Laudatio von Frau Justizministerin Uta-Maria Kuder anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Stadt an den Landesrabbiner Dr. William Wolff am 27. Januar 2014 in Schwerin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Landesrabbiner, lieber William Wolff, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Gramkow, sehr geehrter Herr Stadtpräsident Nolte, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind heute hier im schönen goldenen Saal des Neustädtischen Palais zusammengekommen, um einen ganz besonderen Menschen zu ehren. Einen beeindruckenden Mann, der sich um ein weltoffenes und demokratisches Miteinander bei uns in Mecklenburg-Vorpommern große und bleibende Verdienste erworben hat. Als Zeichen der Wertschätzung Ihres Einsatzes für unser Land wurden Ihnen, hochverehrter Herr Landesrabbiner Wolff, bereits viele Ehrungen zuteil. So erhielten Sie 2006 den Siemerling-Sozialpreis der Dreikönigsstiftung Neubrandenburg und die Ehrendoktorwürde der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald. Ein Jahr später folgten das Bundesverdienstkreuz I. Klasse, und der Israel Jacobson-Preis der Union progressiver Juden. 2011 ehrte Sie die SPD Landtagsfraktion mit dem Johannes- Stelling-Preis. Heute hat Ihnen, sehr geehrter Herr Landesrabbiner, die Landeshauptstadt Schwerin nun die Ehrenbürgerwürde verliehen. Herzlichen Glückwunsch. Es ist mir eine große Ehre und Freude, heute Ihr Leben und Ihr Wirken für unser Land zu würdigen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit Bedacht wurde der heutige Tag für diesen Festakt ausgewählt. Der 27. Januar ist seit 1996 ein bundesweiter Gedenktag für die Opfer des Holocaust, für alle Opfer des Nationalsozialismus und des Vernichtungskrieges. Eine Zeit der Ausgrenzung, der Vertreibung und schließlich der Vernichtung eines Volkes, in die Sie, hochverehrter Herr Landesrabbiner, hineingeboren wurden. Sie erblickten am 13. Februar 1927 im Berliner Hansaviertel, einer gut bürgerlichen Wohngegend nahe dem Tiergarten, das Licht der Welt. Als eines von drei Geschwistern wuchsen Sie in einem traditionellen, wie Sie 2 selbst einmal gesagt haben, eher orthodoxen Haus als Kind deutsch-jüdischer Eltern auf. Als Sie sechs Jahre alt waren, mussten Sie mit Ihren Eltern nach emigrieren. Amsterdam, damals eines der bedeutendsten Zentren des europäischen Judentums und weltweite Handelsmetropole, prägte viele ihrer Kindheitserinnerungen. So wussten Sie zu erzählen, dass auch die Familie von Anne Frank zu den Freunden Ihrer Eltern gehörte. Nur wenige Jahre später, im August 1939, übersiedelten Sie mit Ihren Eltern nach . wurde Ihnen zur neuen Heimat. Hier wuchsen Sie zu einem offenen, optimistischen und warmherzigen jungen Mann heran. Und in London erfüllten Sie sich auch Ihren ersten Berufswunsch. Ungewöhnlich früh, nämlich schon seit Kindheitstagen, gab es für Sie nur zwei berufliche Optionen: entweder Rabbiner oder Journalist. Sie entschieden sich zunächst für eine journalistische Laufbahn. Fast Ihr ganzes Berufsleben waren Sie ein wirklich erfolgreicher Journalist. Sie arbeiteten für renommierte internationale Tageszeitungen wie den „Daily Mirror“. Dabei galt Ihr Interesse insbesondere den Themen Europas, etwa dem Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft. So war es dann auch nicht verwunderlich, dass Sie beim „Internationalen Frühschoppen“ im Deutschen Fernsehen zu den Diskutanten gehörten. Trotz Ihrer Neugierde auf die Welt und Ihrer Leidenschaft für den Journalismus, eine Sehnsucht blieb.

Im Alter von 52 Jahren, in dem manche schon über den Ruhestand nachdenken, wagten Sie daher noch einmal einen Neuanfang und erfüllten sich Ihren weiteren Lebenswunsch. Sie begannen am Leo-Beck-College in London ein Theologiestudium zum Rabbiner. Fünf Jahre später, 1984, wurden Sie ordiniert. Ihre Gemeinden waren Newcastle, und Wimbledon. Auch als Rabbiner bewahrten Sie sich Ihr besonderes Interesse an anderen Religionen und Kulturen. So pflegten Sie in besonderer Weise freundschaftliche Kontakte zur Anglikanischen Kirche und setzten sich für die Betreuung von Mischehen ein. Stets interessierten Sie sich auch für die politischen Ereignisse in Deutschland. Ganz besonders aufmerksam verfolgten Sie die Neubelebung jüdischen Lebens bei uns in Mecklenburg-Vorpommern. Es war also kein Zufall, dass Sie ab Mitte der 90iger Jahre sozusagen als „Pate“ die jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern unterstützten. Zu dieser Zeit war nicht absehbar, ob und wann die Gemeinden einen eigenen Rabbiner bekommen würden. Sie, lieber Herr Wolff, betreuten die jungen Gemeinden in unserem Land wann immer es Ihnen möglich war als Gastrabbiner.

Als dann im Jahre 2002 Ihr Dienst als Rabbiner in Wimbledon endete, ereilte Sie der Ruf aus Deutschland. Und Sie, lieber Herr Landesrabbiner? Sie folgten ihm ohne jedes Zögern. Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen, dass Sie zu diesem Zeitpunkt bereits 75 Jahre alt waren und es in Mecklenburg-Vorpommern seit 68 Jahren keinen Rabbiner mehr gegeben hatte. Ihr unmittelbarer Vorgänger, Landesrabbiner Dr. Siegfried Silberstein (1866-1935) wirkte von 1911 bis 1934 als bis dahin letzter Landesrabbiner bei uns im Land. Es war daher ein ganz besonderes Ereignis, als Sie im April 2002 durch Kantor Oljean Ingster in Schwerin in Ihr Amt

3 eingeführt wurden. Dafür war die Zahl der offiziellen Gäste überschaubar. Ihnen begegnete zunächst eine eher abwartende Haltung. Die Gemeinden, die bis dahin ohne sichtbares geistliches Oberhaupt waren, betrachteten Sie erst mit einem gewissen Abstand. Nach der Devise: „Man konnte ja nicht so recht wissen, was daraus werden würde“. Das entsprach nun so ganz und gar nicht Ihrer Art als neuer Landesrabbiner. Schon bald zeigte sich auch, dass Sie ein echter Glücksfall für die jüdische Gemeinde und für das Miteinander der Menschen in unserem Land waren sind. Sie gehen auf die Menschen zu, ohne Scheu vor Institutionen und Strukturen. Sie knüpften Kontakte in die Landes- und Kommunalverwaltungen, zu den Universitäten und Kirchen in unserem Land.

Ganz besonders wichtig ist Ihnen der intensive Dialog mit den christlichen Kirchen. Wissen Sie sich doch durch einen langen, gemeinsamen Weg eng miteinander verbunden. Die Menschen waren zunächst erstaunt über Ihren Großmut und Ihre liebevolle Grundhaltung, mit dem Sie als Holocaust-Überlebender Gedenk- veranstaltungen gestalten. Nicht überkommende Schuld ist Ihr Credo, sondern Streben nach Versöhnung und Verständigung im Gedenken an das Gewesene. Genau das macht Sie auch aus, macht Sie so einzigartig, lieber Herr Wolff. Und diese Maxime ist eine Option gegen das Vergessen. Dadurch wird auch bei den jungen Menschen unseres Landes das Interesse geweckt, sich mit der deutschen Geschichte, dem offenen oder latent vorhandenen Antisemitismus auseinander zu setzen. Wo sind seine Wurzeln? Warum gibt es ihn bis heute? Wie können wir ihm begegnen? Alles keine Fragen, die sich mit einem Satz beantworten lassen oder die sich überhaupt abschließend beantworten lassen. Aber diese Fragen müssen gestellt werden und man muss sich ernsthaft mit ihnen beschäftigen. Dies taten Sie von Anfang an. Sie sind ein vielgefragter Zeitzeuge und arbeiten eng mit den Schulen und Universitäten unseres Landes zusammen. Sie beleben und pflegen den interreligiösen Dialog. Sie sind ein wichtiger Partner der demokratischen Bürgerinitiativen und Bürgerbündnisse in unserem Land, die sich aktiv gegen aufkeimendes braunes Gedankengut wenden. Sie kümmern sich auch um jene Kulturvereine in unserem Land, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Geschichte ihrer ehemaligen jüdischen Gemeinden zu erforschen und aufzuarbeiten. Und dank Ihnen können wir heute stolz auf zwei aktive jüdische Gemeinden in und Schwerin blicken, die inzwischen lebendiger Teil unserer Gesellschaft geworden sind.

Kurzum: Sie, sehr geehrter Herr Landesrabbiner, sind einfach ein unermüdlicher und hartnäckiger Bote der Versöhnung. Besonders deutlich werden diese Eigenschaften auch in der Wanderausstellung von Manuela Koska-Jäger, die von 2011 bis heute in der ganzen Welt unterwegs ist. „Abraham war Optimist“ so heißt diese Ausstellung und das Begleitbuch mit dem Untertitel: „Ein Rabbiner und seine Gemeinde“. Was könnte auch besser als photographische Aufnahmen, Auszüge aus Ihren Predigten und Interviews aus Ihren Gemeinden Ihren Wirkungsalltag widerspiegeln? Dass Ihr Optimismus aus tiefstem Herzen kommt und ansteckend sein muss, zeigt auch

4 folgender Auszug aus einem Interwiew mit Ihnen, das Sie dem Korrespondenten der „Welt“ Alan Posener gaben. Dieser fragte Sie: „Mecklenburg-Vorpommern hat keinen guten Ruf. Die rechtsradikale NPD sitzt ja im Landtag!“ Darauf antworteten Sie: „Ja, die NPD ist wohl im Osten stärker, weil es dort eine hohe Arbeitslosigkeit gibt. Aber nicht hier. Nach der letzten Wahl hat mich der Norddeutsche Rundfunk angerufen. Die NPD hat sieben Prozent der Stimmen geholt, und man erwartete vermutlich einen entsetzten Kommentar. Ich sagte „Das bedeutet 93% haben nicht NPD gewählt. Ich bin stolz auf unsere Mecklenburger.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die heutige Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Herrn Landesrabbiner Wolf ist ein äußeres Signal dafür, dass jüdisches Leben bei uns endlich wieder selbstverständlich ist. Sie ist ein Zeichen dafür, dass der einst aus seiner Heimat vertriebene William Wolff zurückgekommen ist um denen Versöhnung und Liebe zu bringen, die sein Volk einst verfemten. Er kam nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern er kam mit einem sehr großen Herzen. Mit seinem einzigartigen Charisma hat er die Menschen bei uns im Land ganz für sich eingenommen. Dass kann ich gut verstehen. Auch ich bewundere William Wolff sehr. Er vermag es auf einmalige Weise, den Religion und Lebensfreude zu vermitteln. Sein Lachen ist gütig. Sein Händedruck ist fest und leidenschaftlich. Er ist ein wunderbarer, weiser und menschenfreundlicher Rabbiner.

Lieber William Wolff, es sind diese Tugenden, warum viele Menschen unsagbar dankbar dafür sind, dass Ihr Lebensweg Sie nach Mecklenburg-Vorpommern verschlagen hat. Deshalb verneigt sich heute auch die Stadt Schwerin und ihre Bürger vor Ihnen. Die Stadt Schwerin und Ihre Bürger haben Ihnen viel zu verdanken. Daher freue ich mich auch ganz persönlich, dass die Stadtverordneten diese Entscheidung getroffen haben. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass sie damit auch in den Blick genommen haben, die Jüdische Gemeinde Schwerin zukünftig nach Kräften in jeder Form zu unterstützen.

Welches Wort würde dazu nicht besser passen als das des Propheten Jeremia, Kapitel 29, Vers 7:

„Suchet der Stadt bestes, dahin ich euch habe lassen wegführen, und betet für sie zum Herrn, denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s auch euch wohl.“