70

Regine Othtner

Hannah Arendt und Mary McCarthy - Szenen einer Freundschaft aus den 1940er und 1950er Jahren

Vorbemerkung: Im Oktober 2006 wäre 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass sind eine Reihe neuer Publikationen vorgelegt worden. Er- staunlich ist jedoch, dass diese sich, soweit biographische Fragen betroffen sind, über die Beziehungen Arendts zu guten Freundinnen, von denen es eine ganze Reihe gab, eher hinwegsetzen, bzw. sie zu unterschätzen scheinen: Es gibt ei- nige Briefwechsel zwischen diesen Freundinnen und Arendt, die noch längst nicht gesichtet sind. Dagegen spielt etwa das Verhältnis Arendts zu Martin Hei- degger immer noch eine herausragende Rolle. Uber die »amerikanische Freun- din« Arendts, Mary McCarthy, ist seit der schönen Einleitung der Biographin McCarthy's, Carol Brightman, zu dem Briefwechsel zwischen den Freundinnen auf Deutsch nichts erschienen, — von einigen Überlegungen Ingeborg Nord- manns zu Arendts Briefen abgesehen. Dies hat möglicherweise damit zu tun, dass McCarthy in den Ruf eines enfant terrible auch als Nachlassverwalterin Arendts geraten ist.1 Während Hannah Arendt als politische Philosophin allent- halben gefeiert wird, ist Mary McCarthy als Schriftstellerin weitgehend in Ver- gessenheit geraten. Die folgende Skizze der Freundschaft zwischen Hannah Arendt und Mary McCarthy beschränkt sich auf Ausschnitte. Sie ist der Versuch einer neuen Annäherung an die Beziehung zwischen den beiden Frauen, der ohne vor- schnelle Urteile auskommen will. Es geht darum, das politische und intellektu- elle Umfeld, in dem sie lebten, und ihre individuellen Gesten des Denkens und Fühlens sichtbar zu machen. i. Begegnung in New York

Das Talent Mary McCarthys zur Satire wurzelte laut Hannah Arendt darin, »daß sie ihre Beobachtungen aus dem Blickwinkel und mit dem Staunen eines Kindes darstellt, das merkt, daß der Kaiser keine Kleider anhat [...] Sie beginnt immer damit, ganz buchstäblich zu glauben, was jedermann sagt, und stellt sich so auf die schönsten, wunderbarsten Kleider ein. Dann tritt der Kaiser auf — völlig

1 Vgl dazu Frances Kiernan: Seeing Mary Plain, S. 658 f.

Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1/07 Hannah Arendt und Mary McCarthy 71 nackt. Diese innere Spannung zwischen Erwartung und Realität [...] gibt ihren Romanen etwas selten Dramatisches.«2 Mary McCarthy bescheinigte Hannah Arendt ihrerseits ein dramatisches Ta- lent, indem sie die Vortragende schilderte: »Ich fühlte mich daran erinnert, wie Bernhardt oder Prousts Berma eine überragende Bühnendiva gewesen sein mußten.[...] Das Theatralische an Hannah war eine Art spontane Fähigkeit, sich von einer Idee, einem Gefühl, einer Ahnung ergreifen zu lassen, deren Vehikel ihr Körper dann wurde wie der einer Schauspielerin. Und diese Fähigkeit, sich ergreifen und innerlich bewegen zu lassen — oft auffahrend und mit geweiteten Augen: >Ach!< (vor einem Bild, einem Bauwerk, einer infamen Handlung) - son- derte sie von uns anderen ab wie eine hohe elektrische Ladung.«3 Flüchtig begegnet waren sie sich schon 1944. Hannah Arendt war im Mai 1941 mit ihrem Mann Heinrich Blücher in New York angekommen. Die Blüchers lebten mit der Unterstützung jüdischer Organisationen in zwei möblierten Zimmern zusammen mit Hannahs Mutter, Martha Arendt. Hannah Arendt wurde bald zur Haupternährerin der Familie. Sie arbeitete fur den deutschsprachigen Aufiau und veröffentlichte Artikel auch in anderen jüdischen Zeitschriften. Hatte sie sich im Exil in Frankreich ausschließlich praktisch in der zionistischen Arbeit betätigt, so schrieb sie jetzt zu wichtigen Fragen der jüdi- schen Politik: Sie plädierte für die Aufstellung einer jüdischen Armee im Krieg gegen Nazi-Deutschland und trat dafür ein, Palästina zu einem Teil des briti- schen Commonwealth zu machen mit gleichen Rechten für Juden und Araber. Sie fand aber für ihre Vorstellungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft kaum Unterstützung; ihre Vorschläge blieben wirkungslos und sie zog sich allmählich aus den zionistischen Debatten zurück. Als Anfang 1943 in den USA die Gerüchte über die Massenvernichtung der Juden in Europa immer mehr zur Gewissheit geworden wären, war es für Arendt »wirklich, als ob der Abgrund sich öffnet«, wie sie viel später im Interview mit Günther Gaus sagte. Es gab für sie von da an kein Zurück mehr nach Europa und sie begann, in New York etwas mehr Fuß zu fassen. Dabei blieb sie jüdischen An- gelegenheiten weiterhin verpflichtet und fand Anstellungen bei jüdischen Institu- tionen. Zwischen 1944 und 1946 forschte sie für die Comission on European Jewish Cultural Reconstruction, deren Geschäftsführerin sie zwischen 1949 und 1952 wer- den sollte; von 1946—1948 war sie Lektorin beim Schocken Verlag. Durch Freunde kam sie in Kontakt mit dem Intellektuellenzirkel um , in dem sie sich, wie sie später sagte, gut aufgenommen fühlte. Ihre erste Veröffentlichung in der Zeitschrift, die mit ihrer Mischung aus Politik und Avantgardeliteratur bis in die 1960er einen beträchtlichen Einfluss auf den ame-

2 Arendt an Henry Allen Moe, Guggenheim Foundation, 22. 2. 1959, zitiert nachYoung-Bruehl, S. 282. 3 Saying Good bye to Hannah, in: NewYork Review of Books, 22. Januar 1976, S. 8., zitiert nachYo- ung-Bruehl, S. 285. 72 Regine Othmer rikanischen Literaturbetrieb hatte, war 1944 ein Artikel zum zwanzigsten Todes- tag Franz Kafkas. 1945 veröffentlichte sie dort über das »deutsche Problem«, 1946 einen Artikel über Existenz-Philosophie, in dem sie unter anderem hart mit Heideggers Sympathien für den Nationalsozialismus ins Gericht ging, aber auch Vorarbeiten zu ihrem Werk über denTotalitarismus. Mary McCarthy gehörte seit 1937 zum Autorenstamm, zeitweise auch zur Redaktion der Zeitschrift; sie schrieb dort regelmäßig Theaterkritiken. Als sie anfing, für die Zeitschrift zu arbeiten, war sie erst 25 Jahre alt. Sie hatte in The Nation Rezensionen und andere kleine Arbeiten veröffentlicht, arbeitete in ei- nem Verlag und war nach der Scheidung von ihrem ersten Mann in dieser Zeit mit einem der beiden Herausgeber, Phillip Rahv liiert. »Abends oder an Wo- chenenden schrieb ich meine Theaterkritiken, die monatlich in der Zeitschrift erschienen — die >Boys< hatten mich zurTheaterkritikerin ernannt, weil sie mei- nen kritischen Fähigkeiten auf anderen Gebieten nicht trauten. Außerdem über- trugen sie mir die Ubersetzung von Gides Retour de l'U.R.S.S.«4 Zu den »Boys« gehörten anfänglich William Phillips, Phillip Rahv, Fred Dupee, Dwight Mac- Donald; als Mäzen fungierte der Kunstkritiker George Morris. Die »Boys« waren ehemalige Kommunisten, die sich nach den Moskauer Pro- zessen von der Partei abgewandt und — wie McCarthy — eine kurze trotzkisti- sche Phase durchlaufen hatten. Ab 1941 waren in der Redaktion Fraktionen von Kriegsbefurwortern und -gegnern entstanden, was 1943 zu einem Bruch führte: gründete als »standhafter« Kriegsgegner seine eigene Zeit- schrift politics, die bis 1949 bestand. McCarthy, die sehr mit ihm befreundet war, blieb bei Partisan Review, wo sie im Sommer 1941 mit der Erzählung »The Man in the Brooks Brothers Shirt« ihr literarisches Debüt gehabt hatte.5 Durch die Lebensumstände in ihrer Ehe mit dem 17 Jahre älteren renommierten Schrift- steller und Literaturkritiker Edmund Wilson, mit dem sie von 1938 bis 1945 ver- heiratet war, und ihrem gemeinsamen Sohn Reuel hatte sie sich zeitweise aus dem Zirkel entfernt und sogar ihre Theater Cronicles eingestellt. Sie hatte der Auseinandersetzung über den Krieg nicht viel Bedeutung zugemessen und be- gann erst 1944 ihre eher isolationistische Position aufzugeben. Die Geschichte, dass ihre Beziehung eigentlich mit einer Verkennung eben der Fähigkeiten und Talente, die sie später so aneinander schätzen sollten, und mit ei- nem Zerwürfnis begann, hat McCarthy bis zu ihrem Lebensende immer wieder erzählt und gerne ausgeschmückt: Es war auf einer Party, die Rahv Anfang 1945 in New York gab. Die Rede war von den Sabotageakten und der feindseligen Haltung der Franzosen gegenüber den deutschen Besatzern. McCarthy ließ die Bemerkung fallen, sie bedauere Hitler, weil sich sein Traum, von all den Völkern

4 Mary McCarthy: Was sich verändert, ist nur die Phantasie, S. 382 5 Später wurde daraus ein Kapitel ihres ersten Romans The Company she keeps (Dt.: Sie und die anderen), den Hannah nicht so schätzte wie andere Bücher Marys. Hannah Arendt und Mary McCarthy 73 geliebt zu werden, die er erobert hatte, nie erfüllen werde. Wie ein Maschinen- gewehr sei Arendt daraufhin losgegangen und habe sich an Rahv gewandt, mit der Äußerung, ob sie nach Amerika gekommen sei, um sich im Hause eines Ju- den solche Reden anhören zu müssen! Als Rahv nichts gegen McCarthys Re- den unternahm, habe Arendt ihrem Protest noch mehr Nachdruck durch die Behauptung verliehen, sie sei in einem Konzentrationslager gewesen.6 Ein dra- matischer Auftritt! Von McCarthys »absichtlicher Frechheit« vollkommen vor den Kopf ge- stoßen, vermied es Arendt bei weiteren Begegnungen, mit ihr zu sprechen. Erst 1949 nach einer Zusammenkunft, bei der es um die Zukunft von Dwight Mac- donalds politics gegangen war, machte sie ihr, als sie in einer U-Bahnstation schweigend nebeneinander standen, ein Friedensangebot: »Das macht keinen Sinn. Wir wollen das Ganze vergessen und Freundinnen werden. Und um gleich damit anzufangen, möchte ich Dir sagen, daß ich nie in einem Konzentrations- lager war.«7

2. Zwischen Europa und Amerika

Als sie sich anfreundeten, war Hannah Arendt zweiundvierzig, Mary McCarthy sechsunddreißig Jahre alt. Sie hätten von Herkunft und Bildungshintergrund kaum unterschiedlicher sein können. Mit sieben Jahren hatte Arendt ihren Vater verloren; als einzige Tochter aus gutbürgerlichem Hause, die von ihrer sozialis- tisch gesonnenen Mutter lernen sollte, dass man sich als Jude wehren muss, wenn man als Jude angegriffen wird, hatte sie in Königsberg und in Berlin eine behü- tete Kindheit und eine ausgesprochen freiheitliche Schulzeit erlebt. McCarthy, die als älteste von vier Kindern im Alter von sechs Jahren beide Eltern durch die Grippeepidemie von 1918 verloren hatte, machte zusammen mit ihren Brüdern unter der Obhut eines entfernt verwandten älteren Ehepaars mit Prügelstrafen und anderen drakonischen Erziehungsmaßnahmen zeitweise ein Elend wahrhaft Dickens'schen Ausmaßes durch. Mit etwa zehn Jahren kam sie ohne die Ge- schwister zu ihren Großeltern mütterlicherseits nach Seattle und besuchte zunächst von dort während der Woche ein Internat des Sacré Coeur Ordens, später das Annie Wright Seminar.8 Arendt hatte sich in der Weimarer Republik »in Zeiten des Ubergangs«, als »auf die Stabilität der Welt« und die eigene »Rolle in dieser Welt« kein Verlass mehr zu sein schien, dem »bios theoretikos« und damit einer kontemplativen Lebensweise verschrieben. Ihr Studium der Philosophie, protestantischen Theologie und griechi- schen Philologie an den Universitäten Marburg, Freiburg, Heidelberg fand in dem

6 Vgl. Kiernan (2000) S. 305; Brightman (1995), S. 11 ;Young-Bruehl (1986), S. 281. 7 Nach Kiernan, S. 306. 8 Vgl. Mary McCarthy: Eine katholische Kindheit, S. 67 7 4 Regine Othmer

»anti-öffentlichen Klima« der Zeit statt.9 Sie fand jedoch in Heidegger einen Lehrer (und Geliebten), bei dem das »Denken wieder lebendig« wurde und die »totge- glaubten Bildungsschätze der Vergangenheit« in einer bis dahin unerhörten Weise »zum Sprechen gebracht« wurden.10 Bei Jaspers promovierte sie 1928 über den Lie- besbegriff bei Augustin und begann mit seiner Unterstützung eine Habilitation »Uber das Problem der deutsch-jüdischen Assimilation« am Beispiel von Rahel Varnhagen, zu der sie durch ihre Freundin Anne Mendelsohn angeregt worden war. Während ihres Studiums war sie fast ausnahmslos mit Männern befreundet, die es später zu akademischem Ansehen bringen sollten. In diesem Kreis lernte sie auch Günther Stern näher kennen, den sie 1929 heiratete, als er sich mit einer musikphilosophi- schen Arbeit zu habilitieren versuchte. Politisch zu denken und sich zu engagieren begann sie unter dem Einfluss eines älteren Freundes, des Zionisten Kurt Blumen- feld. Sie bereitete 1933 eine Dokumentation antisemitischer Propaganda vor und wurde im Juni 1933 von der Gestapo verhaftet. Im August konnte sie über Prag und Genf nach Paris fliehen. McCarthy hatte ihr Literaturstudium zusammen mit einer Clique von Freundin- nen in der relativen Abgeschlossenheit des angesehenen Vassar College absolviert, wo überwiegend Frauen lehrten. So wie über ihre »katholische Kindheit« hat sie auch über ihre Collegezeit ausführlich geschrieben. Auffällig ist, wie kritisch sie sich in der Rückschau mit dem eigenen Verhalten und ihren jeweiligen Rollen ausein- andersetzt, und dass sie ihre Schul- und Collegeerziehung und fast alle ihre Lehre- rinnen positiv würdigt. Sie unterstreicht den für amerikanische Verhältnisse non- konformistischen Unterricht bei den Schwestern von Sacré Coeur ebenso wie sie betont, dass in Vassar besonderer Wert auf das »Verlernen« gelegt und die Mädchen dort völlig umgekrempelt worden seien.11 Sie verehrte vor allem zwei ihrer Lehre- rinnen in Vassar: Mrs. Kitchel und Mrs. Sandison. Letztere hatte ihr einmal erklärt, man müsse »lernen, ohne Liebe zu leben, wenn man mit ihr leben will«, man dürfe sich von der Liebe nicht abhängig machen, wenn man für die wahre Liebe frei sein wolle. Obwohl dieser Gedanke sie sehr beeindruckt habe, schrieb McCarthy in fortgeschrittenem Alter, sei es ihr kaum jemals gelungen, länger als einen Monat ohne Liebe zu leben.12 So dachte sie nach ihrer Zeit in Vassar auch nicht an ein weiteres Studium, sondern heiratete im Juni 1933 gleich nach dem Bachelor-Ex- amen den Schauspieler und Drehbuchautor Harold Johnsrud. Diese Ehe wurde 1936 geschieden. Obwohl McCarthy lange Zeit ein Bohèmeleben führte und ma- teriell keineswegs immer gut gestellt war, war sie sich allerdings wohl bewusst »daß ich, als Tochter einer Akademikerfamilie, einer Oberschicht angehörte, die sich [...] von den anderen Amerikanern unterschieden.«13

9 Hannah Arendt: Sonning- Preis- Rede, in: Text + Kritik S. 7 f. 10 Hannah Arendt: Menschen in finsteren Zeiten, 168 f. 11 Was sich verändert, ist nur die Phantasie, S. 237. 12 Was sich verändert, ist nur die Phantasie, S.363. 13 Was sich verändert, ist nur die Phantasie, S.351. Hannah Arendt und Mary McCarthy 75

Viele, die Hannah Arendt und Mary McCarthy in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren kannten, konnten nicht recht nachvollziehen, was diese beiden so unterschiedlichen Frauen, von denen jede auf ihre Art dominant sein konnte, eigentlich miteinander verband. Alfred Kazin, der Hannah Arendt sehr bewunderte und sie für eine Frau hielt, die »weichherzig, witzig und ebenso weiblich wie scharfzüngig« war, beschrieb, dass sich »ihre jüdischen Gesichtszüge und ihre rauhe Stimme in versonnene Liebenswürdigkeit« verwandelten, wenn »sie von einer neuen Freundschaft hingerissen war«.14 Er brachte aber zum Aus- druck, es sei ihm immer ein Geheimnis geblieben, was die große Freundschaft zwischen Arendt und McCarthy ausmachte. »With Hannah, Mary was fantasti- cally submissive. Hannah could be like a queen. I do believe that with Hannah there was no barbed wire, there was nothing but respect and ease because she was dealing with a woman rather than a man. I had the feeling she was more comfortable with woman."15 Der Philosoph Isaiah Berlin, der Arendts Arbeit über den Totalitarismus für überschätzt hielt, und der sie einen typischen Berli- ner Blaustrumpf nannte, während er McCarthy verehrte, erklärte sich dagegen die Beziehung der beiden damit, dass nur Literaten von Hannah eingenommen seien, nicht aber Denker wie er selbst.16 Es war wohl ihre Unerschrockenheit im Urteil, ihre Bereitschaft, ihre Person zu riskieren, ihr rebellischer Nonkonformismus und die Naivität, die sie sich be- wahrt hatte, aber auch ihre Schönheit, die Arendt an der Freundin bestechend fand. »Mary scheute sich nicht, Meinung zu beziehen. Dennoch hatte sie wenig von einer Ideologin an sich, löste manchmal eher Irritationen aus, wenn sie sich einer gemeinsamen Stellungnahme, ob für links oder rechts, für Männer oder Frauen verweigerte. Sie war so sehr sie selbst, und oft wunderte man sich, daß diese ausgesprochene Rationalistin zu einer liebenswerten Verschrobenheit neigte, sehr amerikanisch und sehr schlicht.«17 Für McCarthy gehörte Arendt zu jenen europäischen Flüchtlingen, die, wie sie sagte, dank Hitler und Mussolini Amerika verbessert hatten, und die die New Yorker Intellektuellenszene mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen be- reicherten. Sie war sehr begierig auf neue Erfahrungen und beeindruckt von der Bildung einiger dieser Europäer. Besonders beeindruckt war sie jedoch, wenn sich jemand unabhängig von Karriererücksichten für eine Sache ein- setzte. Diesen Zug schätzte sie an Arendt mindestens ebenso hoch, wie deren außergewöhnliche Bildung. Hannah Arendt wurde für sie zu einer Art intellek- tuellen Gewissens.18 In ihren späten Erinnerungen schrieb sie über die Bedeu- tung der Freundschaft für Intellektuelle und vermutete, diese sei »wahrschein-

14 Zit. nach Kurt Sontheimer: Hannah Arendt, S. 52. 15 Zit. nach Kiernan, S. 355. 16 Nach Kiernan, S. 354 f. 17 Elizabeth Hardwick: Vorwort zu Memoiren einer Intellektuelle, in: Was sich verändert, ist nur die Phantasie, S. 313. 18 Brightman (1994), 272 f. 7 6 Regine Othmer lieh das Wachstumshormon, dessen der Geist bedarf, sobald er anfängt, Ideen hervorzubringen und auszutauschen.« Man könne »die Entwicklung eines Geis- tes datieren wie das Alter eines Baumes, nur daß man statt der Jahresringe die Freundschaften zählt, die der >Stamm< aufzuweisen hat.« Sie, für die die Liebe zu Männern immer so wichtig gewesen war, schreibt dann: »Im Verlauf meiner Le- bensgeschichte waren weder Liebe noch Ehe so wachstumsfördernd wie Freundschaft.«19 Die Freundschaft mit Arendt hat ihren »Stamm« gewiss sehr wachsen lassen. In der Zeit, als sie nicht miteinander sprachen aber weiter in denselben Zir- keln verkehrten, hatte sich McCarthy für die Unterstützung europäischer Intel- lektueller engagiert. Zusammen mit ihrem Freund Nicola Chiaromonte, Dwight und Nancy Macdonald, ihrem Bruder, dem Filmschauspieler Kevin McCarthy und anderen gründete sie 1947 die Europe-America-Groups. Ein paralleles Unter- nehmen entstand auch bei Partisan Review. Die dahinter stehende Idee war, nicht nur »isolierte« europäische Intellektuelle materiell zu unterstützen, sondern eine »dritte Kraft« zu bilden, eine neue Linke, die weder von der Sowjetunion noch von den Vereinigten Staaten abhängig wäre. Das wichtigste Anliegen war die Herstellung einer »Community of Dialogue«20. McCarthy hatte aus ihrem Erbe einiges Geld für die Gruppe gespendet, betätigte sich als Fundraiserin und über- nahm nahezu die gesamte organisatorisch-praktische Arbeit. Das Geld wurde zum Teil dazu verwendet, Zeitschriften und Bücher nach Europa zu schicken, ein anderer Teil wurde von Chiaromonte in Frankreich und Italien direkt an Be- dürftige gegeben. Diese Tätigkeit »war von der Art kleiner, von Freundschaft ge- tragener Unternehmungen, die Mary McCarthy am meisten anzogen."21 Sie entsprach auch einem Gedanken Arendts, den diese später in ihrem Aufsatz über Lessing notierte, »daß die Menschlichkeit sich nicht in der Brüderlichkeit er- weist, sondern in der Freundschaft; daß die Freundschaft nicht intim persönlich ist, sondern politische Ansprüche stellt und auf die Welt bezogen bleibt.«22 Durch solche »freundschaftlichen« Aktivitäten konnte Arendt auch den Kon- takt zu ihrem Lehrer Karl Jaspers wiederherstellen. Im Oktober 1945 bringt ihm der Korrespondent für Partisan Review und spätere Gründer der Zeitschrift Der Monat, Melvin Lasky, als Bote Bücher und Aufsätze seiner früheren Studentin, die in ihren Briefen schreibt, die Redakteure von Partisan Review seien begei- stert, dass Jaspers über die geistige Situation in Deutschland Vorlesungen halten wolle; sie hofften auf einen Beitrag von ihm.23 Arendt schickt neben Lebensmit- teln unter anderem ganze Stapel von politics. »Dwight McDonald und sein Kreis fühlen sich absolut solidarisch, und wenn Sie wollen, verantwortlich für das

19 Was sich verändert, ist nur die Phantasie, S. 37 f. 20 Kiernan, S. 291. 21 Brightman (1994), S. 308. 22 Hannah Arendt: Gedanken zu Lessing: Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten, in Dies.: Menschen in finsteren Zeiten. München 1983, S.42 23 Briefwechsel Jaspers, S. 59 und S. 72. Hannah Arendt und Mary McCarthy 77

Schicksal der europäischen Antifaschisten und erwarten keineswegs, daß man ih- nen >dankt<.«24 In einem langen Brief an Jaspers beschreibt Arendt im Januar 1946 ihre Le- bensverhältnisse in dem Land, in dem sie Zuflucht gefunden hat und sich wohl fühlt, für dessen Grundwiderspruch sie allerdings »politische Freiheit bei gesell- schaftlicher Knechtschaft« hält. Sie sagt, sie sei »in keiner Weise respectable gewor- den«. Aber sie sei »hier ziemlich bekannt und habe bei manchen Menschen in ge- wissen Fragen ein wenig Autorität; d. h. sie haben Vertrauen zu mir. Aber das kommt unter anderem daher, daß sie wissen, daß ich weder aus Uberzeugungen noch aus >Begabungen< eine Karriere zu machen wünsche.«25 Sie schreibt auch über die Intellektuellen, die sich aufgrund des gesellschaftlichen Konformismus, schon allein weil sie Intellektuelle seien, in der Opposition befänden. Zwar habe die gesellschaftliche Knechtschaft noch nicht vollends die Oberhand bekommen, sie stelle aber eine Gefahr dar, weil »die Gesellschaft sich >rassenmäßig< organisiert und orientiert.« Der »gesellschaftliche Antisemitismus«, die »Abneigung gegen Ju- den [sei] gleichsam ein consensus omnium; dem steht eine nahezu ebenso starke Absonderung der Juden gegenüber, die dadurch natürlich auch geschützt sind.«26 Dies illustriert Arendt mit dem Beispiel, dass eine ihrer jüdischen amerikanischen Freundinnen zum ersten Mal in ihrem Hause mit nichtjüdischen Amerikanern gesellschaftlich zusammengekommen sei. McCarthy hatte mit diesem gesellschaftlichen Antisemitismus ihre eigenen Erfahrungen gemacht: In ihren Erinnerungen an die Zeit auf dem College be- schreibt sie, wie eine ihrer Freundinnen von den anderen mit einer Aura von Peinlichkeit umgeben wurde, als sich erwies, dass sie jüdisch war. Auch war sie selbst in dieser Zeit darum bemüht, ihre jüdische Großmutter mütterlicherseits vor ihren Freundinnen »zu verheimlichen«. Spätestens im Umfeld von Partisan Review hat sie allerdings ihre Anpassungsbestrebungen an die WASP-Konventio- nen - übrigens zum Missfallen ihres zweiten Ehemannes Edmund Wilson - auf- gegeben.

3. Die Oase

Im Frühjahr 1949 war McCarthy in Schwierigkeiten, weil sie mit ihrer Satire The Oasis, die vom Scheitern eines »linken« Utopia auf einem Berg in New England handelt, Freunde gekränkt hatte, die sich in der Erzählung als Protago- nisten einer realistischen und einer puristischen Fraktion von Utopiern wieder-

24 Briefwechsel Jaspers, S. 74. 25 Briefwechsel Jaspers, S. 65 26 Briefwechsel Jaspers, S. 67. - In der Sonning-Preis-Rede sagte Arendt: »was auf mich wirkte, als ich in die Vereinigten Staaten kam, war genau jene Freiheit, Bürger zu werden, ohne den Preis der Assimilation bezahlen zu müssen.« Vgl. Text + Kritik, S. 4. 78 Regine Othmer

fanden. Über den Anführer der Realisten, Will Taub und seine Fraktion, heißt es in der Erzählung, sie wären gerne »gerettet« worden, allerdings »ohne den Verlust jener ideologischen Oberhoheit, die ihnen lebensnotwendig geworden war. Als Erben des wissenschaftlichem Sozialismus stürzten sie sich auf Marx und Engels, und obwohl sie [...] jeden geschichtlichen Prozeß, der sich hinter dem eisernen Vorhang abspielte, heftig ablehnten, beruhte ihre ganze intellektuelle Selbstsi- cherheit auf dem starren Glauben, daß die Geschichte imstande sei, über Fragen von Wert zu entscheiden. [...] aber die Geschichte (gewiß ihr größter Feind) hatte sie überholt und selber die Dinge in die Hand genommen.«27 Nachdem die Veröffentlichung der Satire in der britischen Zeitschrift Horizon der Autorin sogar einen Preis eingebracht hatte, wurde die Buchpublikation durch Interventionen von Phillip Rahv — der, weil er hinter der Figur des Will Taub deutlich erkennbar war, zeitweise erwogen hatte, gegen McCarthy zu kla- gen — ungünstig aufgenommen. Der Text spitzt die dilemmatische Situation, in der sich radikale Linke in den USA nach dem Krieg befanden, satirisch zu: Als Anti-Stalinisten wollten sie politisch nicht von der falschen Seite, der republika- nischen Rechten, vereinnahmt werden, gleichzeitig aber auch ihre Avantgarde- Position als Intellektuelle nicht verlieren. Das war den Realisten in The Oasis nicht gelungen; sie waren, ohne es zu merken, mit ihrer »materialistischen Ge- schichtsauffassung« zu Konformisten geworden: »Als Diktatoren eines abneh- menden Kreises literarischer und politischer Denker behaupteten sie ihre Auto- rität, indem sie sich in die Ereignisse fügten und unwiderlegbar aufzeigten, daß ein bereits abgeschlossenes Ereignis auf keine andere Weise habe stattfinden kön- nen, und diese Gewißheit auf ihre Voraussagen für die Zukunft übertrugen.«28 Die Autorin hatte den Charakteren in ihrer Fiktion soviel Faktisches beige- mischt, dass sie allesamt dechiffrierbar waren. Dennoch war sie mehr als erstaunt, dass ihre Freunde auf diese »Gemeinheit« heftig reagierten und sich von ihr zurückzogen. In dieser Situation schrieb ihr Arendt: »Liebe Mary, ich habe ge- rade The Oasis gelesen und muß Dir sagen, daß es ein reines Vergnügen war. Du hast ein echtes kleines Meisterwerk geschrieben.«29 McCarthy hat ihr das nie vergessen. Noch im August 1960 heißt es in einem ihrer Briefe an die Freundin: »Ich fühle mich immer geehrt, Fan-Briefe von Dir zu bekommen — seit dem ers- ten zu The Oasis. Das Gefühl, geehrt zu sein, schwindet auch nicht mit unserer Vertrautheit.«30 Das Zerwürfnis zwischen McCarthy und Rahv ging im Übrigen so tief, dass sie nicht vor 1954 wieder in Partisan Review publizierte.31 Es war Arendt, die aus politischen Motiven dafür sorgte, dass sich die beiden wieder aussöhnten.

27 Mary McCarthy: Die Oase,S. 18. 28 Die Oase , S. 19. 29 Im Vertrauen, S. 47. 30 Im Vertrauen, S. 158. 11 Und zwar die Erzählung »Dottie makes an honest woman of herseif«, die Keimzelle des Ro- mans The Group (Dt.: Die Clique). Hannah Arendt und Mary McCarthy 79

4. Ex-Kommunisten

Die Probleme, mit denen sich McCarthy in satirischer Weise auseinandergesetzt hatte, beschäftigten auch Arendt. An Jaspers schrieb sie im Juni 1949, ehemals linke Anti-Stalinisten schalteten sich »gewissermaßen an das State Department gleich«, und dass »die allgemeine Angst, die ursprünglich nur in Washington un- ter den Regierungsbeamten herrschte, sich wie eine Giftwolke über das gesamte geistige Leben legt«.32 In Partisan Review hatte sie 1948 der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass »die von der Angst vor den Konzentrationslagern geleitete Einsicht in die Natur totalitärer Herrschaft dazu dienen [könne], alle veralteten politi- schen Differenzierungen von rechts bis links zu entwerten und [...] den politisch wesentlichsten Maßstab für die Beurteilung von Ereignissen in unserer Zeit ein- zuführen, nämlich: ob sie einer totalitären Herrschaft dienen oder nicht.«33 Sie hatte sich auch gegen die ihrer Meinung nach unsinnige Bezeichnung »Anti- Stalinisten« gewandt, weil damit immer noch eine inner-totalitäre und nicht eine prinzipielle Opposition gekennzeichnet werde. Damit sei kein fester Standpunkt gegenüber dem Totalitarismus zu haben, denn man könne »sehr gut ein Anti- Stalinist sein und trotzdem zumindest an die Diktatur, wenn schon nicht an die totale Herrschaft glauben.«34 Später unterschied sie zwischen ehemaligen Kom- munisten und Ex-Kommunisten. Die ehemaligen Kommunisten, so sagte sie, könnten ihre linke Vergangenheit in ihre Biographie integrieren und brauchten keinen Ersatz für einen verlorenen Glauben. Die Ex-Kommunisten dagegen sähen »die gesamte Struktur unserer Zeit nur als große Dichotomie, die in ein letztes Gefecht münden wird. Es gibt keine Pluralität der Kräfte auf der Welt, es gibt nur zwei. Diese beiden sind nicht der Gegensatz von Freiheit wider Tyrannei [...] sondern von einem Glauben gegen den anderen. Diese beiden Glaubensrich- tungen entspringen zudem derselben Quelle. Die Ex-Kommunisten sind nicht ehemalige Kommunisten, sie sind >auf den Kopf gestellte< Kommunisten.«35 - We- der McCarthy noch Arendt gehörten in eine dieser beiden Kategorien. Innerhalb der New Yorker Intellektuellenszene sollten sich ihre gemeinsamen Freund- und Feindschaften allerdings entlang solcher Unterscheidungskriterien entwickeln, wie in ihren Briefen an vielen Stellen nachzulesen ist. Im März 1949 hatte Mary auf der Cultural and Sdentific Conference for World Peace, einer pro-sowjetischen Veranstaltung mit 3000 Teilnehmern aus aller Welt im Waldorf-Astoria Hotel in New York mit einer Gruppe von Dissidenten, zu der auch der Philosoph gehörte, die Organisatoren wegen der Repres- sionen in der Sowjetunion angegriffen und unter anderem nach dem Verschwin- den der Dichterin Anna Achmatova gefragt. Als 1952 im gleichen Hotel die erste

32 Briefwechsel Jaspers, S. 173. 33 The Concentration Camps, in: Partisan Review, Juli 1948, S. 63, zit. nach Young Bruehl, S. 678. 34 Essays in Understanding 1930-1954, herausgegeben von Jerome Kohn, New York 1993, S. 218. 35 Essays in Understanding 1930-1954, S. 392. 80 Regine Othmer

Conference on Cultural Freedom in den USA3á stattfand, befand sie sich abermals in der Opposition. Nicht von einer kommunistischen Verschwörung, so sagte sie dort, ginge die wahre Bedrohung der kulturellen Freiheit in Amerika aus, son- dern von der antikommunistischen Hetze Senator Joseph McCarthys. Damit wandte sie sich auch gegen Hook, der diese Veranstaltung maßgeblich organisiert und die Meinung vertreten hatte, die Machenschaften Joseph McCarthys und des Ausschusses für »unamerikanische Umtriebe« gehörten nicht in die Zustän- digkeit des Komitees für kulturelle Freiheit. Mary McCarthy hatte Blücher nach der Veranstaltung mitgeteilt, sie habe Arendt dort ersetzen wollen »und darum sei es ihr besser geglückt, als sie selber hoffte.«37 Viele amerikanische Intellektuelle, erklärte McCarthy in einem Brief an Arendt, seien so von der Furcht besessen, stalinistische Einflüsse könnten wie in den dreißiger Jahren wiederbelebt werden, dass sie »den Verfall in der aktuellen Politik kaum« bemerkten und Senator McCarthy für unwichtiger hielten als irgendeinen Parteigenossen, »der als Korrektor bei Viking Press arbeitet«.38 Dass McCarthy so mutig auftrat, fand ebenso wie ihr Plan, Jura zu studieren, um die Opfer Senator McCarthys vor Gericht vertreten zu können39, den Beifall Blüchers und Arendts, die sich mit öffentlichen Äußerungen diesbezüglich zurückhielten: Blücher war verwundbar, weil er seine kommunistische Vergangenheit verschwiegen hatte und die amerikanische Staatsbürgerschaft erst im August 1952 bekommen sollte, nach- dem Arendt im Dezember 1951 eingebürgert worden war. Hook, ein Sohn jüdischer Einwanderer aus Osterreich und Schüler John De- weys, der sich mit zunehmendem Alter politisch immer mehr nach rechts ent- wickelte, kann als Paradebeispiel für die von Arendt verachteten »Ex-Kommunis- ten« gelten. Er hatte sich 1953 soweit auf die Seite der »Verteidigung Amerikas« geschlagen, dass er Arendt erklärte, die Untersuchungsausschüsse des Kongresses für unamerikanische Umtriebe seien das einzige Mittel, »die akademische Frei- heit zu bewahren« und ihr in einer öffentlichen Diskussion mitteilte, »daß es un- american sei, Plato zu zitieren und daß ich [...] eben germanic sei.(Sic!).«40 Der »ehemalige Kommunist«, auf den Arendt in ihrem eigenen politischen Urteil vertraute, war dagegen ihr Mann Heinrich Blücher, der Leute wie Hook für »Lumpengesindel« hielt.

36 Der Kongress war am 26. Juni 1950 in West-Berlin gegründet worden, um den kommunisti- schen Einfluss in der Kultur zurückzudrängen. Der Kongress unterstützte viele Zeitschriften, darunter Der Monat in Deutschland, Encounter in England und Preuves in Frankreich. Zur Mitar- beit wurden hauptsächlich »linke" Intellektuelle eingeworben. — Nachdem es schon lange Gerüchte gegeben hatte, deckte die New York Times 1966 die finanziellen Verbindungen des Kongresses zur CIA auf. Seit wann und in welchem Umfang die CIA tatsächlich zum Haupt- financier geworden war, scheint nach vielen neueren Publikationen zum Thema immer noch umstritten. 37 Briefwechsel Blücher, S. 247. 38 Im Vertrauen, S. 52 f. 39 Dieser Plan zerschlug sich aus Mangel an finanziellen Mitteln. 40 Briefwechsel Jaspers, S. 248. Hannah Arendt und Mary McCarthy 81

S. Private Faces in Public Life

Im Sommer 1949 konnten Heinrich Blücher und Hannah Arendt es sich end- lich leisten, in New York eine eigene Wohnung zu beziehen. Sie vermieteten ge- legentlich ein Zimmer, wenn Arendt auf Reisen war. McCarthy war mit ihrem dritten Mann, Bowden Broadwater und ihrem Sohn Reuel aus der Stadt nach Portsmouth, Rhode Island, gezogen. Von November 1949 bis März 1950 reiste Arendt als Geschäftsfiihrerin der Jewish Cultural Reconstruction zum ersten Mal nach dem Krieg nach Europa und sah ihre Freundin Anne Weil-Mendelsohn, Karl Jaspers, aber auch Martin Heidegger wieder. Nach ihrer Rückkehr veröf- fentlicht sie im Oktober 1950 in Commentary den Bericht The Aftermath of Nazi-Rule41. In diesen Bericht sind Elemente aus ihrer Analyse totaler Herr- schaft eingegangen, die 1951 in den USA unter dem Titel Origins of Totalitaria- nism erscheint. Schon im April dieses Jahres schreibt McCarthy an Arendt, sie habe die Origins of Totalitarianism in einem Zuge gelesen, wo immer sie gerade die Möglichkeit dazu fand. Sie hält das Buch »für eine außergewöhnliche Ar- beit, für einen Fortschritt des menschlichen Denkens mindestens eines Jahr- zehnts und zugleich ist es fesselnd und faszinierend wie ein Roman.«42 Im glei- chen Brief bringt sie eine Bemerkung zu sprachlichen Mängeln an. Dies sollte zu einer Gewohnheit werden: McCarthy wird fortan immer wieder Arendts Englisch verbessern, bzw. - wie diese es zu nennen pflegte, — ihre Texte »ver- englischen«. Außerdem schlägt sie im gleichen Brief vor, Kontakte zu anderen herzustellen, die das Buch, durch das Arendt berühmt werden sollte, ebenso be- wundern wie sie selbst. In der Folge besuchen die Blüchers Mary und Bowden Broadwater in Ports- mouth; McCarthy kommt zu Besuch zu Hannah und Heinrich Blücher in New York. Bevor Arendt im März 1952 wieder auf Europareise geht, schreibt ihr Mc- Carthy: »Deine Wohnung wird für mich zu einem regelrechten Magneten.«43 Sie hatte bei den Blüchers in New York nicht nur ein pied-à-terre gefunden, sondern auch Zuflucht bei Hannah, als der einzigen Person, die sie regelmäßig treffe, mit der man eine normale Konversation führen könne.44 Als McCarthy mit Bowden Broadwater von Februar 1955 an durch Europa reiste, stellte sie in Athen fest, dass sie schwanger war. Sie war darüber ebenso er- staunt »wie die Heilige Elisabeth, als sie es erfuhr.«45 Sie hatte eine Fehlgeburt, trennte sich von Broadwater, der in die USA zurückkehrte, und ging mit einem Auftrag der Herausgeber des Kunstmagazins l'Oeil nach Venedig. Ohne soziale Kontakte und mit Sprachschwierigkeiten, die sie bei ihren Recherchen zu ihrem

41 Vgl. Besuch in Deutschland, in: Hannah Arendt: Zur Zeit, Berlin 1986. 42 Im Vertrauen, S. 47. 43 Im Vertrauen, S. 51. 44 Kiernan, S. 344 45 Im Vertrauen, S.87) 82 Regine Othmer

Buch über Venedig behinderten, fühlte sie sich dort allein und unsicher. Arendt, die sich Sorgen um McCarthy machte, flog im September nach Europa und be- suchte sie. In ihren Briefen an Blücher wird deutlich, dass ihre Beziehung ge- spannt ist: »Ich wohne bei Mary, die eine Wohnung hat, und, wie alle Amerika- ner, in einem goldenen Ghetto lebt. Scheußlich.«46 Auch McCarthy schrieb an Broadwater, sie gingen sich etwas auf die Nerven, sie werde von Hannah klein gemacht und mache diese zu einer Schulmeisterin.47 Erst als beide den Congress for Cultural Freedom in Mailand besuchen, wo Arendt angesichts der geladenen Gäste zwischen intellektueller Langeweile und Ekel vor der Korruption durch die materiell üppige Ausstattung der Konferenz schwankt — »Man könnte beinahe auf die Vermutung kommen, die hätten das al- les mit Absicht so angestellt, um den Kommunisten Propaganda zu liefern«48 —, scheint Arendt das Zusammensein mit McCarthy wieder zu genießen: »Von Mary schrieb ich, sie ist ins Schliddern gekommen, weiß im Grunde nicht if she is coming or going.Trotzdem hundertmal besser als die Leute hier. [...] Alle mit großer Hochachtung mir gegenüber und ein bißchen Angst. Ich bin übernett aus Furcht, daß mir meine Verachtung aus allen Poren schwitzt.«49 Arendt war bei dieser Veranstaltung, bei der sie über totalitäre, tyrannische und autoritäre Staatsformen sprach, sehr auf der Hut vor dem intellektuellen »Lumpengesindel« aus Europa und Amerika und wie immer misstrauisch gegenüber jeder Möglich- keit, politisch instrumentalisiert zu werden. Sie, die es nicht liebte, in der Öffent- lichkeit zu stehen und diese nur in kleineren Dosen ertragen konnte, schreibt dann aus Rom: »Ich bin schon ganz wirr von all den Leuten. Mary immer wie- der für mich das Beste; wenn ich sie allein habe, ohne andere.«50 — Als sie wieder in New York ist schreibt ihr McCarthy: »Ich vermisse Dich, hier in Venedig und auch sonst. Du warst so äußerst lieb und gut, hier und in Mailand; das brach das Eis in meinem Herzen.«51 Dies war das erste Mal, dass sie gemeinsam gereist waren. In den nächsten zwanzig Jahren sollten sie häufiger Sightseeingtouren zu zweit unternehmen oder sich bei kurzen Aufenthalten in einer Stadt in Europa sehen. 1956 trafen sie sich in Amsterdam; von dort schreib Arendt begeistert an Blücher: »Mary ent- zückend, wir wie zwei alte copains, die ganz aneinander gewöhnt sind. [...]. Sieht richtig schön aus und ist ganz reizend. Ich bin wieder sehr überzeugt in meiner Vorliebe für sie. Die verrückten Luxusideen mit Hotels und Restaurants hat sie sich ganz abgemacht.«52 — Als McCarthy dreizehn Jahre nach ihrem gemein- samen Aufenthalt mit Arendt in Venedig mit ihrem vierten Mann Jim West Sizi-

46 Briefwechsel Blücher, S. 394 47 Kiernan, S.395. 48 Briefwechsel Blücher, S. 398. 49 Ebda. 50 Briefwechsel Blücher, S. 401. 51 Im Vertrauen, S. 93. 52 Briefwechsel Blücher, S. 441 f. Hannah Arendt und Mary McCarthy 83 lien bereist, erinnert sie sich mit Sehnsucht »wie lange es her ist, daß Du und ich zusammen waren und Venedig >entdeckten<, als ob jene Begeisterung einer ge- schützten fast kindlichen Vergangenheit angehört und diese Vergangenheit eine historische Kuriosität wäre.«53

6. Zu denken geben

Die 1950er Jahre waren eine sehr produktive Zeit für die beiden Freundinnen. McCarthy veröffentlichte neben Aufsätzen und Rezensionen 1955 den Roman A Charmed Life, 1956 Venice Observed, 1957 Memories of a Catholic Childhood, 1959 The Stones of Florence. Arendt bewegte sich zwischen den Sprachen: Sie übersetzte 1954 Origins ins Deutsche (Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1958); 1955 gab sie Essays von Herrman Broch heraus, 1957 veröffentlichte sie unter dem Titel Fragwürdige Traditionsbestände im politischen Denken der Gegenwart vier Essays in der Ubersetzung von Charlotte Beradt auf Deutsch. Dies alles ne- ben der akademischen Lehre, zahlreichen Aufsätzen auf Amerikanisch und neben ihrer Arbeit an The Human Condition (dt.: Vita activa), die 1958 erschien. 1958 er- schien ihr Buch über Rahel Varnhagen in einer amerikanischen Ubersetzung, 1959 auf Deutsch. Die Freundinnen tauschten sich über ihre Arbeit aus. Arendt schrieb 1957 ei- nen Fan-Brief über Memories of a Catholic Childhood, das sie für ein sehr gutes Buch hielt, eines das Mary von allen ihren Büchern am meisten entspräche »ge- rade in der besonderen Unnachgiebigkeit, mit der Du Tatsachenwahrheit von den Verzerrungen der Erinnerung trennst. Das ist viel mehr als nur fehlendes Selbstmitleid — die meisten Schriftsteller sind offenbar unfähig, ihre Kindheit auch nur zu erwähnen, ohne in Tränen auszubrechen —, es sind wirklich Tapfer- keit und Fairness, denen die Heiterkeit [des Buches] entspringt.«54 Mary sollte 1958 The Human Condition im New Yorker rezensieren. Sie hielt sich zu jener Zeit in Florenz auf und schrieb von dort an Arendt über die Differenzierungen des Begriffs Arbeit im Italienischen, als eine Art Übersetzungsübung.55 Aus den 1950er Jahren sind nur wenige Briefe Arendts an McCarthy erhalten. Vielleicht ist auch deshalb ein Brief Arendts so besonders bemerkenswert, in dem sie auf Fragen McCarthys antwortet, die diese im Kontext ihrer Arbeit an A Char- med Life aufwirft: Es gäbe eine Art von Pseudo-Fragen, eine dümmliche »Nach- denklichkeit«, die sich in der modernen Gesellschaft immer mehr ausbreite, meint McCarthy. Der »Durchschnittsmensch, mißtrauisch und schlau ist so etwas wie ein Intellektueller — aber was für einer. Er zweifelt, wie eine Parodie eines Philo- sophen, und giert nach Informationen wie nach Süßigkeiten.« McCarthy ver-

53 Im Vertrauen, S. 316. 54 Im Vertrauen, S.105 f. 55 Vgl. Im Vertrauen, S. 111. 84 Regine Othmer sucht, das zu beschreiben, möchte aber mit Arendt über etwas reden, was sie nicht wisse, nämlich, »wie und wann das entstanden ist, historisch.«56 Die Antwort Arendts auf McCarthys Brief, der ihr »eine wirkliche Freude ist«, ist eine lange philosophische Abhandlung, in der manche die Keimzelle für ihre spätere Arbeit über das Denken in Vom Leben des Geistes erkennen wollen.57 Auf die Inhalte des Briefes einzugehen, würde hier zu weit fuhren. Wichtiger ist der Gestus Arendts, der man hier wie in späteren Briefen an McCarthy förmlich beim Denken zu- schauen kann. McCarthy hat in ihrem Nachruf auf Arendt gesagt, sie sei der ein- zige Mensch gewesen, den sie kannte, dem man beim Denken zuschauen könne. Vermutlich konnte sie das auch deshalb sagen, weil sie Arendt so oft zum Denken herausforderte.

7. Die amerikanische Freundin

Arendt hält McCarthy in ihren Briefen an ihre Lehrer aus der Zeit vor der Emi- gration mit dem Titel die »amerikanische Freundin« auf Distanz. Sie ist stolz auf diese Freundin, wie einem Brief an Kurt Blumenfeld zu entnehmen ist: »Wenn Du Amerika noch besser kennenlernen willst, lies gelegentlich [...] von Mary McCarthy [...] Memories of a Catholic Childhood. Mary ist eine sehr gute Freundin von mir und eine sehr begabte Schriftstellerin. Irischer Abstammung mit einer jüdischen Großmutter, mit der sie groß angibt. Sie ist sehr intelligent und sehr amerikanisch.«58 Im März 1960 berichtet sie Jaspers, eine »sehr gute amerikanische Freundin [...] mit Scheidungs- und Ehetrouble« sei ihr plötzlich ins Haus gefallen und die- ser Aufenthalt habe einige Unruhe mit sich gebracht.59 Zwei Monate später schreibt sie ihm: »Die amerikanische Freundin blieb bis Ende April; das Ganze eine phantastische, z. T. sehr amerikanische Geschichte, z. T. jenes Wechseljahre- Bild, vor dem Sie mich so freundlich nachdrücklich warnten [...]. Die Sache hat mir ein wenig zugesetzt, weil ich sie sehr gern habe und sehr besorgt bin. Aber was kann man machen — außer das Haus aufmachen?«60 Für McCarthy machte Arendt ihr Haus immer auf, zumal seit diese sich in New York nur noch zu Besuch aufhielt. Ende der 1950er Jahre war Arendt als ehemals staatenlose Weltbürgerin auch mit Hilfe McCarthys zu einer wirklichen New Yorkerin geworden, während McCarthy seit 1960 den größeren Teil des Jahres in Europa verbrachte. Lotte Köhler, eine enge Freundin der Blüchers, die 1955 aus Deutschland in die USA emigriert war und wie McCarthy zu Arendts Nachlassverwalterin wurde, beschrieb das Verhältnis der Freundinnen so: »Mary

56 Im Vertrauen, S. 69. 37 Vgl. dazu Brightman (1995) in ihrer Einfuhrung, in: Im Vertrauen, S. 26. •lS »...in keinem Besitz verwurzelt«, S. 191 3Mary kommt, Mary kommt.< Und dann wusste man, dass dies eine ganz besondere Person war.«61

Literatur

Arendt, Hannah und Blumenfeld, Kurt (1995): »...in keinem Besitz verwurzelt«. Die Korrespondenz, herausgegeben von Ingeborg Nordmann und Iris Pilling, Hamburg Arendt, Hannah und Blücher, Heinrich (1996): Briefe 1936-1968, herausgegeben und mit einer Einführung von Lotte Köhler, München Arendt, Hannah und Jaspers, Karl (1985): Briefwechsel 1926 -1969, herausgegeben von Lotte Köhler und Hans Sahner, München, Zürich. Arendt, Hannah und McCarthy Mary (1995): Im Vertrauen. Briefwechsel 1949-1975, herausgegeben und mit einer Einfuhrung von Carol Brightman, München Arendt Hannah (1993): Essays in Understanding 1930-1954, herausgegeben von Jerome Kohn, New York Arendt, Hannah (1975): Die Sonning-Preis-Rede, in: Text + Kritik, Heft 166/167, 2005: Hannah Arendt (Gastredaktion: Wolfgang Heuer und Thomas Wild), S. 3 - 11 Arendt, Hannah (1986): Zur Zeit. Politische Essays, herausgegeben von Marie Luise Knott, Berlin Brightman, Carol (1992): Writing Dangerously. Mary McCarthy and Her World, San Diego, New York, London. Grunenberg, Antonia (2006): Hannah Arendt und Martin Heidegger. Geschichte einer Liefe, München Kiernan, Frances (2000): Seeing Mary Plain. A Life of Mary McCarthy, New York, London Laskin, David (2000): Partisans. Marriage, Politics, and Betrayal among the , New York McCarthy, Mary (1998). Die Clique, München McCarthy, Mary (1965): Die Oase, München/Zürich McCarthy, Mary (1981): Eine katholische Kindheit, München McCarthy, Mary (1997): Was sich verändert, ist nur die Phantasie. Erinnerungen. Ergänzt durch das Frag- ment Memoiren einer Intellektuellen, NewYork 1936-1938, Frankfort a. M Nordmann, Ingeborg (2005): »Tapferkeit vor dem Freund«. Briefeschreiben in finsteren Zeiten, in: Text + Kritik, Heft 166/167,2005: Hannah Arendt, S. 67- 78 Rabinbach, Anson R. (2000): Hannah Arendt und die New Yorker Intellektuellen, in: Smith, Gary (Hrsg.): Hannah Arendt Revisited: »Eichmann in Jerusalem« und die Folgen, Frankfurt a. Main, S. 33-56. Sontheimer, Kurt (2006): Hannah Arendt. Der Weg einer großen Denkerin, München Young-Bruehl, Elisabeth (2004): Hannah Arendt. Leben, Werk und Zeit, Frankfort a. M.

61 Kiernan, S. 355.