Lenchen Demuth in ihren Erinnerungen an Karl Marx und Friedrich En­ gels und würdigen sie dort meist knapp, aber mit großer Herzlichkeit. 6 Merkwürdig, daß es über diese Frau außer Heinz Monz' Skizze und eini­ gen journalistischen Bemühungen 7 noch keine geschlossene Darstel­ lung gibt. Dazu trägt zweifellos der bemerkenswerte Umstand bei, daß von He­ lena Demuth außer einer Unterschrift keinerlei Zeugnisse von ihrer Hand überliefert sind. Nur aus der Sicht und in schriftlichen Aussagen anderer Menschen stellt sich uns diese Persönlichkeit dar. Versuchen wir trotzdem, aus den Hunderten auf uns überkommenen Mitteilungen über ihr Leben ein Bild zu zeichnen! Heinrich Gemkow Am 31. Dezember 1820 erschien laut Geburtsregister der Bürgermei­ sterei St. Wendel Michel Demuth, "wohnhaft zu St. Wendel, welcher uns erklärte, daß ein Kind weiblichen Geschlechts zu St. Wendel den Helena Demuth - /leine treue Genossin/l heutigen Tag des Monats Dezember um ein Uhr des Vormittags geboh­ ren worden von Catharina Creutz, Ehefrau, wohnhaft zu St. Wendel, von Profeßion nichts, und erzeugt von ihm, Deklaranten, von Profeßion Sie war ein Arbeiterkind und kam aus dem heutigen Saarland. Sie lebte ein Becker, wohnhaft zu St. Wendel, welchem Kind die Vornamen He­ fast fünfzig jahre mit jenny von Westphalen, davon nahezu vierzig mit lena gegeben werden sollen"8. Karl und jenny Marx, schließlich sieben jahre mit Friedrich Engels unter Michel Demuth, geboren am 28. Oktober 1788 in St. Wendel und dort einem Dache und ruht nun fast ein jahrhundert im Marxschen Familien­ auch am 17. Mai 1826 verstorben, war nicht nur Bäcker, sondern neben­ grab auf dem Londoner Highgate-Friedhof. Sie stand stets im Schatten, her auch, zumindest zeitweise, Tagelöhner und Ackerer, was auf einen strahlte aber mit ihrer Güte, Lebensweisheit und selbstlosen Hilfsbereit­ wahrscheinlich winzigen Grundbesitz schließen läßt. Seine Frau Maria schaft auf Hunderte aus. Sie war, um mit August Bebel zu sprechen, Catharina, geborene Creutz, etwa 1792 in Oberlinxweiler geboren und "eine treue Genossin"1. am 11.juli 1848 in St. Wendel verstorben, schenkte ihm sieben Kinder, Die Frau, von der wir sprechen, war Helena Demuth, von ihren sechs Töchter und einen Sohn. Helena war das fünfte Kind. Das Ge­ Freunden zärtlich-schlicht Lenchen genannt. Unter diesem Kosenamen burtshaus in der Obergasse existiert nicht mehr. An seiner Stelle befin­ ist sie in alle seriösen Karl-Marx- und Friedrich-Engels-Biographien ein­ det sich jetzt die Bäckerei Lerner in der heutigen Balduinstraße hinter gegangen. Größere Aufmerksamkeit und Würdigung schenkte ihrem dem Dom. 9 Wirken Luise Dornemann in ihrer Biographie über jenny Marx.2 Heinz Fünf jährig wurde Helena Demuth Halbwaise. Schon als Kind lernte Monz war der erste, der über Helena Demuth eine verdienstvolle bio­ sie bittere Not kennen. Vermutlich war sie noch nicht zehn jahre alt, graphische Skizze mit bemerkenswerten Forschungsresultaten veröf­ als sie "zum Dienen" nach Trier geschickt wurde. 10 Selbst noch Kind, fentlichte, die aber zunächst an recht versteckter Stelle erschien. 3 Ihm mußte sie "für Kost und Logis" anderer Leute Kinder hüten, mußte put­ folgten 1983 Gerhard Bungert und Marlene Grund mit der von ihnen zen und aufräumen. Die Arbeit überstieg ihre Kräfte. Da nahm sie - die herausgegebenen Broschüre "Karl Marx, Lenchen Demuth und die näheren Umstände kennen wir nicht - die Frau des preußischen Regie­ Saar".4 rungsrats johann Ludwig von Westphalen als Hausgehilfin zu sich. Ca­ Einige hundert Mal wird Helena Demuth in der Marx-Engels-Werk­ roline von Westphalen war eine gebildete und gütige Frau. Helena ausgabe erwähnt, darüber hinaus an die hundert Mal in den Briefwech­ wurde gut behandelt und wuchs zusammen mit der sechs jahre älteren sel-Ausgaben aus dem Umfeld von Marx und Engels. 5 Und selbst in den Tochter des Hauses, jenny, auf. Im Laufe der Zeit freundeten sich die noch unveröffentlichten Korrespondenzen der Familienmitglieder und beiden an. Kampfgefährten wird sie häufig genannt, gegrüßt, mit Mitteilungen be­ Als jenny am 19. juni 1843 Dr. Karl Marx heiratete und wenig später dacht, wird von ihrem Ergehen berichtet oder werden Informationen mit ihm ins freiwillige Exil nach ging, blieb Helena bei Caroline von ihr weitergegeben. Etwa ein Dutzend Persönlichkeiten erwähnen von Westphalen zurück, doch nicht für lange. Im April 1845 - Karl und

324 325 Jenny Marx waren inzwischen, aus Köln ging, um dort die Gründung der "Neuen Rheinischen Zeitung" vor­ Töchterchen Jenny nach Brüssel gezogen schickte Frau von ,horoiton machten die beiden Frauen mit den Kindern zunächst in len Helena dem jungen Paar zu Hilfe. Haushaltspflichten und Kinder­ von Westphalen Station. Erst als Karl Marx die Aufent- pflege das zweite Kind kündigte sich schon an innende Sekretä­ Köln erwirkt hatte. konnte er wahrscheinlich im rinnendienste für ihren Mann, dazu zahlreiche Besuche von Gesin­ nungsfreunden - all das drohte Jenny über den Kopf zu wachsen. Da war Lenchen mit ihrem praktischen Sinn und ihren Erfahrungen Retterin die Familie Marx in in der Not. stadt, nur wenige Schritte von der Um Not ging es aber auch im wortwörtlichen Sinn, denn schon hier Zeitung" Quartier bezog. Hier - wie in wurde Schmalhans Küchenmeister im Hause Marx. Als zeit- lernte Lenchen weitere Mitglieder des Bundes der Geld fehlte, um Helena Demuth ihren Lohn auszuzah­ nen, die dann über Jahrzehnte hinweg zu rer Mutter nach Trier zurückschicken. Doch so Karl Schapper und Friedrich Leßner. Auch Jennys enger Caroline Schoeler, die später im Londoner Exil so häufig Gast im Marx war, ist sie spätestens zu dieser Zeit zum ersten Mal begegnet. _ _ wu Doch kaum ein Jahr währte der Aufenthalt in der rheinischen Metro­ mehr und mehr zur treuen Freundin, engen Vertrauten pole. Als der Ausweisungsbefehl Mitte Mai 1849 Marx aus Köln vertrieb, Kampfgefährtin von jenny und Kar!. die Fami und mit ihr Lenchen erneut und nun endgültig den In Brüssel lernte Helena Demuth Friedrich Engels ins Exil antreten. Über Bingen ging die Fahrt nach Trier und dann Frühjahr 1845 in die belgisehe Hauptstadt übersiedelte u Juli weiter über und Brüssel nach Paris. Aber da auch der Marx-Wohnung Quartier bezog. Es begann das jahr Karl Marx Ende August auswies, folgte Mitte sammenarbeit von Marx und Engels an dem Manuskript der "Deutschen lung der Familie nach London. Am 19. Sep­ Ideologie". Noch Jahrzehnte später erinnerte sich Lenchen an das Ge­ zusammen mit Jenny und den Kindern das damals oft nachts durch das Haus schallte, wenn die beiden englischen Boden. London wurde für Freunde bei der Niederschrift des Manuskripts temperamentvoll disku­ die zweite ihres Lebens ihre "Heimat" ein fremdes Land, des­ tierten. sen Sprache sie im Hier in Brüssel begegneten Helena auch zum ersten Mal Männer wie Hatte schon in und Georg Weerth, Ferdinand Freiligrath und joseph brachen nun Leid und Moses Heß und Wilhelm Weitling, joseph Moll und Paul herein, und das fast zwei Janrzennte lang - von Lebensweg kreuz­ ten bewirkten besseren Zeiten abgesehen. ebenfalls tierung, drückende Schulden und erniedrigendes n um ein schwere Krankheiten und den Tod von vier Kindern alle Schrecken respondenzkomitee mit und des Emigrantendaseins mußten die Familie Marx und Lenchen durchle­ Der Brüsseler Aufenthalt fand eine längere Unterbrechung, als He­ ben. Ein Wertstück nach dem anderen, selbst Kleider und Wäsche, wan­ lena Demuth von Juli bis September 1845 Jenny Marx und deren ins Pfandhaus. Nicht nur die Pennies für Schreibpapier, Zeitungen terchen nach Trier begleitete. 12 Wahrscheinlich nutzte sie diesen Auf­ Briefmarken - unerläßlich für Marx' schriftstellerische Arbeit ­ enthalt auch zu einem Besuch ihrer Verwandten. Geld für den Arzt und die Schule, für notwendige Me­ Die äußerlich ziemlich ruhigen Brüsseler jahre fanden jäh ein für Milch und Gemüse. Oft ernährte sich die Fami­ als im Februar 1848 der Revolutionssturm Europa erfaßte. Am 4.15. März Kartoffeln. Ständig drohte Obdachlosigkeit. leitete Helena Demuth den unter empörenden Umständen aus Bel­ Notzeit erwies sich Helena Demuth ausgewiesenen Karl Marx, seine Frau und die nun drei kleinen Kin­ Hilfe für Marx und die Seinen. Ihr praktischer Sinn, nach Paris. Doch der dortige Aufenthalt war nur kurz. Anfang April und Handfertiakeit halfen, auch die schlimmsten Krisen zu Kindern dem nach Deutschland vorausge­ die unzähligen Sorgen Marx mit Engels nach nicht immer war, von

326 327 Karl Marx ganz zu schweigen - mit bewundernswerter Geduld und Doch zurück zu Helena Demuth. Die Liebe und Fürsorge, die sie Standfestigkeit, mit Einfallsreichtum und mitunter Pfiffigkeit. ihrem eigenen Sohn nicht täglich erweisen konnte, schenkte sie den Von Paul Lafargue ist uns eine sehr plastische Schilderung der Rolle Marx-Töchtern. Diese vergalten es ihr lebenslang mit zärtlicher Zunei­ Lenchens im Marxschen Hause überliefert: ,,[ ... ] sie widmete sich [ ... ] gung. Ganz besonders Eleanor schien Lenchen in ihr Herz geschlossen der Familie Marx mit einer solchen Hingabe, daß sie sich selbst völlig zu haben, und die jüngste Marx-Tochter sorgte später durch Briefe und vergaß. [ ... ] Sie war der praktische Hausgeist, der sich in den schwierig­ Aufsätze dafür, daß die Erinnerung an die treue Freundin der Familie sten Lebenslagen zurechtzufinden wußte. Ihrem Ordnungssinn, ihrer nicht verblaßte. Sparsamkeit, ihrem Geschick ist es zu verdanken, daß die Familie we­ Wie alle Mitglieder der Familie Marx bekam Helena Demuth neben nigstens das Allernötigste nie zu entbehren hatte. Sie verstand alles: Sie ihrem Kosenamen Lenchen noch Spitznamen. In den sechziger Jahren kochte und besorgte das Hauswesen, sie kleidete die Kinder an und taucht in Briefen gelegentlich für sie der Name "der Prophet" oder schnitt die Kleidungsstücke zu, welche sie zusammen mit Frau Marx "Nummer zwei" auf,18 später die englische und französische Form ihres nähte. Sie war gleichzeitig Wirtschafterin und Majordomus des Hauses, Namens, Helen und Helene, ab 1882 setzt sich dann in verschiedenen das sie leitete. Die Kinder liebten sie wie eine Mutter, und sie besaß Varianten der Spitzname Nim (Nimmi, Nym, Nimmy, Nimmche, Nymy) über diese eine mütterliche Autorität, weil sie eine mütterliche Zunei­ durch, den ihr nach Eleanors Erinnerung erstmals der kleine Marx-Enkel gung für sie empfand. Frau Marx betrachtete Helene wie eine intime Jean- Lau rent- Frederick Long uet, genan nt Joh n ny, gegeben hatte. 19 Freundin, und Marx hegte für sie eine besondere Freundschaft; er Wie sehr Helena Demuth auch Freunden der Familie Marx Hilfe und spielte Schach mit ihr, und es geschah oft, daß er die Partie verlor. He­ Halt war, bezeugte Wilhelm Liebknecht, der in seinen Erinnerungen lenes Liebe für die Familie Marx war blind; alles, was die Marxens taten, schrieb: ,,[ ... ] ich habe das Lenchen nicht vergessen und werde sie war gut und konnte nicht anders als gut sein; wer Marx kritisierte, der nicht vergessen. War sie mir doch vierzig Jahre lang eine Freundin. hatte es mit ihr zu tun. Jeden, der in den vertraulichen Umgang der Fa­ Und war sie doch in der Londoner Flüchtlingszeit manchmal auch milie gezogen worden, nahm sie unter ihre mütterliche Protektion. Sie meine ,Vorsehung'. Wie manchmal hat sie mit einem Sixpence ausge­ hatte sozusagen die ganze Familie Marx adoptiert." 13 holfen, wenn bei mir Matthäi am letzten war und im Marxschen Haus Dabei lasteten in jenen Jahren nicht nur große materielle Sorgen auf nicht allzugroße Ebbe - denn war dort Ebbe, dann war bei Lenchen Helena Demuth. Hinzu kamen Probleme anderer Art. Sie wurde nichts zu holen. Und wie manchmal hat sie, wenn meine Schneider­ schwanger und gebar am 23.Juni 1851 einen Sohn, dem sie die Vorna­ kunst nicht mehr ausreichte, irgendein unentbehrliches und - aus finan­ men Henry Frederick gab. Der Name des Vaters ist in der Geburtsur­ ziellen Gründen - in absehbarer Zeit nicht zu ersetzendes Kleidungs­ kunde nicht angegeben. 14 Auch später hat Lenchen das Geheimnis der stück kunstvoll für einige Wochen wieder möglich gemacht."20 Vaterschaft nie gelüftet. 15 Schon kurz nach der Geburt gab sie ihren Von Wilhelm Liebknecht stammt auch die einzige Beschreibung von Sohn einer Familie Lewis in Pflege. Die erbärmlichen Wohnverhält­ Lenchens Äußerem. Er nennt die Dreißigerin "zwar keine Schönheit, nisse - drei Erwachsene und vier Kinder in drei kleinen, feuchten Stu­ aber hübsch, wohl gewachsen und mit gar anmutigen und anmutenden ben in 64 (heute 69), Dean Street, im damaligen Armenviertel Soho ­ Zügen. An Verehrern fehlte es ihr nicht, und sie hätte wiederholt gute zwangen sie zu diesem Entschluß, wie drei Monate zuvor schon Jenny Partien machen können" 21. Dieser Schilderung entspricht das bei dem Marx, die auch ihr neugeborenes Töchterchen Franziska außer Haus Fotografen G. W. Secretan, 210a, Tufnell Park Road, in London etwa in einer Amme anvertraut hatte. Die Gefahr war zu groß, daß ein Säug­ der ersten Hälfte der fünfziger Jahre angefertigte Porträt, eine der sechs ling in dieser armseligen und ungesunden Behausung bald sterben überlieferten, zu verschiedenen Zeiten aufgenommenen Fotografien würde. von Helena Demuth. Es zeigt uns ein ebenmäßiges, klares und harmoni­ Frederick Demuth blieb zeitlebens mit seiner Mutter in Kontakt, be­ sches Frauenantlitz mit reichem, dunklem, straff nach hinten gekämm­ suchte sie und wurde von ihr in ihrem Testament als Alleinerbe be­ tem und in Zopf und Knoten verschlungenem Haar. dacht. 16 Er erlernte den Beruf eines Büchsenmachers und wurde später Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre haftete Lenchen der Ingenieur. Frühzeitig organisierte er sich gewerkschaftlich, übernahm ehrenvolle und humorige Beiname "der Generalbevollmächtigte" an, die Funktion eines Kassierers und wurde Gründungsmitglied der Labour und zwar deshalb, weil sie von Ferdinand Freiligrath, der zeitweise für Party in seinem Londoner Wohnbezirk Hackney. Am 28. Januar 1929 Karl Marx die Honorare der "New-York Tribune" vermittelte, die sehn­ 22 starb er in London. 17 lich erwarteten Gelder abholte. Zu anderen Zeiten diente ihr Name

328 329 Marx und Engels als Deckadresse für Sendungen, die vor den Langfin­ fühle der Rivalität? Lesen wir, was sie selbst zu ganz verschiedenen Zei­ gern der Polizei gesichert werden mußten 23 ten schrieb: Im Sommer 1850 - jenny befand sich Helena Demuths hausfrauliches Geschick und ihre Sparsamkeit tru­ Holland, um etwas Geld aufzutreiben teilte sie ihrem Mann mit: wenigstens an "Wenn Du wüßtest wie mir nach Dir und den kleinen Köpfchen bangt. Stunden mit einem ( ... ] Ich weiß wie Du und Lehnehen für sie sorgen werden. Ohne Lehn­ fröhlichen u hätt' ich gar keine Ruhe hier. Sie hat es gar zu schwer"28. reszeit hinaus ins Grüne, meist nach Hampstead Heath, einem n Jahre später, 1861, lautete ein Urteil, das sie an die ihr vertraute sehr beliebten hügeligen Ausflugsgebiet im Nordwesten Londons. Von Louise Weydemeyer im Hinblick auf Lenchen gab: "Fragen Sie Ihren /ie­ Wilhelm Uebknecht ist uns eine humorvolle Beschreibung dieser Aus­ Mann nach ihr; er wird Ihnen sagen, welch einen Schatz ich an ihr flüge überliefert, bei denen "Lenchen mit dem Hungrigsten der Sturm und Wetter mit uns gese- der ihr den Korb tragen halfu74, die Nachhut bildete. Später, auf dem Rückweg, hielt sie dann beim Singen von Volksliedern kräftig mit. Zu Zeit gehörte neben Helena Demuth auch ihre Karl Marx schätzte Lenchens Lebenserfahrung hoch, 'Ihren Mutter­ ster Marianne (eigentlich Anna Maria) Creutz zum Marxschen Haushalt. gesunden Menschenverstand, ihre nüchterne, aber warmher­ Heinz Monz ist es seinerzeit gelungen, das Dunkel über die Dinge und Menschen zu sehen. Überdies verkörperte sie zember 1862 in Marx' Haus verstorbene uMarianne (Lenchens Schwe­ sozusagen das proletarische Element im Hause ster}"30 aufzuhellen. 31 Diese Halbschwester, am 27. juni 1835 geboren, daran bestehen. daß Karl Marx auf Len­ lebte seit 1857 als Hausgehilfin bei der Familie Marx, unterstützte Len­ chens, vom diktiertes U chen und vertrat sie bei deren Abwesenheit. Sie war herzleidend, und Aveling hat uns als sie im Dezember 1862 erkrankte, pflegten Lenchen und Karl Marx ter vernünftigen Ischaftlichen sie bis zu ihrem Tode. jenny Marx widmete ihr in ihren autobiographi­ Gesellschaft gewesen wäre, wie sie es im Kleinen für uns war. Sie hatte Notizen Worte voller Achtung und HerzlichkeitY eine echte Begabung fürs Organisieren und Leiten" 25. ein häufiger Gast im Hause Marx, und Wilhelm Liebknecht, der Helena Demuth über ein jahrzehnt fast verschont. Hatte sie Ende 1860 auf­ lich im Marx-Haus begegnet war, berichtete später, gewiß mit einer mit Prise humorvoller Übertreibung: "Lenchen übte [ ... ] eine Art Diktatur gesund geptlegt, so aus - um das Verhältnis genau festzustellen, möchte ich sagen: Len­ jahres selbst von einer schweren chen hRttp cliA Diktatur im Hause. Frau Marx die Herrschaft. Und Marx es am Nötigsten im Haushalt, geschweige denn, dal5 es Man hat gesagt: vor seinem pflege ausreichte. Ein Hilferuf ging nach Manchester, Mann. Vor Lenchen war Marx es mal sprang Friedrich Engels ein. "Wie soll ich Ihnen für all die Liebe und Frau Marx Treue danken, mit der Sie uns seit jahren in unsern Leiden und Nöten zur Seite gestanden haben!" schrieb jenny Marx erleichtert nach Man möglich gewesen wäre und sie hat ja ihr Leben aber im­ "Ich war so froh, als ich das Fünffache sah von dem, was ich er­ ponieren konnte ihr Marx nicht. Sie kannte ihn mit seinen Launen wartet hatte, es wäre Heuchelei, das nicht einzugestehn, und doch war u26 Schwächen, und sie wickelte ihn um den Finger. gering gegen die Lenchens! Wie freudig leuchteten ihre Imponierend oder nicht, übertrieben oder nicht ­ ~('hpnpn Augen auf, als ich herauflief und ihr sagte: ,Engels hat war, daß Helena Demuth, neben der ständigen finanziellen deine comforts [Stärkungsmittel]."33 Dank der nun Friedrich Engels der Marx-Familie gewährte, an der Seite von Hilfe und auten Krankenkost aenas Lenchen all- Marx entscheidend dazu beitrug, Karl Marx die äußeren Bedingungen für seine wissenschaftliche und politische Arbeit zu schaffen. Niemand n zu beurteilen als Engels, der jahrzehnte später einmal better news zu bringen. Einmal ist langer Jahre Marx .. ] Ruhe zum Arbeiten chen Voraussicht gerettet. Der Doktor ist mit ihr Werk."27 den und hat die besten Hoffnungen." lich gesundete wenn auch nur im Ansatz vielleicht Ge­ vollständig und konnte ihre Rolle als "Majordomus des Hauses"35 wie­ der ohne Einschränkung übernehmen.

331 330 Mitte der sechziger Jahre umfaßte Marx' Haushalt sechs Personen: In den sechziger Jahren begann Helena Demuth, ihre Heimat wieder Karl und Jenny, die nun bereits erwachsenen Töchter Jenny und Laura, zu besuchen. Kontakte zu ihren Verwandten hatten auch in den fünfzi­ das 'heranwachsende Nesthäkchen Eleanor und Lenchen. Zum Haus­ ger Jahren weiterbestanden. Trotz der eigenen Notlage hatte stand gehörten - seit die Familie 1864 in ein geräumigeres Haus im gelegentlich etwas Geld geschicktY 1863 weilte sie zweimal, im Juli und Nordwesten Londons, Maitland Park, 1, Modena Villas, hatte umsiedeln im Oktober, in St. Wendel. 38 Aus Briefen von Karl und Jenny Marx geht können - noch ein Garten und etliche Tiere wie Hühner, Katzen, hervor, daß eine schwere Erkrankung ihrer einzigen noch lebenden Hunde und zeitweise Vögel sowie Schildkröten. Da nutzten Len­ Schwester Katharina Lenchen im Herbst in die Heimat rief. 39 Doch chen die Erfahrungen, die sie als Kind, aufgewachsen in einer ländli- kehrte sie von ihrem Aufenthalt im Saarland wenig befriedigt zurück. Gegend, gesammelt hatte. Trotz der besseren Wohnverhältnisse Die Marx-Familie begrüßte sie indes wie stets mit Freuden, zumal sie hielten aber die materielle Not und der fast permanente Geldmangel "reich beladen mit Himbeeressig, Gelee, Birnenkraut etc. etc."40 heim­ weiter an. Es bedurfte Lenchens ganzer Meisterschaft als sparsame kehrte. Hausfrau und einfallsreiche Köchin, um der Familie das tägliche Brot zu Zumindest 1870 weilte sie wieder in ihrer Heimat. Dort überraschte sichern und Karl Marx erträgliche Arbeitsbedingungen zu schaffen. sie im Juli der Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges. Als am Aus dieser Zeit ist ein Dokument überliefert, das über Lenchens Le­ 6. August auf den nahegelegenen Spicherer Höhen eine der ersten bensvorstellungen und Meinungen, ihre Wünsche und Neigungen In­ Schlachten des Krieges tobte, soll Helena Demuth bei der Bergung und teressantes aussagt. In England waren damals sogenannte confession Versorgung der Verwundeten mitgewirkt haben, was voll und ganz books, Bekenntnisbücher, aufgekommen, in denen Familienangehörige tatkräftigen und hilfsbereiten Natur entsprochen hätte. Freunde auf einen vorgegebenen Fragespiegel zu antworten hat­ Auch in den folgenden Jahren, mit Gewißheit 1873, wahrschein ten. Auch die Marx-Töchter führten derartige confession books, und die 1877 und bestimmt 1888, hielt sich Lenchen besuchsweise bei ihren darin festgehaltenen Antworten von Karl Marx und Friedrich Engels Verwandten auf. 41 Von diesen Kontakten zeugt ebenfalls ein im sind seit Jahrzehnten weithin bekannt. Erhalten sind aber aus dem con­ Marx-Haus Trier aufbewahrtes Altersfoto von Helena Demuth, das den fession book der Tochter Jenny auch die "Bekenntnisse" von Helena De­ knappen Widmungsvermerk "Jakob" trägt, also ihrem Neffen Jakob De­ muth, von Jenny aufgeschrieben am 1. März 1868, die dort unmittelbar in Jägersfreude (heute in Saarbrücken eingemeindet) zugedacht 42 vor denen von Friedrich Engels stehen. Während Engels manche spaß­ war. hafte Antwort notierte, hat Lenchen ganz offenSichtlich zumindest meist Als Lenchen im Spätsommer 1870 aus dem Saarland nach London zu­ ernst und gewissenhaft auf die ihr von Jenny gestellten Fragen reagiert. rückkehrte, wurde ihr Rat gebraucht bei der Einrichtung des Hau­ Als Lieblingstugend nannte sie "Entschlossenheit" und als ihre ses 122, Regent's Park Road, das Jenny Marx für Friedrich Engels ausge­ 43 eigenschaft spontan "Liebe zu den Marx-Kindern". Als Laster, das sie sucht hatte. Damals konnte Lenchen nicht ahnen, daß sie selbst in die Sparkünstlerin par excellence entschuldigt, bezeichnete sie "Ver­ günstig am Rande des Regent's Park gelegenen Haus glückliche schwendung" und das verabscheuungswürdigste "Egoismus". Rüh­ Jahre verbringen würde. rend und humorgewürzt war ihre Antwort, worin ihre Auffassung vom Mit der Übersiedlung von Friedrich Engels nach London wurden auch Glück besteht: "Ein Essen, das ich nicht selbst gekocht habe." Und vom die freundschaftlichen Kontakte zwischen ihm und Lenchen wiederbe­ Unglück? "Von anderen abhängig sein," Als ihre Lieblingsbeschäftigung lebt. Wahrscheinlich lernte Helena Demuth erst Engels' zweite nannte sie "Luftschlösser bauen" - und wie oft mochte sie es in den ent­ Frau, Lydia Bums, genannt Lizzie oder Lizzy, persönlich kennen. Wie behrungsreichen Jahrzehnten ihres Lebens getan haben! Auf die Frage viele Ähnlichkeiten verbanden diese beiden Frauen! Beide Arbeiterkin­ nach dem Charakter, den sie am meisten verabscheut, antwortete diese der und selbst Arbeiterinnen, beide mehr durch Gefühl, Erfahrungs­ geradlinige Natur prompt: "Lassalle". Und die letzte Frage, die ihrer Ma­ und Klasseninstinkt als durch Erkenntnis revolutionär gesinnt und han­ xime galt, beantwortete sie mit: "Leben und leben lassen!"36 Freilich ist delnd, beide aus dieser Gesinnung, ihrer tiefen Menschlichkeit und lie­ nicht ganz auszuschließen, daß einige Antworten auch von Jenny - sie bevollen Zuneigung heraus selbstlos für die Begründer des wissen­ kannte ja die mütterliche Freundin genau formuliert wurden, und schaftlichen Sozialismus sorgend, wirkend, lebend. Uns fehlen doch erlauben uns diese "Bekenntnisse" trotz ihres spielerischen Ur­ dokumentarische Beweise, aber wir dürfen mit Sicherheit annehmen, sprungs interessante Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt daß die damals 46jährige Lizzy und das 50jährige Lenchen sich bald gut 47jährigen. verstanden.

332 333 Mit Beginn der siebziger Jahre begann für Helena Demuth eine Zeit, Doch bedeutete all das für Karl, jenny und Lenchen keine Vereinsa­ in der nicht mehr die quälende Sorge um das tägliche Brot die Stunde mung, denn Engels wohnte kaum fünfzehn Minuten Fußweg entfernt, regierte. Engels konnte von jetzt ab seinem Freund finanziell ein aus­ und auch die Lafargues und Longuets siedelten sich nach einigen Umzü­ kömmliches Dasein sichern, das auch gelegentliche Kurreisen gen schließlich in der Nähe des Elternhauses - seit Frühjahr 1875 41, regelmäßige Erholungsaufenthalte an der See ermöglichte. Maitland Park Road, Haverstock Hili an und waren häufig Gäste. Be­ Zunächst gab es allerdings eine Zeit dramatischer Ereignisse und sonders lebhaft wurde es, als jenny Longuets Ältester, Jean-Laurent­ höchster Anforderungen an alle Mitglieder der Familie Marx, so auch Frederick, von allen liebevoll johnny genannt, mehrfach für lange Zeit an Lenchen: In Paris war der heroische Versuch der Pariser Arbeiter bei den Großeltern Aufnahme fand. Ihn wie auch die anderen Longuet­ und ihrer Verbündeten, die Diktatur des Proletariats zu errichten, von Kinder, die dann so früh die Mutter verloren, schloß Lenchen sofort in der französischen Konterrevolution, unterstützt von Preußen-Deutsch­ Herz und verwöhnte sie mit Zärtlichkeit, Geschenken und Gast­ niedergeschlagen worden Nach der Blutwoche im Mai 1871 er­ freundschaft. goß sich ein Strom von Flüchtlingen aus Paris. Die meisten wandten Für geistreiche Unterhaltung, Geselligkeit und manchmal sogar Tru­ sich nach London. Hier erwarteten sie Hilfe vom Generalrat der Interna­ bel sorgte auch Eleanor Marx, die sich als Mitglied der "Neuen Shake­ tionalen Arbeiterassoziation, der sich auch nach der Niederlage der pro­ speare Gesellschaft" in einem Kreis meist junger Menschen bewegte, letarischen Revolution offen zur Sache der Kommune bekannte. sich des öfteren im Marx-Haus traf. Da wurde der große englische Der Generalrat bildete ein Flüchtlingskomitee, in dem Marx und En­ Dramatiker mit verteilten Rollen gelesen, rezitiert, deklamiert, wurde gels unermüdlich tätig waren und mit ihnen die ganze Familie Marx. gescherzt und auch geschmaust. Welche Rolle Helena Demuth bei die­ Viele der Kommunarden fanden in Marx' Haus eine erste Stätte der Ge­ sen Zusammenkünften spielte, welchen Eindruck sie auf die damals borgenheit, und wochenlang genossen französische Flüchtlinae. aber 22jährige Shakespeare-Verehrerin Marian Comyn machte, können wir polnische Kommunekämpfer, hier Gastfreundschaft u aus deren kaum bekannten Erinnerungen erfahren: Lenchen lernte weitere kampferprobte Revolutionäre kennen, unter "Der Sonntag war bei Familie Marx offizieller Empfangstag, der Tag ihnen CharIes Longuet, Edouard Vaillant, den Polen Walery Wr6­ ,offenen Tür', und gelegentlich verließ sogar Karl Marx für eine blewsky und den Deutsch-Ungarn Leo Frankei, die zu Mitstreitern von Weile sein Arbeitszimmer, um seine Gäste zu unterhalten. Gewöh Marx und Engels im Generalrat wurden. Die gewaltig ansteigenden kam er zu den Mahlzeiten herunter, die in dem im Souterrain gelegenen Haushaltskosten bereiteten jenny Marx und Helena Demuth Eßzimmer serviert wurden und die sich über den ganzen Feiertag hinzu­ Kopfzerbrechen, zumal Karl Marx völlig in den Arbeiten für die Interna­ ziehen schienen. Er hatte einen gesunden Appetit und widmete sich ge­ tionale aufging und daher außer der Unterstützung durch Enaels keiner- nießerisch seinem Essen, das von Helene, der netten alten deutschen Einnahmen hatte. Aber die Hilfe für die verfolgten und Haushälterin, zubereitet war. Sie hat das Schicksal der Fami­ Kampfgefährten ging allen anderen Sorgen vor, und oft wird Lenchen in zum Tode von Karl Marx geteilt. [ ... ] Helene war eine aus­ diesen Wochen an das eigene Elend gedacht haben, als sie nach der gezeichnete Köchin - ihre Obsttörtchen sind mir bis zum heutigen Tag Niederlage der Revolution von 1848/49 mit der Familie Marx bettelarm eine ständige ,süße' Erinnerung. Sie war eine muntere alte Frau, die gol­ und verfemt in London eintraf. dene Ohrringe und ein Haarnetz trug und sich das Recht vorbehalten Um die Wende von den sechziger zu den siebziger jahren gingen im hatte, ,geradeheraus ihre Meinung zu sagen', und zwar nicht zuletzt Marx-Haus noch weitere Veränderungen vor sich, die auch Lenchens auch dem würdigen Doktor. Ihre Meinung wurde mit Hochachtung, so­ Alltag stark beeinflußten. Laura Marx hatte 1868 den französischen Arzt gar Sanftmut von der ganzen Familie entgegengenommen, mit Aus­ Lafargue geheiratet, einen begabten Schüler und mutigen Mitstrei­ nahme von Eleanor, die sie häufig in Frage stellte." ter ihres Vaters. jenny, die älteste Tochter, verband sich 1872 mit Neben der Haushaltsführung konnte sich Lenchen nun manchen frü­ französischen journalisten CharIes Longuet, der ebenso wie Lafargue in her entbehrten Kunstgenuß und manche Mußestunde leisten, aber den Reihen der Kommunarden gekämpft hatte und sich wie die La­ Mitte der siebziger jahre kam als Aufgabe immer häufiger _ nun als politischer Emigrant in England schlecht und recht Krankenpflege dazu. Sie war ihr nicht ungewohnt, hatte sie doch in den lagen mußte. Im Hause Marx blieb nur noch die Jüngste, fünfziger und sechziger jahren sogar bei manchem operativen Eingriff mehr und mehr die Sekretärinnendienste bei ihrem Vater an Karl Marx' Karbunkeln Assistentinnendienste geleistet. Nun nahmen Marx' Kräfte sichtbar ab; Schmerzen, deren Ursache lange uner­

335 334 kennbar blieb, quälten sie; die Kur in Bad Neuenahr 1877 brachte kei­ nuar kenrte Karl Marx, körperlich sterbenskrank und vom plötzlichen nen spürbaren Erfolg. Lenchen sah das Dahinsiechen der Freundin mit seiner Tochter Jenny seelisch gebrochen, nach London zurück. tiefer Sorge, half, wo sie konnte, und fühlte sich doch hilflos gegenü Lenchen und Eleanor Marx wichen kaum von seinem Krankenlager. En­ der tückischen Krankheit, vermutlich Leberkrebs. gels besuchte ihn täglich und berichtete Laura Lafargue minutiös von m Juli/August 1881 begleitete sie Karl Marx und die schwerkranke Marx' Befinden und Lenchens Bemühungen um den Kran nach Paris. an dessen Stadtrand, in Argenteuil, sich die Familie übertrifft sich selbst im Erfinden neuer, für ihn angemessener Ge­ von 1880 niedergelassen hatte. Die Groß­ richte"50, hieß es in einem Brief von Mitte Februar. Doch alle Bemühun­ noch einmal an den vier Enkel­ gen Lenchens, die "ihn gepflegt, wie keine Mutter ihr Kind pflegtfl5 1, erfreuen. Lenchen half im großen Haushalt nach konnten Karl Marx nicht mehr helfen. Er starb am 14. März 1883. Helena besichtigte in Begleitung von Karl Marx und Demuth war die letzte, mit der er sprach, die ihn lebend sah und ihm 45 auch einige Sehenswürdigkeiten der französischen Hauptstadt. erloschenen Augen schloß. Vier Jahrzehnte hatte sie an seiner mußte der Aufenthalt infolge zunehmender Erschöpfung von Frau Marx sein Dasein erleichternd. sein Werk fördernd, sein Genie und einer plötzlichen Erkrankung Eleanors abgebrochen werden. Marx umsorgend. hr voraus und meldete am 19. August aus London dem im Seebad be­ Wie sollte es nun weitergehen? Von Engels: "Mama und Helene sind eben via Falkestone ange­ nur noch Eleanor geblieben, die sich immer stärker zu sie hatten in Boulogne haltgemacht. fl46 Arzt, Arbeiterführer und sozialistischen Schriftsteller am 2. Dezember 1881, entschlief Jenny, bis hingezogen fühlte. Das Haus in der Maitland Park Road mußte über Karl Marx Tag und Nacht oder lang aufgegeben werden und Helena war 62 jahre alt, ohne Ver­ umhegt und gepflegt. Für Karl Marx war es ein mögen, in einem ihr fremdgebliebenen Land. Sollte sie zurück in die nicht mehr verwand, für Lenchen Verlust der von saarländische Heimat, vielleicht sogar den jüngeren Verwandten zur Jahre verehrten und geliebten Freundin und Vertrauten. Last Nun galt all ihre Sorge allein dem stark kränkelnden Kar! Marx, sich eine für alle Beteiligten ideale Lösung an: quälender Husten, ständige Brustschmerzen und nervliche Erschöpfung seit 1878 verwitwet und mit der Haushaltsführung plagten. Die Ärzte wie seine Freunde rieten ihm dringend zu einem Auf­ len Burns, die. _ enthalt in gemäßigterem Klima. Während er das Jahr 1882 an der Südkü­ glücklich, bat Lenchen, zu Inm zu ste Enqlands, in Südfrankreich, Schweiz, Algier und wieder in ren. Sie, die wie keine zweite das Marxsche Haus - ohne spürbare meisten geeignet, die hinterlassene Bibliothek u Besserung -, hütete Lenchen in London das Haus und sorgte für Elea­ literarischen Nachlaß ordnen zu helfen. Bei ihr, die so u nor. Aber es gab für sie angenehme Unterbrechungen: so die gegensei­ zur Familie Marx gestanden, ja zu ihr gehört hatte, würde auch sein tigen Besuche mit Friedrich Engels, von denen sein Stoßseufzer vom Haus in besten Händen sein, würde er die zum Arbeiten nötige Ruhe fin­ 8. Januar 1882 humorig kündet: "Morgen hören hier die Sch[orlemmer] geht zurück nach Manchester, und die Schanzerei fängt mit Freuden auf diesen Vorschlag ein. Nach der Räu­ wieder an, ich freue mich drauf, es wurde bald zuviel. Dienstag bei Len­ des Hauses in der Maitland Park Road zog sie in das geräumige ehen, Freitag bei Pumps, gestern bei Laf[argue]s, heute bei mir - und Haus von Engels. Ein neuer Lebensabschnitt begann. Es wurde eine Morgens ewiges Pilsener das kann nicht ewig dauern. Lenchen gute Zeit, und dies nicht nur, weil ein Hausmädchen ihr fortan war und ist natürlich immer dabei, so daß sie ihre Einsamkeit nicht zu schwere Arbeit abnahm, nicht nur, weil sie wie nie zuvor sehr . len Sorgen ledig war, sondern vor allem, weil sie in Engels einen altver­ Mitte des jahres machte Lenchen - nun allein - eine Auslandsreise. trauten Freund und Kampfgefährten zur Seite hatte, der sie Von Ende Juni bis tief in den Juli hinein besuchte sie erneut Familie Lon­ schätzte und den zu bemuttern sie als Glück empfand. Zahlreiche En­ guet in Argenteuil. 4ß Von dort nahm sie das älteste Söhnchen, den nun gels-Briefe zeugen von dieser kameradschaftlichen Partnerschaft zweier sechsjährigen johnny, nach London mit, um die Mutter zu entlasten. Es so unterschiedlicher Menschen, die die gemeinsame Hingabe an die machte ihr Freude, den Kleinen in London herumzuführen.49 der Arbeiterklasse und eine tiefe gegenseitige Sympathie mit­ Doch Anfang 1883 kamen wieder sehr schwere Wochen. Am 12. Ja­

336 337 Ein Jahr nahmen die Sichtung des schriftlichen Nachlasses und die von Marx begonnener Arbeiten. Daneben wuchsen sprunghaft die An­ Räumung von Marx' Haus in Anspruch. Eleanor Marx half dabei, forderungen, die an ihn als Ratgeber der internationalen revolutionären die Hauptarbeit erledigten Friedrich Engels und Lenchen. Schon am Arbeiterbewegung gestellt wurden. "Denk nur an ungeheure, früher 25. März 1883 konnte Engels Laura Lafargue freudig mitteilen: "Heute zwischen M[arx] und mir geteilte Korrespondenz, die ich seit über fand Nim unter Mohrs Manuskripten ein großes Paket, das den größten einem Jahr allein zu führen habe", schrieb er am letzten Apriltag 1883 wenn nicht den ganzen zweiten Band vom ,Kapital' enthielt ­ an August Bebel und fuhr fort: "Denn die vielen Fäden aus allen Län­ 500 Folio-Seiten." 52 Zwei Monate später dern, die in M[arx']s Studierzimmer freiwillig zusammenliefen, wollen chern, daß es mir viel Spaß macht, diese alten Sachen durchzustöbern, wir doch ungebrochen erhalten, soweit es in meinen Kräften steht."s8 von denen die meisten mich genauso wie Mohr angehen, und es gibt so Hatte Engels, wie er in demselben Brief an Bebel erläuterte, in London vieles, worüber ich lachen muß. Nim hilft mir - es muß schrecklich die besten politischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten für schöp­ Staub gewischt werden! - Und wir lachen so manches Mal herzlich ferisches Arbeiten als Gelehrter wie als "internationale[r] Vertrauens­ über die vergangenen Zeiten." 53 mann des klassenbewußten Proletariats"S9, so schuf ihm Lenchen De­ Anfang Juni fanden die beiden beim Sortieren die von Mäusen ange­ muth in den achtziger Jahren in seinem Haus alle dafür erforderlichen fressenen Manuskriptteile der "Deutschen Ideologie", und sofort be­ Bedingungen. Zwar gab es zunächst gelegentliche Reibereien zwischen gann Engels, daraus Lenchen und Eleanor vorzulesen Dann, im Februar Lenchen und Mary Ellen, genannt Pumps, die trotz ihrer 1882 vollzoge­ 1884, schrieb Engels: "Nim und ich haben jetzt mit den Büchern in Mait- nen Heirat mit dem Kaufmann Percy Rosher noch zeitweise bei Engels Park zu tun"54, und fünf Wochen später konnte er berichten: logierte, ihm auf der Tasche lag und sich nur schwer von ihrer "Prinzes­ haben alle Bücher und auch die book-cases hier, und seit 3 Tagen sinnenrolle" in Engels' Haus trennen konnte, aber mit der Zeit bekam wir dabei, die beiden Bibliotheken zu verschmelzen und zu ordnen. Das Lenchen die Zügel fest in die Hand. ist eine Teufelsarbeit. Nim und ich, wir sind beide ganz erschöpft"55. Sie sorgte für einen regelmäßigen Tagesablauf, der Engels, dem "Ge­ Schließlich, Ende März 1884, war die verantwortungsvolle Aufgabe neral", zusammenhängende, ungestörte Stunden am Schreibtisch si­ bewältigt. "Nim sagt, ihr sei jetzt, da mit dem alten Haus reiner Tisch cherte. Sie genoß es, nun aus dem vollen wirtschaften zu können gemacht worden ist, ein Stein vom Herzen gefallen", schrieb Engels an Engels mit Lieblingsgerichten wie dem rheinländischen Kartoffelku­ Laura Lafargue, "nun könne sie endlich wieder ruhig schlafen; für sie chen, Berliner Pfannkuchen oder dem geschätzten englischen Plumpud­ war es ein Alpdruck, den nicht einmal ein gelegentlicher ,Irish'-Schlum­ ding zu verwöhnen. Als in ihrer Küche dann gar ein Gasofen aufgestellt mertrunk verscheuchen konnte." 56 versetzte sie dies, wie Engels belustigt seinem Bruder Helena Demuths Hilfe bei dieser wichtigen Arbeit, die Engels als Te­ eine wahre Kuchenbegeisterung [ ... L die ich nun ausessen muß".60 stamentsvollstrecker seines verstorbenen Freundes verrichtete, Abends, wenn sich Engels nicht der Korrespondenz oder Lektüre wid­ schränkte sich nicht auf Staubwischen oder technisches Assistieren. En­ mete, um seine angegriffenen Augen zu schonen, saß er gern mit Len­ gels sah in Lenchen seine Vertraute bei der Erfüllung dieses Auftrages. beim Kartenspiel oder beim Gespräch zusammen. Dabei fehlte So konnte er an Laura Lafargue fast beschwörend schreiben: "Alles, was ten ein Pilsener Bier, das beide gleichermaßen liebten, ohne deshalb wir anstreben, ist, das Andenken an Mohr in würdiger Weise zu verewi­ einen guten Wein oder die begehrte Waldmeisterbowle zu verachten. gen, und das erste wird und muß sein die Veröffentlichung seines Nach­ Häufig hatten Engels und Lenchen Logiergäste. Für Freunde standen lasses. Laßt uns mit allen Kräften dazu beitragen, dieses zu errei- immer ein oder zwei Gästezimmer bereit. Alle, die in Engels' Haus ein und aus gingen, rühmten Lenchens Geschick, eine aemütliche. anhei­ Der einzige Mensch, mit dem ich über diese Sache gesprochen habe, melnde und herzliche Atmosphäre zu schaffen ist Nim, und sie ist ganz der Meinung, die ich oben ausgedrückt weilte der Junggeselle Carl Schorlemmer bei habe." 57 ßig über Weihnachten. Mit ihm verstand sich Lenchen prächtig. Dem Bekanntlich widmete sich Engels nach dem Tode von Karl Marx un­ berühmten Chemiker machte es Freude, Lenchen und Mary Ellen eingeschränkt der Aufgabe, das wissenschaftliche und politische Werk Rosher ins Theater oder in ein Restaurant auszuführen. Überhaupt be­ des Freundes fortzusetzen. Für viele Jahre stellte er seine eigenen publi­ suchte Lenchen in den achtziger Jahren häufiger denn zuvor Theater­ zistischen Vorhaben weitgehend zurück und konzentrierte sich auf die vorstellungen, meist mit der vergnügungshungrigen Herausgabe des zweiten und dritten Bandes des "Kapitals" und anderer Durch das mächtige Erstarken der internationalen Arbeiterbewegung

338 339 kamen zahlreiche Besucher aus dem Ausland in das Haus in der Re­ Eine große Freude erlebte Helena Demuth im Frühherbst 1890. In der gent's Park Road. August Bebel war schon seit 1880 ein gern gesehener, "Neuen Zeit", der theoretischen Zeitschrift der deutschen Sozial demo­ wenngleich seltener Gast. Dasselbe galt für den altvertrauten Wilhelm erschien ein längerer Beitrag von Paul Lafargue unter dem Titel Liebknecht, der 1886 auch seine zweite Frau Natalie und 1889 seinen "Karl Marx. Persönliche Erinnerungen".55 Darin vermittelte der französi­ Sohn Theodor dem "General" und Lenchen vorstellte. 61 Karl Kautsky sche Sozialist, der nahezu anderthalb jahrzehnte bei Marx ein und aus und seine Frau Louise, die 1885 für mehrere Jahre nach London übersie­ gegangen war, seinen Lesern nicht nur ein überaus lebendiges und in­ delten, verkehrten oft bei Engels. Seit 1888, als die Schweizer Regie­ formatives Bild von dem Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, rung auf Bismarcks Druck die Mitarbeiter des Züricher "Sozialdemo­ von dessen Arbeitsweise, Lebensstil und Gewohnheiten, sondern ehrte krat" des Landes verwies und Eduard Bernstein, julius Motteler, mit warmen Worten jenny Marx seine Schwiegermutter ­ Hermann Schlüter und Richard Fischer nach London gingen, wurden Lenchen Demuth. Wir haben im ersten Teil dieses Aufsatzes aus den Er- diese ebenfalls gern gesehene Gäste im Engels-Haus. Dasselbe galt für Lafargues an Lenchen zitiert Sätze, die deutlich machen, Arbeiterführer wie Paul Singer, George julian Harney oder Victor Adler auch er wie viele, viele andere die mütterliche Fürsorge dieser Frau erst recht für den alten Freund Samuel Moore. Sie alle genossen nicht nur beobachtet, sondern über Jahrzehnte an sich selbst erfahren mit Vergnügen Engels' Gastfreundschaft und Lenchen Demuths Für­ hatte. Welche verdiente Würdigung für Lenchen, ihre Rolle im Leben sorge. von Marx derart öffentlich anerkannt zu sehen! Der gesel Höhepunkt der Woche war seit Mitte der Seit Mitte der achtziger Jahre tauchen in Engels' Briefen an die La­ ger jahre sonntägliche Tafelrunde bei Engels. Da versammelten sich fargues und andere Freunde immer öfter Bemerkungen über zuneh­ am Nachmittag die Freunde des Hauses - so die Ehepaare Ave­ mende rheumatische und asthmatische Beschwerden bei Helena De­ Rosher, Kautsky, später auch Bernstein - und die gerade in Lon­ muth auf. Aber diese Erscheinungen waren vorübergehend, und auch don anwesenden Gäste zum wohlschmeckenden Dinner. Lenchen saß nahm sie nicht allzu wichtig. Doch im Oktober 1890 erkrankte an der großen Tafel gewöhnlich Engels gegenüber, "nur darauf be­ sie plötzlich ernsthaft, mußte das Bett hüten, hatte hier und dort dacht", wie eine russische Besucherin sich später erinnerte, "jedem Sch merzen. Die von Engels herbeigerufenen Ärzte waren recht ratlos. neuen Gast ziemlich ,liberale' Portionen Fleisch und Salat aufzulegen Bei ihr trat völlige Appetitlosigkeit ein, und ihre Kräfte nahmen rapide ab. und Wein einzuschenken".62 Man debattierte bis tief in die Nacht über Am 4. November 1890 ließ sie in Gegenwart von Friedrich Engels, aktuelle politische Ereignisse, ließ sich Neuigkeiten von den Gästen aus Eleanor Marx-Aveling und Edward Aveling ihr Testament aufsetzen, ord­ dem Ausland erzählen, stritt über brennende Probleme der internationa- nungsliebend bis zuletzt, wenngleich ihre Hinterlassenschaft sehr be­ Arbeiterbewegung. Aber es wurde auch gescherzt und häufig ge­ scheiden war. In ihm hieß es: "Ich vermache alle meine Gelder, sungen, und zu den Fröhlichsten in der Runde gehörten die nun ten und sonstiges Eigentum an Frederick Lewis Demuth von 25, siebzigjährigen Friedrich Engels und Helena Demuth. Gransden Avenue, London Lane, Hackney, E, und da ich körperlich zu Mit Lenchen erörterte Engels alles, was ihn bewegte, darunter auch schwach bin, meinen Namen zu unterschreiben, habe ich das Gegen­ nach seiner Aussage - immer wieder politische Fragen. Ihre Menschen­ wärtige mit meinem Zeichen gezeichnet, in Gegenwart der unterzeich­ Zeugen."66 kenntnis, Lebenserfahrung und jahrzehntelange aufmerksame Beobach- des politischen Geschehens hatten ihre Urteilskraft geschärft. In den frühen Nachmittagsstunden desselben Tages schlief Demuth für immer ein. Als Todesursache nennt die Sterbeurkunde "Wird Fritz [Friedrich 111.] aber besser und B[ismarck)s Stellung gerät 57 in Gefahr, dann, behauptet Lenchen, wird auf Fritz geschossen Darmkrebs und Bauchfellentzündung. werden "63, übermittelte Engels beispielsweise in einem Brief an August Friedrich Engels war tief erschüttert. Er informierte sofort die näch­ sten Freunde: Friedrich Leßner, Bebel und Liebknecht, die Lafargues. Bebel und identifizierte sich mit dieser Meinung seiner Freu begleitete Engels auf den alljährlichen Erholungsreisen, so Seinem Kampfgefährten Friedrich Adolph Sorge teilte er am 5. Novem­ nach Schottland, nach Eastbourne, Folkestone, Jersey und Worthing. ber die Trauernachricht mit und fügte hinzu: "Wir haben sieben ehe jahre hier im Hause zusammen verlebt. Wir waren die zwei Letzten Mehrmals aber reiste sie auch allein und dann stets - in den jahren von der alten Garde von vor 1848. Jetzt steh' ich wieder allein da. Wenn 1883, 1888 und 1890 zu den Lafargues nach Frankreich.54 1888 ver­ band sie diese Reise mit einem erneuten, dem letzten Besuch ihrer Ver­ ( ... ] in diesen sieben Jahren ich [ ... ) Ruhe zum Arbeiten fand, so war das wesentlich ihr Werk. Wie es jetzt mit mir werden wird. weiß ich wandten im Saarland.

341 340 nicht. Ihren wunderbar taktvollen Rat in Parteisachen ich auch mit den Worten: "Daß wir unsere Nimmi verloren ha­ schmerzlich entbehren." 68 ben, das ist ein harter Schlag! Poor old Nimm! Sie war uns allen eine Am 7. November wurde Helena Demuth auf dem H zweite Mutter, und wenn mir Dein Haus ein wirkliches Heim geworden, im Grabe von Karl so verdankte ich das nicht zum mindesten ihr." 74 Friedrich Leßner hob in seinem ergreifenden Brief hervor: "Ich habe dieselbe immer sehr ge­ u achtet sie sagte immer offen, was sie meinte, sie war keine Schmeichle­ Er erklärte, wie rin. Sei ihr die Erde leicht!"75 Und Victor Adler betonte: "Mir war eines Marx den Rat der rührendsten, unvergeßlichsten Bilder, als ich bei meinem Aufenthalt und verwickelten Parteiangele­ bei Dir sah, mit welcher zarten Sorgfalt Du die gute Nimm umgabst .. ]. ,Was mich betriff!', sagte er, ,alle Arbeit, die ich u[nd] welche ganz einzige Freundschaft sie Dir u[nd] allen. Dir von Marx zu leisten fähig war, danke ich zum großen Teil stehen, entgegenbrachte." 76 der Hilfe ihrer Persönlichkeit in meinem Alle Freunde von Engels bewegte neben dem Schmerz über die da­ Überlieferung Eduard Bernsteins rief hingegangene Gefährtin die bange Frage, wie der nun sein jetzt schien die Sonne in meinem Hause, Leben einrichten werde. Der seit über dreißig jahren mit dete Arzt Dr. Edward Gumpert in Manchester schrieb sofort: des Verlusts macht auch ein Brief Karl Kautskys aus Dir gut tun, wenn Du möglichst rasch auf einiqe Zeit von Hause Tagen deutlich. "Was soll nur aus unserem General werden?" sollst Du uns jeder Zeit auf das Kautsky besorgt Bernstein. "Wie elend war er die jahre nach rich Adolph Sorge, den Engels auf seiner Marx! Tod. Wenn er Nimmy nicht bei sich gehabt hätte, hätte er sich zuvor besucht hatte, kam mit einem kaum so erholt [ ... ] Nimmys Verlust ist das Schlimmste! was uns, was Freunde hast Du ja kaum noch der ganzen Partei passieren konnte. Sie konnte ihm über den Verlust wär's! wenn Du zu uns von Marx weghelfen. Wer kann ihm über den ihrigen hinweghel­ meine Frau ist. Bei ihr fen?" 71 8Jahre. _ Friedrich Engels erfüllte auch die traurige Pflicht, dem in Saarburg le­ den vereinsamten Engels um schnelle Nach­ benden Neffen von Lenchen, Adolf Riefer, die Todesnachricht und ein passendes Haus in der Nähe von New York Inhalt des Testaments zu übermitteln. Engels schrieb: "Ich habe Ihnen nte. heute die traurige Mittheilung zu machen, daß meine langjährige Freun­ Engels werden diese und andere freundschaftliche Hilfsan­ din & seit sieben jahren Hausgenossin, Ihre Tante Fräulein Helene De­ haben, aber er schwankte keinen Augenblick in muth am 4. d[iese]s M[ona]ts nach kurzer Krankheit sanft & schmerzlos in London zu bleiben. Wer aber konnte ihm helfen? Da gestorben ist. Wir waren seit 1845 befreundet, & als sie nach eine Hoffnung auf: Louise Kautsky, die erste Frau Karl Kautskys, meines Freundes Marx mir die Freude & Ehre erwies, die die Engels und Lenchen Mitte der achtziger jahre häufig bei sich hatten nes Hauswesens zu übernehmen, fingen für mich jahre der begrüßen können und die sie in ihr Herz geschlossen hatten. jetzt lebte heit, Ruhe & ich kann wohl sagen des häuslichen Glücks an wie sie mir sie in Wien und arbeitete als Hebamme. seit dem Tod meiner Frau 1878 nicht mehr gegönnt gewesen. Das ist Engels schrieb ihr, erzählte von Lenchen Demuths unerfülltem nun alles dahin und für immer. Wir haben sie am Freitag! Wunsch! in ihren letzten Tagen Louise Kautsky bei sich zu haben, und 7. Nov[em]b[e]r in demselben Grabe wo auch Marx & Frau Marx beer­ fuhr fort: "Da sagte ich wie Nimmy: Ach, könnte ich nur die Louise hier digt sind, zur Ruhe gelegt"72. haben. Aber ich wagte nicht, an die Verwirklichung zu denken. [ ... ] was Aus Deutschland und Frankreich, aus Österreich auch geschieht, ich hätte nie mehr Ruhe gehabt, hätte ich nicht I selbstverständlich aus London und Manchester trafen herzliche Bei­ zuallererst und sogleich diese Frage gestellt. [ ... ] leidsbekundungen bei Engels ein. "Du hast an ihr eine zweite Frau verio­ Wir können [ ... ] den ganzen Fall hier durchsprechen als manche Ehefrau Deinen Wünschen und Be- weder als die Alten zusammen oder gehen als die zu eine treue Genossin Dir [ ... ] Ich liebe Sie viel zu sehr, als daß ich war" 73, sch rieb August Karl Kautskv begann seinen Opfer bringen" 79.

342 343 Louise Kautsky antwortete, indem sie kam zunächst besuchsweise. der Familie Marx. In: (), 1. Januar 1953. "npIt13HaHIt1H". In: Doch schon Anfang Januar 1891 konnte Engels seinem Freund Sorge fOHOCTb (MocKsa). 1961, NQ 11, besonders CTp. 77. B. 5YlUIt1H: AeHb HOH6pbe B !\OH' AOHe. In: !\It1TepaTypHaJ1 ra3eTa (MocKsa), 1970, Ng 27, CTp. 7. - Gerhard BungertiMar­ daß Louise bei ihm bleibe. "Ich kann mit Ruhe arbeiten lene Grund: Lenchen Demuth aus St. Wendel. Haushälterin und Geliebte (7) von Karl und besser als je, denn sie wird zugleich mein Sekretär. [ ... ] die Sonne Marx. In: arbeitnehmer. Zeitschrift der Arbeitskammer des Saarland es (Saarbrücken), scheint wieder in meinem Hause. wenn's draußen auch noch so ne­ 1983, H.3, S. 98-101. Vl. Ct\asos: !\eHxeH. In:

344 345 17 Siehe Heinz Monz: Karl Marx, S.361. 45 Siehe Engels an Marx, 6.August 1881. In: MEW, Bd.35, S.14. Marx an Engels, 9.Au­ 18 Siehe Marx an seine Tochter Jenny, 11.Januar 1865. In: MEW, Bd.31, S.443. Paul La­ gust 1881. In: MEW, Bd.35, S. 16. Marx an Carl Hirsch, 6. August 1881. in: MEW, fargue an Jenny Marx (Tochter), 28. Oktober 1868. In: nepen\llcKa KapIla MapKca,

346 347 76 Victor Adler an Engels, 10. November 1890. IMLIZPA Moskau, f. 1, op.5, d.5086. 77 Edward Gumpert an Engels, 11.November 1890. IMLIZPA Moskau, f.1, op.5, d.6814. 78 Friedrich Adolph und Katharina Sorge an Engels, 18. November 1890. IML/ZPA Mos­ kau, f. 1, op.5, d.5090. 79 Engels an Louise Kautsky, 9. November 1890. In: MEW, Bd.37, S.500. 80 an Friedrich Adolph Sorge, 3. Januar 1891. In: MEW, Bd.38, S.3. 81 Enqels an Edouard Vaillant, 5. Dezember 1890. In: MEW, Bd.37, S. 513.

Horst Schlechte

Wilhelm Adolph Lafaurie*

Marx, zu den konsequenten blik Deutschland

revolutionär-demokratischen Bewegung .1 Dagegen wur­ Gerechten beziehungs­ 844 bis 1851 zeitweilig be­ bekannt. 2 Fast völlig unerforscht ist Lafauries zwischen 1841 und 1866,3 kaum gewürdigt seine in der demokratischen Bewegung Schleswig-Holsteins seine Tätigkeit in Kiel und Hamburg. am 17. Januar 1816 als Sohn des in Hamburg auf dem Neuenwalle ansässigen, aus Bordeaux stammenden Kaufmanns Pierre und der gleichfalls einer Hamburger Kaufmannsfamilie franzö- Herkunft angehörenden Henriette Le Marchand geboren. 4 Seit seinem 12. Lebensjahr war er Vollwaise. Bis 1835 besuchte Lafaurie die Gelehrtenschule in Altona, danach ein Jahr das Hamburger Gymnasium. Ab Mai 1836 betrieb er an der Univer­ sität Kiel zunächst philosophische, historische und philologische Stu­ dien, wählte dann aber Staatswissenschaften und politische Ökonomie als Hauptrichtungen. 1837 ging er nach Jena, wo er der Burschenschaft beitrat, von Mai 1838 bis März 1839 - zur gleichen Zeit wie Marx stu­ dierte er in Berlin. Er besuchte hier unter anderem die Vorlesungen namhaften Hegel Nachfolgers Eduard Gans, der die konservative histo­ rische Rechtsschule Friedrich earl von Savignys bekämpfte,

348 349