Hannah Arendt Und Mary Mccarthy - Szenen Einer Freundschaft Aus Den 1940Er Und 1950Er Jahren
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70 Regine Othtner Hannah Arendt und Mary McCarthy - Szenen einer Freundschaft aus den 1940er und 1950er Jahren Vorbemerkung: Im Oktober 2006 wäre Hannah Arendt 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass sind eine Reihe neuer Publikationen vorgelegt worden. Er- staunlich ist jedoch, dass diese sich, soweit biographische Fragen betroffen sind, über die Beziehungen Arendts zu guten Freundinnen, von denen es eine ganze Reihe gab, eher hinwegsetzen, bzw. sie zu unterschätzen scheinen: Es gibt ei- nige Briefwechsel zwischen diesen Freundinnen und Arendt, die noch längst nicht gesichtet sind. Dagegen spielt etwa das Verhältnis Arendts zu Martin Hei- degger immer noch eine herausragende Rolle. Uber die »amerikanische Freun- din« Arendts, Mary McCarthy, ist seit der schönen Einleitung der Biographin McCarthy's, Carol Brightman, zu dem Briefwechsel zwischen den Freundinnen auf Deutsch nichts erschienen, — von einigen Überlegungen Ingeborg Nord- manns zu Arendts Briefen abgesehen. Dies hat möglicherweise damit zu tun, dass McCarthy in den Ruf eines enfant terrible auch als Nachlassverwalterin Arendts geraten ist.1 Während Hannah Arendt als politische Philosophin allent- halben gefeiert wird, ist Mary McCarthy als Schriftstellerin weitgehend in Ver- gessenheit geraten. Die folgende Skizze der Freundschaft zwischen Hannah Arendt und Mary McCarthy beschränkt sich auf Ausschnitte. Sie ist der Versuch einer neuen Annäherung an die Beziehung zwischen den beiden Frauen, der ohne vor- schnelle Urteile auskommen will. Es geht darum, das politische und intellektu- elle Umfeld, in dem sie lebten, und ihre individuellen Gesten des Denkens und Fühlens sichtbar zu machen. i. Begegnung in New York Das Talent Mary McCarthys zur Satire wurzelte laut Hannah Arendt darin, »daß sie ihre Beobachtungen aus dem Blickwinkel und mit dem Staunen eines Kindes darstellt, das merkt, daß der Kaiser keine Kleider anhat [...] Sie beginnt immer damit, ganz buchstäblich zu glauben, was jedermann sagt, und stellt sich so auf die schönsten, wunderbarsten Kleider ein. Dann tritt der Kaiser auf — völlig 1 Vgl dazu Frances Kiernan: Seeing Mary Plain, S. 658 f. Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1/07 Hannah Arendt und Mary McCarthy 71 nackt. Diese innere Spannung zwischen Erwartung und Realität [...] gibt ihren Romanen etwas selten Dramatisches.«2 Mary McCarthy bescheinigte Hannah Arendt ihrerseits ein dramatisches Ta- lent, indem sie die Vortragende schilderte: »Ich fühlte mich daran erinnert, wie Bernhardt oder Prousts Berma eine überragende Bühnendiva gewesen sein mußten.[...] Das Theatralische an Hannah war eine Art spontane Fähigkeit, sich von einer Idee, einem Gefühl, einer Ahnung ergreifen zu lassen, deren Vehikel ihr Körper dann wurde wie der einer Schauspielerin. Und diese Fähigkeit, sich ergreifen und innerlich bewegen zu lassen — oft auffahrend und mit geweiteten Augen: >Ach!< (vor einem Bild, einem Bauwerk, einer infamen Handlung) - son- derte sie von uns anderen ab wie eine hohe elektrische Ladung.«3 Flüchtig begegnet waren sie sich schon 1944. Hannah Arendt war im Mai 1941 mit ihrem Mann Heinrich Blücher in New York angekommen. Die Blüchers lebten mit der Unterstützung jüdischer Organisationen in zwei möblierten Zimmern zusammen mit Hannahs Mutter, Martha Arendt. Hannah Arendt wurde bald zur Haupternährerin der Familie. Sie arbeitete fur den deutschsprachigen Aufiau und veröffentlichte Artikel auch in anderen jüdischen Zeitschriften. Hatte sie sich im Exil in Frankreich ausschließlich praktisch in der zionistischen Arbeit betätigt, so schrieb sie jetzt zu wichtigen Fragen der jüdi- schen Politik: Sie plädierte für die Aufstellung einer jüdischen Armee im Krieg gegen Nazi-Deutschland und trat dafür ein, Palästina zu einem Teil des briti- schen Commonwealth zu machen mit gleichen Rechten für Juden und Araber. Sie fand aber für ihre Vorstellungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft kaum Unterstützung; ihre Vorschläge blieben wirkungslos und sie zog sich allmählich aus den zionistischen Debatten zurück. Als Anfang 1943 in den USA die Gerüchte über die Massenvernichtung der Juden in Europa immer mehr zur Gewissheit geworden wären, war es für Arendt »wirklich, als ob der Abgrund sich öffnet«, wie sie viel später im Interview mit Günther Gaus sagte. Es gab für sie von da an kein Zurück mehr nach Europa und sie begann, in New York etwas mehr Fuß zu fassen. Dabei blieb sie jüdischen An- gelegenheiten weiterhin verpflichtet und fand Anstellungen bei jüdischen Institu- tionen. Zwischen 1944 und 1946 forschte sie für die Comission on European Jewish Cultural Reconstruction, deren Geschäftsführerin sie zwischen 1949 und 1952 wer- den sollte; von 1946—1948 war sie Lektorin beim Schocken Verlag. Durch Freunde kam sie in Kontakt mit dem Intellektuellenzirkel um Partisan Review, in dem sie sich, wie sie später sagte, gut aufgenommen fühlte. Ihre erste Veröffentlichung in der Zeitschrift, die mit ihrer Mischung aus Politik und Avantgardeliteratur bis in die 1960er einen beträchtlichen Einfluss auf den ame- 2 Arendt an Henry Allen Moe, Guggenheim Foundation, 22. 2. 1959, zitiert nachYoung-Bruehl, S. 282. 3 Saying Good bye to Hannah, in: NewYork Review of Books, 22. Januar 1976, S. 8., zitiert nachYo- ung-Bruehl, S. 285. 72 Regine Othmer rikanischen Literaturbetrieb hatte, war 1944 ein Artikel zum zwanzigsten Todes- tag Franz Kafkas. 1945 veröffentlichte sie dort über das »deutsche Problem«, 1946 einen Artikel über Existenz-Philosophie, in dem sie unter anderem hart mit Heideggers Sympathien für den Nationalsozialismus ins Gericht ging, aber auch Vorarbeiten zu ihrem Werk über denTotalitarismus. Mary McCarthy gehörte seit 1937 zum Autorenstamm, zeitweise auch zur Redaktion der Zeitschrift; sie schrieb dort regelmäßig Theaterkritiken. Als sie anfing, für die Zeitschrift zu arbeiten, war sie erst 25 Jahre alt. Sie hatte in The Nation Rezensionen und andere kleine Arbeiten veröffentlicht, arbeitete in ei- nem Verlag und war nach der Scheidung von ihrem ersten Mann in dieser Zeit mit einem der beiden Herausgeber, Phillip Rahv liiert. »Abends oder an Wo- chenenden schrieb ich meine Theaterkritiken, die monatlich in der Zeitschrift erschienen — die >Boys< hatten mich zurTheaterkritikerin ernannt, weil sie mei- nen kritischen Fähigkeiten auf anderen Gebieten nicht trauten. Außerdem über- trugen sie mir die Ubersetzung von Gides Retour de l'U.R.S.S.«4 Zu den »Boys« gehörten anfänglich William Phillips, Phillip Rahv, Fred Dupee, Dwight Mac- Donald; als Mäzen fungierte der Kunstkritiker George Morris. Die »Boys« waren ehemalige Kommunisten, die sich nach den Moskauer Pro- zessen von der Partei abgewandt und — wie McCarthy — eine kurze trotzkisti- sche Phase durchlaufen hatten. Ab 1941 waren in der Redaktion Fraktionen von Kriegsbefurwortern und -gegnern entstanden, was 1943 zu einem Bruch führte: Dwight Macdonald gründete als »standhafter« Kriegsgegner seine eigene Zeit- schrift politics, die bis 1949 bestand. McCarthy, die sehr mit ihm befreundet war, blieb bei Partisan Review, wo sie im Sommer 1941 mit der Erzählung »The Man in the Brooks Brothers Shirt« ihr literarisches Debüt gehabt hatte.5 Durch die Lebensumstände in ihrer Ehe mit dem 17 Jahre älteren renommierten Schrift- steller und Literaturkritiker Edmund Wilson, mit dem sie von 1938 bis 1945 ver- heiratet war, und ihrem gemeinsamen Sohn Reuel hatte sie sich zeitweise aus dem Zirkel entfernt und sogar ihre Theater Cronicles eingestellt. Sie hatte der Auseinandersetzung über den Krieg nicht viel Bedeutung zugemessen und be- gann erst 1944 ihre eher isolationistische Position aufzugeben. Die Geschichte, dass ihre Beziehung eigentlich mit einer Verkennung eben der Fähigkeiten und Talente, die sie später so aneinander schätzen sollten, und mit ei- nem Zerwürfnis begann, hat McCarthy bis zu ihrem Lebensende immer wieder erzählt und gerne ausgeschmückt: Es war auf einer Party, die Rahv Anfang 1945 in New York gab. Die Rede war von den Sabotageakten und der feindseligen Haltung der Franzosen gegenüber den deutschen Besatzern. McCarthy ließ die Bemerkung fallen, sie bedauere Hitler, weil sich sein Traum, von all den Völkern 4 Mary McCarthy: Was sich verändert, ist nur die Phantasie, S. 382 5 Später wurde daraus ein Kapitel ihres ersten Romans The Company she keeps (Dt.: Sie und die anderen), den Hannah nicht so schätzte wie andere Bücher Marys. Hannah Arendt und Mary McCarthy 73 geliebt zu werden, die er erobert hatte, nie erfüllen werde. Wie ein Maschinen- gewehr sei Arendt daraufhin losgegangen und habe sich an Rahv gewandt, mit der Äußerung, ob sie nach Amerika gekommen sei, um sich im Hause eines Ju- den solche Reden anhören zu müssen! Als Rahv nichts gegen McCarthys Re- den unternahm, habe Arendt ihrem Protest noch mehr Nachdruck durch die Behauptung verliehen, sie sei in einem Konzentrationslager gewesen.6 Ein dra- matischer Auftritt! Von McCarthys »absichtlicher Frechheit« vollkommen vor den Kopf ge- stoßen, vermied es Arendt bei weiteren Begegnungen, mit ihr zu sprechen. Erst 1949 nach einer Zusammenkunft, bei der es um die Zukunft von Dwight Mac- donalds politics gegangen war, machte sie ihr, als sie in einer U-Bahnstation schweigend nebeneinander standen, ein Friedensangebot: »Das macht keinen Sinn. Wir wollen das Ganze vergessen und Freundinnen werden. Und um gleich damit anzufangen, möchte ich Dir sagen, daß ich nie in einem Konzentrations- lager war.«7 2. Zwischen Europa und Amerika Als sie sich anfreundeten, war Hannah Arendt zweiundvierzig, Mary McCarthy sechsunddreißig Jahre alt. Sie hätten von Herkunft