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DOI 10.6094/helden.heroes.heros/2015/01/05

Alice Spinelli 37

Der Antiheld und die Entheroisierung der Ritterepik zwischen Mittelalter und Renaissance*

1. Der theoretische Rahmen: Auch lässt die polysemische griechische Präpo- ein heuristischer Vorschlag zur sition ,antí‘ per se mehrere Artikulationsformen dieser charakterbestimmenden Gegensätzlich- Definition des Antihelden keit zu. Zugunsten der theoretischen Synthese reduziere ich die Problematik auf zwei grund- Wer der Frage nachgehen will, was genau im sätzliche Deutungsoptionen – obwohl es nahe- diachron sich wandelnden und transnational liegt, dass sich in der literarischen Praxis facet- ausgeweiteten Gattungsbereich der Ritterepen tenreichere Beispiele finden, die über die hier und -romane einen Antihelden ausmacht, unter- vorgeschlagene Klassifizierung hinausgehen. nimmt in vieler Hinsicht ein ambitioniertes For- Das Präfix ‚Anti-‘ markiert entweder eine ‚quali- schungswagnis. Die Schwierigkeit eines solchen tative Opposition‘, d. h. die Umkehrung positiver Unterfangens resultiert nicht nur daraus, dass Eigenschaften zu ihren negativen Pendants – sich die Sekundärliteratur zur Antiheldentheo- was eine Art ,dämonische‘ Übergröße gar nicht rie – soweit ich weiß – kaum mit dieser Tradition ausschließt; oder der Gegensatz wird als ‚quan- 1 auseinandergesetzt hat. Hinzu kommt das me- titative Privation‘ aufgefasst, d. h. als Mangel thodologische Grundproblem, dass sich das he- an jenen positiven Eigenschaften, die in einem roische Wertegerüst der mittelalterlichen ‚Chan- kulturhistorisch spezifischen Referenzrahmen sons de Geste‘ und der aus der Hybridisierung zu erwarten wären – was eine Skalierung ,in mi- von karolingischem Versepos und höfischem nore‘ der handelnden Gestalt notwendigerweise Roman entstandenen frühneuzeitlichen ,poemi voraussetzt. Da wir für die erste der beiden Rea- 2 epico-cavallereschi‘ keineswegs auf einen ein- lisationsformen des Antiheroischen bereits über heitlichen Tugendkatalog zurückführen lässt. die Bezeichnung ,Antagonist‘ bzw. ,Bösewicht‘ Ganz im Gegensatz zur Vorstellung eines mani- verfügen,3 halte ich es in dem vorliegenden Zu- chäischen Repertoires fester Verhaltensmuster sammenhang für definitorisch produktiver, unter hat sich das epische Ritterethos der Dynamik der Kategorie des episch-ritterlichen Antihelden der [Kultur-]Geschichte und der Weltanschau- lediglich den letzteren Figurentypus zu verste- ungen nicht entziehen können. Mit den Worten hen – „the man who is given the vocation of fail- von Jean-Claude Vallecalle, der sich mit dem ure“ (Cuddon 46).4 Thema der Heldenkonstruktion in den französi- Das Defizit an hervorragenden Qualitäten, schen und franko-italienischen -Epen be- das den Antihelden den Anforderungen seiner schäftigt hat: „Rien n’est plus fragile, malgré les Gesellschaft sowie deren Verhaltenskodex nicht apparences, que l’heroïsme épique“ (Vallecalle gerecht werden lässt und ihn dadurch zum steti- 1423). Überdies bestimmen ethische Aporien gen Scheitern verurteilt, impliziert nicht zwangs- [vor allem die komplizierte Ausbalancierung von weise eine komische Tonlage – man denke nur ‚fortitudo‘ und ‚sapientia‘] das Kriegsverhalten an die ,Nichtsnutze‘ bzw. die ‚Taugenichtse‘ der von Roland selbst, dem ‚miles Christi‘ par ex- Moderne. Allerdings lässt sich de facto beobach- cellence, bis zum kathartischen Selbstopfer bei ten, dass in der Ritterliteratur des Mittelalters und Roncesvalles. Je problematischer der affirmati- der Frührenaissance die Misserfolge antiheroi- ve Gegenpol der Antithese, desto schwerer fällt scher Handlungsfiguren normalerweise komisch die Aufgabe, den komplementären Begriff des konnotiert sind.5 Da die literarische Komik eine ,Antihelden‘ zu fassen – ein Begriff, der gerade sehr heterogene Phänomenologie kennt [ihr aufgrund seiner nur relationalen Definierbarkeit Wirkungsspektrum reicht von der Ironie bis zur ex negativo einen festen dialektischen Anker- Parodie, vom Lächeln bis zum Lachen], bedarf punkt benötigt. es hier jedoch weiterer Ausdifferenzierungen, helden. heroes. héros. Alice Spinelli

38 um das Untersuchungsfeld meines Beitrags sogenannten heroisch-komischen Tradition. Da- zu beschränken. Dazu berufe ich mich auf ein rin spielen die grotesken Spezifika einer ,bachtin- Unterscheidungspaar, das Jauss im Anschluss ianischen‘ ,verkehrten Welt‘ und eine sprachlich an Baudelaire und Freud formuliert hat. Jauss zugespitzte Drastik die maßgebliche Rolle. Auf zufolge kann man in der abendländischen Lite- der anderen Seite findet sich eine auf höchs- raturgeschichte zwei differente Ausprägungen tem Kunstniveau von Matteo Maria Boiardo und des „komischen Helden“ erkennen:6 zum einen Ariost vertretene Filiation, die im Gegensatz dazu den „grotesken Helden“ (Jauss 109), bei dem die skurrilen und burlesken Elemente [wenn das Komische „der Heraufsetzung des materi- es solche überhaupt gibt] zwar nicht überwie- ell Leiblichen der menschlichen Natur“ (Jauss gen lässt, doch in die ritterliche Welt idealitäts­ 104) – exemplarisch bei Rabelais – entspringt störende Handlungsfiguren mit ,gegenbildlich‘- und seitens des Lesers in der „distanzaufhe- komischen Verhaltensweisen einführt. benden Partizipation“ des „Lachens mit“ (Jauss Auf diesem zweiten Gattungsstrang, in dem 107) resultiert; zum anderen den „unheroischen das eingangs entworfene Antiheldenmuster mit Helden“ (Jauss 108–109), bei dem die Komik der Figur Astolfo ganz plastisch in Erscheinung durch „die Herabsetzung eines Helden aus er- tritt, liegt der Schwerpunkt meiner Kurzanaly- warteter Vollkommenheit und vorgegebener Ide- se. Unberücksichtigt bleibt also die erste Text- alität“ (Jauss 104) entsteht: „Der komische Held gruppe, auch wenn ihre Exponenten [v. a. Pulcis ist nicht an sich selbst, sondern vor einem Hori- ] im engen intertextuellen Verhältnis zont bestimmter Erwartungen, mithin im Hinblick zu der ‚cantari‘-Tradition sowie mit Boiardos In- darauf komisch, daß er diese Erwartungen oder amoramento de stehen. Allerdings lässt Normen negiert“ (Jauss 105). Wirkungsästhe- sich eine derartige Einschränkung auch dadurch tisch erzeugt diese „Komik der Gegenbildlich- rechtfertigen, dass die hyperbolische Hetero- keit“ (Jauss 105) ein „Lachen über“ (Jauss 107), doxie des Karnevalesken einen nur vorläufigen das meistens ein distanzschaffendes Überlegen­ Tabu­bruch darstellt und deswegen paradoxer- heitsgefühl des Rezipienten ausdrückt. weise ein relativ geringes gattungsinternes In- Offensichtlich passt letzterer Figurenentwurf novationspotenzial besitzt.8 Über die weniger am besten zu der oben umrissenen Definition extreme, dennoch graduell an Bedeutung ge- des Antihelden als eines dem sozialen Standard winnende Unkonventionalität komisch-antiheroi- nicht gewachsenen ,hässlichen Entleins‘. Bei scher Außenseiter der ,Gegenbildlichkeit‘ kommt dem ,grotesken Helden‘ wird indessen der Man- hingegen ein irreversibler Unterminierungspro- gel an nobilitierenden Merkmalen und Fertigkei- zess zustande, der das Fiktionsuniversum der ten durch ein Übermaß kreatürlicher Eigentüm- legendären Ritter ohne Furcht und Tadel seines lichkeiten sowie durch ludisch-hedonistische, überlegenen Stellenwertes nach und nach be- hemmungslose Ausschweifungen und ‚exploits‘ raubt und es letztendlich von innen auflöst. konterkariert und in den Hintergrund gerückt. Gleichwohl ließe sich die von Jauss festge- stellte Opposition in der Praxis der gattungs- historischen Beschreibung nuancieren: So 2. ‚Nomen‘ – ‚omen‘: weisen viele Protagonisten des von Jauss der Wortgeschichte und Figurengenese ‚Komik der Gegenbildlichkeit‘ zugeschriebenen Travestie-Genres, z. B. in den dialektalen Tas- In der Hoffnung, mit diesen Abgrenzungen die so-Parodien des italienischen Barock, deutlich konzeptionelle Ausrichtung meiner exemplari- derb-groteske Züge auf [Lust am übertriebenen schen Untersuchung hinreichend klar gemacht zu Trinken und Essen; eine alles bestimmende Kör- haben, wende ich mich der fiktionalen Ritter­figur perlichkeit, die gerne ein triviales Imaginarium Astolfo und ihrer literaturhistorischen Entwick- skatologischer und sexueller Allusionen mit sich lung zu.9 Schon Astolfos Name lohnt eine nähe- bringt]. Ich möchte daher vorschlagen, die Po- re Betrachtung: Denn ‚am Anfang war das Wort‘, larität zwischen ,grotesker‘ und ,gegenbildlicher‘ könnte man wohl im [ganz profanen] Bezug auf [Anti-]Helden-Komik in eine skalierbare, dem seine literarische Genese feststellen. Dominanzkriterium unterworfene Relation zu Der ursprünglich langobardische Eigen­name überführen.7 Davon ausgehend kann man zwei ‚Aistulf‘ [lat. ‚Astolfus‘, it. ‚Astolfo‘] wandelte sich parallel wirkende Haupttendenzen der Dehero­ im Altfranzösischen zu ‚Estout‘.10 Daraus ent- isierung des epischen Ritters in der italienischen stand eine homophonische Interferenz mit dem Renaissanceliteratur beschreiben. Auf der einen Adjektiv ‚estout‘, „téméraire, présomptueux, in- Seite lässt sich eine ,karnevaleske‘ Gattungs­ sensé“ (Godefroy 631); und der Gleichklang linie ausmachen, von Luigi Pulcis Morgante führte zu einem semantischen Kurzschluss. Die- über Teofilo Folengos makkaronische Schel- ser ist zwar etymologisch unbegründet [das Ad- mendichtungen bis zu Alessandro Tassonis La jektiv stammt vermutlich aus dem germanischen secchia rapita als Stamm- und Hauptwerk der ‚stolt‘, dt. ‚stolz‘, eventuell gekreuzt mit dem lt.

helden. heroes. héros. Der Antiheld Astolfo und die Entheroisierung der Ritterepik

‚stultus‘, ‚dumm‘], hatte aber die automatische nicht näher charakterisiert, geschweige denn, 39 Assoziation der adjektivischen Bestimmungen dass ihm übermäßige Kühnheit oder gar Dumm- mit dem semantisch opak gewordenen Eigenna- heit vorgeworfen würden. Erst in den altfranzösi- men zur Folge. schen ‚Chansons de Geste‘, deren sprachliches Dass die Sinnüberschneidung in den altfran- Substrat alleine die beschriebene Semantisie- zösischen ‚Chansons de Geste‘ ganz bewusst rung seines Namens erlauben konnte, kommt ausgenutzt und thematisiert werden konnte, Estout eine bedeutendere Rolle zu – gerade im vermag eine höchst interessante Textstelle aus Zeichen von Haltungen und Aussagen, die mit dem Gui de Bourgogne anschaulich zu belegen. Blasiertheit und Irrwitz, d. h. den Prädikaten des Ohne ihn als seinen eigenen Sohn zu erkennen, phonetisch konvergenten Adjektivs ‚estout‘, kon- tadelt Otto von Langres den jungen Estout, in- form sind. dem er über eine rhetorisch knapp gehaltene Kurz: Die onomastisch bedingte Ausformung ,aequivocatio‘ einen kausalen Zusammenhang von Astolfo zum Antihelden stellt einen wohl sin- zwischen seinem Namen und seinem frechen, gulären Fall dar. Eine solche Sinnableitung aus rücksichtlosen Hochmut explizit herstellt: einer lautlich motivierten Wortüberblendung mag in Anbetracht des mittelalterlichen Sprachsym- Quant Estous l’entendi, si fronci le guernon bolismus nicht überraschen; man denke hier an Et rooille les ieus, samblant fait de felon. die wohlbekannte Stelle aus Dantes Vita nova, Ou que il voit son pere, si li dit sans reson: ‚Par mon chief, dans viellars, je vos tien 6.4: „Nomina sunt consequentia rerum“ (Dante a bricon, 66). Bemerkenswert ist aber, dass dieser kogni- Quant vos issi mesdites du riche roi Guion; tive Habitus nicht nur eine Interpretation ‚a parte Onques meillor de lui ne chauça d’esperon. subiecti‘ bereits bestehender Eigenschaften und Par icel saint apostre c’on quiert en pré Umstände lenkt, sondern auch ‚a parte obiecti‘ Noiron, der Gestaltung eines außergewöhnlichen, ,anti­ Par poi ne vos arrache la barbe et le guernon, heroischen‘ Akteurs nach seinem Namen zu- Ou que ne vos porfent entresci qu’el menton.‘ grunde liegt: Das Zusammenspiel von ‚signifiant‘ Et dist Oedes de Lengres: ‚Tu as mult und ‚signifié‘ wird demnach zum fortwirkenden verai non: Handlungsmovens. Im Gegensatz zu Dantes Tu es fel et estous; Estous t’apele l’on.‘11 Formulierung müsste somit Astolfos Motto lau- (Gui de Bourgogne, V. 883–893) ten: ‚res sunt consequentia nominum‘. Dabei handelt es sich keineswegs um ein naives Einer ganz außerordentlichen Laune des Wortspiel. Vielmehr spiegelt sich in diesen Vers­ Schicksals – und der französischen Sprache – zeilen jene in der mittelalterlichen Vorstellung verdanken wir somit das Hervortreten eines der tief verankerte ,substantialistische‘ Sprachauf- lustigsten und erfolgreichsten Mitglieder des ka- fassung wider, welche die Arbitrarität des lingu- rolingischen Personals. istischen Zeichens leugnete und dazu tendierte, zwischen phonetisch ähnlichen oder identischen Wörtern eine verborgene Sinnrelation zu postu- 3. Die antiheroische Stilisierung lieren. Die Entstehungsgeschichte von Astolfo/ Estout setzt aber darüber hinausgehende und li- des Astolfo/Estout von der teraturgeschichtlich viel aufschlussreichere Vor- Entrée d’Espagne zu Boiardo gänge voraus: Denn es lässt sich schlussfolgern, dass die handelnde Figur in ihrer merkwürdigen Tritt Astolfo/Estout in französischen Helden­ Beschaffenheit aus dem zum ‚omen‘ uminterpre- epen wie dem Gui de Bourgogne zum ersten tierten ‚nomen‘ schlechthin herausgewachsen Mal auf, handelt es sich aber zumeist um Ca- ist. Anders formuliert: Astolfo/Estout hat seine meos. Erst in der franko-italienischen Entrée Existenz als relevanter Handlungsträger insofern d’Espagne [erste Hälfte des 14. Jahrhunderts] seinem Namen zu verdanken, als dieser durch – verfasst von einem anonymen Paduaner in ei- den semantischen Gehalt des gleichklingenden ner ,Mischsprache‘, die in die galloromanische Adjektivs neu konnotiert worden war und mithin Textoberfläche beträchtliche ,Italianismen‘ hin- Anregungen zu einer munteren ‚ethopoeia‘ lie- einschiebt – nimmt die handelnde Figur festere ferte. Den Nachweis dafür erbringt die überlie- Konturen und eine herausragende Rolle an.12 ferte karolingische Tradition selbst: Bei dem so- Wie bereits angedeutet, entsprechen Astolfos genannten Pseudo-Turpinus – eine­r lateinischen Persönlichkeit und sein Verhalten den wohl ,an- Chronik des 12. Jahrhunderts, die aufgrund ih- tiheroischen‘ Attributen, die sein Name evoziert: rer apokryphen Zuschreibung an den Erzbischof Als größenwahnsinniger Aufschneider und toll- Karls des Großen als höchste ‚auctoritas‘­ unter patschiger Wagehals verkörpert er den ‚Miles den Quellen für den Rolandstoff galt – wird Ot- gloriosus‘-Topos am besten; ferner lässt der tos Sohn nur an wenigen Stellen genannt und ,kontrapunktische‘ [doch affektiv berührende] helden. heroes. héros. Alice Spinelli

40 ,compagnonage‘ [,Kameradschaft‘] mit dem tap- italienischen Ursprungs zwischen Tre- und feren und bescheidenen Cousin Roland die Dis- Quattrocento die exzentrische und ,dissonan- krepanz zwischen seiner verzerrten Selbstwahr- te‘ Figur dieses komischen Antihelden bewährt nehmung und seiner Feigheit noch deutlicher hat – wobei Estout­s entweihender Scharfsinn hervorstechen.13 Dass seine Unbeholfenheit in in der Entrée von größerem Belang zu sein kriegerischen Auseinandersetzungen ihn oft in scheint als die standardisierten Gags der Volks- Gefangenschaft geraten lässt, tut seiner prahle- romane. Entscheidend ist hier der Verweis auf rischen Hybris keinen Abbruch; und sosehr sein jene frühneuzeitliche Pluralisierung der Welt- ,Curriculum Vitae‘ als Karls des Großen bilder und Diskurse, auf die Klaus Hempfer bei enttäuschen mag, fehlt es ihm dennoch nicht an seiner Theoretisierung einer renaissancespe- Witz. Sein Schandmaul lästert nicht nur gerne zifischen ,episteme der Heterogenität‘ beson- über die ,heidnischen‘ Feinde, sondern auch ders abgehoben hat.17 Wenn das einheitliche über seine eigenen Gefährten,14 die ihn wiede- Denksystem des Mittelalters einem flexibleren rum halb ernst, halb scherzhaft aufreizen und Wahrheitsverständnis weicht, öffnet sich auch verspotten, im Grunde aber seine Gesellschaft innerhalb einer ,affirmativen‘ Gattung wie der genießen. Da er sympathisch wirkt, erfreut er epischen der Raum für die Mehrdeutigkeit – sich einer buchstäblichen ,Narrenfreiheit‘ [als d. h. für eine komplexere Anthropologie sowie ‚buffone‘, Narr, wird er in den späteren, mit der für die Problematisierung der dominierenden Entrée eng verwandten italo-romanischen Rit- Werteordnung. Wegweisend finde ich überdies tererzählungen tatsächlich oft apostrophiert],15 die Ausführungen von Henning Krauß zu den der er verdankt, dass er Mankos bzw. Verfeh- soziopolitischen Rahmenbedingungen der fran- lungen seiner Genossen zur Sprache bringen ko-italienischen Epik: Entstehungskontext und darf: In diesem Sinne erfüllt er eine demaskie- Zielpublikum sind im Oberitalien des 14. Jahr- rende Funktion. Auch wenn sie durch einen hunderts eher von einer ,bürgerlichen‘ Mentalität vornehmlich heiteren Kontext scheinbar neu- geprägt als in genuiner Weise auf die feudalen tralisiert oder zumindest entschärft wird, dient Idealprinzipien ausgerichtet (Krauß 217–240).18 die spöttische Zunge von Estout nicht nur ei- Vor diesem Hintergrund lässt sich die Entste- ner bloßen ‚variatio‘-Poetik, welche die epische hung alternativer Verhaltensmuster sowie die ‚gravitas‘ durch leichte Interludien zu mildern ersten Spuren einer Desublimierung des adeli- sucht. Im Endeffekt werden die makellosen Pa- gen Rittertums relativ schlüssig interpretieren. ladine der epischen Tradition als Menschen mit Neben diesen ‚extraliterarischen‘ Triebkräf- Schwächen und Idiosynkrasien enthüllt, und so ten muss aber auch ein ‚intraliterarischer‘ Faktor sind die knackigen Witze und die schlagferti- mitgewirkt haben, und zwar der textkonstitutive gen Antworten Astolfos ein erster Schritt zu je- Einfluss ,konkurrierender‘ Gattungen, die in Ita- ner Demystifizierung der erhabenen Ritterwelt, lien an der Epochenschwelle zwischen Spätmit- die sich in Boiardos Inamoramento de Orlando telalter und Renaissance aufblühten bzw. wel- und vor allem in Ariosts Furioso vollziehen wird. che der humanistische Rückgriff auf die Antike Ähnlich wie in der Entrée d’Espagne verhält wieder in Kraft zu setzen versuchte. Sowohl in es sich in den davon abhängigen volkssprachli- den ästhetisch wenig anspruchsvollen, doch chen Prosa- und Verserzählungen [den ‚cantari‘ bei einem vielschichtigen Publikum verbreite- und ‚libri di battaglia‘] der ,matière de France‘, ten ‚cantari‘ und ‚libri di battaglia‘ als auch [mit etwa der Spagna. Die antiheroische Figur des kunstvollerer Raffinesse kaschiert] in Boiardos tapsigen Angebers mit dem frechen Mundwerk Inamoramento de Orlando finden sich in Astolfo­s hat derart an narrativer Relevanz und Frische Peripetien Handlungsmuster und komische Ur- gewonnen, dass der Mechanismus der Komik, sache-Wirkung-Beziehungen, die dezidiert der anfänglich angetrieben durch das Zusammen- vorausgehenden und zeitgenössischen Novel- fließen von Eigennamen und Adjektiv, selbstän- listik entstammen. Insbesondere mit der Unter- dig fortwirken kann, auch wenn die Sprache gattung der ‚beffa‘-Novellen ,à la Boccaccio‘ wird keine Sinnüberlagerung mehr rechtfertigt [das ein intertextuelles Netz von Systemreferenzen italienische Äquivalent von ,Estout‘, ,Astolfo‘, ist hinsichtlich der Erzähllogik und des implizierten nämlich semantisch ,stumm‘]. Allerdings neigt Psychologieverständnisses geknüpft.19 Bei Bo- diese populäre ,Trivialliteratur‘16 eher dazu, iardo spielt zudem die römische Komödie eine Astolfo­s Allüren in sketchartigen Szenen mit sich Rolle – was nicht verwundern darf, wenn man wiederholenden, gern deftigen Pointen zu fixie- bedenkt, dass er im Auftrag seines Herrschers ren: Eine skeptische Haltung gegenüber dem Ercole I. von Este um die italienische Überset- epischen Wertekodex insgesamt ist damit nicht zung plautinischer Werke und deren Bearbei- gemeint; vielmehr wird Astolfo als ,schwarzes tung für die ferraresische Bühne bemüht war. Schaf‘ abgesondert und verharmlost. Erstaunlich ist allerdings die virtuose Art und In diesem Zusammenhang stellt sich die Weise, wie er im zweiten Buch des Inamora- Frage, warum sich in der epischen Literatur mento de Orland­o einen sich über drei Gesänge

helden. heroes. héros. Der Antiheld Astolfo und die Entheroisierung der Ritterepik erstreckenden Handlungsstrang komplett vor der 4. Ariosts und der 41 Folie einer ‚fabula palliata‘ von Plautus [der Cap- Triumph des [Nicht-mehr-]Antihelden tivi] aufbaut:20 Boiardos geschickte ‚aemulatio‘ gliedert die lateinische Vorlage stillschweigend Bei der Fortführung des publikumswirksamen, in die ‚entrelacement‘-Struktur seines Romans doch aufgrund von Boiardos Tod fragmenta- ein und transformiert Astolfo zur Schlüsselfigur risch gebliebenen Inamoramento de Orlando wider Willen in einer eingerahmten ,Komödie der schließt sich Ariost auch im Hinblick auf Astolfo­ Irrungen‘.21 Ausschlaggebende Voraussetzung auf mehreren Vertextungsebenen seinem Vor- für das Gelingen des intertextuellen Camou­ läufer an. Auf der ‚syntagmatischen‘ Achse des flage-Verfahrens ist jedoch, dass der überemp- Handlungsablaufs begegnet uns der Paladin findliche, anmaßende, streitlustige Astolfo sich genau an dem Ort, wo ihn Boiardo hatte ver- genauso verhält, wie man ihn aus der franko-ita- schwinden lassen, und zwar auf der Insel der lienischen und volkstümlichen Roland-Tradition Zauberin Alcina27 – verwunderlicherweise aber kennt, zumal seine Gefährten ihn wie gewöhn- nicht in anthropomorphischer Gestalt, sondern lich als ,Narren‘ vorstellen22 – aber mit weitrei- [nach einem wohlbekannten Topos aus Vergils chenden, ja handlungslogisch folgenschweren Aeneis und Dantes Commedia] zur sprechen- Implikationen.23 Astolfo gerät mithin in ein Laby- den Pflanze verwandelt.28 Unter dem ‚paradig- rinth aus Anspielungen und Quellenbezügen, an matischen‘ Gesichtspunkt der Figurengestal- der Schnittstelle von humanistischer Gelehrtheit tung – was auf sehr symptomatische Weise und traditionsbildendem ,Mainstream‘. von einem tiefgreifenden Kontinuitätsverhältnis Trotzdem kann sich Boiardo mit einer – wenn zeugt – setzt er den Prozess der Emanzipierung auch meisterhaften – Gattungs- und Quellen- Astolfos von ‚buffo‘-artigen Klischees und ritu- kontamination vor einem vorgegebenen narrati- alisierten Lachmechanismen fort und lässt den ven Hintergrund keineswegs begnügen: Seinem gelegentlich [und nicht dank seiner eigenen Ver- Astolfo wird an anderen Stellen ein überraschen- dienste] siegreichen Paladin des Inamoramento des Schicksal zuteil, das den Erwartungshori- de Orlando sogar zum ‚Retter des Vaterlandes‘ zont des Lesers durchbricht und somit die Origi- – oder mehr noch: des gesamten Christentums nalität seines Werkes deutlich herausstreicht. Im – aufsteigen. Es ist nämlich Astolfo, der durch ersten Gesang des Inamoramento de Orlando die Wiederbeschaffung von Verstand betritt Astolfo in der bekannten Art und Weise dessen Rückkehr ins christliche Heer und mithin die Bühne: Voller Hochmut stellt er sich seinem das ,happy ending‘ ermöglicht. Die bereits von sarazenischen Gegner zum Zweikampf, doch Boiardo in nuce verfolgte Ambiguisierung des wird er im Nu besiegt und aus dem Sattel gewor- epischen Ethos erreicht hier ihren Höhepunkt: fen [daran sei aber der Sattel schuld, klagt er!].24 Zum einen werden die lächerlichen Elemente Kurz darauf stößt er freilich zufällig auf die magi- der geläufigen Stilisierung Astolfos aufgehoben; sche Lanze Argalias; obwohl er nichts über ihre zum anderen stellt Ariost die vorbildhafte Ideali- Zauberkräfte weiß, beschließt er aus reiner Neu- tät des verehrten Christenhelden Roland radikal gier, sich die Waffe anzueignen.25 Als er dann in Frage, indem dieser aus [ganz innerweltlicher] erneut einen scheinbar unbesiegbaren Feind Liebe verrückt wird und seine ,Geistheilung‘ aus- schwadronierend zum Duell fordert, fürchten gerechnet jenem Paladin zu verdanken ist, der sich seine Gefährten und Karl der Große vor der in der Gattungstradition als unverschämtes Läs- Blamage, die sie sich von dem bizarren Paladin termaul und narzisstischer Möchtegern, kurzum erfahrungsgemäß erwarten. Zum Erstaunen al- als komischer Antiheld modelliert worden war. ler Anwesenden [nicht zuletzt seinem eigenen] Eigentlich ist Astolfo im Furioso nicht mehr als triumphiert er aber dank der magischen Lan- Antiheld erkennbar: Statt ihn als Katalysator des ze über seinen Gegner.26 Die Komik entspringt Komischen in einer Welt ideologischer Überle- hier nicht, wie im Regelfall, dem peinlichen genheit zu installieren, unterwirft Ariost diese ge- Scheitern des Antihelden, sondern umgekehrt samte Welt einem ironischen Entidealisierungs- seinem intra- und extradiegetisch erwartungs- und letzten Endes Deheroisierungsprozess, durchbrechenden Avancieren zum ,Helden der der auch die Hauptvertreter der karolingischen Stunde‘ – und dies nicht ‚just for one day‘, denn Figurenkonstellation nicht verschont. Diese ge- der stoßweise Einsatz der Zauberwaffe befähigt neralisierte Herabsetzung, gipfelnd in der ani- ihn wiederholt zu wunderlichen Heldentaten. So malischen Berserkerwut des Titelhelden [oder reagiert Boiardo auf die karikaturartige Kristal- Nicht-mehr-Helden: des ,rasenden Rolan­d‘],29 lisierung Astolfos, wie sie das weitgehend vor- leitet eine erschütternde Wende ein, eine re- hersehbare Auftreten der Figur in den ,Volksro- gelrechte ,Götterdämmerung‘: Obwohl sich manen‘ belegt, und eröffnet ihm demgegenüber die narrative ,impasse‘ durch die ,Genesung‘ neue, literaturhistorisch durchaus wirkungsvolle Rolands auflösen lässt und die ,histoire‘ zu ihrer Entfaltungsmöglichkeiten. epischen Kulmination gelangen kann, bleibt der helden. heroes. héros. Alice Spinelli

42 unauslöschliche Eindruck bestehen, dass sich Kodierung lässt sich auch anhand der diskursi- das mythische karolingische Universum mit sei- ven Konstruktion der Mond-Episode vertreten: ner klaren Trennung zwischen glänzenden Hel- Astolfo ,landet‘ auf dem Mond, wo er im Tal der den und immer wieder scheiternden Antihelden verlorenen Dinge Rolands Verstand zurückge- für immer verabschiedet hat. winnt, am Ende einer außerweltlichen Reise von Allerdings erfüllt Astolfo die handlungslogisch der Hölle bis zum Himmel, die sich hinsichtlich ausschlaggebende Aufgabe der Roland-Rettung der gesamten Erzählstruktur sowie einzelner re- nicht aus eigener Kraft: Magische Wesen [wie kurrierender Syntagmen und Ausdrucksformeln der Hippogryph] und Gegenstände sowie ,trans­ an Dantes Hypotext plakativ anlehnt.33 Das Be- zendente‘ Hilfe führen ihn fast unbewusst zum zugsmodell wird aber subtil parodiert: Während Erfolg; und die ganze Handlung hindurch [be- das erlebende Ich der Göttlichen Komödie ein ginnend mit seiner Befreiung von der pflanz- individuell sowie heilsgeschichtlich erlösendes lichen Metamorphose] kann er von günstigen ‚itinerarium mentis‘ [und ‚corporis‘] ‚in Deum‘ er- Umständen profitieren.30 Auch in dieser Hinsicht fährt, endet Astolfos Reise – wie vorher erwähnt trägt das Erbe von Boiardos innovativen ,trou- – nicht mit der mystischen Schau Gottes, son- vailles‘ gewichtige Früchte: Die Auffindung der dern auf einem als Spiegel und zugleich Ergän- magischen Lanze hatte bereits im Inamoramen- zung der Erde dargestellten Mond. Eine definitive to de Orlando dem tradierten Astolfo-Porträt ein Erlösung findet weder auf einer metaphysischen Quantum Glück hinzugefügt; bei Ariost gehören und allgemeingültigen Ebene noch in der Mik- das Glück und die glückliche Fügung geradezu rogeschichte der einzelnen Seele statt: Astolfo zu Astolfos textimmanentem Konstituens. kann zwar seinen eigenen Verstand neben dem Nicht zu Unrecht hat der Renaissancefor- von Roland zurückerlangen [alle Menschen – scher Mario Santoro in Ariosts Astolfo die ide- nicht nur Astolfo als bekannter ,Narr‘ – sind laut ale Inkarnation des rinascimentalen ‚homo Ariost zu einem gewissen Grad verrückt], doch fortunatus‘-Typs gesehen. Dass solch eine Deu- verweist der Erzähler auf einen künftigen ,Feh- tung nicht nur im Nachhinein einleuchtet, son- ler‘, der ihn wieder in den Wahnsinn treiben wird: dern mutatis mutandis zum zeitgenössischen Rezeptionshorizont gehörte, vermag die 1549– Astolfo tolse il suo; che gliel concesse lo scrittor de l’oscura Apocalisse. 1550 erschienene Spositione sopra l’Orlando L’ampolla in ch’era al naso sol si messe, Furioso von Simone Fòrnari zu bestätigen. Hier e par che quello al luogo suo ne gisse: wird Astolfo explizit als ,Mann ohne [überdurch- e che Turpin da indi in qua confesse schnittliche] Eigenschaften‘ geschildert, dessen ch’Astolfo lungo tempo saggio visse; Erfolge durch vorteilhafte Begebenheiten und ma ch’un error che fece poi, fu quello den zufälligen Besitz zweckdienlicher Hilfsmit- ch’un’altra volta gli levò il cervello.34 tel bedingt sind: „[…] ’l nostro Poeta dipinge in (Ariost, Orlando Furioso XXXIV, 86) Astolfo un’huomo non troppo ricco nelle doti, che fanno l’huomo supremo, & eccellente, ma aven- Jede konsistente Teleologie bleibt ausgeschlos- turoso, & felice ne i beni, che per accidente in­ sen: Ariosts anthropologischer Pessimismus – cognito sogliono avenire.“31 (Fòrnari II, 282–283) wenn auch ironisch gemildert – verweigert dem Fòrnari bietet freilich eine allegorische und an Menschen die Möglichkeit der Selbstperfekti- der gegenreformatorischen Theologie orientier- onierung. Wenn das individuelle Handeln sich te, ja des Öfteren forcierte Exegese des Romans nicht ein für alle Mal der Vernunft unterstellen an, die den laizistisch-humanistischen Begriff von kann, dann haben kontingente, dem Zugriff der ,Fortuna‘ systematisch durch die christliche Vor- Ratio unzugängliche Kräfte wie das unvorher- stellung von der Vorsehung ersetzt. Im Furioso sehbare Glück das letzte Wort auf Erden. begegnet man hingegen, wie Hempfer einleuch- Schließlich könnte Astolfos Werdegang im tend gezeigt hat, auffallenden Indizien einer [an Orlando Furioso paradigmatisch unter die Rubrik manchen Stellen ganz markanten] Entbindung jener „komischen Behandlung der Zufälligkeit“ des literarischen Diskurses von doktrinären Vor- fallen, die Hegel in seiner Ästhetik als Schlüssel- gaben und lehrhaften Ziel­setzungen, welche faktor für die „Auflösung des Rittertums in sich mit einer allegorisch-christlichen Dechiffrierung selbst“ identifiziert hat – wobei Ariost den Weg des Werkes wie der von Fòrnari im Wesentli- für Cervantes und mithin für den Antihelden par chen inkompatibel ist.32 Somit offenbart Astolfos excellence, Don Quijote, bereitet habe (Hegel 35 ,Subgeschichte‘ im Furioso ein rinascimentales, 565). Nicht nur hat Astolfo in der fiktionalen weitgehend säkularisiertes Gedankensystem, Welt Ariosts seinen persönlichen Triumph erfah- das nicht mehr der individuellen Tugend, son- ren; auf seinen Spuren gelangt der heutige Leser dern der kapriziösen Zufälligkeit einen bestim- an die Schwelle des modernen Romans. Man menden Rang im menschlichen Leben einräumt. ist versucht anzumerken: Eine lohnendere Re- Eine Lektüre von Astolfos glücklichen Abenteu- vanche hätte sich der verspottete Estout mit sei- ern außerhalb jeder ernst gemeinten religiösen nem sardonischen Witz kaum erhoffen können.

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Alice Spinelli ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an Tapferkeit, allerdings wurde sie in der abendländischen 43 und Doktorandin am Institut für Romanische Phi- Wertevorstellung nicht als menschliche Schwäche entschul- digt, sondern bis zu den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts lologie der Freien Universität Berlin und arbeitet als Laster übelster Sorte strikt bestraft]. Jedes typologische u. a. zur italienischen Literatur der Renaissance. Beschreibungsmodell fordert aber ein gewisses Maß an Ab- straktion: Im Falle des hier vertretenen Ansatzes ginge es also darum, die Differenzierung der beiden Tendenzlinien * Eine kürzere Fassung des vorliegenden Aufsatzes wur- [qualitativer Opposition/quantitativer Privation] als ein heuris- de am 16.05.2014 im Rahmen der durch den SFB 948 ver- tisches Orientierungsmittel zu handhaben – wobei darauf zu anstalteten Summer School „Ein Antiheld? Gegenentwürfe achten wäre, welche Züge in einer bestimmten Handlungs- zum Heroischen in Vormoderne und Moderne“ unter dem Ti- figur insgesamt überwiegen. Um es begrifflich schärfer und tel „Ironische Deheroisierungsstrategien in der italienischen mit Bezug auf die soziologische Sphäre der Agency auszu- Ritterliteratur der Renaissance: Astolfo in progress“ vorge- drücken: Wenn das Heroische eine durchaus nachahmens- tragen. Der anschließenden Diskussion und den interdiszi- werte ‚außerordentliche Performanz des Guten‘ impliziert, plinären Anregungen der freundlichen Teilnehmer verdanke dann sollte man abschätzen, ob sich die in kontrastivem ich die meisten hier vorgenommenen Ergänzungen und Kor- Verhältnis zum Heroischen jeweils handelnde Gestalt am rekturen: Insbesondere Ulrich Bröckling hat mir sowohl mit ehesten durch eine ‚außerordentliche Performanz des Bö- seinen kritischen Hinweisen als auch mit seinem eigenen sen‘ oder durch eine ‚unzureichende Performanz des Guten‘ Vortrag den Anlass zu Anmerkung 5 gegeben. Außerdem gilt auszeichnet. Dies schließt natürlich nicht aus, dass ein und Bernhard Huss, Helmut Meter, Sebastian Neumeister, Chris- dieselbe Figur punktuell zwischen den beiden, wiederum in tian Rivoletti und Alexander Winkler meine tiefste Dankbar- zahllosen Erscheinungsformen erkennbaren Kategorien von keit für die wertvolle Unterstützung bei der Textkonzeption Antiheroismus schwanken oder sich im hybriden Zwischen- sowie für die gründliche Sprachrevision. raum der beiden Pole halten kann. 1 Als allgemeiner Ausgangs- und Bezugspunkt für die im Diese Konstatierung könnte in einer stilgeschichtlichen Folgenden dargelegte Bearbeitung der Fragestellung haben 5 Gesamtentwicklung ihre Begründung finden, oder zumindest vor allem die Abhandlungen von Brombert, Klapp, Münkler, mit dem literaturhistorischen Verständnis einer durch den Voss, Walker und Wulff gedient. Eine erste Orientierung kön- modernen Realismus markierten Epochenzäsur überein- nen zudem die einschlägigen Lexikonartikel bieten [vgl. ins- stimmen. Wie Auerbach überzeugend festgestellt hat, wurde bes. Cuddon, Eder, Estébanez Calderón]. zu Beginn des 19. Jahrhunderts [zunächst in Frankreich] ge- 2 Zur italienischen Ritterepik als Resultat eines im gallo- gen die „Lehre von den Höhenlagen der literarischen Dar- romanischen Sprach- und Kulturraum des Spätmittelalters stellung“ in revolutionärer Weise verstoßen: „Indem Stendhal in Gang gesetzten Kontaminationsprozesses zwischen ur- und Balzac beliebige Personen des täglichen Lebens in ih- sprünglich voneinander abgegrenzten Gattungen vgl. grund- rer Bedingtheit von den zeitgeschichtlichen Umständen zu legend Stierle. Gegenständen ernster, problematischer, ja sogar tragischer 3 Es sei hier nur beiläufig darauf hingewiesen, dass stric- Darstellung machten, zerbrachen sie die klassische Regel to iure die Termini ,Bösewicht‘ und ,Antagonist‘ nicht als von der Unterscheidung der Höhenlagen, nach welcher das Synonyme verwendet werden sollten, denn Ersterer bringt alltäglich und praktisch Wirkliche nur im Rahmen einer nie- eine intrinsisch-moralische, potenziell verabsolutierbare Be- deren oder mittleren Stilart, das heißt entweder als grotesk wertung zum Ausdruck, während Letzterer eine extrinsisch- komisch oder als angenehme, leichte, bunte und elegan- funktional­e Handlungsrolle innerhalb einer auf voneinander te Unterhaltung seinen Platz in der Literatur haben dürfe“ abhängige Wechselbeziehungen angewiesenen Diskurswelt (Auerbach 494). Eine Teilausnahme zu dieser über Jahrhun- voraussetzt (vgl. Wulff 446–447). Eine strenge Trennung der derte geltenden Stilnorm bildeten einige deutlich christlich- beiden Begriffe, die allzu oft miteinander verwechselt werden, eschatologisch ausgerichtete Werke des Mittelalters, allen wäre in erster Linie im Hinblick darauf zu verfolgen, dass in voran Dantes Commedia, wo eine mimetische Darstellung einem literarischen Werk ein ,Bösewicht‘ nicht nur als ,Anta­ im Rahmen einer ,ernst gemeinten‘ Literatur mit didaktischer gonist‘ [wie üblich], sondern auch – ganz im Gegenteil – als Absicht insofern gestattet war, als die kreatürliche bzw. welt- Protagonist [z. B. in Shakespeares Macbeth: vgl. Wulff 432] geschichtliche Realität ,figural‘ auf eine transzendente Wahr- auftreten kann. Da dies aber in der hier zu behandelnden heit verwies [für eine knappe Erklärung und weiterführende Tradition der Ritterepen und -romane nie der Fall ist, wäre Literaturangaben vgl. Auerbach 495–496]. Die komische Zu- ein nach dem geläufigen Gebrauch nahezu äquivalenter Re- spitzung des Antihelden als Versager in den mittelalterlichen kurs auf die eine oder die andere Bezeichnung, wenn auch ‚Chansons de Geste‘ [welche, von der ,hagiographischen‘ [termino-]logisch inkorrekt, für die vorliegende Argumentatio­n Chanson de Roland abgesehen, zwar religiös angelegt sind, nicht besonders schädlich. aber keinem figuralen Signifikationsplan im engeren Sinne unterliegen] sowie zunehmend in den späteren Ritterepen 4 Hiermit möchte ich eindringlich hervorheben, dass der und -romanen der italo-romanischen Tradition könnte dem- im vorliegenden Beitrag vorgeschlagene Versuch einer Ty- nach als Zeichen dafür wahrgenommen werden, dass in der pologisierung keineswegs als starre Dichotomie zwischen vormodernen Literaturauffassung eine triviale, ,mittelmäßi- sich ausschließenden Klassifizierungsparametern aufzu- ge‘ Nichtidealität nur ridikülisiert, nicht jedoch in ernster oder fassen ist. Wie schon im Fließtext suggeriert, wäre es ver- geradezu finsterer Tonlage thematisiert werden durfte. Zur fehlt, alle konkreten Antihelden der Weltliteratur entweder Rolle der Komik im altfranzösischen Epos sowie zum exzep- auf eine ,qualitative‘ Umkehrung oder auf eine ,quantitative‘ tionellen Status der Chanson de Roland [wo keine heiteren Herabsetzung des Heroischen zurückführen zu wollen, als Elemente – und keine scheiternden Antihelden – zu finden könnte die heterogene Fülle an literarischen Gestalten epo- sind] vgl. Ménard 21–144. chen- und gattungsübergreifend in eine zweispaltige Tabel- le eingetragen, gegliedert und eindeutig etikettiert werden. 6 Eine dritte Variante, der „humoristische Held, der über Vielmehr weisen fiktionale [sowie reale] antiheroische Cha- sich selbst zu lachen vermag“ (Jauss 109), wird vom Verfas- raktere komplexe Persönlichkeitsaspekte und Verhaltens- ser – so mein Eindruck – nicht systematisch in sein Theo- formen auf, die meistens aus einer Mischung von ,bösem rieraster integriert, sondern lediglich am Beispiel der Pickwick Gemüt‘ und mangelhafter, gleichsam unerfüllter Vorbildlich- Papers von Charles Dickens empirisch konturiert. Deswe- keit entstehen und welche je nach historischem Kontext und gen lasse ich diesen ,Sonderfall‘ im Folgenden beiseite. normbildendem Wertekanon dezidiert als Negativum oder 7 Auf ein analog wirkendes Dominanzkriterium habe ich eher als Versagen beim Streben nach einem Positivum emp- mich des Weiteren schon bei der Abgrenzung zwischen ,Bö- funden werden können [Paradebeispiel dafür sei die Feig- sewichten‘ bzw. ,Antagonisten‘ [in diesem Zusammenhang heit: Im Grunde genommen besteht diese in einem Mangel bediene ich mich undifferenziert beider Begriffe, vgl. aber helden. heroes. héros. Alice Spinelli

44 Anm. 3] und Antihelden im hier befürworteten, beschränk- 15 Hier sei exemplarisch auf die oberitalienische Prosa­ teren Sinne berufen [vgl. Anm. 4]. Meines Erachtens wäre bearbeitung Li fatti de Spagna, Kap. XXII verwiesen. es tatsächlich methodologisch wünschenswert, in der Litera- 16 Penzenstadler zufolge ist „erstaunlicherweise fest- turforschung mit scharfen Trennungen bzw. Schwarz-Weiß- zustellen, daß selbst in einer Epoche, in der noch nicht in Unterscheidungen vorsichtig umzugehen – was jedoch nicht heutigem Ausmaß breite Bevölkerungsschichten für den Li- bedeutet, dass auf einen umfassenden, nach Leitlinien un- teraturkonsum erschlossen waren, eine – wenn auch nicht tergliederten Theorieentwurf verzichtet werden muss. scharfe – Trennungslinie zwischen einer Literatur [Erzähllite- 8 Der Verweis auf Bachtins Karnevalverständnis, den ratur vornehmlich], die ein offensichtlich stark ausgeprägtes grundlegenden Meilenstein der zeitgenössischen Komik- Unterhaltungsbedürfnis zu befriedigen hatte, und einer Lite- Forschung, liegt auf der Hand. ratur mit mehr oder weniger gehobenem Anspruch und Ni- veau auszumachen ist“ (Penzenstadler 58). Ich übernehme 9 Meine komparatistisch sowie diachron angelegten Aus- hier diese [wirkungs-]ästhetische Unterscheidung, möchte führungen zu der Figur Astolfos basieren teilweise auf be- aber nachdrücklich darauf hinweisen, dass der sogenann- reits vorhandenen Einzelstudien; sie setzen sich allerdings te „,Kunst‘-Romanzo“ (Penzenstadler 16) keine elitäre, im zum Ziel, diese durch eine sprachwissenschaftliche Fundie- Elfenbeinturm einer überlegenen Kulturwelt gewachsene rung zu ergänzen und deren vorwiegend deskriptive Her- Monade darstellt, sondern von den Handlungsschemata, der angehensweise in einen konsequenten diskurshistorischen Figurenkonstellation und den Ausdruckskonventionen des und epistemologischen Erklärungsrahmen zu überführen. „Trivial-Romanzo“ (ebd.) in entscheidendem Maße ausgeht. Panoramaartige Ausblicke zu Entwicklung und literarischer Wirkung des Astolfo zwischen Frankreich und Italien liefern 17 Ein stringentes Plädoyer für die diskurshistorische Aner- u. a. Vallecalle, Ferrero und [am ausführlichsten] Santoro. kennung der Pluralität als epistemisches Spezifikum der Re- Kürzere prosopographische Profile bieten Limentani [insbes. naissance findet sich – mitsamt prägnanten Formulierungen 117–119] und Canova [insbes. 98–106]. Für weitere verein- der damit zusammenhängenden Einzelthesen – in Hempfer, zelte Anmerkungen vgl. Bruscagli, Il ,romanzo‘ 81–86 sowie Probleme. Bruscagli, Primavera arturiana 14–15. 18 Speziell zum Einfluss von historischen Ereignissen und 10 Eine detaillierte Erläuterung der am Transformationspro- geopolitischem ‚milieu‘ auf die Entrée d’Espagne vgl. Krauß zess beteiligten phonomorphologischen Phänomene würde 217–240. den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Zumindest 19 Ein amüsantes Beispiel dafür liefert Boiardo, Inamora- angedeutet werden muss aber die hohe Anzahl an allopho- mento de Orlando, i, VII, 46–66. nischen Varianten [für eine umfangreiche Bestandaufnahme vgl. Moisan, Bd. 1 390], die sowohl den Konsonantismus als 20 Vgl. ebd., II, xi–xiii. auch den Vokalismus betreffen und einer etymologischen 21 Für eine nähere Analyse des dialektischen Verhältnisses ‚reductio ad unum‘ im Wege zu stehen scheinen. Angesichts zum lateinischen Hypotext vgl. Villoresi 133–149. der diatopischen Oszillationen, der willkürlichen Personali- sierung und nicht zuletzt der mit dem alltäglichen Gebrauch 22 Auf nicht unerhebliche Gemeinsamkeiten mit einer Epi- womöglich einhergehenden Verballhornung, welche die sode der volkstümlichen Spagna hat Bruscagli, L’Innamorato Aussprache der Eigennamen beeinflussen können, lässt 116–118 aufmerksam gemacht. sich allerdings die Überfülle an alternativen Schreibungen 23 Denn die wütende Reaktion Astolfos führt letztendlich grundsätzlich problemlos erklären – umso mehr, als eine zur Enthüllung des Identitätstausches zwischen den in Ge- einheitliche Standardisierung der Sprache [und insbeson- fangenschaft geratenen Roland und , was das dere deren graphische Wiedergabe] zur Zeit der ‚Chansons Gelingen ihres Selbstbefreiungsplans gefährdet. Die aus- de Geste‘ noch nicht stattgefunden hatte. In diesem Zusam- geklügelte Paradoxie der [durchaus lustig wirkenden] Miss- menhang kommt es mir hauptsächlich darauf an, dass die verständnis-Szene [vgl. insbes. Boiardo, Inamoramento de phonetische Entwicklung des Namens [auch] zur Form ‚Es- Orlando, II, xii, 37–58] liegt aber darin, dass die degradieren- tout‘ geführt hat, einem lautlichen Kondensationspunkt, der de Vorstellung des Astolfo als Narr nicht – wie oft andernorts entscheidende semantische Vorgänge – wie im Folgenden – der bloßen Lust am goliardischen Beschimpfen entspricht. gezeigt werden soll – auszulösen vermochte. Gerade weil er sich davor fürchtet, durch Astolfo demaskiert 11 Hier meine [ästhetisch anspruchslose und bloß dem in- zu werden, versucht Brandimarte, den Cousin Rolands als haltlichen Verständnis dienende] deutsche Paraphrasierung irrsinnig und daher unglaubwürdig erscheinen zu lassen. der altfranzösischen Textstelle [ich habe dabei versucht, den Umso vehementer zieht aber Astolfo unwiderlegbare Bewei- abrupten Übergang vom Präteritum zum Präsens in der Ziel- se gegen Brandimarte heran, als der Verrücktheitsvorwurf sprache wiederzugeben]: „Als Estous dies hörte, kräuselte und die Disqualifizierung als ,Narr‘ seinen Stolz an einem er die Lippen / und rollte mit den Augen, nimmt einen bösen wunden Punkt treffen. Der topisch gefestigte Ruf Astolfos Gesichtsausdruck an. / Sobald er seinen Vater sieht, sagt und die abwertende Haltung seiner Gefährten ihm gegen- er ihm ruchlos: / ‚Bei meinem Kopf [idiomatischer Ausruf], über dienen also als textintern präsupponierte Vorkenntnisse alter Herr, ich halte Sie für einen Gauner, / wenn Sie den zum vollständigen Verständnis des narrativen Spiels und da- reichen König Guion auf diese Weise verfluchen; / niemand mit zur Intensivierung des ästhetischen Genusses. Besseren als er hat je die Sporen getragen. / Bei jenem hei- 24 Vgl. Boiardo, Inamoramento de Orlando, I, i, 57–65. ligen Apostel, den man auf dem Feld Neros anbetet [Sankt Petrus, der auf dem ‚ager Vaticanus‘, wo Caligula und Nero 25 Vgl. ebd., I, ii, 17–18. einen Circus hatten errichten lassen, gekreuzigt und beerdigt 26 Vgl. ebd., I, ii, 64–iii, 9. wurde und dort deswegen seinen Verehrungsort fand; idio- Vgl. ebd., II, xiii, 64. matischer Ausruf], kaum kann ich mich zurückhalten, Ihnen 27 Bart und Schnauzhaare auszureißen / oder Sie bis zum Kinn 28 Vgl. Ariost, Orlando Furioso, VI, 29–33. zu durchbohren.‘ Und Oedes [Otto] von Langres sagt: ,Du 29 Vgl. u. a. ebd., XXIV, 4–5. trägst einen sehr wahrhaften Namen: / Du bist ruchlos und estous [anmaßend und unsinnig]; du heißt Estous [Wort-für- 30 Von der Fee Logistilla, der wohlwollenden Schwester Wort Übersetzung: man nennt dich Estous].‘“ der , bekommt der wieder in einen Mann zurückver- wandelte Paladin z. B. ein Zauberbuch und ein betäubendes Zur Charakterisierung von Estout in der Entrée 12 Horn geschenkt, die ihm im weiteren Verlauf der Geschich- d’Espagne vgl. Limentani 117–119. te mehrmals gute Dienste leisten: vgl. ebd., XV, 10–14. 13 Vgl. bspw. L’Entrée d’Espagne, 1426–1479. 31 „[…] unser Dichter schildert mit Astolfo einen Mann, 14 Vgl. bspw. L’Entrée d’Espagne, 2307–2379. der nicht allzu gesegnet mit jenen Tugenden ist, die den Menschen großartig und hervorragend machen, sondern

helden. heroes. héros. Der Antiheld Astolfo und die Entheroisierung der Ritterepik

glücklich und reich an Schicksalsgütern, die ihm der Zufall Introduzione e commento di Antonia Tissoni Benvenuti. Mi- 45 auf unbekanntem Wege zukommen zu lassen pflegt“ [Über- lano: Ricciardi, 1999. setzung der Autorin]. Fòrnari, Simone. La spositione di M. Simon Fornari sopra 32 Vgl. hierzu insbes. Hempfer, Zur Enthierarchisierung l’Orlando Furioso di Lodovico Ariosto. Fiorenza: Torrentino, 213–221. Für eine ausführliche Behandlung des allegori- 1549–1550. schen Interpretationsansatzes von Simone Fòrnari im brei- Gui de Bourgogne. publ. pour la première teren Kontext der rinascimentalen Furioso-Rezeption vgl. fois d’après les manuscrits de Tours et de Londres par Mm. Hempfer, Diskrepante Lektüren. F[rançois] Guessard et H[enri] Michelant. Paris: Jannet, 33 Der ,Jenseits-Mission‘ von Astolfo sind die Gesänge 1858. XXXIII [ab der Oktave 127], XXXIV und XXXV [bis zur Ok- L’Entrée d’Espagne. Chanson de geste franco-italienne tave 31] des Orlando Furioso vorbehalten. Ironisch wieder- publ. d’après le manuscrit unique de Venise par Antoine verwendete Sprach- und Stilelemente dantesken Ursprungs Thomas. New York: Johnson Reprint Corp., 1968 [Reprint häufen sich z. B. ebd., XXXIV, 9–10. der Ausgabe: Paris: Firmin Didot, 1913]. „Astolf nahm seinen her, denn nicht verwehren / Wollt’er 34 Li fatti de Spagna. Testo settentrionale trecentesco già detto­ es, der die Offenbarung schrieb. / Wie er dran roch, – schien ‚Viaggio di Carlo Magno in Ispagna‘ edito e illustrato da sich der Krug zu leeren, / Was den Verstand zur alten Stelle M. Ruggieri. Vol. I. Modena: Società Tipografica trieb: / Turpin erzählt, daß Astolf nun in Ehren / Für lange Zeit Modenese, 1951. ein weiser Meister blieb, / Bis das Gehirn noch einmal mußte weichen, / Durch einen weitern Fall von dummen Streichen“ [Übersetzung von Alfons Kissner in: Ariost, Der rasende Ro- land Bd. 3 111]. 35 So lautet ‚in extenso‘ der Einleitungsabsatz des mit dem Sekundärliteratur und sonstige Titel „Die komische Behandlung der Zufälligkeit“ versehenen Publikationen Abschnitts in der Hegelschen Ästhetik (Hegel 565): „Was wir somit überhaupt, besonders auf dem Gebiete des Weltlichen, im Rittertum und in jenem Formalismus der Charaktere, vor Auerbach, Erich. Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der uns haben, ist mehr oder weniger die Zufälligkeit sowohl der abendländischen Literatur. Bern: Francke, 1946. Umstände, innerhalb welcher gehandelt wird, als auch des Bachtin, Michail M. Literatur und Karneval. Zur Romantheo- wollenden Gemüts. Denn jene einseitigen individuellen Figu- rie und Lachkultur. Übersetzt und mit einem Nachwort von ren können das ganz Zufällige zu ihrem Inhalt nehmen, das Alexander Kaempfe. München: Hanser, 1969. nur durch die Energie ihres Charakters getragen und unter von außen her bedingten Kollisionen durchgeführt wird oder Brombert, Victor. In Praise of Antiheroes. Figures and mißlingt. Ebenso ergeht es dem Rittertum, das in der Ehre, Themes in Modern European Literature 1830–1980. Liebe und Treue eine höhere, dem wahrhaft Sittlichen ähn- Chicago: Chicago UP, 1999. liche Berechtigung in sich enthält. Einerseits wird es durch Bruscagli, Riccardo. „Il ,romanzo‘ padano di Matteo die Einzelheit der Umstände, auf welche es reagiert, direkt Maria Boiardo.“ Stagioni della civiltà estense. Hg. Riccardo eine Zufälligkeit, indem statt eines allgemeinen Werkes nur Bruscagli. Pisa: Nistri Lischi, 1983: 33–86. partikulare Zwecke zu vollbringen sind und anundfürsichsei- ende Zusammenhänge fehlen; andererseits findet eben da- ---. „L’Innamorato, , il Morgant­e.“ Intertestualità e mit auch in Ansehung des subjektiven Geistes der Individuen smontaggi. Hg. Roberto Cardini und Mariangela Regoliosi. Willkür oder Täuschung in betreff auf Vorhaben, Pläne und Roma: Bulzoni, 1998: 111–126. Unternehmungen statt. Konsequent durchgeführt, erweist ---. „Primavera arturiana.“ Studi cavallereschi. Hg. Riccardo sich deshalb diese ganze Abenteuerei in ihren Handlungen Bruscagli. Firenze: Società Editrice Fiorentina, 2003: 3–36. und Begebenheiten wie in deren Erfolg als eine sich in sich Canova, Andrea. „‚Vendetta di Falconetto‘ (e ‚Inamoramento selbst auflösende und dadurch komische Welt der Ereignis- de Orlando‘?).“ Boiardo, Ariosto e i libri di battaglia. Atti del se und Schicksale“. Daran anschließend stellt Hegel (ebd.) convegno, Scandiano-Reggio Emilia-Bologna, 3–6 ottobre fest: „Diese Auflösung des Rittertums in sich selbst ist sich 2005. Hg. Andrea Canova und Paola Vecchi Galli. Novara: vornehmlich in Ariost und Cervantes und jener in ihrer Be- Interlinea, 2007: 77–106. sonderheit individuellen Charaktere in Shakespeare zum Bewußtsein und zur gemäßesten Darstellung gekommen.“ Cuddon, J. A. „Anti-hero.“ A Dictionary of Literary Terms and Literary Theory. Oxford u. a.: Blackwell, ³1991: 46–47. Eder, Jens. „Antiheld.“ Metzler-Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Stuttgart u. a.: Metzler, ³2007: 30. Literatur Estébanez Calderón, Demetrio. „Antihéroe.“ Diccionario de términos literarios. Madrid: Alianza Editorial, 1996: 40. Primärliteratur Ferrero, Giuseppe Guido. „Astolfo. Storia di un personaggio­.“ Convivium. 6, 1961: 513–530. Alighieri, Dante. Vita nova. A cura di Guglielmo Gorni. 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