„Ich will Geschichten erzählen“ Der Modefotograf , 57, über abstürzende Ufos, und das richtige Lebensgefühl

6 4/2002 Kultur SPIEGEL Kultur SPIEGEL 4/2002 7 Lindbergh-Fotos mit Valetta als Außerirdischer, Marsmenschen-Inszenierung

8 4/2002 Kultur SPIEGEL INTERVIEW: MARIANNE WELLERSHOFF Lindbergh: Also ehrlich gesagt: Was ändert sich denn da großartig? Ob die KulturSPIEGEL: Herr Lindbergh, Kleider etwas enger oder etwas weiter früher galten Modefotos als Kommerz, sind, ist vielleicht für die Modewelt heute werden Ihre Bilder sogar im ein Ereignis, aber für den Rest der Moskauer Puschkin-Museum ausge- Menschheit? Für mich ist Mode ein stellt. Freuen Sie sich darüber? Accessoire, mit dem Menschen ihre Lindbergh: Ja, klar. Und ich finde Persönlichkeit darstellen können. diese Entwicklung insgesamt richtig. KulturSPIEGEL: Sie haben mit Ih- Ist es denn Kunst, wenn ein Kunst- ren porträtartigen Schwarzweißfotos schulabsolvent langweiligen akade- , Tatjana Patitz, Nao- mischen Quatsch malt oder Georges mi Campbell oder Braque abkupfert? Die Diskussion um zu den Supermodels der achtziger und Kunst und Kommerz ist überflüssig: neunziger Jahre gemacht. Inzwischen Ein Bild ist gut, wenn es Emotionen haben die sich alle weitgehend aus auslöst und interessant ist, egal, wer es dem Geschäft zurückgezogen. Wen fo- warum und wofür gemacht hat. tografieren Sie jetzt? KulturSPIEGEL: Wirklich? Ist ein Lindbergh: Das ist wirklich ein Pro- Modefoto nicht selbst etwas Modisches blem. Ich habe mit denen angefangen, mit der Halbwertszeit von einer Saison? als sie Teenager waren, dann sind sie, Lindbergh: Ich persönlich habe mei- ohne dass es mir bewusst wurde, er- ne Bilder immer als Frauenporträts wachsene Frauen geworden. Als sie verstanden und nicht als Kleiderpor- 33 Jahre alt waren und abtraten, da träts. Deshalb halte ich mich auch von stand ich vor einem Loch und musste der ganzen Modewelt fern. Ich gehe auf 17-Jährige zurückgreifen. Das war aus Prinzip nicht mehr zu den Schau- so schwierig, dass ich im Jahr 2000 be- en, ich bin nie bei den großen Abend- schlossen habe, in meinen Bildern ei- essen, wo sich alle treffen. Wenn ich ne Zeit lang Geschichten zu erzählen. meine Inspirationen aus Zeitschriften KulturSPIEGEL: Zum Beispiel? oder Schauen bezöge, dann würde ich Lindbergh: Ich habe eine Serie mit am Ende dasselbe wie alle anderen Milla Jovovich und Karen Elson ge- machen. Meine Ideen kommen mir macht, in der Ufos landen, oder eine zum Beispiel, wenn ich morgens eine andere, in der ein Ufo abstürzt, aus- halbe Stunde lang meditiere. brennt und die Marsmenschen in der KulturSPIEGEL: Müssten Sie sich Wüste Gefangene nehmen. im Grunde nicht im gleichen Rhythmus KulturSPIEGEL: Wächst mit Frauen wie die Mode neu erfinden, die alle wie Gisele Bündchen eine neue Grup- sechs Monate einen Trend ausruft? pe von Supermodels heran?

Kultur SPIEGEL 4/2002 9 Lindbergh: Nein. Es gibt einen ent- scheidenden Unterschied zwischen der Generation Linda und der Generation Gisele: Die früheren Supermodels sind mit der und durch die Fotografie groß geworden, die wussten, wie man das Gesicht dreht, damit es optimal aus- geleuchtet ist. Die neuen Mädchen sind durch Modenschauen Stars ge- worden und haben von Fotografie keine Ahnung. KulturSPIEGEL: Das klingt, als sei Ihre Arbeit schwieriger geworden. Marc-Jacobs-Werbemotiv von Teller Lindbergh: Auf jeden Fall ist die At- mosphäre weniger künstlerisch. Von jemandem wie Gisele, die wirklich toll aussieht, gibt es, im Gegensatz zu Linda, kein einziges Foto, das die Zeit überdauern wird. KulturSPIEGEL: Also keine Super- models mehr, und einen alles domi- nierenden Modetrend gibt es auch nicht. Gilt Ähnliches für die Fotografie? Lindbergh: Die Trends in der Foto- grafie hängen maßgeblich mit dem je- weils aktuellen Frauenbild zusammen. Vor 15 Jahren saßen die Frauen in den Fotograf Lindbergh Modestrecken der amerikanischen „Vogue“ ganz geleckt auf dem Sofa: nen dreckigen, vorgeblich authenti- die Haare, das Make-up, alles perfekt, schen Bildern. in der Hand eine Tasse Tee. Damals Lindbergh: Und das war auch gut so: fragte mich der Editorial Director der Es ging bei der Werbung mit Super- amerikanischen „Vogue“, Alexander models um so viel Geld, dass die un- Liberman, warum ich nicht für sein bedingt perfekt aussehen mussten. Die Magazin arbeiten wollte. Ich antwor- Gesichter wurden totretuschiert, und tete, weil mir das Frauenbild nicht ge- dieses saubere Schönheitsideal domi- fiele. Und dann durfte ich eine Bil- nierte den ganzen Markt. Auf solche derserie nach meinen Vorstellungen -Schönheiten wie Cindy Craw- machen. ford, die keinen Pickel, keine Falte KulturSPIEGEL: Wie sah die aus? haben durften, haben Fotografen wie Lindbergh: Ich habe die Neulinge Jürgen Teller reagiert und dann schö- Linda Evangelista, Christy Turlington ne Frauen mit Rändern unter den Au- und Tatjana Patitz genommen und gen absichtlich hässlich gemacht. habe sie in weißen Hemden ohne KulturSPIEGEL: Was hielten Sie da- großes Make-up am Strand von Los mals davon? Angeles fotografiert. Der Art-Director Lindbergh: Ich fand diese Antihal- verstand die Bilder überhaupt nicht, tung sympathisch. Aber ich bin froh, schnitt die Köpfe aus den Bildern und dass ich weder zur Glamour-Fraktion druckte sie in Briefmarkengröße ab. noch zur Anti-Glamour-Fraktion ge- Ich war total beleidigt. Als einen Mo- hört habe, sondern meinen eigenen nat später „Vogue“- Weg gegangen bin. Als ganz junger Chefin wurde, zog sie meine Fotos aus Modefotograf habe ich nur mit ei- der Schublade und sagte: „So etwas nem riesigen Teleobjektiv gearbeitet, will ich haben.“ weil mein Vorbild Hans Feurer das KulturSPIEGEL: In den frühen machte. Erst als ich das bemerkte, neunziger Jahren gab es dann wieder habe ich angefangen, ich selbst zu einen Umbruch in der Fotografie: werden. Wolfgang Tillmans und Jürgen Teller KulturSPIEGEL: Inzwischen ist es erfanden den „Heroin-Chic“ mit sei- mit dem Heroin-Chic vorbei, und Gla-

10 4/2002 Kultur SPIEGEL andererseits die Kunden identifizie- ren können. Bei Jil Sander zum Bei- spiel war dieses Gleichgewicht zuletzt gestört. Die Kampagnen waren sehr schön, aber zu avantgardistisch. Sie hatten nichts zu tun mit Jil Sanders einfacher, gerader Art zu denken. KulturSPIEGEL: Wie sprechen Sie sich zum Beispiel mit Giorgio Arma- ni ab? Lindbergh: Armani, für den ich seit Jahren die Werbekampagnen fotogra- Prada-Anzeige von David James fiere, hat ein sehr simples Konzept: Er sagt: „Ich habe sechs Monate an mei- nen Sachen gearbeitet, also sollen sie auch gut zu sehen sein.“ Da ist nichts mit ein bisschen unscharf oder einem großen Porträt und nur einem Rest von Hemdkragen. Anderen dagegen, besonders nicht so bekannten De- signern, kommt es vor allem darauf an, ein Lebensgefühl zu zeigen. KulturSPIEGEL: Ist die Vermittlung eines Lebensgefühls nicht sowieso die wichtigste Funktion eines Modefotos? Iceberg-Werbung von LaChapelle, Bottega- Lindbergh: Transzendieren ist das Veneta-Kampagne von Sundsbø gern benutzte Wort dafür. Aber dabei darf es nicht bleiben: Das Gesamtwerk mour ist, wie in den digital bearbeite- eines Fotografen muss eine von wech- ten Bildern von Sølve Sundsbø oder selnden Lebensgefühlen unabhängige den seltsamen Fotos von David La- und klare Haltung haben, sonst landet Chapelle, wieder erlaubt. man beim modischen Chichi, und al- Lindbergh: LaChapelle ist ein Ein- les war umsonst. Natürlich muss man zelgänger. Ich fand den lange ganz ab und zu auch Bilder machen, die furchtbar, weil seine Inszenierungen dem eigenen Stil total widersprechen. so übertrieben sind. Aber der Junge ist KulturSPIEGEL: Was bedeutet das hart bei seinem Stil geblieben und hat in Ihrem Fall? solche Mengen von Bildern gemacht, Lindbergh: Viel Make-up, übertrie- dass ich mich an sie gewöhnt habe. Er bene Haare, so wie ich Amber Valetta hat mich durch Quantität von der als Marlene Dietrich oder als Außerir- Qualität überzeugt. dische für die italienische „Vogue“ fo- KulturSPIEGEL: Prada zeigt in sei- tografiert habe. Manche Sachen erspa- ner aktuellen Kampagne gar keine re ich mir aber: Gerade sind komische Mode, sondern Sportler beim Turnen Winkel in Mode, so dass man von den oder Turmspringen. Was halten Sie Mädchen nur die Nasenlöcher sieht. davon? KulturSPIEGEL: Welche Fotografen Lindbergh: Ich finde es großartig, machen diese Bilder? wenn Designer es sich erlauben kön- Lindbergh: Ich habe keine Ahnung. nen, nur ihren Namen unter ein wun- Die sind schon wieder aus dem Ge- derschönes Bild zu schreiben. Das schäft, bevor man sich den Namen zeigt, dass die Marke etwas erreicht überhaupt merken konnte. Was ja hat. auch traurig ist. KulturSPIEGEL: Das heißt, die Bil- der prägen heute das Image einer Mar- Ausstellungen: ke mehr als die Mode selbst? „Invasion“. Galerie Hans Mayer, Düsseldorf, Lindbergh: Im Idealfall ist das Mo- Tel. 0211/13 21 35 (bis 13.4.). „Archeology of Elegance“. Deichtorhallen defoto eine Synthese aus der Kleidung Hamburg, Tel. 040/32 10 30 (26.4.–25.8.). und aus dem Look, den einerseits der „Unified Messages“. Galerie Camerawork, Designer anstrebt und mit dem sich Berlin, Tel. 030/31 50 47 83 (4.5.–28.6.).

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