Kritik Der Mitbestimmung Edition Suhrkamp
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Kritik der Mitbestimmung Mit Beiträgen von Frank Deppe, Jutta von Freyberg, Christof Kievenheim, Regine Meyer und FrankWerkmeister edition suhrkamp SV edition suhrkamp Redaktion: Günther Busch IAjül Frank Deppe, geboren 1941, ist wtsscnschaftlidier Assistent am Soziologischen Institut der Universität Marburg; Jutta von Freyberg, geboren 1944, ist Doktorandin der Politikwissenschaft in Marburg; Christof Kievenheim, geboren 1946, studiert Soziologie und Politik wissenschaft in Marburg; Regine Meyer, geboren 1948, studiert So ziologie und Politikwissenschaft in Marburg; Frank Werkmeister, geboren 1941, ist Doktorand der Politikwissenschaft in Marburg. Die Diskussion über die Mitbestimmung, wie sie gegenwärtig zwi schen den Parteien, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden ge führt wird, istin wesentlichen Punkten fragwürdig; sie klammert die gesellschaftspolitischen Implikationen aus: die kritische Neubestim mung des Verhältnisses von Staat, Parteien, Unternehmern, Gewerk schaften und Arbeitern; den spezifischen Zusammenbang von Kapi^ und Arbeit in der Industriegesellschaft; dieFrage der Demokratisie rung und Kontrolle des WirtschaftsVerhaltens; die politisAe Bedeu tung von Arbeitskämpfen. Die Studie der Marburger Soziologen hat diese Probleme zum Thema; sienimmt die politische Intention wirt schaftlicher Demokratie beim Wort. Kritik derMitbestimmung Partnersdiaft oder Klassenkampf? Eine Studie vonFrankDeppe, Jutta vonFreyberg, Christof Kievenheim, Regine Meyer und FrankWerkmeister Suhrkamp Verlag edicion suhrkamp 35S 3. Auflage,11.-18. Tausend 1971 <S> Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main I9<9. Enuusgabe. Printed in Germany. Alle Redite vorbehalten, insbesondere das der Obersetzung, des öffentlidien Vortrags und der Obertragung durth Rundfunk und Fernsehen, audi einzelner Teile. Satz, in Linotype Garamond, Druck und Bindung bei Georg Wagner, Nördlingen. Gesamtausstattung Willy Flecfchaus. Vorbemerkung In den letzten Jahren ist in der Bundesrepublik die Flut der Literatur über die »Mitbestimmung« unüberscbaubar gewor den. Unter den zahllosen Beiträgen, die sidi im wesentlidien mit jeweils einer derversdiiedenen Mitbestimmungskonzeptio nen der Gewerkschaften, Parteien, Arbeitgeberverbände usw. mehr oder weniger identifizieren, findet siÄ bislang nodi kein nennenswerter Beitrag, der die verschiedenen Positionen im historischen Zusammenhang der Klassenauseinandersetzungen kritisch analysiert. Ausgehend vom Grundwiderspruch unserer Gesellsdiaft, hat der vorliegende Beitrag heben der Analyse der Unternehmer interessen besonders das Verhalten derArbeiterorganisationen, der Gewerkschaften, in der Auseinandersetzung mit jenen untersucht. DieVerfasser sind bei derBeurteilung der Gewerk- sdiaftspolitik und des Mitbestimmungsproblems vor allem von zwei Voraussetzungen ausgegangen: 1. Gewerkschaften haben aussdiließlich die Interessen derer zu vertreten, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft an die Besit zer von Produktionsmitteln angewiesen sind, d. h. der lohn abhängig Arbeitenden. 2. In einer kapitalistischen Gesellschaft ist der grundlegende wirtschaftliche und politisdie Interessengegensatz von Kapital und Arbeit niemals durch Anpassung und Unterwerfung zu lösen, sondern ausschließlich durch den Kampf der Arbeiter schaft und ihrer Organisationen. Viktor Agarn hat diesen Maßstab zurBewertung der Gewerkscfaaftspolitik mit dem fol genden Satz umrissen: »Die Verantwortung der Gewerkschaf ten bestehtallein gegenüber der Arbeiterklasse.«' Wenn die Verfasser daher die Politik des DGB kritisieren, dann ist damit nidit eine Kritik an den Gewerkschaften schlechthin gemeint, sondern die Kritik bestimmter Inhalte und Formen einer Gewerkschafbpolitik, die die Stellung der lohnabhängig Arbeitenden in der kapitalistischen Klassen gesellschaft, ihre Bedürfnisse und Interessen, nicht zum Aus- I V. Agartz: Die Cewerksdtaßen in der Zeitwende, in: WISO, 4.Jg., H. »7. 1.9- 19SS. S. 789. gangspunkt und Prinzip ihres Handelns erhebt. Eine soldte Politik kann niemals eine Gegenmadit gegen die Monopole und ihre politisdien und ideologisdien Institutionen bilden. Das Manuskript wurde am i. Juli 196^ abgeschlossen. Die spontanen Streiks vom September 1969, die die Bereitsdiaft der Arbeiter und Angestellten - vor allem der Mitbestim mungsbetriebe —zu kämpferischer Solidarität demonstrierten, haben diepolitisdien und theoretisdien Voraussetzungen dieser Arbeit im wesentlidien bestätigt. Ergänzungzur Vorbemerkung Das Manuskript wurde am i. Juli 1969 abgeschlossen. Einige grundlegende Ereignisse und Entwicklungen des letzten Jahres haben die in dieser Studie vorgetragenen Thesen zur Gewerk- sdiaftspolitik offensichtlidi bestätigt. Das erscheint uns als die überzeugende Widerlegung all jener Rezensenten, die —vor- nehmlidi als Interessenvertreter der Gewerksdiaftsführungen - den Autoren Realitätsfremdheil unterstellten. Die zentrale These dieser Untersuchung ist die vom Doppel- diarakter der Mitbestimmung. Das heißt: Wie bei jeder demo kratischen Reform im Spätkapitalismus so entsdieidet auch hier vor allem das Ausmaß der bewußten Mobilisierung der Lohnabhängigen —der »Druck von unten« —darüber, ob ein Erfolg der Gewerksdiaftspolitik als Instrument zur Stabilisie rung des Systems oder als wirkliche Kontrolle der politischen und ökonomischen Machtkonzentration und damit zugleich als Übergangskonzept bzw. als Ausgangsbasis für erweiterte Aus einandersetzungen fungiert. Der Regierungswechsel nach der Bundestagswahl 19^9 ~ zumal am Beispiel der Mitbestimmungsfrage - alle Illusionen von einem »Machtwechsel« zugunsten der Arbeiter und Ange stellten drastisch korrigiert. Es hat sich gezeigt, daß auch eine sozialdemokratisch geführte Regierung ohne massiven außer parlamentarischen Druck keinen Schritt zur Einschränkung von kapitalistischen Machtpositionen unternehmen wird. Bei weitem bedeutender ist freilich die seit den spontanen Streikaktionen vom September 1969 zutage getretene Dereit- sdiaft der Arbeitersdiaft, ihre unmittelbaren Interessen und Lohnforderungen - audi gegen die Passivität der Gewerk- sdiaftsführungen - in der solidarisdien Aktion durdizusetzen. Aus den Stellungnahmen der Unternehmerverbändeist seitdem zu erkennen, daß die verhärtete Ablehnung der gewerkschaft- lidien Mitbestimmungsforderungen mit der Befürchtung ein hergeht, eine innergewerksdiaßliche Mobilisierung und Demo kratisierung könne sich zu einer Kontrolle der Mitbestim mungsorgane erweitern. Das Schlagwort vom »Versagen der Mitbestimmung« angesichts des Selbstbewußtseins der Beleg schaften bezeichnet auch das Scheitern einer aussdiließlich inte grierenden und disziplinierenden Mitbestimmung. Audi derim Auftrag der Bundesregierung verfaßte Bericht der sog. »Biedenkopf-Kommission«' begründet die Ablehnung der pa ritätischen Mitbestimmung äußerst widersprüchlich mit der Möglichkeit der Kontrolle »von unten« im Zuge von gesamt gesellschaftlichen und damit auch innerbetrieblichen wie ge werkschaftlichen Politisierungsprozessen. In der Tat ist die Unterstützung und Politisierung der derzeit noch defensiven Belegschaftsaktionen zur Absicherung des Lohnniveaus derwe sentliche strategische Ansatzpunkt, um die Auseinandersetzung um die Mitbestimmung über verfestigte sozialpartnerschaftli che Positionen hinauszutreiben. Marburg!Lahn, im September /970 I Vgl. Milbestimmung im Umemehmen. Beritht der Sachverständigenkom mission 2«rAuswertung der bisherigen Erfahrungen beider Mitbestimmung. (Mitbestimmungskommission) Deutscher Bundestag; 6. Wahlperiode; Drudc- sadie VI —334, Sachgebiet 80t, Bonn, Januar 1970. 1. Burgfrieden, Arbeitsgemeinschaft, Wirtschafts demokratie. Zur Vorgesdiidite der Mitbestim mung Im Gegensatz zu den englisdien Gewerkschaften entstanden die deutschen unter dem theoretischen Einfluß und der Leitung der Sozialdemokratie. Diese Führung durdi die SPD bis unge fähr zur Jahrhundertwende ist allerdings nicht als Gängelung der Gewerkschaften durch die Parteiorganisation zu verstehen, sondern als eine Anwendung der Marxschen Gewerkschafts theorie, die die Oherführung des tradeunionistisdien Kampfes in den revolutionären durch den Einfluß der politischen Partei fordert. Gewerkschaften kämpfen ihrem Wesen nach um Ver besserungen des Lebensstandards innerhalb des bestehenden kapitalistischen Systems. Durdi das Eingreifen einerrevolutio närenpolitischen Partei kannsich der gewerkschaftliche Kampf um Lohnerhöhungen jedoch zuspitzen zur revolutionären For derung nach Abschaffung desgesamten Lohnsystems. In der Debatte um die Anwendung des politischen Massen streiks zur Erkämpfung des allgemeinen Wahlrechts im Jahre 1905 und durch die Beschlüsse des Kölner Gewerkschafbkon- gresses sowie des SPD-Parteitages 1906 in Mannheim gelang es schließlich den Gewerkschaften, den Fühnmgsanspruch der Partei zurückzudrängen und ihre Gleichberechtigung durchzu setzen. Damit setzte sich das »Nur-Gewerkschaftertum« durch, das sich auf Lohnkämpfe und Reformen innerhalb des kapita listischen Systems auf Kosten des sozialistischen Endziels be schränkte. In der SPD fand das »Nur-Gewerkschaftertum« seine Ergänzung sowohl im Bemsteinschen Revisionismus als auch im Kautskyschen Marxismus, der - lediglidi verbal revolutionär - in der realen Tagespolitik nicht über Wahl rechtsreformen und Sozialpolitik hinausging und der Arbeiter schaft dasBild einerrevolutionär-marxistischen, klassenkämpfe rischen Partei vorspiegelte. I. Die ökonomische Grundlage des Obergangs vom Kapitalis mus zum Imperialismus, der sich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vollzog, wardie Ablösung derfreien Kon kurrenz durdi die Monopolisierung.