Die Katholischen Bischöfe Und Der 17. Juni 1953
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269 Die Kirchen in der DDR haben die Streikenden einer verbreiteten Meinung nach am 17. Juni 1953 allein gelassen. Wohl auch infolge dieses gängigen Geschichtsbildes ist die Rolle der kleinen katholischen Diasporakirche bislang wenig erforscht worden. Chri- stoph Kösters nimmt sie in seinem Beitrag genauer unter die Lupe und kann sich dabei auch auf neuere Ergebnisse einer von ihm bearbeiteten Aktenedition der Kommission für Zeitgeschichte stützen. Die katholische Kirche, zu diesem Schluß kommt Kösters, hatte gute Gründe, während des Aufstandes nicht die Machtfrage zu stellen. Welcher Art diese Gründe waren, wird im vorliegenden Beitrag deutlich. Christoph Kösters Die katholischen Bischöfe und der 17. Juni 1953 Der Juni-Aufstand von 1953 in der DDR ist zwar mittlerweile gut erforscht, doch fällt ins Auge, daß sich nur wenige Beiträge mit der Rolle der christlichen Kir- chen auseinandersetzen1. Der Befund spiegelt nicht zuletzt die weitgehende Zurückhaltung von protestantischer und katholischer Kirchenführung während dieser Krise der SED-Diktatur wider. Die katholische Kirche, so hat man sogar pointiert formuliert, sei als konfessionelle Minderheit nicht primär im Blickfeld der SED-Religionspolitik gewesen; sie habe sich deshalb leichter „wegducken“ können und sei „keineswegs mit derselben zielgerichteten Intensität verfolgt wor- den wie die Protestanten“2. Das gängige Geschichtsbild hat Hubertus Knabe wie folgt bilanziert: „Die Kirchen, so muss man in der Rückschau konstatieren, ließen die Streikenden im Juni 1953 allein.“3 Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß die bisher in der DDR-Forschung erarbeiteten größeren Linien, Zusammenhänge und Begriffe samt ihrer gelegent- lich unverkennbaren geschichtspolitischen Intention der ständigen kritischen Kon- 1 Vgl. den Tagungsband von Martin Greschat/Jochen-Christoph Kaiser (Hrsg.), Die Kirchen im Umfeld des 17. Juni 1953, Stuttgart 2003, darin der Überblick von Martin Greschat, Reaktionen der evangelischen Kirche auf den 17. Juni 1953, S. 85–104; vgl. außerdem den dort nicht rezi- pierten Beitrag von Wolfgang Tischner, Die Kirchen im Umfeld des Volksaufstands vom 17. Juni 1953, in: Historisch-Politische Mitteilungen 7 (2000), S. 151–181. Vgl. auch Josef Pilvousek, Flucht oder Bleiben. Zur Situation der Katholiken in der DDR vor und nach dem 17. Juni 1953 (unveröff. MS), Erfurt 2003; Andrea Strübind, Die Religionsgemeinschaften und der Volksauf- stand vom 17. Juni 1953, in: Kirchliche Zeitgeschichte 14 (2004), S. 63–99. Den defizitären For- schungsstand belegen auch der Literaturbericht von Manfred Agethen, Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR. Die wichtigste Literatur des Jahres 2003, in: Historisch-politische Mit- teilungen 11 (2004), S. 351–370; ders., Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR, Teil 2: Neuerscheinungen des Jahres 2004, in: Ebenda 12 (2005), S. 315–333, und der Forschungsbe- richt von Ilko-Sascha Kowalczuk, Die gescheiterte Revolution – „17. Juni 1953“. Forschungs- stand, Forschungskontroversen und Forschungsperspektiven, in: Archiv für Sozialgeschichte 44 (2004), S. 606–664. 2 Greschat/Kaiser (Hrsg.), Kirchen, S. 9. 3 Hubertus Knabe, 17. Juni 1953. Ein deutscher Aufstand, München 2003, S. 246. VfZ 2/2006 © Oldenbourg 2006 270 Aufsätze trolle durch Quellen und detaillierte Forschungen bedürfen4. Im Rahmen einer politischen Sozialgeschichte, welche die Interdependenzen von Gesellschaft und Politik in der SBZ und DDR untersucht5, kommt Religion als „einzige[m] Bereich mit einer relativen Selbständigkeit“6 besondere Bedeutung zu. Seitdem im ersten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung die Geschichte der Kirchen in der DDR eingehend dokumentiert und erforscht wurde7, kann auch das Verhalten der christlichen Kirchen im Umfeld des 17. Juni 1953 im wesentli- chen als geklärt gelten8: Auf Druck der Moskauer Führung beschloß das SED- Politbüro auf seiner Sitzung am 5./6. Juni, den „Neuen Kurs“ auch gegenüber den Kirchen einzuschlagen. Ministerpräsident Otto Grotewohl reagierte umge- hend: Am 10. Juni traf er mit den protestantischen Landesbischöfen und Kirchenführern zu einer Unterredung zusammen, an deren Ende eine Vereinba- rung über staatliche Zugeständnisse an die evangelische Kirche stand. Das darauf- hin im „Neuen Deutschland“ veröffentlichte gemeinsame Kommuniqué mar- kierte wenige Tage vor dem 17. Juni eine kirchenpolitische Kehrtwendung des SED-Regimes und das Ende des mehr als einjährigen, unverhohlen auf Beseiti- gung des Christentums als gesellschaftlicher und religiöser Macht zielenden offe- nen „Kirchenkampfes“. Ein gegenseitiges Einvernehmen bedeutete dies nicht, im Gegenteil: Während der landesweiten Juniunruhen wurden insbesondere die bei- den christlichen Kirchen massiv überwacht. Staatliche Zugeständnisse einerseits 4 Vgl. Henrik Bispinck u.a., DDR-Forschung in der Krise? Defizite und Zukunftschancen – Eine Entgegnung auf Jürgen Kocka, in: Deutschland-Archiv 36 (2003), S. 1021–1026; Jürgen Kocka, Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung. Hermann Weber zum 75. Geburtstag, in: Ebenda, S. 764–769. 5 Vgl. Hans Günter Hockerts, Zeitgeschichte in Deutschland. Begriff, Methoden, Themenfel- der, in: Historisches Jahrbuch 113 (1993), S. 98–127, hier S. 121. In diesem Sinne argumentie- ren auch Henrik Bispinck u.a., Die Zukunft der DDR-Geschichte. Potentiale und Probleme zeit- historischer Forschung, in: VfZ 53 (2005), S. 547–570, die für einen „integrativen politikge- schichtlichen Untersuchungsansatz“ (S. 569) plädieren, der Politik- und Diktaturgeschichte kombiniert mit Methoden der Sozial-, Wirtschafts-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte. Reli- gion und Kirchen finden in dem Beitrag keine Erwähnung. 6 So M. Rainer Lepsius, Institutionenordnung als Rahmenbedingung der Sozialgeschichte der DDR, in: Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/Hartmut Zwahr (Hrsg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 17–30, hier S. 19. 7 Vgl. den Forschungsüberblick von Christoph Kösters, Katholische Kirche und Katholizismus in der SBZ/DDR. Eine Bilanz neuerer Forschungen, in: Historisches Jahrbuch 121 (2001), S. 532–580, und von Horst Dähn, Die Kirchen in der SBZ/DDR (1945–1989), in: Rainer Eppel- mann/Bernd Faulenbach/Ulrich Mählert (Hrsg.), Bilanz und Perspektiven der DDR-For- schung, Paderborn 2003, S. 205–216. Vgl. auch Christoph Kösters/Wolfgang Tischner, Die katholische Kirche in der DDR-Gesellschaft: Ergebnisse, Thesen und Perspektiven, in: Dies. (Hrsg.), Katholische Kirche in SBZ und DDR, Paderborn 2005, S. 13–34, und den Gesamtüber- blick von Bernd Schäfer, Staat und katholische Kirche in der DDR, Köln/Weimar/Wien 21999, der die Zeit vor dem Mauerbau aber eher unterbelichtet läßt. 8 Zum folgenden vgl. Tischner, Kirchen, S. 161–167; Greschat, Reaktionen, in: Ders./Kaiser (Hrsg.), Kirchen, S. 91–104. Zur historischen Einordnung des auch kirchenpolitisch bedeutsa- men Beschlusses des Ministerrats der UdSSR vom 2. Juni 1953 vgl. Martin Georg Goerner, Kir- che als Problem der SED. Strukturen kommunistischer Herrschaftsausübung gegenüber der evangelischen Kirche 1945 bis 1958, Berlin 1997, S. 111–124. VfZ 2/2006 Christoph Kösters: Die katholischen Bischöfe und der 17. Juni 1953 271 und Überwachung der Kirchen andererseits führten dazu, daß die auf dem Prüf- stand stehende traditionelle Loyalität gegenüber der Obrigkeit hielt; die Bischöfe blieben auf Distanz zu den Demonstranten und schwiegen. Die bisherigen Forschungen zur Rolle beider Kirchen im Umfeld des 17. Juni 1953 stützen sich vor allem auch auf Quellen staatlicher Provenienz. Wolfgang Tischner hat anhand der Polizeiberichte aus den einzelnen SED-Bezirken gezeigt, daß im Gegensatz zur Kirchenführung jugendliche Protestanten und Katholiken aktiv am Volksaufstand beteiligt waren9. Die auf Gründe und Motive äußeren kir- chenpolitischen Handelns zurückverweisenden, oft schwer zu rekonstruierenden innerkirchlichen Strukturen, Prozesse und Handlungsspielräume werden demge- genüber nur selten ausgelotet. Im Blick auf die katholische Kirche stellt sich daher eine doppelte Aufgabe: Zum einen ist bislang noch weitgehend unklar, wie sich die katholischen Bischöfe und Ordinarien in der DDR in den fraglichen Wochen und Monaten des Jahres 1953 verhalten haben. Zum anderen lassen sich die Motive kirchlichen Handelns nur angemessen erklären und bewerten, wenn außer den strukturellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auch konkrete Handlungsspielräume vermessen und das Selbstverständnis bischöflichen Han- delns eruiert werden10. Hier setzt die folgende Darstellung an. Sie stützt sich auf Quellenstudien, die im Zusammenhang stehen mit der Vorbereitung einer Edition der Akten katholi- scher Bischöfe und Ordinarien in der DDR 1951–195711. Trotz einer im Vergleich zur katholischen Kirche in der Bundesrepublik disparaten Überlieferung existiert eine hinreichende Materialgrundlage, um die innerkirchlichen Vorgänge zu rekonstruieren und gängige Bilder, Motive und Thesen zu überprüfen, zu ergän- zen und gegebenenfalls zu korrigieren. Dies soll in fünf Abschnitten geschehen: Zunächst werden Organisation und binnenkirchliche Strukturen der katholi- schen Kirche im Kontext der DDR-Gesellschaft knapp skizziert. Sodann ist es für das Verständnis des Gegenstands unerläßlich, die Phase des sozialistischen „Kir- chenkampfes“ (1952/53), dem auch die katholische Kirche und ihre Einrichtun- gen massiv ausgesetzt waren, in den Blick zu nehmen. In einem dritten Abschnitt 9 Vgl. die bei Tischner, Kirchen, S. 168–176, ausgewerteten Berichte der Volkspolizei in den ein- zelnen Bezirken. Vgl. auch Udo Wengst, Der Aufstand am 17. Juni