung". 07 Hans Kolbe, Wilhelm Raabe. Vom Entwicklungs- zum Desillusi­ onsroman (Berlin: Akademie, 1981), S. 20G. KAPITEL 5

ALBERT EINHART ALS ERZÄHLER

A.

DIE PFAHLDORFGESCHICHTE "DER BESUCH".

Pfahldorfgeschichte fertig. Besorge Abschrift für den Reisekameraden; soll bald abgehen. Etwas doch zustande gebracht! Wie es auch sei, es kann doch - im kleinen - ein Ganzes heiBen. (S. 448)

Mit dieser Tagebucheintragung aus Venedig zeigt Einhart den

Abschluß seiner Pfahldorfnovelle "Der Besuch" an, die er während einer Reise in die Schweiz konzipiert hatte, und deren Abfassung mehrmals durch persönliche Schicksalsschläge wie den Verlust des

Amtes und den Tod seines Freundes Erik verzögert worden war. Anhand früherer Tagebuchaufzeichnungen können wir die langwierige Genese dieser Novelle genau verfolgen:

Sammlung von Pfahlbewohnerresten - Bodensee - Schweizer Seen - Steinzeit, Bronzezeit. Man wird ganz zu Hause, haben es auf ihre Weise ganz bequem gehabt, glaubten sich gewiB auf Bildungshöhe. - Gedanke einer Pfahldorfgeschichte. Mondsymbole - halt, daraus kann eine Religion für die Pfahlmenschen herausgesponnen werden! (S. 397)

Erst nicht verzagen! Arbeiten! Gutes tun, wirken ohne Amt, Vereine für Wohltätigkeit, - Erziehung Verwahrloster. - Für mich meine Bücher, hab' nun Zeit. Schreiben - halt! An die Pfahldorfgeschichte! - Gleich aufnehmen! Fort­ reisen, noch einige Sammlungen sehen von Ausgegrabenem aus der Pfahlzeit - Studien machen. - Man nimmt an, es seien Kelten - (S. 432 f.)

160 161

Ich bin zu ehrgeizig, um ehrgeizig zu sein. Ich habe ein heimliches, sehr verfängliches Verhältnis, eine un­ glückliche Liebe zu einer sehr spröden Schönen: der Nach­ welt ... was habe ich getan, meine Schöne zu erobern? Mein Wirken? - Lächerlich geendet! Da die Pfahlnovelle? Dichterruhm? Pah! (S. 433)

Große Singtragödie will auch nicht werden. Dort liegt die Pfahldorfgeschichte, - skizziert, kaum angefangen; keine Stimmung. (S. 441)

Frau Hedwig schickt mich nach Italien. Hat am Ende recht. So vieles dort noch nicht gesehen. - Pfahldorfgeschichte mitnehmen, etwa im stillen Venedig vollenden, war ja einst auch ein Pfahldorf. (S. 441)

Die Pfahldorfgeschichte hervorgezogen. Das Wässerige um mich, Ufergeruch, Schilf, Röhricht, Seegras, Binsen am Strand bringt Stimmung zum Seebild. (S. 444)

Werden mich schön verketzern, ... in die Zeitungsrachen stecken, wenn der Reisekumpan sich einst entschließt, meine Pfahldorfgeschichte in Druck zu geben, und wenn sie das Kindbehör am Fest, die Katechisation lesen. Und ist doch sehr harmlos. (S. 445)

Halt, ein Gedanke! Öber dem: Qui si denunzia! Alpin soll aus Eifersucht Denunziant an Arthur werden! Gut, muß sehen, wie ich's verwende. (S. 445)

Diese Aufzeichnungen Albert Einharts, die sich Uber einen Zeit­ raum von mehr als sechs Jahren erstrecken,^- gewähren uns nicht nur einen Einblick in den künstlerischen Schaffensprozeß, indem sie die

Herkunft einiger in der Novelle dominanter Motive erklären, wie das des Zusammenstoßes zweier Zeitalter oder der Relativität von Bildungs­ stufen, sondern sie verdeutlichen auch, daß die Abfassung der Novelle für A.E. den Versuch darstellt, seine persönlichen Probleme zu ver­ arbeiten und seinem Leben einen Sinn zu geben, daß ihr somit eine kathartische Funktion zukommt. Wie schmerzhaft dieser Prozeß der

Katharsis für Einhart gewesen sein muß, und wie schwer es ihm gefallen 162 ist, sowohl gegen die tägliche Tücke des Objekts als auch die

Verzweiflung Uber den Verlust des Amtes und seines Freundes Erik anzuschreiben, davon zeugen nicht nur die Tagebuchnotizen, sondern auch das handschriftliche Konzept der Novelle, das der Ich-Erzähler unter Einharts nachgelassenen Papieren findet, und das uns wie ein

"mühsames Mosaik" vorkommt: "... ein Manuskript, von Durchstrichen,

Korrekturen, Einschiebungen über und über durchschnitten und über- sät" (S. 286). Es ähnelt in dieser Beziehung Einharts "System des harmonischen Weltalls", das er ungefähr zur gleichen Zeit konzipiert hat. Während jedoch der Versuch A.E.s einer "literarischen Exekution" der Dämonen (S. 433) anhand eines wissenschaftlichen Systems scheitert, scheint er sich von ihnen im könstlerischen Prozeß befreien zu können

- so sieht es zumindest der Ich-Erzähler, dem die Novelle als "kein geringer Akt geistiger Freiheit" vorkommt: "... er [A.E.] hatte es ja doch vermocht, sich so seiner selbst zu entäuBern, daB der Krank­ heitsstoff als gegenständliches Bild humoristisch ausgeschieden wurde" (S. 255).

Fast alle Kritiker vom Auch Einer schließen sich dieser

Beurteilung an, wenn sie in der Pfahldorfgeschichte ein "Mittel künstlerischer Selbsterhebung des Helden über die Widersprüche des

Seins" sehen und sie als die poetische "Einkleidung des persönlichen

Läuterungsweges Albert Einharts" oder als den "Ausdruck seelischer

Befreiung" interpretieren.3 So schreibt zum Beispiel Franza Feilbogen in ihrer Studie: 163

Indem Albert Einhart diese Geschichte schreibt, hebt er sich über die individuelle Schranke hinaus zur reinen Höhe eines freien Menschentums. Von oben sieht er das Leben und die Entwicklung an und, indem er allein den höchsten geistigen Werten Ewigkeit zumiBt, wird ihm das Kleine in entsprechende Ferne gerückt. Als Einzelner erkennt er sich wieder in dem vergrößerten Bild der Völker und versöhnt sich mit seinem Schicksal.4

Da wir die UnverläBlichkeit des Ich-Erzählers und seine Neigung zur Harmonisierung von Problematischem kennen und es gelernt haben, seine Aussagen mit Skepsis aufzunehmen, stellt sich uns zwangsläufig die Frage, ob A.E. der "Akt geistiger Freiheit" vollkommen gelingt, und ob er es wirklich vermag, sich "Uber die Widersprüche des Seins" zu erheben. Zu diesem Zweck wollen wir untersuchen, wie der auk- toriale Erzähler der Novelle, hinter dessen Maske A.E. sich ja ver­ birgt, sein zentrales Thema, das wir mit Haverkamp als "das Problem der Einsicht des Menschen in seine Stellung innerhalb der Geschichte und die daraus resultierende Frage nach einem möglichen Fortschritt" charakterisieren können, behandelt und zu welchem Ergebnis er gelangt.5

Wir blicken durch eine kleine Fensteröffnung in eine Hütte, die uns gar dürftig erscheinen müßte, wenn wir uns, nicht Bau, Ausstattung, Schmuck unserer Räume aus dem Sinne schlagen wollten. Die Wände bildet ein Flecht­ werk, das mit Lehm bekleidet ist, daran läuft ein Bord, der einen Hausrat von äußerster Einfachheit trägt, ein roher Tisch in einer Ecke, einige Stühle von nicht feinerer Arbeit sind zu sehen, und auf dem Estrich, der eben nicht aus Parkettafeln, sondern aus einem GuB von Ton und Kohlenstaub über einer einfachen Lage von Planken besteht, erhebt sich ein Herd, dessen Form auf so höchst ursprüngliche Zustände hinweist wie alles, was wir erblicken. (S. 91) 164

Diese Sätze, mit denen die Pfahldorfgeschichte anhebt, enthalten in nuce die wichtigsten erzähltechnischen Mittel und Techniken, von denen die gesamte Novelle bestimmt wird, und es ist daher zweckmäßig, sie eingehender zu untersuchen.

Als erstes fällt die starke Einbeziehung des Lesers durch den auktorialen Erzähler auf, der sich als dessen Zeitgenosse aus­ weist (auf der gleichen Seite spricht er von "unserer Zeit" und auf Seite 121 von "den Tagen des Verfassers dieser Geschichte und seiner Leser"). Durch das "Wir" nimmt der Erzähler den Leser an der Hand, führt ihn an die weit in der Vergangenheit liegende

Welt heran und läßt ihn in sie hineinschauen.6 Dieses An-der-Hand-

Nehmen durch den Erzähler, dessen Funktion es ist, den Leser fast körperlich in die dargestellte Welt hineinzuversetzen, wird beson­ ders bei einem Schauplatz- oder Zeitwechsel deutlich. So teilt der Erzähler dem Leser am Ende der ersten 'Szene1 (Sigune und

Alpin in der Hütte) mit: "Wir überlassen sie ihrer Arbeit und folgen dem aufgeregten Alpin durch ein paar Zwischengänge des

Pfahldorfs nach der Hütte seines Vaters" (S. 99). An einer an­ deren Stelle heißt es:

Ehe wir dem Ursprung des Lärms nachforschen, müssen wir uns erst nach einer anderen Stelle begeben. Wir lassen die Nacht bis zum Morgengrauen verstreichen, verfügen uns ans Land und sehen in der Dämmerung 7 einen schlanken Burschen dem See zuschreiten. (S. 107) 165

Außer solcher direkter Einbeziehungen des Lesers durch den

Erzähler ist es vor allem die Verwendung des Präsenz, die den

Eindruck des Dabeiseins und der Unmittelbarkeit hervorruft. Schon zu Beginn der Erzählung wird uns durch das Präsenz suggeriert, daB wir Zeugen einer sich 'jetzt' abspielenden Begebenheit sind, und im Verlauf der Novelle wechselt der Erzähler mehrmals vom Imperfekt zum Präsenz über, um den Leser so nahe wie möglich an das Geschehen heranzuführen, es ihm sozusagen zu vergegenwärtigen, wie zum Beispiel bei der Schilderung der feierlichen Prozession anläßlich der

Betuchung:

Alle Kinder der Gemeinde, die das vierzehnte Lebens­ jahr erreicht hatten, standen zu zwei und zwei geordnet in ihren Festkleidern bereit; über buntgewürfeiten Röcken trugen sie kurze weiBe Mäntelchen um die Schultern. Zunächst ihnen sehen wir die Personen aufgestellt, die von Amts wegen auf diesem Gang nicht fehlen dürfen; die übrige Gemeinde befindet sich schon am Lande drüben auf dem heiligen Platz und harrt auf die Ankunft der Festschar. Der Zug setzt sich in Bewegung. (S. 130)

Eine ähnliche Funktion wie der Verwendung des Präsenz kommt der

ausführlichen szenischen Wiedergabe des Frage- und Antwortteils der

Betuchungszeremonie oder Kullurs und Arthurs Reden zu: der Erzähler

tritt weitgehend in den Hintergrund, indem er seinen Figuren das

Wort erteilt, und er erreicht auf solche Weise beim Leser die Illusion

von Unmittelbarkeit.

Neben der direkten Einbeziehung des Lesers und der Verwendung

des Präsenz finden wir in den einleitenden Sätzen der Novelle eine

dritte Technik, die dazu beiträgt, das Geschilderte besonders 166

anschaulich zu machen: "das bildhafte Ausmalen einer Szene, das

aus der starken Bindung Vischers an das optische Vorstellungs- Q vermögen resultiert". Die mehrmalige Verwendung von Verben

der optischen Wahrnehmung ("wir blicken, sind zu sehen, wir er­ blicken") betont ebenso wie die minutiöse Beschreibung solcher

Details wie der Hütteneinrichtung, der umfangreiche Studien

Vischers zur Pfahlbaukultur zugrundeliegen, die Bildhaftigkeit 9 der beschriebenen Szene.

Nachdem der Erzähler den Leser solchermaßen in die ge­

schilderte Welt hineinversetzt hat, reißt er ihn wieder aus

ihr heraus, er entfremdet sie ihm und entlarvt ihren fiktiven

Charakter, indem er die damaligen Zustände mit den gegenwärti­

gen vergleicht: mit der Ausstattung unserer Räume verglichen

müßte die damalige Einrichtung dürftig erscheinen; so bestand

der Fußboden der Pfahlbewohnerhütten aus Planken und einer Lage

von Ton und Kohlenstaub, und nicht, wie zur Zeit des Erzählers

und seiner Leser, aus Parkettafeln. Diese gegenläufige Bewegung

des In-die-fiktive-Welt-Hineinversetzens und Aus-ihr-Herausreißens

zieht sich durch die gesamte Novelle und kann als ihr struktur­

bestimmendes Prinzip betrachtet werden. Es zwingt den Leser,

das "Damals" mit dem "Hier und Heute" zu vergleichen und sich

eine eigene Meinung darüber zu bilden, welche Welt ihm als die

bessere vorkommt: 167

Der Leser wird hinübergezogen zum Autor, der dar­ gestellten Welt entfremdet, von ihr distanziert; das "wir" vereinnahmt ihn und stellt ihn an die Seite des Autors: Hier sind wir, dort die Geschichte.IO

Ein Mittel, um diese Distanzierung und Entfremdung zu bewirken, ist, wie wir schon an den einleitenden Sätzen der Novelle beobachten konnten, die direkte Kontrastierung damaliger und 'jetziger' Zustände,

Sitten und Gebräuche etc.,*^ auf die wir etwas später noch zurück­ kommen werden, wenn wir uns mit der Thematik und Aussage der Pfahl­ dorfgeschichte befassen. Selbst wenn der Erzähler nicht in erster

Linie die Andersartigkeit der beiden Welten hervorheben will, sondern vielmehr die Gleichartigkeit betont, läßt er den Leser nicht ver­ gessen, daß er es mit zwei weit auseinanderliegenden Zeiten zu tun hat:

Sie wünschte, er solle studieren.M So dürfen wir wohl sagen, da es etwas dem ganz Ähnliches, was wir so nennen, schon in jenen Zeiten allerdings gab. (S. 104)

Das [die Schnitzli] hing, um an der Sonne gedürrt zu werden und Vorrat für den Winter zu bilden, an allen Dachgesimsen und Fenstern in Bündeln gefaßt herum, wie heutzutage (das heißt diesmal: in den Tagen des Verfassers dieser Geschichte und seiner Leser) ... (S. 121)

Er [Alpin] trug, wie die anderen Burschen des Pfahl­ dorfs, was man im heutigen Süddeutschland einen Haus­ knecht oder Johann nennt, das heißt einen Kranz von längeren Locken im Nacken, während die Haupthaare kurz geschnitten __ waren. (S. 132)

Die Distanzierung des Lesers von der erzählten Wirklichkeit durch den Erzähler kann sogar bis zur fiktionsironischen Reflexion ihres künstlichen Charakters getrieben werden, wenn sich der Erzähler, 168 der ja selbst ein vom Autor Albert Einhart geschaffener fiktiver

Charakter ist, im zweiten Zitat die "fiktionale Einsinnigkeit" des Erzählten durchbricht und dessen fiktiven Charakter offen-

1 *? legt ("... in den Tagen des Verfassers dieser Geschichte ..."), oder wenn er mit einem fiktiven Leser in einen Dialog Uber das

Erzählte eintritt: "[Der Leser:] "Wessen Auge? Da gab es ja keinen Zuschauer!" [Der Erzähler:] 0 ja, doch!" (S. 240).

Ein vom Erzähler besonders häufig angewandtes Mittel der

Verfremdung findet sich im dritten Zitat: die anachronistische

öbertragung moderner Bezeichnungen auf Gegenstände oder Vorkom- nisse der Pfahlbauzeit. So spricht er von Fabriken und Fabri­ kanten (S. 99 f.), Massenbetrieb und Arbeitsteilung (S. 100),

Universitäten, Konservatorien und Polytechniken (S. 104 und 126),

Polizeibeamten und Richtern (S. 110), Osteologen (S. 120), Adel

(S. 127), Hotels (S. 149), Koketten (S. 150), rechten und linken

Parteien (S. 236), KommiBschützen (S. 197) usw., und er betont selbst, daß diese modernen Bezeichnungen nicht ganz angemessen sind, indem er schreibt:

Wenn wir uns hiermit einiger moderner Namen bedienen, so wollen wir andurch dem Leser nicht verwehren, sich den Zustand bemeldeter Wissenschaften noch etwas primi­ tiv, gewissermaßen steinern vorzustellen. (S. 105)

Ein besonders interessanter Fall ironischer Brechung ist die

Verwendung literarischer Anspielungen und Zitate, die sowohl ver­ steckt als auch mit Namens- oder Titelangabe erfolgt.13 Zur 169 ersten Gruppe gehören Caesars Ausruf "Veni, vidi, vici!", der in den Händen des Erzählers zu einem "Man kam, man sah, man staunte an" (S. 118) wird, Jesus Aufforderung an Petrus, von nun an nur noch nach Menschen zu fischen, die Arthur folgendermaßen ab­ wandelt: "... von heute an wird mein Leben ... eine Jagd werden - eine Jagd, ich werde jagen, nach Menschen jagen und gejagt werden"

(S. 161), und ein Selbstzitat A.E.s, dessen fiktionsironischer

Charakter erst im nachhinein (d.h. bei der Lektüre des Tage­ buchs) klar wird: Sigune wirft sich Alpin, der Pläne zur Be­ freiung Arthurs schmiedet, mit den Worten "Du bist gut, o, du bist gut!" (S. 194) an den Hals und zitiert somit, nur gering­ fügig abgewandelt, A.E.s Gedicht an Cordelia "0, du bist gut, ja, du bist gut!" (S. 374).14

In der zweiten Gruppe literarischer Anspielungen und Zitate finden wir Erwähnungen Goethes (Sigune wird mit Werthers Lotte kontrastiert, S. 94, und auf die Figur des Ehegoumers bzw^

Mittlers in den Wahlverwandtschaften wird Bezug genommen, S. 130),

Schillers (S. 233), Gleims (S. 161), Fischarts (S. 231), Homers

(S. 102: "... ein Schweinshirt, den zwar kein Homer den gött­ lichen Sauhirt Eumaios nannte ..."), Shakespeares (S. 248:

"... wie man sich den Schrei des blutigen Kindes im Macbeth denken muß ...") und des Nibelungenliedes:

"Er ertobte des Muotes", heiBt es im Nibelungen­ liede, da Rüdiger von Bechlarn nach schwerem inneren Kampfe und herzerschütternden Wechselreden das Schwert zückt, gegen seine Freunde, die Nibelungen, zu streiten. (S. 154) 170

Arthur war übel gebettet in seinem "Ungemach" (wie das Nibelungenlied den Kerker nennt) __ (S. 195)15

Diese Verwendung literarischer Anspielungen und Zitate dient

nicht nur dazu, beim Leser das Bewußtsein des Gegensatzes von

"Damals" und "Heute" wachzuhalten (die zitierten Dichter gehören

ja zum kulturellen Allgemeingut von Vischers Zeitgenossen, wäh­

rend die Pfahlbewohner von ihnen keinesfalls wissen konnten),

sondern auch um Personen oder Begebenheiten in der Pfahldorfzeit

in ein humoristisches Licht zu setzen. So wird die alte Urhixi-

dur mit einer "arkadische[n] Schäferin" verglichen (S. 205), und

die Keilerei während des Festschmauses nimmt nicht nur die Form

eines Dramas mit "Ansteigen, ... höchste[r] Verwicklung, ...

Ablauf, ... Schluß" an (S. 241), sondern gleicht auch der bewegten

See:

... die Wogenschäumung ging von zwei Polen aus, dort » einem idealen, hier einem realen. Noch ehe aber diese zwei Sturzbewegung die Mitte erreicht hatten, wurden sie durch zuwachsende seitliche Strömungen noch wesentlich verstärkt. (S. 238)

... die Wirkung war auch eine seelenbildende, denn ein gewisser sanfter Friede: ein calmo di mare pflegte nach diesen Stürmen auch auf die Gemüter sich zu senken ... Unbedingt war freilich solcher Ruhe des Meeres nicht zu trauen. Oft folgt ja auf einen Sturm ganz unerwartet ein zweiter; eine müde, scheinbar er­ stickte Granatkugel fährt oft noch einmal empor, zer­ platzt und tötet rings, was ihr begegnet. Nicht bei allen Mitgliedern der Gesellschaft hatte sich Einnahme und Ausgabe in der Prügelrechnung befriedigend ausge­ glichen. Wer konnte wissen, ob es nicht da und dort unter der Asche noch unheimlich nachglimme! (S. 242) II Ähnlich wie in Fieldings berühmten, als "mock epics" kon­ zipierten Kampfszenen finden wir auch hier eine erhebliche Dis­ krepanz zwischen banalem Inhalt und erhabener Form, und das aus dieser Diskrepanz resultierende bathos legt die Lächerlich- lichkeit der geschilderten Szene offen. ^ Im Gegensatz zu

Fielding halt der Verfasser der Pfahldorfnovelle jedoch die eingesetzte Metapher nicht konsequent durch, sondern er ver­ mischt bei dem Versuch, die Schilderung des Geschehens besonders anschaulich zu gestalten, mehrere disparate Bildebenen: bewegte

See - Drama - bewegte See - Schlacht - Prügelrechnung - Glimmen unter der Asche. Diese unpassende Mischung verschiedener

Metaphern ist nicht so sehr eine Reflexion handwerklicher

Schwächen des Erzählers, bzw. Albert Einharts, als vielmehr

Vischers Karikierung der zu seiner Zeit äußerst beliebten kulturhistorischen Romane und Erzählungen: ähnlich wie der Er­ zähler der Pfahldorfnovelle Metaphern anhäuft, reihen die

Autoren dieser Werke Fakten an Fakten, um ihre Erudition unter

Beweis zu stellen.^ Der vom Erzähler wortwörtlich wiedergege­ bene und mit zahlreichen und ausführlichen Anmerkungen versehene

Speisezettel (S. 228-33) ist ein weiteres Beispiel für Vischers parodistische Verwendung kulturhistorischer Details.

Wir konnten bisher beobachten, wie der auktoriale Erzähler

den Leser an die dargestellte Welt heranfuhrt, sie ihm vergegen­ wärtigt, und auf welche Weise er sie ihm sogleich wieder ent­

fremdet und ihn zu einem ständigen Vergleich von "Damals" und 172

"Heute" zwingt. Es stellt sich nun die Frage, in welche Richtung er den Leser bei diesem Vergleich lenkt - suggeriert er ihm, daB er sich in der besten aller Welten befindet, und daß die kulturel­ le Entwicklung der Menschen gewaltige Fortschritte seit der Pfahl­ dorfzeit gemacht hat? Oder betont er das Positive der Pfahldorf­ kultur und beklagt das Vergehen der 'guten, alten Zeit'? Oder nimmt er eine Zwischenposition ein? Wenn wir, um diese Fragen zu beantworten, uns einer Lieblingsmethode sowohl Vischers als auch

Albert Einharts bedienen und eine Tabelle anfertigen, in die wir die Vergleiche der Pfahldorfzeit mit der Zeit des Verfassers ein­ tragen, wobei positive Beurteilungen der vergangenen Zeit in der linken Spalte, die der Gegenwart in der rechten Spalte notiert werden, so fällt auf, daB kein eindeutiges Übergewicht festge­ stellt werden kann, d.h. daß sich die Eintragungen gleichmäßig auf beide Spalten verteilen.

An der Pfahldorfzeit wird besonders positiv das enge Ver­ hältnis der Menschen zur Natur hervorgehoben. So vermögen die

Pfahldorfmenschen mit großer Geschicklichkeit und Meisterschaft

Tiere nachzuahmen (S. 220), ihnen ist der Ruf der Rohrdommel noch bekannt (S. 223: "... von unseren heutigen Lesern kennen wohl nur wenige den Ruf der Rohrdommel so gut ..."), und sie haben soviel

Ehrfurcht vor der Natur, daß sie sie nicht verschmutzen und zer­ stören (S. 104). Überhaupt sieht der Erzähler die Natürlichkeit der Pfahlbewohner als eine lobenswerte Eigenschaft. So bewundert er den wohlgebildeten Körperbau Sigunes, die das Korn geschickter 173 und leichter mahlt, als es "eine starke Bauerntochter unserer

Zeit" könnte (S. 91), den elastischen Gang Arthurs, "wie man ihn jetzt nur noch bei Völkern sieht, deren FüBe nicht Schuh und

Stiefel, nur Sandalen kennen" (S. 107), den mächtigen Gesang der

Pfahlbewohner, "wie er aus Stimmen der heutigen Menschenwelt nim­ mermehr zu erzeugen wäre" (S. 207), sowie die "prächtigen Zähne"

(S. 232) und die "vortreffliche Verdauung" jener "körnigen

Menschen" (S. 231). Ein weiteres Zeichen ihrer Natürlichkeit und Unverdorbenheit ist die Tatsache, daß sie "alle unnötige Ent­ lehnung aus fremden Sprachen [verabscheuten]" (S. 227), und daß 18 ihnen gewisse Auswüchse empfindsamer Männerbünde fernlagen:

DaB auch Männer sich umarmen und küssen können, war den Pfahlbewohnern noch rein unbekannt; hätten sie sehen können, wie das betrieben wurde zu den Zeiten Vater Gleims und wie noch heutigestags da und dort Männer sich abschmatzen: man darf wohl annehmen, sie hätten sich mit Scham und Schauer abgewendet. Arthur sagte einfach: "Ich danke dir, dem Feind, mein Leben!" und begleitete die Worte mit einem Druck der Rechten, worüber unsereinem das Blut aus den Fingern spritzen würde und den nur eine Hand aushielt, die fähig war, einen Wisent mit einem HorndolchstoB niederzustrecken. (S. 161 f.)

Selbst wenn eine Aussage des Erzählers auf den ersten Blick

den Anschein erweckt, daß die Pfahldorfkultur in einem negativen

Licht gezeigt werden soll, kann ein näheres Hinsehen den Leser

vom Gegenteil überzeugen. So wirkt die folgende Beschreibung

des Verhaltens der Pfahldorffrauen während der Gemeindever­

sammlung recht negativ, wenn wir sie nur im Kontext der Geschichte

lesen: 174

Die Frauen und Töchter waren nicht zu sehen. Zwar ver­ bot keine hergebrachte Sitte ihre Zulassung ... allein das schöne Geschlecht hatte damals noch wenig Lust, be­ lehrende, bildende Vorträge anzuhören, mit rührender Of­ fenherzigkeit wurde vielmehr gestanden, man finde der­ gleichen langweilig. (S. 164)

Berücksichtigen wir jedoch A.E.s Abneigung gebildeten oder, in seinen Worten, "philosophierenden" Frauen gegenüber, aus der er in seinem Tagebuch keinen Hehl macht (S. 389), so erscheint das Desinteresse der Pfahldorffrauen an belehrenden und bildenden

Vorträgen eher als positive Eigenschaft, zumindest was die Hal­ tung des Erzählers angeht.

Sind es bei den Pfahlbewohnern die Natürlichkeit, Unkompli­ ziertheit und Bindung an die Natur, die lobend hervorgehoben wer­ den, so finden wir als Pluspunkte der modernen Zeit den enormen technologischen Fortschritt, der das Leben erheblich einfacher und angenehmer gemacht hat. So braucht man sich nicht mehr mit solch ineffektiven Werkzeugen und Geräten wie steinernen Meißeln und

Schlegeln oder Holzmessern abzumühen:

Diese [Sägenklinge] kannte man ja noch nicht, und so hielt man große Stücke auf ein Werk, das uns gar dürf­ tig erscheinen muß; man muß auch bedenken, daß kein metallener Hammer, sondern nur ein kleiner Steinschle­ gel zu Gebote stand, um die schwierige Spaltung vorzu­ nehmen. Wie sehr man doch die Unzulänglichkeit des Ge­ rätes zu fühlen bekam, haben wir aus Ullins Gedulder­ müdung gesehen. (S. 101)

Es gab ja, wie wir längst wissen, keine ordentlichen Messer, und von fassenden Gabeln konnte ohnedies nicht die Rede sein. (S. 237) 1 7 5

In engem Zusammenhang mit dem technologischen Fortschritt steht der kulturelle und soziale Fortschritt der Menschheit.

Geld hat unhandliche Tauschmittel wie "Geräte, Kleider, Schmuck,

Vieh, Felle, Wolle [oder] Getreide" ersetzt (S. 103), heidnischer

Aberglauben hat aufgeklärtem Denken Platz gemacht, und die Wissen­ schaften haben sich erheblich fortentwickelt: "Der Leser ist be­ reits gewarnt worden, sich den Stand dieser Wissenschaften in je­ ner Zeit nicht als einen allzu rationellen zu denken" (S. 144).

Allerdings erscheint dieser Fortschritt als ein zweischneidiges

Schwert: er bringt nicht nur Positives mit sich, sondern hat auch unheilvolle Nebenwirkungen. Fabriken erzeugen nicht nur eine Viel­ zahl von Produkten, sondern sie verschmutzen auch die Umwelt, wie

Alpin vorausahnt:

"... daß am End' kein Tal in diesen ganzen Landen vor dem Pick-, Klopf- und Hämmer- und Haspelwesen mehr sicher ist? Kein Bächlein lauter und lieblich mehr gehen kann, weil sie's verschmutzen mit Waschereien und - mit" (man erkennt, daß er MUhlwerke und Fabri­ ken mit Wassertrieb ahnt und nicht nennen kann, daher setzt er nur hinzu): - "und daß am Ende der Kuhrei­ gen verstummen muß?" (S. 104)

Die Arbeitsteilung ermöglicht nicht nur die Vervollkommnung der Warenherstellung, sondern sie fuhrt auch zur Vereinseitigung bestimmter Fähigkeiten und damit zum Verlust anderer, und das ge­ steigerte Bewußtsein des modernen Menschen kann nur auf Kosten der

Natürlichkeit und Unkompliziertheit erkauft werden. Der Erzähler betont diese Problematik, die der sein Spiegelbild betrachtende

Alpin nicht in Worte fassen kann: 176

Also - also so - von nun an wird der Mensch sich selbst sehen zweimal dasein - und dann - wenn er von dem Bild weggeht, wird es doch in ihm bleiben - und er wird in­ wendig sich selbst sehen - wird nicht mehr einfach, nicht mehr ein Einfacher sein - wird sich zugleich im­ mer auch inwendig fragen, wie er wohl anderen Menschen vorkomme - und dann - wenn er etwas denkt oder sagt oder tut, wird man nicht mehr wissen, ob er's denkt oder sagt oder tut, weil er sich vorstellt, wie er dabei aussehe, sich ausnehme -" Er stockte - wie hätte der Pfahlhirte für das, was ihm in dunkler Ahnung aufdämmerte, die Begriffe finden können und die Worte für die Begriffe! Wir Jetzigen freilich könnten ihm gut nachhelfen, wir, denen so leicht ersichtlich ist, daB mit der Erfindung und Vervollkommnung des Spiegels eine gründliche Ver­ änderung in das Seelenleben, in alle Zustände der Mensch­ heit getreten ist. Verschärfung des SelbstbewuBtseins, aber auch eitle Selbstbespieglung und eitle Bespieglung in anderen: wie sollte der arme Alpin diese Bezeichnungen aufbringen und wie all das Unabsehliche ermessen, das sich aus einer solchen Wendung im BewuBtseinsstande des Menschen ergeben, entwickeln mußte! Ihm wurde schwind­ lig vor dem Bilde der künftigen Jahrhunderte, das ihm dunkel vorschwebte und das er nicht erfassen konnte. (S. 149 f.)

Sogar der Barde Kallar, der als einer der Advokaten des Fort­ schritts auftritt, kann die Augen vor dessen negativen Seiten nicht verschließen:

Die Leute, die uns herausscharren: wir, unsere Geister werden sie nicht allzu gelb und grün beneiden! überklug werden sie sein, diese späten Enkel, hastig, unruhig, fahrig, immer eilig, immer gedrängt ... So ein Mensch wird nichts mehr geruhig betrachten, bei nichts mehr mit stillem Sinnen verweilen! Sein Leben wird ein Jagen sein! Er wird raffen und raffen, um zu genießen! ... Sie wer­ den endlich nicht mehr raffen, um zu genießen, sondern um zu raffen! Es wird keine Gegenwart mehr für sie geben! (S. 174)

Bei einem Vergleich der Welt der Pfahlbewohner und der Vi­ schers zeigt sich also, daB die Pfahldorfnovelle keineswegs das 177

Vehikel eines ungebrochenen Geschichtsoptimismus ist, sondern daß sie vielmehr das unlösbare Dilemma zum Thema hat, mit dem sich der

Erzähler und damit Albert Einhart abmüht: einerseits kann die Mensch heit nicht auf derselben Stufe stehenbleiben, und sie muß sich wei­ terentwickeln, andererseits bringt der unaufhaltsame Fortschritt ebensoviele - wenn nicht noch mehr - negative als positive Wir­ kungen mit sich. Hinzu kommt, daß sich die menschliche Entwick­ lung nicht als ein geradliniges Fortschreiten auf einen Gipfel hin darstellt, sondern daß sie vielmehr einer Kreisbewegung gleicht.

Kallar läßt in seiner Rede, die das Herzstück der Pfahldorfnovelle bildet, keinen Zweifel an der Relativität menschlicher Bildungs­ stufen und der Kreisstruktur der geschichtlichen Entwicklung, wenn er den schockierten Pfahlbewohnern erklärt:

...so haben wir immer neue Gipfel der Bildung, und weil es immer neue gibt, so gibt es keinen ... Es ist gar wohl möglich, daß vor vielen tausend Jahren da oder dort Geschlechter gelebt haben, die in allen Künsten schon so weit waren, als man von jetzt an in vielen tausend Jahren sein wird, und daß all ihr Reich tum und ihre Pracht und feinen Werke dann in Wildnis versunken sind, und daß über dem Schutt die Menschen wieder haben vorn anfangen müssen. Wär es so ge­ gangen, so hätten wir also einen Weg, auf dem die Wesen ziehen und wandern, der ginge nicht immer berg­ auf, sondern auch bergab und bergauf. (S. 176)

Diese Einsicht in die "Relativität aller Kulturgrade und ver­ meintlichen Kulturgipfel" und in den Charakter der geschichtlichen

Entwicklung als "einües] ewig sich wiederholende!! n] Auf und Ab von

Bildungsstufen", die Vischer selbst als das zentrale Thema der 178

Pfahldorfnovelle angibt, und die "eine skeptische Relativierung 19 des idealistischen Geschichtsglaubens" darstellt, wird nicht nur einem Vertreter des Fortschritts in den Mund gelegt, sondern auch in der Struktur der Erzählung reflektiert. Wahrend der Er­ zähler die anscheinend so rückständigen Pfahlbewohner und ihre

Sitten beschreibt, liefert er nämlich gleichzeitig, auf einer zwei­ ten Ebene sozusagen, eine atzende Kritik seiner eigenen Gegenwart:

Man halte sich bei dem barocken Vortrag der vorgeschicht­ lichen Handlung immer vor Augen, daß ein bewußt geformtes, aber humoristisch gefärbtes Kulturbild aus Urzeiten durch­ setzt ist mit satirischen Schlaglichtern auf neuzeitliche Zustande (z.B. konfessionelle Kämpfe, insbesondere den nie ruhenden Gegensatz zwischen dogmenloser Religion und vor­ geschriebener Kirchensatzung, Modenarrheiten, Auswüchse 2n des kapitalistischen Großbetriebs, Kunstzustände usw.)...

So benutzt der Erzähler die Religion der Pfahlbewohner, um sich über noch bestehende religiöse Praktiken lustig zu machen

(die Betuchungszeremonie hat große Ähnlichkeit mit Katechisation 91 und Konfirmation), und er teilt durch die detaillierte Wiederga­ be des Speisezettels nicht nur einen Seitenhieb gegen die Autoren kulturhistorischer Romane aus, die ihre Werke gern mit solchem

Ballast versahen, sondern auch gegen zeitgenössische journalisti­ sche Vorlieben. Wir gehen sicher nicht fehl, wenn wir in einem

Zeitungsausschnitt aus dem Schwäbischen Merkur vom 2. Dezember

1876, der sich im Deutschen Literaturarchiv (Marbach a.N.) unter

Vischers Materialien zum Auch Einer befindet, und der in ermüden­ dem Detail die verschiedenen Gänge eines Fischessens im Reichstag 179 wiedergibt, ein mögliches 'Vorbild' für den Speisezettel der 22 Pfahldorfnovelle sehen.

Eine besonders boshafte Behandlung läßt der Erzähler Richard

Wagner und seiner Musik zuteilwerden, wenn er ihn als den erzkon­ servativen Druiden Angus portraitiert, dessen "poetisch-musikali- sche[...] Triade" (S. 214) den Gesang der Rheintöchter in Das Rhein­ gold imitiert ("Weia! Wage! Woge, du Welle!") und sich ausgiebig des Wagnerschen Stabreims bedient:

Sende, o Neblige, Mondenscheinschweblige! Sende das kitzlige, Prickelnde, bitzlige, Kratzende, kritzlige, Übel uns nur! 0 Selinur! Pfisala, Pfnisala, Pfeia! (S. 210)

Du aber, Grippo! Grimmiger Greifer, Grunzender Lindwurm, Dräuender Drache! Jedliche Dumpfheit, Dickung und. Dämmung, Die das Gehirn drückt, Wenn sich der Pfnüssel Sperret und pferchet, Spare dem Pfahlmann, Pfropfe dem Feind ein, DaB er in Stumpfsinn Stocke und starre, Sticke und stiere!

• • • Griffolo, Griolo, Grio! Griffulu, Grugulu, Gruffu! (S. 214 f.)

Selbst derjenige Leser, den solche Anspielungen nicht auf die

Fährte gebracht haben, wird spätestens bei dem Appell des Druiden: 180

"Ihr habt nun gehört, was wir können! An euch liegt es, ob es künftig eine Pfahlvolkmusik geben soll!" (S. 217) verstehen, wel- 23 eher zeitgenössische Komponist gemeint ist. Außer der Kritik

Wagners und seiner Musik finden wir in der Pfahldorfgeschichte auch eine satirische Zeichnung dessen Publikums, das in seinen 24 Werken "a spiritual panacea" sah:

Von den Weibern lag ein Teil von Weh und Entzücken geschüttelt halbtot zappelnd an der Erde. Andre, im Verein mit der empfänglichen Mehrzahl der Männer, jubelten, jauchzten, klatschten sich die Hände fast blutig, schrien, tobten, weinten. Einige waren vom St.-Veits-Tanz ergriffen, andre tanzten Figuren, die mehr dem Saltarello und der Tarantella glichen, die Mehrzahl stürzte, von heiliger Wut ergriffen, auf den Meister zu, ihn zu umarmen. (S. 217)

Neben der ätzenden Kritik der Gegenwart des Verfassers zeigt der pessimistische Schluß der Pfahldorfnovelle, daß die Erzählung trotz ihres durchgehend humoristischen Tones keineswegs ein hoff­ nungsvolles Bild von der menschlichen Entwicklung zeichnet. Arthur, der Vertreter des Fortschritts, wird bei dem Versuch, einem anderen

Volk die Errungenschaften der neuen Zeit zu bringen, getötet: "Weit, weit weg in einem wilden Lande sei er, so heißt es, von grausamen

Menschen erschlagen worden, weil er ihnen ihre Götter nehmen wollte"

(S. 250). Die negative Formulierung unterstreicht noch einmal den

Gedanken, daß Fortschritt ein zweischneidiges Schwert ist: um ihn diesen Menschen zu bringen, muß Arthur ihnen die Götter wegnehmen.

Selbst der konservative Alpin, der Fortschritt nur zu einem gewis­ sen Grade billigt, und der sich in die Geborgenheit der Familie 181 zurückzieht, anstatt politisch tätig zu werden, muB ebenso wie die anderen Bewohner des Dorfes zugrundegehen: das Postscriptum läßt keinen Zweifel daran, daB die PfahldorfSiedlung kurz nach den geschilderten Ereignissen einer Naturkatastrophe zum Opfer gefallen und untergegangen ist: "Die Fundstücke, die man aus dem

Robanusseegrund ausgegraben hat, gehören der Steinzeit an ..."

(S. 252).

Die Pfahldorfgeschichte ist somit nur insofern ein "Ausdruck 25 seelischer Befreiung" Einharts, als es ihm gelingt, die Proble­ matik der menschlichen Entwicklung künstlerisch darzustellen und sie durch die humoristische Zeichnung erträglicher zu machen. Er ist jedoch weit davon entfernt, eine Lösung für das Problem zu finden, wie W. Haverkamp richtig bemerkt:

Die Objektivierung des unlösbaren Problems in der poetischen Distanzierung ist erster Selbsthilfever­ such A.E.s, der Erfolg jedoch begrenzt; wirkungsvol­ le Linderung erfährt A.E. erst im Traum. 26 ANMERKUNGEN

A.E. kommt die Idee für die Pfahldorfgeschichte zu Beginn seiner ersten Italienreise (1860), und er beendet die Novelle 1866 wahrend seiner zweiten Reise nach Italien. Siehe Abbildung Nr.II im Anhang dieser Arbeit. 9 Es ist bezeichnend, dass der Ich-Erzähler trotz dieser äusseren Form des Manuskripts und A.E.s Tagebucheintragungen, die ihm ja bekannt sind, Einharts Schwierigkeiten bei der Abfassung der Novelle ganz auf handwerkliche Gründe zurückfuhrt, und dass ihm garnicht der Gedanke kommt, dass sowohl Einharts Lebensum­ stände als auch die Thematik und Aussage der Pfahldorfgeschichte hätten daran Schuld sein können. Da der Erzähler "schon öfters Gelegenheit gehabt hatte, mit Hilfe solcher Blätter in die geheime Werkstätte eines Dichters zu sehen", weist er die Vorstellung zurück, "die Arbeit sei wie ein mühsames Mosaik entstanden"und gibt uns eine recht vereinfachende Erklärung des künstlerischen Schaffensprozesses, die wohl eher auf sein eigenes Vorgehen als auf das Einharts zutrifft:

Dem Dichter schwebt ein Bild vor wie ein Traumbild, hell in allen wesentlichen Zügen und doch noch schwebend, unbestimmt in Umrissen. Zudem ist die Sprache ein sprödes Material, das nicht leichten Kaufes sich hergibt, sein dem Prosabedarf dienendes Gefüge zur durchsichtigen Form für freie Anschauung umwandeln zu lassen. Er sucht und sucht, ringt und ringt, er reibt, wie man reibt, um einen verdunkelten Firnis zu entfernen, der Uber einem Gemälde liegt, endlich gelingt es der säuern Mühe, herauszuarbeiten, was ganz frisch, ganz leicht, ganz ein Guss und Fluss aus eigener Tiefe von Anfang an vor der Seele stand. (S. 286 f.)

3 Die beiden ersten Zitate stammen von Laurenz MUllner, Literatur- und kunstkritische Studien (Wien, Leipzig: Braumüller, 1895), S. 81 und 89, das letztere von Franza Feilbogen, Fr. Th. Vischers 'Auch Einer1 (Zürich: Orell Füssli, 1916), S. 90. Vgl. auch Ruth Heller, "Auch Einer: The Epitome of F. Th. Vischer's Philosophy of Life," German Life and Leiters, VIII (1954/55), S. 11.

182 183

Feilbogen, S. 118. Überhaupt fällt die durchgehend positive Beurteilung der Pfahldorfnovelle selbst durch diejenigen Kritiker auf, die die Gesamtkonzeption des Auch Einer als misslungen an­ sahen. Die vereinzelten kritischen Stimmen bemängeln entweder die Karikierung von religiösen Gebräuchen (Müllner, S. 83; Harvey W. Hewett-Thayer, "The Road to Auch Einer," PMLA, 75 (1960), S. 93- 95), oder sie finden, dass die Pfahldorfgeschichte "Episode [bleibt] und ... sich nicht in das Handlungsganze ein[fügt]" (Ewald Vol- hard, Zwischen Hegel und Nietzsche. Der Aesthetiker Fr. Th. Vischer (Frankfurt: Klostermann, 1932), S. 204). Die Tatsache, dass die Pfahldorfnovelle zweimal separat herausgegeben wurde, wobei das äusserst wichtige Element von A.E.s Autorenschaft ver­ lorenging, zeugt ebenso wie die fälschliche Designation vom Auch Einer als "Pfahlbauernroman" von der Wirksamkeit und Beliebtheit dieser "scherzhafte[n] Idylle", wie Vischer die Novelle nannte (Ausgewählte Werke in drei Bänden, hrsg. G. Keyssner, Band 3, S. 116): Eine Pfahldorfgeschichte. Mit einer Einführung von Rudolf Fischer (Reichenberg, 1923); Der Besuch. Eine Pfahldorf­ geschichte (Hinwil-Stuttgart, 1959); Theodor Kappstein, "Vorbe­ merkung" in: Vischer, Ausgewählte Werke in acht Tellen (Leipzig: Hesse und Becker, 1919), Teil 1, S. 3. Eine Ausnahme stellt Franz Blume dar, der die Novelle nur flüchtig gelesen zu haben scheint, und der deren Inhalt folgendermassen wiedergibt: "... der Verfasser ... erzählt, was ein Fremder, der in ein Pfahldorf zu Besuch kommt, hier alles erlebt". ("Zu Fr. Theod. Vischers Auch Einer," Monatsblätter für deutsche Literatur, 3 (1898/99), S. 22977

5 Wendelin Haverkamp, Aspekte der Modernität. Untersuchungen zur Geschichte des 'Auch Einer1 von Friedrich Theodor Vischer (Aachen: Cobra Verlag, 1981), S. 26. Es ist für den Ich-Erzähler charakteristisch, dass er "die wunderliche Erfindung einer Reli­ gion, einer Mythologie, worin sich alles um den Katarrh dreht" als das zentrale Motiv der Novelle ansieht (S. 254) und das viel wichtigere Thema des menschlichen Fortschritts unberücksichtigt lässt. So gesehen hat er recht, wenn er in der Pfahldorfgeschichte einen "Akt geistiger Freiheit" sieht, denn es ist A.E. tatsächlich gelungen, den ihn zeit seines Lebens plagenden Katarrh humoristisch zu besiegen. Ähnlich oberflächlich wie der Ich-Erzähler bei der Deutung der Pfahldorfgeschichte geht ein anonymer Kritiker bei der Interpretation des gesamten Romans vor, wenn er in der Frank­ furter Zeitung Vischers Kampf gegen den Katarrh in den Mittelpunkt des Auch Einer rückt: "Seine [Vischers] ewigen tragikomischen Sorgen wegen dieses Feindes, eine Cantelen und Abwehr gegen ihn, zu objektivieren, den Zustand zum Gegenstand zu machen, gab ihm die Idee zu Auch Einer ein ..." ("Wie Friedrich Vischer wohnt und lebt. Ein Gedenkblatt zu seinem 80sten Geburtstag," Frankfurter Zeitung, 181 (30. Juni 1887), Erstes Morgenblatt, S. 1 f.). Vgl. auch Werner Kohlschmidt, Geschichte der deutschen Literatur vom Jungen Deutschland bis zum Realismus (Stuttgart: Reclam, 1975), S. 667: "Der Roman ... hat das Motiv der Wirkungen des Schnupfens und der daraus resultierenden "Tücke des Objekts"." 184

Vgl. Stanzel Uber den auktorialen Erzähler: "Tritt der Autor durch Leseranreden, Kommentare zur Handlung, Reflexionen usw. hervor, so übersetzt der Leser die Kluft zwischen seiner Welt und der dargestellten Wirklichkeit sozusagen geführt von der Hand des Autors, es wird auktorial erzählt". (Die typischen Erzählsituationen im Roman. Darqestellt an "Tom Jones", "Moby- Dick", "The Ambassadors", "Ulysses" u.a.HTWien, T955T7S.— 23).

7 Vgl. Auch Einer. S. 109: "Wir begleiten die zwei zu seiner Wohnung", S. 133: "Ihn müssen wir jetzt näher ins Auge fassen als damals, wie wir mit Arthur vorübergingen ..." und S. 164: "... wir wollen uns daher nicht dabei aufhalten, wollen die Reisemüden ru­ hig ihrem Nachtischschlummer überlassen, noch einige weitere Stun­ den überspringen und uns am Abend nach dem Dolmen begeben ...". Q Haverkamp, S. 28. Q Zu Vischers Interesse an der Pfahlbaukultur siehe Franza Feilbogen, S. 90-118, Harry Kürbs, Studien zur Pfahldorfgeschich­ te aus Friedrich Theodor Vischers Roman "Auch Einer", Diss. Lud- wig-Maximilians-Universität München 1914 (Borna-Leipzig: Robert Noske, 1914), Joseph Oswald, "Friedrich Theodor Vischer in seiner Zürcher Zeit. Zu seinem hundertsten Geburtstage am 30. Juni," Neue Zürcher Zeitung, 30. Juni 1907 und die Liste von Vischers Vorar­ beiten und Materialien zum Auch Einer im Anhang dieser Arbeit.

10 Haverkamp, S. 26.

11 Wenn wir von "Gegenwart" oder "Hier und Heute" sprechen, so meinen wir die Gegenwart des Verfassers der Pfahldorfgeschich­ te und seiner fiktiven wie realen Leser.

*2 Vgl. Bernhard Heimrich, Fiktion und Fiktionsironie in Theo­ rie und Dichtung der deutschen Romantik (Tübingen: Niemeyer, 1968), S. 74: "Das Verweisen auf den epischen, fiktionalen Charakter des Erzählten ist fiktionsironisch, ist eine Reduktion also nur dann, wenn damit die "fiktionale Einsinnigkeit" des Erzählens gebrochen wird. Unter dieser fiktionalen Einsinnigkeit verstehen wir die Haltung des Erzählens (- des "Erzählers" -) dem Erzählten selbst gegenüber dergestalt, als wäre dieses ein tatsächliches, histori­ sches Geschehen. Diese fiktionale Einsinnigkeit ist es, die den Schein historischen Erzählens und damit den epischen Fiktions­ charakter selbst konstituiert".

13 Vgl. Herman Meyer, Das Zitat in der Erzählkunst. Zur Ge­ schichte und Poetik des europäischen Romans (Stuttgart: Metzler, 1961), S. 12: "Im allgemeinen dürfte gelten, daß der Reiz des Zitats in einer eigenartigen Spannung zwischen Assimilation und Dissimilation besteht: Es verbindet sich eng mit'seiner neuen 185

Umgebung, aber zugleich hebt es sich von ihr ab und lasst so eine andere Welt in die eigene Welt des Romans hineinleuchten".

Besonders kompliziert wird das Verhältnis von Fiktivem und Realem, wenn der Barde Guffrud Kullur (ein fiktives Gegen­ bild Gottfried Kellers) in der Pfahldorfgeschichte sein Gedicht "Sehe dich im Dunkeln leuchten" vortragt, der (fiktive) Albert Einhart dem (fiktiven) Ich-Erzähler in einem (fiktiven) Brief mitteilt, er habe für diesen Hymnus das Gedicht eines lebenden Dichters (Keller) umgearbeitet und ihn bittet, bei diesem Dichter Erlaubnis dafür einzuholen, was der (fiktive) Herausgeber der Pfahldorfgeschichte (in Wirklichkeit Vischer) tut. Vgl. hierzu Hans Trog, "Fr. Th. Vischer und Gottfried Keller," Zürcher Taschen­ buch 1908, S. 249-74 und Fr. Th. Vischer und Gottfried Keller, "Briefwechsel," Deutsche Dichtunq,9 (1890), S. 181-83, 232-35; 10 (1891), S. 27-31, 101-04, 177-79 und 225-27.

15 Weitere literarische Anspielungen betreffen den Don Quichote von Cervantes (S. 219; die Bärin wird "Dulzinea" ge­ nannt), das italienische Maskenspiel (S. 219), die moderne Pantomime (S. 220), sowie klassische Mythologie und Dichtung (S. 240: "die Schlünde der Charybdis", S. 248: "eine Eumenide" und S. 249: "die Frauen ... wehklagen wie ein antiker Chor").

16 Alfred Ibach stellt bei der Besprechung der Prügel­ szene Ähnlichkeiten zwischen Vischer, Jean Paul und Keller fest: Alfred Ibach, Gottfried Keller und Friedrich Theodor Vischer, Diss. München 1927 (Borna-Leipzig: Robert Noske, 1927), S. 70.

17 Zu Vischers Parodierung kulturhistorischer Romane und Erzählungen siehe Heller, S. 13, Müllner, S. 8 6 , Feilbogen, S. 109 und Fritz Martini, Deutsche Literaturgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart (Stuttgart: Krüner, 1958^), S. 407. 18 Der Erzähler der Pfahldorfnovelle wird hier zum Sprach­ rohr Vischers, der zeit seines Lebens vehement gegen den über­ triebenen Gebrauch von Fremdwärtern angegangen ist (siehe z.B. seinen Aufsatz "Zur Sprachreinigung" in: Kritische Gänge, Bd. 2, S. 525 ff.). Zu Vischers Abneigung Zärtlichkeiten unter Männern gegenüber siehe die folgende Anekdote, die uns Ilse Frapan in ihren Vischer-Erinnerunqen mitteilt (Stuttgart: Göschen, 1889), S. 155: "Aber im Wald," scherzte er, "da war der Auerbach ge­ fährlich; da hat er einmal, als wir dort allein spazieren gingen, ein arges Gekuss mit mir angefangen".

^ "Mein Lebensgang" in: Kritische Gänge, Band 2, Seite 508; Fritz Martini, Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus (Stuttgart: Metzler, 1974-3), s. 437. 186

20 Vischer, Auch Einer, hrsg. Gustav Manz (Berlin: Deutsche Bibliothek, [1919]), S. 497, Anmerkung 12. 21 A.E. weist selbst in einer Tagebucheintragung auf diese Parallele hin (S. 445). 22 Vgl. den Anhang dieser Arbeit. i 2*5 Zu Vischers persönlicher Abneigung Richard Wagner gegenüber siehe Franza Feilbogen, S. 35 f., Harry KUrbs, S. 30 f. und Fritz Schlawe, Friedrich Theodor Vischer (Stuttgart: Metzler, 1959), S. 255: "Auch mit Richard Wagner kam es einmal bei Wesendoncks zum Krach, als dieser gegen Ende eines Diners stark auf die Deutschen zu schimpfen begann und sie niederträchtige Naturen nannte. "Niederträchtig finde ich es nur, soll Vischer empört gerufen haben, wenn ein Deutscher im Ausland seine eigene Nation herabsetzt", nahm seinen Hut und ging in der verlegenen Stille". Der Wagner gegenüber ebenfalls kritisch eingestellte Theodor Fon­ tane berichtet in "Aus den Tagen der Okkupation" von einem zufäl­ ligen Treffen mit Vischer wahrend einer Eisenbahnreise und den ab­ fälligen Bemerkungen des Reisegenossen Uber einen gewissen N.N., mit dem, wie Köthe Scherff-Romain nachgewiesen hat, Wagner gemeint ist: Theodor Fontane, "Aus den Tagen der Okkupation," in Sämtliche Werke (München: Nymphenburger, 1962), Band XVI, S. 164-70; Käthe Scherff-Romain, "N.N. ist nicht Gottfried Kinkel, sondern Richard Wagner," Fontane Blätter, 5 (1982), 27-50. Das dem Appell des Dru­ iden zugrundeliegende Wagner-Zitat lautet folgendermaßen: "Sie haben jetzt gesehen, was wir können; wollen Sie jetzt; - Und wenn Sie wollen, werden wir eine Kunst haben", (anläßlich einer Auf­ führung der Götterdämmerung in Bayreuth am 18. August 1876; zi­ tiert nach Feilbogen, S. 114, Fußnote 3). 2A Raymond Furness, Wagner and Literature (New York: St. Mar- tin's Press, 1982), S. 115: "... it is obvious that Vischer kept a cool and critical eye on 'der Fall Wagner', doubting not only the sincerity of the man but also remaining highly suspicious of the audiences who saw in his work a spiritual panacea". überhaupt war Vischers Freundeskreis, dem u.a. Mörike und Ernst Friedrich Kaufmann angehörten, Wagner gegenüber kritisch eingestellt. Vgl. Gerhart von Graevenitz, "Don Juan oder die Liebe zur Hausmusik. Wagner-Kritik in Eduard Mörikes Erzählung Mozart auf der Reise nach Prag," Neophilologus, 65 (1981), 247: "Mörikes Mozart stammt also aus einer musikalischen Clique, die selbst der Wagnerianer Nietzsche ernst genug nahm, um sie zu verhöhnen".

25 Feilbogen, S. 90.

26 Haverkamp, S. 30. B.

DAS TAGEBUCH.

Gelingt Albert Einhart schon in seinem einzig vollendeten, ab­ geschlossenen Werk, der Pfahldorfgeschichte, die "literarische Exe­ kution" seiner Dämonen (S.433) und die Verarbeitung und Bewältigung der problematischen Wirklichkeit nicht vollständig, so spiegelt sein

Tagebuch erst recht sein tragisches Wesen, seine Zerrissenheit in ein "Ich a" und "Ich b" (S.438), ein "Denktalent" und "Phantasie­ talent", * und sein Leiden an der dissonanten Welt wieder, in der das untere Stockwerk (die Natur) das obere Stockwerk (die "sittliche

Welt") bekämpft (S.320). Das Tagebuch gewährt dem Leser, nachdem o er A.E. "indirekt, verschlüsselt", da hinter der Maske eines Er­ zählers versteckt, kennengelernt hat, nun einen direkten Einblick in die Seele dieser "schiefgewickelten Natur"

Das Tagebuch war nicht nur das passendste GefäB, den Zug zum tieferen Denken, die Gesinnungen, die Weltbe­ trachtung eines ungewöhnlich organisierten Geistes ins Licht zu setzen, sondern auch sein Persönlichstes, seine Stimmungen zu enthüllen; es war der geradeste Weg, sein Schicksal in sein Herz hinein zu verfolgen als in seine letzte Quelle. Ein roter, ein feuerroter Faden sollte sich hindurchziehen: der schwer und tief erlebende Mann selbst.4

187 188

Das Tagebuch ist also für Vischer deshalb das "passendste Ge­ fäß", weil seine Form so offen und amorph ist,^ daß es sowohl Ge- mütsschilderungen als auch Träume, philosophische Reflexionen, Apho­ rismen, literarische Skizzen und vieles mehr in sich aufnehmen kann und somit A.E. in allen Facetten seines Wesens darzustellen vermag.

Gleichzeitig dient das Tagebuch als Indikator für Einharts Unfähig­ keit, sein Leben und die ihn bedrängende Wirklichkeit bändigen oder beherrschen zu können. A.E. deutet selbst dieses Unvermögen an, wenn er nach dem Abschluß der Pfahldorfnovelle schreibt:

Was aber nun tun? Nachdem die Pfahldorfgeschichte fertig ist? Die Reiseerinnerungen niederschreiben? Gar drucken lassen? Pah! Diese Flut vermehren, unter die Schmierer gehen, die nichts leben können, ohne es zu schreiben? Wieder etwas komponieren? einen Roman, Drama? Pah! als ob dazu dein Talent reichte! Und überdies - aufwühlen? aufwühlen? - Könnte es ohne das abgehen? - Wie dann noch den Stoff beherrschen? (S. 450)

Einige Kritiker des Romans haben nicht erkannt, daß die Form­ losigkeit, oder vielmehr offene Form, des Tagebuchs gewollt ist und dazu dient, Einharts innere Zustände so getreu wie möglich wiederzugeben, und man hat diese Form fälschlicherweise Vischers handwerklichen Schwächen angelastet. So behauptet Franza Feilbo­

gen, daß in diesem "künstlerisch ... schwächste[n] Teil" des Auch

Einer "[alles], was dichterisch nicht gestaltet werden konnte, ...

untergebracht [wird]";6 sie sieht also in der Verwendung des fikti­

ven Tagebuchs eine Verlegenheitslösung, ähnlich wie Arno Schmidt,

der in anderem Zusammenhang die Tagebuchform polemisch als das

"Es-sich-leicht-machen" und die "Willkür eines entweder erschöpften 189 oder aber unfähigen Autors" sieht, "der sich instinktiv in einfäl- tiglich-flink hinzuschmirakelnde Primitiv-Formen der Prosa flüch­ tet".7 Trotz Vischers Beteuerung, daB "mit beflissenem Nachdenken alles aufeinander gerichtet [sei]”,und daß er den Wechsel von "allge­ meinen Gedanken" und "seelisch, persönlich leidenschaftliche[m] In- o halt" ganz bedacht vorgenommen habe, behauptet Feilbogen (ebenso wie Ruth Heller), daß keine chronologische Abfolge der Tagebuchno­

tizen vorhanden sei; sie stellt sogar die Bezeichnung 'Tagebuch' in

Frage und schlägt stattdessen vor, diesen Teil des Romans als "Apho- 9 rismen” zu bezeichnen. Wendelin Haverkamp schließt sich dieser

Auffassung an, wenn er schreibt:

... viele Passagen sind überhaupt nicht zeitlich fest­ zumachen, geschweige denn mit einer für ein Tagebuch charakteristischen sukzessiven Struktur der Ereignisse in Einklang zu bringen. Angemessener wäre insgesamt vielleicht der von Auerbach benutzte Begriff "Aphoris­ men" .

Abgesehen davon, daB viele Passagen sehr wohl zeitlich festzu­

machen sind, wie wir noch sehen werden, beruht sowohl Feilbogens als

auch Haverkamps Vorschlag auf einer falschen, da zu engen Auffas­

sung vom Tagebuch als literarischem Genre. Schon zu Vischers Zei­

ten beschränkt sich das Tagebuch nämlich nicht nur auf die Wieder­

gabe seelischer Zustände und innerer Erschütterungen, sondern es

kann auch Reflexionen, Aphorismen, Sentenzen, literaturkritische

Analysen oder literarische Skizzen in sich aufzunehmen. Diese "Viel­

falt des diarischen Aussagestils"11 hat dazu geführt, daß viele Lite­

raturwissenschaftler, die sich sowohl mit fiktiven, literarischen, 190

als auch nichtliterarischen Tagebüchern näher beschäftigt haben,

nach Möglichkeit eine direkte Gattungsbestimmung vermeiden und sich

darauf beschränken, die Vielfalt und den offenen Charakter dieses

literarischen Genres zu betonen. So schreibt Peter Boerner: "Das

Tagebuch an sich ist weder von der Form noch vom Inhalt her zu

greifen, bleibt amorph, besticht andererseits aber durch seine 12 Vielverwendbarkeit".

Einen Ausweg aus der Schwierigkeit der Gattungsbestimmung

weist neuerdings H. Porter Abbott, der "diary fiction" nicht als

Genre sondern als "fiction employing a particular narrative device"

versteht, und der dessen drei wichtigsten Funktionen ("mimetic, tem­ poral and thematic") analysiert: "This allows us to demonstrate the

flexibility of the device and the rieh diversity of ends it has 13 been made to serve". Wir werden uns dieser Kategorien bedienen,

um uns einen Einstieg in Albert Einharts vielschichtiges Tagebuch

zu verschaffen.

Für Abbott besteht die mimetische Funktion von Tagebuchlitera­

tur in der Illusion des Realen, d.h. in der Illusion, daB der Leser

ein wirkliches und nicht ein fiktives Tagebuch vor sich hat und so­

mit Zeuge einer "genuine revelation" der Gedanken und Gefühle des

Tagebuchschreibers wird."^ Spielhagen behauptet in seiner Auch

Einer-Rezension, daß diese Illusion des Realen bei fiktiven Tage­

büchern grundsätzlich nicht möglich sei, und zwar aus folgendem

Grund: /

... an gewisse Dinge rührt man selbst für sich nicht gern, ja so ungern, daB, wenn es in den sogenannten Tagebüchern der Romane dennoch geschieht, man zehn gegen eins wetten kann: es ist unmöglich, daB diese Dinge von den Personen, hätten sie wirklich gelebt, in ihren wirklichen Tagebüchern jemals aufgezeichnet 15 wären, sondern dies nur von dem Dichter geschehen ist...

Spielhagen widerspricht sich jedoch selbst, wenn er einerseits behauptet, das Tagebuch enthalte gewisse Dinge, an die A.E. - wäre er eine reale Person - nicht gerührt hätte, andererseits jedoch la­ mentiert: "... wir sehen, wir hören alles, alles nur so weit und so laut, als es uns A.E. sehen und hören lassen will - der böse A.E.!"16

Es kann ihm nicht entgangen sein, daB diejenigen tragischen Ereig­ nisse in Einharts Leben, an denen er fast zugrundegeht, gerade nicht im Tagebuch dargestellt werden, sondern daB wir von ihnen durch Drit­ te erfahren. So werden die Leichenschändung in Drontheim und A.E.s

Konfrontation mit Goldrun, während der er ihr einen Dolch an die

Stirn schleudert, im Tagebuch nur angedeutet, und erst durch die

Erzählung des Schotten MacCarmon, mit der der Herausgeber die da­ rauf folgende "lange Lücke" im Tagebuch füllt (S. 368) erfährt der ii Leser, was vorgefallen ist. Ähnlich steht es mit A.E.s Unglück an der Wirtstafel in Bürglen und seinem scheinbaren Selbstmordversuch: das Tagebuch weist eine Leerstelle auf, die der Leser selbst füllen muB, indem er auf schon Gelesenes (den Bericht des peripheren Ich-

Erzählers) zurückgreift. Diese Auslassungen von Vorfällen, die Ein­ hart seelisch nicht bewältigen kann, und die er unterdrückt oder ver­ drängt, tragen dazu bei, das Tagebuch psychologisch glaubhaft zu machen und damit die Illusion des Realen zu unterstreichen. 192

Im ersten Beispiel kommt zu der psychologischen Glaubwürdig­ keit ein weiteres Element hinzu, das den Leser von dem fiktiven

Charakter des Tagebuchs ablenken soll: der Hinweis auf die phy­ sische Existenz des Dokuments. Es weist nicht nur eine Lücke

(S. 368-72) sondern auch einen RiB auf (S. 361-63: Goldruns Brief, der Teil des Tagebuchs ist), und mehrere Einträge sind in unsiche­ ren Zügen, da "sichtbar mit der Linken geschrieben", wie uns der

Herausgeber in einer Fußnote mitteilt (S. 375) - ein Resultat von

Einharts Verletzung in der Schlacht von Bau. Auch die Fußnoten des Herausgebers (S. 361, 375, 441, 464) sind ein Teil dieser

Strategie, die Illusion der Authentizität aufrechtzuerhalten, und seine Erklärung, wie er an das private Tagebuch gelangt ist und warum er es veröffentlicht hat, ist eine in Tagebuchromanen 17 häufig benutzte Konvention. Der Herausgeber zitiert Einharts

Testament, in dem dieser ihm seine sämtlichen Papiere vermacht und seinem Ermessen überläßt, "welche Bestimmung er ihnen geben will" (S. 278), mustert zusammen mit dem Leser sowohl den offenen als auch den verschlossenen Teil des Manuskripts ("ein schwarz ein­ gesiegeltes Paket" S. 307) und legt A.E.s Haushälterin das gesamte

Tagebuch vor (S. 307), bevor er Teile daraus veröffentlicht, um

Einhart "nach seinem Tode in richtigem Lichte" erscheinen zu las­ sen (S. 279). Somit ist plausibel erklärt, "why so private a do- 18 cument should have wound up in the hands of the public", und auch die Form von A.E.s Tagebuch, die Kritikern wie Spielhagen und Auerbach nicht authentisch genug erschien, wird gerechtfertigt. 193

Der Herausgeber bekennt nämlich, "sehr vieles" an Aufzeichnungen

A.E.s Uber seine Amtstätigkeit und Reisen gestrichen zu haben, da es zu "trocken" und "kleinlich" sei, und dadurch dem Tagebuch et­ was von seinem spezifischen Charakter genommen zu haben:

... die Blätter könnten mit weit mehr Recht ein Tage­ buch genannt werden, wenn ich allen Stoff aufgenommen hätte, was doch gewiß nicht zweckmäßig gewesen wäre. Ein Teil desselben besteht aus einer Masse ganz trockener Notizen. (S. 305)

Selbst wenn man diese Eingriffe oder, um einen treffenden

Ausdruck Robert Fothergills zu verwenden, "Amputationen" durch den 19 Herausgeber in Rechnung stellt, - die übrigens bei der Herausga­ be authentischer Tagebücher eine häufige Praxis darstellen,und die in unserem Fall als zusätzliche Technik der Beglaubigung betrachtet werden können -, enthält das vorliegende Tagebuch A.E.s immer noch genügend tagebuchähnliche Elemente, um die Illusion der Authentizi­ tät glaubhaft zu machen. So weist es eine "gewisse[...] Regelmäßig­ keit des Berichtens und ... deutlich erkennbare[...] Trennung der 20 einzelnen Niederschriften voneinander" auf, und obgleich die Ein­ träge nicht datiert sind, - was ohnehin nicht für jedes Tagebuch 21 kennzeichnend ist -, ist eine chronologische Abfolge feststellbar.

Wir finden eine große Anzahl von zeitlichen Angaben, von denen eini­ ge allgemein, andere jedoch recht präzise sind. Zur ersten Gruppe zählen "neulich" (S. 319, 326, 352, 413, 419, 424, 427, 429 und 446),

"bald" (S. 374), "tagelang" (S. 353), "seit/auf einige/in jenen/in den wenigen Wochen” (S. 352, 391, 393 und 375) und "einst" (S. 403), 194

während der zweiten Gruppe solche Angaben wie "gestern" (S. 321,

348, 364, 373, 386 und 465), "gestern/diese Nacht" (S. 353 und

365), "am ändern Tage" (S. 354), "heute" (S. 350, 363, 402 und 407),

"heute abend/nacht" (S. 399, 349 und 477), "jetzt" (S. 399, 402,

405, 409 und 476), "morgen" (S. 402 und 473) und "um Mitternacht"

(S. 443) sowie "im August" (S. 358) angehören. Zudem dient die

Erwähnung politischer Ereignisse wie der Schlacht bei Bau (9. April

1848; S. 374), des Waffenstillstands von Malmö (18. September 1848;

S. 376), der Schlacht bei Sadowa/Königgrätz (3. Juli 1866; S. 452) und der Schlacht bei Sedan (2. September 1870; S. 496) dazu, A.E.s

Tagebuch einen zeitlichen Rahmen zu verleihen. Während Einharts

Reisen übernehmen die Ortsangaben die Aufgabe, im Leser das Bewußt­ sein einer Abfolge wachzuhalten.

Ein weiteres Merkmal, das den Tagebuchcharakter von A.E.s

Aufzeichnungen unterstreicht, ist der fragmentarisch-skizzenhafte, da an das Erlebnis des Augenblicks gebundene Stil, der dem authen­ tischer Tagebücher nachempfunden ist:

Sprache und Stil des Tagebuchs berühren sich innig mit der eigentümlichen Gestalt der Gattung, sie sind ebenso brüchig wie diese: fragmentarisch ... Und wie inner­ halb der formalen Struktur dieses Fragmentarische als Ausdruck der Dynamik des Lebens überhaupt gilt, so spiegelt die unvollendete Sprache denselben Vorgang. Als Stilmittel steht die eigentümlich gebrochene und abgehackte Sprache des Tagebuchs im Dienste der Wirk­ lichkeit.^2

Besonders die Tagebucheintragungen, in denen von Einharts Ge­ fühlen und seelischen Erschütterungen die Rede ist, sind von einem 195 expressiven Stil gekennzeichnet, der aus einer raschen Abfolge von

Ausrufen, Fragen und Satzfragmenten besteht. Ein typisches Beispiel dieses Stils finden wir in der folgenden Tagebuchnotiz, in der Ein­ hart, der soeben von Goldruns Affaire mit Dyring erfahren hat, seiner Wut Ausdruck verleiht und auf Rache sinnt:

Sie niederstoBen? - Ein Weib! - DaB ich ihn erreichen könnte - das Messer bis ans Heft in die Brust und zwölf­ mal darin umdrehen! - Einen Dolch muß ich mir doch an­ schaff en - einen schönen, spitzen, langen, recht blank - nur öfters ansehen und denken - . (S. 367)

Der fragmentarisch-skizzenhafte Stil ist jedoch nicht nur auf die Wiedergabe seelischer Vorgänge beschrankt, sondern kann sogar in Einharts philosophischen Überlegungen auftreten. Diese Reflexi­ onen, die zunächst auf eine logische Art und Weise entwickelt wer­ den,werden nämlich bald vonanderen Gedanken durchkreuzt, geraten in eine Sackgasse und können nicht zu Ende geführt werden: "Was er sagt, bleibt fragmentarisch und soll dies auch bleiben: an dem Tor­ so der Gedankenwelt A.E.s läßt sich kein System ergänzen; mit Sys­ tem wird System vermieden".23 Ein besonders deutliches Beispiel für den fragmentarischen Charakter seiner philosophischen Reflexionen ist die folgende Tagebucheintragung, die selbst Fragment bleibt:

Materialisten und Spiritualisten: sollte man die einen nehmen und die anderen damit herumschlagen. Die Materie ist und ist nicht; sie wird stets auf neue gesetzt, um in immer neuen Formen in Leben, Empfindung, Geist auf­ gehoben zu werden. Es gibt Materie, und es gibt keine. [...] Die Materie ist nur insofern, als - (S. 422) 196

Wie wir sehen konnten, hat Vischer große Sorgfalt darauf ver­ wandt, Einharts Tagebuch so authentisch wie möglich zu gestalten und ihm die Illusion des Realen zu geben. Diese mimetische Funkti­ on des Tagebuchs steht in engem Zusammenhang mit der zeitlichen

Funktion, die Porter Abbott als "the effect of immediacy" charak- 24 terisiert. Dieser Effekt der Unmittelbarkeit ist zweigestalt: erstens bezieht er sich auf "the illusion of being there, of no 25 gap in time between the event and the rendering of it", die das

Tagebuch von der Autobiographie unterscheidet: "Das Tagebuch halt fest, was gegenwärtig geschieht; die Selbstdarstellung wiederholt 26 längst Geschehenes". Die Illusion, daß wir als Leser Zeugen einer sich gegenwärtig ereignenden Begebenheit werden, tritt vor allem dann ein, wenn der Tagebuchschreiber das gerade Erlebte nacherlebt, wie in der folgenden Eintragung, die die erste Konfrontation zwi­ schen Einhart und Goldrun wiedergibt:

Wie ein schöner gefleckter Panther springt sie gegen mich auf, stößt etwas heraus vom Rechte des freien Weibs - ich packe sie an den Schultern - sie tut einen schüttelnden Ruck mit solcher Brunhildenkraft, daß ich zur Seite schwankend den Kopf an einen Schrank schlage, jetzt muß ich mich erwehren, schleudre sie zu Boden und gebe der Fallenden einen Schlag - sie weint - es reut mich - ein Weib! - ich werde wieder weich, weil ich sie weich sehe - hebe sie auf - die Goldlocken umwallen auf­ gelöst ihr Haupt und Marmorschultern, ich muß selbst wei­ nen - ach, es ist ja so schade um sie! - bedecke sie mit Küssen, schäme mich vor mir und renne hinaus ... (S.353 f.)

Einige Male besteht eine Gleichzeitigkeit von Geschehen und

Tagebucheintrag, und wir werden Zeugen eines "writing to the mo- ment", um Richardsons berühmten Ausdruck zu verwenden; so zum 197

Beispiel, wenn A.E. in seinem Zimmer sitzt und die Laute beschreibt, die ihm vom Hof her ans Ohr dringen:

Träger, schwerfällig trauriger Nachmittag. Unten im Hofe wird Holz gemacht. Ich muß immer dem Sägen zu­ hören. Zuerst ein scharfkratziger Ton, dann tiefer, breiter, dann kommen hohe Klagetöne des Scheits, als riefe es: jetzt kann ich nicht mehr lange widerstehen! Es folgen noch einige kurze, gerupfte, schnell in der Skala sinkende, mürbe Laute, und man hört die Klötze fallen. (S. 469)

Diese Unmittelbarkeit ist jedoch rar, und wir finden meist, wie im ersten Beispiel, eine "proximate immediacy", das heißt:

"the writer fresh from the event, record[s] it with greater passion

0 7 and less perspective than could be afforded in time". Selbst wenn wir es mit Tagebucheintragungen zu tun haben, in denen der

Diarist mit einer gewissen Distanz auf das Geschehen zuröckblickt - dieses Sich-Distanzieren findet häufig bei A.E. als Strategie der

Wirklichkeitsbewältigung statt, wobei die philosophischen Reflexi­ onen als extremste Form einer solchen Distanzierung angesehen wer­ den können - behält das Prinzip der Unmittelbarkeit seine Gültig­ keit, allerdings in dem Sinn, daB es sich nun um die Unmittelbar­ keit des Schreibvorgangs als solchem handelt, die Abbott als einen der größten Vorteile von Tagebuchliteratur betrachtet:

Thus, the nonretrospective procedure, with its poten­ tial for heightening our awareness of the process of writing and with the possibilities it affords of allowing an alteration of the narrator's point of view over the course of narration, can convert the narration itself into a kind of action ... we are made simultaneously aware of two events, the event recorded and the event of recording.28 Die Gegenwart der Erzählung, d.h. des Erzählens, wird zu einer "wahren Gegenwart", und die Illusion entsteht, "that during the course of the narration itself, the future has not yet happened". 9 9

Diese Illusion kann zwei entgegengesetzte Wirkungen haben: sie kann entweder der Spannungserzeugung dienen, oder sie kann dem Tagebuch eine statische Qualität verleihen, indem sie das Interesse des Lesers von der Handlung weg und auf die inneren Vorgänge des Diaristen hin lenkt: "... the interest shifts from plot to character and, in the process, the diary's horizontal advantages give way to its vertical ones ... The form, in short, becomes more static; the novel, less of a story, more of a portrait".30 Der statische Charakter läßt sich in Einharts Tagebuch vor allem in denjenigen Partien beobach­ ten, die seine philosophischen Betrachtungen und Reflexionen ent­ halten. Jedoch auch die Einträge, die "die Fabel voran[treiben]",31 dienen nicht in erster Linie der Spannungserzeugung, sondern sind 39 dazu da, "to compound both the poignance and the quality of doom".

Da wir Einharts Lebensgeschichte schon größtenteils durch die Be­ richte des Ich-Erzählers, Frau Hedwigs und anderer kennen und über seinen Tod Bescheid wissen, bleibt uns nur übrig, hilflos zuzusehen, wie A.E. unaufhaltsam dem Untergang zutreibt.

Hat uns die Betrachtung der mimetischen und zeitlichen Funkti­ onen dabei geholfen, wichtige Aspekte der äußeren Form von Einharts

Tagebuch zu erschließen, so führt uns die Besprechung der thematischen

Funktionen an den eigentlichen Kern der Aufzeichnungen heran. Die erste thematische Funktion von Tagebuchliteratur ist, wie Porter 199

Abbott zeigt, die Darstellung der Isolation des diarischen Ich,

die den Tagebuchroman grundsätzlich vom Briefroman unterscheidet:

One of the great expressive advantages of the diary lies in its confinement of the reader to the internal worid of a single ego. The diarist is preeminently alone. It is this confinement, or the sense of it, which is immediately reduced with the intrusion of a participant narrataire as in correspondence fiction. In diary fiction, one is encouraged by the form itself to let go of the perspective of the other.3^

Eine der am häufigsten verwendeten Konventionen, um die Iso­

lation des Diaristen zu veranschaulichen, ist der Hinweis auf den

Ort, an dem er schreibt: "... the nature of the room and where it 34 is can be employed to compound or qualify the writer's isolation".

Zwar versetzt Vischer Einhart nicht auf eine entlegene Insel, wie

Defoe seinen Robinson Crusoe, oder in eine Gefängniszelle, wie

Frisch seinen Stiller, doch vermittelt er dem Leser durch den Ich-

Erzähler ein genaues Bild von A.E.s Studierzimmer, dem asketischen,

"stillen Raum" (S. 284), in dem Einhart mit seinen Büchern Zwie­

sprache hält und dem Tagebuch seine Gedanken und Gefühle anvertraut:

Wir stiegen Uber eine Treppe und betraten einen prunklosen Raum mit Schreibtisch, Bücherschränken, wenigen Möbeln für die Bequemlichkeit und einigen Gemälden und Kupferstichen an den Wänden. (S. 278)

Selbst während Einharts Reisen treffen wir ihn häufig allein

in einem Zimmer an. So finden wir ihn zum Beispiel in Bergen an

einem Schreibtisch sitzend, im Begriff, ein Buch Schellings zu lesen: 2 0 0

Einmal doch wieder Schellings Abhandlung Uber die Frei­ heit vornehmen und gründlich lesen, vielleicht, wenn ich Gedanken darüber zusammenbringe, einen Aufsatz schreiben. Richtig bei einem Antiquar gefunden, da liegt's vor mir: "Philosophische Untersuchungen Uber das Wesen der mensch­ lichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstän­ de". Landshut 1809. Lange her. Noch unaufgeschnitten; werden wenig Philosophen in Bergen sein. (S. 351)35

Das Thema der Einsamkeit und Isolation wird im Auch Einer nicht nur durch die monologische Form des Tagebuchs und den Hinweis auf das Zimmer, in dem der Diarist Zwiesprache mit seinem Ich hält, unterstrichen, sondern es wird auch häufig von A.E. in seinen Noti­ zen aufgegriffen. So erwähnt er mehrmals, daß er sich nach der täg­ lichen Arbeit als Vogt in seinen Büchern "vergräbt" (S. 328) und nur ungern in Gesellschaft geht, weil er die meisten seiner Zeitgenos­ sen "gemein" findet: "Aber das Gemeine! DaB ich durchaus mir nicht abtun kann, alle Menschen für nobel zu nehmen und mich zu wundern, wenn ich das Gegenteil finde!" (S. 333). Die einzigen Menschen, bei denen er sich wöhlfühlt, sind die Naiven und Naturverbundenen, die sich im Gegensatz zu den "vernunftlederne[n] Aufklärungschristen"

(S. 321) noch mit sich selbst und der Welt in Einklang befinden, wie zum Beispiel die "gesunde[n] Gebirgsbauern" (S. 333). Weit besser als mit Menschen kommt Einhart mit Tieren aus, mit denen er sich um­ gibt, und ohne die es für ihn "doch nix auf der Welt [wäre]" (S. 319).

So notiert er in seinem Tagebuch: "Eine der liebenswürdigsten Etappen auf Gottes Weltgang vom Guten zum Bessern ist die Schöpfung des Hundes"

(S. 326). Der Versuch Einharts, seine Isolation zu durchbrechen, indem er sich während einer Reise durch Norwegen der attraktiven Goldrun und 201 ihren Begleitern, dem Philosophen Dyring und dem Dichter Arnheim anschlieBt, ist zum Scheitern verurteilt, und der Verlust des Selbst durch A.E.s Verstrickung mit der femme fatale Goldrun stürzt ihn fast ins Verderben:

Und diese Einsicht in den Sophismus der Leidenschaft nutzt mir auch nichts, rein nichts, hilft mir nicht, meine Seele wieder holen, die mir abhanden gekommen, die nicht mehr mir gehört. Mein Zentrum ist außer mir, heißt Goldrun, lauft um, wo es - wo sie mag, mißhandelt mich, entehrt mich. Ich bin nicht mehr Ich. (S. 357)36

Nachdem "ein Koboldstreich der Dämonen" (S. 375) Einharts Ver­ such vereitelt, sein Gleichgewicht durch den Dienst am Vaterland wiederzugewinnen und im Kampf gegen die Preußen Heilung zu finden, zu dem ihn der rettende 'Engel' Cordelia aufgefordert hat (S. 373:

"Einhart, ... Sie sollen leben, es gibt zu tun!"), meidet er in noch stärkerem Maße als zuvor den Umgang mit den Menschen, mit denen er

"kein Gespräch mehr führen kann", und er zieht sich immer mehr in sich zurück:

Die Zeit wird stiller. Kann wieder mehr lesen. Muß auch, denn in der Welt steht's so, daß ich gar nicht hinsehen mag. Kehre zurück in dich! Ich hoffe, wieder ganz zu mir zu kommen. Nur von Zeit zu Zeit ein Schwindel in der Seele, da ist mir, als fiele ich in den Tindsee. Dann kann ich nicht fortarbeiten. Ich muß noch ein Ablenkmit- tel haben, ältere Liebe, Tierwelt. (S. 376)

Außer den Tieren helfen ihm seine Bücher und die intensive Be­ schäftigung mit der bildenden Kunst Uber den "Ekel an den Menschen, an allem" (S. 379) sowie über die schmerzhafte Einsicht hinweg, daß es ihm nicht vergönnt ist, sich wie ein "Philistermann ... in seine 202 vier Wände warm einzuspinnen" (S. 390). Während der ersten Italien­ reise, die Einhart 1860 unternimmt, zeigt sich sein zunehmender

Rückzug aus der Wirklichkeit daran, daB er bewußt von der Beschäfti­ gung mit politischen Fragen absieht (S. 398: "Doch Vorsatz halten!

Keine Politik!'1) und sich vielmehr durch die Gemälde der Renaissance, die historischen Gebäude und die Landschaft in die Vergangenheit zurückversetzen läßt, in der das Leben noch erträglicher war:

Dort im Garten lehrten die Griechen. Dann all die Dichter und Künstler! Die Geisterluft, die von hier aus wehte, ist weicher noch als die Lüfte dieser Mond­ nacht. (S. 399)37

Zudem künnen wir während dieser Reise eine auffallend häufige und intensive Beschäftigung Einharts mit dem Tod beobachten. So be­ merkt er anläßlich des Besuchs einer Grabkammer in Chiusi ironisch:

"Tot sein ist doch auch gemütlich" (S. 402), bewundert an dem Hoch­ gesang des Franziskus den Preis des Todes (S. 405: "er ist ihm weib­ lich (la morte), und er nennt ihn unsere Schwester") und sinnt bei der Betrachtung des Erostorsos über die Verwandtschaft von Liebe und Tod nach:

Ist Eros dem Tode verwandt? 0 ja, er ist es, und nicht bloß, weil ein Ich sterben muß, um im anderen aufzugehen. Liebe ist tödlich schön. Ihr innigster Wunsch kann werden: in einem Moment sich geliebt wissen und sterben dürfen. (S. 407)

In engem Zusammenhang mit dem fin-de-siecle Motiv des Liebes-

tods steht die Zeichnung Cordelias als kränkelnde femme fragile, 38 die sich mit dem Bild Cordelias als Madonna zu mischen beginnt. 203

So sieht A.E. "im Halbdunkel" der Grabkammer Cordelia als "liebe

Geistgestalt" schweben: "Warum so bleich, da sie ferne noch atmend im frischen Leben wandelt?" (S. 402). Seine Vision wird jedoch bald Realität, wenn er erfahrt, "daß Cordelia besorglich kränkle; das Klima Schottlands und Norwegens scheine dem südlichen Blute nicht zuträglich" (S. 405). A.E.s Reaktion auf diese Nachricht verbindet nicht nur das Madonnenmotiv mit dem der Todessehnsucht, sondern deutet auch seinen Rückzug aus der realen Welt in eine Welt der Kunst (und später des Traumes) an:

Wirst du früh hingehen, hinwegschweben in goldgesäumte Wolken, aus denen du mir kamst? Und ich - dir nachsehen, wie die Apostel auf dem alten Bilde dort im Kloster, ge­ bräunt von Erdensonne, verlassen, arm, hilflos emporschau- en, da die Erde nun öde, leer, grau, verwaist? (S. 405)

Die Todessehnsucht, die ihn auch nach der Rückkehr in seinen neuen Wirkungskreis nicht ganz losläBt, verstärkt sich nach den

Schicksalsschlägen, die Einhart nun ereilen: der Tod seines Retters und Freundes Erik, A.E.s klägliches Scheitern als Abgeordneter, der

Verlust des Amtes und schließlich das Mißgeschick im Wirtshaus zu 39 Bürglen, das ihm in Cordelias Gegenwart zustöBt. Die stille La­ gunenstadt Venedig, in der "großes Leben den Todesschlaf schläft"

(S. 443), und die seit Platen und Byron als Inbegriff des Untergangs und Zerfalls gilt, wird dem Lebensmüden, der sich selbst als "still gewordene alte Stadt" sieht (S. 443), zur Stätte der Zuflucht.^

Dort vermag er seinen Gedanken Uber Tod und Sterben ungestört nach­ zuhängen: 204

Der Sarg auf der Gondel nach S. Christoforo schwimmend - wie still, lautlos - dort unter Zypressen am Meere - wie gut - dort ruht auch Leopold Robert - unsere Schatten würden sich leis als Verwandte grüßen - (S. 443 f.) 41

Stehe oft und gern nachts auf einer der kleinen Brücken, sehe hinab auf den dunkeln Kanal, da und dort von Licht­ sein überblitzt. Wenn dann eine Gondel durchfährt, so ganz still, nur selten der Ruf: 5ta li! sonderbar, dann ist mir oft, als liege ich, der da oben zusieht, zugleich tot in der Gondel, und der Tote freue sich zugleich der stillen Nachtfahrt. (S. 446)

Diese Zweispaltung in einen lebenden und einen toten A.E., die wir erstmals während des Venedig-Aufenthalts beobachten künnen, wird für Einhart zu einer 'fixen Idee1, und sie beginnt, seine Träume zu beherrschen. So erhält sie eine absurde und groteske Färbung, wenn sich Einhart im Traum dem "Frackelzug" [sic] anläßlich seines eige­ nen Leichenbegängnisses anschlieBt, indem er sich "den FrackschoB an[zündet] und ... [sich] selbst sehr andächtig in der Klage mit-

[geht]" (S. 457). Während der dritten Italienreise (1869/70) deutet sich in einem weiteren Traum die Aufhebung der Dissonanz seines We­ sens an, an der er zeit seines Lebens so gelitten hat:

Gegenwärtige Vergangenheit, vergangene Gegenwart, - aufgehobene Zeit - Traum, wunderbar. Komme mir selbst vor, als sei ich schon lange gestorben und sehe dort aus einem Denkmal der GräberstraBe mir zu, wie ich nun umgehe, schaue, staune. Oder als sei ich gerade vor einer Stunde gestorben und der Tod habe mir noch auf einen Tag Ferien gegeben, da spazierenzugehen, als alter Pompejaner zu schlendern. Wir haben auch in Wahrheit al­ le in allen entschwundenen Menschengeschlechtern schon ge­ lebt und werden leben mit den künftigen. Doch möchte ich herausbringen können, wie mir zumute gewesen, als ich noch ein antiker Mensch war, Mensch aus einem GuB, ohne RiB mittendurch, ohne mehr Augen, als nötig. (S. 474) 205

Die endgültige und vollständige Befreiung Einharts, der sich mittlerweile dermaßen von der Realität gelöst hat, daB ihm das Le­

ben nur noch wie ein "Schweben", wie "ein Vergangenes, eine alte

Sage" vorkommt (S. 477, 476), findet in einem langen Traum gegen

Ende des Tagebuchs statt, in dem er sich zum ersten Mal vollkommen

von der dämonischen Goldrun löst, und in dem er Cordelias Tod voraus­

sieht, die ihm als Madonna Absolution für die Schuld erteilt, die er auf sich geladen hat: "... das kühle Lichtblau hat alles, alles

abgewaschen" (S. 490). Nach dieser Befreiung A.E.s durch den Traum

ist für ihn das "Tal[...] der Schrecken" (S. 490) nicht mehr von

Bedeutung, er ist der Welt gestorben und erwartet gelassen, ja er­

sehnt den Tod seines Körpers:

Aber da bin ich noch und was nun tun? Der aufzuckende Gedanke, ich müsse nun auf und fort, hinwärts, dorthin - nein! Mein Traum und die Fragen, die Zwecke der Wirk­ lichkeit: zwischen ihnen ist kein Verhältnis, keine Gleichung. Auch den Gedanken, mein Gesicht könne eine Ahnung gewesen sein, halte ich nieder. Ich mag mich mit keinerlei Fragen einlassen. Mir ist alles voll­ endet. Ich bin. Ich habe das Gefühl, zu sein. Mit ihr, in ihr. Tief in der blau schimmernden Grotte. - Die Dinge am Tageslicht sind mir nun pure Gegenstände, nichts mehr mit mir verwachsen. (S. 491)

Die Wirklichkeit ist nicht mehr von Interesse, da sie durch

den Traum verdrängt worden ist, und Einharts Entschluß, seinem

Vaterland als Soldat zu dienen, den er an Cordelias Totenbett

faßt, und der durch die erneute Tücke des Objekts vereitelt wird,

wird im Gegensatz zu seiner ersten Bewährung und Läuterung im

Kampf gegen die Preußen durch einen starken Todeswunsch motiviert,

wie das folgende Gedicht A.E.s deutlich zeigt: 206

Der Erdenstoff verzehrt sich sacht und mild, Bald ist's vorbei und du bist ganz nur Bild! Du schwebst hinweg, schon strahlen wie von ferne In fremdem Glanz der Augen milde Sterne. (S. 495)

Die Tatsache, daß im Tagebuch von nun an nur noch die "Tage der

Schlachten jenes Sommers" eingetragen sind (S. 496) und sich keine

Notizen mehr finden, die mit Einhart und seinem Leben zu tun haben, bedeutet nicht, daB die existentielle Krise, in der sich das diari- sche Ich befunden hat, vollkommen gelöst und aufgehoben ist, und daB

v AO sich der Diarist nun im Einklang mit sich und der Welt befindet, sondern ist vielmehr ein Zeichen dafür, daB er sich aus der realen

Welt völlig zurückgezogen hat, da er nicht mit ihr fertigwerden konnte: er mag sich einfach "mit keinerlei Fragen [mehr] einlassen", ihn "kümmern keine Neuigkeiten mehr", und sein Leben wird "Vergangen­ heit, es ist müdes, weiches Verdämmern" (S. 494). Die Daten der

Schlachten sind somit keineswegs der Indikator für A.E.s Interesse an politischen Ereignissen, sondern nicht viel mehr als das Markieren der Zeit bis zu dem Augenblick, an dem der Körper dem Geist, der der

Welt schon abgestorben ist, nachfolgt. Indem Einhart sein Tagebuch nicht weiterführt, gibt er den Dialog mit seinem Ich und den Versuch auf, "sich in einer labyrinthischen Welt zurechtzufinden und einen

Ausgang zu suchen in einer verschlossenen Welt".43

Die Funktion des Tagebuchs als Spiegel des Diaristen, als

Mittel der "Selbstrechtfertigung und -Verteidigung im Kampf mit der

Umwelt",44 die in engem Zusammenhang mit der Thematik der Einsamkeit und Isolation steht, wird in Einharts Aufzeichnungen vor allem an 207 seinen Reflexionen über das Wesen der Welt und des Menschen deut­ lich, die in einem von Vischer sorgfältig geplanten Rhythmus mit denjenigen Eintragungen abwechseln, die die Handlung vorantreiben:

Die objektiven Gedanken sind ... Ruhepunkte, mit Über­ legung an die passenden Stellen verteilt. Man soll sehen, wie der Mann sich sammelt, dann wieder aufge­ reizt, aufgeschreckt, wie er ans Ufer strebend wieder von der Woge hinausgenommen wird. 45

Wie schon angedeutet, sind auch diese "Ruhepunkte" von der Zer­ rissenheit Einharts gekennzeichnet, und sie spiegeln zudem die Wi­ dersprüchlichkeit der Welt wieder, die er mit der Hilfe logischer

Operationen in ein System zu zwingen bemüht ist, die sich jedoch nur selten dem Konzept These-Antithese-Synthese anbequemt. Ein

Beispiel für die Unvereinbarkeit von logischem Schluß und Lebens­ wirklichkeit findet sich in Einharts Reflexionen über das Verhält­ nis von Leben und Tod:

Wen der Gedanke unglücklich macht, nach dem Tode nicht fortzuleben, der müßte eigentlich an die logische Kon­ sequenz erinnert werden. Es ist doch niemand unglück­ lich darüber, daß er einmal erst angefangen hat, zu leben, daß er vor seiner Geburt nicht lebte; ebenso­ wenig sollte er darüber unglücklich sein, daß er ein­ mal aufhären wird, zu leben. Freilich, da ist ein großer Unterschied: in der Zwischenzeit hat er sich das Leben angewöhnt, und das schmeckt eben ungeheuer nach mehr, mehr! Wohl, aber dennoch steht jene Logik fest, unwiderlegbar, mathematisch exakt. (S. 415)

Trotz der Einsicht, daß alle "Wahrheit ... paradox [ist]"

(S. 423), ringt Einhart lange und zäh mit dem Versuch, sie den­ noch zu bewältigen, und er betont, daß "ein denkender Mann mit 208

Grund, wenn auch ohne ganzen Erfolg, sich forschend abmüh[en] [muß]"

(S. 389). Einen vorläufigen Ausweg aus dem Dilemma bietet ihm der

Aphorismus oder die Sentenz, die Widersprüchliches in sich aufzu­ nehmen vermögen, wie "Seit ich nichts mehr glaube, bin ich erst re­ ligiös geworden" (S. 326), "Das Universum ganz begreifen, hieße die ganze Einheit im ganzen Widerspruch begreifen" (S. 330) oder "Die wahre Freiheit ist die Ordnung" (S. 33A). Allmählich führt jedoch die Erkenntnis, daß das Leben ein "fürchterliches Schraubenwerk" ist,

"das uns zwischen Fragen einpreßt bis zum Ersticken" (S. A39), und daß das Reale "aus zu vielen Fäden besteht, um direkt logisch ver­ messen zu werden" (S. A51) dazu, daß Einhart sich wünscht, daß er aus seinem Bewußtsein herauskönnte (S. AA1). Besonders das Nach­ denken über das eigene Ich treibt ihn schier zur Verzweiflung:

Wenn ich so nachts im Bett vor dem Einschlafen über das Ich nachdenke, fühle ich immer gar gut, wie man darüber wahnsinnig werden kann. Doch nicht eigentlich, daß Ich ist, ist so seltsam, daß es verrückt machen könnte, da­ rüber nachzudenken. Die Natur mußte auf der Spitze ihrer Bildungen den Sprung Uber sich hinaus machen, daß sie We­ sen schuf, in denen sie sich selbst erfaßt, in denen also der Zirkel besteht, daß Erfassender und Erfaßter eines sind. Aber dieser Ich! DaB es da einen gibt, der A.E. heißt, der infolge Geburt von diesen Eltern, infolge Vererbung aus un­ endlicher Ahnenreihe, auf Grund unzählbarer Umstände so und so beschaffen ist, aussieht usw. - was ist es denn nun mit diesem? Wer ist er? Was tut er da? 0 daran kann man gar nicht hin, das ist rein unfindbar, rein nicht zu heben, zu erheben! Warum denn? Nun, weil er eigentlich irrationell, nun, weil es eigentlich nichts damit ist; dieser Kerl, die­ ser Einzeltropf ist undenkbar, daher ist es nichts Rechtes, ist es nicht geheuer mit ihm, ist er nur ein Schein und daher muß er auch wieder fort. - Wieder auch hier das un­ geheure Rätsel der Diesheit! (S. 38A f.) 209

Einhart lähmt dieses endlose Zappeln im "Netz messerspitzer

Fragen" (S. 452) und "im Hexenkreise der Abwägung" (S. 439), er fühlt sich wie Buridans Esel, der "zwischen Für und Wider" einge­ klemmt ist (S. 440), denn es gibt für ihn keinen Ausweg aus der

"verzweifelten Amphibolie" des Daseins (S. 482), und "alle Be­ griffe führen ja eben ins Ratlose" (S. 484). Er zieht sich da­ her Schritt für Schritt aus der realen Welt zurück und spinnt sich in eine imaginäre Welt ein - der Spiegel des Tagebuchs, in der er bisher sein Ich betrachtet und analysiert hat, hilft ihm nun zunehmend dabei, sein Gesicht hinter einer Maske zu verber­ gen, auch wenn ihm dies nicht bewußt wird.^ Zu guter Letzt be­ freit Einhart sich ganz von seiner "alte[n] Zwecknatur" (S, 477) und wird das "GespenstC...] des Ichs" los (S. 384), indem er sein

Tagebuch aufgibt. Er legt den Spiegel beiseite, oder vielmehr, er tritt durch ihn hindurch in eine andere, bessere Welt. ANMERKUNGEN

1 Fr. Th. Vischer, "Mein Lebensgang," in: ders., Kritische Gänge, Band 2 (Leipzig:Verlag der Weißen Bücher,1914), S.519. 2 Wendelin Haverkamp, Aspekte der Modernität. Untersuchungen zur Geschichte des "Auch Einer" von Friedrich Theodor Vischer (Aachen:Cobra, 1981), S.25.

5 Vischer, "Mein Lebensgang", S.510.

4 Ebd., S.528.

5 Peter Boerner, Tagebuch (Stuttgart:Metzler, 1969), S.34. Dieser in der Sammlung^Metzler veröffentlichte Band vermittelt einen ausgezeichneten Überblick Uber Geschichte und Merkmale des Tagebuchs. Leider bleiben Tagebucheinlagen in Romanen außerhalb des behandelten Themenkreises.

^ Franza Feilbogen, "Nachwort," in: Fr.Th Vischer, Auch Einer (Leipzig: Insel, [1919]), S.587.

7 Arno Schmidt, "Eines Hähers: 'Tul' und 1014 fallend," in: Uwe Schultz, hrsg., Das Tagebuch und der moderne Autor (München: Hanser, 1965), S. 116 und 199. Vom "echten Tagebuch" sagt Schmidt: "... der Verfasser, der sich.als mögliches Fachwerk für sein Buch das TB wählte, kapitulierte damit vor dem Form-Problem. Das TB ist das Alibi der Wirrköpfe, ist einer der Abörter der Literatur!" (S.116).

8 Vischer, "Mein Lebensgang", S.529.

^ Franza Feilbogen, Fr.Th. Vischers "Auch Einer". Eine Studie (Zürich: Orell FUBli, 19161, S.153 und Ruth Heller, "Auch Einer: The Epitome of F.Th. Vischer's Philosophy of Life," German Life and Leiters VIII (1954/55), S.14.

10 Haverkamp, S.19.

210 211

Manfred Jurgensen, Das fiktionale Ich. Untersuchungen zum Tagebuch (Bern: Francke, 1979), S. 43. Vgl. auch Wilhelm Grenzmann, "Das Tagebuch als literarische Form," Wirkendes Wort, 9 (1959), 87 f. 19 Peter Boerner, S. 34. Vgl. auch Juliet Willman Kincaid, "The Novel As Journal: A Generic Study," Diss. Ohio State Univer- sity 1977, S. 17: "It seems to me, then, that the journal form is basically and inherently eclectic, even elastic; it is permissible to use many different modes of expression in it"; Horst Steinmetz, Max Frisch: Tagebuch, Drama, Roman (Göttingen: Vandenhoeck & Rup­ recht, 1973), S. 12: "Die lange Skala differierender Formen des Tagebuchs ist heute kaum noch zu überblicken"; Herbert Kraft, "Neue Prosa von Kafka. Mit einer Theorie der Textsorte 'Tagebuch'," Seminar,XIX (1983), 243: "Die Textgrenze ist bei der Textsorte 'Tagebuch' tendenziell offen,„ohne daß sie aufgehoben wäre. Dies Dialektische von Setzung und Überschreitung der Grenze ist die unverwechselbare Form, Identität der Textsorte 'Tagebuch'".

— H. Porter Abbott, "Diary Fiction," Orbis Litterarum, 37 (1982), 12. Zum Tagebuchroman siehe auch Gerald Prince, "The Diary Novel: Notes for the Definition of a Sub-Genre," Neophilo- logus, 59 (1975), 477-81. Diese Illusion des Realen erlaubt uns, Kennzeichen des authentischen Tagebuchs auch auf fiktive Tage­ bücher anzuwenden.

14 Abbott, S. 13 und 15. ^ Friedrich Spielhagen, "Ein 'humoristischer' Roman. Fr.Theo­ dor Vischers Auch Einer," in Beiträge zur Theorie und Technik des Romans, Faksimiledruck der 1. Auflage von 1883 (Göttingen: Vanden­ hoeck & Ruprecht, 1967), S. 124. Vgl. auch Berthold Auerbach, "Wissen und Schaffen. Aphorismen zu Friedrich Vischer's Auch Einer," Deutsche Rundschau, XIX (1879), 288: "Es ist ein sehr gefährliches Experiment, ein zu persönlicher Klärung geführtes Tagebuch für eine Fiction nachzucoloriren".

16 Spielhagen, S. 125.

'L7 Vgl. Abbott, "Diary Fiction," S. 13 f.: "It is the illusion of reality in the document itself which has been attended over the years by at least two recurrent details in diary fiction which may give the impression of a genre or sub-genre, but which are basically the exigencies of a strategy: means of buttressing the illusion of the real. One of these is the reason invoked to account for the diary's publication... The other essential recurrent detail is the account of why the diary exists to begin with".

18 Ebd., S. 14. 212

Robert A. Fothergill, Private Chronicles. A Study of Eng- lish Diaries (London: Oxford University Press, 1974), S. 5: "The most respectable motive behind the amputation of a diary is the desire to make it readable. Commonly this means the abridgement or distillation of an unwieldly original, through the elimination of whatever is considered stodgy, pedestrian, or repetitious. From unerring taste to obtuse vandalism in these matters is not such a long step". on Peter Boerner, S. 11.

21 Vgl. Gerhart Baumann, "Das Tagebuch. Vom Umgang mit sich selbst," in Sprache und Selbstbegegnunq (München: Fink, 1981), S. 62 f.: "Aufzeichnungen in einem Tagebuch, das diese Benen­ nung rechtfertigt, sind an ein Datum geknüpft, ob dieses nun aus­ geschrieben wird oder nicht. Dem Tage wird Bedeutung zuerkannt; er zeichnet sich ab, erhält sein Gepräge, indem Bestimmungen und Anregungen, Ein- und Auswirkungen festgehalten werden"; W.H. Bru- ford, The German Tradition of Self-Cultivation. 'Bildung* from Humboldt to Thomas Mann (London: Cambridge University Press, 1975), S. 153: "... a long diary, the entries in which are undated but clearly in chronological order".

22 Albert Gräser, Das literarische Tagebuch. Studien über Elemente des Tagebuchs als Kunstform (Saarbrücken: West-Ost-Verlag, 1955), S. 126. Vgl. Rolf Kieser, Max Frisch. Das literarische Tagebuch (Frauenfeld: Huber, 1975), S. 35. 23 Haverkamp, S. 33.

24 Abbott, "Diary Fiction," S. 20.

25 Ebd., S. 20.

26 Baumann, S. 62. Vgl. auch Grenzmann, S. 85: "In der Auto­ biographie sieht sich der Mensch historisch, als Tagebuchschreiber begreift er sich aus dem Augenblick".

27 Abbott, "Diary Fiction," S. 21.

28 Ebd., S. 21 f.

29 Ebd., S. 22.

30 Ebd., S. 24.

3^ Haverkamp, S. 31. 213

Abbott, "Diary Fiction," S. 23; vgl. ebd., S. 25: "Impotent in the world of action, incapable of altering the course of "une fatalit£ toute-puissante," the only freedom that the subject can exercise is the expressive freedom achieved in his diary". Vischer betont in seiner Selbstverteidigung: "Ich wollte der Romanleser- Neugier nicht fröhnen, wollte dem Heißhunger nach den herkömmlichen leeren Spannungsreizen nicht Speise bieten". ("Mein Lebensgang," S. 527)

33 Abbott, "Diary Fiction," S. 17. Vgl. William LeBaron Bingham, "The Journal as Literary Form," Diss. New Mexico 1969, S. 55: "The notebook is that form in which solitude has an essen­ tial part to play"; Gräser, S. 99f.; Gustav Rene Hocke,' Das euro­ päische Tagebuch (Wiesbaden: Limes, 19782), S. 24.

3^ Abbott, "Diary Fiction," S. 17.

33 Vgl. Auch Einer, S. 467: "Da liegt die Abschrift des Schreibens vor mir, die ich mir zum Andenken genommen habe" und S. 467: "Lange dem Meer zugehört im Bett".

36 Vgl. hierzu Einharts früheren Tagebucheintrag: "Man muß eben immer und überall dafür sorgen, daß man sich selbst behält. "Sich selbst haben ist der größte Reichtum", altes Wort von Christoph Lehmann,f 1630 (Florilegium poeticum)". (S. 323)

37 Vgl. Auch Einer, S. 400: " - Rom abwarten. Dort laß dich auch von der Antike erst ganz erfüllen, o Seele!"

38 Zum Madonnentyp in der Literatur des.Fin-de-Si^cle siehe Lothar Hönnighausen, Präraphaeliten und Fin de Siecle. Symbo­ listische Tendenzen in der englischen Spätromantik (München: Fink, 1971), S. 293-304.

39 Vgl. sein Gedicht, das Einhart vor der Abfahrt nach Venedig abfaBt (S. 443):

Sag, alter Narr, was rennst du wieder So kreuz und quer bergauf und nieder? Was suchst du denn? Laß sein, laß sein! Die Weite bringt es dir nicht ein, Im breiten wirst du's nicht erringen! Da mußt du in die Tiefe dringen. Der Weg ist kurz, die Arbeit schlicht: Fünf Schuh tief, weiter braucht es nicht.

Zum Motiv des "tödlichen Venedig" in der Literatur der Jahr­ hundertwende siehe Erwin Koppen, Dekadenter Wagnerismus. Studien zur europäischen Literatur des Fin de si&cle (Berlin: de Gruyter, 1973), S. 214-47 und Hans Hinterhäuser, Fin de Siecle. Gestalten und Mythen 214

(München: Fink, 1977), S. 51 ff.

^ Leopold Robert, ein französischer Maler, beging 1835 in Venedig Selbstmord (vgl. fluch Einer, S. 499, Anmerkung 51).

Vgl. Albert: Gräser, der das Verstummen eines Tagebuchs als Indikator für die Überwindung der Krise durch den Tagebuchschreiber sieht (S. 102).

Grenzmann, S. 89.

^ Hocke, S. 25. Vgl. Abbott, "Diary Fiction," S. 18: "In diary fiction of any psychological pretension, the diarist is usually concerned, with greater or less intensity, to see him- self through the agency of his diary".

^ Vischer, "Mein Lebensgang," S. 529.

^ Vgl. H. Porter Abbott, "Letters to the Seif: The Cloistered Writer in Nonretrospective Fiction," PMLA, 95 (1980), S. 29: "Does the diarist catch himself in his mirror, or does he use it to put on his makeup? That a writer can in all sincerity do the latter while he believes he is doing the former is hard to deny". KAPITEL 6

DAS ZUSAMMENWIRKEN UND DIE FUNKTION DER

VERSCHIEDENEN ERZAHLSITUATIONEN.

Da es für die Analyse der Erzählsituationen im Auch Einer un­ umgänglich war, sie aus dem Gesamtzusammenhang herauszulösen und für sich zu betrachten, wollen wir uns nun fragen, in welchem Ver­ hältnis sie zueinander stehen, und welche Konsequenzen dieser "Poly- perspektivismus",^ den Spielhagen, Auerbach und andere an Vischer bemängelt haben, für die Aussage des Romans hat. Gottfried Keller gibt uns in seinem Brief an Vischer vom 15.11.1878 einen Finger­ zeig, wenn er im Auch Einer "den monumentalen Bau eines Monologs" 2 sieht, "wie ihn unsere Literatur kaum ein zweites Mal besitzt".

Dieser Ausdruck bezieht sich nicht nur, wie R. Grimm glaubt, auf

Einharts Tagebuch, das als eine Vorform des monoloque int&rieur betrachtet werden kann,^ sondern vielmehr auf den gesamten Roman, und er weist darauf hin, daB A.E. im Mittelpunkt der verschiedenen

Erzählteile steht, wobei die verschiedenen Erzähler und Erzähl­ perspektiven ständig um diese Figur kreisen und dazu dienen, ihren Charakter zu erhellen. In Kellers Worten:

Mit dem Ausdruck Monolog will ich jedoch keineswegs irgend eine Formbezeichnung riskieren; denn auch für den Namen eines Romans, den Sie umgangen haben, ist ja das Werk hinlänglich plastisch und schlüssig komponiert.

215 216

Ich meine nur den testamentartigen Charakter des Buches, welches auf jeder Seite, nach allen Ausstrahlungen hin, das Wesen einer und derselben Person ausspricht.4

W.H. Bruford deutet ebenfalls in diese Richtung: "Vischer's experiments with a multiple approach, made no doubt in the search

for a more consistent realism, are in any case child's play to

follow, compared with the complexities of Joyce or Musil".5

Nicht die Tatsache, daß Bruford Vischer gegen Joyce und Musil ab­

setzt, ist hier von Wichtigkeit, - diese Kontrastierung fehlt

interessanterweise in der überarbeiteten Fassung des Aufsatzes, wodurch Vischers Experimentieren starker betont wird sondern vielmehr, daß er Auch Einer als einen Vorläufer von Ulysses und

Der Mann ohne Eigenschaften sieht, selbst wenn Vischers Roman ver­ glichen mit diesen einzigartigen Darstellungen der condition humaine des modernen Menschen "child's play" ist. Bedienen wir uns, um diesen "multiple approach" Vischers, dieses "von unab­ lässigen Mutmaßungen sowohl der Randfiguren als auch des Lesers"

Eingekreistwerden der Zentralgestalt anschaulich zu machen, eines

Bildes, mit dem Henry James die Struktur eines seiner Romane kenn­ zeichnete, und auf das Reinhold Grimm in seiner Studie zu Vischers

Auch Einer hinwies.7 Im Vorwort zu The Awkward Age schreibt H.

James:

I remember that in sketching my project ... I drew on a sheet of paper ... the neat figure of a circle con- sisting of a number of small rounds disposed at equal distance about a central object. The central object was my Situation, my subject in itself, to which the thing would owe its title, and the small rounds 2 1 7

represented so many dlstinct lamps, as I liked to call them, the function of each of which would be to light with all due intensity one of its aspects.

Wir ändern Henry James' Konzept dahingehend ab, daß wir in den "distinct lamps" nicht verschiedene Ereignisse sehen," die die

Hauptfigur in einem bestimmten Lichte zeigen, sondern daß sie für uns die verschiedenen Erzählsituationen repräsentieren. Außerdem ordnen wir diese Lichtquellen nicht in einem Kreis um die Zentral­ figur bzw. das Zentralthema herum an, sondern als vier konzentrische

Kreise (siehe die Abbildung im Anhang): A. der periphere Ich-Er­ zähler, B. A.E. als Erzähler der Pfahldorfnovelle, C. Einharts

Freundes- und Bekanntenkreis und D. Einharts Tagebuch. Diese An­ ordnung hat den Vorteil, daß sie die Struktur des Auch Einer mit ihrer Abfolge von verschiedenen Erzählern und Erzählsituationen deutlich macht und gleichzeitig die Steigerung veranschaulicht, auf die dieser Multiperspektivismus zustrebt: mit jedem Kreis, jeder Erzählsituation kommen wir dem Zentrum des Romans, A.E., 9 dem 'modernen Menschen', näher:

A.E., die Gestalt, um die sich alle Teile des Auch Einer bewegen, ist der Typus des dissonanten Menschen, in dem Vischer seine Problematik [das Reflexionsvermögen des Menschen, das Wissen von sich selbst und seine Folgen] poetisch verwirklicht, - poetisch, da ihm zur Artikula­ tion seines Problems das System der Theorie versagt.

Betrachten wir zunächst die erste Lichtquelle, durch die A.E. beleuchtet wird, den peripheren Ich-Erzähler. Wie wir in der

Analyse dieser fiktiven Figur, die keineswegs mit dem Autor des 218

Romans gleichgesetzt werden darf, gezeigt haben, handelt es sich um einen Erzähler, der am Rande des Geschehens steht und eher passiv als aktiv an der Handlung teilnimmt. Wir haben ihn daher, auf Franz Stanzels Typologie zurückgreifend, als "peripheren Ich-

Erzähler" gekennzeichnet; in der anglo-amerikanischen Literatur­ kritik entspricht diese Kategorie dem "witness narrator", "I as witness" oder "participant-observer narrator” .11 Die Position des Erzählers am Rande der Welt des Protagonisten (die eigentliche

'Reisebekanntschaft' erstreckt sich auf nur einige Tage) und der dadurch bedingte beschränkte Blickwinkel führen zu einer Mischung von zuverlässiger und unzuverlässiger Erzählweise:

We can usually trust them [participant-observer narra- tors] to report with reasonable accuracy the events and conversations they actually witness. But since the narra- tors are also dramatized as characters in the plot, they lack the power to see into the other characters' minds; thus we have no good reason to accept their opinions and judgements about why the other characters involved act as they do.12

Der periphere Ich-Erzähler im Auch Einer ist sozusagen "semi- reliable":'1''5 zuverlässig, was die Schilderung der Begebenheiten und Unterhaltungen angeht, deren Zeuge er wird, und die er mit großer Genauigkeit wiedergibt, unzuverlässig, wenn es darum geht, die Bedeutung dieser Begebenheiten für den Protagonisten zu er­ schließen und die Motivationen, Gefühle und Gedanken sowohl Ein­ harts als auch der anderen Figuren offenzulegen. Zwar hilft ihm die Physiognomik dabei, solche Gefühle wie Freude, ftrger oder 219

Trauer auf den Gesichtern seiner Mitmenschen abzulesen, doch ver­ mag er es nicht, komplexere innere Vorgänge aufzudecken. Diese

UnverläBlichkeit macht sich besonders bei der Einschätzung A.E.s durch den Erzähler bemerkbar: da ihm das Innere dieses Menschen größtenteils verschlossen bleibt, kommt Einhart ihm wie ein

"komischer Kauz" und eine "schiefgewickelte Natur" vor. Es ist jedoch nicht nur sein beschränkter Blickwinkel, sondern auch sein

Charakter und seine Weitsicht, die ihn zu dieser (Fehl-)Einschätzung verleiten. Der Ich-Erzähler unterscheidet sich zwar von der großen

Masse seiner Mitmenschen, indem er seine Augen nicht vor den

Problemen seiner Zeit verschließt und nicht wie sie blind durch das Leben tappt, doch leidet und zerbricht er auch nicht wie Ein­ hart an den Disharmonien der Welt. Diese Zwischenstellung des peripheren Ich-Erzählers ist ein charakteristisches Merkmal der

"Observer-Hero Narrative", wie Lawrence Buell zeigt:

The two figures are both opposites and counterparts, the second person perceived both as contrasting with the first in outlook or life-style and as embodying in purer or more extreme form qualities which the ob- server has or sympathizes with in moderation. The ob- server's world seems more like our own world, while the second person's seems more intensely focused and more romantic by comparison,1^

Es ist daher kein Widerspruch, wenn der periphere Ich-Er­ zähler einerseits mit Einhart sympathisiert, sein Freund wird und sich sogar zu einem solchen Grade von ihm anstecken läßt, daß er an einer von dessen Mucken, der Strafaktion am Objekt, partizipiert, sich auf der anderen Seite jedoch von dem Sonderling distanziert. 220

Im Verlauf des Romans findet zudem eine Akzentverschiebung statt: wahrend in der 'Reisebekanntschaft' die Sympathie des Erzählers

Uberwiegt, nimmt mit der räumlichen und zeitlichen auch die emo­ tionale Distanz zu Einhart zu, sodaB im dritten Teil des Romans

(dem Besuch des Erzählers in A.E.s Heimatsort nach dessen Tod) in erster Linie die distanzierte Haltung ins Auge fällt. Diese

Sachlage wird dadurch noch komplizierter, daß das erzählende Ich des Erzählers, das Einhart in einem kritischen Lichte sieht, häufig das erlebende, mit A.E. in stärkerem MaBe sympathisierende

Ich relativiert. Allgemein kann festgestellt werden, daß der Ich-

Erzähler im Verlauf des Romans kaum zu einem wirklichen Verstehen

Einharts durchzudringen vermag, wie seine Einschätzung und Deutung 15 sowohl der Pfahldorfgeschichte als auch des Tagebuchs zeigen.

Vielleicht handelt es sich jedoch weniger um die Unfähigkeit des

Ich-Erzählers, A.E.s Zerrissenheit und sein Leiden an der Wirklich­ keit zu verstehen, als vielmehr um eine Form der Selbstverteidi­ gung und -bewahrung: der Ich-Erzähler darf Einhart nicht zu nahe an sich heranlassen, gerade weil A.E. Merkmale seiner eigenen Per­ sönlichkeit in extrem gesteigerter Form aufweist. Sowohl das Fest­ halten an der Vorstellung von A.E. als komischer Figur, das ja nach der Kenntnis des Tagebuchs keineswegs mehr gerechtfertigt ist, als auch die Tendenz des Erzählers zur Rationalisierung und

Harmonisierung können somit als die Waffen gesehen werden, derer er sich bedient, um Einharts tragisches Schicksal von sich fernzu­ halten. Wie immer der einzelne Leser den Ich-Erzähler sehen mag - 221 als insensitiven, oberflächlichen Beobachter, der Einharts Proble­ matik nicht verstehen kann, oder als 'Schicksalsbruder1, der, gerade weil er ihn versteht, eine kritische Distanz halten muß, um nicht auch an der Welt zu scheitern - er wird die Aussagen und

Wertungen dieses "semi-reliable" Erzählers nicht unreflektiert über­ nehmen können. Da der Text nicht mehr eindeutig ist, fallt dem

Leser die Aufgabe zu, die "latent semantic sphere" des mehrdeutigen oder ironischen Textes ausfindig zu machen, die der Autor unter der

Oberfläche verborgen hat:

The ironist, in his role of nalf, proffers a text but in such a way or in such a context as will stimulate the reader to reject its expressed literal meaning in favor of an unexpressed 'transliteral' meaning of contrasting import.16

Zwar vollzieht sich dieser Dekodierungsvorgang nicht bei allen

Lesern einheitlich,17 doch gehen wir sicher nicht zu weit, wenn wir annehmen, daß in seinem Verlauf die tragischen Züge Einharts sicht­ bar gemacht werden. Es ist für das Dekodieren eines ironischen

Textes charakteristisch, daB neben der "transliteral" die "literal"

Bedeutung bestehenbleibt: "irony is not merely a matter of seeing a "true" meaning beneath a "false", but of seeing a double exposure

... on one plate" . 18 Wir werden demnach in der Erzählweise des peripheren Ich-Erzählers mit einem vordergründig komischen Einhart konfrontiert, dessen ernste Seite sich dem mitdenkenden Leser, für 19 den Vischer seinen Roman ja abgefaBt hat, schrittweise erschließt. 222 Ähnlich wie im Bericht des Ich-Erzählers finden wir in der

Pfahldorfnovelle, der zweiten Lichtquelle, von der die Figur A.E.s beleuchtet wird, eine Mehrschichtigkeit von Humor und Ernst, wenn­ gleich von anderer Art, da bewußt geschaffen. Während wir den Pro­ tagonisten bisher vornehmlich von außen gesehen haben, erhalten wir nun einen Einblick in sein Inneres; allerdings ist dieser Einblick indirekt, denn Einhart versteckt ja sein wahres Ich hinter einer

Erzählermaske, sodaB der Leser wie im Bericht des Ich-Erzählers den versteckten, "transliteral" Sinn des Textes erschließen muß. Ober­ flächlich betrachtet erscheint die Pfahldorfnovelle als literarischer

Ausdruck von Einharts seltsamer Schnupfen-Mythologie und seiner skurril anmutenden Vorstellung von dämonischen Geistern, die in Ge­ genstände schlüpfen, um den Menschen das Leben schwer zu machen, so­ wie als Vischers Vehikel, um gezielte Seitenhiebe gegen zeitgenössi­ sche Erscheinungen und Persönlichkeiten auszuteilen. Wenn wir uns jedoch nicht wie der Ich-Erzähler mit einer oberflächlichen Deutung der Novelle zufriedengeben und in ihr nur Einharts "Akt geistiger

Freiheit" und den gelungenen Versuch, den "Krankheitsstoff als ge­ genständliches Bild humoristisch ausEzuscheiden]" sehen (S. 255), sondern in die tiefere Schicht des Textes eindringen, so offenbart sich uns A.E.s pessimistisches Bild von der geschichtlichen Entwick­ lung des Menschen. Die Schilderung des Zusammenstoßes von Jungstein­ zeit und Bronzezeit basiert nicht auf einem ungebrochenen Fortschritts­ glauben, wie oft angenommen wird, sondern ihr liegt vielmehr die Auf­ fassung zugrunde, daß die geschichtliche Entwicklung einer Kreisbewegung, 1

223

einem "ewig sich wiederholende!!n] Auf und Ab von Bildungsstufen" 20 gleicht. Die Pfahldorfgeschichte kann nur dann als "balancieren­

des Gleichgewicht gegen die Tragikomödie des gebrochenen Menschen 21 A.E." gesehen werden, wenn man die zweite, tieferliegende Bedeu­

tungsebene der Novelle außer acht laßt. Auch der Vorwurf, daß die

Erzählung den Roman "kompositioneil auseinanderreißt" und sich "nicht 22 in das Handlungsganze ein[fügt]", ist nicht gerechtfertigt, denn

abgesehen davon, daß sie Themen und Motive aufgreift, denen der

Leser schon in der Erzählung des Ich-Erzählers begegnet ist, und

die später in Einharts Tagebuch wiederkehren, wie das des Fort­

schritts, der 'Tücke des Objekts' etc., stellt sie ein wichtiges

Glied in der stufenweisen Annäherung des Lesers an die Zentralfigur

dar. Zudem ist sie durch ihre ironische Struktur von humorvoller

Oberflächenbedeutung und ernster, vom Leser zu erschließender

Tiefenschicht direkt mit der 'Reisebekanntschaft' verknüpft.

Wenden wir uns dem dritten Teil des Romans zu, mit dem der

zweite Band der Erstausgabe einsetzt, so wirkt er zunächst wie eine

Fortsetzung der 'Reisebekanntschaft': der Ich-Erzähler ergreift

wieder das Wort und berichtet von seiner zufälligen Entdeckung von

A.E.s Identität, seinen Plänen, Kontakt mit dem "Eigensinnigen" auf­

zunehmen, der Nachricht von Einharts Tod und der Reise in dessen

Heimatort, wo der Erzähler A.E.s Freundes- und Bekanntenkreis ken­

nenlernt und dessen nachgelassenen Papiere sichtet. Während sich

der Ich-Erzähler schon im ersten Teil des Romans am Rande der Welt

des Protagonisten aufgehalten hatte und am Geschehen eher als 224

Beobachter denn als Handelnder teilgenommen hatte, hat sich im dritten Teil seine Rolle als Erzähler modifiziert: er tritt nur­ mehr als Chronist und Herausgeber auf; spater fungiert er als Zu­ hörer und gibt die Erzahlerrolle an A.E.s Bekannten und Freunde ab.

Am Ende des Romans verläßt er sogar die Welt des Protagonisten und wird zum auktorialen Erzähler. Wegen der zunehmenden erzähltech­ nischen und emotionalen Entfernung des Ich-Erzählers vom Protago­ nisten erscheint es sinnvoll, den dritten Romanteil separat zu be­ trachten und nicht mit dem ersten, der eigentlichen 'Reisebekannt­ schaft', zusammenzuziehen:

... die eigentlichen Mitteilungen Uber A.E. werden von seiner Haushälterin, einem befreundeten Assessor und einer Stammtischrunde gemacht, sind also eigentlich zwar von RE [dem Rahmenerzähler] erzählte, aber nicht selbst erlebte Darstellung A.E.s.25

Je mehr sich der Ich-Erzähler von Einhart entfernt, desto näher kommt der Leser dem Protagonisten, denn ihm wird dessen Leben nun aus der Sicht der Menschen dargeboten, die ihn am intimsten kannten.

Die Erzählung von Einharts Haushälterin, Frau Hedwig, informiert uns

Uber dessen Reisen nach Norwegen und Italien, seine Amtszeit sowie den Verlust des Amtes. Weiterhin erfahren wir von A.E.s Absicht, am

Krieg gegen Frankreich teilzunehmen, die dadurch zunichte gemacht wurde, daß er sich bei einem Sturz vom Pferd den FuB verrenkte, so­ wie von seiner Verwundung während der Auseinandersetzung mit einem

Fuhrmann wegen eines mißhandelten Pferdes und seinem Tod. Es werden zwar Andeutungen Uber Einharts Beziehung zu Goldrun und Cordelia 225 gemacht, doch wird dieser Lebensabschnitt erst spater durch die

Erzählung MacCarmons erhellt, die dem Tagebuch eingefügt ist.

Während sich Frau Hedwig in ihrem Bericht hauptsächlich auf die

Schilderung der äußeren Lebensumstände beschränkt, gewähren uns die

Erzählungen des Referendars und der Wirtshausrunde einen kurzen

Blick in das Innere des Protagonisten. So berichtet der Referendar

Uber A.E.s Tierliebe, seine Dienstbeflissenheit, seine politische

Einstellung, die der Regierung "gar nicht so ganz korrekt" vorkam

(S. 269), sowie über seine Zerrissenheit in "eine befehlende Kraft und eine dichterisch denkende" (S. 272) und sein "besonders feine[s] und scharfe[s] Gefühl des Zweckmäßigen" (S. 309). Er bestätigt, was wir als Leser schon der ironischen Struktur der ersten beiden Teile entnommen haben: daß sich hinter dem scheinbar skurril wirkenden uns komischen A.E. eine tragische Natur verbirgt. Auch Doktor

Schraz, einer von Einharts Bekannten, deutet auf die Mischung von

Komischem und Ernstem hin, wenn er feststellt: "... kein Narr war er, sondern ... ein Kokett. ... Gespiegelt hat er sich in seiner

Seltsamkeit und gespielt mit uns und allen" (S. 311). Dem dritten

Teil des Romans kommt nicht nur die Aufgabe zu, die anderen Teile durch Vorausdeutungen und Rückwendungen miteinander zu verknüpfen und ein gewisses Maß an Einheit zu stiften, sondern er führt den

Leser näher an die Zentralfigur heran. Die Mischung von Komik und

Ernst in der Figur A.E.s, die bisher erschlossen werden mußte, tritt in den Erzählungen von Einharts Freunden offen zutage, und die Er­ zähler, die A.E.s Leben und Charakter beleuchten, stehen dem 226

Protagonisten weit näher als der periphere Ich-Erzähler, der nur noch als Chronist auftritt. Jedoch auch diese Figuren, die Ein­ hart aus persönlichem Umgang kennen, verstehen ihn nicht völlig, weil sie nicht über alle notwendige Information verfügen (A.E.

öffnete sich selbst denjenigen, die ihm am nächsten standen, nicht ganz); zudem teilen sie Einharts Leiden an der Wirklichkeit nicht.

Erst das Tagebuch, das wie ein Seismograph A.E.s Gefühle und 05 Gedanken wiedergibt, ermöglicht uns einen unverstellten, da nicht durch das Bewußtsein anderer Erzähler gefilterten, Einblick in das

"ganzeC...] inneret...] Leben" dieses "schwer und tief erlebendeün]

Mann[es]":2^

In eine Feuerseele sollte man blicken, es sollte etwas Atmendes, ja Schnaubendes, und wieder Stockendes, schwei­ gend Aufseufzendes in diesen Blättern leben, etwas Vib­ rierendes, ein voller und wieder fieberhaft unterbroche­ ner Pulsschlag.27

Das für die Tagebuchform charakteristische Element des Offenen und Fragmentarischen wird von Vischer eingesetzt, um A.E.s Unfähig­ keit zu betonen, den idealistischen Glauben an eine "harmonische 28 Sinneinheit des Ganzen, des Wirklichkeitsverhältnisses", an die

Möglichkeit einer Synthese von Natur und Geist, von "unterem" und

"oberem Stockwerk" aufrechtzuerhalten; es spiegelt zudem die damit verbundene "Spaltung des Ichbewußtseins" in einen "Ich a" und "Ich b", in ein "Denktalent" und "Phantasietalent", die sich "einander die 99 Bahn verlegen". So wird Einharts Versuch, die Wirklichkeit durch 227 philosophische Konstruktionen und Systeme in den Griff zu bekommen, ständig durchkreuzt ("Ich philosophiere gern, bin aber kein Philo­ soph. Meine Gedanken gehen zu schnell." S. 328). Auch seine poe­ tischen Lösungsversuche sind nicht erfolgreich, wie die Pfahldorf­ geschichte zeigt. Die Versuchung, sich dem Pessimismus und Nihi­ lismus anheimzugeben, die Einhart dann und wann überkommt ("da ent­ deck' ich Schopenhauer ... Verwandt.” S. 318), bekämpft er mit den

Waffen des Humors und der Ironie:

Cum grano! Cum grano! Cum grano salis! Wie Blutweni­ ge verstehen1 s! Man kann nichts sprechen, wo sie nicht gleich meinen, es sei alles buchstäblicher, dicker, blutiger Ernst. Hören die Obertöne nicht; bei einem lebendigen Menschen schwirren ja neben dem Grundton seiner Worte immer noch Obertöne. Daher, mag er pfeffern, so stark er will, es ist nie so schlimm, als es scheint, läßt Luft, Spielraum, hat etwas Un­ maßgebliches, etwas Flüssiges, etwas Strahlenstreuen­ des ... Kein Mensch von schwingendem Gehirn hängt niet- und nagelfest an der Hälfte einer ganzen oder der einen Seite einer zweiseitigen Wahrheit. (S. 386)

Dieser Kommentar A.E.s zu seinem Selbst- und Menschenver­ ständnis wirft ein Licht auf die früheren Erzählteile: die Aus­ sagen Einharts in diesen Teilen sind nicht mehr eindeutig, dem

Leser ist somit der Boden entzogen, und er muB das Frühere neu interpretieren. Für A.E. führt diese ironische Sehweise, die alle "Obertöne" erfaßt und zu jedem Sachverhalt das Gegenteil mit­ berücksichtigt, zu einer völligen Relativierung und zum Verlust des festen Standpunktes, so daß er schließlich "endlos im Hexenkreise der Abwägung" (S. 440), im "Netz messerspitzer Fragen" (S. 452) zappelt und wünscht, daß er "aus dem Bewußtsein heraus könnte" 228

(S. 441). Auch A.E.s Humor vermag es nicht, Leben und Welt er­

träglicher zu machen, denn es ist kein "versöhnter", sondern ein 30 "unversöhnter Humor", der einem Gefühl der Weltskepsis ent­ springt und als die "Sprache des enttäuschten Idealisten gegen­

über der Wirklichkeit", gegenüber dem "unaufgelösten ZwiespaltE...]" gesehen werden muB.^ Für A.E.s unversöhnten Humor trifft in ver­ stärktem MaBe zu, was Max Strauß allgemein über den Charakter des

Humors im Auch Einer feststellt:

Die Grundstimmung ist wohl humoristisch, zwar nicht im Sinne Raabes, dessen freier Humor durch die Leiden der Welt hindurchgegangen ist und dann wissend und lächelnd mit diesen Leiden versöhnt, sondern im Sinne von Vischers Aesthetik als "gebrochener" Humor, d.h. als solcher, der die Grundforderung jeden Humors, sich über sich selbst zu erheben und sich selbst zu verlachen, nur halb vollzieht. Der Humor des "Auch Einer" begreift zwar den Gegensatz zwischen der Welt des Kleinen und dem Erhabenen und sieht sich selbst als Bestandteil dieser Welt, ohne aber die Bitterkeit über die Naturnotwendigkeit dieses Gegensatzes überwinden zu können. Vischer und sein Held leiden an diesem Widerspruch, ihnen bereitet nicht, wie sein und Raabes gemeinsamer Stammvater Jean Paul sich ausdrückt, die Höllenfahrt des Humors in den Weltwiderspruch die Himmelfahrt.32

Ein Zeichen für die Gebrochenheit und Unversöhntheit von A.E.s

Humor ist sein Unvermögen, über sich und die Welt hell lachen zu können. Er leidet so an der Wirklichkeit, daß er "laut hinaus­ schreien muß, nur irgendeinen Laut bellen, nur um [s]ich etwas zu entlasten" (S. 438). Dieser Verzweiflungsschrei, der sich auch in anderen Werken jener Zeit,wie zum Beispiel Munchs Gemälde findet, weicht bei Einhart erst dann einem Lachen, als er seine

"Ich-Aushegungen, Ich-Brütungen, Hirnschnaken" aufgibt (S. 406), 229

sich aus der Realität zurückzieht und in einer Traumwelt einspinnt.

So notiert er wahrend seines Aufenthalts in Venedig, der "toten- still[en]" Stadt, die ihm als Abbild der eigenen Seele erscheint

("Mancher Mensch ist auch so eine still gewordene alte Stadt." S. 443), in sein Tagebuch: "Kann auch wieder lachen" (S. 444). Durch die

Traumvision, in der die Madonna Cordelia ihn von aller Schuld frei­ spricht, befreit sich A.E. von der Welt, wird so sehr "Fremdling[...] auf Erden" (S. 438), daß er auf der Schiffahrt zu Cordelias Heimats­ ort sogar über die "Tücke des Objekts", an der er zeit seines Lebens gelitten hat, lachen kann:

Gegen Morgen ermattet die Sturmwut; man kann auf das Verdeck, doch als ich mich auf einen Feldstuhl gesetzt und eingenickt, rollt mich ein Ruck wie eine Kugel das Verdeck entlang. Hat mich gefreut, daß ich wieder hell lachen kann. (S. 493 f.)

Textintern signalisiert dieses Lachen Einharts jedoch keine

Befreiung, sondern letztlich sein Scheitern an der Wirklichkeit:

A.E. hat den Versuch aufgegeben, das Geheimnis zu lösen, "wie es kommt und zugeht, daß die Natur, unter welcher doch der Geist schlummern muß, als so vollkommner Gegenschlag des Geistes da­ steht, daß wir uns Beulen daran stoßen".Da dieses "ewige Rätsel" unlösbar ist, zieht er sich in den Traum zurück, in dem die Einheit von Natur und Geist noch möglich ist, und er geht mit letzter Konse­ quenz den Weg, den Vischer 1875 in seiner Schrift "Der Traum" an­ gedeutet hat. Dort lesen wir: 230

Der Traum aber in seiner reichen Armut und in seinem armen Reichtum, in seiner dummen Genialität und geni­ alen Dummheit, ist und bleibt ein staunenswerter Zeuge und Bürge für die Einheit der scheinbar so ganz entge­ gengesetzten zwei Welten, der Natur und des Geistes; denn in ihm dichtet der Geist unbewußt, wie er unbe­ wußt in der Natur schafft, und doch ist es der Geist und strahlen Lichter seines bewußten Tuns auch in sein Helldunkel: ein Geisterreich, das nur der höchst Geist­ lose unwert finden kann, es zu erforschen.35

Die verschiedenen Erzählteile im Auch Einer, die wir durch konzentrische Kreise um die Zentralfigur herum gekennzeichnet haben, decken stufenweise und mit zunehmender Intensität Einharts tragischen Charakter auf, der unter der kauzigen Hülle verborgen *1 36 ist, indem sie den Leser vom Äußeren ins Innere führen; die

Entwicklung des Tragischen aus dem Komischen resultiert in der

"Aufhebung des Sonderlings", in dessen "restriktionslose[r] Apo­ logie":37

Nicht bloß das Allgemeinmenschliche des Kauzes, son­ dern das Kauzige des allgemein Menschlichen kommt durch den Prozeß vom Komischen zum Tragischen zur Darstellung.38

Dieser Prozeß läßt sich nicht nur in der Darstellung der Ti­ telfigur beobachten, sondern er schlägt sich auch in einzelnen

Motiven und Themen nieder, die den Roman durchziehen, und die ihm ein gewisses Maß an Einheit verleihen. Wir wollen zwei die­ ser Motive herausgreifen und an ihnen die Wandlung und Vertiefung aufzeigen, die sie im Erzählverlauf erfahren. 231

Bei der Besprechung von Einharts Tagebuch im fünften Kapitel dieser Arbeit wurde deutlich, welch breiten Raum A.E.s Betrach­ tungen über Sterben und Tod einnehmen, und welch wichtige Rolle sie spielen. Wir mußten dort jedoch unberücksichtigt lassen, daß diese Todesthematik schon im Bericht des Ich-Erzählers auftritt, so wenn er nach dem peinlichen Zwischenfall in Bürglen Einhart auf einem Felsvorsprung in der Schöllenenschlucht erblickt und glaubt, daß der "rasende[...] Redner" im Begriff steht, sich in den Ab­ grund zu stürzen:

..."- will endlich frei sein - frei - Angstband zer­ reißen - in Fetzen vor deine FUBe! - Ha! Wie? Du auch da unten im Wasserstrudel, Nixe mit den Fischaugen? Kennst mich noch? Glotzt herauf? Soll ich kommen? Fort! fort! Nicht zu dir, nicht dir zulieb! — Suwarow - weiß, - Gebrüll der Schlacht - wie so wohl, so frei - Gebeine im wütenden Wasserstrudel bleichen

Er tat auf der Spanne Raums über dem Abgrund einen Schritt - eine kupferrot glühende Wolke war über der Schlucht aufgezogen, scharf und dunkel hob auf ihrem Grunde die wilde Gestalt sich ab, Uber deren Haupt, mit rudernden Schwingen gegen die Sturmwirbel anstrebend und zappelnd und krächzend, ein Rabe flatterte, - töd­ liche Angst um den Unglücklichen malte mir im Nu das Bild vor, wie er zerschellt in der Tiefe liege, ein Schmaus den Vögeln des Himmels ... (S. 62 f.)

Bei dem Versuch, den vermeintlichen Selbstmörder von seinem

Vorhaben abzubringen, wird der Erzähler ein Opfer der Tücke des

Objekts: ein Felsstückchen gibt unter seinem FuB nach, er stürzt, und Einhart gelingt es, ihn zu retten: "nicht immer können die

Geister doch das Gute stören. Frau von Vorsehung, geborene Zufall, hat sich diesmal doch ganz ordentlich gehalten" (S. 64). Zwar betont 232

der Ich-Erzähler einerseits den Ernst der Situation, andererseits

desavouiert er durch seine Erzählweise diese Versicherung. So

unterbricht er seinen Bericht unmittelbar vor dem Höhepunkt und

ergeht sich darin, "dem zappelnden Leser im Plaudertone" eine aus­

führliche Beschreibung von A.E.s äußerer Erscheinung zu geben und

seinem Glauben Ausdruck zu verleihen, "A.E. könne nicht der Ver­

zweiflung, nicht dem Wahnsinn verfallen, wie der wehrlose schwä­

bische Sänger [Hölderlin]" (S. 61)39 - ein merkwürdiges Verhalten, wenn er wirklich glaubt, daß sein Reisekamerad im Begriff steht,

sich in'die"Schlucht"hinabzustürzen; Wenn Einhart in seinem Mono­

log am Rande des Abgrunds auf das Geplagtwerden durch den Katarrh

zu sprechen kommt ("Und Gott sprach: es werde! und der Katarrh ward - ... Urlümmel - Schweig! - selbst ein alter Rotzer - Trief­ nase — Mensch doch wenigstens Schnupftuch-" S. 62), und der Erzäh­

ler bemerkt: "Er gebrauchte es mächtig", bestätigt sich unsere Ver­ mutung, daß der Ich-Erzähler den Vorfall selbst nicht ganz so ernst nimmt, wie er vorgibt. Auch wenn er unmittelbar nach seiner Ret­ tung durch A.E. darüber lächeln muß, daB dieser bei der Suche nach

Verbandmaterial "neben zwei gebrauchten zwei ungebrauchte reine

Leinwandnastücher" aus der Tasche zieht (S. 63), wird das Komische an der Situation betont. Erst Einharts Tagebuchnotizen enthüllen

ganz den Ernst der Lage:

0 scheußlich, o Streich, in der untersten Hölle ausge­ heckt! - ... Das absolut Lächerliche tödlich tragisch, das Tragische zum Todlachen! - 0, wer aus dem Bewußtsein heraus könnte! - Hinab in die Strudel! Schnell! - Ja, wenn nicht da unten - mit den grünen Nixenaugen, sie - 233

sie - Bist du da?

Gerettet? HeiBt man das retten? Oder doch verbor­ genes Weltgesetz? DaB der gute Mensch sein Leben wagt und daß der zum Retter wird, der gerettet werden soll und - wird? Ist jener zu Diensten aufgehoben für das Leben, zu erklecklichem Wirken? Steht der Zufall in tiefem, nicht zu übersehendem Zusammenhang? Ich, auch ich zu Zwecken gerettet? Ich? o, das ist vorbei! (S. 441)

Auch die Tagebuchnotizen A.E.s, die seinen Wunsch, die dämo­ nische Goldrun vom RjukanfoB in den FluB Maanelv hinabzustoBen, sein Ausgleiten und seine Rettung durch das "reizend[e] Ungeheuer"

(S. 366) beinhalten,40 lassen die Szene in der Schüllenenschlucht und die Rettung des Erzählers durch Einhart in einem ernsten Lichte erscheinen, indem sie einen der Gründe offenlegen, der zu A.E.s

Verzweiflungstat beigetragen hat. Nehmen wir Einharts Todessehn­ sucht hinzu, die im Verlauf des Tagebuchs ständig zunimmt, und die schließlich zu seinem völligen Rückzug aus der Wirklichkeit führt, so zeigt sich deutlich, welche Vertiefung diese Thematik erfahren hat.

Eine ähnliche Wandlung vom Komischen zum Tragischen läßt sich am Thema von der Tücke des Objekts und dem damit eng zusammenhängen­ den Katarrh-Motiv ablesen. So erscheint A.E. dem Ich-Erzähler vor allem deshalb als seltsamer Kauz und "Kapitalschelm" (S. 47), weil er Einharts verzweifelten Kampf mit dem "Racker Objekt" (S. 28) nicht verstehen kann, den er als "breite Beschäftigung mit der Bagatelle" abtut (S. 32), und weil er dessen Exekutionen der "Kobolde" (S. 31) verurteilt. Auch A.E.s Leiden am Katarrh wird vom Erzähler nicht ernstgenommen, und er erteilt dem verdutzten Einhart folgenden Rat: 2 3 4

"Übrigens rauchen Sie auch zu viel! Lassen Sie das, und es wird mit den Katarrhen besser werden!" (S. 49). In den Augen des Er­ zählers gefällt sich A.E. darin, "die Wahrheit des Lebens auf den

Kopf zu stellen" und aus dem, was des Denkens nicht wert ist, ein

System zu machen (S. 49). Selbst nachdem der Ich-Erzähler Zeuge des "peinliche[n] Zufall[s]" in Bürglen geworden ist, der ihn ahnen läßt, daß "offenbar Beziehungen durchschnitten [wurden], de­ ren Tiefe und Zartheit ich gar wohl ahnen konnte" (S. 57), und nach­ dem er an einer von Einharts Strafaktionen am Objekt teilgenommen hat, hält er an der Vorstellung vom Reisebekannten als "Sonderling" fest (S. 254).

Die Thematik von der Tücke des Objekts und des den Menschen plagenden Katarrhs, die A.E. in seiner Pfahldorfnovelle verarbeitet, wobei der "Krankheitsstoff als gegenständliches Bild humoristisch ausgeschieden [wird]" (S. 255), erhält im dritten Teil des Romans eine ernstere Färbung, so zum Beispiel im Bericht von Einharts

Haushälterin:

Um jene Zeit nahmen auch seine sehr guten Augen etwas ab, er wurde fernsichtig, mußte zum Lesen eine Brille, zu augenblicklicher Aushilfe eine Lorgnette tragen. Nun kam das häufige Suchen, das ewige Putzen, wobei er jedes­ mal über die Heimtücke der Stangen wetterte, daB sie hin­ dernd Uber die Gläser hereinfielen, und, was noch schlim­ mer war: die Schnur, woran er das Gläschen trug, tat ihm gar so viel Schabernack, fing sich an einem Westenknopf, schob sich in die Brusttasche mit ein, wenn er sein Notiz­ buch hineinstecken wollte, so daB es sich staute, und das immer am liebsten, wenn die Sache Eile hatte. Herr meines Lebens, ist er da wild geworden!" "Kenne, kenne, weiß", sagte ich etwas ungeduldig. (S. 261) 235

Es ist für den Ich-Erzähler bezeichnend, daB seine Reaktion nicht nur Ungeduld mit dem für sein Gefühl langatmigen Bericht

Frau Hedwigs ausdrückt, sondern daß in ihr auch seine Unduldsamkeit

Einhart und dessen Verhalten gegenüber mitschwingt. Eine weitere

Vertiefung der Thematik erfolgt im dritten Romanteil sowohl durch

A.E.s mißglückten Versuch eines "System[s] des harmonischen Welt­ alls" (S. 288) als auch durch den Bericht des Referendars über die Katastrophe, die Einharts Abgeordnetenlaufbahn beendete: wah­ rend einer Rede über TiermiBhandlung versagte ihm die Stimme, und er wurde von den Zuhürern ausgebuht und ausgelacht (S. 272). A.E.s

Tagebuch schließlich läßt keinen Zweifel daran, daß dessen Leiden an der Tücke des Objekts und dem Katarrh keineswegs als komisch an­ gesehen und als Marotte eines seltsamen Kauzes abgetan werden kann, sondern daß es zur Tragik seines Lebens beigetragen hat:

Und kaum wieder da, Montag, so fangt der schnöde Schaber­ nack wieder an. Amts- und Studierzimmer, alles hapert, zwickt, klemmt, klebt den ganzen Tag und Abend. Ein Glas, ein Plättchen, worauf meine Tasse, dann meine Lampe, be­ gehen hintereinander dasselbe Bubenstück, sich nicht schie­ ben zu lassen; pappen fest, es braucht stärkeren Druck, da­ rauf lauert das Teufelspack, fällt um und schüttet seinen Inhalt auf meine Papiere. - Sind mit der niedrigen, gifti­ gen Reaktion in der Welt draußen auch die Privatteufel wieder ganz los? — Alles, alles rings um mich wie die versagende Waffe im Gefechte bei Bau und - o Symbolik! - stille! (S. 378)

Es hat sich somit gezeigt, daß nicht nur die verschiedenen Er­

zählteile, sondern auch einzelne Themen stufenweise Einharts tra­ gischen Charakter aufdecken, der hinter dessen kauzigen Maske all­ mählich zum Vorschein kommt. ANMERKUNGEN

Günter Oesterle, "Die Grablegung des Selbst im Ändern und die Rettung des Selbst im Anonymen. Zum Wechselverhältnis von Bio­ graphie und Autobiographie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun­ derts am Beispiel von Friedrich Theodor Vischers Auch Einer." in Vom Anderen und vom Selbst. Beiträge zu Fragen der Biographie und Autobiographie, hrsg. Reinhold Grimm und Jost Hermand (Königstein: Athenäum, 1982), S. 58.

2 Gottfried Keller, Gesammelte Briefe, hrsg. Carl Helbling (Bern: Benteli, 1952), Band 111,1, S. 145; vgl. Hans Trog, "Fr.Th. Vischer und Gottfried Keller." Zürcher Taschenbuch, 1908, S. 269. Siehe auch Wendelin Haverkamp, Aspekte der Modernität. Untersuchungen zur Geschichte des "Auch Einer" von Friedrich Theodor Vischer (Aachen: Cobra, 1981), S. 20: "Der gesamte Auch Einer ist Artiku­ lation des A.E.".

3 Reinhold Grimm, "Zur Wirkungsgeschichte von Vischers Auch Einer," in Gestaltungsgeschichte und Gesellschaftsgeschichte. Lite­ ratur-, Kunst- und Musikwissenschaftliche Studien, hrsg. Helmut Kreuzer (Stuttgart: Metzler, 1969), S. 380: Grimm bezieht Kellers Aussage auf den (inneren) Monologcharakter des Tagebuchs, "der frei­ lich durch die Tagebuchform noch konventionell verbrämt und vor sich selber verschleiert ist". Vgl. Dorrit Cohn, Transparent Minds. Narra­ tive Modes for Presenting Consciousness in Fiction (Princeton: Prince- ton University Press, 1978), S. 208: "There are many reasons why the fictional diary is a close relative - and an important ancestor - of the autonomous monologue".

^ Keller, Gesammelte Briefe, Band 111,1, S. 145.

5 W.H. Bruford, "The Idea of 'Bildung' in Friedrich Theodor Vischer's Auch Einer," in Essays in German Language, Culture and Society, hrsg. S.S. Prawer, R.H. Thomas und L. Förster (London, 1969), S. 7, zitiert nach Günter Oesterle, S. 6 8 .

6 W.H. Bruford, The German Tradition of Self-Cultivation. 'Bildung' from Humboldt to Thomas Mann (London: Cambridge University Press, 1975), S. 152: "... he experimented with a multiple approach in his search for a more consistent realism than German novelists had yet attempted".

236 237

Grimm, S. 381. Ein ähnliches Bild findet sich bei Wolf­ gang Kitchbach, mit dem Unterschied, daß er das "obere Stockwerk" als den Mittelpunkt des Romans ansieht, um den "alle die geisti­ gen engeren und weiteren Kreise" angeordnet sind: "Wir werden zu­ gleich erkennen, daß auch unser Vergleich richtig ist, wenn wir be­ haupten, daß sämtliche Kreise um diesen einen Mittelpunkt sich drehen wie die Planeten um die Sonne (meinetwegen können es auch Ellipsen sein) und wie der Schöpfer Himmels und der Erden in sei­ ner Schöpfung sich als einen großen Humoristen erwiesen hat da­ durch, daß er auch die weniger commensurablen Bahnen der Kometen schuf, so werden wir eben aus dieser humoristischen Absicht eini­ ge Kometen und SchweifSterne verstehen, die wie Kometenruthen weit­ hin sichtbar dem großen Leserkreise ungleich mehr auffallen und mehr als die Hauptsache erscheinen, als die unentwegten Planeten, die doch den eigentlichen Grundstock im Baue des Sonnensystems bilden". "Auch eine Rezension - kurz, man versteht mich!" in Ein Lebensbuch (München, Leipzig: Otto Heinrichs, 1886), S. 135. Q Henry James, The Art of the Novel. Critical Prefaces (New York: Charles Sribner's Sons, 1934), S. 109 f. 9 Eine ähnliche Struktur, besonders was die Verwendung des Tagebuchs angeht, findet sich in Lermontovs 1840 veröffentlichtem Roman Held unserer Zeit: "The parts are ordered not with regard to chronology but so that the reader, proceeding from one story to the next, is presented with an increasingly intimate view of the hero. In Bela Pechorin is what might be called a "hearsay" figure. That is, one learns about him only as much as the traveling author hears from the captain. In Maxim Maximych Pechorin is descTibed from a closer vantage point - that of an eye-witness. The point of view then shifts from the exterior to the interior, as we learn of the hero from his own Journal". John Mersereau, Mikhail Lermon- tov (Carbondale: Southern Illinois University Press, 1962), S. 79. Vgl. auch Peter Brang, "Ober die Tagebuchfiktion in der russischen Literatur," in Typologia Litterarum. Festschrift für Max Wehrli, hrsg. Stefan Sonderegger, Alois Haas und Harald Burger (Zürich: Atlantis, 1969), S. 443-66.

10 Haverkamp, S. 7.

11 Robert Curtis Vetrick, "The Observed Mask: A Study of the Witness Narrator in Fiction," Diss. University of Delaware 1973; Peter Irvine, "The 'Witness' Point of View in Fiction," South Atlantic Quarterly, 69 (1970), 217-25; Norman Friedman, "Point of View in Fiction: The Development of a Critical Concept," PMLA, 70 (1955), 1160-1184; Peg Elizabeth Levine, "The Participant- Observer: An American Narrator," Diss. Ohio State University 1983.

12 Levine, S. 11.

13 Robert Scholes, Robert Kellogg, The Nature of Narrative (New York: Oxford University Press, 1968), S. 268. 238

^4 Lawrence Buell, "Observer-Hero Narrative," Texas Studies in Literature and Language, 21 (1979), 93. 1 *5 Levine, S. 9: "The notion that participant-observer narra- tors demonstrate a growth in understanding of themselves and their 1 subjects is one that must be questioned ... the potential for growth and understanding is in the reader more than the narrator...".

16 D.C. Muecke, Irony and the Ironie (London: Methuen, 19822), Hierzu siehe auch Wayne C. Booth, A Rhetoric of Irony (Chicago: University of Chicago Press, 1974).

17 Zur Struktur des ironischen Textes und dem Kodierungs- und Dekodierungsvorgang siehe die Abbildungen im Anhang, die D.C. Mueckes Buch entnommen sind (S. 40 und 41). 1 ft Allan Rodway, "Terms for Comedy," Renaissance and Modern Studies, VI (1962), 113, zitiert nach Muecke, S. 45.

19 Vgl. Vischer, "Mein Lebensgang," in Kritische Gange, Band 2 (Leipzig: Verlag der Weißen Bücher, 1914), S. 535 f.: "Habe ich die Leser gescheiter genommen als sie sind? Es wird so sein, ich kann nichts dafür, es ist mein Schicksal, es ist anderen auch so gegangen. Eines ist ganz gewiß: ich habe sie mehr noch für weniger faul gehalten als sie sind".

20 Ebd., S. 508.

21 Fritz Martini, Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus (Stuttgart: Metzler, 1974-*), S. 436.

22 Martini, S. 432; Ewald Volhard, Zwischen Hegel und Nietz- sche. Der Aesthetiker Fr.Th. Vischer (Frankfurt: Klostermann, 1932), S. 204. 23 Haverkamp, S. 18.

24 Ebd., S. 25.

2^ Dieser Vergleich ist von Max Frisch entlehnt, Tagebuch 1946- 1949 (Frankfurt: Suhrkamp, 1950), S. 22.

2^ Vischer, "Mein Lebensgang," S. 527 f.

27 Ebd., S. 528 f.

28 Martini, S. 432.

29 Ebd.; Vischer, "Mein Lebensgang," S. 519. 239

Friedrich Theodor Vischer, Uber das Erhabene und Komische und andere Texte zur Bsthetik (Frankfurt: Suhrkamp, 1967), S. 202: "... es muß daher ein versöhnter und ein unversöhnter Humor unter­ schieden werden. Der letztere ist daran zu erkennen, daB er es ungewiß läßt, ob er die Idee in ihrem Untergange dennoch fest- halte oder ob nicht ein wirklicher Unglaube an dieselbe, eine ge­ heime Verzweiflung im Hintergrund laure".

3* Martini, S. 433: "Es [das Lachen] spricht nicht wie bei Keller, aus dem Weltglauben, sondern aus einer Weltskepsis. In ihm schwingt nicht ein Trost der Welt, eher ihr Hohn mit, der Hohn des komischen, absurden Zufalls".

7 0 Max Strauß, "Ein Buch über Vischers Auch Einer," Frank­ furter Zeitung, 7. Juni 1917. Vischer zitiert Jean Pauls Charak­ terisierung des Humors, auf die Strauß anspielt, in seiner Ab­ handlung Ober das Erhabene und Komische, S. 197 f.: "Dem Humor bahnt seine Höllenfahrt die Himmelfahrt. Er gleicht dem Vogel Merops, welcher zwar dem Himmel den Schwanz zukehrt, aber doch in dieser Richtung in den Himmel auffliegt. Dieser Gaukler trinkt, auf dem Kopfe tanzend, den Nektar hinaufwärts".

33 Vgl. Auch Einer, S. 485: "Gute Geister! Einen weiß ich. Zu ihm seufze ich, rufe ich, wie der Hirsch schreit nach Wasserquellen".

7 /i %| Vischer, Uber das Erhabene und Komische ..., S. 236.

35 Ebd., S. 238.

36 Vgl. Herman Meyer, Der Sonderling in der deutschen Dichtung (München: Hanser, 1963), S. 224: "Durch diesen Aufbau hat Vischer eine Steigerung erreicht, die uns schon in Hoffmanns Werken begeg- nete: erst lernen wir nur die Außenseite, den "wunderlichen Kauz" ... kennen, dann wird plötzlich der tiefe Hintergrund sichtbar".

3^ Günter Oesterle, S. 49; Herman Meyer, S. 228.

38 Günter Oesterle, S. 49. 39 Haverkamp, S. 63.

Auch Einer, S. 340 f.: "Hinab mit ihr in den Abgrund! - es schoß mir mitten in der Wonne wie ein Blitz,wie ein langer, dünner Dolch durch die Seele. Im Herabklettern gleite ich aus. Sie hält mich. Nur ein Haar fehlte, und ich zerstäubte, war dahin, lagals Schutt, als Nichts im finstern Schachte". KAPITEL 7

AUCH EINER IM KONTEXT DES ROMANS

DES NEUNZEHNTEN JAHRHUNDERTS.

Kehren wir am Ende unserer Untersuchung über die Erzählstruktur von Vischers Auch Einer zum Ausgangspunkt und damit der Frage zu­ rück, welche Bedeutung der Roman für die Gattungsgeschichte bean­ spruchen darf,'1' wie 'modern' das Werk eigentlich ist, und worin diese 'Modernität' besteht. Reinhold Grimm, der die These vom innovativen Charakter des Werkes als erster konsequent entwickelte und es als Signal einer "gattungspoetische[n] Wende" deutete, schwächte die Radikalität seiner Interpretation ab, indem er den

Roman zum "teils verschrobene[n], teils unbeholfene[n] Spätprodukt eines Epigonen" erklärte, das nur "unbewußt, ja gleichsam gegen den

Strich ... ein durchaus moderner Roman" sei. Er sieht demnach im

Auch Einer einen künstlerisch mißlungenen Roman, der gerade durch sein Scheitern zu einer "Etappe auf dem Weg ins 20. Jahrhundert" wird.3 Grimms Zögern, die 'moderne' Form des Werkes als bewußte

Schöpfung Vischers anzuerkennen, hängt damit zusammen, daß er die traditionellen Elemente im Auch Einer überbetont, wie sein Hinweis auf die vermeintliche Epigonenhaftigkeit zeigt. Es ist nicht zu leugnen, daß Vischer sowohl von den Romantikern als auch von zeit­ genössischen Autoren ausgiebig geborgt und eine große Anzahl von

240 241 literarischen Formen in seinem Roman verschmolzen hat:

... der Literaturwissenschaftler [kann] nachweisen, daß es kaum eine bedeutende literarische Prosaform des 19. Jahrhunderts gibt, die im Auch Einer nicht ihr Widerspiel gefunden hat. Goethes, Jean Pauls, Hölderlins, Mörikes, Kellers und Auerbachs Werke sind ästhetisch präsent und bis in parodistische Formen hinein verarbeitet, ähnlich ist der Beziehungs­ reichtum im Feld der Gattungen: Novelle, Roman, Dorf­ geschichte, Tagebuch, Autobiographie, Biographie, Reise­ literatur, Humoreske und Capriccio sind formal gegen­ wärtig ...^

Die literarischen Einflüsse und Vorbilder sind zu zahlreich, als daß wir ihnen hier im einzelnen nachgehen können (außer den genannten Autoren müßten Shakespeare, Cervantes, Lichtenberg,

Sterne, E.T.A. Hoffmann, Kerner, P.J. Stahl und Beresford Er­ wähnung finden).“5 Da die häufigen Rückgriffe auf romantische

Dichtung durch den Haupttheoretiker des 'Idealrealismus1 und aus­ gesprochenen Kritiker der Romantik besonders überraschen, wollen wir sie etwas näher betrachten.^ Vischers kritische Haltung der

Romantik gegenüber, die wir sowohl in seiner Rezension von Mörikes

Maler Nolten als auch dem Jean Paul-Aufsatz beobachten konnten

(siehe Kapitel 2 A.und D.), läßt sich auch in seinem Roman nach­ weisen. Dort verurteilt Einhart die Überbetonung des Phantastischen in den Werken der Romantiker und fordert eine Mischung von Idealis­ mus und Realismus: "Das Ideale stellt die gemeine Ansicht von Welt und Leben auch dann auf den Kopf, wenn es die Dinge ganz naturge­ mäß geschehen läßt" (S. 460). In einer anderen Tagebucheintragung wird A.E. zum Sprachrohr Vischers, wenn er den Übertritt Friedrich 242

Schlegels und Zacharias Werners zum Katholizismus kritisiert und den mit einem Jesuiten konferierenden "Fant" und "Stutzer" Arnheim einen "Romantiker" schimpft (S. 352). Auch wenn Einhart Goldrun

"vom Ernste protestantischer Bildung" predigt, macht er keinen Hehl aus seiner Abneigung denjenigen Romantikern gegenüber, die "sich vom Schimmer des Katholizismus fangen ließen, Schönheit und Wahr­ heit verwechselten":

Ich sag1 ihr, das Wort [pr^dilection artistique] habe sie aus einem Brief Wilh. Schlegels aufgeschnappt, der sei aber auch schon tief genug im LUgenquark gesteckt, nahe genug am Versinken, verlogenes Pack sei das ganze Gelichter gewesen... (S. 352)

Daß Vischer trotz aller kritischen Distanz der Romantik in gewissem Maße verpflichtet ist, zeigt sich am augenfälligsten durch den Tribut, den er Jean Paul im Auch Einer zollt. Die Werke dieses

Dichters, der, obwohl nicht direkt zur Romantik gehörig, doch ge­ wisse Affinitäten mit ihr aufweist,7 finden sich in Einharts Ar­ beitszimmer neben denen Hölderlins, und das folgende Gedicht A.E.s, das "auf dem weißen Blatt vor dem Titel des ersten Bandes" einge­ schrieben ist, ist ein sprechendes Indiz für das wahlverwandtschaft­ liche Gefühl, das Albert Einhart, bzw. Vischer, dem im 19. Jahr­ hundert weitgehend in Vergessenheit geratenen Jean Paul entgegen­ bringt:

Q du, dem unter Narrheit, unter Witzen Der Sehnsucht Zähren an der Wimper blitzen, In Scherz und Schmerzen schwärmender Bacchant! 2 4 3

Der Kunstform unbarmherziger Vernichter! Du Feuerwerker, der romanische Lichter Aufwirft und Wasser, Kies und Kot und Sand!

0 du, dem hart am Uberschwellten Busen Ein Spötter wohnt, ein Plagegeist der Musen, Der Todfeind des Erhab'nen, der Verstand!

Grabdichter, Jenseitsmensch, Schwindsuchtbesinger! Herz voll von Liebe, sel'ger Freude Bringer Im armen HUttchen an des Lebens Strand!

Du Kind, du Greis, du Kauz, Hanswurst und Engel! Durchsicht'ger Seraph, breiter Erdenbengel, Im Himmel Bürger und im Bayerland!

Komm, laß an deine reiche Brust mich sinken, Komm, laß uns weinen, laß uns lachen, trinken, a In Bier und Tranen mächtiger Kneipant! (S. 285)

Einhart identifiziert sich nicht nur mit dem von Dissonanzen und Widersprüchen gekennzeichneten Wesen Jean Pauls, sondern auch mit dessen Geschöpfen, wie z.B. dem Titularbibliothekar und Komikus

Schoppe, der ebenso verzweifelt wie A.E. mit dem Gespenst des Ich ringt: "Fast allgemein unverstanden ist doch J. Pauls Schoppe ge­ blieben, wie ihn das Brüten über das Ich wahnsinnig macht! Es ist Q eines der tiefsten poetischen Motive dieses Dichters" (S. 384).

Bei aller Achtung und Sympathie, die sowohl Einhart als auch Vischer

Jean Paul bezeigen, dürfen wir nicht die kritische Distanz überse­ hen, die im Auch Einer ebenso wie in der Jean Paul-Studie zutage tritt. Obwohl Vischer in seiner Konzeption des Humors Jean Paul nicht unerheblich verpflichtet ist,10 kritisiert er das Uberhand­ nehmen und die Einmischung des Humors in dessen Dichtwerk, da sie auf Kosten der Objektivität gingen (S. 448). Anläßlich des Ab­ schlusses von Einharts Pfahldorfgeschichte lesen wir: 2 4 4

Belehrend ist hierin J. Paul; das humoristische Ich des Dichters drangt sich zersprengend in das Bild, das er geben soll. Er verwechselt Dichter und Ge­ dicht. Er will Narren oder seltsame Begebenheiten vorf(Ihren, und statt dessen führt er seltsam und narrisch vor. So wird der reiche, herrliche Geist ungenießbar, und niemand liest ihn mehr, - leider! Sollte es aber nicht eine schöne Aufgabe sein, zu zeigen, daß es auch einen Humor gibt, der dieser Ver­ suchung widersteht und ein Bild des Narrischen mit der Objektivität des Künstlers entwirft und durch­ führt? Zweite, verbesserte Auflage J. Pauls, der mit Unrecht zu den Toten geworfen ist? Auferstan­ dener, genießbar gewordener J. Paul? (S. 448)11

Diese Aussage, die sich ursprünglich auf A.E.s Pfahldorfge- schichte bezog, wurde sowohl von Friedrich Spielhagen als auch von 12 Berthold Auerbach auf den gesamten Roman angewandt, was zu dem auch heute noch weitgehend gültigen Schlagwort führte, Vischers

Auch Einer stehe in der Nachfolge von Jean Pauls humoristischen

Romanen. So behauptet Georg Ehrhardt: "der geistverwandte Jean

Paul guckte über die Schulter", Johannes Volkelt nennt Auch Einer

"eine Weltanschauungsdichtung ..., die in wesentlichen Stücken an

Jean Paul erinnert", und' Gero von Wilpert vertritt in seinem

Deutschen Dichterlexikon die Ansicht, Vischer sei ein "[h]umorist.- satir. Erzähler in der Nachfolge Jean Pauls, doch ohne echte dichter. Kraft".13 Wie Wilperts Aussage zeigt, hat die Vorstel­ lung von Auch Einer als "Jean Paul redivivus"1^ recht negative Aus­ wirkungen auf die Einschätzung des Romans gehabt, denn ein direkter

Vergleich von Jean Pauls genialen Werken mit Vischers Auch Einer muß verstöndlicherweise zu Ungunsten des letzteren ausfallen. Nur wenige Kritiker besaßen die Kühnheit, Vischer über Jean Paul zu 245

• stellen, wie zum Beispiel Hermann Fischer:

Der Humor des Werks ist dem Jean Pauls ebenbürtig; nicht minder die Fülle mannigfaltiger Beziehungen, nicht minder die in scheinbarem Durcheinander und krummen Wegen sich behagende Anlage des Ganzen. Aber man darf wohl ohne Unbilligkeit gegen den älteren Humoristen sagen, daß der geistige Hinter­ grund des Buches ein bedeutenderer ist als bei Jean Paul. Es ist hier in einem willkürlich, frei ge­ wählten Rahmen, in einer Form, die frei genug ist, um sich der reichsten Fülle des Inhalts zu bequemen, ein Bild der Kämpfe, der Widersprüche, der mannig­ faltig verschiedenen und zersetzten Interessen und Zustände der Gegenwart gegeben, wie es kaum er­ greifender gegeben werden konnte. ^

Während bei einigen Kritikern die Hochschätzung Jean Pauls

und seiner Werke zur Herabsetzung des Auch Einer führte, wurde von

anderen Rezensenten die negative Beurteilung Jean Pauls auf Vischer

übertragen. In welchem MaBe die Aufnahme von Vischers Roman mit

der Rezeptionsgeschichte Jean Pauls verknüpft ist, zeigt Johannes

Scherrs Rezension, die 1907 in den Propyläen erschien: "Um diesen

Ausbund von jeanpaulisierender Unform zu verdauen, dazu gehört ein

unerschrockener Gaumen und ein robuster Magen".16 Im großen und

ganzen hat das Schlagwort von Auch Einer als zweiten, verbesserten

Auflage J. Pauls dazu geführt, daß die Eigenständigkeit des Romans

unterschätzt wurde. Viele Kritiker erlagen der Versuchung, Auch

Einer mit dem Etikett "humoristischer Roman in der Nachfolge Jean

Pauls" zu versehen, und nur wenige machten sich die Mühe, die Unter­

schiede zwischen den beiden Autoren herauszuarbeiten.^ Eine dieser

Ausnahmen ist K.Ch. Planck, der in seiner Rezension Auch Einer als 246

lß "Gegenfüssler J. Pauls" interpretiert. Planck stellt dem ver­

söhnten Humor Jean Pauls den pessimistischen Humor Vischers ent­

gegen, hinter dem die "unversöhnte scharfe und realstische [sic] 19 Form des ganzen jetzigen ZeitbewuBtseins verborgen liegt":

Was J. Paul's Humor seinen Inhalt gab, das war der Kontrast der tiefen und reichen Idealität deutschen Geistes und der damit verbundenen äusseren Kleinlich­ keit und Dürftigkeit ... Jetzt, da wir ein grosses und mächtiges Reich und ein nüchternes Erwerbsvolk ge­ worden sind, ist es gerade umgekehrt das Uebermaass ver­ ständiger Aeusserlichkeit in der Weltanschauung und im Leben, was die schmerzlich unbefriedigte Stimmung und den Humor hervorruft, hinter welchem sie sich verbirgt. Nur darum, weil dies Leben so wenig von menschlich Ide­ alem enthält, wird die reine Naturbedingtheit an ihm so scharf empfunden. Und während J. Paul in der Ueber- schwänglichkeit eines idealistischen Jenseits sich über jene Kleinigkeit des äusseren Daseins, wie über die Natur­ bedingtheit überhaupt hinwegsetzt, so ist es jetzt gerade das noch unversöhnt realistische, nüchtern scharfe Be­ wusstsein der nackten Naturbedingtheit, an das der schmerzliche Humor sich anknüpft, denn so wenig auch jener Kampf mit den kleinen Uebeln für sich schon schmerzlich zu nennen wäre, so wird er es ja doch durch jene hinter ihm stehende allgemeine Grundstim­ mung. Und eben als dieses treffende Gegenbild zu der J. Paul'sehen Grundanschauung, als dieser humoristisch wehmüthige Spiegel einer so ganz in das Entgegengesetzte umgeschlagenen Zeit, wird auch diese Schrift des Verf.s ihren Werth behalten ...20

U Die Uberbetonung von Jean Pauls Einfluß hat auch dazu geführt,

daB andere romantische Dichter, von denen Vischer ebenfalls geborgt

hat, oft nicht gebührend berücksichtigt wurden. So hat zum Beispiel

nur eine Kritikerin die deutliche Anspielung auf E.T.A. Hoffmanns

Kater Murr in der Erzählung Frau Hedwigs erkannt, wo es heißt, daB

A.E.s Lieblingskater "seit einem Eintritt ins mannbare Alter sehr 247 langweilig geworden [sei], ganz rein materiell", und daB "der

Selige ... einmal behauptete], er habe den Kerl überrascht, wie er aus seiner Bibliothek Büchners Schrift: 'Kraft und Stoff' her- 21 vorgezogen hatte und studierte" (S. 262). Kaum berücksichtigt wurde weiterhin, daß schon Anselmus in Hoffmanns Märchen Der goldene Topf ständig vom Zufall geplagt wird und der 'Tücke des

Objekts' zum Opfer fällt. Wie eng Anselmus in dieser Beziehung mit A.E. verwandt ist, zeigen die folgenden Mißgeschicke, die ihnen bei Tisch widerfahren:

... mit Mühe befestigt der Friseur einen kleinen Zopf an meinem Hinterhaupt, aber bei der ersten Verbeugung springt die unglückselige Schnur, und ein munterer Mops, der mich umschnüffelt, apportiert im Jubel das Zöpfchen dem Geheimen Rate. Ich springe erschrocken nach, und stürze über den Tisch, an dem er frühstückend gearbeitet hat, so daß Tassen, Teller, Tintenfaß - Sandbüchse klir­ rend herabstürzen, und der Strom von Schokolade und Tinte sich über die eben geschriebene Relation ergießt.22

... einer Dame, meiner Nachbarin, fällt die Gabel zu Boden, ich will sie aufheben, ein Knopf meines Rockes hatte sich mit teuflischer List unter den Rand der Platte gemacht, hebt sie, wie ich schnell aufstehe, jäh empor, der ganze Plunder, den sie trug, Saucen, Eingemachtes aller Art, zum Teil dunkelrote Flüssigkeit, rollt, rumpelt, fließt, schießt über den Tisch, ich will noch retten, schmeiße eine Weinflasche um, sie strömt ihren Inhalt Uber das weiße Hochzeitkleid der Braut zu meiner Linken ... (S. 30)

Die Vorliebe romantischer Autoren, Novellen oder Märchen in ihre Werke einzufügen, die sich unter anderem bei Hoffmann und

Novalis zeigt (in Der goldene Topf erzählt Serpentins das Märchen von Atlantis, und Heinrich von Ofterdingen enthält sogar drei 248

eingeschobene Erzählungen, darunter das Klingsohr-Märchen), mag

Vischer beeinflußt haben, die Pfahldorfnovelle in das Zentrum

seines Romans zu rücken. Während bei den Romantikern die einge­ schobenen Erzählungen meist als Kontrast und Gegenentwurf zum

Novellen- oder Romanganzen dienen, indem in ihnen der die Wirklich­ keit beherrschende Zustand der Dissonanz und Entfremdung aufgehoben wird, ist die Krisenstimmung, die Vischers Roman charakterisiert, auch in der Pfahldorfnovelle präsent. Wie wir nachweisen konnten, ist "Der Besuch" weder ein "notwendiges Gegenbild zur fortschreiten­ den Identitätskrise des "Auch Einer"" noch die Schilderung "eine[r] mythisch überhöhte[n], gelungene[n] idyllische[n] Lebensweise und eine[r] trotz aller Gefährdungen geglückte[n] kulturelle[n] und 23 zivilisatorische[n] Evolution", sondern vielmehr der Ausdruck von

Einharts Geschichtspessimismus und seiner skeptischen Einschätzung menschlichen Fortschritts. Es zeigt sich also, daß Vischer von den

Romantikern zwar gewisse Techniken borgt, daß er sie jedoch seinen

eigenen Zwecken dienstbar macht.

Weitere Beispiele für diese Aneignung sind die in den Auch

Einer eingestreuten Gedichte, sowie die Träume, die Vischer auf

den ersten Blick "so recht [als] ein Kind der Romantik" erscheinen 2Zi lassen. Betrachten wir sie jedoch genauer, so wird deutlich, daB

diese Gedichte und Träume spezifische Themen des ausgehenden neun­

zehnten Jahrhunderts verarbeiten. So verwendet A.E. für ein Liebes­

gedicht "Sprachbilder aus der neuen Zeit", d.h. der Zeit rapide 249

25 fortschreitender Industrialisierung:

Jetzt schnaube nur, Dampf und brause! Jetzt rolle nur, Rad, und sause! Es geht nach Hause, nach Hause!

Du kannst nicht jagen, o Wagen, Wie meine Pulse mir schlagen! Zur Geliebten sollst du mich tragen!

Vorüber, ihr ragenden Stangen! Verschwindet, ihr Meilen, ihr langen! Wer ahnt mein Verlangen und Bangen!

Auf den Bänken, wie sie sich dehnen! Wie sie schwatzen und gaffen und gähnen! Es ist nichts,' wonach sie sich sehnen.

Dort raset der Sturm durch die Tannen, Zum Dampfe noch möcht' ich ihn spannen, DaB er rascher mich reiße von dannen!

Hinweg aus dem plappernden Schwarme, 0, hin an die Brust, an die warme In die offnen, die liebenden Arme! (S. 363)

Besonders deutlich zeigt sich die Aneignung und Verarbeitung romantischer Elemente in den Gedichten Einharts, in denen sich seine

Faszination mit der femme fatale Goldrun ausdrückt ("Die Nagel­ schmiedin" S. 350 f., "Du reizend Ungeheuer" 5. 366 f.), und die auf die Dichtung des Fin de siecle vorausweisen, sowie in den Träumen

Einharts und des Erzählers. Zwar enthalten die Träume in Auch Einer N ebenso wie die in romantischen Werken Vorausdeutungen (so sieht der

Erzähler A.E.s Tod im Traum voraus), und ermöglichen dem Menschen die

Befreiung von den Dissonanzen der Wirklichkeit, doch liegt ihnen ein weit stärkeres psychologisches Element zugrunde als zum Beispiel den

Träumen im Heinrich von Ofterdingen, von denen Ernst Behler schreibt: 250

"Eine ... Besonderheit dieses Romans ist die Bedeutung der Träume in ihm, wobei aber nicht an Psychoanalyse, sondern an Spiritualis­ mus und den Kontakt mit dem Oberirdischen zu denken ist".^ Günter

Oesterle formuliert den Zusammenhang von "symbolistischer Traumvor­ stellung" und Psychoanalyse im fluch Einer folgendermaßen:

Im AbbauprozeB des Idealismus und der idealistischen Ge­ schichtsphilosophie drängt Vischers Altersdichtung und Altersästhetik in der Form der von ihm theoretisch und künstlerisch entworfenen Traumsymbolik und in Formen der Psychopathologie des Alltagslebens ins historische Vor­ feld der Psychoanalyse vor.27

Ein weiteres Beispiel für die Aufnahme und Verarbeitung ro­ mantischer Techniken durch Vischer ist der den Auch Einer be­ herrschende Polyperspektivismus. Schon Friedrich von Schlegel ex­ perimentierte in seinem 1799 erschienenen Roman Lucinde mit einer polyphonen Erzählweise, indem er dem erzählenden Ich, das in den arabesken Rahmenteilen von Julius verkörpert wird, im bekenntnis­ artigen Mittelteil, den "Lehrjahren der Männlichkeit", einen aukto- rialen Erzähler gegenüberstellt, der eine objektive Darstellung der

OQ Entwicklung des Helden gibt. Auch Brentano bediente sich in seinem

"verwilderten Roman" Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter (1800/

1802) einer polyperspektivischen Technik: der erste Teil, der aus einem Briefroman besteht, wird durch den zweiten Teil, die Erzählung des Autors Maria, modifiziert und teilweise korrigiert, sodaB der

Leser seinen Weg aus "diesem Gewirr von subjektiven Stimmungen und

Perspektiven" selbst finden muB: 251

Im ersten Teil werden uns 28 undatierte Briefe vorge­ führt, deren Verfasser sich unmittelbar aussprechen, während der zweite Teil in die Erzählung des Autors Maria übergeht, der das im ersten Teil spontan Mitge­ teilte in seiner Rätselhaftigkeit ergründet und auf seinen Wirklichkeitsgehalt hin überprüft. Die zwei Teile scheinen demnach im Rhythmus von Selbstschüpfung und Selbstvernichtung, von Enthusiasmus und Skepsis, Passion und Kritik, Subjektivität und Objektivität aufeinander zu folgen.2"

Besonders in den Werken E.T.A. Hoffmanns schlägt sich die Er­ kenntnis, daB Dinge mehrere Seiten haben und je nach Standort des

Betrachters verschieden erscheinen, in einer polyphonen Struktur nieder.30 So wird in der 1816 entstandenen Erzählung Rat Krespel die gleiche Begebenheit einmal von außen durch einen Uneingeweihten

"rein in der Form ihrer äußeren Erscheinung berichtet", wobei der

Eindruck des Unzusammenhängenden vorherrscht,dann von innen durch

Krespel selbst, wodurch die auf den ersten Blick seltsam anmutenden

Vorgänge als durchaus sinnvoll erscheinen: "diese geänderte Perspek­ tive gewährt Theodor - und dem Leser - Einblick in die Voraus­ setzungen und Gründe für die Absonderlichkeiten und veranlaßt ihn dazu, das Wesen des Geschehenen anders, in tieferem Zusammenhang der

Einzelkomponenten wahrer zu deuten".31 Am virtuosesten handhabt

Hoffmann die Mehrperspektivität in den Lebensansichten des Katers

Murr (1819/21), dem ersten konsequent durchgeführten Doppelroman 39 der deutschen Literatur. Die fundamentale Duplizität menschlichen

Daseins findet hier ihren künstlerischen Niederschlag in der Juxta- position von einander entgegengesetzten Sphären, der des eitlen Bil­ dungsphilisters Murr, deren Banalität durch die lineare und chrono­ logische Erzählweise unterstrichen wird, und der des Künstlers 252

Kreisler, dessen Zerrissenheit ihre formale Entsprechung in dem fragmentarischen Charakter der Lebensbeschreibung findet. Diese perspektivische Erzählweise ist darauf angelegt, die dargestellte

Wirklichkeit problematisch erscheinen zu lassen, sie "als das Sich-

Entziehende und deshalb Unausweisbare, als dunkeln Widerschein zu reflektieren" :33

Truth and knowledge are shattered and a few of the frag- ments hidden, so that even when the reader does recon- struct the narrative, a complete whole does not emerge, but only fragmentary points of view.34

Die Hoffmanns Werken zugrundeliegende Einsicht, daß Wirklich­ keit problematisch und ihre vollständige künstlerische Erfassung nicht möglich ist, hat sich in der zweiten Hälfte des neunzehnten

Jahrhunderts noch erheblich zugespitzt, wie Vischers Roman zeigt.

Die Wirklichkeit ist nun dermaßen fragmentiert und widersprüchlich geworden, daß es zu einer Auflösung der Romanform, zu einer "Explo­ sion" des Romans kommt:35 "Die subjektivierte Form des Romans [Auch

Einer] spiegelt eine völlig dekomponierte Wirklichkeit, das ruhe­ lose Zick-Zack und die innere Fragmentarik des aufgescheuchten

Menschen".36 '

Es hat sich somit an einigen Beispielen gezeigt, daß Vischer keinen rein epigonalen und frühere Dichtwerke imitierenden Roman geschaffen hat, sondern daß er vielmehr die anderen Schriftstellern entliehenen Techniken und Motive seinen eigenen Zwecken dienstbar gemacht hat. Günter Oesterle fand ein äußerst passendes Bild für diesen Vorgang der Aneignung, indem er Auch Einer als "Brennglas" 253 bezeichnete, "das bedeutende Gattungen und Formen des 19. Jahrhun­ derts zusammenfaBt und einschmilzt", und das - so wollen wir hinzu- 37 fügen - seinen gebündelten Strahl in das 20. Jahrhundert wirft.

Nachdem wir auf einige Formen eingegangen sind, die Vischers Roman

einschmilzt, wollen wir abschließend fragen, welche Elemente Auch

Einer als Vorstufe des 'modernen Romans' ausweisen. Die Beantwortung

dieser Frage wird dadurch erschwert, daB es keine einheitliche Defi­

nition der Kategorie 'moderner Roman' gibt, und daß einige Literatur­

wissenschaftler die Vorstellung vom 'modernen Roman' grundsätzlich

als "Phantom" betrachten: "Den modernen Roman gibt es nicht - und

ebensowenig eine allgemein gültige Theorie des neueren Romanschaf- 38 fens". Trotz dieses Vorbehalts sei es erlaubt, einige Elemente

herauszuheben, die sowohl in Vischers Werk als auch in einer Anzahl

von Romanen der Jahrhundertwende und des zwanzigsten Jahrhunderts

auftreten, und denen die folgende, einen Großteil moderner Litera­

tur kennzeichnende Haltung zugrundeliegt: "an attitude according to

which the description of conscious and subconscious events take pre-

cedence over action, where subjective nuances of expression and

feeling are more important than communication of "objective" facts,

where reality is filtered through the medium of consciousness, 39 through the impression it leaves on an individual".

Diese Einengung des Romans auf die Innenwelt und die damit ver­

bundene Einsicht, "that external "reality" is shaped by conscious­

ness", führt, wie wir im Auch Einer beobachten können, zum weitge­

henden Verzicht auf eine durchgehende Handlung.^ Die von einigen 25.4

Kritikern beanstandete ''trostlosestet...] Versandung des Gangs 42 der äußeren und inneren Handlung” , die im Tagebuch Albert Ein­ harts in besonders starkem Maße vorliegt, ist kein handwerklicher

Fehler Vischers, sondern in der Zerstörung eines einheitlichen

Handlungsgewebes und dem Verlust der epischen Totalität spiegelt sich vielmehr der Zerfall ganzheitlicher Ordnungen und das "Rat­ lose einer Weltauslegung und Lebensstimmung zwischen Hegel und

Schopenhauer".

In engem Zusammenhang mit der stofflichen Reduktion des Roman­ geschehens steht die Sprengung der zeitlichen Kontinuität.^ Diese

Aufhebung der chronologischen Zeitenfolge wird im Auch Einer un­ mittelbar künstlerisch gestaltet: die in der eigentlichen 'Reise­ bekanntschaft' vorherrschende Chronologie wird im dritten Teil des

Romans durch die Erzählungen von Einharts Freunden und Bekannten zunehmend aufgehoben und durchbrochen und weicht in Einharts Tage­ buch schließlich einem prononcierten "Pointillismus".^5 In den essayistischen und aphoristischen Partien des Tagebuchs wird die zeitliche Dimension sogar außer Kraft gesetzt: die Uhren stehen still, und der Roman nimmt einen statischen Charakter an.^6

Die schwerwiegendste Folge der Konzentration auf den Innenraum des erlebenden Subjekts ist der Wechsel vom allmächtigen Erzähler- bewußtsein zur beschränkten Figurenperspektive: "Es fehlt der Über­ blick, es gibt nur noch den Partialeinblick; der allwissende Erzähler 255 ist tot».4 7 Der Verlust des festen Standortes, den der Tod des allwissenden Erzählers zur Folge hat, wird im fluch Einer durch den häufigen Wechsel von Erzählperspektiven, durch das "unruhigeC...] 48 Licht", das Auerbach beklagt, unterstrichen. Weder der nur teil­ weise zuverlässige Ich-Erzähler noch die Freunde und Bekannten Ein­ harts können ein schlüssiges Bild dieses Menschen -zeichnen. Der

Blick in sein Inneres mit der Hilfe seiner eigenen Schriften ent­ hüllt erst recht ein dissonantes und widersprüchliches Wesen. Dieser auf Romane des zwanzigsten Jahrhunderts vorausdeutende Polyperspekti- vimus und der damit verbundene Verlust eines festen Standpunktes, der in A.E.s Tagebuch seinen prägnantesten Ausdruck findet, zwingen den Leser, sich die "ruhende, zentrale Erzählposition", die im häufigen Perspektivenwechsel nicht auszumachen ist, selbst zu schaf­ fen, "indem er sich aufgrund der perspektivischen Teil-Sichten ori- 49 entiert und zu einer umfassenden Gesamt-Sicht zu kommen sucht".

Auch in dieser Beziehung befindet sich Vischer auf einem Weg, den moderne Autoren mit letzter Konsequenz gegangen sind, indem sie das

Aufsuchen der Totalität, die in einer zersplitterten Wirklichkeit nicht mehr vorhanden ist, dem Leser zur Aufgabe gemacht haben, wie' zum Beispiel Hermann Broch in seinem Roman Pasenow oder die Romantik:

Das Auffächern der erzählten Wirklichkeit in verschie­ denste Positionen muB also im Sinne Brochs als der ein­ zige realitätsgerechte Ausdruck einer Wirklichkeit auf- gefaBt werden, die in unzählige autonome Partialwerte zerfahren ist, aber auch als einzige Chance, die in Teil- werte aufgespaltene Welt doch hoch als ein Ganzes dar­ stellen, sie in ihrer Totalität auffangen zu können. 0 256

Vischers fluch Einer, von den Zeitgenossen entweder oberfläch­ lich als komischer und humoristischer Roman rezipiert oder wegen seiner Formexperimente als schlechter Roman abqualifiziert, befin­ det sich mit seinem Polyperspektivismus, dem Verlust eines festen

Standpunktes, der stofflichen Reduktion des Romangeschehens und der

Aufhebung der chronologischen Kontinuität auf der Schwelle zur Mo­ derne und ist ein "bedeutsame!!r] Punkt auf der Fluchtlinie" zu ihr.51 fluch Einer ist keineswegs nur der dilettantische Versuch des greisen

Ästhetikers, sich auch einmal im Romanschreiben zu versuchen. Es ist auch nicht seine Rache an den Autoren, die ihn mit ihren eigenen

Werken jahrzehntelang "gemartert, gezwickt, geschunden, zersägt,zer- 52 rieben, zerklemmt, zerquetscht und erstickt" haben, oder an den

Kritikern, die sich nun "den Kopf zerbrechen müssen, ob und wieweit 53 es schön sei, und Wenn, warum?" Vielmehr stellt der Roman die von

Vischer gewählte Form dar, um die Situation des Menschen und die Funkti­ on von Kunst zu beschreiben, da ihm ebenso wie Einhart die "Insuffi­ zienzen seiner eigenen Theoriebildung, systematisch-wissenschaftlicher

Argumentation überhaupt" bewußt ist.^ Und hierin liegt der Unter­ schied zwischen Vischer und Albert Einhart, zwischen Schöpfer und

Geschöpf begründet: während A.E. an der Wirklichkeit scheitert und sich in eine Traumwelt zurückzieht, bewältigt Vischer sie im krea­ tiven Akt. Es trifft auch auf .ihn selbst zu, was Vischer über Goethe und Die Leiden des jungen Werther in der 'Selbstverteidigung' schrieb:

Was er selbst gewesen und gelitten, - nein! leidet und ist, schreibt sich der Dichter von der Seele, im Schreiben sich von diesem Sosein und Leiden befreiend.$5 ANMERKUNGEN

Reinhold Grimm, "Zur Wirkungsgeschichte von Vischers Auch Einer," in Gestaltungsgeschichte und Gesellschaftsgeschichte. Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaftliche Studien, hrsg. Hel­ mut Kreuzer ^Stuttgart: Metzler, 1969), S. 381.

2 Ebd., S. 380.

3 Ebd., S. 380.

4 Ingrid Oesterle, "Verübelte Geschichte. Autobiographische SelbstentblüBüng, komische Selbstentlastung und bedingte zynische Selbstbehauptung in Friedrich Theodor Vischers Roman Auch Einer," in Vom Anderen und vom Selbst. Beitrage zu Fragen der Biographie und Autobiographie, hrsg. Reinhold Grimm, Jost Hermand (Königstein: Athenäum, 1982), S. 71.

5 Zu Vischers Vorbildern siehe u.a. Franza Feilbogen, Fr.Th. Vischers 'Auch Einer1. Eine Studie (Zürich: Orell FUBli, 1916), Kapitel III C. und Eduard Berend, "Auch Einer," Das literarische Echo, 22 (1. April 1920), 769-774.

6 Zum Begriff des Idealrealismus siehe Franz Rhöse, Konflikt und Versühnung. Untersuchungen zur Theorie des Romans von Hegel bis zum Naturalismus (Stuttgart: Metzler, 1978), S. 43. Mit Vischers Kritik an der Romantik befassen sich u.a. Georg Kurscheidt, Engagement und Arrangement. Untersuchungen zur Roman- und Wirklich­ keitsauffassung in der Literaturtheorie vom Jungen Deutschland bis zum poetischen Realismus Otto Ludwigs (Bonn: Bouvier, 1980), S. 206 f., Rätus Luck, Gottfried Keller als Literaturkritiker (Bern: Francke, 1970), S. 210-17 und Harvey W. Hewett-Thayer, "The Road to Auch Einer," PMLA, 75 (1960), S. 87 f.

7 Vgl. Uwe Schweikert, Jean Paul (Stuttgart: Metzler, 1970), S. 80: "Kompliziert und vielschichtig ist das Verhältnis Jean Pauls zu den Romantikern. Denn er ist zum einen einer der wichtigsten Vor­ läufer der romantischen Bewegung ... , andererseits hat diese wiederum auf seine Kunst zurückgewirkt."

257 258 Q Zu Vischers ambivalenter Haltung Jean Paul gegenüber siehe Berthold Emrich, "Vischers Auseinandersetzung mit Jean Paul," in Festgabe für Eduard Berend, hrsg. Hans Werner Seiffert, Bernhard Zeller (Weimar: Hermann Bühlaus Nachfolger, 1959), S. 136-59, Gütz Müller, "Zur Bedeutung Jean Pauls für die Ästhetik zwischen 1830 und 1848 (Weisse, Runge, Vischer)," Jahrbuch der Jean Paul- Gesellschaft , 12 (1977), S. 126-36, Peter Sprengel, hrsg., Jean Paul im Urteil seiner Kritiker (München: Beck, 1980), S. LX-LXIII und 361, sowie Uwe Schweikert, S. 8 8 . Q Vischer kommt in seiner Selbstverteidigung ebenfalls auf diese Figur zu sprechen (Kritische Gange, Band 2, S. 509 f.): "Es mag in meinem Wesen liegen, daß ich schon früh eine Neigung verspürte, der Komik nachzugehen, die in schiefgewickelten Naturen liegt. Geweckt wurde die Neigung durch J. Pauls humoristische Charaktere, durch einen Leibgeber-Schoppe (im Siebenkäs und im Titan), aber wohl nur geweckt, eben weil sie da war". Ilse Frapan berichtet in ihren Vischer-Erinnerungen (Stuttgart: Güschen, 1889) von dessen Identifikation mit Jean Pauls Siebenkäs: "Den Sieben­ käs hatte er am liebsten, zitierte ihn auch gern und identifizierte sich oft ganz gemütlich mit dem von der Lenette geplagten armen Siebenkäs" (S. 129).

10 Uwe Schweikert, S. 81; Berthold Emrich, S. 141 ff.

11 Vgl. auch die folgende Stelle aus Vischers Jean Paul-Aufsatz (Ausgewählte Werke in acht Teilen, Teil 7, S. 65): "Im Grunde han­ delt es sich bei diesem Hang zur Formlosigkeit, der sot tief in uns [Deutschen] sitzt, einfach um eine Verwechslung, eine Übertragung des Inhalts auf die Form: statt Närrisches zu beschreiben, lieben wir närrisch zu schreiben, statt den Rausch darzustellen, rauschig darzustellen, statt Krummes und Hartes zu zeichnen, krumm und hart zu zeichnen".

Berthold Auerbach, "Wissen und Schaffen. Aphorismen zu Friedrich Vischer's Auch Einer," Deutsche Rundschau, XIX (1879), S. 292 f.; Friedrich Spielhagen, "Ein 'humoristischer' Roman. Fr. Theodor Vischers Auch Einer." in Beiträge zur Theorie und Technik des Romans, Faksimiledruck nach der 1. Auflage von 1883 (Güttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1967), S. 106: "Also hätte, wie es die Ab­ sicht des Cervantes war, in dem Don Quichotte ein verbessertes Rit­ terbuch zu liefern, Vischers Bestreben darauf abgezielt, mit Auch Einer einen Roman zu produzieren, wie ihn Jean Paul infolge seiner vordringlichen humoristischen Subjektivität und seines Mangels an künstlerischer Objektivität hervorzubringen nicht imstande war". Noch Berthold Emrich mißt Auch Einer daran, inwieweit er eine zweite, verbesserte Auflage Jean Pauls sei (S. 157). 259

1 3 Georg Ehrhardt, "Friedrich Theodor Vischer," Der junge Buchhandel, 20 (1967), S. 40; Johannes Volkelt, "Die Lebensan­ schauung Friedrich Theodor Vischers," in Zwischen Dichtung und Philosophie. Gesammelte Aufsatze (München: Beck, 1908), s7 315; Gero von Wilpert, Deutsches Dichterlexikon (Stuttgart: Kröner, 1963), S. 600. Vgl. auch Kurt-Ingo Fiessaus Charakterisierung von fluch Einer in Gero von Wilperts Lexikon der Weltliteratur. Band II: Hauptwerke der Weltliteratur (Stuttgart: Kröner, 1968), S. 72: "Der autobiographisch-philosophische, von Jean Paul beein­ flußte Roman nimmt durch Inhalt und Form für sich ein".

^ Diese Bezeichnung stammt von Wilhelm Lang, dessen Rezen­ sion "Jean Paul Redivivus," Im Neuen Reich. VIII (1878), 781-89 mir leider nicht zugänglich war. 15 Hermann Fischer, "Friedrich Vischer," in Beiträge zur Literaturgeschichte Schwabens, Reihe 2 (Tübingen: Laupp, 1899), S. 85 f.

16 Zitiert nach Feilbogen, S. 186, Anmerkung 11.

^ Selbst Peter Sprengel, der Vischers "Haßliebe" zu Jean Paul betont, nennt Auch Einer schlechtweg einen "jeanpaulisierende[n] Roman" (S. 361). 18 K[arl] ChCristian] Planck, "Deutscher Humor im Umschwung der Zeiten oder ein Gegenfüssler J. Pauls," Jenaer Litteratur- zeitung, 36 (1879), 490-97.

19 Ebd., S. 491.

20 Ebd., S. 496 f.

21 Feilbogen, S. 172. OO E.T.A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, hrsg. Walter Müller-Seidel (München: Winkler, 1960), S. 181. Walter Müller- Seidel wendet in seinem Nachwort den durch Vischers Roman sprich­ wörtlich gewordenen Ausdruck auf Anselmus an (ebd., S. 764: "der von der Tücke des Objekts verfolgte Student Anselmus"). E. Berend gibt in seinem Aufsatz eine Portraitgalerie von Geistes- und Leidens­ brüdern A.E.s. Außer Anselmus nennt Berend Jean Pauls Amtsvogt Josua Freudei, Kaplan Eymann (Hesperus) und Zuchthausprediger Froh- auf Süptitz (Komet), Tiecks Malerpoeten Labitte (Der Hexensabbath), sowie Hebbels Schneidermeister Nepomuk Schlägel. 260

23 Günter Oesterle, "Die Grablegung des Selbst im Ändern und die Rettung des Selbst im Anonymen. Zum Wechselverhältnis von Bio­ graphie und Autobiographie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun­ derts am Beispiel von Friedrich Theodor Vischers Auch Einer," in Vom Anderen und vom Selbst. Beiträge zu Fragen der Biographie und Autobiographie, hrsg. Reinhold Grimm, Jost Hermand (Künigstein: Athenäum, 1982), S. 61.

2Zt Feilbogen, S. 139. 25 Keith Bullivant, Hugh Ridley, hrsg., Industrie und deutsche Literatur 1830-1914 (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1976), S. 134. Vischer nimmt somit seine frühere Aussage zurück: "das wird man doch nicht noch einmal beweisen müssen, daß zwülf Hengste an einem Fuhrmannswagen schüner sind als eine Lokomotive" (Kritische Gänge, Band 2, S. 186), die Herman Kinder dazu veranlaBte, die theo­ retische Begründung dafür, "warum im deutschen Roman des 19. Jahr­ hunderts so viele Hengste traben und so wenig Eisenbahnen fahren", Vischer anzulasten (Poesie als Synthese (Frankfurt: Athenäum, 1973), S. 74). 26 Ernst Behler, "Der Roman der Frühromantik," in Handbuch des deutschen Romans, hrsg. Helmut Koopmann (Düsseldorf: Bagel, 1983), S. 296.

27 Günter Oesterle, S. 57.

2® Ernst Behler, S. 285.

29 Ebd., S. 289.

30 Lothar Pikulik, Romantik als Ungenügen an der Normalität. Am Beispiel Tiecks, Hoffmanns, Eichendorffs (Frankfurt: Suhrkamp, 1979), S. 322. Vgl. Victor Terras, "E.T.A. Hoffmanns polyphonische Erzählkunst," German Quarterly, 39 (1966), 549-69.

31 Gisela Vitt-Maucher, "Die wunderlich wunderbare Welt E.T.A. Hoffmanns," Journal of English and Germanic Philology, 75 (1976), S. 528.

32 Maureen Therese Krause, "An Analysis of E.T.A. Hoffmann's Double Novel Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Maku~ laturblättern. Herausgegeben von E.T.A. Hoffmann," Diss. Ohio State University 1980, S. 236. 261

Wolfgang Preisendanz, "Eines matt geschliffenen Spiegels dunkler Widerschein. E.T.A. Hoffmanns Erzählkunst," in Festschrift für Jost Trier, hrsq. William Foerste, Karl Heinz Borck (Köln: Bühlau, 1964), S. 429.

3 4 Maureen T. Krause, S. 160.

IC Renate Böschenstein-Schäfer, "Zeit- und Gesellschaftsromans," in Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte Band 7: Vom Nachmarz zur Gründerzeit: Realismus, hrsg. Horst Albert Glaser (Reinbek: Rowohlt, 1982), S. 120.

3^ Fritz Martini, Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus 1848-1898 (Stuttgart: Metzler, 19743), s. 4 3 6 . vgl. ebd., S. 432: "Der Roman [Auch Einer] schildert die Problematisierung des idea­ listischen Weltglaubens an eine harmonische Sinneinheit des Ganzen, des Wirklichkeitsverhältnisses und die damit verbundene Spaltung des Ichbewußtseins, das bei keinem anderen Erzähler mit dieser re­ flektierenden Bewußtheit, mit diesen Widersprüchen und Brüchen, diesem Extremismus der antinomischen Lagen ausgesprochen ist".

3 7 Günter Oesterle, S. 58.

3® Viktor 5mega£, "Zum Problem der Romantheorie," in Deutsche Romane des 20. Jahrhunderts. Neue Interpretationen, hrsg. Paul Michael Lützeier (Königstein: Athenäum, 1983), S. 24 f. ZmegaC betont, " daß ja nicht wenige Züge des "modernen" Romans in ver­ schiedenen Epochen der Vergangenheit auch schon eine Rolle spielten und daß es ebenso bedenklich ist, pauschal von einem traditionellen oder gar "klassischen" Roman zu reden" (S. 16). Vgl. Paul Michael LUtzeler, "Vorwort," ebd., S. 12: "Eine handliche Formel für das zu finden, was die "Modernität" des Romans unseres Jahrhunderts ausmacht, ist nicht möglich".

3^ Volkmar Sander, "Introduction," in Wilhelm Raabe, Novels (New York: Continuum, 1983), S. XVI.

4 0 Ebd., S. XII.

4* Vgl. Bruno Hillebrand, "Zur Romantheorie in Deutschland," in Handbuch des deutschen Romans, hrsg. Helmut Koopmann (Düssel­ dorf: Bagel, 1983), S. 49: "... der moderne Roman verzichtet auf den zweckgerichteten Handlungsfaden".

4^ Hermann Herz, "Fr. Th. Vischer," Die Bücherwelt, 16 (1919), S. 106.

43 Martini, S. 433. 262

^ 2megaS, S. 23 f.

^ Martini, S. 436.

^ Zur zeitlichen Dimension im modernen Roman siehe Walter Jens, "Uhren ohne Zeiger," in Statt einer Literaturgeschichte (Pfullingen: Neske, 1957), 25-58.

^ Bruno Hillebrand, S. 53. Vgl. V. ?megaff, S. 21.

^ Berthold Auerbach, "Wissen und Schaffen," S. 273.

4 9 Andreas Bertschinger, Hermann Brochs Pasenow - ein künst­ licher Fontane-Roman? Zur Epochenstruktur von Wilhelminismus und Zwischenkriegszeit (Zürich: Artemis, 1982), S. 127.

5 0 Ebd., S. 127 f.

Günter Oesterle, S. 59.

^ Vischer, Dichterische Werke (Leipzig: Verlag der Weißen Bücher, 1917), Band III, S. 200. c*z Vischer, Ausgewählte Werke in acht Teilen, hrsg. Theodor Kappstein (Leipzig: Hesse & Becker, 1919), Teil 7, S. 142. ca Wendelin Haverkamp, Aspekte der Modernität. Untersuchungen zur Geschichte des 'Auch Einer1 von Friedrich Theodor Vischer (Aachen: Cobra, 1981), S. VI. ec Vischer, Kritische Gänge , hrsg. Robert Vischer, Band 2 (Leipzig: Verlag der Weißen Bücher, 1914), S. 525. ANHANG

I . Vischers Vorarbeiten und Materialien zum Auch Einer.

Im Deutschen Literaturarchiv/Schiller-Nationalmuseum, Marbach a.N., finden sich unter der Zugangsnummer 42548 Vischers Vorar­ beiten und Materialien zum Auch Einer. Von besonderem Interesse sind a) die folgenden Zeitungsausschnitte und b) handschriftlichen

Aufzeichnungen Vischers:

Zur Pfahldorfnovelle: a) - "Metzikon: Neue Entdeckungen in den Pfahlbauten bei Roben­ hausen. Zur Streitfrage über das Alter der Pfahlbauten," Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 9. Mai 1865.

- "Pfahlbauten in der geschichtlichen Zeit," Schwäbische Kronik, 15. März 1866.

- "Aus der Vorzeit. IV. - Fragmente aus dem Bodensee," Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 30. März 1866.

- "Reste aus der Steinzeit in Griechenland," Schwäbische Kronik, 21. Januar 1869.

- "Die Pfahlbauten auf dem Laibacher Moor," Beilage zur Allge­ meinen Zeitung, 16. Mai 1876.

- "Die Pfahlbaufunde im Laibacher Moor," Schwäbische Kronik, 25. Mai 1876.

- "Die Eiszeit," Schwäbische Kronik, 5. November 1876.

- "Das vielbesprochene Fischessen im Foyer des Reichstages," Schwäbischer Merkur, 2. Dezember 1876.

263 2 6 4 b) - eine Gliederung der Pfahldorfnovelle

- ein Namensverzeichnis der Figuren

- der Speisezettel

- die Zeichnung eines Büffels und Notizen Uber den Bison auf einer Kollegkarte für 1860

- die graphische Darstellung der Prozession anlässlich der Betuchung

- Erwähnung von Owen Prughes Dictionary of Welsh Language (1832) und Martins Histoire de France

- zu Wagner: "Woglinde Weia Waga woge du Welle ... Alberich ... glatter glitschriger Glimmer" auf der Rückseite: "Gib o Grippo..."

- Gedichte: Sende, o Neblige An Grippo

- weiterhin findet sich im Weltrich-Nachlass unter der Zu­ gangsnummer 9616 die "erste Niederschrift Vischers zum Auch Einer, Anfang von Pfahldorfnovelle (Entwurf). Mir von Vischer geschenkt. Weltrich".

Zum Tagebuch: a) - "Eine norwegische Wanderung," Schwäbische Kronik, 5. April 1877.

- "[Die üblichsten Schlachtmethoden. Strafen für Tiermiss­ handlungen]," Der Thierfreund, Juni 1875.

- "Die Jotunfjelde und ihre nächste Umgebung in Norwegen," Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 6 . August 1876.

- "Bilder aus Norwegen," Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 13. Juli 1877. b) - eine Aufstellung der Tagebucheintragungen (1-449) mit Stichworten

- Gedichte: Herr Olaf reitet im weichen Sand Du reizend Ungeheuer Im Kahne, im Kahne 265

Weiterhin finden sich ein handschriftlicher Auszug Robert

Vischers aus der Geschichte der italienischen Malerei von Caval- caselle vom 9. März 1878, einige Seiten aus Karl Ludwig Friedrich von Reichenbachs Buch Der sensitive Mensch und sein Verhalten zum

Ode. Eine Reihe experimenteller Untersuchungen über ihre gegen­ seitigen Kräfte und Eigenschaften (Stuttgart: Cotta, 1854-55),

2 Bände, sowie der fragmentarische Versuch Vischers einer graphischen Darstellung des "Systems des harmonischen Weltalls". II. Chronologischer Überblick über das Geschehen in Auch Einer

1. Juli 1815 Geburt Albert Einharts

1829-1833 Aufenthalt in einem Gymnasium o• Beamter in einem kleinen Landkreis

1847-1848 Reise nach Norwegen; Affaire mit Goldrun; Grabschändung; Konfrontation mit Goldrun, während der er ihr einen Dolch an die Stirn schleudert

Februar 1848 Tod Goldruns (Blutvergiftung); A.E.s Nerven­ fieber; Heilung durch Erik; Bekanntschaft mit dessen Gattin Cordelia

1848 im Kampf für Schleswig Holstein

9. April 1848 in der Schlacht bei Bau; Verwundung

1849 im Amt; Aushebung einer Gaunerbande; Ver­ setzung auf einen größeren Posten

1859 Dienstreise nach Schwaben

1860 Abstecher in die Schweiz; Konzeption der Pfahl­ dorfnovelle; erste Reise nach Italien; Cor­ delias Krankheit

1864 Eriks Tod

1865 A.E. als Abgeordneter in der Kammer; während einer Rede Uberschlägt sich seine Stimme und er wird ausgelacht; Entlassungsgesuch; Sturm auf A.E.s Haus; er tötet einen Mann aus Not­ wehr und wird in einem Prozeß freigesprochen

266 267

1865-1866 zweite Reise nach Italien; A.E. macht die Be­ kanntschaft des Ich-Erzählers; Treffen mit Cor­ delia; peinlicher Vorfall in BUrglen; Selbst­ mordversuch in der Schöllenenschlucht; Exekuti­ on des EBgeschirrs durch A.E. und den Erzähler; die beiden trennen sich; A.E. beendet die Pfahl­ dorfgeschichte in Venedig

1869-1870 dritte Reise nach Italien; A.E. besucht Cordelia; Cordelias Tod; der Erzähler sieht A.E. zufälligerweise auf einem Bahnhof und findet dessen PaB

1870 A.E. will in den Krieg gegen Frankreich ziehen; er verrenkt sich den FuB

2. Sept. 1870 Tag von Sedan

A.E. wird von einem Fuhrmann, der ein Pferd miß­ handelt, niedergestochen; A.E.s Tod

Reise des Erzählers in A.E.s Heimatort; Treffen mit dessen Freundes- und Bekanntenkreis; Sichten der nachgelassenen Schriften

"vor ein paar Jahren im Herbst" der Erzähler besucht erneut die GotthardstraBe; er trifft in Güschenen die Frau, die Zeuge der Strafaktion am Objekte wurde, und in Wasen Cor­ delias Vater, MacCarmon 268

-- Erz./Rc(l. Grenze

Nothing The The Pearl Molher and Son Passage to India Passage The The Killers Sons &Sons Lovers Effi Briest

Tesstt.lh. D'Urbervilles Der Zauberberg

(Anfg.) Wilhelm Meister

(Anfg.) Red Badge o Badge Red f Courage Dornhev & Stm Middlemarch Tom Jones Emma szenische Erzähler in« Ivanhoe •y. zuruck Darstellung Erzähler / Innen-/AuBenpersp. Grenze t (Dialogszene) Persönlicher erscheint

Reflektorfigur \ Barchtster Towers Ich / Er Grenze

BrüderKaramasoff Charaktere Mystery o f Ed. Drood r Ambassadors The Erlebte Rede / Ich ist VanityFair / / außerhalb d.Welld. Le Voveur. Le Planetarium / Mrs Dalloway Gutliver's Travels / (Herausgeber) Ich Ich als (Kap. 5), Herausgeber Das Schloß, Schloß, DerDas Prozeß \ Reflektorfigur Erzahloifig Portrait o fArtist the a as Young Man To the Lighthouse To the Der Tod des DerVergiIdes Tod La (?) Jalousie Schimmeireiter Ich Ich als Zeuge od. Zeitgenosse (Rahmcnerzählcr)

• Ich in der Ich in Weltd. Charaktere Er/Sie = Ich \ \ Ich Ich - Er/Sie pERSONALE HR2ÄHLSITUATION \

f ' / / / Camera Eye? Ulvsses (Calypso) Ulvsses \

/ l.n rilJim und Ulysses (Proteus) Ulysses !L. / erzähl. erzähl. Ich Doktor Fuustus inneren Monol. erIch eb.

Ich / Er Grenze Ich des Ich

erlebend. Ich Ich .\F The Way.ofAIIFIesh Mohy-Dick Vanitv Fair (Kap. 62)

Tristram Sliainly

Innen-/Außenpersp. Grenze

Deuischsttindc

LaJalousie? Henry Esmond Felix Krall (Mollys Monol.) M oll Flanders lluck Finn David Copperfield ------I.’Eiranger Leutnant Gustl FiftyGrand Fury (l-lll) Fräulein Else aiclteri.th. Rye Malone Dies Der grüne Heinrich ( Ulysses

Sound La Nausee Werther H. Clarissa LuModiftcation? kr/.'Rcfl. Grenze X m n -o m z CO H Ja Z m r in CO NI

aus: Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1979). 269

A: der periphere Ich-Erzähler B: A.E. als Erzähler der Pfahldorfnovelle C: Einharts Freundes- und Bekanntenkreis D: Einharts Tagebuch

2. DIE STRUKTUR VON VISCHERS AUCH EINER 270

Rolet and masaga

S0CI0*CULTURAl CONTEXT

MAlF _ LITERAL or PLAUSIBLE (INPUEO) MESSAGE (IMPUEO) SIGNALS

TRANSLITERALOf REAL MESSAGE

‘Coding‘ and ’dteoding'

SOCIO-CULTURAL CONTEXT

'IRONT-WORK’— | AUOIENCE* reu" 131 ^MEAHIHG-*-]r T~ T tÄ T <— INTERPRETER «— MTERPRETATKMH'

3. DER IRONISCHE TEXT aus: D.O. Muecke, Irony and the Ironie (London: Methuen, 19822), S. 40 und 41. BIBLIOGRAPHIE

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