Rainer Stamm Fünf Skulpturen Bernhard Hoetgers 321 Bernhard Hoetger aus einer deutschen Privatsammlung Hörde/Westfalen 1874 – 1949 Interlaken Knabe mit Mütze. (Vor) 1918 Ausstellung Marmor. 33 × 22 × 24 cm (13 × 8 ⅝ × 9 ½ in.). Deutsche Kunst. Darmstadt, Städtisches Aussstellungs- Werkverzeichnis: Nicht bei Drost. [3530] gebäude auf der Mathildenhöhe, 1918, Kat.-Nr. 276 Provenienz Karl Bringmann, Meerbusch (seitdem in Familienbesitz)

EUR 8.000–12.000 Bernhard Hoetger gehört zu den vielseitigsten Bildhauern in der ersten Hälfte USD 9,520–14,300 des 20. Jahrhunderts: Im Jahr 1900, anlässlich der großen Weltausstellung, war er im Rahmen einer Studienreise der Düsseldorfer Kunstakademie nach gekommen und blieb, fasziniert von den Werken Rodins, hier, um im Zentrum der künstlerischen Avantgarde zu leben und zu arbeiten. Nach Werken im Stile Rodins gelangte er parallel zu Maillol zu einer Vereinfachung der Form im Sinne einer neuen Klassik. Nach Deutschland zurückgekehrt, fand er in August von der Heydt, dem Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, der ihn 1911 als Mitglied der Künstlerkolonie Mathildenhöhe nach Darmstadt berief, und dem Hannoveraner Keks-Fabrikanten Hermann Bahlsen bedeutende Mäzene. Der Marmor „Knabe mit Mütze“ (Los 321) steht für die zwischen 1911 und 1917 erreichte Meisterschaft: Mit den Marmorbildnissen „Lee Hoetger“ (1913), „Olga Tramm“ (1913) und „Hedwig Dülberg“ (1914/15) schuf Hoetger vergleichbare Meisterwerke, die 1916 im Berliner Kunstsalon Paul Cassirer gezeigt wurden und mit denen ihm in Deutschland der Durchbruch gelang. Inspiriert von ägyptisch anmutender Ornamentik und Frontalität kommt er in diesen Skulpturen zu einer überzeitlichen Klarheit und Monumentalität. „Er läßt einfach das Volumen für sich sprechen, in dem schon die [...] rudimentärste Modellierung von schlagender Wucht ist“ (Die Hoetger-Ausstellung im Kunstsalon Cassirer, in: Die Kunst für Alle, Bd. 31, H. 17/18 v. Juni 1916, S. 346). Nach der sogenannten „ägyptisierenden Phase“ wandelte Hoetger sich in den 1920er-Jahren zu einem Hauptvertreter der expressionistischen Architektur und Plastik: Der Erfinder und Produzent des entkoffeinierten Kaffees ermöglichte ihm den Bau der Bremer Böttcherstraße als expressionisti- sches Gesamtkunstwerk mit dem sogenannten Paula-Becker-Modersohn-Haus als erstem einer Malerin gewidmeten Museum im Zentrum. Für die Fassade der 1927 eröffneten Böttcherstraße schuf Hoetger unseren „Engelskopf“ (Los 322), der schon beim Eintritt in die Böttcherstraße – neben einer abstrakten Collage aus farbigem Glas und Metall – auf das Künstlerinnen- museum vorauswies. Als auf dem Nürnberger Reichsparteitag 1936 die „Böttcher- straßenkultur“ als Verfallskunst brandmarkte, wurde der Eingang zur Böttcher- straße umgestaltet und der „Engelskopf“ demontiert. Bei dem Exemplar aus der Sammlung Bringmann handelt es sich um das 1936 entfernte Original aus der Fas- sade des Gesamtkunstwerks. Im Laufe der 1930er-Jahre kehrte Bernhard Hoetger zu der in Paris erlern- ten impressionistischen Oberflächengestaltung seiner Plastiken und bewegteren Figurendarstellungen zurück. Von den sechs Güssen des den neuerlichen Stil- wandel repräsentierenden „Paracelsuskopfes“ befindet sich heute je ein Exemplar in den Museen Böttcherstraße und in der Sammlung Bahlsen. Die vielfältige Gruppe der hier angebotenen Bildwerke Bernhard Hoetgers aus der Sammlung Bringmann (Lose 321–325) befindet sich seit etlichen Jahr- zehnten in Privatbesitz: Dr. Karl Bringmann hatte Hoetger in den 1930er-Jahren als Jurist gegen die Angriffe der Nationalsozialisten verteidigt.

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322 Bernhard Hoetger Ausstellung Hörde/Westfalen 1874 – 1949 Interlaken Bernhard Hoetger. Gedächtnisausstellung zu seinem 90. Geburtstag. , Böttcherstraße, und Münster, „Engelskopf“. 1926 Westfälischer Kunstverein, 1964, Kat.-Nr. 162, Abb. 69 / Bronze mit dunkelgrauer Patina. 52,5 × 47 × 42 cm Bernhard Hoetger. Skulptur, Malerei, Design, Archi- (20 ⅝ × 18 ½ × 16 ½ in.). Unterhalb der rechten Wange tektur, Bremen, Böttcherstraße, 1998, Kat.-Nr. 281, am Hals signiert: Hoetger. Werkverzeichnis: Drost 111. Abb. S. 389 [3530] Literatur und Abbildung Provenienz Emil Szittya: Hoetger. Paris, Editions La Zone, 1928, Karl Bringmann, Meerbusch (seitdem in Familienbesitz) S. 8 / Walter Müller-Wulckow: Das Paula-Modersohn- Becker-Haus in Bremen. Führer und Plan. Bremen, EUR 20.000–30.000 Angelsachsen-Verlag, 1930, Abb. / Georg Biermann: USD 23,800–35,700 Bernhard Hoetger, Bildhauer. Bremen, Angelsachsen- Verlag, 1930, Abb. Tf. XII / Ludwig Roselius: Reden und Schriften zur Böttcherstraße in Bremen, Bremen 1932, Abb. nach S. 40 / Albert Theile: Bernhard Hoetger. Recklinghausen, Bongers, 1960, Abb. 41 / Maria Anczykowski (Hg.): Bernhard Hoetger. Skulptur, Malerei, Design, Architektur. Ausst.-Kat. Kunstsammlungen Böttcherstraße Bremen 1998, Abb. S. 389

Unser Exemplar des Engelskopfs befand sich ursprünglich im Fassadenstück, welches das sogenannte Paula-Moder- sohn-Becker-Haus mit dem Kaffee-Hag-Haus (heute Haus der Sieben Faulen) verbindet und den Eingang zur Böttcher- straße überbrückt. 1936 wurde diese Überbrückung mit Hoetgers goldenem Relief des „Lichtbringers“ geschmückt, dem der Engelskopf weichen musste.

Eingang Böttcherstraße mit dem „Engelskopf“ über dem Durchgang, 1927

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323 Bernhard Hoetger 324 Bernhard Hoetger Hörde/Westfalen 1874 – 1949 Interlaken Hörde/Westfalen 1874 – 1949 Interlaken

„Kopf Paracelsus“. 1936 „Weiblicher Akt (Kniestück)“. 1936 Bronze mit schwarzer Patina. 31 × 27 × 29,4 cm Bronze mit braungoldener Patina. 54,3 × 17,5 × 15 cm (12 ¼ × 10 ⅝ × 11 ⅝ in.). Rückseitig unten signiert und (21 ⅜ × 6 ⅞ × 5 ⅞ in.). Rückseitig unten signiert und datiert: B. Hoetger 1936. Rückseitig an der Stand- datiert: B. Hoetger 1936. Werkverzeichnis: Drost 150. fläche mit dem Gießerstempel: GUSS HEINZE & BARTH [3530] BERLIN. Werkverzeichnis: Drost 140 g). Einer von Provenienz 6 Güssen. [3530] Karl Bringmann, Meerbusch (seitdem in Familienbesitz) Provenienz Karl Bringmann, Meerbusch (seitdem in Familienbesitz) EUR 3.000–4.000 USD 3,570–4,760 EUR 4.000–6.000 USD 4,760–7,140 Ausstellung Bernhard Hoetger. Gedächtnisausstellung zu seinem 90. Geburtstag. Bremen, Böttcherstraße, und Münster, Westfälischer Kunstverein, 1964, Kat.-Nr. 228

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325 Bernhard Hoetger Hörde/Westfalen 1874 – 1949 Interlaken

„Stehender weiblicher Akt (Äppelken)“. 1936 Gips mit graugrüner Oberflächentönung. 125 × 44 × 50 cm (49 ¼ × 17 ⅜ × 19 ⅝ in.). Werkverzeichnis: Drost 155. [3530] Provenienz Karl Bringmann, Meerbusch (seitdem in Familienbesitz)

EUR 10.000–15.000 USD 11,900–17,900

Ausstellung Bernhard Hoetger. Gedächtnisausstellung zu seinem 90. Geburtstag. Bremen, Böttcherstraße, und Münster, Westfälischer Kunstverein, 1964, Kat.-Nr. 233

Hoetgers historisches Verdienst ist der Versuch, die Gegensätze seiner Epoche wieder zusammen- zubringen. Er wollte aus der ‚idealen Form’ Maillols und der deutschen Ausdruckskunst einen neuen Zeitstil kondensieren.

Eduard Trier, 1954

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