Nr. 15 / 4.4.2020 Deutschland € 5,30
Das Pleitevirus Wie Corona unsere Wirtschaft infiziert, Jobs und Wohlstand frisst fr 7,80 € 6,80 Slowakei Spanien € 6,80 195,- Kc Tschechien Slowenien € 6,50 Slowenien Spanien/Kanaren in Germany Printed Ft 2670,- Ungarn € 7,00
APP & ANTIKÖRPER NEW YORK SCHUTZMASKEN Was uns aus dem Big Apple wird zur Protokoll Shutdown holen kann Geisterstadt eines Versagens BeNeLux € 6,40 Finnland € 8,30 Griechenland € 7,30 NOK 86,– Norwegen ZL 33,– (ISSN00387452) Polen s Schweiz Dänemark dkr 57,95 € 6,80 Frankreich Italien € 6,80 € 6,00 Österreich (cont) € 6,80 Portugal Der neue Golf Hier spielt das Leben
Digitalisierung wird persönlich. Mit dem volldigitalen Cockpit stellen Sie Ihren neuen Golf genauso ein, wie Sie es wollen. Und mit intuitiver Sprachbedienung sind seine digitalen Features so einfach zu bedienen wie nie.
Abbildung zeigt Sonderausstattungen gegen Mehrpreis. Volle Das deutsche Nachrichten-Magazin Transparenz? Hausmitteilung Betr.: Titel, Streitgespräch, New York, »DEIN SPIEGEL« Durch digitale Zusammenarbeit mit meinem Steuerberater. Noch vor wenigen Wochen war Deutschland das Kraftzentrum Europas mit selbstbewussten Unter- nehmern und mächtigen Konzernen. Nun, in der Coronakrise, sind die meisten Läden dicht, in vielen Fabriken herrscht gespenstische Ruhe, Millionen Menschen fürchten um ihre Jobs. Wie lange kann das Land dies überstehen? Ein SPIEGEL-Team um Reporter Thomas Schulz hat die aktuelle Lage re-
STEPHEN LAM STEPHEN cherchiert und erlebte dabei Wirtschaftsführer zwi- Schulz schen Verzweiflung und Hoffnung. Simon Hage sprach mit Managern der Autoindustrie darüber, wie sich die Krise vom Großkonzern bis hin zu Händlern und Kunden frisst. Martin Hesse diskutierte mit dem Krisenstab des Outdoor-Ausrüsters Vaude, wie sich eine nachhaltige Firmenkultur trotz allem aufrechterhalten lässt. Und Gerald Traufetter begleitete Wirtschaftsminister Peter Altmaier. »Am Ende«, sagt Hage, »müssen alle zugeben, dass sie die Krise ohne den Staat nicht meistern können.« Seite 8
Im Dezember war es noch ein eher theoretischer Schlagabtausch. Der Bestsellerautor Marc Friedrich warnte im SPIEGEL-Streitgespräch vor dem »größten Crash aller Zei- ten«, der Ökonom Peter Bofinger hielt das für Quatsch. Seither sind die Börsenindizes teilweise um bis zu 40 Prozent abgestürzt. Die SPIEGEL-Redakteure Tim Bartz und Armin Mahler luden die beiden deshalb zu einer Fortsetzung des Streitgesprächs ein, diesmal per Videokonferenz. Wieder prallten die Meinungen unversöhnlich aufein - ander. »Das wird nicht gut gehen«, sagt Friedrich über die Rettungsprogramme der Staaten und Notenbanken. »Wir schaffen das«, glaubt Bofinger. Wer von den beiden recht hat? »Das werden wir alle bald sehen«, sagt Mahler. Seite 18
Der neue Brennpunkt der globalen Coronakrise heißt New York City. SPIEGEL-Korres- pondent Marc Pitzke hat hier schon vieles miterlebt – den 11. September 2001, Hurrikan »Sandy«, zwei große Blackouts. Doch diese Katastrophe, so berichtet er, drohe größer zu werden als alles, was bislang geschah. Pitzke begleitete mehrere New Yorker durch den Alltag im Notstandsgebiet: Ein Arzt kämpft um das Leben von Co- vid-19-Patienten und hat sich dabei selbst angesteckt, ein Stadtrat, Fran- cisco Moya, warnt US-Präsident Donald Trump vor den Risiken der Seuche, Broadwaystars begegnen der Zukunftsangst mit Humor. Auch Pitz- ke muss sein Leben in Brooklyn neu organisieren, in seinem Freundeskreis tauchen immer mehr Corona-Fälle Mit den digitalen DATEV-Lösungen haben Sie jederzeit auf. Sein sehr persönliches Protokoll den Überblick über Ihre aktuellen Geschäftszahlen. Und sind direkt mit Ihrem Steuerberater verbunden. So einer »Woche, die alles veränderte«, JONES / DER SPIEGEL CHRISTOPHER RYAN finden Sie auf Seite 80. Pitzke, Moya in New York können Sie anstehende Investitionen sicher entschei- den. Informieren Sie sich im Internet oder bei Ihrem Steuerberater.
Auch Kinder haben viele Fragen zur Weltviruskrise. Woher kommt Sars-CoV-2? Wann kann man sich dagegen impfen las sen? Ist das Digital-schafft-Perspektive.de Virus auch für junge Menschen gefährlich? Die Titel geschichte von »DEIN SPIEGEL« gibt erste Antworten. Kinder erzählen zudem, wie sie die Quarantäne erleben. Außerdem im Heft: Der Sänger Mark Forster spricht über Gefühle in der Musik. Und: warum Moore so wichtig für den Umweltschutz sind. Das Nachrichten-Magazin für Kinder erscheint am Dienstag.
DER SPIEGEL Nr. 15 / 4. 4. 2020 3 Inhalt
74.Jahrgang | Heft 15 | 4.April 2020
Titel Hochschulen Die Universitäten sind geschlossen – wer Wohlstand Wie das Virus die darf jetzt noch Staatsexamen gesamte Wirtschaft erfasst – machen? ...... 48 und wie Deutschland aus der Krise kommen kann ...... 8 Kriminalität Wie skrupellose Betrüger in Zeiten von Pandemie Crash-Prophet Corona die Verunsicherung Marc Friedrich und Ökonom der Menschen nutzen ...... 50 Peter Bofinger im SPIEGEL- Streitgespräch über die Frage, Essay In systemrelevanten ob Schulden die Ursache oder Berufen arbeiten vor allem die Lösung der Krise sind . . . 18 Frauen – nun zeigt sich, wie ungleich Lasten zwischen den Geschlechtern verteilt Deutschland sind ...... 52
Leitartikel Die Bundesregierung Gerichte Die Coronakrise sollte in der Coronakrise überfordert die Justiz ...... 54 Solidarität mit den Schwächs- ten in Europa zeigen ...... 6 Rassismus Der rechte Attentäter von Hanau war
Politiker kritisieren RKI-Chef PRESS / EMPICS ACTION COZZOLI CARLO psychisch krank ...... 55 Wieler / Single-Eltern fürchten Virus besonders / Mehr Grenz- Zoff um Corona-Hilfen kontrollen? / Die Gegendar - Reporter stellung / So gesehen: Corona- Ärmere EU-Staaten ächzen unter den enormen Polizeistaat ...... 22 Familienalbum / Kann man Kosten der Pandemie – doch Berlin verweigert Corona wegputzen? ...... 56 Europa I Die EU streitet Finanzhilfe durch sogenannte Eurobonds. Der um die Frage der Solidarität internationale Druck wächst, nun verweist der Eine Meldung und ihre zwischen den Nationen . . . . . 26 Bund auf den Rettungsschirm ESM. Der soll Geschichte Bollerwagen- protest gegen Google ...... 57 Seite 26 Europa II Haushaltskommissar bei Bedarf ordentlich aufgestockt werden. Hahn über die finanziellen Gesundheit Wenn Einsamkeit Wünsche an die Deutschen 30 die Seele schwächt – Besuch bei einer Frau, die CDU Bei den Christdemokraten professionell berührt ...... 58 werden die Karten im Kandi- datenspiel neu gemischt . . . . 32 Abschied Alexander Osang reist aus Israel heim Gesundheit An den Schutz- ins Krisengebiet Deutsch- masken zeigen sich die land ...... 62 Pro bleme der Krisenpolitik 34 Ohne dich Wie lebt Gesundheitspolitik Lockdown – der Komiker Otto Waalkes kein Ende in Sicht ...... 40 in so ernsten Wochen? ...... 65
Grundrechte SPIEGEL-Streit - gespräch zwischen Katja Suding / DPA VNA / XINHUA Wirtschaft (FDP) und Karl Lauterbach (SPD) über die Beschrän- Das Symbol der Krise 50 Milliarden für Wiederauf- kungen der Freiheit in Zeiten bau / VW macht Riesenverluste von Corona ...... 42 Noch mag die Bundesregierung das Volk bei Nutzfahrzeugen ...... 66 nicht zwingen, Schutzmasken Senioren Nirgendwo ist das Umwelt Wirft die Corona- Virus so gefährlich wie in zu tragen. Aber sie könnten wichtig für krise den Klimaschutz in der Alten- und Pflegeheimen . . . 46 eine Exitstrategie werden. Seite 34 Industrie zurück? ...... 68
4 DER SPIEGEL Nr. 15 / 4. 4. 2020 Konzerne Allianz-Chef Wissen Oliver Bäte über die Pandemie als Versicherungsfall und die Neue Saurierart entdeckt / Krise der Kapitalanlage . . . . 72 Überlebenschance für den Eisbären / Wie kann ich Finanzen Kommen die Milliar- mir das Gesichtsfummeln denhilfen des Bundes bei den abgewöhnen? ...... 100 Unternehmen an? ...... 74 Medizin Die Fälle der ersten Gesundheit Die Seuche Corona-Opfer in Deutschland beschleunigt die Digitalisierung zeigen, wen das Virus tötet und der Medizin ...... 76 wie die Menschen sterben 102
Ökologie Umweltzerstörung, Ausland Klimawandel, Artensterben – auf Umwegen züchtet Die erratische US-Außenpolitik der Mensch neue Seuchen 106 in Venezuela / Covid-19-Tote in Iran ...... 78 Epidemiologie Nicht alle Infizierten haben Symptome – USA New York ist von GETTY IMAGES so breitet sich Sars-CoV-2 der Pandemie betroffen weiter aus als gedacht ...... 108 wie keine zweite In der Geisterstadt Metropole auf der Welt – Bericht aus einer Stadt In New York schießen die Zahlen der Kultur vor dem Zusammenbruch . . . 80 Infizierten und Toten dramatisch in die Höhe, das Virus hat die Achteinhalb-Millionen- Dokumentation »But Südkorea Regierungsstrategen Beautiful« / Neuer Roman berichten, wie mit Metropole nahezu komplett lahmgelegt. Porträt von Julia Holbe / groß flächigen Tests und einer Weltstadt im Katastrophenmodus. Seite 80 Serie »Bibi & Tina« ...... 112 dem Tracking von Patienten das Land das Kulturbetrieb Musiker und Virus eingedämmt hat ...... 86 Theaterleute stemmen sich mit Onlineaktionen Armut Die Auswirkungen Todesfalle Altenheim gegen die Krise ...... 114 der Seuche werden in armen Ländern am größten Die Pandemie bedroht vor allem Alte Unter dem Motto »SPIEGEL sein, was für den Westen und Kranke, immer mehr Menschen sterben liest« öffnen jeden Tag zur Gefahr werden kann . . . 88 in den Heimen, Besuchsverbote sollen die Autorinnen und Autoren ein Fenster in ihre Wohnung Italien Außen minister Bewohner schützen. Viele Rentner fühlen sich und in die Welt ...... 116 Luigi Di Maio über jedoch isoliert, und sie haben Angst. Seite 46 die Frage, was er sich Autoren Leïla Slimani ist der in der Krise von neue Star der französischen der Europäischen Union Literatur, mit ihrem Corona- erhofft ...... 90 Tagebuch provoziert sie einen Streit über Arm und Reich Gastbeitrag Viktor Orbán in der Krise ...... 118 wird in Ungarn zum Diktator, Europa schaut Performance Marina Abra - bisher nur zu ...... 92 mović, eine der berühmtesten Künstlerinnen der Welt, über ihr wildes Leben . . . . . 120 Sport
Übungen für die Zeit der Kontaktsperre / Gut zu wissen: / LAIF / NYT / REDUX RISOVIC MARKO Wie lässt sich das Immun- system stärken? ...... 95 »Einsamkeit macht kreativ« SPIEGEL-TV-Programm ...... 29 Vereine Können Geister- Die Performancekünstlerin Marina Abramović Bestseller ...... 117 spiele Pleiten im Fußball erlebt diese Wochen in München, wo sie eine Impressum, Leserservice . . . 124 verhindern? ...... 96 Oper in szenieren wollte. Ein SPIEGEL- Gespräch Nachrufe ...... 125 Personalien ...... 126 So leer sind die Kassen bei über Krisen, Herausforderungen Briefe ...... 128 vielen Ballsportvereinen . . . 99 und viele beglückende Momente. Seite 120 Hohlspiegel / Rückspiegel . . . 130
Titelbild: Getty Images 5 Das deutsche Nachrichten-Magazin
Corona macht’s nötig Leitartikel Die deutsche Ablehnung von Eurobonds ist unsolidarisch, kleingeistig und feige.
urobonds, versicherte Kanzlerin Angela Merkel vor allein gestellt schon bald kein Geld mehr am Kapitalmarkt acht Jahren, auf dem Höhepunkt der Eurokrise, wer- aufnehmen können, die Zinsen wären zu hoch. E de es nicht geben, »solange ich lebe«. So wurden die Wenn Italien, Spanien und Frankreich aber ähnlich gene- südeuropäischen Länder beim Videogipfel der EU- röse Hilfsprogramme und Garantien für ihre stillstehenden Staats- und Regierungschefs vergangene Woche erneut brüsk Volkswirtschaften auflegen müssen wie die Deutschen, um abgebürstet, als sie wieder mal Eurobonds ins Spiel brachten, ein Massensterben von Firmen zu verhindern, wären dafür um ihre Volkswirtschaften gegen die Einschläge der Corona- nicht Milliarden, sondern Billionen Euro nötig. Und wenn Pandemie abzuschirmen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier die Europäer nicht sofort signalisieren, dass sie sich dieser sprach abfällig von einer »Gespensterdebatte«. Krise gemeinsam entgegenstemmen, wird das ein Fest für Entweder begreifen Deutsch- Populisten, EU-Feinde und die lands Regierende nicht, was sie Hedgefonds in London oder da so fahrlässig abschmettern. New York. Wie schon im Fall Oder sie wollen es nicht begrei- Griechenlands werden sie auf fen, weil sie Angst haben, die einen europäischen Staats- AfD könne Hilfen für europäi- bankrott wetten. Und diesmal sche Nachbarn für ihre Pro - wird die Wette aufgehen. paganda ausschlachten. Schließ- Staaten wie Italien oder lich war es die erbitterte De- Spanien sind zu groß, um sie batte über die Unterstützung mit vorhandenen Instrumen- für Griechenland, die 2013 zur ten wie dem Europäischen Gründung der AfD führte. Rettungsfonds ESM aufzu- Statt den Deutschen ehrlich fangen. Dessen 410 Milliarden zu sagen, dass es zu Eurobonds Euro reichen nicht mal für in einer Krise wie dieser keine Italien allein lange. Zudem Alternative gibt, suggeriert uns sind ESM-Hilfen an Auflagen die Regierung Merkel, dass mit gebunden, die bei einem exo- diesen Bonds etwas faul wäre. genen Schock wie Corona Dass sie am Ende von den fleißi- nicht sinnvoll wären. gen deutschen Steuerzahlern Die Deutschen würden die-
beglichen werden müssten, weil LINGRIA / REUTERS ALBERTO se Auflagen gern aufweichen Italiener mit Geld angeblich Italiens Premierminister Giuseppe Conte und verweisen auf die Europäi- noch nie umgehen konnten. Die sche Zentralbank. Die könne Kanzlerin hat dieses Narrativ so ja aufkaufen, was sonst keiner oft bedient, dass jedes Eingeständnis an Spanier und Italie- wolle. Die Notenbank wurde von der Politik schon vor ner wie eine Niederlage wirken würde. Sie hätte es nie acht Jahren als letztes Bollwerk missbraucht, weil die so weit kommen lassen dürfen. Schon aus Mitgefühl und Regierenden zu feige waren, die Probleme selbst zu lösen. Solidarität nicht. Die Wucht der Corona-Pandemie führt in De facto aber würden all diese Vorschläge auf das Gleiche Italien und Spanien zu einer menschlichen und medizini- hinauslaufen: eine gigantische Vergemeinschaftung von schen Tragödie – auch weil beide Staaten, wie von Brüssel Risiken – nur werden sie nicht Eurobonds genannt. gewünscht, zuletzt hart gespart haben. Und nicht, weil sie Da ist es ehrlicher und effizienter, auf den jüngsten Vor- über ihre Verhältnisse lebten. schlag der Franzosen einzugehen, den inzwischen selbst Europa steckt dieser Tage in einer existenziellen Krise. Eurobonds-Skeptiker gut finden: Corona-Bonds. Das sind Sich in einer solchen Situation als finanzpolitischer Tugend- europäische Staatsanleihen, die zeitlich begrenzt und wächter aufzuspielen ist kleingeistig und schäbig. Vielleicht an einen ganz bestimmten Zweck gebunden sind – die Pan- erinnern wir uns mal kurz daran, wer nach dem Kriegs- demie zu bewältigen. Sie wären ein starkes Signal an ende den Wiederaufbau Deutschlands mitfinanziert hat. die Finanzmärkte, aber auch an die Menschen in Europa. Eurobonds sind gemeinsame Anleihen aller Eurostaaten, Es würde beweisen, dass wir einander in größter Not keine Transferunion. Sie haben den Vorteil, dass sie als nicht im Stich lassen, dass Europa mehr ist als ein Bündnis sichere Anlage gelten, weil Staaten mit gutem Leumund von Egomanen, mehr als ein gut geölter, aber kaltherziger wie Deutschland für Verpflichtungen nicht ganz so solider Binnenmarkt mit (noch) gemeinsamer Währung. Ach ja, Schuldner wie Italien mithaften. Das macht Kredite für und eine bombensichere Geldanlage, die endlich wieder Deutschland etwas teurer, für Italien aber deutlich billiger. Zinsen abwirft, wären Corona-Bonds auch. Nur für Hedge- Berlin kann sich das leisten, Rom hingegen würde auf sich fonds nicht. Steffen Klusmann
6 DER SPIEGEL Nr. 15 / 4. 4. 2020 Dein Benz.
Mercedes-Benz Dein Online Store Store.
mercedes-benz.de/deinstore Rückruf E-Mail Beratung vor Ort Probefahrt RAFAEL MARCHANTE / REUTERS 8 Menschen dieArbeitslosigkeit. EineStaatswirtschaft aufZeitsoll das Titel Branche. Tausenden Unternehmen droht diePleite, Millionen a iu unetdedush itcat–Branche für Das Virus ruiniert diedeutsche Wirtschaft – Schlimmste verhindern. Aberwas kommt danach? E SIGL Nr.15/ 4.2020 SPIEGEL DER F
Frank Iwer hat das Homeoffice schon nach zwei Tagen aufgegeben, Krisenstäbe las- sen sich nur schwer von zu Hause aus lei- ten. Jeden morgen ab sieben Uhr sitzt er nun wieder in der weitgehend verwaisten Firmenzentrale, ein Glaskasten wenige Hundert Meter vom Bodensee, Zeugnis von Jahrzehnten des Erfolgs. Die abrupt beendet sind. »Der Markt ist auf unbe- stimmte Zeit praktisch zum Erliegen ge- kommen«, fürchtet er. Iwer ist Personalleiter Deutschland von ZF Friedrichshafen, einem der größten Autozulieferer der Welt, rund 150000 Mit- arbeiter, 37 Milliarden Euro Umsatz. Wenn es so etwas wie ein Herz der deut- schen Wirtschaft gibt, dann schlägt es hier, in der Autoindustrie, mit Tausenden Un- ternehmen, mit 1,6 Millionen Arbeitsplät- zen, die an der Branche hängen, alle aufs Engste miteinander verbunden. Wenn die- ses Herz stottert, krankt der ganze Orga- nismus. Iwer war lange Zeit Gewerkschafter, lei- tete Strategie und Planung bei der IG Me- tall, im vergangenen Herbst holte ihn ZF Friedrichhafen als Modernisierer. Um die Mitarbeiter auf das schleichende Ende des Verbrennungsmotors einzustimmen, um mit dem Vorstand eine Zukunftsstrategie für 2030 zu entwickeln und weitere gol- dene Jahre zu garantieren. Stattdessen ar- beiten die ZF-Manager jetzt Tag und Nacht daran, Jobs zu retten und das Un- ternehmen flüssig zu halten. Für Iwer und seine Managementkol - legen ist klar, dass die Coronakrise nicht nur die Autoindustrie, sondern die gesam- te Wirtschaft »in eine komplett andere Welt katapultiert hat«. Über Nacht wur- den Gewissheiten von Jahrzehnten außer Kraft gesetzt, die Grundregeln von Globali sierung und Marktwirtschaft infra- ge gestellt. Die Ökonomen können noch nicht ge- nau sagen, wie schwer das Virus die Wirt- schaft verwüsten wird, wie viele Unter- nehmen pleitegehen werden, wie viele Arbeitslose es geben wird, wann und wie Stillstehende Bänder im VW-Werk in Palmela, Portugal diese Krise enden wird. Kommendes Jahr mit zwei Millionen Arbeitslosen und fünf
9 Prozent Einbruch der Wirtschaftsleistung? telte. Wenn fast alle Läden dicht sind, Herde aussortiert werden. Die Ungleich- In drei Jahren mit vier Millionen ohne Job wenn die Fabrikbänder stillstehen und Lie- heit würde weiter zunehmen, die Schere und zehn Prozent Einbruch? ferketten zusammenbrechen, wenn das zwischen Arm und Reich sich noch weiter Sicher ist: So eine abrupte Vollbrem- ganze Leben für Wochen, womöglich Mo- öffnen. sung der globalen Wirtschaft hat es noch nate angehalten wird, dann rast die Krise Welche Konflikte hier drohen, zeigte in nie gegeben, und die Folgen werden heftig wie ein Buschfeuer durch die komplette der vergangenen Woche besonders scharf sein. Bekannte Firmen wie Vapiano und Wirtschaft. Ohne Ausnahme. der Fall Adidas: Ein deutscher Vorzeige- Maredo sind bereits insolvent, Galeria Die Politik versucht zu löschen, wo es konzern, gesättigt von jahrelangen Rekord- Karstadt Kaufhof flüchtete unter den Ret- geht, mit unerhörten Mengen Geld, mit gewinnen und üppigen Reserven, be- tungsschirm. Viele weitere werden folgen. pauschalen Zusicherungen, mit weitrei- schließt einfach, die Miete für seine deut- 470000 Unternehmen hatten bis vergan- chenden Garantien. Aus das ist eine Ge- schen Geschäfte auszusetzen. Wie weit gene Woche bereits Kurzarbeit beantragt. wissheit dieser Krise: Die deutsche Wirt- dürfen Unternehmen gehen, um ihr Über- Eine schier unglaubliche Zahl. Selbst zum schaft wird auf absehbare Zeit eine Staats- leben zu sichern? Und was macht man mit Höhepunkt der Finanzkrise waren es ge- wirtschaft sein. Nur überlebensfähig, weil rücksichtslosen Krisengewinnlern? rade mal 23000. der Bund Milliarden Euro direkt in Unter- Die aufziehende Depression wird eine »Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz«, nehmen pumpt, sich beteiligt, zinslose Kre- Mammutaufgabe für Unternehmen und verspricht Arbeitsminister Hubertus Heil dite verschafft, Arbeitsplätze mit Steuer- Politik gleichermaßen, denn allein mit (SPD). In vielen Fällen wird dieser Kampf geldern finanziert, Schutzschirme über gan- kurzfristigem Krisenmanagement ist es nicht zu gewinnen sein. ze Industrien spannt, Konjunkturprogram- nicht getan. Wenn die deutsche Wirtschaft Ein Vergleich lässt sich allenfalls mit me auflegt. Und riesige Schulden macht. eines Tages wieder aus dem dunklen Tun- dem Jahr 1929 ziehen, als Deutschland be- Das ist wohl alternativlos, aber es wirft nel auftauchen wird, darf sie nicht um gann, in der Großen Depression zu versin- neue Probleme auf. Welche Regeln gelten Jahre zurückgeworfen sein, eine reine In- ken: Damals brach die Industrieproduk- für diese staatsgestützten Unternehmen, dustriewirtschaft, dominiert von Autokon- tion nach und nach um 40 Prozent ein, und wer macht sie? Konzerne werden zernen, Maschinenbauern, schwerfälligen mehr als fünf Millionen Menschen wurden meist besser durch die Krise kommen als Dax-Konzernen, während die jungen erwerbslos. Die Ursachen waren andere, Mittelständler und Familienunternehmen, Technologieunternehmen, kreativen Neu- aber die Folgen ähnlich: Das ganze Land die oft weniger Barreserven haben. Wenn gründungen, Start-ups und junge innova- war paralysiert. die Großen nun ungehindert die Kleinen tive Dienstleister verschwunden sind. Dieses Allumfassende ist es, was die fressen, würde das die gesamte Wirt- Aber: Deutschland könnte auch als Ge- Ökonomen auch heute umtreibt. Es gibt schaftsstruktur verändern. Es würde die winner aus dieser Krise kommen. Schon nicht nur ein Epizentrum, wie 2008, als Tür öffnen zu einem neuen Raubtierkapi- jetzt ist zwischen all den Notfallplänen die Finanzindustrie zusammenbrach. Oder talismus, mit zahllosen Schwachen und und Rettungsszenarien zu erkennen, dass 1973, als die Ölkrise die Welt durchschüt- Angeschlagenen, die gnadenlos aus der Corona den seit Langem tobenden System- wettbewerb verschärfen, vielleicht ent- scheiden wird: Auf der einen Seite sind die Chinesen, die auf Befehl hundert Flug- häfen schneller bauen als Deutschland ei- nen, aber auch 50 Millionen Menschen einschließen. Dann die Amerikaner, die einen Technologiegiganten nach dem an- deren hervorgebracht haben, nun aber innerhalb einer einzigen Woche 6,6 Mil- lionen Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen. Deutschland galt schon als abgehängt: Zu langsam, zu sehr auf eine soziale Markt- wirtschaft, auf Arbeitsplatzsicherung, auf solide Unternehmen bedacht. Auf Solida- rität. Nun könnten diese vermeintlichen Schwächen sich als Stärken erweisen. Die kommenden Wochen werden darüber we- sentlich entscheiden.
Personalleiter Iwer denkt in diesen Tagen viel über Domino nach. Jeden Tag muss er zusehen, wie ein Steinchen das nächste umwirft. Eine katastrophale Kas-
PHILIP FROWEIN / DER SPIEGEL PHILIP FROWEIN kade, an deren Ende alle am Boden liegen. Mitte März haben alle deutschen Auto- konzerne von BMW bis VW ihre Fabriken »Der Markt ist auf unbestimmte Zeit praktisch stillgelegt. Um die Arbeiter vor dem Co- ronavirus zu schützen, aber auch weil ge- zum Erliegen gekommen.« rade kaum jemand Autos kauft. Das war Frank Iwer, der erste Stein. Personalleiter Deutschland des Automobilzulieferers ZF Friedrichshafen Seitdem benötigen die Autohersteller auch keine Teile mehr von den Zulieferern. BMW etwa braucht von ZF Friedrichs-
10 DER SPIEGEL Nr. 15 / 4. 4. 2020 Coronakrise
Das Bröckeln der Börsen 9. Januar China meldet erstes Todesopfer Ausgewählte Indizes des neuartigen Coronavirus. Veränderung an den Börsentagen 30. Januar gegenüber dem 1. Januar in Prozent –70% 0+11% WHO ruft den internationalen Gesundheitsnotstand aus. Jan. 14. Februar Frankreich: Erster Todesfall in Europa 4. März IWF stellt 50 Milliarden Dollar Dax-30 Euro-Stoxx-50Dow Jones S&P 500 Nikkei-225 CSI 300 Rohöl Gold Deutschland Europa USA USA Japan China Sorte Brent für ärmere Länder zur Verfügung. 9. März Ölpreis fällt an einem Tag so stark wie zuletzt 1991. Gold erreicht höchsten Stand seit sieben Jahren. 12. März Die US-Notenbank kündigt Hilfen von bis Febr. zu 1,5 Billionen Dollar für US-Banken an. 13. März Bundesregierung verkündet Kredit- und Garantierahmen für die Wirtschaft »ohne Begrenzung«. 16. März Stärkster Absturz des Dow-Jones-Index seit dem »Schwarzen Montag« 1987 18. März EZB-Notfallprogramm: 750 Mrd. Euro März für Staats- und Unternehmensanleihen bis Ende 2020 25. März Der Bundestag beschließt ein Rettungs- paket in Höhe von 750 Mrd. Euro. 27. März US-Kongress beschließt ein Hilfspaket über zwei Billionen Dollar. 2. April Die Zahl der nachweislich Infizierten weltweit übersteigt eine Million, April die der Toten 50000. –27% –28% –25% –22% –25% –9%–55% +6% gegenüber dem 1. Januar
Historische Tiefststände Standard & Poor’s 500 Index, wöchentliche Veränderung Quelle: Refinitiv
+10%
0%
–10% Platzen der »Schwarzer Dotcom-Blase Montag« Finanz- –20% krise Corona- Große Depression Pandemie
1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020
11 Coronakrise hafen kaum noch Acht-Gang-Automatik- nicht die notwendigen Teile liefern kön- Es könne durchaus so glimpflich ausge- getriebe. Seitdem haben die meisten der nen, damit VW die Produktion dauerhaft hen, die Lage sei »nicht wie in einem Krieg, knapp 9000 Mitarbeiter des ZF-Getriebe- erneut aufnehmen könnte. wo der Kapitalstock zerbombt wird und werks in Saarbrücken keine Arbeit. Bis »Die ganze Wertschöpfungskette wieder die Arbeiter an der Front sterben«, sagt Ende Juni ist für sie zunächst Kurzarbei- hochzufahren ist ein Kraftakt, wie wir ihn der Wirtschaftsweise Volker Wieland. »So- tergeld beantragt. Der zweite Stein. noch nie leisten mussten«, sagt Iwer. »Die bald die Maßnahmen aufgehoben werden, Weil das ZF-Werk kaum noch Getriebe bisher übliche Methode, dass die Großen stehen der Volkswirtschaft wieder alle Ka- baut, werden keine Metallteile bestellt. den Kleinen finanziell aushelfen, funktio- pazitäten zur Verfügung.« Die kamen bislang vom Druckgussspezia- niert nicht mehr.« Die meisten Unternehmen sind aller- listen Voit aus dem benachbarten St. Ing- dings deutlich weniger optimistisch. Laut bert. Dort steht das Werk nun ebenfalls Alle Unternehmen stecken im gleichen einer aktuellen Umfrage des Deutschen still. Stein drei. Dilemma. Sie wollen Pläne für die Zeit Industrie- und Handelskammertages Voit hat viele Maschinen, die von exter- nach der Krise entwickeln – aber niemand (DIHK) bei 15 000 Betrieben rechnen nen Monteuren und Anlagenbauern ge- weiß, wann das sein wird. Sicher ist nur: mehr als 80 Prozent mit einem deutlichen wartet wurden. Sie werden jetzt nicht Je länger der Shutdown andauert, desto Umsatzminus, jeder vierte sogar mit ei- mehr gebraucht. Auch nicht die lokalen schwieriger wird es für die Politik, lang- nem Verlust von mehr als dem halben Jah- Handwerker, die sich um Bauarbeiten oder fristige Schäden am wirtschaftlichen Ge- resumsatz. Sicherheitstechnik im Werk gekümmert flecht zu verhindern. Je länger die Läden Und fast jede fünfte der befragten Fir- haben. Der vierte Stein. geschlossen sind, desto weniger können men fürchtet demnach, die Coronakrise Die Handwerker und Kleinbetriebe kön- vor allem kleinere Firmen die Pleite noch nicht zu überleben und Insolvenz anmel- nen sich nun erst mal keine Kleintranspor- abwenden. Die entlassenen Mitarbeiter den zu müssen. Es droht ein Rekordjahr ter mehr leisten, die nach Hause geschick- konsumieren nicht mehr, die Wirtschaft der Pleiten, besonders für ohnehin ange- ten Industriearbeiter und arbeitslosen Kö- erholt sich deutlich langsamer bis gar nicht. schlagene, überschuldete Firmen. che und Kellner keine Pkw. Das trifft die So skizziert es Lars Feld, der Vorsitzende Sollte das Wirtschaftsleben substanziell Autohäuser. Sie werden von den großen des Sachverständigenrats der Bundesre- über den Sommer hinaus vom Kampf ge- Herstellern zwar unterstützt, doch reiche gierung zur Begutachtung der gesamtwirt- gen Covid-19 betroffen sein, könnte die ihre Liquidität meistens nur »für 30 bis 40 schaftlichen Entwicklung, bekannt als Rat Krise eine grundsätzlich andere Verlaufs- Tage, danach ist ein Großteil der Betriebe der Wirtschaftsweisen. form nehmen und ein »U« beschreiben: tot«, warnt Dirk Weddigen von Knapp, Auch die Ökonomen kämpfen mit der Die Wirtschaftskraft würde steil abfallen, Präsident des Volkswagen und Audi Part- Ungewissheit. Sie arbeiten daher vor al- längere Zeit auf niedrigem Niveau verhar- nerverbands. Den Autohäusern drohen lem mit drei grundlegenden Szenarien des ren und erst nach zwei oder mehr Jahren Massenpleiten. Der fünfte Stein. Krisenverlaufs. Im besten Fall vollzieht wieder stark zunehmen. Solche Kaskaden rollen derzeit durch die Wirtschaftsentwicklung des Landes Der Sachverständigenrat hält eine sol- den gesamten Autosektor. Der fränkische ein »V« nach: Nach kurzem steilen Ab- che Entwicklung für möglich, falls die Zulieferer Schaeffler etwa hat bereits 17 sturz normalisiert sich alles wieder und Lage sehr unübersichtlich wird, weil wei- seiner 52 Werke für Autoteile dichtge- es geht ebenso steil bergauf. Der harte ter unklar ist, wann die Pandemie unter macht. Dahinter stehen allein in Europa »Shutdown« dauert in diesem »Basissze- Kontrolle sein wird. Weil Firmen dann 1200 kleinere Lieferanten. VW hat mehr nario« fünf Wochen an. Bis zum Ende des ihre Investitionen langfristig herunterfah- als 300 Zulieferer aus Italien, die geschlos- Jahres läuft die Wirtschaft wieder rei- ren, könnte das mittelfristig das Potenzial sen sind. Und damit auch bis auf Weiteres bungslos. der Wirtschaft insgesamt senken, Produk- te und Dienstleistungen zu produzieren. Weniger Maschinen, weniger Computer – Hoffen auf das nächste Jahr weniger Jobs. Die Privathaushalte wieder- um könnten aus Angst vor Arbeitslosig- Szenarien des Sachverständigenrats zur Entwicklung des BIP keit dazu neigen, ihr Geld insgesamt stär- Deutsches Bruttoinlandsprodukt in Mrd. €, saison- und kalenderbereinigt ker beisammenzuhalten als in normalen Zeiten. In diesem Szenario würde die Auf- holjagd der deutschen Wirtschaft länger 840 auf sich warten lassen. 2020 würde sie 823 mindestens um 4,5 Prozent schrumpfen – und 2021 mit 1,0 Prozent nur sehr schlep- pend wachsen. 800 816 Es gibt einen weiteren Buchstaben, mit dem die Ökonomen einen möglichen Kri- senverlauf bezeichnen: das L. Nach einem 791 steilen Absturz geht es nur noch seitwärts, Prognosezeitraum nicht mehr aufwärts. Das Ifo-Institut hält 760 etwa im schlimmsten Fall ein Minus von 20 Prozent für möglich. Die Wirtschaft wäre so niedergeschmettert, dass sie nicht 736 mehr in Gang zu bekommen wäre, den 720 Menschen fehlte es an Geld zum Konsu- 2018 2019 2020 2021 mieren, den Firmen an Kapital zum Inves- tieren. Millionen Menschen wären dauer- haft arbeitslos. Ein solches Depressions- vor Epidemie Prognose 2019/20 Risikoszenario 1 ausgeprägtes V szenario will die Politik mit allen Mitteln Basisszenario V-Entwicklung Risikoszenario 2 langes U verhindern.
12 Seit vergangener Woche rollt das größte pression gab es mehrmals Anzeichen für Hilfspaket für die deutsche Wirtschaft in eine Erholung und dafür, dass die Konjunk- der Geschichte der Bundesrepublik. Rund tur wieder anziehen könnte – worauf es 1,4 Billionen Euro sollen dabei helfen, In- jedes Mal wieder schlimmer kam. dustrie, Handel und Dienstleistungen am Leben zu halten. Soloselbstständige, frei- Für Axel und Ulrike Sassor, die Eigen- schaffende Künstler bis hin zum Taxichauf- tümer eines kleinen Gastbetriebs im nord- feur, bekommen einige Tausend Euro di- hessischen Dodenau, begann die Krise mit rekt auf das Konto überwiesen. Kleinun- einer Reihe von Anrufen. Urlauber, die ei- ternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten nes der 37 Zimmer im »Motorradhotel Sas- erhalten bis zu 15000 Euro Soforthilfen. sor« gebucht hatten, wollten plötzlich wis- Großkonzerne wiederum können im sen, wie es denn mit Stornogebühren aus- schlimmsten Falle darauf hoffen, dass der sehe. Das war vor ein paar Wochen. »Wir Staat sich bei ihnen beteiligt, um eine Plei- wussten zuerst nicht mal, was sie meinen«, te abzuwenden. Das soll über den mit 600 sagt Axel Sassor. Ihr Hotel ist beliebt und Milliarden Euro dotierten Wirtschaftssta- notorisch ausgebucht; kurzfristige Anfra- bilisierungsfonds (WSF) geschehen. Für gen beantwortete das Paar schon mal die breite Masse der Unternehmen springt scherzhaft mit der Gegenfrage: »Nächstes der Staat mit einem Kurzarbeiterpro- oder übernächstes Jahr?« gramm ein, zahlt die Sozialbeiträge für die Mitte März musste das Hotel auf be- Mitarbeiter. Er stundet Steuern und bietet hördliche Anordnung schließen. Und Sas- Kredite über die jeweilige Hausbank an, sor seinen Mitarbeitern erklären, dass es bei denen die KfW für bis zu 90 Prozent für sie bis auf Weiteres keine Arbeit gebe als Bürge im Hintergrund steht. Höhe des – sieben schickte er in Kurzarbeit, drei MARCUS SIMAITIS / DER SPIEGEL MARCUS Programms: unbegrenzt. Minijobbern kündigte er. Er bat Strom- Es sind gigantische Maßnahmen und und Gasanbieter, Zahlungen aussetzen zu enorme Mittel. Eine »Bazooka«, wie Fi- »Niemand bestellt dürfen, stornierte Obst- und Gemüsebe- nanzminister Olaf Scholz (SPD) sagt. Und stellungen bei Großlieferanten und sagte doch werden sie wohl nicht ausreichen. mehr.« Malern und Handwerkern ab, um Kosten Insbesondere für den Mittelstand. Dort Thorsten Zindel, zu sparen. Ohne Einnahmen keine Auf- klafft eine Lücke im Rettungsnetz des Bun- Tiefkühllieferant träge. »Wir haben überall angerufen und des, vor allem weil die Laufzeiten der Kre- gesagt: Wir können nicht anders«, sagt dite zu kurz sind. Sassor. Der erste Stein. Schon wird über einen zweiten Rettungs- Knapp 50 Kilometer von Dodenau ent- schirm diskutiert, der zielgenauer auf ein- en über das Entstehen von Wirtschaftskri- fernt hat Schwalenstöcker und Gantz sei- zelne Branchen zugeschnitten ist, die jetzt sen einen Namen gemacht. Er sucht Ant- nen Sitz, ein Lebensmittelgroßhändler, der durch das Raster zu fallen drohen: der sta- worten in der Vergangenheit, um die Ge- von seinen Kunden »Schwalli« genannt tionäre Handel, die kleinen Firmen in der genwart zu verstehen. Vorzugsweise ihre wird. Thomas Raabe, geschäftsführender Tourismusbranche, etwa Reisebüros. »Der Krisenphasen. Gesellschafter, gehörte zu den Ersten, die Fantasie sind derzeit wirklich keine Gren- Auch 1929 war die Nachfrage nach Gü- die Not der Sassors zu spüren bekamen. zen gesetzt, so groß ist die Not«, sagt der tern aller Art dramatisch gesunken. Die »Wenn die Hotels keine Umsätze machen, CDU-Wirtschaftsexperte und Fraktions- Geschäfte blieben auf ihren Waren sitzen, kommen bei uns auch keine Umsätze an«, vize Carsten Linnemann. »Eine Branche selbst wenn die Händler sie billiger anbo- sagt Raabe. Seine Lkw transportieren Le- nach der nächsten gerät in den Abwärts- ten. Die Regierung forderte die Bürger auf, bensmittel; Hotellerie und Gastronomie strudel.« »jedes Übermaß an Feiern und Vergnügun- machen 85 Prozent seiner Lieferungen aus. Die Nervosität in Berlin ist so groß, weil gen« zu vermeiden. Immer mehr Laden- Der Rest ginge an Betriebskantinen, Schu- es dieses warnende historische Beispiel besitzer gaben auf, jeden Tag wurde Inven- len und Kitas – wären die nicht ebenfalls gibt, weil schon einmal solche Kaskaden tar zwangsversteigert, vor allem Gastro- geschlossen. durchs Land rollten. Und das Beispiel ist nomen litten Not. Das ganze Land stand Nicht nur das Hotel Sassor braucht seine nicht die Lehman-Krise, es ist schlimmer. still, ähnlich wie heute. Lieferungen nicht mehr. Von den zwei Dut- In der letzten Oktoberwoche 1929 rausch- Allerdings war dem Niedergang zur zend Lkw-Touren, die Schwalli normaler- ten die Börsenkurse ins Bodenlose – und Weimarer Zeit eine Phase wilder Speku- weise täglich fuhr, sind gerade mal fünf üb- es sollte 22 Jahre dauern, bis die Kurse lation und maßloser Gier vorausgegangen. rig geblieben. Jetzt sind Raabes Lager voll, wieder das Niveau von vor der Krise er- Diesmal trägt der Finanzsektor keine nur den kleinsten Teil seiner Waren konnte reichten. Der Kollaps der Finanzmärkte Schuld an der Krise. Sie entspringt viel- er an Endverbraucher loswerden. »Bei uns riss die Weltwirtschaft in den Abgrund. In mehr der Realwirtschaft, dem kollektiven gibt es Sahne im Fünf-Liter-Pack und Roast- Deutschland schrumpfte die Wirtschafts- Absturz von Gastwirten, Ladeninhabern beef im 20-Kilo-Karton«, sagt Raabe, »ver- leistung bis 1933 um mehr als ein Viertel. oder Friseuren, die keine Einnahmen ha- suchen Sie mal, das einer kleinen Familie Die Welt war vor 90 Jahren eine kom- ben, aber laufende Kosten – was dann wie- zu verkaufen.« Sein Umsatz ist um fast 85 plett andere, dennoch sehen Ökonomen derum aber zur Gefahr für die Kreditwirt- Prozent eingebrochen. Wie lange kann er mehr Berührungspunkte, als ihnen lieb ist. schaft werden könnte: »Je länger diese Si- das durchstehen? »Drei Monate vielleicht, »So ungebremst, wie jetzt Produktion und tuation andauert, desto größer wird der aber dann muss ich viele Jahre Schulden Nachfrage abstürzen, kann das Ganze so Druck auf die Banken«, sagt Schularick. zurückzahlen.« Der zweite Stein. schlimm werden wie die Große Depres - Eines hat die Geschichte der Weltwirt- Von Dodenau bis nach Witzenhausen sion«, sagt Moritz Schularick. Der Öko- schaftskrise gelehrt: Auch wenn es so bei Göttingen sind es rund 130 Kilometer, nom, derzeit Gastprofessor in New York, wirkt, als sei das Gröbste überstanden, ist dort stehen die Früchte von Thorsten Zin- hat sich mit historisch-empirischen Studi- es noch nicht vorbei. In der Großen De- del und türmen sich bis unter die Decke.
DER SPIEGEL Nr. 15 / 4. 4. 2020 13 Coronakrise
»Weil niemand mehr bestellt, ist unser Tief- kühllager bis zum Rand gefüllt«, sagt Zin- del. Das Unternehmen des 58-Jährigen gibt es seit 1947: Großvater Alfred vertrieb frische Kirschen aus der Region, Enkel Thorsten spezialisierte sich auf die tiefge- kühlte Variante. Großhändler wie Schwalli kaufen bei der Alfred Zindel AG ein, um dann an die Gastbetriebe zu liefern. Dass die Hotels und Gastronomen lang- sam Probleme bekamen, merkte Thorsten Zindel Anfang März, an den Lieferungen, die sein Lager Richtung Großhandel ver- ließen. Zuerst wurden von Paprika und Kirschen nur noch halbe Paletten ange- fragt, dann nur noch einzelne Lagen, dann gar keine mehr. Am 16. März, als im Hotel Sassor die ersten Mitarbeiter gehen muss- ten, brach sein Geschäft nahezu komplett ein. »Je länger dieser Shutdown andauert, desto schlimmer wird es für uns alle«, sagt er. Sein Auftragsvolumen ist um 80 Pro- zent eingebrochen. Ein paar Monate hält er das durch, vielleicht. Der dritte Stein. MARCUS SIMAITIS / DER SPIEGEL MARCUS Der Service-Bund, ein Zusammen- schluss von deutschen Lebensmittelgroß- händlern, fordert mittlerweile weit größere »Wenn die Hotels keine Umsätze machen, Hilfen, als sie der Bundestag bisher be- schlossen hat. Man müsse unbedingt Gas- kommen bei uns auch keine Umsätze an.« tronomen und Hoteliers entlasten, sagt Ge- Thomas Raabe, schäftsführer Ulfert Zöllner – den Anfang Lebensmittelgroßhändler in Nordhessen der Kette, das erste Dominosteinchen. Er schlägt eine Übernahme sämtlicher Fix- kosten vor, von Bruttogehältern über Mie- ten und Gas- und Stromrechnungen, so im Februar vergangenen Jahres vorgeschla- Allerdings wird es teuer, wenn der Staat wie in Dänemark. Nur auf diese Weise gen – damals für den Fall, dass sich ein aus- für alles geradesteht, wenn er temporär könne man die Kette stoppen, bevor sie ländischer Investor ein deutsches Hightech- Konzerne, Mittelständler oder Soloselbst- alle anderen Unternehmen mitreiße. »Das Unternehmen unter den Nagel reißen will. ständige finanzieren und den Bürgern Ar- Geld muss vorn fließen«, sagt Zöllner, »Was haben mich die Ökonomen damals beitsplatz und Einkommen sichern will. »nicht irgendwo dazwischen.« gescholten, als ich staatliche Beteiligungen Das geht nur über neue Schulden, extrem vorgeschlagen habe«, sagt Altmaier heute. hohe Schulden. Der Bundestag hat bereits Egal, wo das Geld fließt, eines steht fest: Nun bekommt er Lob von fast allen Sei- entschieden, die im Grundgesetz ver- Es kommt vor allem vom Steuerzahler. ten für seine riesigen staatlichen Krisen- ankerte Schuldenbremse zeitweise auszu- Der Staat wird nun zwangsweise zum zen- programme. Und niemand widerspricht, setzen. Ein »überschaubares Risiko«, fin- tralen Akteur in der Wirtschaft. wenn staatliche Beteiligungen nun nicht det Schularick, denn die Zinsen sind nied- »Diese Pandemie erfordert nicht nur mas- mehr nur für Konzerne, sondern auch für rig, und Deutschland hat viele gute Jahre sive staatliche Finanzhilfen, sie erfordert kleinere Mittelständler ab 250 Angestell- hinter sich. Intervention, eine staatlich gesteuerte Re- ten vorgesehen sind. Wenn die Bundeslän- Die Probleme liegen in den nächsten organisation der gesamten Wirtschaft«, sagt der in der Not sogar bei noch kleineren Monaten wohl zunächst auf ganz anderen Edmund Phelps, kein linker Theoretiker, Unternehmen direkt als Anteilseigner ein- Gebieten. Wenn die Wirtschaftsordnung sondern Wirtschaftsnobelpreisträger. Es steigen sollen. durcheinandergewirbelt wird, wenn der brauche eine »systemische Absicherung«, Deutschland auf dem Weg in die Staats- Staat plötzlich alte Regeln außer Kraft mit »groß angelegten Eingriffen des Staates, wirtschaft: Das klingt befremdlich, nach setzt und im Schnellverfahren durch neue in die Art und Weise wie die Wirtschaft pro- Planerfüllung und Ineffizienz, nach DDR. ersetzt, wird es zu Chaos kommen. duziert«. Vor ein paar Wochen noch hätte Viele Ökonomen halten so einen System- Die Bundesregierung hat den normalen sich kaum ein etablierter Ökonom zu einer wechsel allerdings für machbar – solange Wirtschaftskreislauf mit den Anti-Corona- solchen Aussage hinreißen lassen, nun kom- er vorübergehend ist. In Zeiten von Krie- Gesetzen bereits an mehreren Stellen un- men solche Forderungen aus allen Lagern. gen habe der Staat gezeigt, dass er die Ka- terbrochen: Vermieter dürfen Mietern Für den deutschen Wirtschaftsminister pazität hat, Marktmechanismen außer nicht mehr kündigen, wenn diese ihre Mie- ist das trotz aller aktuellen Sorgen auch ein Kraft zu setzen und selbst die Wirtschaft te infolge der Coronakrise vorerst nicht wenig Genugtuung. Wenn man Peter Alt- zu steuern, sagt Krisenexperte Schularick. begleichen können. Konsumenten, die ein maier in diesen Tagen bei seiner Arbeit »Die Ressourcen werden dann auf ein Ziel Verbraucherdarlehen etwa zur Finanzie- begleitet, erlebt man einen angespannten, gebündelt – damals den Krieg, heute das rung ihrer Wohnung aufgenommen haben, aber auffallend selbstbewussten Politiker. Virus.« In solchen Situationen sei der Staat dürfen die Raten bis vorerst Juni aussetzen Verstaatlichung, das war bis vor Kurzem autorisiert, zentrale Güter zu bewirtschaf- und später nachzahlen. Wenn nötig, darf noch ein Schimpfwort in seiner Partei. Alt- ten, im Krieg die Erdölvorräte, heute viel- die Große Koalition die Maßnahmen sogar maier hatte es in seiner Industriestrategie leicht Beatmungsgeräte. bis Ende September verlängern, ohne dass
14 DER SPIEGEL Nr. 15 / 4. 4. 2020 der Bundestag das noch einmal absegnen Flexibel bleiben. müsste. »Mit diesen Eingriffen ins Vertragsrecht hat die Regierung eine Grenze überschrit- Lesen Sie den SPIEGEL, ten«, sagt Clemens Fuest, Chef des Münch- ner Ifo-Instituts. »Sie stellt damit die Si- solange Sie möchten. cherheit von Vertragsbeziehungen infrage, dafür muss man schon sehr gewichtige Frei Haus. Gründe haben.« Der SPIEGEL jede Woche direkt nach Hause Dass kein Mieter wegen der Corona- krise seine Wohnung, kein Selbstständiger 4 % sparen. sein Ladengeschäft verlieren sollte, steht Für nur € 5,10 pro Ausgabe statt € 5,30 im Einzelkauf außer Frage. Doch es waren nicht strau- chelnde Privatpersonen, sondern Unter- Ohne Risiko. nehmen wie Adidas, Deichmann, und Jederzeit kündbar, Urlaubsservice möglich H&M, die als Erste ankündigten, ihre La- Vergünstigte Tickets. denmieten vorerst als präventive Maßnah- me zurückhalten zu wollen. Für ausgewählte SPIEGEL-Veranstaltungen Die Fälle zeigen, wie groß die Nervosi- auf www.spiegel-live.de tät in den Unternehmen ist. Und wie drin- gend es klare Regeln für die neue Corona- Wirtschaft braucht. Ungewohnte Fragen sind dringend zu klären: Können Unter- nehmen mit staatlichen Krediten machen, was sie wollen, oder müssen klare Bedin- gungen an die Vergabe geknüpft werden? Einfach jetzt anfordern: Dürfen staatlich gestützte Unternehmen noch Boni zahlen, Aktien zurückkaufen abo.spiegel.de/flexibel oder Wettwerber übernehmen? Und wer entscheidet eigentlich, wie lan- oder telefonisch unter 040 3007-2700 ge wir Zombies am Leben halten: Unter- (Bitte Aktionsnummer angeben: SP-FLEX) nehmen, die auch vor Corona schon kri- selten oder vor dem Aus standen, und nun dank Staatshilfe eine künstliche Lebens- Keine verlängerung erhalten? Mindest- Hier setzt traditionell die Kritik am star- ken Staat an: Wenn Politiker und Beamte laufzeit versuchen, die Wirtschaft zu dirigieren, geht das immer schief. Und wenn nun auch noch in die Grundlagen der Wirtschafts- ordnung eingegriffen wird, könnte vor lau- ter Krisenmanagement schnell vergessen werden, dass die deutsche Wirtschaft nach Corona weiter wettbewerbsfähig sein muss. Mehr noch als vorher sogar. Denn die Weltwirtschaft wird nach der Krise eine andere sein.
Niemand kann derzeit vorhersagen, wie zukunftsträchtig das deutsche Exportmo- dell in einer sich deglobalisierenden Welt noch ist. Deutschland ist wie kaum ein an- deres Land abhängig von Ausfuhren, gut die Hälfte der Waren, die die Industrieun- ternehmen herstellen, werden im Ausland verkauft. Die deutsche Wirtschaft: Das ist Siemens, Bosch oder BASF – Konzerne, die überproportional vom Welthandel ab- hängen. Und es sind die rund tausend mit- telständischen »Hidden Champions«, oft regional verwurzelt, die am Weltmarkt eine Spitzenstellung einnehmen. Das macht sie in der Coronakrise so au- ßerordentlich verwundbar, wenn Liefer- ketten reißen und Grenzen geschlossen werden. Das Virus legt brutal die Schwä- chen und Gefahren der Globalisierung of-
15 Coronakrise fen. Die Deglobalisierung sei längst im hierzulande? Oder warum haben die Un- und Sicherheit, sagt Schularick. Für die Gange, sagt Ökonom Schularick. »Durch ternehmen ihre Lagerhaltung derart he- Exportnation Deutschland bedeutet das: die Finanzkrise und dann den Populismus runtergefahren, sich auf Just-in-time-Be- Ihre Unternehmen müssen sich auf einen hatten wir schon einige Jahre vor Aus- lieferungen verlassen und sich mit ihren noch härteren globalen Wettbewerb ein- bruch des Virus den Höhepunkt erreicht langen Lieferketten höchst verletzlich ge- stellen. und überschritten.« Der Aufstieg der Popu - macht? »Da wird man neu nachdenken«, Es ist ein fast unmöglicher Balanceakt: listen, die Konflikte im Welthandel, erwartet Schularick. Die Unternehmen kämpfen gegen den höhere Zölle und neue Vorschriften: Viele Am Ende geht es um nicht weniger als vielleicht größten Absturz der Geschichte Regierungen sind längst vom Prinzip of - die Suche nach einem neuen Wirtschafts- und sollen gleichzeitig noch eine Schippe fener Märkte abgerückt. Der Corona- modell. Weniger global, weniger arbeits- drauflegen. Innovativer, technologiestär- Schock beschleunigt den Prozess nun. teilig. Dies würde die Produktion ineffi- ker, exportunabhängiger werden. Die Krise wirft neue Fragen auf: Warum zienter und teurer machen. Ein Nachteil, Dass es dafür mehr kleine, wendige Fir- wird etwas Überlebenswichtiges wie An- den die Menschen gleichwohl in Kauf näh- men braucht, Start-ups insbesondere, steht tibiotika in China produziert und nicht men, gewännen sie damit an Souveränität schon lange fest. Aber die gehören nun zu den Ersten, die in der Krise fallen. Kaum eine Branche trifft das Beben so unvorbereitet wie die deutsche Start-up- Szene. Selbst in wirtschaftlich ruhigen Zeiten sind viele der Neugründungen auf Kante genäht, angewiesen auf immer neue Kapitalspritzen. Das ist Teil des Konzepts: Potenzielle Geldgeber interessiert das Wachstum eines Unternehmens mehr, als die Frage, ob es Gewinne macht oder gar Rücklagen für magere Jahre bildet. In Krisenzeiten offenbaren sich die Tü- cken dieses Spiels: »Wer in den nächsten Monaten dringend Kapital braucht, hat jetzt ein Problem«, sagt Christian Miele, Präsident des Bundesverbands Deutsche Start-ups und Urenkel des gleichnamigen Waschmaschinenpioniers. Er ließ in der vergangenen Woche eine Umfrage bei mehr als tausend jungen Gründern und Gründerinnen durchführen – mit erschre- ckendem Ergebnis: Acht von zehn sehen sich in ihrer Existenz gefährdet. Miele konnte diese Ergebnisse anfangs kaum glauben: »Das Bild ist weit dramati- scher, als wir es uns vorgestellt haben«, sagt er. Zwei Drittel der Befragten planen, den Staat um Hilfe zu bitten. Für Deutschland ist das Überleben der Start-ups elementar. Allein in Berlin schu- fen sie in den vergangenen zehn Jahren 80 000 neue Jobs. Und zogen dort ver- gangenes Jahr 3,7 Milliarden Euro Kapital an. Der Schuhversandhändler Zalando ist mittlerweile einer der größten Arbeit- geber der Stadt. »Es geht jetzt darum, ein Desaster abzuwenden«, sagt Miele. Den Bundestag hat er bereits überzeugt: Der jüngst verabschiedete Wirtschaftsstabi- lisierungsfonds schließt rund 150 bis 200 Start-ups mit einer Bewertung von über 50 Millionen Euro ein, auch Selbststän - dige und Kleinunternehmer sind abge -
PHILIP FROWEIN / DER SPIEGEL PHILIP FROWEIN sichert. Am Dienstag kündigte die Bun- desregierung zusätzlich an, Gründern kurzfristig mit einem Zwei-Milliarden- »Wir wollen wirtschaftlich erfolgreich sein, Euro-Fonds zu helfen. Im Wirtschaftsministerium widmen sich aber auf verantwortliche Art.« mehrere Stäbe, unterstützt von einer Hun- dertschaft an Beratern, der Zeit nach der Antje von Dewitz, Krise: Es werden erste Szenarien entwi- Haupteigentümerin des Outdoor-Spezialisten Vaude ckelt, wie Deutschland bei einer globalen Aufholjagd vorneweg laufen könnte.
16 Öffentlich will man darüber noch nicht der Planung und Vorbereitung für die kom- reden, die Krisenhilfe soll im Vordergrund Wer kam besser aus der Krise? menden Saisons beteiligt sind, arbeiten stehen. Aber intern sieht man die Chance, noch. Auch der deutsche Teil der Fertigung, all das Lähmende endlich abzustreifen, USA China Eurozone die Taschenmanufaktur in Tettnang, läuft über das jahrelang gestritten wurde und zunächst weiter, weil noch Auftragsrück- auf dessen Beseitigung man sich nicht ei- stände aufzuholen sind. Leute, die in der nigen konnte: die überbordende Bürokra- Beginn der Weltfinanzkrise Logistik arbeiten, wo es jetzt fast nichts zu tie, die zähen Genehmigungsverfahren, tun gibt, helfen dort aus. Die 200 Mitar- 2008 ideologische Grundsatzkämpfe. »Für all beiter, die Dewitz ins Homeoffice geschickt das ist keine Zeit mehr«, sagt ein hochran- hat, bekamen ein paar Tage Sonderurlaub, giger Mann im Wirtschaftsministerium. um Kinderbetreuung und das Leben im Jetzt öffne sich ein Zeitfenster, um mit der Bruttoinlandsprodukt Krisenmodus zu organisieren. Gesellschaft einen Konsens über einen Veränderung zum Vaude verhandelte Kompromisse mit tiefgreifenden Wandel der Wirtschaft her- Vorjahr, in Prozent den Händlern, die Bestellungen stornieren zustellen. So wie der damalige Kanzler 11,4 und Zahlungsaufschub bekommen wollen, Gerhard Schröder einst eine tiefe Krise vereinbarte mit den in Asien angesiedelten nutzte, um den Arbeitsmarkt grundlegend 6,1 Produzenten und Lieferanten spätere Zah- zu reformieren. lungsziele. Doch dazu müssen die Unternehmen Das Unternehmen verhandelt mit den 3,5 den Schock erst einmal überleben, vor al- 2,3 Vermietern seiner vier Outlets über Miet- lem die kleinen und mittleren. Und viel- minderungen für die Zeit, in der auf leicht ist der langfristig bessere Weg dafür behördliche Anordnung die Läden ge- nicht der kalte Konzernegoismus. Vielleicht 1,7 1,2 schlossen bleiben. »Wir glauben, dass es kommen gerade jene Unternehmen besser unsere Position stärkt, wenn wir uns jetzt durch die Krise, die versuchen, ihre Netz- als verlässlicher Partner zeigen«, sagt werke zu erhalten und solidarisch zu sein. Dewitz. –4,5 Solidarisches, nachhaltiges Wirtschaften Der schwäbische Outdoor-Spezialist als alternative Krisenbewältigung zum Vaude hat in den vergangenen Jahren viele Raubtierkapitalismus, kann das gut gehen? Auszeichnungen bekommen: den Umwelt- Arbeitslosenquote Wenn sich der Shutdown bis Ende Mai preis für Unternehmen des Landes Baden- 9,6 in Prozent oder Juni zieht, stößt auch der kooperative Württemberg, den European Business Weg von Vaude an Grenzen. Selbst im bes- 5,1 Award; es war für den Preis für soziale 3,7 ten Fall wird am Ende des Jahres ein deut- Verantwortung der Bundesregierung no- licher Verlust stehen, zumal Dewitz davon miniert. Ein Mittelständler, der nicht nur ausgeht, dass der Markt mit herunter- schnell wächst, sondern seine Trekking- gesetzter Ware überschwemmt werden rucksäcke, Mountainbike-Schuhe und wird, sobald das Geschäft wieder anläuft. Funktionsjacken auch nachhaltig und so- 4,2 3,8 Das Bankenkonsortium der Firma trägt zial verantwortlich produziert. »Wir wol- dieses Szenario mit, vorerst reicht auch len wirtschaftlich erfolgreich sein, aber auf die Liquidität. verantwortliche Art und partnerschaftlich offizielle chinesische Angaben Bleiben die Läden bis Ende Mai zu, mit unseren Mitarbeitern«, sagt Chefin muss Dewitz den Kurs ändern. »Dann fah- Antje von Dewitz. 12,0 ren wir auf Notreserve runter, es müsste 9,1 Sie hat die Führung der Firma vor elf 7,6 einen radikalen Kostenstopp geben.« Jahren von ihrem Vater übernommen. Seit Die Produktion in der Manufaktur würde drei Wochen fragt sie sich, wie viel davon stillgelegt, die Beschaffung in Asien für noch übrig bleibt. Auch Vaude kämpft Sommer 2021 würde massiv reduziert. über kurz oder lang um das nackte Über- Dann würden auch Marketing und Pro- leben. Am 11. März erhielt die Vaude-Che- duktentwicklung drastisch gekürzt und fin eine E-Mail ihres wichtigsten Vertriebs- ein Großteil der Belegschaft in Kurzarbeit partners in Italien. Er schilderte die dra- geschickt. matische Situation im Land und kündigte 29,0 Warenexporte In dieser Woche hat Vaude mit den Ban- an, alle 720 Filialen zu schließen. Veränderung ken besprochen, wie hoch die KfW-Kredi- Von da an ging es Schlag auf Schlag. In zum Vorjahr, te sein müssten, um liquide zu bleiben. allen Kernmärkten sind die Sport- und in Prozent Noch sind das Vorsichtsmaßnahmen, Outdoor-Läden, die Kaufhäuser und 24,8 die Hoffnung überwiegt. Dewitz versucht, Franchisenehmer, über die Vaude verkauft, die Stimmung hochzuhalten, den Zusam- mittlerweile geschlossen. Auch der Online- 7,7 2,3* menhalt zu fördern. Mit einem neuen On- handel lahmt. Der Umsatz ist insgesamt 1,8* lineprogramm machen Mitarbeiter aus auf etwa zehn Prozent des normalen Ni- dem Homeoffice nun gemeinsam Sport veaus abgestürzt. 5,2 per Videokonferenz. Dewitz arbeitet mit drei Szenarien: 0,9* »Wir schaffen das«, sagt Dewitz. Shutdown bis Ende April, bis Ende Mai *Schätzung; Simon Hage, Martin Hesse, oder bis Ende Juni. Noch plant sie mit der –14,3 Quellen: IWF, Ameco Alexander Jung, Anton Rainer, optimistischsten Variante. Marcel Rosenbach, Thomas Schulz, Vaude hat für 40 Prozent der Beschäf- Anne Seith, Gerald Traufetter tigten Kurzarbeit angemeldet. Alle, die an 2005 2012 2019
DER SPIEGEL Nr. 15 / 4. 4. 2020 17 Coronakrise
nicht bewältigen. Jetzt geht es darum, dass man den Patienten ausreichend versorgt, »Der Staat muss damit er diese Zeit ohne größere Schäden überlebt. Denn wie das Ganze ausgeht, steht ja noch gar nicht fest. Der riesige wie ein Arzt das System Crash ist nicht zwingend. Man kann das hinkriegen. SPIEGEL: Wie denn? stabilisieren« Bofinger: Was die Bundesregierung ge- macht hat, ist richtig, aber nur ein erster Schritt. Wenn wir noch vier oder sechs Wochen Shutdown haben, brauchen wir nicht nur Liquiditätshilfen für die Unter- nehmen, Kredite allein genügen nicht. Ich habe deshalb eine Art negativer Einkom- »Ich würde mensteuer vorgeschlagen: Der Staat soll den Unternehmen einen Teil der Steuern, die sie im vergangenen Jahr gezahlt haben, zurückgeben. den Patienten friedlich Friedrich: Ob das den Unternehmen wirklich hilft? Das ganze System ist doch krank. Wir werden eine Pleitewelle sehen, einschlafen lassen« die 1929 in den Schatten stellen wird. Die USA haben vorige Woche den größten Anstieg der Arbeitslosigkeit seit Beginn der Aufzeichnung gemeldet, das ist leider auch hier zu erwarten. Wann haben die SPIEGEL-Streitgespräch Der Bestsellerautor Marc Friedrich hat großen Automobilkonzerne Daimler und den größten Crash aller Zeiten prophezeit und sieht VW jemals zuvor die Produktion ge- stoppt? sich durch die Pandemie bestätigt. Der Ökonom Peter Bofinger Bofinger: Das hat doch nichts mit einem hält die Thesen noch immer für Quatsch. angeblich kranken System zu tun. Sie kom- men mir vor wie ein Vulkanforscher, der sagt, der Vulkan bricht aus, und das Dorf A wird verschüttet. Dann brennt es im SPIEGEL: Herr Friedrich, im Dezember und negative Zinsen, deshalb kommt es Dorf B, und Sie sagen: Ich habe es doch haben wir mit Ihnen und Herrn Bofinger zu einer Krise in der Finanzwirtschaft. Das gleich gesagt. Die großen deutschen Kon- ein Streitgespräch über den von Ihnen Virus trifft jetzt aber vor allem die Real- zerne haben riesige Liquiditätspolster… prognostizierten größten Crash aller Zei- wirtschaft. Wie sich das auf die Finanzwirt- Friedrich: …noch. Ich glaube, wir werden ten geführt. Seither sind die Börsenindizes schaft auswirkt, muss man erst mal sehen. in wenigen Wochen in einer komplett an- teilweise um bis zu 40 Prozent eingebro- Friedrich: Dann darf ich noch einmal da- deren Welt aufwachen. chen. Fühlen Sie sich bestätigt? ran erinnern, was Sie in unserem letzten Bofinger: Ich glaube: Wir schaffen das. Friedrich: Mir war klar, dass der Crash ir- Gespräch gesagt haben: Ich sehe keinerlei Das hier ist kein klassischer Konjunktur- gendwann kommen würde, mir war nur Anlass für eine Weltrezession, einen Zu- einbruch. Der geht meistens vom Investi- nicht klar, was der Auslöser sein würde. sammenbruch der Finanzmärkte oder eine tionsbereich aus, vom Export oder dem Das Coronavirus hat das Ganze beschleu- starke Inflation. Immobiliensektor. Dieses Mal geht der pri- nigt, es war die Nadel, die die Finanz- Bofinger: Das ist doch alles richtig. vate Verbrauch voll in die Knie. Wenn wir marktblase zum Platzen gebracht hat. Friedrich: Des Weiteren haben Sie gesagt: eine große Pleitewelle vermeiden, kann Dass eine Rezession kommen musste, Es gibt keine Anzeichen, dass die Welt- die Beschäftigung nach der Krise ohnehin habe ich ja immer gesagt, weil die Märkte wirtschaft um 20 Prozent abstürzen könn- wieder hochgefahren werden. Aber dafür seit Jahren aus dem Gleichgewicht sind. te. Wo sollte das denn herkommen? Ich muss die Politik jetzt mutig sein. SPIEGEL: Herr Bofinger, das sehen Sie habe immer gesagt und geschrieben: Aus- SPIEGEL: Das heißt, sie muss mehr Schul- sicher anders. löser könnte eine Naturkatastrophe sein den machen als jetzt schon geplant? Bofinger: Natürlich. Ich finde es abenteu- oder der Zusammenbruch einer großen Bofinger: Das ist die einzige Lösung. Der erlich, das Coronavirus zu instrumenta - Bank. Die Frage ist nicht, was es ist, son- frühere EZB-Chef Mario Draghi hat das lisieren. Die ganzen wirtschaftlichen Pro- dern wann es geschieht. Und es ist gesche- sehr schön gesagt: Die Schulden dürfen bleme sind ja nur entstanden durch die hen. Ökonomen wie Sie und die Noten- nicht bei den Unternehmen sein, sondern Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche. banken können Krisen immer nur im der Staat muss sie in seine Bilanz nehmen. Der Shutdown hat die gesamte Wirtschaft Nachhinein erklären, sie sehen sie nie kom- Friedrich: Dann kriegen wir eine Hyper- lahmgelegt. Betroffen sind nicht hoch ver- men. Wäre dieses Virus auf ein gesundes inflation. schuldete Unternehmen, sondern der Ein- Finanzsystem gestoßen, wären die Verwer- Bofinger: Überhaupt nicht, der ganze Pro- zelhandel, der Mittelstand. Die hatten zu- fungen nicht so groß. zess ist hoch deflationär. In einer schweren vor keine Finanzierungsprobleme. Bofinger: Das gesündeste Finanzsystem Rezession haben wir hohe Arbeitslosig- Friedrich: Beim letzten Punkt bin ich der Welt würde einen solchen Shutdown keit, viele Insolvenzen, Überkapazitäten, ganz bei Ihnen. ohne staatliche Hilfe nicht verkraften. Die also Deflation. Deshalb müssen Staaten Bofinger: Moment. Ihre These war doch: Wirtschaft wurde in ein künstliches Koma und Notenbanken noch mehr als jetzt tun, Wir haben eine Überschuldung in der Welt versetzt, das kann sie aus eigener Kraft um die Wirtschaft am Leben zu erhalten.
18 DER SPIEGEL Nr. 15 / 4. 4. 2020 ANDREAS REEG / DER SPIEGEL REEG ANDREAS / DER SPIEGEL REEG ANDREAS
Friedrich, 44, Autor und Vermögensberater, hat Bofinger, 65, ist Professor für Volkswirtschaftslehre zusammen mit seinem Partner Matthias Weik den Bestseller an der Universität Würzburg und war 15 Jahre lang Mitglied »Der größte Crash aller Zeiten« geschrieben. des Sachverständigenrats.
Friedrich: Wir versuchen seit Jahren, dro- Bofinger: Japan lebt mit einer sehr hohen untergegangen ist, sondern gestärkt aus hende Rezessionen mit Gelddrucken und Staatsverschuldung, derzeit sind es fast ihnen hervorgegangen ist. Nach dem Welt- Zinssenkungen zu bekämpfen. Diese Me- 240 Prozent relativ zur Wirtschaftsleis- krieg kam das Wirtschaftswunder. dikamente haben nie funktioniert. Mit tung, seit Jahrzehnten bestens. Bofinger: Das ist abenteuerlich! Gelddrucken kann man weder Wohlstand Friedrich: Ihr Problem ist: Sie trauen sich SPIEGEL: Herr Friedrich, was würden Sie erzeugen noch das Virus bekämpfen. nicht aus Ihrem Denken heraus. Wenn denn jetzt konkret tun? Wenn die amerikanische Notenbank wei- man, wie Sie, Krisen nicht erkennt, sucht Friedrich: Ich würde versuchen, die Her- terhin wie in der vergangenen Woche je- man lieber nach Punkten, die für das Sys- denimmunität zu stärken. Damit die Volks- den Abend 125 Milliarden Dollar ins Sys- tem sprechen. Für mich ist das Ding durch, wirtschaft nicht zu sehr in die Knie geht, tem pumpt, dann würde ihre Bilanz bis ich glaube nicht, dass man das System noch sollten Vorgeschädigte und Ältere ein, zum Jahresende rund 30 Billionen Dollar einmal wird retten können. Wir können zwei Monate zu Hause bleiben, der Rest groß sein, das ist Wahnsinn! Die Ungleich- uns ein wenig Zeit erkaufen, aber spätes- geht raus und macht seine Arbeit. So könn- gewichte im Finanzsystem werden immer tens 2021, 2022 werden die Schuldenblasen te man das Wirtschaftssystem noch ein größer. Das wird nicht gut gehen. platzen. Und dann stehen wir vor densel- bisschen beibehalten. Bofinger: Ich sehe es genau andersherum: ben Problemen, nur dass sie sich bis dahin Bofinger: Als Ökonom würde ich mir eine Die Lösung des Problems wird genau das potenziert haben. Weiterhin Geld hinein- solche Aussage nicht zutrauen, das würde sein, was Sie als Ursache sehen: Schulden. zupumpen kann nicht die Lösung sein. ich den Leuten überlassen, die mehr davon Friedrich: Sobald ein Land in der Vergan- Bofinger: Wir kommen da nicht zusam- verstehen. Aber was würden Sie tun, wenn genheit eine Verschuldung von mehr als men. Wenn die Staaten sich nicht weiter wir von der Prämisse ausgehen, dass der hundert Prozent des Bruttoinlandspro- verschulden würden, hieße das ja, die Shutdown nötig ist? dukts hatte, kam es immer zu Inflation Dinge einfach laufen zu lassen. Dann be- Friedrich: Die Staaten werden sich ver- oder einer Währungsreform. kämen wir genau jene Krise, die Sie pro- schulden, um das Karussell am Laufen zu Bofinger: Das stimmt doch nicht. Sehen Sie phezeien. halten, und das ist wahrscheinlich die ein- sich die Kriegsfinanzierung der USA und Friedrich: Das System als Ganzes ist ma- zige Lösung, die es momentan im System Großbritanniens an. Die hatten einen riesi- rode, aber Sie trauen sich nicht, den Ste- gibt. Nur löst es die Probleme nicht. gen Anstieg der Schulden, die sie nach dem cker zu ziehen. Ich würde den Patienten SPIEGEL: Wie würden Sie diese Probleme Krieg und einer kurzen Phase der Inflation friedlich einschlafen lassen. denn lösen? problemlos wieder abgebaut haben… SPIEGEL: Wie bitte? Friedrich: Ich würde den Euro ad acta Friedrich: …weil es nach dem Krieg den Friedrich: Warum soll man einen Patien- legen und den Ländern die Schulden er- größten Aufschwung in der Geschichte der ten am Leben erhalten, der nur noch lassen. Wir müssen den Menschen direkt Menschheit gab. Wir haben seit Jahren Schmerzen hat? Die Vergangenheit hat solidarische Hilfe zukommen lassen. Ich weltweit ein schwaches Wachstum. bewiesen, dass die Welt nach Krisen nie würde Italien 10, 20 Milliarden Euro ge-
19 Coronakrise ben, als Geschenk und nicht ver- SPIEGEL: Die Eurozone ist aber packt in Corona-Bonds. Wir brau- kein eigener Staat. chen ein neues Geldsystem, das Bofinger: Es ist in der Tat ein Pro- nicht auf Schulden finanziert ist. blem, dass wir unterschiedliche Und wir werden uns verabschie- Nationalstaaten haben, aber eine den müssen von den ganzen In- gemeinsame Notenbank. Trotz- stitutionen, die den Menschen dem: Wenn die Eurozone geeint nichts bringen. am Kapitalmarkt auftritt, steht SPIEGEL: Welche Institutionen der Euroraum so geschlossen da meinen Sie? wie Japan und die USA. Friedrich: EU, EZB, all das, was SPIEGEL: Also Eurobonds? zentralistisch und planwirtschaft- Bofinger: Es geht nicht um Euro- lich fern der Menschen ist. bonds, sondern um Corona- Bofinger: Die EU würden Sie ab- Bonds. Das muss eine einmalige schaffen? Jedes Land soll sein ei- Veranstaltung sein. Wenn wir aus- genes Glück in der Weltwirtschaft rechnen, dass diese Krise drei, versuchen? Sie meinen, wenn die vier oder fünf Prozent des Brut- Länder national vorgehen, kön- toinlandsprodukts kostet, dann nen sie sich global besser behaup- Bofinger, Friedrich beim SPIEGEL-Streitgespräch* begeben wir halt Corona-Bonds ten? Was glauben Sie, was los »Seien Sie nicht so negativ« in dieser Höhe und verteilen das wäre, wenn wir jetzt noch die D- Geld auf die Länder nach einem Mark hätten? festen Schlüssel. Als ganz gezielte Friedrich: Es gibt keine Heilung ohne Friedrich: Der Kapitalismus in seiner heu- Maßnahme und nicht, um die Schulden Schmerzen. Wir müssen endlich die Rea- tigen Form ist eine Illusion, er ist am Ende. der Vergangenheit zu begleichen. Das wird lität anerkennen. Diese Politik wird die Wir haben uns 2008 entschieden, den fal- den Menschen einleuchten. linken und rechten Ränder stärken. schen Weg der Verschuldung und des billi- SPIEGEL: Glauben Sie nicht, dass die Euro - Bofinger: Sobald nur der geringste Ge- gen Geldes weiterzugehen. Damals haben staaten dann versuchen würden, künftig danke laut würde, der Euro sollte abge- die Notenbanken die Banken gerettet, in- alle Probleme auf diesem Weg zu lösen? schafft werde, gäbe es tatsächlich den zwischen müssen wir uns fragen: Wer ret- Bofinger: Das kann sein. Ich hätte auch größten Crash. Das wäre so, als würden tet die Notenbanken und die Staaten? nichts dagegen, wenn wir nach dieser Krise Sie einem Corona-Patienten auf der In- Bofinger: Also mal langsam. Man hat aus sagen würden, dass wir Geld für den Klima- tensivstation auch noch eine Hüftopera- der letzten Krise viel gelernt und die Ban- wandel brauchen und das über Klimabonds tion zumuten. ken stabiler gemacht. Deren Kreditver- hereinholen. Die EZB könnte diese Bonds Friedrich: Wenn Sie den Blinddarm ope- gabe war in den vergangenen Jahren sehr ebenso wie die Corona-Bonds aufkaufen. rieren und dabei Krebs feststellen, müssen zurückhaltend. Man muss einfach mit SPIEGEL: Das wäre dann direkte Staats - Sie auch handeln. Dieses System ist dem Instabilität leben. Die Staaten können ein- finanzierung durch die Notenbank. Tod geweiht. Das Coronavirus wird den greifen, wenn es brennt, sie können die Bofinger: Wo wäre das Problem? Euro killen. Schulden in ihre Bilanzen nehmen. Friedrich: Weil das schon wieder ein Ver- SPIEGEL: Herr Bofinger, zurück zu Ihrer Friedrich: Wie soll das denn finanziert tragsbruch wäre… Lösung: Mehr Geld drucken. werden? Und die Banken sind nicht stabi- SPIEGEL: …denn die direkte Staatsfinan- Bofinger: Seien Sie mal nicht so negativ. ler – schauen Sie sich nur mal die Aktien- zierung durch die EZB ist verboten. So Wir müssen den Patienten mit möglichst kurse der europäischen Banken an. steht es in den EU-Verträgen. wenig Schäden durch das Koma kriegen, Bofinger: Durch die Notenbanken, was Bofinger: Ja, aber wir haben auch eine das kostet nun mal viel Geld. denn sonst! beispiellose Krise. SPIEGEL: Riskieren wir nicht, durch die Friedrich: Na super! SPIEGEL: Herr Bofinger, der Staat macht billionenschweren Hilfsprogramme Unter- Bofinger: Da müssen Sie gar nicht lachen. Schulden, die die EZB aufkauft– das erin- nehmen, die schon vorher so gut wie tot Wenn der Staat die Schulden nicht über nert an ein Perpetuum mobile. Gibt es für waren, sogenannte Zombies, künstlich am die Märkte finanziert bekommt, dann über Sie keine Grenze der Staatsverschuldung? Leben zu halten? die Notenbanken. Dann wird sich die Lage Bofinger: Doch natürlich, die Grenze sind Bofinger: Man kann jetzt kein Finetuning normalisieren, ohne Inflation. Der Staat die realen Ressourcen einer Volkswirt- betreiben, wir werden Mitnahmeeffekte muss einschreiten, wenn Deflation droht. schaft. Wenn ich die Staatsverschuldung sehen. Aber man muss klotzen, darf nicht Man muss da situativ herangehen. Japan exzessiv einsetze, droht Inflation. Wenn kleckern. Die Frage ist immer: Macht man macht das seit Jahrzehnten. ich sie kontrolliert in der richtigen Situa- zu viel oder zu wenig? In dieser Krise wür- Friedrich: Sie können doch Japan nicht tion einsetze, vermeide ich Deflation. Es de ich lieber zu viel machen. mit der Eurozone vergleichen. kommt immer darauf an, die richtige Friedrich: Der Schaden wird umso größer, Bofinger: Doch, beides sind große Volks- Diagnose zu treffen und die richtige Dosis je länger man die Rettung von Firmen in wirtschaften. zu finden. Und gegenwärtig haben wir die Länge zieht, die nicht überlebensfähig Friedrich: Japan hatte Glück im Unglück, eine sehr spezielle Situation. sind. dass seine Blasen mit Beginn der Globali- Friedrich: Ich finde es unfassbar, dass Bofinger: Ich vergleiche Wirtschaftssyste- sierung geplatzt sind, zudem ist der Staat Sie immer noch glauben, weiteres Geld- me mit dem menschlichen Körper. Der ist im Inland verschuldet und hat eine eigene drucken würde die Krise lösen. im Prinzip ein geniales System und hat Währung. Bofinger: Und ich finde es unfassbar, dass stabile Abwehrreaktionen. Aber manche Bofinger: Genau wie die USA und Groß- Sie keine Lösung haben. Sie würden die Schocks verträgt er nicht. Dann muss der britannien. Weltwirtschaft zusammenbrechen lassen. Staat wie ein Arzt das ganze System sta- SPIEGEL: Herr Bofinger, Herr Friedrich, bilisieren. Ein absolut schockresistentes * Mit den Redakteuren Tim Bartz (unten l.) und Armin wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Wirtschaftssystem ist eine Illusion. Mahler (oben r.) in Videokonferenz.
20 DER SPIEGEL Nr. 15 / 4. 4. 2020 DANKE!
Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen in schwierigen Zeiten einen großartigen Job. Sie sorgen dafür, dass Briefe und Pakete zu Ihnen kommen. Damit Sie, liebe Kunden, zu Hause bleiben können. Bitte helfen Sie uns, Kontakte während der Zustellung zu reduzieren. Danke für Ihre Unterstützung und Ihr Vertrauen! Danke an alle in der Zustellung, in der Sortierung, in den Filialen und hinter den Kulissen für ihren einzigartigen Einsatz!
Aktuelle Informationen unter deutschepost.de/coronavirus und dhl.de/coronavirus Deutschland EMILE DUCKE / THE NEWYORKTIMES/REDUX / LAIF EMILE DUCKE / THE NEWYORKTIMES/REDUX
Fußgängerzone Die Budapester Straße ist die Pulsader der alten City West von Berlin – gen Nordwesten führt sie als Hardenbergstraße vierspurig am Bahnhof Zoo vorbei, östlich mündet sie in den Tiergarten. Jetzt sind die riesigen Straßenzüge so leer wie zu Normalzeiten nicht einmal mitten in der Nacht.
Politiker rügen RKI-Chef Wieler Robert Koch-Institut Abgeordnete der Regierungskoalition erbost über öffentlichen Schlingerkurs