12 HF2 FEUILLETON Dienstag, 19. April 2016, Nr. 90 DEFGH

KLASSIKOLUMNE Die doppelte Pflicht Der erste Klang fährt dem Hörer krei- schend und bedrohlich in die Ohren. Aber, das ist kein Stück von Stockhau- Ohne Integration gibt es keine Lösung der innenpolitischen Konsequenzen der Flüchtlingskrise. sen, Boulez oder Lachenmann, es ist Sie kann aber nur gelingen, wenn sie nicht verordnet, sondern mit den Betroffenen ausgehandelt wird. Von Philipp Ther 200 Jahre älter und stammt von Jean- Féry Rebel, einem Barockkomponisten am französischen Königshof. Rebel hat ie gegenwärtige Debatte über die nehmen; in Ungarn attackierte die eigene was wissen wir heute über die Interessen dabei ganz einfach sechs Terzen, also Flüchtlinge folgt einer dramatisie- Regierung die Freiwilligen als Fluchthel- der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten? Ha- völlig konsonante Bausteine, übereinan- D renden Dialektik, die aus der Feder fer, das schreckt von weiterem Engage- ben sie eine Stimmein der öffentlichen De- dergestapelt und so einen absolut disso- eines Theaterautors stammen könnte. Die ment ab, die FPÖ argumentiert ähnlich ag- batte? Können Sie an dem Integrationsge- nanten Megasound erhalten. Dieser Flüchtlingskrise, die aus historischer Sicht gressiv gegen die österreichischen „Gut- setz mitwirken, das doch auf sie zuge- Klang ist ideal, um das Chaos zu zeich- gar nicht so krisenhaft oder außergewöhn- menschen“). schnitten sein soll? Vielleicht ist das auch nen, und so heißt denn auch der erste lich ist, spaltet seit einem Jahr die Gesell- Aber statt einer Willkommenskultur, gar nicht erwünscht, denn dann würde Satz von Rebels Orchestersuite „Les schaft und Politik in Deutschland und Eu- die auf einem schwammigen Kulturbegriff sich schnell herausstellen, dass zum Bei- Éléments“. Zwar walzt Rebel seine ropa. Daher bedarf es der dialektischen beruht, bedarf es nun durchdachter Inte- spiel für die Integrationskurse, an denen ei- Klangerfindung breit aus, danach aber Aufhebung dieser Spaltung und diese liegt grationskonzepte. Historisch betrachtet gentlich alle Asylbewerber teilnehmen soll- ist wieder Barock wie gehabt angesagt – im Begriff der Integration. Würde man ei- bestimmten vier Dimensionen den Verlauf ten, im Jahr 2015 weniger als zehn Prozent Großmeister Jordi Savall hat dieses ne Meinungsumfrage erstellen, was die von Integration. Die rechtliche Gleichstel- der benötigten Plätze zur Verfügung stand Stück jetzt zusam- Deutschen, die Österreicher oder andere lung(in Form grundlegender sozialer Rech- (hier verspricht das Integrationsgesetz of- men mit Gewitter- europäische Nationen von der Integration te und/oder der Staatsbürgerschaft), die fenbar Besserung). Bei den Sprachkursen musiken von Lo- halten, würde man vermutlich sehr hohe Ausstattung mit Wohnraum und das alltäg- liegt das Problem ebenfalls im Angebot cke, Vivaldi, Tele- Zustimmungswerte erhalten. Sogar AfD- liche Lebensumfeld, die berufliche Integra- und nicht in der Nachfrage, die man selbst- mann, Marais und oder FPÖ-Wähler würden wohl antworten, tion sowie schließlich, als höchste Stufe verständlich zur Pflicht erklären kann, et- Rameau für seine dass sie eine (normativ verstandene) Inte- der Integration (sofern man diese in Stufen wa im Blick auf die Gewährung von Sozial- Plattenfirma Alia gration irgendwie gut und wichtig finden. betrachten will, denn oft verläuft sie nicht leistungen. Doch die aufnehmende Gesell- Vox aufgenommen. Weil diese Aufgabe so wichtig ist, hat sie als linearer Prozess) das Heiratsverhalten schaft müsste das dann ihrerseits als Ver- jüngst der Gesetzgeber in die Hand genom- bzw. die Vermischung mit der Mehrheitsge- pflichtung verstehen und entsprechende Ist das Neue, das Rebel mit seinem Cha- men. Das Bundesinnenministerium hat sellschaft. Solange ein Großteil der Flücht- Angebote bereitstellen. osklang vorführt, nun eine Angelegen- jetztdie ersten Eckpunkte für ein Integrati- linge im Lager sitzt und nicht einmal einen heit der Jugend oder des Alters? Rebel onsgesetz veröffentlicht, offenkundig in Antrag auf Asyl stellen darf, kann die Inte- Zwangsassimilation im Befehlston war jedenfalls über 70 Jahre alt, als er der Erwartung, dass man Integration ge- gration nicht beginnen. Das Lager ist der stößt bei den Betroffenen sich dieses Wagnis traute. Andere sind setzlich verordnen oder jedenfalls regulie- Antipode der Inklusion, es ist ein Symbol schon jünger frecher. So die in Toronto ren kann. In eine ähnliche Richtung geht der Exklusion, das die lange Geschichte unweigerlich auf Skepsis geboren Gitarristin Laura Young,die die „Integrationspflicht“, die jüngst von der Flüchtlinge im modernen Europa lei- seit zwei Jahren am Mozarteum in Salz- der deutschen Wirtschaft und diversen Po- der allzu oft begleitet hat. Überhaupt erscheint es ratsam, Integra- burg unterrichtet. Für ihre neueste litikern gefordert wurde. Aber was bedeu- Auf die Dauer noch wichtiger ist die be- tion als Angebot zu betrachten und den Be- Platte hat sie einen Komponisten ge- tet eigentlich Integration? reits genannte Partizipation. Um die ist es griff nicht mit Pflichten, Zwängen und wählt, der vor 100 Jahren gestorben ist, Sie ist ein zwei- oder mehrseitiger Pro- ist nicht gut bestellt, so lange Flüchtlinge Sanktionsdrohungen zu überfrachten, die absolut nichts für die Gitarre kompo- zess, keine einseitige Anpassung einer Min- in erster Linie als Empfänger von Zuwen- in diesem Kontext fehl am Platz sind und niert hat und dessen Stücke auch nie derheit an die Mehrheit wie bei einer Assi- dungen betrachtet werden, seien es staatli- anders kommuniziert oder umgesetzt wer- den Eindruck erweckt haben, dass sie milation. Auf dieser Einsicht gründet die che Sozialleistungen oder gut gemeinte pri- den können. Wenn Integration zu einer für die Gitarre geeignet sein könnten. wissenschaftliche Auseinandersetzung vate Spenden, für die meist mit dem Bild Chiffre für eine Zwangsassimilation ver- Die Rede ist von Max Reger, dessen mit Integration, die auf den französischen elender und schicksalsergebener Flüchtlin- kommt und im Befehlston eingefordert Musik von Interpreten gern spätroman- Soziologen Emile Durkheim zurückgeht. ge geworben wird. Zu diesen Bildern sei wird, muss man damit rechnen, dass sie tisch dick aufgemotzt wird. Laura Er interessierte sich vor gut hundert Jah- hier nur kurz angemerkt, dass syrische bei den Betroffenen auf Skepsis stößt. Stra- Young hat bei Gramola jetzt zum ren dafür, was eine Gesellschaft zusam- Flüchtlinge, die auf der Balkanroute nach fen kann man androhen, aber sie werden 100-Jahr-Jubiläum am 11. Mai eine gan- menhält, wenn ihre traditionellen Bindun- Deutschland kamen, acht Staatsgrenzen das Fernziel der Integration beschädigen, ze Platte mit Regers Nicht-Gitarren-Mu- genverloren gehen (und zwar durch die Ar- und eine Entfernung von mehr als 4000 Ki- wenn sie damit in einen direkten Zusam- sik vorgelegt, bei der man in keinem beitsteilung des modernen Kapitalismus, lometern überwinden mussten. Inwieweit menhang gebracht werden. Außerdem Moment das Gefühl hat, dass die Musik davon handelte sein Buch von 1893). Durk- kann man die offensichtlich vorhandene sind Drohungen letztlich nur Ausdruck der gar nicht für Gitarre geschrieben wur- heim vertrat das Ideal einer integrierten Energie dieser Menschen für eine Integrati- eigenen Unsicherheit, die auch die bereits de. Es handelt sich um eine Auswahl Gesellschaft, Desintegration war der nega- onmobilisieren? Wird die Aufnahmegesell- ansässige Bevölkerung verängstigt und aus Stücken für Violine oder Cello solo. tiv besetzte Gegenbegriff dazu. Insofern schaft dies auch zulassen? spaltet. Unter den Flüchtlingen, die gerade Ja mehr noch: Laura Youngs Reger ist beruht der heutige normative Konsens Sämtliche historischen Fälle, die heute jetzt am Anfang bleibende Erfahrungen eindeutig ein Südländer, der mit roman- über die Integration als Endziel der Flücht- als Beispiele einer gelungenen Integration mit der Mehrheitsgesellschaft und ihrem tischer Emphase lingspolitik auf einem sehr alten Begriffs- gelten können, beruhten auf der Partizipa- Staat machen, können sie Tendenzen zur Sonnenunter- und verständnis. tion der Flüchtlinge. Als Ende des 17. Jahr- Abkapselungbegünstigen und zur Heraus- Mondaufgänge am hunderts 170000 Hugenotten aus Frank- bildung jener Parallelgesellschaften beitra- Mittelmeer be- Die Hugenotten, die nach reich flohen (fast 100000 von ihnen über gen, die seit Jahren beschworen werden. schwört. Selbst die Preußen flohen, hatten dort Frankfurt am Main, das damals etwa Man kann aus der Geschichte nicht Fugen künden hier 30000 Einwohner zählte – das kann man leicht lernen, aber man kann zumindest von Zephir und Vertreter in Hof und Regierung tatsächlich als Flüchtlingskrise bezeich- die Wiederholung vergangener Fehler ver- Pinienduft. nen), entsandten sie Vermittler oder beauf- meiden. Dazu gehört, dass die Zwangsassi- Zwei führende Soziologen des zwanzigs- tragten bereits emigrierte Interessensver- milation von Zuwanderern oder Minderhei- Eine ähnlich überraschende Paarung ten Jahrhunderts, Talcott Parsons und Ni- treter, um über die Bedingungen der Auf- ten noch keinem modernen Staat gelun- haben sich auch die Geigerin Patricia klas Luhmann, entwickelten Begriff und nahme und der Ansiedlung zu verhandeln. gen ist, egal wie er organisiert war. Integra- Kopatchinskaja und der Dirigent Teo- Debatte weiter, indem sie Integration funk- Der wichtigste aufnehmende Staat im Al- tion ist ein langfristiger Prozess, der oft dor Currentzis ausgedacht, beide lie- tionalistisch betrachteten, als Inklusion ten Reich, Brandenburg-Preußen, ließ es erst im Wechsel der Generationen gelingt. ben es, gängige Erwartungshaltungen verschiedener gesellschaftlicher Teilberei- außerdem zu, dass die Hugenotten in der Im Aprill 2016: Vor den Containern einer Unterkunft für Flüchtlinge und Mi- Ein Schlüsselfaktor war stets die soziale zu unterlaufen. Bei Sony feiern sie Hoch- che und Teilhabe an einem wirtschaftli- Regierung und am Hof repräsentiert wur- granten in -Zehlendorf. FOTO: GETTY IMAGES Mobilität, die im Fall der deutschen Flücht- zeit, das Booklet zeigt die beiden als in chen und sozialen System. Das mag etwas den und dort eine eigene Verwaltungsein- linge und Vertriebenen durch den Lasten- Tracht verkleidete Protagonisten eine abstrakt klingen, aber es kann zum Nach- heit mit Sonderrechten bildeten (das Com- ausgleich und andere Maßnahmen geför- altrussischen Bauerhochzeit. Das wahr denken anregen. Werden die Flüchtlinge, missariat Français). letzt in jenen Phasen von Bedeutung, als Maßnahmen, die zumindest der jungen dert wurde. Die Chance (oder zumindest e Hochzeitspaar aber ist das Paar nachdem sie in Deutschland oder Öster- Ein weiteres Beispiel aus der europäi- die Integration nicht nach Wunsch verlief, und der nächsten Generation einen sozia- das Versprechen), sozial aufzusteigen, ge- Tschaikowsky & Strawinsky, die her- reich angekommen sind, tatsächlich in den schen Geschichte sind die Flüchtlinge und stagnierte oder retardierte. So erfüllten len Aufstieg ermöglichten. Zugleich wäre hört zu den Erfolgsrezepten der klassi- ben „Nozze“ („Hochzeit“) des Letztge- Arbeitsmarkt, den Alltag der Mehrheitsge- Vertriebenen in der Nachkriegszeit, die in sich die wirtschaftlichen Erwartungen der ein solcher bi- und multilateraler Integrati- schen Einwanderungsländer, das Verspre- nannten werden hier mit dem Geigen- sellschaft und das politische System inklu- der Bundesrepublik zeitweilig ein für ihre aufnehmenden Staaten an die Hugenotten onsdiskurs eine Gelegenheit, die Vorstel- chen wirkt aber seit einiger Zeit sogar in konzert des Anderen verkuppelt. Dabei diert? Oder hat spätestens mit der Neu- Angelegenheiten zuständiges Ministeri- nur bedingt, darüber waren beide Seiten lungen und Werte der unterschiedlichen den USA nicht mehr so wie früher. Das liegt färbt nun vor allem die herbe und klar jahrsnacht in Köln eine schleichende Ex- um bekamen, hohe Regierungsämter be- enttäuscht. Aber über die Repräsentanten Flüchtlingsgruppen kennenzulernen (dar- jedoch an Ursachen, die weit über die aktu- konturierte Gangart des Jüngeren auf klusion begonnen? Zwar war der Anteil der kleideten (in denen belastete Altnazis über- der Flüchtlinge konnte man sich über die unter die Israelfeindschaft, die etwa Syrer elle „Flüchtlingskrise“ hinausgehen und das Geigenkonzert Deutschen und Österreicher, die sich 2015 wogen – das soll hier nicht verschwiegen jeweils aktuellen Probleme austauschen und Iraker seit der ersten Schulklasse die gesamte wirtschaftliche und politische ab, das hier von für die „Willkommenskultur“ engagierten, werden) und ihre Interessen über eine eige- und diese leichter bewältigen. durch die staatliche Propaganda einge- Ordnung der westlichen Welt betreffen. allen Schmalzschla- mit bis zu zehn Prozent der Bevölkerung ne Lobby, die Vertriebenenverbände, ver- Auch in der Nachkriegszeit wussten die bläut bekamen. Hier ist statt Integration cken, aber auch sehr hoch – hier zeigt sich der Unterschied folgen konnten. Flüchtlingsorganisationen oft am besten, grundlegende Aufklärungsarbeit gefor- vom ehernen Zu- zum postkommunistischen Europa, wo die- Die Integration war also nicht nur zwei- was gebraucht wurde, Wohnungen statt Be- dert). Philipp Ther ist Professor am Institut für Osteuro- griff früheren So- ses zivilgesellschaftliche Engagement bei seitig, sondern beruhte in diesen beiden helfsunterkünfte, Arbeitsplätze, Kredite Historische Erfahrungen aus lange zu- päische Geschichte der Universität Wien. Die Ge- wjetmusiker befreit etwa einem Prozent verharrte (man kann und etlichen anderen Fällen zudem auf für Unternehmensgründungen, Schul- rückliegenden Perioden lassen sich nie di- schichte der Migration ist einer seiner Forschungs- aufatmet. es diesen Gesellschaften nicht einmal übel Aushandlungsprozessen. Das war nicht zu- und Universitätsstipendien und andere rekt auf die Gegenwart übertragen, aber schwerpunkte.

Unter den älteren Geigern war der 1922 geborene Ivry Gitlis sicher der Gierigs- te auf Neues. Allerdings lässt sich das KURZKRITIK an Hand seiner Diskografie kaum nach- Der Überflieger vollziehen, kennt sie doch fast nur die üblichen Repertoirestücke. Jetzt hat der So einen Rabbi hat die Welt noch nicht gesehen – der Dokumentarfilm „Rabbi Wolff“ von Britta Wauer Paare, Migranten SWR für das Doppelalbum „Ivry Gitlis. Concertos. Recital. 1962-1986“ aus sei- DerFilm beginnt mit einem Mittagsschläf- Juden aus Moskau und St. Petersburg, die Cross-Gender-Wust: „Meteoriten“ nen Klangarchiven eine Rarität heraus- chen. Müdigkeit hat William Wolff über- jetzt in Mecklenburg-Vorpommern eine am Berliner Gorki Theater gekramt, die Gitlis als brillanten Über- mannt, mitten im Interview. Den Kopf zur neue Heimat gefunden haben, zu verstän- zeugungstäter in Sachen moderner Brust hin genickt, schnarcht der Rabbiner, digen. Aber eigentlich sind sie ihm auch Am Berliner Maxim Gorki Theater verhed- Musik beweist und zudem ein grandio- bis die Regisseurin sich räuspert. Im Nu ist ein bisschen fremd, weil sie christliche dern sich wieder mal paarungsbereite ses Plädoyer für den stets unterschät- der alte Mann hellwach. „Tut mir ja so Bräuche zelebrieren. Großstädter in ihren Gefühlen, diesmal in zen Komponisten Roman Haubenstock- leid“, sagt er. „Sind wir alle da?“ Fit hält sich Wolff auch mit Yoga, seit der Uraufführung des Stückes „Meteori- Ramati ist. Dessen „Séquences“ für Dass William Wolff mitten im Interview 60 Jahren praktiziert er das, fast jeden ten“ von Sasha Marianna Salzmann. Damit Geige und Orchester ist eine romanti- von Erschöpfung heimgesucht wird, ist Tag. Nur den Kopfstand, den hat ihm jetzt das etwas interessanter und politischer als sche Traumfahrt kein Wunder. Das Wunder ist der Mann sein Arzt verboten. Leidenschaften pflegt eine Beziehungskomödie im Vorabendfern- durch eine in magi- selbst. Sein Lebenselixier sind Rastlosig- er auch. Sein gesellschaftlicher Höhe- sehen wirkt, beschert ihnen die Dramatike- schen Farben leuch- keit, Neugier und eine Herzensoffenheit, punkt im Jahr: im Juni mit seiner besten rin interessante Herkunftsländer (Syrien! tende Unterwasser- die jegliche Dimensionen sprengt. Drei Jah- Freundin zum Pferderennen nach Ascot zu Israel! Russland!) und variantenreiche se- landschaft, in der re lang hat Britta Wauer ihn beobachtet, in xuelle Orientierungen (Schwule! Lesben! nichts vertraut ist – Großbritannien, Israel und in Mecklen- Der Mann war Journalist, bis er Transgender!). Cato (Mareike Beykirch) ist aber immer so burg-Vorpommern. Wolff tauchte bereits eines Morgen erwachte und mit Üzüm (Thelma Buabeng) zusammen, wirkt. in ihrem großartigen Dokumentarfilm eigentlich wäre sie lieber ein Mann, aber ih- „Im Himmel, unter der Erde“ über den Jü- wusste: Ich muss Rabbi werden! re Hormonbehandlung bekommt ihrer Be- Die Sologitarrenmusik von Heitor Villa- dischen Friedhof Weißensee in Berlin auf. ziehung gar nicht gut. Der Israeli Udi (Tho- Lobos liegt in unzähligen Aufnahmen Wauer fand schon damals, Wolff sei einen fahren. Dort wettet er dann sogar auch. mas Wodianka) liebt den Syrer Roy (Meh- vor. Aber Mickael Viegas überrascht ganzen Film wert. Ihm sei wichtig im Leben, sagt er, „dass ich met Atesci), und weil jüdisch-arabische mit den Etüden, Präludien, der Suite So einen Rabbiner hat die Welt noch immer etwas mache, was mir Spaß macht. und dazu noch schwule Paare in Berlin und dem Chôro, Stücke, die hier oft nicht gesehen. William Wolff lebt alleine in Und wenn ich empfinde, dass mir etwas sehr in Mode sind, beweisen die beiden da- völlig anders klingen als bei all seinen einem Dorf bei und arbeitet in den keinen Spaß mehr macht, habe ich etwas mit auf jeden Fall Trendbewusstsein. Ne- Kollegen. Denn Mickael Viegas ist nicht jüdischen Gemeinden von und William Wolff lebt in , arbeitet aber in Rostock und Schwedt. FOTO: SALZGEBER Neues gefunden.“ So redet er, wenn man benbei flirtet Roy mit Serösha (Dimitrij nur ein brillanter Virtuose, sondern Schwedt. Dafür fliegt er alle zwei Wochen ihn fragt, wie einer nur so viel lachen kann. Schaad), der zwar nicht schwul ist, sich auch ein Klangbastler, der mit Hilfe der nach Hamburg. Vom Leben kann Wolff, Mit 50 Jahren hatte er keine Lust mehr, aber gerne anbaggern lässt. Damit auch er Tontechnik völlig ungewohnte Visionen der mit seiner Familie 1933 vor den Nazis ten, jedes Jahr, bei seinen britischen Freun- an verschiedenen Orten zugesagt hat. Das Politik-Chef des Daily Mirror zu sein, etwas zu erzählen hat, ist er Russe und hat dieser Stücke kreiert. Einmal klingt die zuerst nach , dann nach Groß- den unterm geschmückten Tannenbaum. kann passieren, wenn man ständig unter- verkaufte seine Lebensversicherung und einen Vater, der Offizier in der russischen Gitarre plötzlich wie eine Riesenharfe, britannien geflüchtet ist, nicht genug be- Die Zeitungsberge zu Hause werden ein- wegs ist und zwar im Anzug zwanzig Kugel- begann ein Rabbinerstudium. Esbleibt rät- Armee war und an Aids gestorben ist. dann wieder verblüffen Nachklangeffek- kommen. Er selbst aber hat keines in die mal in der Woche von seiner Assistentin schreiber mit sich herumträgt – aber dann selhaft, was ihn zu diesem drastischen Leider entstehen aus diesen Versatzstü- te, wie sie sonst nur auf dem Klavier Welt gesetzt. Keine Enkelkinder toben um entsorgt, denn bis zum Alter von 50 Jahren doch vergisst, einen Termin einzutragen. Schritt wirklich bewogen hat. Er sei eines cken weder Figuren noch eine Geschichte möglich sind. Viegas verspricht den ihn herum, wenn er zurückkehrt aus war Wolff Journalist – und manchmal so- Aber eigentlich kann ihm keiner böse sein. Morgens aufgewacht und habe gewusst: und erst recht kein Theaterstück, sondern „Prospect of a Future Guitar“, was im Deutschland in sein Haus, in dem sich Bü- gar zu Werner Höfers „Frühschoppen“ ein- Wolff ist ein sehr freier Mensch, erfüllt „Das will ich machen!“ Nur er weiß, ob das nur ein Pappkameraden-Potpourri. Weil Booklet dieses bei Pararty erschienen cher und Zeitungen stapeln. Auch einen geladen. von einer geradezu buddhistischen Unab- schon die ganze Wahrheit ist. hier sämtliche Identitätskonstruktionen Albums nur sehr kryptisch erklärt wird. Bart trägt er nicht, was die russischen Ju- Wer Rabbi Wolff sprechen will, muss hängigkeit. „In meinem Alter gibt es eigent- Nicht alle waren erfreut über den plötzli- variabel sind, vielleicht auch nur zwecks Die Website des Gitarristen den in Rostock und Schwedt irritiert hat. Glück haben, ihn zu Hause in Großbritanni- lich nur zwei Pflichten: Mich sauber zu hal- chen Sinnes- und Lebenswandel. „Meine kulturhistorischer Aufwertung und bil- (http://www.micka- Ein Rabbi, der sich jeden Tag rasiert? en zu erwischen oder in einem seiner Bü- ten und mich fit zu halten“,sagt er. Dazu ge- Mutter habe ich als Letzte darüber infor- dungsbürgerlicher Referenzrahmenerwei- elviegas.com) aber Kein Klischee will auf den Rabbiner pas- ros in Mecklenburg-Vorpommern. Ein hört die jährliche Fastenkur. Der kleine, miert. Sie war entsetzt gewesen.“ Sagt er – terung, sind den Beziehungs-, Selbstfin- ist Dank eines bril- sen. Wenn er sich im Flughafen Heathrow Handy besitzt er zwar, aber das liegt die dünne Mann trinkt dann eine Woche lang und lacht. thorsten schmitz dungs-und Geschlechterwirrnissen locker lanten Films da mit Zeitungen eingedeckt hat und noch meiste Zeit im Handschuhfach seines Au- nur Gemüsebrühe, weil „der Geist dann umgedichtete Passagen aus Ovids „Meta- sehr viel faszinie- Zeit bis zum Abflug bleibt, zieht er seine tos. Manche bringt seine Unerreichbarkeit klarer ist und ich besser denken kann“. morphosen“ zwischengeschaltet, aber render .. . Schuhe aus und beginnt die Lektüre im zum Wahnsinn, etwa den jüdischen Ge- Fit hält sich Wolff auch mit Wissens- Rabbi Wolff, D 2016 – Regie, Buch, Produktion: Brit- auch das kann den von Hakan Savaș Mican reinhard j. Schneidersitz. Das jüdische Neujahrsfest meindevorsteher in Rostock, der sich auf- durst. Morgens um 8 Uhr lernt er mit einer ta Wauer. Kamera: Kaspar Köpke. Schnitt: Berthold redlich inszenierten Abend nicht retten. brembeck feiert er, klar, aber eben auch Weihnach- regt, weil der Rabbiner mehrere Termine Privatlehrerin Russisch, um sich mit den Baule. Musik: Karim Elias. Salzgeber, 95 Min. peter laudenbach DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehaltenvorbehalten – - SüddeutscheSüddeutsche ZeitungZeitung GmbH,GmbH, MünchenMünchen schroederma JeglicheJegliche VeröffentlichungVeröffentlichung und und nicht-private nicht-private Nutzung Nutzung exklusiv exklusiv über über www.sz-content.de www.sz-content.de SZ20160419S3265032